Selfmade Woman - Sofia Ghasab - E-Book

Selfmade Woman E-Book

Sofia Ghasab

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Beschreibung

Sofia Ghasab ist die gefragteste Microbladingkünstlerin Europas, erfolgreiche Geschäftsfrau und Gründerin und Dozentin ihrer eigenen Kosmetikakademie. Doch ihr Erfolg ist alles andere als selbstverständlich: Flucht aus dem Iran mit 15, Integrationsprobleme, Schulabbruch. In ihrer Biografie zeigt die Powerfrau, wie sie für ihr Glück kämpfte, nach den ersten Schritten in der Kosmetikwelt ihr Fachabitur nachholte, Kunst studierte und mit viel Mut und Leidenschaft ihr Beauty-Imperium aufbaute. Sie gibt erstmals Einblicke, wie sie als Influencerin ihr Geschäfts- und Privatleben in Balance hält. Ein inspirierendes Buch, halb Autobiografie, halb Businessratgeber für junge Menschen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 189

Veröffentlichungsjahr: 2021

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SOFIA GHASAB

SELFMADE WOMAN

SOFIA GHASAB

MIT KAREN-SUSAN FESSEL

SELFMADE WOMAN

Mein Weg zur erfolgreichen Unternehmerin und wie auch du es schaffen kannst

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Originalausgabe

1. Auflage 2021

© 2021 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektro nischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Selina Hartmann

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch

Umschlagabbildung: Natascha Lindemann,

www.nataschalindemann.de

Layout und Satz: Andreas Linnemann

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7423-1713-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0663-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-1399-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

Prolog

Hier und heute

Kapitel 1

Fließende Wärme: Meine glückliche Kindheit

Hier und heute

Kapitel 2

Mit Kopftuch und Uniform: Schulzeit im Iran

Hier und heute

Kapitel 3

Kein Heim für mich: Ankunft in Deutschland

Hier und heute

Kapitel 4

Unter Druck: Wut, Ärger und eine Chance

Hier und heute

Kapitel 5

Ziellos und daneben: Ein Jahr im Nebel

Hier und heute

Kapitel 6

Das Schöne sehen: Sonnige Zeiten

Hier und heute

Kapitel 7

Sein und Schein: Zurück auf die Schulbank

Hier und heute

Kapitel 8

Künstlerseele: Das Studium

Hier und heute

Kapitel 9

Mein eigenes Ding: Faces

Hier und heute

Kapitel 10

Ein ganz neues Konzept: Die Academy

Hier und heute

Kapitel 11

Get the Spirit: Eins sein mit mir

Hier und heute

Kapitel 12

Use it: Instagram und Co.

Hier und heute

Kapitel 13

Schön, stark und weich: Mein Leben als Selfmade Woman

Danksagung

Über die Autorinnen

Prolog

Das tanzende Mädchen

Eine sanfte Brise weht durch den weitläufigen Garten mit seinen bunten Blumen und dem satten grünen Rasen. Die Blätter der niedrigen Akazien an der hohen Mauer rascheln im leichten Wind. Von irgendwoher kommt ein Vogelzwitschern, gefolgt vom leisen Keckern eines Hähers, das rasch verstummt, als der grelle Ruf eines Falken aus der Ferne zu hören ist.

Der Duft von Orangenbäumen schwebt durch die Luft, vermischt sich mit dem würzigen Geruch der hohen Eichen. Während die Sonne langsam hinter den hohen Mauern des Gartens hinabsinkt, leuchten die steilen Berghänge westlich der Stadt noch einmal rot auf.

Ein kleines Mädchen läuft den Weg zum Pavillon in der Mitte des Gartens hinunter, die kunstvoll zu einem ineinanderfließenden Mosaik gelegten Steine fühlen sich warm unter seinen Fußsohlen an. Es trägt ein rot gemustertes Kleid und ein hübsches silbernes Diadem in seinen seidigen dunklen Haaren.

Lachend läuft das Mädchen den Weg entlang, auf einen schlanken, blonden Mann mit leicht ergrauten Schläfen zu, der auf der großen Bank vor dem Pavillon sitzt und mit ernster Miene in den Garten hinabblickt, eine Zigarette in der Hand, deren rotglühende Spitze in der Dämmerung aufleuchtet. Als er die Schritte des Mädchens hört, hellt sich seine Miene auf, und er richtet sich auf und zieht noch ein letztes Mal an seiner Zigarette, bevor er sie ausdrückt. »Meine Prinzessin!«

»Baba!«

Das kleine Mädchen fliegt auf den Mann zu, lachend wirft es sich in seine Arme. Der Mann hebt es lächelnd in die Höhe, schwingt es herum und viele kleine Falten umkränzen seine blauen, sanften Augen. Er ist nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt. Seine Stimme klingt weich, als er das kleine Mädchen auf dem Boden absetzt und beginnt, in die Hände zu klatschen. »Tanz, meine Prinzessin, tanz!«

Das kleine Mädchen hebt die Hände und beginnt, sich lachend im Kreis zu drehen. Seine Augen leuchten, leuchten im sanften Schein des Sommerabends, der Dämmerung, die sich über die Stadt, das Haus, den Garten hinabsenkt.

»Tanz, meine Prinzessin, tanz!« Der Mann klatscht in die Hände, und jetzt leuchtet sein Gesicht ebenso auf wie das des kleinen Mädchens. Ein Strahlen ist in seinen Augen, als das Mädchen die Hände noch höher emporreckt und den schmalen, zarten Körper im Rhythmus des Klatschens dreht. Sein helles Lachen perlt in den Himmel hinauf.

»Tanz, meine Prinzessin!«

Das Mädchen dreht sich und dreht sich immer schneller im Kreis, bis alles verfliegt, die Äste der Bäume, die Blüten der Blumen, das Gesicht des lächelnden Mannes, der dunklerwerdende Himmel …

Das Mädchen bin ich. Und der Mann, der fröhlich lächelnde Mann ist mein Vater. Und der Garten, in dem ich für ihn tanze, ist weit, weit entfernt. Unendlich weit.

Und zugleich für immer in meinem Herzen.

 

Hier und heute

»Sofia?«

Ich schrecke auf. Für einen Moment bin ich noch weit fort, bin ich wieder das kleine Mädchen, das damals, vor langer Zeit, für seinen Vater tanzt. Ich bin noch in Tabriz, der Stadt im Norden des Irans, in der ich geboren wurde und die ich viele Jahre später verließ, um nie mehr zurückzukehren.

Im nächsten Augenblick aber bin ich wieder hier, in der Gegenwart, in der Wirklichkeit. In Stuttgart, der Stadt im Süden Deutschlands, in der ich seit vielen Jahren lebe. In meinem Studio, dem Ort, den ich mir erschaffen habe, um genau das zu tun, was mich ausmacht. Meinem Lieblingsort.

»Sofia?« Selen, meine Assistentin, steht vor mir und sieht mich aufmerksam an, ein Lächeln in ihren sanften Zügen. »Sofia? Bist du so weit?« Sie legt eine Hand auf meinen Arm und nickt mir zu. Ich lege meine Hand für einen kurzen Augenblick auf die ihre und nicke.

»Ja«, sage ich. »Selbstverständlich. Ich bin so weit!«

Selen geht vor mir her in den ersten Behandlungsraum. Ich hole noch einmal tief Luft und sehe aus dem großen Fenster hinaus auf die Straße. Ein Auto fährt langsam vorbei, auf der anderen Straßenseite schiebt eine junge Mutter einen Kinderwagen den Gehsteig entlang und spricht dabei lachend in ihr Handy.

Ich höre, wie Selen mit der Kundin spricht, die sie soeben in den Behandlungsraum geführt hat. Die Kundin erwidert etwas und beide lachen vergnügt.

Einen Moment später klingelt das Telefon am Empfang. Ich höre Schritte, dann nimmt Selen den Anruf an. »Sofia Ghasab Academy, Selen am Apparat. Was kann ich für Sie tun?«

Sofia Ghasab Academy. Manchmal kann ich immer noch nicht glauben, dass mein Traum wirklich wahr geworden ist. Ich habe tatsächlich meine eigene Firma aufgebaut, meinen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil kreiert, es geschafft, mich und meine Kunst der Welt zu zeigen. Eine halbe Million Menschen folgt mir auf Instagram, noch viele mehr kennen mich aus den Fernsehinterviews und Zeitungsreportagen. Die bislang drei Folgen der Reality-Show Let‘s Get Real, in der ich mit meinen beiden Freundinnen Senna Gammour und Seyda Taygur zu sehen bin, sind allesamt Quotenrenner gewesen.

Kund*innen aus aller Welt buchen mich und reisen Hunderte, manchmal sogar Tausende Kilometer hierher, um meine Kunst in Anspruch zu nehmen. Auch ich selbst fliege seit Jahren durch ganz Europa, erkläre meine selbst entwickelten Methoden, führe Schulungen durch, schenke vielen, vielen Frauen ein Stückchen Glück, trage vielleicht dazu bei, die Welt ein kleines bisschen schöner und damit besser zu machen.

Was für das Auge schön ist, ist auch für die Seele gut, davon bin ich überzeugt, heute mehr denn je.

Aber ich möchte noch mehr: Mut machen, indem ich erzähle, wie der Weg ausgesehen hat, den ich gegangen bin. Damit auch andere sich trauen, ihren eigenen Weg zu gehen. Andere junge, unsichere, ängstliche oder zornige Frauen (und auch Männer, na klar!). Menschen, denen das Schicksal genau wie mir eine Reihe dicker Steine in den Weg gelegt hat.

Ich möchte erzählen, wie es mir gelungen ist, über diese Steine hinüberzuklettern, manchmal auch darum herum, und sie ab und zu beiseitezuräumen.

Und ich möchte die wahre Sofia zeigen, Sofia mit den iranischen Wurzeln, die gar nicht so andere Voraussetzungen hatte als Güney aus Bottrop oder Laila aus Afghanistan, die jetzt in Frankfurt am Main lebt.

Denn das, was mir gelungen ist, ist kein Wunder, kein Zufall und auch kein unerreichbares Ziel. Sondern das Ergebnis harter Arbeit und eines langen Weges, eines Weges mit Höhen und Tiefen, schlimmen Zeiten und wunderbaren Momenten.

Ich bin oft gestolpert auf diesem Weg, hingefallen und immer wieder aufgestanden. Manchmal weiß ich nicht, wie das alles gekommen ist. Aber eins weiß ich sicher: Ich mache genau das, was ich machen möchte. Und es war ein wirklich langer Weg bis hierhin.

Kapitel 1

Fließende Wärme: Meine glückliche Kindheit

Tabriz, Stadt meiner Geburt

Der Iran, das Land, aus dem ich stamme, ist ein wunderschönes, aufregendes Land mit vielen Gegensätzen. 83 Millionen Menschen leben im Land meiner Geburt, ziemlich genauso viele wie in Deutschland, aber sie haben viel mehr Platz – der Iran ist mehr als viermal so groß wie ganz Deutschland. Ein riesiges Land mit hohen Gebirgen, in denen Gazellen von Stein zu Stein springen, heißen Wüstengebieten und abgelegenen Arealen, in denen wilde Tiere wie Geparde, Luchse und Leoparden leben. Am Himmel kreisen Steinadler, Geier und Falken, und durch die dichten Waldgebiete ziehen Rothirsche und Stachelschweine.

Die Winter in Vorderasien sind lang und kalt, die Sommer heiß und trocken. Der Wind ist ein ständiger Begleiter – auch in Tabriz, meiner Geburtsstadt, die im Norden des Landes liegt und vor gut hundert Jahren sogar die größte Stadt Persiens war. Persien. So hieß der Iran bis 1935, dem Jahr, in dem mein Vater geboren wurde.

Sowohl die Familie meines Vaters als auch die meiner Mutter haben schon immer in Tabriz gelebt. Fast alle meine Vorfahren waren Kaufleute, die meisten davon handelten mit Fleischprodukten. Auch mein Vater und meine beiden älteren Brüder setzen diese Tradition fort.

Und wie alle meine Vorfahr*innen und nahezu alle gut eineinhalb Millionen Einwohner*innen von Tabriz spricht auch meine Familie zwei Sprachen: Persisch und Aserbeidschanisch. Denn Tabriz hat früher eine Zeit lang zu Aserbaidschan gehört und ist heute die Hauptstadt der iranischen Provinz Ost-Aserbaidschan.

Die Stadt ist vor allem bekannt für ihre Teppiche, aber auch für die vielen heißen Quellen in der Umgebung. Daher hat sie auch ihren Namen: Tabriz bedeutet nämlich »bringt Wärme zum Fließen«.

An die heißen Thermalquellen kann ich mich allerdings nur noch ganz schwach erinnern. Woran ich mich aber genau erinnere, das sind die Menschen, die mich in Tabriz umgeben haben. Meine Familie.

Mein italienischer Name

Meine Mutter war gerade einmal 20 Jahre alt, mein Vater doppelt so alt wie sie, als sie sich auf einer Feier kennenlernten und ineinander verliebten. Nicht lange danach heirateten sie und zogen in das große, vierstöckige Haus, in dem kurz darauf mein ältester Bruder geboren wurde.

Drei Jahre später bekamen meine Eltern einen weiteren Sohn, und eigentlich waren sie mit zwei Kindern mehr als zufrieden. Aber dann, fünf Jahre danach, kündigte ich mich an – kein wirkliches Wunschkind, und so richtig begeistert waren meine Eltern zunächst nicht. Aber als ich dann schließlich auf der Welt war, freuten sie sich sehr. Nach zwei Söhnen nun noch eine Tochter – damit war die Familie dann endlich komplett.

Mein Vater hätte mich gern mit einem altehrwürdigen persischen Namen bedacht, wie meine Brüder sie tragen, aber meine Mutter, ein glühender Fan der berühmten italienischen Schauspielerin Sophia Loren, setzte sich am Ende schließlich durch: »Sie soll Sofia heißen und basta! Vielleicht wird sie dann auch ein bisschen wie Sophia Loren!«, rief sie, und damit war die Diskussion endgültig beendet. Mein Vater lächelte schief und gab nach, wie so oft, denn er konnte meiner Mutter kaum einen Wunsch abschlagen. Und er setzte sich bei einem Bekannten im Rathaus dafür ein, dass mein Name auch genauso auf meiner Geburtsurkunde eingetragen wurde: Sofia Ghasab Abdollahi.

Wie die meisten Iraner*innen trägt auch unsere Familie zwei Nachnamen, wobei diese Kombination einzigartig im gesamten Land ist. Nur wir heißen Ghasab Abdollahi, allerdings verwende ich nur den ersten davon hier in Deutschland. Zwei Nachnamen sind für viele Deutsche einfach zu ungewohnt, das sorgt nur für Verwirrung.

Ob ich nun ein bisschen so wie meine berühmte Namensvetterin geworden bin, kann ich nicht beurteilen, aber auf jeden Fall war ich damals in Tabriz im Familien- und Bekanntenkreis und auch in der Schule das einzige Mädchen, das diesen Namen trug. Damals war es absolut nicht üblich, seiner neugeborenen Tochter den Namen eines westlichen Filmstars zu geben. Und gern gesehen war es auch nicht. Denn der Iran hatte sich sehr verändert, seit meine Mutter selbst ein Mädchen gewesen war.

Neue Regeln für ein altes Land

Damals, in den Sechziger- und Siebzigerjahren, galt der Iran als das modernste Land Asiens. Die jungen Leute hörten westliche Musik, trugen Jeans und Miniröcke, und dass Frauen an den Universitäten studierten und Berufe erlernten, die früher nur Männern vorbehalten gewesen waren, war völlig normal. Der Schah Mohammad Reza Pahlavi, der persische König, hatte sich mit den Amerikanern verbündet, und im persischen Reich mit seiner langen, wechselhaften Geschichte herrschte Frieden. Aber unter der Oberfläche brodelte es.

Die tiefgläubigen Muslime im Land waren unzufrieden. Sie wollten keinen weltlichen, sondern einen muslimischen Staat, und weil sie immer mehr Anhänger fanden, kam es 1979 schließlich zum Umsturz. Der Schah wurde abgesetzt und flüchtete mit seiner Familie ins Ausland, und die Mullahs, die Religionsführer, kamen an die Macht.

Seitdem ist der Iran ein islamischer Gottesstaat, und damit veränderte sich für die Einwohner*innen das gesamte Leben. Tanz und Musik, eigentlich alles, was für eine westliche Lebensweise stand, war ab sofort verboten. Frauen waren nun nicht mehr gleichberechtigt und sie mussten jetzt Kopftücher und lange Kleidung tragen, die Knöchel und Handgelenke bedeckte. Durch die Straßen patrouillierte die Sittenpolizei, die die Kleidervorschriften genau überprüfte. Politisch Andersdenkende wurden verfolgt und ins Gefängnis geworfen und niemand konnte mehr frei seine Meinung sagen. Alle Bilder des Schahs wurden verbrannt.

Mein Vater musste sich geschäftlich neu orientieren, aber meine Mutter litt besonders unter der veränderten Situation.

Sie war jetzt 24 Jahre alt, Mutter eines kleinen Sohnes und eine sehr lebenslustige, moderne junge Frau, die gern in ihrem Beruf als Kosmetikerin und Friseurin arbeitete. Aber fast alles andere, was ihr vorher Freude gemacht hatte, war nun verboten. Für viele Dinge, die sonst ganz normal gewesen waren – Reisen ins Ausland, den Besuch von Veranstaltungen und vieles mehr –, brauchte sie nun die Zustimmung ihres Ehemannes.

Also konzentrierte sie sich noch mehr auf die Familie und die Erziehung ihrer Kinder. Für mich und meine Brüder war das natürlich ein Glück und ich verbinde viele schöne Erinnerungen an meine Kindheit mit meiner Mutter.

Frühsport am Morgen

Neben dem historischen Basar im Zentrum der Stadt, der seit 2010 zu den Weltkulturerbestätten zählt, ist Tabriz berühmt für seine uralte Blaue Moschee und den wunderschönen El-Goli-Park mit seinem großen, künstlich angelegten See. Ein breiter Steg führt zu einem Pavillon in der Mitte des Sees, in dem ein Restaurant untergebracht ist. Über große Steinterrassen fließt Wasser, gespeist aus einer Quelle, in den See hinunter, Vögel singen, Pappeln und Weiden rascheln im Wind.

Bevor ich mit sechs Jahren in die Schule kam, machte ich jeden Morgen mit meiner Mutter einen Spaziergang zum El-Goli-Park. Nur im Winter, wenn es gar zu kalt wurde, fuhren wir mit dem Auto dorthin, an den anderen Tagen liefen wir zu Fuß. Zwanzig Minuten brauchten wir bis in den Park, zwanzig wunderbare Minuten, in denen ich Hand in Hand mit meiner Mutter die belebten Straßen entlanglief und mich auf das Eis oder eine andere Nascherei freute, die mich am Pavillon erwartete. Ich liebte die Tierskulpturen, die die Wege des Parks säumten, lauschte begeistert dem Zwitschern der Vögel und dem Rauschen des Wassers, das sanft die fünf breiten Terrassen zum See hinunterfloss.

Meine Mutter, die sehr auf ihr Aussehen achtete, betrachtete unsere Spaziergänge als morgendliches Sportprogramm. Seit ich mich erinnern kann, war es ihr wichtig, gesund zu leben. Auch heute ist das noch so.

Mein Vater achtete ebenfalls auf seine Gesundheit. Früh um fünf stand er auf und absolvierte seine Sportübungen noch vor dem Frühstück, das wir oft gemeinsam einnahmen. Dazu knackte er dann Nüsse für mich und gab sie mir zusammen mit einem Löffel Honig. Das schmeckte mir nie besonders und mein Vater lächelte jedes Mal, wenn er sah, wie ich das Gesicht verzog.

»Das magst du nicht, ich weiß«, sagte er. »Aber das macht dich schlau, kleine Prinzessin.«

Vielleicht hat er ja recht behalten, wer weiß …

Schwarze Haare, blaue Augen

Mein Vater hat mich stets wie eine Prinzessin behandelt. Ich sah ihn nur selten, weil er so viel arbeitete, aber fast jeden Tag brachte er mir Leckereien mit. Wenn ich ihn kommen hörte, rannte ich aus dem obersten Stockwerk unseres Hauses wie der Wind nach unten und fiel ihm in die Arme. Dann riss ich ihm die Tüte mit den Mitbringseln aus der Hand und stürmte die vier Stockwerke wieder hinauf, vorbei an meinen Brüdern, die gemeinsam ein eigenes Stockwerk bewohnten.

»He, gib mir was ab!«, rief mein mittlerer Bruder und lief mir hinterher. Er riss an der Tüte, aber ich hielt sie fest.

»Lass mich! Das gehört mir!«

Mein Bruder zerrte mir die Tüte mit einem Ruck aus der Hand und lachte, während er eine Grimasse zog. »Und jetzt gehört es mir!«

Aber einen Moment später packte ihn mein ältester Bruder am Ohr. »Los, gib ihr die Tüte zurück! Sonst zieh ich dir das Ohr so lang, dass du aussiehst wie Dumbo, der fliegende Elefant!«

Mein mittlerer Bruder warf mir die Tüte zu und boxte spielerisch nach meinem ältesten Bruder, der ihn endlich losließ. Beide lachten und klatschten sich ab, während ich die Treppe ins oberste Stockwerk hinaufflitzte, meine Tüte fest an mich gedrückt.

So war es oft – mein mittlerer Bruder, der fünf Jahre älter war als ich, versuchte mich zu necken, wo es nur ging, während mein ältester Bruder mich stets vor ihm in Schutz nahm. Aber im Grunde verstanden wir uns alle drei ausgezeichnet.

Und wir alle drei sahen ganz unterschiedlich aus: Mein ältester Bruder hatte schwarze Haare und honigbraune Augen, mein mittlerer Bruder hingegen war dunkelblond und hatte grüne Augen, worum ich ihn insgeheim sehr beneidete. Ich hatte die dunklen Augen meiner Mutter und ihre glatten schwarzen Haare geerbt.

Dass mein Vater einmal ganz blond gewesen war, konnte man allerdings nur erahnen, denn er war bereits ergraut, als ich ein kleines Kind war. Kein Wunder, bei meiner Geburt war er 50 Jahre alt gewesen; er kam mir eigentlich immer eher wie ein Opa vor statt wie ein Vater.

Erst viele Jahre später erfuhr ich, dass seine Mutter bei seiner Geburt gestorben war. Wie traurig muss das für ihn gewesen sein, ohne Mutter aufzuwachsen! Sein Vater hingegen, ein in Tabriz sehr mächtiger Mann mit einem guten Ruf und viel Einfluss, wurde 90 Jahre alt. Ich habe ihn noch kennengelernt, kann mich aber kaum an ihn erinnern.

Das große Tablett

Sehr gut erinnern aber kann ich mich an meine Großeltern mütterlicherseits und unsere Besuche bei ihnen. Was hatten wir alle immer für einen Spaß!

Kaum waren wir mit unserem Auto an ihrem Grundstück vorgefahren, rannten meine Brüder und ich auch schon quer durch den Garten ins Haus, dessen Tür immer für unsere gesamte große Familie offenstand. Drinnen wimmelte es nur so von Menschen – meine Tanten und Onkel, meine vielen Cousinen und Cousins wirbelten durch das ganze Haus, lachten und unterhielten sich.

»Da seid ihr ja!«, rief mein Opa und warf eine große Tüte mit frischem, noch warmem Nan-E Barbari, dem persischen Fladenbrot, das er gerade vom Bäcker geholt hatte, auf das große Tablett. Meine Großmutter legte Gemüse und kiloweise Frischkäse dazu, und schon versammelte sich die ganze Runde um das Tablett und begann, sich Brote zu schmieren.

»Damit müsst ihr erst mal klarkommen, bis ich nachher richtig für euch koche!«, rief meine Großmutter vergnügt und strich mir über den Kopf, bevor sie einer meiner Cousinen ein Stückchen Barbari reichte.

Manchmal gab es auch Eis oder andere kleine Köstlichkeiten, aber mit Heißhunger hätten wir auch einfach trockenes Brot gegessen. Es war jedes Mal ein Fest, bei Großmutter mit der ganzen Familie zusammenzutreffen. Bis in die Nacht hinein spielten und aßen wir gemeinsam, wir Kinder tobten durchs Haus und durch den Garten und hatten Spaß.

Nie wieder habe ich eine solche Gemeinschaft erlebt, nie wieder ein derartig starkes Gefühl der Freiheit und Zusammengehörigkeit wie damals in jenen unbeschwerten Kindertagen.

Und deshalb …

Meine unbeschwerte Kindheit im Iran ist längst nur noch eine Erinnerung, die mit jedem Tag weiter verblasst. Manches ist bereits im Dunkel der Vergangenheit verschwunden, anderes steht mir noch klar vor Augen. In meinem Herzen aber bewahre ich alles.

Ich habe mein Heimatland vor vielen Jahren verlassen, aber ich weiß, dass mich meine Familie, meine Herkunft für alle Zeiten geprägt hat.

Jeder Baum hat Wurzeln. Jeder Mensch auch, aber unsere Wurzeln sind unsichtbar. Und doch halten sie uns am Boden, nähren uns aus der Erinnerung heraus. Ohne Wurzeln sind wir haltlos. Aber manchmal sind wir gezwungen, sie zu durchtrennen, oder wir kappen sie freiwillig. Selbst dann aber bleiben sie uns erhalten.

Meine Wurzeln zu kennen, bedeutet zu wissen, woher ich komme, und Kraft daraus zu schöpfen.

In diesem Buch möchte ich dir nicht nur meine persönliche Geschichte erzählen. Ich möchte dich auch wissen lassen, welche wichtigen Leitsätze mich durchs Leben begleiten und manchmal auch aus schwierigen Situationen gerettet haben. Dies hier ist der erste:

Vergiss deine Wurzeln nicht!

 

Hier und heute

»Sofia, der Kaffee ist fertig, kommst du?« Selen lächelt mich durch den Türspalt hindurch an. Die erste Kundin des Tages ist soeben gegangen, wir haben kurz Zeit für eine kleine Pause.

»Noch einen Augenblick. Bin sofort da!« Ich stehe noch einen Moment still da und sehe durch die geöffneten Lamellenvorhänge auf die ruhig daliegende Straße hinunter.

Eine Frau schiebt ihren Kinderwagen vorbei, ein Mann führt seinen Dackel spazieren. Die Straße, in der mein Studio sich befindet, liegt ein wenig außerhalb des Zentrums, ist aber dennoch gut zu erreichen. Vorher habe ich immer in der belebten Innenstadt gearbeitet, hier ist es ruhiger. Das gefällt mir sehr.

Langsam lasse ich eine Hand über den Vorhang gleiten. Ich habe ihn selbst ausgesucht, wie alles hier im Studio. Der helle Parkettfußboden passt gut zu den marmornen Tischen und Säulen mit den weißen Vasen darauf; die Möbel, Vorhänge und Wände sind in weiß oder cremefarben gehalten, ganz wie zu Hause in meiner eigenen Wohnung. Ich liebe die Helligkeit, sie betont das Saubere, Reine, Klare.

Vielleicht – oder mit Sicherheit – habe ich das zu Hause, in unserem Haus in Tabriz gelernt. Meine Mutter legte immer großen Wert auf Ordnung und Sauberkeit, auch unser damaliges Haus erscheint mir in der Erinnerung hell und licht.

Ein Kinderlachen schreckt mich aus meinen Gedanken. Unten auf der Straße laufen zwei kleine Mädchen vorbei, die Schulranzen auf dem Rücken. Direkt unter meinem Fenster bleiben sie stehen und beugen sich gemeinsam dicht über ihre Handys. Ich kann das Funkeln der Displays bis hier oben sehen.