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Frech, witzig, sexy – und mitten ins Herz: Der TikTok-Hit »Set on You« ist eine herrlich leichtfüßige romantische Komödie über body positivity und die Licht- und Schattenseiten des Influencer-Daseins. Nach einer Trennung findet Plus-size-Fitness-Influencerin Crystal Chen Trost im Gym, ihrem persönlichen Kraftort – bis Feuerwehrmann Scott Ritchie auftaucht und regelmäßig Crystals liebste Fitnessgeräte blockiert. Bald fliegen ordentlich die Funken. Doch während die beiden sich im Gym um die Vorherrschaft batteln, bringt sie ausgerechnet die Verlobungsfeier ihrer Großeltern auch außerhalb des Fitnessstudios zusammen. Und Crystal muss feststellen, dass sich unter Scotts durchtrainiertem Äußeren ein weiches Herz verbirgt. Könnten sie am Ende füreinander sein, was beide bisher vergeblich gesucht haben? Als dann aber ein Foto von Crystal und Scott viral geht, wird der Hass im Internet zur Zerreißprobe für ihre aufkeimende Liebe … Die Own-Voice Autorin Amy Lea weiß, wovon sie schreibt – und das tut sie in einem unnachahmlich humorvollen Ton. In ihrer romantischen Komödie trifft Female Empowerment durch Selbstakzeptanz auf eine mitreißende und leidenschaftliche Liebesgeschichte. »Amy Lea hat eine Ode an alle verfasst, die mit der Selbstakzeptanz kämpfen und dennoch entschlossen sind, sich selbst zu lieben.« Ali Hazelwood, Autorin von »Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe«
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Seitenzahl: 500
Veröffentlichungsjahr: 2023
Amy Lea
Roman
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Nach einer Trennung findet Plus-size-Fitness-Influencerin Crystal Chen Trost im Gym, ihrem persönlichen Kraftort – bis Feuerwehrmann Scott Ritchie auftaucht und regelmäßig Crystals liebste Fitnessgeräte blockiert. Bald fliegen ordentlich die Funken.
Doch während die beiden sich im Gym um die Vorherrschaft batteln, bringt sie ausgerechnet die Verlobungsfeier ihrer Großeltern auch außerhalb des Fitnessstudios zusammen. Und Crystal muss feststellen, dass sich unter Scotts durchtrainiertem Äußeren ein weiches Herz verbirgt. Könnten sie am Ende füreinander sein, was beide bisher vergeblich gesucht haben?
Als dann aber ein Foto von Crystal und Scott viral geht, wird der Hass im Internet zur Zerreißprobe für ihre aufkeimende Liebe …
Widmung
Anmerkung der Autorin
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Epilog
Danksagung
Über die Autorin
Für all diejenigen, die sich in Büchern und Filmen selten repräsentiert sehen.
Für all diejenigen, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen.
Ihr seid einer epischen Liebesgeschichte würdig. Wir alle sind es.
Liebe Leser*innen,
ich kann Euch gar nicht genug dafür danken, dass Ihr meine Debüt-Beziehungskomödie Set on You als Eure nächste Lektüre ausgewählt habt. Auch wenn dieses Buch in einem leichten, humorvollen und sarkastischen Stil geschrieben ist, möchte ich es dennoch nicht versäumen, für meine Leser*innen Content-Warnungen bezüglich der ernsten Themen, die es erkundet, auszusprechen: Fettphobie, Cybermobbing und Bezugnahmen auf Rassismus, Fitness-/Diätkultur und Krebs.
Crystals Reise als kurvige, ethnisch gemischte Chinesin ist eine fiktive Erfahrung, gefiltert durch meine eigene Weltsicht als chinesischstämmige Kanadierin, die in einer überwiegend weißen Community aufgewachsen ist.
Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig es ist, Heldinnen aller Randgruppen darzustellen, die Selbstliebe und Bodypositivity praktizieren, vor allem in Liebesgeschichten. In diesem Sinn ist auch Crystal keine Heldin, die erst lernen muss, sich selbst zu lieben und zu respektieren, denn das tut sie bereits. Gleichwohl erkundet dieses Buch die Nuance – das »Zwischending« –, dass Selbstliebe kein greifbarer Gegenstand ist, den man erlangt und dann für immer festhält. Sich selbst jeden Tag, den ganzen Tag, zu lieben ist eine individuelle Reise, mit völlig unterschiedlichen Ergebnissen für jede und jeden.
In Set on You habe ich mich bemüht, Darstellungen der ungesunden Seite der Fitnesskultur zu vermeiden. Crystal befürwortet Work-out und Gewichtheben als eine von vielen Möglichkeiten, einen gesunden und ausgewogenen Lebensstil zu führen, ohne Kalorien zu zählen oder auf ihr Gewicht zu achten. Jedoch könnte genau das Thema Fitness und Fitnessstudio-Kultur für manche Leser*innen triggernd sein.
Wie Ihr in der Widmung gelesen habt, ist dieses Buch meine Liebeserklärung an all diejenigen, die sich, wie ich selbst, nicht oft in den Mainstream-Medien repräsentiert sehen. In einer Branche, in der sich alles um Repräsentation dreht, nehme ich diese Verantwortung nicht auf die leichte Schulter, und ich habe Beta- und Sensitivity-Leser*innen konsultiert, während ich dieses Buch geschrieben habe. Gleichwohl bin ich nicht perfekt, und ich möchte betonen, dass die fiktiven Erfahrungen, die hier geschildert werden, keinesfalls präskriptiv oder repräsentativ für eine einzelne Community oder Randgruppe sein sollen.
In Liebe
Amy
Das Fitnessstudio sollte mein geschützter Ort sein. Der Ort, an dem ich Stress abbaue, Energie auftanke und über wahllose Rätsel und Geheimnisse nachgrübele wie zum Beispiel: Wie konnte ich 2011 so wahnhaft sein zu glauben, ich könnte allen Ernstes einen Mittelscheitel tragen?
Das ist der Grund, weshalb ich gleichermaßen erschrocken und entsetzt bin, dass mein Tinder-Rebound, Joe, auf das Laufband rechts neben mir gesprungen ist.
Ich mache mich auf einen verlegenen, plumpen Gruß gefasst, aber zum Glück scheint seine ganze Aufmerksamkeit auf das Touchpad des Laufbands gerichtet zu sein. Während er auf das Display tippt, um sein Tempo zu steigern, nehme ich einen Hauch von »Eau de nasser Hund« wahr. Er sieht nicht sehr dezent kurz in meine Richtung, bevor er den Blick abwendet.
Na klar, Tinder-Joe war so freundlich, mir nach unserem glanzlosen Viertel-Night-Stand vor zwei Wochen ein Uber zu bestellen. Aber es ist schon ein sehr seltsamer Zufall, dass wir beide, im gesamten Stadtgebiet von Boston, ausgerechnet im selben Fitnessstudio aufschlagen. Ich frage mich, ob er mich gestalkt hat. Vielleicht habe ich ihn im Bett um den Verstand gebracht? So sehr, dass er voll FBI-mäßig meinen Arsch verfolgt, mein Fitnessstudio ausfindig gemacht und eine zufällige Begegnung inszeniert hat? Angesichts meiner Social-Media-Präsenz ist das durchaus im Bereich des Möglichen.
Bei jeder Gelegenheit warnt mich Dad, wie gefährlich es ist, meinen Aufenthaltsort auf Instagram zu posten, damit ich nicht im Stil von 96 Hours gekidnappt und in die Sexsklaverei verkauft werde. Nur dass Dad kein Liam Neeson ist. Er hat keine »speziellen Fähigkeiten«, abgesehen von seinem legendären Sesamhuhnrezept. Und solange das »Excalibur Fitness Center« meine Mitgliedschaft im Gegenzug für Promotion auf meinem Instagram weiterhin sponsert, bin ich gewillt, das Risiko einzugehen.
Tinder-Joe und ich sehen uns wieder in die Augen, als ich nach einem Sprintintervall eine Verschnaufpause einlege. Unser Blickkontakt dauert zwei Sekunden länger als angenehm, und ich kann nicht umhin zu bemerken, wie seine perfekt gestylte Boyband-Frisur bei jedem giraffenartigen Schritt verdächtig intakt bleibt. Egal, ob er mich hier gestalkt hat oder nicht, mein erster Instinkt ist es, vom Ort des Geschehens zu fliehen.
Daher tue ich es.
Ich flüchte mich in die Fitnessfreak-Zone, auch bekannt als der Krafttrainingsbereich.
Als regelmäßige Besucherin des Fitnessstudios tausche ich ein respektvolles Nicken mit den anderen Stammkunden, als ich eintrete. Eine vertraute Truppe steroidgesteuerter Angeber lungert in der Nähe der Bankdrückmaschinen herum, während sie gleichzeitig Molke-Proteinshakes kippen, als ob sie kurz davor sind zu dehydrieren. Heute tragen sie diese megapeinlichen neonfarbenen Tanktops, die zu tief unter ihren Achseln hängen. Man muss ihnen zugutehalten, dass sie sich wirklich streng an ihre tägliche Routine halten. Und nachdem ich unter harschem Neonlicht in der Spiegelwand einen Blick auf mein verschwitztes, tomatengesichtiges Selbst erhascht habe, bin ich nicht in der Position zu urteilen.
Ein Typ, der breitbeinig auf der Bankdrückmaschine sitzt, keucht übertrieben, während er ein Paar Hanteln mit einem lauten Rums auf den Boden fallen lässt. Normalerweise würde mich das zur Weißglut bringen, aber ich bin zu abgelenkt von einem atemberaubenden Anblick, um mich darum zu scheren. Mein geliebtes Squat-Rack ist frei. Dem Himmel sei Dank.
Das Squat-Rack am Fenster ist eines von genau zwei Racks in diesem Studio. Es bietet eine malerische Aussicht auf einen schmuddeligen Nachtclub auf der anderen Straßenseite, Gerüchten zufolge seit Langem eine Fassade für eine mörderische Motorradgang. Das natürliche Licht ist optimal, um meine Work-outs zu filmen, vor allem verglichen mit der Alternative – dem in Schatten getauchten Rack neben der Männerumkleide, wo es ständig nach Axe-Bodyspray riecht.
Das Fenster-Rack ist nah genug an dem überdimensionalen Ventilator, um mir während des Schwitzens eine angenehme Brise zu verschaffen, aber nicht so nah, dass ich mir eine windbedingte Unterkühlung zuziehen werde. Außerdem ist es ein spitzenmäßiger Platz, um auf den Fernseher zu starren, auf dem, aus unerfindlichen Gründen, grausamerweise dauerhaft »Food Network« eingestellt ist. Ich verehre dieses Squat-Rack ungefähr so, wie Mutter Gothel Rapunzels magisches Haar bewundert. Es verleiht mir Leben. Kraft. Vier Squat-Sets, und ich bin für mindestens einen Tag high von Endorphinen und fantasiere davon, wie ich mit der Kraft meiner Schenkel die Seelen von eintausend Männern zerquetsche.
Berauscht von dem bloßen Gedanken, stecke ich meinen Claim auf das Rack ab, indem ich mein Handy und meine Kopfhörer auf dem Boden ablege, bevor ich zum Wasserspender gehe. Der Mann mit dem Ziegenbart, der knielange Cargoshorts und allen Ernstes einen Sony-Walkman aus den Neunzigern trägt, nähert sich im selben Moment. Er lässt mir huldvoll den Vortritt.
Ich schenke ihm ein anerkennendes Lächeln. »Danke.«
Ich habe dem Rack ganze drei Sekunden den Rücken zugewandt, während ich einen Schluck trinke. Frisch hydriert und bereit, ein paar Squats durchzuziehen, schnelle ich herum – und sehe mich einer außergewöhnlich breitschultrigen Gestalt gegenüber, die sich genau vor meinem Fenster-Rack stretcht.
Ich habe diesen Mann noch nie zuvor gesehen, und ich bin sicher, ich würde mich verdammt gut an ihn erinnern, wenn ich es getan hätte. Er ist hochgewachsen, weit über eins achtzig, mit einem muskulösen Körperbau, der sein unscheinbares graues T-Shirt und seine Trainingsshorts großzügig ausfüllt. Ein Blick auf seinen enormen Bizeps genügt, um zu wissen, dass er sich in einem Fitnessstudio auskennt. Ein schwarzes Baseballcap mit einem undefinierbaren Logo überschattet sein Gesicht. Von der Seite betrachtet, hat seine Nase einen leichten Knubbel, als ob sie ihm irgendwann einmal gebrochen wurde.
Ich schlüpfe an ihm vorbei, um mein Handy aufzuheben, hänge bewusst ein paar Takte länger dort herum, um die Message rüberzubringen, dass dieses Rack besetzt ist. Er kriegt das Memo nicht mit. Stattdessen beginnt er, seine massigen Hände um die Hantelstange zu legen, die Brauen in angespannter Konzentration zusammengeschoben.
Entweder ignoriert er mich glatt, oder er hat meine Anwesenheit tatsächlich nicht bemerkt. Der schwache Rhythmus seiner Musik ist durch seine Ohrstöpsel zu hören. Ich kann den Song nicht erkennen, aber es klingt nach Hardcore, irgendeinem erhebenden Heavy-Metal-Tune.
Ich räuspere mich.
Keine Reaktion.
»Entschuldigung«, rufe ich und schiebe mich ein Stück näher heran.
Als sein Blick meinen trifft, zucke ich zusammen. Ich weiche instinktiv einen halben Schritt zurück. Seine Augen sind von einem verblüffenden Waldgrün, wie eine Fläche dichter Kiefern, die sich über ein unberührtes, nebliges Berggebiet inmitten der Wildnis zieht. Nicht dass ich es aus persönlicher Erfahrung wissen könnte. Mein Kontakt mit der rauen Natur beschränkt sich auf den Discovery Channel.
Ich bin fast hypnotisiert von der Intensität seiner Augen, bis er ein »Ja?« bellt und widerstrebend seinen rechten Ohrstöpsel herausnimmt. Seine Stimme ist tief und schroff, als ob er nicht von mir gestört werden will. Er nimmt für einen Moment sein Baseballcap ab, unter dem gewellte dunkelblonde Haare zum Vorschein kommen, die sich im Nacken locken. Sie erinnern mich an diese zotteligen Frisuren von Eishockeyspielern, die Art, durch die man unwillkürlich mit den Fingern fahren will. Und er tut genau das. Meine Kehle schnürt sich prompt zu, als er seine dichte Mähne mit einer Hand glatt streicht, bevor er das Baseballcap wieder aufsetzt.
Ich ignoriere bewusst das flaue Gefühl in meiner Magengrube und weise mit einem Nicken auf meine Kopfhörer, die hastig hingeworfen am Sockel des Racks liegen. »Ich war zuerst hier.«
Mit eisiger Miene zieht er eine buschige Augenbraue hoch und betrachtet mich voller Verachtung, wie es Fitnessfreaks gern tun, wenn Frauen es wagen, das zu berühren, was sie als ihre Ausrüstung erachten. »Hab dein Zeug nicht gesehen.«
Unbeirrt von seiner Abfuhr, trete ich einen selbstbewussten Schritt vor, erhebe meinen berechtigten Anspruch. Als wir uns fast Brust an Brust gegenüberstehen, ragt er über mir auf wie ein Koloss, was einschüchternder ist, als ich vermutet habe. Ich erwarte, dass er sich verkrümelt, dass er seinen Irrtum erkennt, dass er begreift, dass er sich wie ein Arschloch benimmt, aber er zuckt nicht einmal mit der Wimper.
Ich schlucke den Kloß in meiner Kehle hinunter und finde meine Stimme wieder. »Ich werde nur ein paar Minuten hier sein, maximal. Wir könnten uns sogar abwechseln?«
Er tritt zur Seite. Im ersten Moment denke ich, dass er geht. Ich bin im Begriff, ihm für seinen Anstand und seine Menschlichkeit zu danken … bis er es wagt, eine Seite der Hantelstange mit einer Fünfundvierzig-Pfund-Scheibe zu beladen, wobei sich sein Bizeps unter dem Stoff seines T-Shirts spannt.
»Echt jetzt?« Ich starre ihn an, Hände in die Hüften gestemmt, lasse den Blick auf seinen weichen, vollen Lippen ruhen, die einen Kontrast zu den harten Kanten seines stoppeligen Kiefers bilden.
»Hör zu, ich muss in einer halben Stunde zur Arbeit. Kannst du nicht einfach das andere Rack benutzen? Es ist doch frei.« Während er das Rack ungeniert mit noch einer Scheibe belädt, würdigt er mich kaum eines Blickes, als wäre ich nicht mehr als eine lästige Stubenfliege.
Ich bin stolz darauf, eine zuvorkommende Person zu sein. Ich lasse an Kreuzungen andere Autos vor mir einbiegen, selbst wenn ich Vorfahrt habe. Ich bestehe immer darauf, dass andere Leute vor mir aus dem Aufzug treten, wie meine Eltern es mir beigebracht haben. Wenn er einfach höflich, halbwegs anständig, wenigstens ein klein wenig entschuldigend gewesen wäre, hätte ich ihm das Rack vermutlich überlassen. Doch er ist nichts von dem Obengenannten, und ich bin erschüttert.
»Nein«, entgegne ich aus Prinzip.
Sein Kiefer spannt sich an, während er die Unterarme auf die Hantelstange stützt. Die Art, wie er sich darauflehnt, breitbeinig und schwergewichtig, ist nichts anderes als eine territoriale Geste. Er schenkt mir ein letztes, empörtes Schulterzucken. »Na ja, ich gehe hier nicht weg.«
Wir starren uns feindselig an, mit nichts als dem leisen Sound von Katy Perry, die davon singt, dass sie »eine Plastiktüte, die im Wind treibt« ist, aus den Lautsprechern des Fitnessstudios und einem Mann, der ein paar Schritte weiter auf der Beinpresse keucht, um das Schweigen auszufüllen. Meine Augen sind trocken und jucken bereits von meiner Weigerung zu blinzeln, und die Gebanntheit seines Blicks lässt kein Zeichen von Erschöpfung erkennen.
Als Katy Perry verklingt, ersetzt von einem Excalibur-Fitness-Werbespot, stoße ich einen Laut irgendwo zwischen einem Seufzer und einem Knurren aus. Dieser Typ ist meine Energie nicht wert. Ich schnappe mir meine Kopfhörer vom Boden und marschiere auf das weniger erstrebenswerte Rack zu, jedoch nicht ohne ihm einen letzten bösen Blick zuzuschleudern.
11:05UHR – INSTAGRAM-POST: »ARSCHLÖCHER, DIE GLAUBEN, DASS DAS FITNESSSTUDIO IHNEN GEHÖRT« VONCURVYFITNESSCRYSTAL:
Realtalk: Heute Morgen hat mir so ein arroganter Arsch mit hübscheren Haaren als ich eiskalt mein Squat-Rack gestohlen. Wer tut so etwas? Und falls ihr dieses Vergehens schuldig seid: WER HAT EUCH ALLE SO VERLETZT?
Ich kenne ihn nicht persönlich (und ich will es auch gar nicht), aber er schien mir die Art Person zu sein, die Welpen und Freude im Allgemeinen verabscheut. Ihr kennt den Typ. Jedenfalls, letztendlich habe ich meine ganze Wut in mein Work-out kanalisiert und dazu meinen derzeitigen Lieblingshit, Fitness von Lizzo, laut aufgedreht (glaubt mir, dieser Song ist Feuer).
Schlussgedanke: Die meisten Leute im Fitnessstudio sind keine Arschlöcher. Versprochen. 99 % sind superhilfsbereit und respektvoll, selbst die steroidgesteuerten Angeber! Und falls ihr diesem bedauerlichen 1 % doch über den Weg lauft, haltet euch einfach fern.
Gebt ihnen niemals die Macht über euch oder eure Fitnessreise.
Danke fürs Zuhören bei meinem TED-Talk,
Crystal
Kommentar von xokyla33: JA, Mädchen! Du hast ja sooo recht! Du machst dein Ding!!
Kommentar von _jillianmcleod_: Genau deshalb fühle ich mich einfach nicht wohl damit, im Fitnessstudio zu trainieren. Würde lieber zu Hause trainieren.
Kommentar von APB_rockss: Du sagst, dass man seine Kurven/Kleidergröße annehmen soll, aber du tust nichts anderes, als im Fitnessstudio zu trainieren und zu leben? Wie scheinheilig bist du??
Antwort von CurvyFitnessCrystal: @APB_rockss Um genau zu sein, verbringe ich jeden Tag genau eine Stunde damit, im Fitnessstudio zu trainieren. Dir selbst jeden Tag Zeit zu widmen, egal ob im Fitnessstudio, bei einem Spaziergang oder einem Schaumbad, ist äußerst förderlich für alle Aspekte deines Lebens, mentale Gesundheit eingeschlossen. Außerdem kannst du deinen Körper lieben und ins Fitnessstudio gehen. Das eine schließt das andere nicht aus.
Nach meiner gestrigen zusammenhanglosen Instagram-Tirade nahm ich ein dringend benötigtes Schaumbad, um in mich zu gehen. Meine Reaktion auf die Person, die mich scheinheilig nannte, löste unbeabsichtigt eine hitzige Debatte epischen Ausmaßes zwischen meinen treuen Followerinnen und meinen Hatern aus. Ich versuche grundsätzlich, den Trollen keinen Funken Aufmerksamkeit zu schenken, aber nach dem Squat-Rack-Dieb und zwei Gläsern Merlot fühlte ich mich ein klein wenig kampflustig. Und das hatte sich über Monate aufgebaut.
Seit sieben Jahren kämpfe ich darum, verletzende, fettphobische Klischees in der Fitnessbranche zu zerschlagen. Auf der Basis meiner Botschaft von Selbstliebe, ungeachtet der Kleidergröße, habe ich mir eine Instagram-Gemeinde von zweihunderttausend Followerinnen aufgebaut. Das Drama, dass ich »zu dick« bin, um eine Personal Trainerin zu sein, aber »nicht dick genug«, um die Curvy-Community zu repräsentieren, ist typisch in der Hölle der Kommentarsektion. Es gibt kein Zwischending.
Das krasse Bodyshaming und die gelegentlichen rassistischen Beleidigungen sind mit dem Wachstum meiner Followergemeinde alltäglicher geworden. Um eine positive Botschaft beizubehalten, habe ich die Hasskommentare ignoriert. Tatsache ist, ich liebe meine Kurven. Meistens. Ich bin auch nur ein Mensch. Hin und wieder gelingt es den Trollen, meine Rüstung zu durchdringen. Wenn das passiert, gestatte ich mir eine kurze Auszeit, um mich in Selbstmitleid zu ergehen. Und dann zeige ich ihnen den sprichwörtlichen Mittelfinger in Gestalt einer Durstfalle (eine Ganzkörperaufnahme, nichts Geringeres).
Aber gestern Abend, irgendwann, bevor sich meine Regenbogenglitzer-Badebombe komplett auflöste, ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass meine Followerinnen vermutlich ebenso, wenn nicht sogar noch mehr verletzt von den Kommentaren sind. Wenn ich authentisch und meiner Bodypositivity-Plattform treu bleiben will, dann ist es vielleicht an der Zeit anzufangen, meine Stimme zu erheben.
Das heutige Work-out ist der ideale Zeitpunkt, um über meine Strategie nachzudenken.
Aber zu meinem Missfallen ist der Squat-Rack-Dieb auch wieder da, am zweiten Tag in Folge. Er stretcht sich in der Fitnessfreak-Zone. Muss er so umwerfende Oberschenkelmuskeln haben?
Er sieht mit zusammengekniffenen Augen in meine Richtung, als ich mich durch das Drehkreuz schiebe. Seine Miene verwandelt sich prompt von neutral zu stockfinster, als hätte meine bloße Anwesenheit seinen ganzen Tag zum Entgleisen gebracht.
Ich beäuge ihn von der Seite, bevor ich meine vorgetäuschte Aufmerksamkeit den gängigen Motivationszitaten zuwende, die in aggressiver Fettschrift an die Wand geheftet sind: »Wenn es dich nicht herausfordert, wird es dich nicht verändern.«
Ihn für die Dauer meines Work-outs zu ignorieren ist schwieriger, als ich erwartet habe. Egal wohin ich gehe, er lauert am Rand meines Blickfelds und nimmt mit seinem herrlich muskulösen Körper kostbaren Raum ein.
Als ich heute Morgen aufgewacht bin, ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass er ein Excalibur-Fitness-Neuling sein könnte, der das Konzept der Fitnessstudio-Etikette noch nicht begriffen hat. Ich hatte die volle Absicht, die Zweifel zu seinen Gunsten sprechen zu lassen. Vielleicht hatte er einfach einen schlechten Tag. Vielleicht hat er die ganze Nacht damit verbracht, in die Ferne zu starren und sich vor Reue zu grämen. Weiß Gott, ich hatte selbst mehr als genug Wut-Work-outs.
All diese Möglichkeiten verlieren ihre Berechtigung, als er es darauf anlegt, mich auf dem Assault-Bike neben meinem zu übertrumpfen. Als ich ihn dabei ertappe, wie er auf mein Display schielt, beschwöre ich meinen inneren Engel für Charlie herauf und trete voll durch.
Bei der Zwanzig-Kalorien-Marke halten wir beide keuchend inne, über die Haltestangen gekrümmt. Mein »Kein Make-up«-Make-up ist vermutlich völlig verlaufen, und ich sehe Sternchen. Aber die Anstrengung hat sich gelohnt – ich habe ihn um ganze 0,02 Meilen geschlagen. Er schäumt fast vor Wut, als er mein Display liest. Offensichtlich außerstande, mit meinem Sieg umzugehen, zieht er einen Schmollmund und verkrümelt sich schnurstracks zu den Maschinen.
Keine halbe Stunde später heißt es offiziell Game over, als ich Zeugin werde, wie er von der Beinpresse wegschlendert, ohne sich darum zu scheren, den Sitz abzuwischen. Die dunkelsten Orte der Hölle sind für diejenigen reserviert, die die Maschinen nach Gebrauch nicht sauber machen.
Ich sehe mich gezwungen, im Namen aller die Hygienevorschriften einhaltenden Stammkunden des Fitnessstudios die Stimme zu erheben, lege meine Hanteln hin und marschiere auf ihn zu.
Er ist in seinem Element, während er eine Runde müheloser Klimmzüge hinlegt. Ich stehe mit offenem Mund da, ungewollt gebannt von den straffen, sehnigen Muskeln in seinen Armen, die sich bei jeder Bewegung anspannen.
Er strahlt für mich einen Chris-Evans-Vibe aus, hat aber etwas längere, wallende Locken. Ich kann nicht sagen, ob es an dem Funkeln in seinen Augen oder an den Grübchen in seinen Wangen liegt, aber er hat ein jungenhaftes Aussehen, mit dem er einen fast ansprechbaren Eindruck erweckt, wenn er mich nicht finster ansieht.
Als er mich dabei ertappt, wie ich ihn anstarre wie ein durchgeknalltes Fangirl, das nach einem Selfie lechzt, hält er inne, von der Stange baumelnd. »Wie ist die Aussicht von dort unten?«
Ich bin drauf und dran, »gottgleich« zu sagen, weil es absolut wahr ist und weil es meine Standardeinstellung ist, Leuten Komplimente zu machen. Damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Aber das Letzte, was dieser Typ braucht, ist ein Selbstvertrauensschub.
Ich verziehe meinen Mund betont zu einer schmalen Linie, ahme Moms strenge Miene nach, wenn sie zutiefst enttäuscht von meinen Lebensentscheidungen ist. Ich halte ihm ein Papierhandtuch hin, bereits großzügig mit Desinfektionsmittel eingesprüht, für ihn zum Gebrauch, natürlich. »Hast du nicht etwas vergessen?«
Er blinzelt. »Nicht dass ich wüsste.«
»Du hast vergessen, die Beinpresse sauber zu machen.«
Er lässt die Stange los, legt eine aalglatte Landung hin, während er das Papierhandtuch beäugt, das ich mit spitzen Fingern halte, als ob es mit Schwefelsäure getränkt wäre. »Verfolgst du mein Work-out oder was?«
»Nein«, sage ich ein wenig zu abwehrend. »Aber du musst die Maschinen sauber machen, wenn du mit ihnen fertig bist. Das ist hier eine Vorschrift. Die Leute wollen nicht deinen getrockneten Schweiß anfassen.« Ich winde mich innerlich. Ich könnte genauso gut einen schräg geschnittenen »Ich würde gern den Geschäftsführer sprechen«-Bob haben. Jetzt kann ich jedoch nicht mehr zurückrudern. Ich setze sogar noch einen drauf und zeige auf das Schild an der Wand rechts neben uns, auf dem steht: »Maschinen nach Gebrauch bitte abwischen.«
Er würdigt das Schild nicht einmal eines Blickes. Stattdessen schätzt er mich ab, die Arme vor seiner breiten Brust verschränkt. »Ich bin noch nicht fertig mit der Maschine. Noch nie was von Supersets gehört? Du weißt schon, wenn man viele verschiedene Übungen nacheinander absolviert …«
»Ich weiß, was ein Superset ist!«, fauche ich. Hitze schießt aus meiner Bauchgegend in meine Wangen hoch, als mir bewusst wird, dass ich ihn eben zu Unrecht zur Rede gestellt habe. Das hier ist so beschämend. Ich beschwöre mich im Stillen, in einem dunklen, nicht vorhandenen Erdloch zu versinken. Vielleicht ist das hier kosmische Vergeltung dafür, dass ich mich nicht einfach um meinen eigenen Kram gekümmert habe.
Er wirft mir ein wissendes Grinsen zu und stolziert für noch ein Set zurück.
Als hätte dieser peinliche Wortwechsel nie stattgefunden, schleiche ich in eine dunklere Ecke davon, um mein Rücken-Work-out-Tutorial an der Kabelzugmaschine zu filmen. Es ist eine Eins-a-Gelegenheit, um meine gesponserte schweißabweisende Activewear zu promoten.
Ich bin gerade dabei, eine Reihe von zehn Ruderzügen an der Kabelzugmaschine zu filmen, als der Squat-Rack-Dieb aus heiterem Himmel auftaucht. Er entscheidet sich, seinen massigen Körper ausgerechnet genau vor der Kamera zu parken, sodass er die Aufnahme blockiert. In meiner stillen Wut verliere ich meine ganze Konzentration, mit null Erinnerung, ob ich bei meinem ersten oder zehnten Rep bin.
Er lehnt sich lässig gegen die Maschine, mit einem selbstgefälligen Grinsen, bei dem ich allmählich glaube, dass es sein natürlicher entspannter Gesichtsausdruck ist.
»Ja?«, frage ich mit zusammengebissenen Zähnen, verärgert von der Aussicht, das ganze Segment noch einmal neu filmen zu müssen.
Er zieht ein Papierhandtuch hinter seinem Rücken hervor und wedelt mir damit vor der Nase herum. »Hier. Damit du nicht vergisst, den Sitz abzuwischen.«
Sein sarkastischer Ton, im Zusammenspiel mit seinem spöttischen Grinsen, verrät mir, dass er das hier nicht aus Herzensgüte tut. Das hier ist ein feindseliger Akt der Aggression, der unsere Rivalität zementiert.
Bevor ich mir eine bissige Antwort zurechtlegen kann, wirft er mir das Papierhandtuch in den Schoß und stolziert zum Umkleideraum.
Der Squat-Rack-Dieb hat Excalibur Fitness am dritten Tag in Folge mit seiner anmaßenden Anwesenheit beehrt. Ich habe ihn offiziell zu meiner Fitnessstudio-Nemesis erklärt.
Ich bin noch keine halbe Stunde hier und fantasiere schon jetzt davon, ihn »versehentlich« mit einer Flasche mit chemischem Desinfektionsmittel zu bespritzen.
Angefangen hat alles mit einer unglücklichen Begegnung am Eingang. Er hielt mir und einer anderen Stammkundin schweigend die Tür auf, als hätte er sich auf einmal in irgendeinen ritterlichen Gentleman verwandelt. Ich sah ihn stirnrunzelnd an, folgte ihm zögernd, bemüht, seinen muskulösen Knackarsch nicht länger als eine heiße Sekunde zu bewundern.
Wie sich herausstellte, war meine Skepsis bezüglich seiner Ritterlichkeit wohlbegründet. Offenbar ist er auf einen Akt der Freundlichkeit pro Tag beschränkt (oder das dachte ich zumindest), denn keine Viertelstunde später drängelte er sich am Wasserspender an mir vorbei, wo er prompt begann, in aller Seelenruhe sein Monstrum von einer Wasserflasche zu füllen. Bis zum Rand.
Nachdem er sich dreist meinen Platz in der Schlange geschnappt hatte, schoss er wie eine etwas sexyere Version von Superman auf die Bankdrückmaschine zu, um Patty behilflich zu sein, einer älteren Stammkundin des Fitnessstudios, die keine Gelegenheit auslässt, um sich bei jedem in ihrer allgemeinen Umgebung über die verschiedenen Unzulänglichkeiten des Fitnessstudios zu beklagen (die »eisige« Temperatur, die »rowdymäßige« Musik und den Mangel an »Ambiente«). Als der Squat-Rack-Dieb ihr ein halb authentisches, engelsgleiches Lächeln zuwarf, nachdem er sie davor gerettet hatte, von der Hantelstange zerquetscht zu werden, machte ich mich aufs Schlimmste gefasst. Leidet dieser Mann an einer Persönlichkeitsspaltung?
Ich verlagere meine Aufmerksamkeit von seinem egozentrischen und doch höchst verwirrenden Selbst auf Mel, meine neue persönliche Klientin. In einer kurzen Pause nach einem Bizeps-Trizeps-Zirkeltraining tauschen wir Instagram-Horrorgeschichten aus.
»Da war dieser Typ, der mir monatelang jeden Tag DMs mit Dickpics geschickt hat, nachdem ich ein Bikinifoto gepostet hatte.« Sie verzieht den Mund, würgt bei der Erinnerung, während sie mir das Foto auf ihrem Handy zeigt.
Ich beuge mich vor, heuchele Neugier, tue so, als hätte ich ihren ganzen Account nicht längst bis ins Jahr 2012 heimlich zurückverfolgt. Die Aufnahme ist perfekt eingerahmt. Sie lächelt mit den Augen in die Ferne, ihre wallenden Ringellocken über eine Schulter gelegt, baumelt mit den Beinen in einem, wie es aussieht, vornehmen, exklusiven Dachterrassenpool, der nur für schöne Menschen bestimmt ist. Sie trägt einen leuchtend barbierosa Bikini.
Mel ist eine der wenigen Fashion-, Beauty- und Lifestyle-Instagram-Influencerinnen, die keine Size Zero ist. All ihre Fotos sind perfekt inszeniert vor dem Hintergrund ihres reinweißen, ultramodernen Apartments, mit frischem Blumenschmuck, pastellfarbenen Akzenten und wöchentlichen High-Tea-Brunches. Sie hat sich jahrelang dagegen gesträubt, dem Fitnessstudio beizutreten, aufgrund einer High-Heels-bedingten Knieverletzung, aber sie hat einen Muskelaufbauplan bei mir angefragt, nachdem sie festgestellt hat, dass wir beide in Boston leben.
Wir haben uns auf Anhieb verstanden. Wir sind beide siebenundzwanzig. Wir sind beide chinesischstämmig, auch wenn sie adoptiert ist und ich halb irisch bin. Wir sind beide entschiedene Verfechterinnen der Bodypositivity-Bewegung. Und wir teilen eine hemmungslose Besessenheit von Reality-TV, insbesondere allem, was mit Real Housewives zusammenhängt.
»Na ja, verdammt. Du lässt hier schon ganz schön tief blicken. Natürlich, nicht dass das eine Einladung für Dickpics ist.« Ich halte einen Moment inne, schiele auf die Riesenzahl von Likes auf dem Foto.
Sie wischt sich mit ihrem perfekt polierten Acrylnagel einen vereinzelten Schweißtropfen von der Stirn, bevor sie mit ihrer Geschichte fortfährt. »Das war wirklich der seltsamste, den ich je gesehen habe. Er war gekrümmt. Irgendwie … superschief zur Seite. Wie ein Haken.«
»Ein Haken?«, wiederhole ich mit einem verblüfften Aufschrei.
»Wie ein Regenschirmgriff gebogen, Crystal. Ohne Übertreibung. Meinst du, Penisse können brechen?«
Ich will ihr eben schon sagen, dass ich nicht die geringste Ahnung habe, gefolgt von einer Tirade darüber, dass Dickpics nie attraktiv sind, hakenförmig oder anders, als sich der Squat-Rack-Dieb auf die Bank neben uns fallen lässt.
Seine Mundwinkel sind belustigt nach oben gezogen, was schockierend ist, denn mir war nicht bewusst, dass Typen, die dem Geist von Darth Vader nacheifern, zu Heiterkeit überhaupt imstande sind. Ich frage mich, wie viel von unserer Penis-Unterhaltung er mitgekriegt hat.
Nach dem Papierhandtuch-Gate gestern habe ich mir geschworen, mich von diesem Fremden mit seinem selbstgefälligen Backpfeifengesicht nicht stressen zu lassen. Aber das ist leichter gesagt als getan, wenn er so dicht neben mir sitzt, mir seinen betörenden Frische-Wäsche-Duft in die Nase steigen lässt und meine Aufmerksamkeit darauf lenkt, wie umwerfend er in seinem kastanienbraunen Hoodie und mit Baseballcap aussieht.
Ich frage mich, ob der Squat-Rack-Dieb jemand ist, der unerwünschte Dickpics verschickt. Kaum dass sich dieser völlig unbegründete Gedanke einstellt, verscheuche ich ihn prompt in die trostlosen, staubverkrusteten Winkel meines Verstandes. Warum denke ich über seinen Penis nach?
Du weißt doch, was man über große Füße sagt …
Während er einen langen Schluck aus seiner Wasserflasche nimmt, starren wir uns in gegenseitigem Hass an. Es fühlt sich eher nach einer Herausforderung an, einer, die anhält, bis ich sie wegblinzele. Crystal, sei Zen. Beschwöre deinen inneren Frieden herauf.
Ich konzentriere mich wieder auf Mel, die ihn voller Neugier beäugt.
»Jedenfalls«, sage ich und räuspere mich, um die Anspannung zu entschärfen, »als Nächstes kommen wir zu den Sled Pushes.«
Sie verzieht das Gesicht. Als ich sie das letzte Mal zu Sled Pushes verdonnerte, würgte sie trocken und schwitzte sich ihre Wimpernverlängerungen herunter.
Ich feuere sie an, während sie den Schlitten schnaufend und keuchend den Gang hochschiebt und bei jedem angestrengten Schritt leise Flüche ausstößt. Ich warte darauf, dass sie den Gang wieder zurückkommt, aber sie zögert.
»Sieht aus, als ob ich meine Runden doch nicht zu Ende bringen muss.« Sie zeigt fröhlich zu dem Squat-Rack-Dieb, der lässig mitten auf der Bahn Ausfallschritte mit Hanteln übt. Mels Bahn. Was glaubt dieser Typ eigentlich, wer er ist?
Mein Mund steht sperrangelweit offen, wie bei einer Infomercial-Mom, die staunt, dass das Waschmittel den hartnäckigen Tomatensoßenfleck auf ihrer weißen Bluse tatsächlich entfernt hat. »Entschuldige. Warte kurz«, murmele ich.
Die Arme vor der Brust verschränkt, stürze ich auf ihn zu, vereitele seinen Versuch, mit einem Ausfallschritt an mir vorbeizudrängen. »Hast du uns eben nicht gesehen? Wir waren hier.« Ich zeige mit einer übertriebenen Geste auf Mel, die uns, auf den Schlitten gestützt, mit lebhaftem Interesse zusieht.
Er umrundet mich wortlos, als wäre ich nur ein Lichtimpuls, ein Schlagloch auf der Straße, dem er ausweichen muss. Ich bin drauf und dran, ihn ein aufgeblasenes Arschloch zu nennen, aber ich beiße mir auf die Zunge und entferne mich, um vor meiner Klientin den Anschein von Professionalität zu wahren.
»Was hat er denn für ein Problem?«, fragt Mel, während ich den Schlitten widerstrebend horizontal drehe, auf einen weniger gut geeigneten Gang zu.
»Er geht mir schon die ganze Zeit auf den Wecker.« Ich schleudere ihm einen wutentbrannten Blick zu, auch wenn er es gar nicht zu bemerken scheint. Er ist mitten in einem Ausfallschritt, sein selbstgefälliges Gesicht gerötet vor Anstrengung, bedauert eindeutig nicht die Schwere seiner Verstöße gegen mich, wie es ein anständiger Mensch tun würde.
Mel zieht ihre perfekt geformten Augenbrauen hoch. »Er hat dich vorhin abgecheckt. Ich meine, so richtig von Kopf bis Fuß, während wir über Schwänze geredet haben.«
»Vermutlich hat er Pläne geschmiedet, mich zu ermorden.«
»Oder er hat dich mit den Augen ausgezogen.«
Hätte irgendjemand das vor Jahren mir gegenüber angedeutet, hätte ich prompt meine Skepsis geäußert. Doch jetzt, nachdem ich jahrelang an mir und meinem Selbstvertrauen gearbeitet habe, bezweifle ich es nicht.
Obwohl ich schon immer gern Sport getrieben habe, hatte ich nie den Körper einer Athletin. Ich habe Moms Gene geerbt. Stämmiger Körperbau, muskulös, mit dicken Schenkeln, Titten und nicht zu wenig Arsch – das Gegenteil von meiner älteren Schwester und Dads Seite der Familie, die alle schlank und zierlich sind. Für mich ist ein niedriger Körperfettanteil genetisch einfach nicht drin. Diese Tatsache zu akzeptieren und zu diesem Ort hier zu kommen hat eine ganze Weile gedauert. Jetzt konzentriere ich mich ausschließlich darauf, das Fitnessstudio für Leute, die vielleicht nie das Gefühl hatten, dorthin zu gehören, zu destigmatisieren und demystifizieren. Selbstvertrauen hat die oberste Priorität. Nicht Kaloriendefizite, und mit Sicherheit nicht die Zahl auf der Waage.
»Mel, nur noch drei Runden«, rufe ich wie eine Einpeitscherin, um das Thema zu wechseln. »Leg einen starken Endspurt vor dem Mädchenabend hin.«
Der glorreiche Plan, heute Abend mit meiner Schwester Tara eine Rom-Com auf Netflix zu schauen, ist genau das, was ich nach diesem ganzen Fitnessstudio- und Instagram-Drama brauche.
Der Squat-Rack-Dieb lungert am Rande meines Blickfelds herum, als ich Mel den Gang hinunter folge. Er lehnt sich gegen eine Maschine, während er eine Verschnaufpause einlegt. Als ich mich umdrehe, um seinen Blick aufzufangen, wirft er mir ein breites, süffisantes Grinsen zu.
Ich hatte die volle Absicht, eine reife Erwachsene zu sein. Wirklich.
Aber nachdem ich in den fünf Minuten, seit Mel das Fitnessstudio verlassen hatte, über den Gang-Diebstahl nachgegrübelt hatte, war alles, was ich vor meinem geistigen Auge sehen konnte, die blasierte Miene des Squat-Rack-Diebs. Dieselbe, die er aufgesetzt hatte, als er sich am Wasserspender an mir vorbeidrängelte, und auch, als er mir mit dem Papierhandtuch vor der Nase herumwedelte.
Ich bin in meinem Leben lange genug ein leichtes Opfer gewesen. Damals auf der Grundschule habe ich den anderen Kindern immer die erste Wahl bei meinen eigenen Barbies überlassen (in fünfundneunzig Prozent der Fälle blieb ich letztendlich mit Ken sitzen). Bei den Themen-Geburtstagspartys wurde mir die Rolle des am wenigsten beliebten Spice Girls (Posh Spice) zugewiesen. Auf der Highschool ließ ich die Faulpelze immer zwei Sekunden vor dem Unterricht meine Hausaufgaben abschreiben. Und was am schlimmsten war, es mangelte mir an der nötigen Entschlusskraft, um meine Stimme zu erheben und etwas anderes zu verlangen.
Als ich auf dem College das Fitnessstudio und die Fitnesscommunity entdeckte, schwor ich mir, dass sich das ändern würde. Hier im Fitnessstudio bin ich kein Fußabtreter. Ich bin stark und fähig. Ich weigere mich, andere Leute auf mir herumtrampeln zu lassen, vor allem diesen aufreibenden, viel zu sexy Fremden.
Daher fühle ich mich, als der Squat-Rack-Dieb sein Handy auf der Matte vergisst, bevor er weiter zur Bankdrückmaschine geht, moralisch kaum verpflichtet, es ihm sofort zurückzugeben. Wahrscheinlich werde ich noch bis spät in die Nacht über diese Sache nachgrübeln, gequält von Schuldgefühlen und Reue. Aber dann rufe ich mir in Erinnerung: Er hat es nicht anders gewollt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich die Faxen dick haben würde. Er hat es verdient, ein bisschen zu schwitzen.
Ich stelle mir vor, mit seinem Handy in den Sonnenuntergang davonzupreschen, in einem aufgemotzten Fluchtwagen, manisch lachend, während ich das Gaspedal durchdrücke. Dann rufe ich mir jedoch in Erinnerung, dass ich keine Kleinkriminelle bin. Ich habe Moral. Was genau der Grund ist, weshalb ich sein Handy einstweilen in dem Regal verstaue, das mit Springseilen, wahllosen Accessoires und Gerätezubehör vollgestopft ist, nur um sicherzustellen, dass es nicht unter irgendjemandes Laufschuh zertrümmert wird.
Zufrieden mit meiner guten Tat, klemme ich mein eigenes Handy auf mein Stativ und beginne meine neueste Unterbauchübung zu filmen, die Sitting Twists, Flutter Kicks und genügend Leg Raises beinhaltet, um Jillian Michaels in den Ruin zu treiben.
Ich bin zur Hälfte durch mit dem Work-out, als eine große Gestalt über mir auftaucht.
Er ist es.
Er kniet sich auf die Matte, die Lippen angespannt, während seine leuchtend grünen Augen Laserstrahlen auf mich abfeuern. Aus diesem Winkel kann ich seine dichten, geschwungenen Wimpern aus nächster Nähe betrachten. Sie sind unfair lang und üppig für die männliche Spezies.
Er ist mir so nah, dass sein Frische-Wäsche-Duft, vermischt mit Testosteron, meine Sinne überwältigt. Der Geruch von Schweiß ist im Allgemeinen nicht sehr anziehend, aber bei ihm hat er fast Suchtpotenzial. Ich muss mich beherrschen, um ihn nicht absichtlich einzuatmen wie eine Drogenabhängige.
»Was hast du mit meinem Handy gemacht?«, fragt er seelenruhig, während ich die Beine auf die Matte sinken lasse. Er hat mein Video ruiniert. Schon wieder.
Eine rehäugige Miene, mit der ich locker auf einem Schönheitswettbewerb auflaufen könnte, breitet sich auf meinem Gesicht aus. Ich lege sogar noch ein unschuldiges, langsames Blinzeln obendrauf, um den Effekt zu steigern. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.« Ich setze mich auf die Knie, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein, bereit für eine Konfrontation.
Er fällt nicht auf mein Theater herein. »Ich weiß, dass du es genommen hast. Ich habe es vor fünf Minuten hier liegen lassen.«
»Leute neigen dazu, in diesem Fitnessstudio Dinge zu stehlen. Wie zum Beispiel Squat-Racks. Woher willst du wissen, dass es nicht irgendjemand anders war, der es gestohlen hat?«
»Weil.« Sein Blick wandert über mein Gesicht, sucht nach irgendeinem Anzeichen von Schwäche, wie ein Mordermittler, der sich nichts vormachen lässt. »Du lächelst. Du atmest schwer. Und du meidest Blickkontakt.«
Egal wie gerechtfertigt, Täuschung war noch nie meine Stärke, auch wenn ich das Handy nicht wirklich gestohlen habe. Um meine Hände zu beschäftigen, strecke ich sie nach hinten aus, um meinen zerzausten Haarknoten fester zusammenzustecken. »Hör zu, Nancy Drew, ich versuche hier, ein Bauchmuskel-Tutorial zu filmen. Wenn du nichts dagegen hast?«
Ich bin drauf und dran, einzuknicken und ihn an das Regal zu verweisen, wo sein Handy verstaut ist, aber ich bin für einen Moment abgelenkt von seinem Blick, der zu meinem Handy huscht, das noch immer aufzeichnet. Mit einer einzigen aalglatten Bewegung reißt er es von dem Stativ und versenkt es in der Tasche seiner Shorts.
Ich mache einen Satz nach vorn, aber zu spät. Mein Telefon ist verschwunden, in den fernen Tiefen seiner unteren Regionen. »Hey! Was zum Teufel?«
Seine Lippen kräuseln sich zu einem selbstzufriedenen Lächeln. »Ich gebe es dir nicht wieder, bevor du mir sagst, was du mit meinem Handy gemacht hast.«
Ich lasse mich von seinem hypnotisierenden Lächeln nicht aus der Bahn werfen. Das hier ist Krieg. Ich werde mich nicht kompromittieren lassen. »Ich brauche mein Handy.«
»Ich meines auch«, schießt er prompt zurück.
»Was, für Tinder?« Jetzt bin ich absolut und total scheinheilig. Tatsächlich ist Tinder Joe in diesem Moment, während wir reden, wieder auf dem Laufband.
Er prustet spöttisch. »Nein, um genau zu sein. Für wichtiges Zeug.«
»Na ja, ich benutze meines auch für wichtiges Zeug. Ich bin Fitstagrammerin.« Ich habe keine Ahnung, welcher Teufel mich geritten hat, meinen Beruf preiszugeben. Er könnte das hier gegen mich verwenden. Oder noch schlimmer, mich zum Gespött machen. Ich erwarte, dass er verächtlich schnaubt oder mich von Kopf bis Fuß mustert, außerstande zu begreifen, wie jemand wie ich qualifiziert sein könnte, Fitnesstipps zu geben.
Doch er tut es nicht. Sein Blick bleibt unbeirrt. »Ich brauche mein Handy ebenfalls für die Arbeit.«
Ich bin in Versuchung, ihn zu fragen, was er macht. Ich stelle mir vor, dass es irgendetwas Körperliches ist. Vielleicht ist er Holzfäller. Oder ein Captain-America-Stuntdouble. Oder vielleicht ein Unterwäschemodel mit Schmollmiene, das in Schwarz-Weiß von einer Reklametafel am Times Square blickt. Aber andererseits ist er nicht hübsch genug, um ein Model zu sein. Vielleicht ist er irgendeine Art semiprofessioneller Eishockeyspieler, angesichts seiner gewellten Mähne.
Nachdem ich ihn nicht sehr dezent betrachtet (genauer gesagt, angestiert) habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass er vielleicht keiner dieser Angeber in ihren neonfarbenen Fitness-Tanktops ist, die sich mit einem Faustschlag begrüßen. Ich würde ihn ein bisschen älter schätzen, vielleicht Ende zwanzig, Anfang dreißig.
»Brauchst du es wirklich für die Arbeit?«, frage ich provozierend. Ich fasse seine verärgerte Miene als persönliche Lebensleistung auf.
Er nickt knapp.
»Geht es um Leben und Tod?«
Zu meiner Verblüffung sagt er tatsächlich »Ja«, fast mühelos. Jetzt brenne ich darauf zu wissen, was er macht. Aber ich werde einen Teufel tun und fragen.
»Beweise es.«
»Wie denn?«
»Hör auf, mir Dinge zu stehlen. Work-out-Maschinen, Bodenfläche, meinen Platz in der Schlange am Wasserspender.« Ich fuchtele vage mit einer Hand durch das Fitnessstudio.
Er schnaubt spöttisch. »Bist du je auf die Idee gekommen, dass ich die Geräte oder die Fläche auch brauchen könnte? Das hier ist nicht dein Fitnessstudio.« Wir starren uns ein paar Atemzüge lang an, bevor er schließlich einlenkt. »Okay, ich werde dir dein Handy wiedergeben. Wenn du mir meines gibst. Gleichzeitig.«
Ich nicke und stehe auf, um sein Telefon von dem Regal ein paar Schritte entfernt zu holen. »Nur fürs Protokoll, ich hatte vor, es dir zurückzugeben, bevor du gehst.«
Seine Augen weiten sich, als er sein Handy sieht. Ich nehme an, er ist einfach froh, dass ich es nicht die Toilette runtergespült habe, was mir, ehrlich gesagt, tatsächlich durch den Kopf gegangen ist.
Ich lasse sein Telefon auf Brusthöhe baumeln, reiße es wieder an mich, bevor er die Chance hat, es aus meinem Todesgriff zu befreien. »Auf drei?«
Er neigt das Kinn.
Eins.
Zwei.
Drei.
Er reißt mir sein Telefon rasch aus den Fingern, während er gleichzeitig meines außer Reichweite hält.
Verräter. Er wäre der Typ, der gegen den Grundsatz der Vertragstreue verstoßen würde. Der Mann hat null Moral.
Ich knurre. »Echt jetzt? Wir hatten eine Abmachung.«
Seine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen mit geschlossenem Mund. »Sag mir deinen Namen.«
»Ich gebe meinen Namen nicht irgendwelchen Fremden im Fitnessstudio preis.«
Als er vortritt, den Abstand zwischen uns schließt, hämmern meine Ohren, während mir das Blut in den Kopf schießt.
Er lässt mein Telefon weit unten baumeln, gestattet mir gnädigerweise einen raschen Blick auf das Display. Es ist noch immer auf Videoaufnahme eingestellt, unterbrochen von einer Flut von Instagram-Benachrichtigungen. Er grinst wie eine Cheshire-Katze, als mein Username aufpoppt. »Crystal.«
Als er mit dieser tiefen, aalglatten, sinnlichen Stimme meinen Namen sagt, verwandeln sich meine Knie in Wackelpudding. Ich verschmelze fast mit dem Boden.
Obwohl ich eins zweiundsiebzig groß bin, mehrere Zentimeter über dem, was allgemeinhin als klein gilt, endet jeder krampfhafte Versuch, mein Handy wieder an mich zu bringen, in einem kläglichen Scheitern. Er hält es am ausgestreckten Arm, völlig außer Reichweite.
Ich stöhne auf. »Na schön, jetzt weißt du, dass mein Name Crystal ist. Zufrieden? Und jetzt gib’s schon her.« Ich kann genug von dem Display sehen, um zu erkennen, dass eben eine Tinder-Nachricht aufgepoppt ist.
Seine Augen leuchten auf, als er sie laut vorliest. »Zayn will wissen, ob du für Netflix und chill …« Er hält einen Moment inne, sieht blinzelnd auf das Display, wie um die Worte zu bestätigen. »… Chillaxen zu haben bist.«
»Nicht antworten!« Ich schnappe wieder nach meinem Handy, aber er reißt es noch weiter zurück.
Ich versuche verzweifelt, die letzten Reste Würde und Kontrolle, die mir noch geblieben sind, zu wahren. Es ist nicht so, dass ich Zayn kenne. Er ist ein zufälliges Tinder-Match, jemand, den ich nur deshalb nach rechts gewischt habe, weil er auf seinen Fotos Dev Patel ähnelte (schmacht!). Aber angesichts seiner Verwendung des Wortes »chillaxen« ist er vermutlich ein automatisches Nein.
Der Squat-Rack-Dieb sieht aus wie ein Marvel-Bösewicht, der im Begriff ist, die Erde und all ihre Bewohner auszulöschen. »Ich werde ihn bitten, ›Netflix und chill-axen‹ zu definieren.«
Mir geht der Gedanke durch den Kopf, dass er meine Verzweiflung genießt, ganz der kranke Typ, der er ist. Vermutlich stachelt es ihn sogar auf, gibt ihm irgendeine Art Kick. Daher ändere ich meine Taktik. »Nur zu. Wenn du dich traust.« Mein Ton ist unerschütterlich. Er strahlt Selbstvertrauen aus, obwohl das absolut Allerletzte, was ich will, ein rachsüchtiger Fremder ist, der in meinem Namen peinliche Nachrichten verschickt.
Zu meinem Pech geht meine Kampfansage nach hinten los. Er tippt die Nachricht und drückt triumphierend auf Senden, hält mein Handy schräg, zum Beweis, dass er die Nachricht abgeschickt hat.
»Ich nehme an, du bist mit der Netflix-und-Chillen-Nummer ziemlich vertraut?«, sage ich.
»Ach ja, meinst du?«
»Oh ja.«
Er schüttelt den Kopf. »Nö. Und ich würde mir einen besseren Anmachspruch als den einfallen lassen.«
Ich pruste halb spöttisch. »Na, dann zeig mir doch, was du draufhast.«
Er lächelt, streicht sich über seinen kantigen Kiefer, tut, als würde er nachdenken. »Na ja, GIF-Kriege klappen immer. Oder vielleicht würde ich einen klassischen Witz bringen.«
»Einen klassischen Witz? Wie zum Beispiel?«
Er stützt einen Ellbogen auf die Maschine zwischen uns. »Okay … Bereit, beeindruckt zu sein?«
Ich sehe ihn ausdruckslos an.
Sein Gesicht nimmt einen durch und durch sanften Ausdruck an, sein ganzes Gehabe verwandelt sich vor meinen Augen, macht aus dem Squat-Rack-Dieb den gekünstelt charmanten Mann mit dem hypnotisierenden Lächeln. Seine Zähne sind strahlend weiß, auch wenn einer der vorderen leicht schief steht, sodass er eine Spur menschlicher aussieht. Außerdem stehen seine Ohren ein klein wenig ab, aber das unterstreicht nur seinen aufgesetzten Charme. »Kannst du mir deine Telefonnummer geben? Ich habe meine verloren.«
Meine Miene ist versteinert, um ihm nicht einen Funken Befriedigung zu verschaffen. Der Spruch ist lahm. Aber die Art, wie er ihn so ernsthaft sagt, grenzt an hinreißend. In der Sekunde, in der sich dieser Gedanke einstellt, ohrfeige ich mich innerlich.
Er legt noch einmal nach. »Tun dir nicht langsam die Füße weh? Du gehst mir schon den ganzen Tag durch den Kopf.«
Meine Bauchmuskeln schmerzen von dem Versuch, mir das Lachen zu verkneifen. Das hier ist ein Bauchmuskel-Work-out ganz eigener Art. »Also wirklich, diese Sprüche sind einfach nur grausam. Ich hoffe, du hast sie nicht wirklich bei einer echten, lebendigen Frau gebracht.«
Er tut beleidigt, fasst sich mit einer Hand an die Brust. »Das waren meine besten.« Er wirft einen letzten Blick auf mein Display, lässt mein Handy auf Brusthöhe baumeln. »Zayn hat geantwortet … mit einem zwinkernden Emoji«, sagt er tonlos und gibt mir mein Handy wieder.
Mit Ninja-Geschwindigkeit schnappe ich es mir, bevor er es sich anders überlegt und es für immer in Geiselhaft hält.
»Und wie heißt du?« Die Worte kommen mir über die Lippen, bevor mir überhaupt klar wird, was ich da sage. Was kümmert es mich, seinen gesetzlichen Namen zu wissen? Squat-Rack-Dieb passt gut genug zu ihm.
Ich warte mit angehaltenem Atem auf seine Antwort.
Amüsiert macht er den Mund auf, doch es kommen keine Worte heraus. Stattdessen stolziert er einfach davon.
Danke, dass ich heute Nacht bei euch pennen kann«, sagt Mel neben mir auf dem Wohnzimmerboden, in einem vornehmen Ted-Baker-Seidenpyjama, der vermutlich mehr gekostet hat als meine Couch.
Tara lässt sich neben uns auf die Luftmatratze fallen, in ihrem selbst gestalteten T-Shirt mit dem aufgebügelten Schriftzug »Team Peter Kavinsky«. »Okay, schmeiß To All the Boys an. Mein Körper ist bereit und startklar.« Sie wirft uns eine große Rolle Pringles zu.
»Im Ernst, Tara? Die ohne alles?« Ich fasse es als persönliche Beleidigung auf. Das hier ist der Grund, weshalb ich meine Schwester nicht die Snacks auswählen lasse.
Sie wirft mir einen finsteren Blick zu, nimmt die Pringles wieder an sich, drückt sie sich zärtlich an die Brust, als würde sie sie vor harten Worten schützen. »Der Originalgeschmack ist der beste, schönen Dank auch.«
»Na klar, wenn man den Geschmack von gesalzener Pappe mag«, gebe ich zurück.
Tara schnaubt spöttisch. »Und das von dem Mädchen, das der Meinung ist, dass Brezeln annähernd in derselben Liga spielen wie Chips.« Sie schnellt zu Mel herum, peitscht mir dabei mit ihrem französischen Zopf auf die Wange. »Sie ist eine von diesen Brezel-Leuten«, flüstert sie verschwörerisch, wobei sie mich beäugt, als ob ich ein seltenes Exemplar dieser Tunnelmenschen wäre, die angeblich in der Kanalisation leben.
Mel nickt ernst, als ob sie es verstünde.
Ich verpasse Tara einen raschen Tritt gegen das Schienbein. »Ich weigere mich, eine solche Verleumdung stillschweigend hinzunehmen.«
Tara tut ganze zwei Sekunden lang, als würde sie vor Schmerz schreien, bevor sie zu einer weitschweifigen Geschichte über den neuesten Typen ausholt, in den sie sich angeblich »verliebt hat«. Den hier hat sie im Aufzug des Krankenhauses kennengelernt, in dem sie arbeitet. Offenbar hatte er das Potenzial zum Seelenverwandten. Das weiß sie, da er ihr ein Werther’s Original geschenkt und ihr gesagt hat, ihm gefiele ihre geblümte Schwesternkluft, bevor er in seiner Etage ausstieg.
»Ein Karamellbonbon? Bist du sicher, dass er kein zahnloser Rentner war?«, fragt Mel.
»Nein, er war nicht älter als dreißig«, piepst sie abwehrend.
»Mein Gott, ich bin schockiert, dass dir nicht etwas ins Getränk geschüttet wurde«, jammere ich.
Unser Mädchenabend verwandelte sich in eine Schlafparty, nachdem Mels neunzehnjähriger Bruder darauf bestand, in ihrem Apartment eine rauschende Bierparty zu feiern. Ich schaudere bei der Vorstellung von Collegestudenten, die Mels makellose weiße Couch beschmutzen, die ein Grundbestandteil der meisten ihrer Instagram-Fotos ist.
Anders als Mels Apartment ist meine Wohnung nicht weiß und modern. Sie ist eine umgebaute Feuerwache, mit unverputzten Backsteinwänden und farbenfrohen, grob gemusterten Möbeln, hauptsächlich aufgearbeitet von Mom und mir. Antike Stücke neu zu streichen und zu polstern ist in dem Sommer, bevor ich das College abschloss, zu einer Obsession von uns geworden. Bis heute stöbere ich noch immer bei Hofverkäufen, auf Flohmärkten und in Dekogeschäften nach Gegenständen, die ich eindeutig nicht brauche.
Das Beste an meiner Wohnung ist die echte Feuerwehrstange, die sich von dem offenen Loft, das derzeit als Taras Zimmer dient, hinunter in den weitläufigen Wohnbereich erstreckt. Wir haben meinen Couchtisch neben den Fernsehständer geschoben und es so geschafft, eine ganze Queensize-Luftmatratze hier hineinzuquetschen.
Wir achten kaum auf den Film, obwohl wir alle Lara Jean und Peter Kavinsky lieben. Stattdessen sind wir völlig in Beschlag genommen von Essen, Wein und Gesprächen. Ich war mir nicht sicher, wie Mel mit meiner Schwester klarkommen würde, angesichts ihrer unverblümten, herrischen Bitch-Persönlichkeit im Vergleich zu Taras zartbesaitetem, sensiblem Wesen. Aber die beiden scheinen sich blendend zu verstehen. Angefangen hat alles mit einem Gruppen-Brainstorming für meine Selbstliebe-Kampagne, aber nach ein paar Gläsern Wein und ein paar Ahs und Ohs über Peters entzückend schusselige Art verlagert sich die Unterhaltung.
»Hattest du noch mehr Begegnungen mit dem Squat-Rack-Dieb, nachdem ich heute gegangen bin?«, fragt Mel. Sie bindet ihre dichte Mähne zu einem perfekten, eleganten hohen Pferdeschwanz zusammen. Ich beneide Mädchen wie sie, die ihre Haare so mühelos nach hinten binden können, ohne dass eine Million winziger Härchen in alle Himmelsrichtungen abstehen. Wenn ich es versuche, ähnele ich eher einem schlafzerzausten jugendlichen Orang-Utan, es sei denn, ich sprühe meine fliegenden Haare mit Haarspray fest.
Tara stöhnt auf. »Beklagt sie sich etwa noch immer über diesen Typen?« Ich hatte ihr von dem anfänglichen Squat-Rack-Diebstahl erzählt, und sie hatte mich »kleinlich« genannt, was wirklich ironisch ist. Sie ist das Mädchen, das so gehässig war, ihre inzwischen abgeblasene Hochzeit ausgerechnet für August zu planen, den Monat, in dem ihre ehemalige künftige Schwiegermutter eine Reise nach Island ins Auge gefasst hatte.
»Da ist diese sexuelle Spannung zwischen ihnen«, erklärt Mel.
»Stimmt nicht.« Ich angele mir zwei zerbrochene Pringles aus der Dose.
Mel rollt mit den Augen. »Ihr zwei starrt euch über das ganze Fitnessstudio hinweg schamlos an.«
»Wir starren uns hasserfüllt an. Und ab sofort ignoriere ich ihn.«
»Oh, ich bitte dich. Er scheint doch ein richtig netter Typ zu sein. Er hält den Leuten immer die Tür auf. Und neulich habe ich gesehen, wie er diesem Mann, der wie Dr. Phil aussieht, bei seiner Deadlift-Technik geholfen hat.«
Ich seufze und strecke eine Hand aus, um das Etikett, das hinten aus Taras T-Shirt hervorschaut, wieder hineinzustecken. »Na gut, aber warum sollte er eine Goldmedaille dafür kriegen, dass er ein halbwegs anständiger Mensch ist? So niedrig ist meine Messlatte nun wirklich nicht.«
Tara legt ihren Zopf über ihre knochige Schulter und begutachtet ihre gesplissten Spitzen. »Ich muss ein Bild von diesem Typen sehen, bevor ich irgendein Urteil fällen kann.«
Wenn ich doch bloß kein geistiges Bild von ihm und seinem selbstgefälligen Grinsen hätte, das sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt hat. »Da hast du leider Pech. Ich weiß nicht einmal seinen Namen.« Ich lasse praktischerweise unerwähnt, dass ich ihn tatsächlich gefragt habe und er einfach weggegangen ist. Ehrlich gesagt hat es mir einen kleinen Stich versetzt, wie der dumpfe Schmerz einer winzigen Schnittwunde, bei dem man sich jedes Mal mühsam das Wimmern verbeißt, wenn man sich die Hände wäscht.
Mel setzt sich auf, um an ihrem Wein zu nippen. »Er ist heiß. Und ich meine, richtig heiß. Supergroß. Muskeln ohne Ende. Hebt schwere Gewichte, was heißt, dass er viel Ausdauer hat …«, ergänzt sie, wobei sie anzüglich mit den Augenbrauen wackelt.
Tara nickt anerkennend, während sie ihre Zehennägel in einem grauenhaften Pflaumenblau lackiert. »Warum springst du nicht auf seinen Zug auf?«
»Diese sogenannte ›sexuelle Spannung‹ ist ein Mythos. Wir sind Erzfeinde, wenn überhaupt.«
Tara fasst sich an die Brust, wobei sie um ein Haar Nagellack auf meinen Teppich tropfen lässt. »Seth und ich haben uns am Anfang auch nicht gemocht«, beginnt sie, und dann verdüstert sich ihre Miene, als sie sich zu Mel dreht, um es zu erklären. »Seth war mein Verlobter. Wir haben uns im Krankenhaus kennengelernt. Ich habe ihm einen Antrag gemacht … aber wir haben die Hochzeit vor ein paar Monaten abgeblasen.«
Ihr Ex-Verlobter ist der Grund, weshalb sie meinen Loft/Hobbyraum in Beschlag genommen hat. Sieben Monate vor ihrer aufwendig geplanten Einhundertfünfzig-Personen-Hochzeit im Sheraton hat Seth aus heiterem Himmel Schluss gemacht.
Tara stand um zwei Uhr morgens im Pyjama vor meiner Tür, mit nur einem Koffer voller Bücher, verzweifelt auf der Suche nach Junkfood und einem Dach über dem Kopf. Aus einer Nacht wurden rasch zwei Monate, und bislang macht sie keine Anstalten zu gehen.
Angesichts ihres zerbrechlichen Zustands, in dem sie immer wieder in Schluchzen ausbrach und in einer Endlosschleife Taylor Swift hörte, hat es mir widerstrebt, ihr nahezulegen, auszuziehen. Erst in den letzten Wochen hat sie wieder angefangen, richtige Hosen zu tragen und ihre Augenbrauen aufzufüllen. Mom und ich haben den Verdacht, dass sie sich bald wieder in die Dating-Szene stürzen wird. Tara liebt die Liebe; der Valentinstag bedeutet ihr mehr als Weihnachten.
»Irgendwelche Pläne, bald wieder auf Dates zu gehen? Wenigstens unverbindlich?«, erkundige ich mich.
Tara zuckt zusammen, während sie noch einen Pringle zermalmt. »Ich mache keine unverbindlichen Sachen. Wenn ich nicht einmal den zweiten Vornamen eines Typen weiß, bin ich nicht gewillt, seinen Penis anzufassen.«
Mel schaudert. »Die Dating-Welt ist grauenhaft. Ich habe die Exemplare gesehen, die auf dem Markt sind.«
»Ich würde mir lieber jedes Schamhaar einzeln ausreißen, bevor ich auf Online-Dating zurückgreife. Tinder sieht aus wie ein karges Ödland«, ergänzt Tara, wobei sie mich um Bestätigung heischend ansieht. »Du bist jetzt wie lange Neil-frei? Seit ein paar Monaten?«
Mein Magen verkrampft sich bei der bloßen Erwähnung von Neils Namen. »Oh ja.«
Mel rollt sich auf den Bauch, stützt das Kinn auf die Hände. »Was war denn mit diesem Neil?«
»Er ist mein Ex.« Ich werfe Tara einen warnenden Blick zu. Das Letzte, was ich will, ist, uns den Abend damit zu verderben, über Neil zu reden. Er schafft es jedes Mal, meiner Stimmung einen Dämpfer zu verpassen.
»Er ist wie der Justin Bieber für ihre Selena Gomez«, sagt Tara zu Mel, als würde das die ganze Dynamik zwischen Neil und mir erklären. »Nur dass er ein schmieriger gescheiterter Musiker ist, der glaubt, dass er Gottes Geschenk an die Frauen dieser Welt ist. Crystal ist seine chronische zweite Wahl, wenn es zwischen ihm und seiner Ex kriselt.«
Ich zucke die Schultern, als Mel mich ansieht. Taras Beschreibung ist absolut zutreffend. Neil und ich haben uns auf einer Halloweenparty kennengelernt. Ich war von einer Collegefreundin in letzter Minute genötigt worden, auszugehen. Ich hatte kein Kostüm, daher schnappte ich mir wahllos irgendein Blumenkrönchen, klatschte mir ein bisschen schimmerndes Make-up ins Gesicht und ging als Snapchat-Filter. Neil war ein Mönch. Ich fragte ihn, ob er im Zölibat lebe, und er schlug mit einer flachen Hand gegen die Wand und schnaubte vor Lachen, bevor er einen Beer-Pong-Treffer landete. Das hätte vermutlich mein erster Warnhinweis sein sollen.
Obwohl er eben erst eine Beziehung hinter sich hatte, schien er total auf mich abzufahren. Er lachte über alles, was ich sagte, und ahmte meine Eigenheiten nach. Er flirtete schamlos, berührte meinen Arm und drückte meine Taille.
»Du bist so anders als meine Ex«, sagte er und leerte den Rest seines roten Plastikbechers. Später erfuhr ich, dass seine Ex, Cammie, ein echtes Model war. Eine etwas größere Version von Daenerys aus Game of Thrones mit ihrem silberblonden Haar und ihrer schlanken Figur. Das Gegenteil von mir. Halbasiatisch und kurvig.
Ich errötete. »Ich weiß nicht, wie ich das verstehen soll.«
Er lächelte, zog an einer Strähne meines Haars und beugte sich näher zu mir vor. »Das ist etwas Gutes. Glaub mir.«
Und ich tat es. Ich schlürfte seine ganzen Worte auf, die mir versicherten, dass ich etwas Besonderes sei. Dass wir irgendeine Art einmalige Verbindung hätten. Wir waren fast ein Jahr lang unverbindlich zusammen, obwohl meine ganze Familie ihn hasste, nachdem er bei Dads Geburtstagsparty sturzbetrunken auftauchte und entschied, dass das der passende Anlass war, um über kontroverse Weltthemen zu debattieren. Danach nahm ich ihn nicht mehr zu meiner Familie oder Freunden mit, aus Angst, er würde irgendjemanden beleidigen. Und auch er scherte sich nie darum, mich seinen Leuten vorzustellen. Es war, als ob wir in unserer eigenen kleinen Blase existierten, nur wir beide, über Tage hinweg in meiner Wohnung verkrochen. Dann, ohne Vorwarnung, servierte er mich ab, um zu Cammie zurückzukehren.
»Ich bin jetzt über ihn hinweg«, versichere ich Mel und Tara, auch wenn die Worte steif und roboterartig klingen. Die Wahrheit ist, manchmal vermisse ich ihn noch immer. Und der Schmerz verdreifacht sich jedes Mal, wenn er wieder in meinem Leben auftaucht wie ein eitriger Pickel und mich nach Beziehungstipps fragt.
Mel setzt sich auf die Knie, um mich anzusehen. »Na ja, wenn du über Neil hinweg bist, dann solltest du dir vielleicht jemanden aufreißen, der wie der Squat-Rack-Dieb aussieht.«
»Korrekt«, pflichtet Tara aus unerfindlichen Gründen bei, da sie schließlich keine Ahnung hat, wie er aussieht.
Ich verbeiße mir ein Lachen. »Ich versuche ja nicht, hier einen auf Sittenpolizei zu machen, aber das wird nicht passieren. Keine wahllosen Aufrisse mehr für mich.«
Unmittelbar nachdem Neil mit mir Schluss gemacht hatte, füllten Aufrisse die Leere aus. Sie waren witzig und bestärkend. Ich bekam vielleicht körperlich, was ich wollte. Aber im Licht des Morgens betrachtet, ist die Realität, neben irgendeinem sabbernden Fremden aufzuwachen, der nicht einmal ein Bettgestell und ein Spannbetttuch sein Eigen nennt, nur allzu trostlos, gefolgt von diesem nagenden Gefühl. Diesem flüchtigen, spöttischen Hauch von Zuneigung, wenn man mit jemandem, irgendjemandem, für kurze Zeit zusammen ist. Sich zu erinnern, wie gut es sich anfühlt. Wie wundervoll es ist, berührt zu werden, umarmt. Und dann einfach nur Grau. Trostlosigkeit. Nichts. Überwältigende Einsamkeit.
Und daher habe ich, in den letzten zwei Wochen seit Tinder-Joe, wahllosen Aufrissen abgeschworen, um stattdessen auf etwas Richtiges zu warten.
Mels und Taras Hoffnungen zum Trotz muss dieser Krieg zwischen mir und meiner Fitnessstudio-Nemesis aufhören. Es wird kein Feuerwerk und keinen wahllosen Aufriss geben, schon gar nicht mit ihm. Um genau zu sein, wird es nichts als zwei Feinde geben, die getrennter Wege gehen.
10:00UHR – INSTAGRAM-POST: »KLEIDERGRÖSSE-POSITIV-KAMPAGNE« von CURVYFITNESSCRYSTAL:
Nehmt eure Waagen und Maßbänder und werft sie in den Müll! Ihr werdet sie nicht mehr brauchen.
Ihr denkt vielleicht: Crystal, setz dich hin. Schenk dir ein Glas Wein ein. Warum bittest du mich, meine superschicke 200-Dollar-Waage wegzuwerfen?
Okay, ich war ein bisschen theatralisch. Was ich sagen will, ist, hört auf, euch auf eure Waagen und Maßbänder zu verlassen, um euch mit euch selbst wohlzufühlen. Heute ist der offizielle Launch meiner Frühjahrs-/Sommerkampagne, KLEIDERGRÖSSE POSITIV. Es ist meine Ansage an euch, eure Fitnessfortschritte daran zu messen, WIE IHR EUCH FÜHLT, ohne den Zwang von Zahlen, die, wie Studien gezeigt haben, tatsächlich Angst auslösen und Leute entmutigen.
Wie die meisten von euch wissen, habe ich selbst jahrelang mit meinem Gewicht gekämpft. Im Umkleideraum der Turnhalle auf der Mittelschule erkannte ich zum ersten Mal, dass all die anderen Mädchen im Vergleich zu mir klein und zierlich waren. Ich liebte den Sportunterricht, aber ich begann mich zu schämen, mich vor allen anderen umzuziehen, daher ging ich stattdessen in eine Toilettenkabine. Um mich zu verstecken. Eines Tages erklärte mir meine Sportlehrerin, ich könne mich nicht länger in der Toilettenkabine umziehen, und ich ging nach Hause und weinte.
Wenn ich mit meinem zwölfjährigen Selbst reden könnte, dann würde ich ihr sagen, dass sie so viel mehr wert ist als nur die Zahl auf der Waage. Ich würde ihr sagen, dass sie üben soll zu essen, bis sie satt ist, nicht vollgestopft. Zu essen, womit sie sich wohlfühlt, nicht nur, weil sie traurig oder gelangweilt ist. Mit Freundinnen zum Lunch zu gehen und einfach Spaß zu haben, anstatt sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie viele Kalorien ein Subway-Sandwich hat.
Ein großer Teil von Fitness beruht auf mentaler Gesundheit. Wenn ihr unglücklich, gestresst und ständig hart zu euch selbst seid, wird euer Körper den Fortschritt verweigern. Und ihr werdet mit Sicherheit nicht so motiviert sein, am Ball zu bleiben, wenn es schwierig wird.