Seven Second Summits - Hans Kammerlander - E-Book

Seven Second Summits E-Book

Hans Kammerlander

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Beschreibung

Nach den 14 Achttausendern und rund 50 Erstbegehungen hatte Hans Kammerlander ein neues Ziel: die Besteigung der zweithöchsten Gipfel auf den sieben Kontinenten – weil sie ungleich mehr Schwierigkeiten aufweisen und die höchsten heute als Modeberge oft überlaufen sind. Sein Projekt der "Seven Second Summits" wurde zu einer über ein Jahrzehnt umspannenden, beeindruckenden Reise um die Welt: Ausgehend vom K2 in Asien, der dem erfahrenen Höhenbergsteiger extrem viel abverlangte, über den Ojos del Salado am Rand der Atacama-Wüste bis zum Dschungel Neugineas. Doch dann wird ausgerechnet der vergleichbar "einfache", aber enorm große Mt. Logan in Nordamerika zum Auslöser heftiger Diskussionen - zu einem Zeitpunkt, als der erfahrene Höhenbergsteiger längst entschlossen ist, zum Berg des Anstoßes zurückzukehren …

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe 2. Auflage 2013

1. Auflage 2012

ISBN 978-3-492-96206-3

© Piper Verlag GmbH, München 2012

Umschlaggestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de nach einem Plakat von Aline Hoffbauer, querformat Design, Hamburg

Fotos: Archiv Hans Kammerlander

Karte: Eckehard Radehose, Schliersee

Datenkonvertierung E-Book: Kösel, Krugzell

Prolog

Das Abenteuer beginnt zwei Meter abseits der ausgetrampelten Pfade

Vor rund sechzig Millionen Jahren zerfiel unsere Erdkruste. Urgewaltige Kräfte verschoben die Landmassen, und es entstanden sieben Kontinente. Diese Kontinente liegen wie riesige Schollen auf dem flüssigen Gestein des Erdmantels und sind bis heute in Bewegung. Überall wo sich das Gestein aufwirft, wo sich Gebirge mit grandiosen Ausmaßen gebildet haben, befindet sich heute die faszinierende Welt der Bergsteiger und Alpinisten.

Es gibt Lebenswege, die führen offenbar immer steil bergauf. Hans Kammerlander wurde als sechstes Kind einer Bergbauernfamilie in Ahornach an einem steilen Hang in den Südtiroler Bergen geboren. Das Leben war hart dort oben und entbehrungsreich. Und doch blieb immer ein wenig Zeit, um die wundersame Bergwelt zu entdecken. Schon als Achtjähriger bestieg Hans Kammerlander seinen ersten Gipfel.

Niemand konnte ahnen, dass an diesem Tag eine außergewöhnliche Karriere begann. Hans Kammerlander machte später sein Hobby zum Beruf und wurde Bergführer. An der Seite von Reinhold Messner bestieg er sieben der vierzehn Achttausender. Sechs weitere schaffte er allein oder mit anderen Partnern. Dabei gelangen ihm spektakuläre Höhepunkte wie die ersten Skiabfahrten vom Mount Everest und vom Nanga Parbat.

Als Kammerlander den K2 – den zweithöchsten Gipfel der Erde, den schwierigsten Achttausender, den »Berg der Berge« – bestieg, reifte dort oben in ihm bereits ein neuer Plan. Er beschloss, auf allen sieben Kontinenten die jeweils zweithöchsten Gipfel zu besteigen.

Doch warum kommt jemand, dem es nie steil und nie hoch genug sein konnte, auf die Idee, sich nunmehr die jeweils zweithöchsten Berge zum Ziel zu setzen?

Die Erklärung ist einfach. Fast 300 Bergsteiger haben inzwischen die Seven Summits bestiegen, also die sieben höchsten Berge auf allen sieben Kontinenten. Der US-Amerikaner Dick Bass, ein umtriebiger Unternehmer aus Oklahoma, war im April 1985 der erste Mensch, der das ehrgeizige siebenteilige Projekt auf dem Gipfel des Mount Everest abschloss. Doch er löste damit einen wahren Run auf den Kilimandscharo, den Aconcagua, die Carstensz-Pyramide, den Everest und die anderen Erdteilspitzen aus. Viele andere Bergsteiger wollten ihm nun nacheifern. Die sieben höchsten Erhebungen der Kontinente wurden bald zur Katalogware, die gebucht werden konnte.

Noch nie aber ist es einem Alpinisten gelungen, die sieben zweithöchsten Gipfel aller Erdteile zu besteigen. Dabei liegt darin ganz offenkundig eine viel größere Herausforderung – logistisch wie alpinistisch gesehen. Denn in den meisten Fällen sind die jeweils zweithöchsten Berge umständlicher zu erreichen und schwerer zu besteigen als ihre oft nur unwesentlich höheren Nachbarn.

Das Projekt der »Seven Second Summits« ist für Hans Kammerlander so zu einem neuen Abenteuer und zu einer ernst zu nehmenden Herausforderung geworden.

Das ist der Vorspanntext aus meinem Vortrag über die »Seven Second Summits«. Wir haben ihn schon im Frühjahr 2011 verfasst, als ich noch in dem Projekt steckte und auch noch nicht alle sieben Gipfel bestiegen hatte. Doch mit dem bereits vorhandenen Bild- und Filmmaterial sowie diesem Text konnte man allemal damit beginnen, an einem Vortrag zu basteln. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt längst erkannt, dass jede einzelne dieser Expeditionsreisen eine Fülle von guten und erzählenswerten Episoden in sich barg.

Die ganze Geschichte aber hatte bereits zehn Jahre zuvor begonnen.

Während ich 2001 vom Gipfel des K2 herunterstieg, unendlich müde und innerlich aufgewühlt, fühlte ich bereits da sehr deutlich, dass ich nun an einem Scheideweg angekommen war. Ich war bergsteigerisch an meine Grenzen gestoßen, denn ich hatte auf dem Gipfel des K2 praktisch alles erreicht, was zu diesem Zeitpunkt und für mich ganz persönlich zu erreichen war. Ich hätte meine Leistungen allenfalls mit erhöhten Schwierigkeiten, noch mehr Risiko oder mit der Erfindung merkwürdiger Superlative vorantreiben können. Doch dafür fehlte mir die Motivation. Man kann sich auch als sogenannter Extrembergsteiger leicht zum Clown machen. Mit einiger Skepsis beobachtete ich schon damals die Auswüchse des Alpinismus, immer neue Varianten durchspielen zu wollen. Ich wartete schon darauf, dass jemand versuchte, rückwärts auf den Mount Everest zu steigen. Vor allem die Modeberge stellen beliebte Plätze für spektakuläre Aktionen dar, die mir sinnlos erscheinen, aber ein gefundenes Fressen für die Medien sind, die Sensationen verkaufen wollen und nicht nach dem alpinistischen Wert fragen.

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt zwölf der vierzehn Achttausender bestiegen. Am Manaslu hatte sich eine Tragödie ereignet, bei der zwei meiner Freunde – die Südtiroler Friedl Mutschlechner und Karl Großrubatscher – ums Leben kamen. Deshalb habe ich dort keinen zweiten Versuch mehr unternommen. Und an der Shisha Pangma, dem kleinsten der Achttausender, war ich vom Mittelgipfel nicht mehr die paar Schritte bis auf den Hauptgipfel hinübergegangen, weil ich schon viel zu sehr mit meiner bevorstehenden Besteigung des Mount Everest beschäftigt war. Deshalb fehlen mir die Gipfel dieser beiden Achttausender. Der Rucksack meiner Erlebnisse war damals mit rund 2500 Klettertouren gefüllt, darunter etwa fünfzig Erstbegehungen und fast sechzig Alleinbegehungen großer Alpenwände im VI. Schwierigkeitsgrad. Die Nordwände von Eiger, Matterhorn und Grandes Jorasses, in den Dolomiten – neben vielen anderen – auch die bekannten Wände der Drei Zinnen, die Südwand der Marmolada, die Civetta-Nordwestwand, die gelben Felsen der Heiligkreuzkofelwand und die Routen am Langkofel. Ich war mit Reinhold Messner auf den Grenzen unseres Landes rund um Südtirol gewandert, über tausend Kilometer weit, mit mehr als 100 000 Höhenmetern und über 300 Gipfeln, die wir unterwegs bestiegen. Zusammen mit dem Sterzinger Bergführer Hanspeter Eisendle war ich binnen 24 Stunden durch die Nordwände des Ortler und der Großen Zinne gestiegen. Die 246 Kilometer, die zwischen den beiden sehr anspruchsvollen Routen liegen, überwanden wir auf dem Rennrad. Gemeinsam mit dem Schweizer Bergführer Diego Wellig kletterte ich 1991 alle vier Grate des Matterhorns sowohl im Auf- als auch im Abstieg.

Das alles erzähle ich hier weniger um des Beifalls willen, sondern vor allem, um zu erklären, was es bedeuten kann, wenn man keine Antwort mehr auf die Frage findet: Und was nun? Ich sage es ganz ehrlich, das ist ernüchternd. Genau das empfand ich damals am Tag meines Abstiegs vom K2 und auch danach. Zum ersten Mal sah ich die guten Zeiten zur Neige gehen, die mir vieles, wenn nicht alles in meinem Leben ermöglicht hatten. Nicht, dass mein Mut schwand oder mein Antrieb geringer wurde. Aber ich tat mich auf einmal schwerer damit, neue Ziele zu definieren. Ein bisschen war das, als würde ich auf die Pensionierung zusteuern, ohne zu wissen, was ich danach tun wollte. Der Nuptse East, ein gewaltiges Bergmassiv gegenüber dem Mount Everest und zum damaligen Zeitpunkt der höchste noch unbestiegene Berg der Erde, spukte mir im Kopf herum. Ich setzte dort zweimal an, dann kam mir der Russe Valery Babanov zuvor. Am Jasemba, einem unglaublich schönen Berg ebenfalls in der Nähe des Everest, scheiterten wir schon beim ersten Anlauf zu einer Erstbegehung. Der zweite Versuch endete in einer Katastrophe, als mein Bergführerkollege Luis Brugger tödlich abstürzte. Ich kehrte dennoch 2007 zum Jasemba zurück und bestieg ihn schließlich zusammen mit Karl Unterkircher. Bei dieser Expedition sprachen wir viel über neue Ziele und interessante Aufgaben. Doch dann verunglückte Karl Unterkircher 2008 tödlich am Nanga Parbat. Auf der Suche nach Orientierung war ich wieder allein.

Man hat nicht wirklich viel Zeit zum Nachdenken, wenn man – meist mit dem Gesicht zur Wand und sehr, sehr steil – über die Česen-Route vom K2 absteigt. Aber in den lichten Momenten, die etwas mehr als die volle Konzentration auf den nächsten Schritt zuließen, schoss mir ein paarmal der Gedanke durch den Kopf, dass der K2 wirklich sehr viel schwerer zu bewältigen ist als der Mount Everest. Ich hatte das natürlich schon vorher gewusst, es war ja auch überall nachzulesen. Aber nach der eigenen Erfahrung wiegt die Wahrheit meist noch ein paar Pfunde mehr. Der zweithöchste Gipfel der Erde war also viel anspruchsvoller zu besteigen als der höchste. Und wie wäre das denn bei den Zweithöchsten anderer Kontinente und Länder? Ich konnte mir denken, dass in Afrika der Batian im Mount-Kenia-Massiv sicherlich schwerer ist als der Kibo im Kilimandscharo-Massiv. Und wahrscheinlich auch viel einsamer. Aber wie präsentiert sich der zweithöchste Berg Südamerikas im Vergleich zum Aconcagua? Wie heißt der zweithöchste Berg Südamerikas überhaupt? Und was ist in der Antarktis los und was in Nordamerika? Welcher Berg ist dort die Nummer zwei nach dem Mount McKinley, an dem ich schon unterwegs gewesen war? Ich schmunzelte: Das Abenteuer beginnt bekanntlich zwei Schritte abseits der ausgetrampelten Pfade. Ehe ich mich versah, war ich mit meinen Fragen und mit meiner Neugier auf Neues schon mittendrin im neuen Projekt.

Eines war von vornherein klar: Die Seven Summits kamen für mich nicht infrage. Ich hegte keinerlei Interesse an Zielen, die man fast alle bei einem Reiseveranstalter und als geführte Bergtour buchen kann. Ich hatte den Rummel um diese Modeberge am Mount McKinley deutlich gespürt. Wir scheiterten damals, 1997, wegen des gewaltigen Steinschlags bei dem Versuch einer Erstbegehung am Moose’s Tooth. Aber wir sahen sehr wohl die Kolonnen, die sich von dem bekannten Medizincamp aus in Richtung Gipfel bewegten. Vom Kilimandscharo oder vom Aconcagua hatte ich nichts Besseres gehört. Ich wollte nicht einfach nur den Weg wiederholen, den schon so viele vor mir begangen hatten. Natürlich sind für die allermeisten Bergsteiger die höchsten Berge aller sieben Kontinente nach wie vor eine große Herausforderung und sicherlich etwas ganz Besonderes in ihrem Leben. Ich will die Leistung an den Seven Summits gewiss nicht schmälern. Doch die Erkenntnis, dass allein schon der K2 im Vergleich zum Everest einem Bergsteiger um so viel mehr abverlangt, war mir genug, um mich nicht mehr für die Höchsten, sondern viel mehr für die Zweithöchsten auf allen Kontinenten zu interessieren.

Bei einem Vortrag Anfang 2009 über unsere Erstbesteigung am Jasemba wurde ich wie so oft nach meinen nächsten Zielen gefragt. Plötzlich platzte es aus mir heraus, ich hob das Mikrofon und sagte munter: »Ich werde als Nächstes versuchen, auf allen Kontinenten nicht die höchsten, sondern die zweithöchsten Gipfel zu besteigen.« Viele Menschen im Saal brachen in schallendes Gelächter aus. Die wenigsten glaubten im ersten Moment, dass da einer ernsthaft vorhatte, zweithöchste Gipfel zu erreichen. Doch genau diese Reaktion, diese Ungläubigkeit im Publikum, die Überraschung meiner Zuhörer, nährten meine Überzeugung von der Richtigkeit dieses Plans. Diese Sache war interessant, weil neu, ungewöhnlich und noch nie gemacht. Das war keine Clownerie, sondern ein alpinistisches Ziel mit hohem Anspruch. Prompt rührten sich ein paar Tage später die Medien. Journalisten stellten mir Fragen, die ich selbst noch nicht beantworten konnte, und sie löcherten mich, wann es denn losgehen würde mit meiner Reise um die Welt. Mit einem Schlag war ich mittendrin in den Seven Second Summits.

Ich hatte keine Ahnung, was mich dabei erwarten und was da alles an »Nebengeräuschen« auf mich zukommen würde. Am Ende machte ich die Erfahrung, dass dieses Projekt mir mehr Publizität einbrachte als meine Skiabfahrt vom Mount Everest 1996.

Das Erste, was mir auffiel, waren die Widersprüche und Diskussionen über die höchsten Berge aller Kontinente, also die Seven Summits. Da gibt es zwei Besteigungslisten. Die eine basiert auf der Idee von Dick Bass, dem bis heute als Erstem der Erfolg auf den sieben höchsten Erdteilgipfeln zugeschrieben wird. Richard »Dick« Bass wurde 1929 in Tulsa im US-Bundesstaat Oklahoma geboren. Drei Jahre später zogen seine Eltern mit ihm nach Dallas/Texas. Der Absolvent der berühmten Yale-Universität machte sein Geld im Ölgeschäft und verfiel Ende der 1960er-Jahre der faszinierenden Welt der Berge. Zunächst im Winter. Und weil ihn die weiße Pracht so sehr faszinierte, eröffnete er kurzerhand ein ganzes Skigebiet in Utah. Zu Bass’ besten Freunden zählte Frank Wells. Wells wurde 1932 in Coronado/Kalifornien geboren, studierte in Oxford und war von 1984 bis 1994 der sechste Präsident der Walt Disney Company. Dick Bass und Frank Wells teilten nicht nur ihre Freude am Management, sondern vor allem auch ihre Freizeit in den Bergen. Beide waren nicht unbedingt überragende, aber begeisterte Alpinisten. Sie kamen auf immer verrücktere Einfälle und verbreiteten in ihren Familien bisweilen Angst und Schrecken. Bass und Wells ersannen schließlich 1980 die Idee der Seven Summits. Der eine jenseits, der andere knapp vor den fünfzig. Ein kühner Plan, dem beide anfangs weder bergsteigerisch noch konditionell und technisch wirklich gewachsen waren. Aber offenkundig wuchsen Bass und Wells an ihrer Aufgabe. Nach ein paar Fehlversuchen, unter anderem am Elbrus im Kaukasus, knackten sie 1983 eine Nuss nach der anderen. Innerhalb von nur einem Jahr bestiegen sie sechs der sieben anvisierten Gipfel. Gegen den Mount Everest jedoch rannten sie auf der Zielgeraden dann dreimal vergebens an. Frank Wells kündigte seinem Freund Dick Bass daraufhin die Gefolgschaft auf. Nicht ganz freiwillig, Wells’ Frau soll maßgeblichen Einfluss auf diese Entscheidung genommen haben. Und so erreichte Dick Bass am 30. April 1985 den höchsten Punkt des asiatischen Kontinents ohne seinen Freund Frank, jedoch an der Seite des bekannten Höhenbergsteigers David Breashears. Mit inzwischen 55 Jahren war Bass damals der älteste Bergsteiger, der den Everest-Gipfel geschafft hatte. Und mit diesem Erfolg schmückten ihn endlich auch die Seven Summits. Dick Bass, mittlerweile über achtzig und immer noch putzmunter, betreibt nach wie vor sein Skigebiet »Snowbird« in Utah und tauchte 2010 überraschend in Kathmandu auf, um im Hotel »Yak und Yeti« das 25. Jubiläum seiner Everest-Besteigung zu feiern. Frank Wells kam 1994 bei einem Hubschrauberabsturz in den Bergen von Nevada ums Leben. Der Disney-Zeichentrickfilm »König der Löwen« ist ihm gewidmet und auch die berühmte Matterhorn-Attraktion in Disneyland in Anaheim/Kalifornien.

Die Seven-Summits-Liste von Dick Bass und Frank Wells erscheint auf den ersten Blick hin durchaus logisch. Aber eben nur auf den ersten Blick. Sie umfasst folgende höchste Gipfel aller sieben Kontinente:

Elbrus (5642 m), Russland, EuropaAconcagua (6962 m), Argentinien, SüdamerikaMount McKinley (6194 m), Alaska, NordamerikaKibo/Kilimandscharo (5895 m), Tansania, AfrikaMount Vinson (4892 m), AntarktisMount Kosciuszko (2228 m), New South Wales, AustralienMount Everest (8848 m), Nepal/Tibet, Asien

Über diese Liste kann man durchaus kritisch nachdenken. Sogar Fachleute sind unterschiedlicher Meinung, welche Gipfel nun die höchsten der Kontinente sind. Probleme gab und gibt es in bestimmten Regionen der Erde auch nach wie vor mit den Höhenangaben. Und schließlich ist manch einer nicht einmal ganz sicher, wie viele Kontinente es überhaupt gibt. Dabei fußt das meiste inzwischen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ich war selbst lange davon überzeugt, dass der Mont Blanc mit seinen 4810 Metern und nicht der Elbrus in Russland der höchste Berg Europas sei. Dem ist aber nur dann so, wenn man das Kaukasus-Gebirge auf der Eurasischen Wasserscheide nicht Europa, sondern Asien zurechnet. Selbst Geologen sind sich da offenbar nicht immer ganz einig, wo Europa beginnt und Asien aufhört. Und immerhin wird in einigen Büchern noch heute die Auffassung vertreten, dass es überhaupt nur fünf Kontinente gibt, wenn man Nord- und Südamerika zu Amerika und Europa und Asien zu Eurasien zusammenfasst. Dick Bass hat 1985 »seine« sieben höchsten Gipfel bestiegen und damit ein schönes Kapitel des Alpinismus geschrieben. Bass und Wells, wohl in gutem Glauben bei ihrer Gipfelauswahl, sahen Australien als Kontinent. Und vergaßen dabei ganz offensichtlich, dass Ozeanien Teil dieses Kontinents ist. Und dass dort viel höhere Berge stehen als »ihr« Mount Kosciuszko.

1985 war das Jahr, in dem Reinhold Messner und ich die Gipfel der Annapurna und des Dhaulagiri erreichten. Ein Jahr später folgten der Makalu und der Lhotse. Reinhold hatte damit als erster Bergsteiger der Welt alle vierzehn Achttausender bestiegen. Das war ein einzigartiger, grandioser Erfolg, ein Rekord für die Ewigkeit. Mehr kann ein Alpinist kaum erreichen. Und dennoch, ich kann mich erinnern, dass wir zu dieser Zeit auch manchmal über die Seven Summits und die Liste von Dick Bass sprachen. Reinhold Messner, dieser unruhige Geist, war anderer Meinung als Dick Bass. Er vertrat die Ansicht, dass nicht der Mount Kosciuszko in Australien mit seinen 2228 Metern, sondern vielmehr die Carstensz-Pyramide (4884 m) im Sudirman-Gebirge Indonesiens der höchste Gipfel des Kontinents von Australien und Ozeanien sei. Womit er ganz sicher recht hatte. Mit seiner Meinung hielt sich Reinhold auch nicht zurück. Und weil damals so ziemlich alles, was er sagte, sofort zu einer publizierten Nachricht wurde, entwickelte sich daraus schließlich ein Kuriosum. Patrick Allan Morrow, ein 1952 in British Columbia geborener Kanadier, bekam Wind von Messners neuer Seven-Summits-Liste, die ja der von Dick Bass an einem entscheidenden Punkt widersprach. Am 5. August 1985, knapp vier Monate vor Reinhold Messner, bestieg Morrow den Puncak Jaya und damit den höchsten Punkt im Massiv der Carstensz-Pyramide in der Provinz Papua auf Indonesien. Nun gab es auf einmal zwei Seven-Summits-Listen. Die von Dick Bass und die von Reinhold Messner. Letztere hat sich mittlerweile durchgesetzt, und mehr als 300 Bergsteiger aus aller Herren Länder haben ihre Häkchen hinter die sieben Gipfel gemacht. Nun werden auch sie ein bisschen wie Katalogware angepriesen.

Im Rückblick gesehen hätte ich eigentlich schon damals, als ich begann, mein Unternehmen der sieben zweithöchsten Gipfel der Kontinente zu planen, ahnen können, dass dies alles womöglich nicht ganz reibungslos verlaufen würde. Dass vermutlich auch bei meinem Plan Unstimmigkeiten zu erwarten wären, wenn es sie sogar schon an den höchsten Gipfeln gegeben hatte. Aber ich war da eher arglos. Mich interessierten diese Berge und mehr noch die neuen Herausforderungen, neue Länder und Kulturen. Ich dachte nicht an Streit und Missgunst, nicht an Zweifel und Zweifler. Ich wollte einfach nur etwas Schönes und Interessantes erleben.

Fast zwei Jahrzehnte, zwischen 1983 bei meiner ersten Achttausender-Besteigung an der Seite von Reinhold Messner und meinem Erfolg am K2 im Jahr 2001, befand ich mich in einer Art Wettlauf des Höhenbergsteigens. Gipfel und Wände bestimmten mein Leben. Mit jedem neuen Erfolg finanzierte ich die nächste Expedition. Ich liebte die Einsamkeit in den höchsten Bergregionen der Erde und nutzte andererseits die Publicity, um den Drang nach neuer Einsamkeit ökonomisch zu realisieren. Ein Bergprofi macht nicht mit Begehungen in versteckten Schluchten auf sich aufmerksam. Der ganze Ablauf meines Lebens und die komplette Termingestaltung waren darauf abgestimmt, zur möglichst besten Zeit am richtigen Ort zu sein. Im Frühjahr war ich wochen-, manchmal monatelang im Himalaja oder dem Karakorum unterwegs, im Sommer arbeitete ich als Bergführer und leitete meine Alpinschule Südtirol. Im Oktober und November ging ich auf Vortragstournee. Im Winter kletterte ich im Eis, war mit Gästen auf Skitouren und begab mich im März wieder auf Tournee. Ich war in dieser Zeit auf Asien fixiert und nur selten anderswo unterwegs. Ich kannte Patagonien in Südamerika und den McKinley in Nordamerika, natürlich die Alpen, aber nicht viel mehr. Und so wie mich als Kind brennend interessierte, ob es wohl noch Berge hinter dem Peitlerkofel gebe, den ich von unserem Bauernhof aus sehen konnte, so begann ich mich nach dem K2 auf einmal mit dem Gedanken zu beschäftigen, was mir der Erdball auf anderen Kontinenten noch alles bieten könnte.

Ich mag Computer und kompliziertes technisches Gerät nicht besonders. Vielleicht sollte ich mich mehr damit beschäftigen, denn ich bin immer wieder erstaunt über die Ergebnisse, wenn einer meiner Freunde auf der Tastatur herumhämmert. Das Internet mag ja bisweilen ein Fluch sein, in meinem Fall erwies es sich in der Vorbereitung auf dieses große Projekt als echte Erleichterung. Ich ließ mir stoßweise immer neue Fotos ausdrucken, sammelte Informationen und war bald vollkommen fasziniert von dem, was ich auf mich zukommen sah. Ich kannte natürlich den Elbrus im Kaukasus, auch wenn ich seinen Gipfel nicht bestiegen hatte. Doch wie spricht man bitte »Dychtau« aus? Und wo genau liegt der »Ojos del Salado«? Ich fand Höhenangaben und Wege zu Bergen, die mir bei näherer Betrachtung immer besser gefielen. Ich dachte über mögliche Partner nach, die mich zu den Gipfeln begleiten könnten. Und ich freute mich darüber, dass ich zu fast allen diesen Zielen aufbrechen konnte, wann immer es mir gefiel. Ich war nicht mehr zwingend auf das Frühjahr und die Saison im Himalaja und Karakorum festgelegt. Zu manch einem der Seven Second Summits würde ich direkt nach einer Vortragstournee oder sogar noch kurz davor gehen können, weil ich natürlich für einen Fünftausender nicht mehr wochenlang trainieren musste und auch die Höhenanpassung viel leichter wäre. In mir breitete sich große Gelassenheit aus, als ich sah, dass alle meine Ideen zwar mit einem beträchtlichen Kostenaufwand, logistisch jedoch gut zu realisieren waren. Gleichzeitig entwickelte sich eine positive Spannung, denn das Faszinierende an diesem Projekt waren weniger die technischen Schwierigkeiten bei den einzelnen Besteigungen als vielmehr die oft komplizierten Anmarschwege. Aber genau dem fieberte ich inzwischen entgegen, denn ich wusste, da würde ich Menschen begegnen und die Länder kennenlernen. Die Berge schreckten mich nicht. Wenn ich erst einmal unter einer Wand stehe, ein Massiv betrachte oder Einblick in eine Flanke gewinne, kann ich einen Berg fast lesen wie ein Buch. Die jahrzehntelange Erfahrung lässt mich recht leicht und schnell die Schwachstellen erkennen, die eine Besteigung ermöglichen. Kein fixer Plan steuert mich dann, aber ich verfolge meine Idee mit Konsequenz.

Es standen bei diesem gesamten Plan also nicht unbedingt die bergsteigerischen Herausforderungen an allererster Stelle. Meine Ziele an den Achttausendern in den Jahren zuvor waren im Vergleich viel riskanter und aufreibender gewesen. Es war mir bewusst, dass viele dieser sechs Gipfel – den K2 als zweifelsfrei schwersten Brocken hatte ich ja bereits bestiegen – mich technisch und konditionell nicht in die Nähe meiner Leistungsgrenze bringen würden. Und dennoch wollte ich jedem einzelnen Berg natürlich mit dem notwendigen Ernst begegnen. Viel mehr erhoffte ich mir, das Umland der Berge zu erleben. Das vor allem war Motivation und Antrieb für mich, diese Zweithöchsten zu besteigen. Ich war bis dahin noch nie in der Wüste und auch noch nie im Urwald gewesen, ich kannte Afrika nicht und auch nicht Ozeanien, ich freute mich auf die enorme Eisweite der Antarktis. Dieses Projekt bot so unendlich viel Raum für Erlebnisse und so ziemlich alles, was sich ein Alpinist als interessierter Reisender überhaupt nur wünschen kann: von der dünnen Luft am K2 bis zum Spaziergang durch die staubtrockene Atacamawüste und das Kriechen im Urwald von Papua. Der Schlafsack, der auch bei minus fünfzig Grad noch warm hält, würde genauso wichtig werden wie ein paar grundsolide Gummistiefel. Bis dahin hatte ich mich immer nur auf ein Ziel konzentriert, eine Wand, einen Achttausender, eine Route. Nun umfasste die Idee sieben Etappen, und jede einzelne erst würde mich dem Ganzen näher bringen. Es schien mir wichtig, diese Projekte dennoch klar zu trennen, damit ich mental frei war, jedes einzelne Ziel intensiv zu erleben. Ich wollte nicht einfach nur alles nacheinander abhaken. Dass sich die Teile dann zusammenfügten, würde sich gegen Ende hin wie von allein ergeben. Mit diesen Gedanken habe ich mich auf den weitesten Weg meines Lebens gemacht – sehenden Auges und mit dem Blick für das Neue und die Grenzenlosigkeit.

Als ich schließlich aufbrach, präsentierte sich mir die Welt in faszinierender Schönheit und in grandiosen Farbspielen. Es zeigten sich mir eindrucksvolle Bilder, ganz gleich wo ich hinkam. Es war das Staunen meiner Kindheit auf unserem kleinen Südtiroler Bergbauernhof in Ahornach im Tauferer Ahrntal, wo ich als jüngstes von sechs Kindern aufwuchs, mit dem ich jetzt die Größe unserer Erde in allen ihren Dimensionen entdeckte. Damals waren es zuerst die Berge meiner näheren Umgebung gewesen, dann die Dolomiten und die Alpen, bis ich schließlich begann, den Himalaja zu entdecken. Jetzt ging ich auf eine ganz neue, abwechslungsreiche und unterhaltsame Reise. Doch vieles, was ich nun sah, stimmte mich auch sehr nachdenklich. Der Himalaja gehört trotz seiner schroffen und wuchtigen, manchmal so abweisenden Wirkung zu den sensibelsten und zerbrechlichsten Regionen der Erde. Kaum anderswo ist die Gefahr der Erosion so groß wie in diesem jüngsten Gebirge der Welt, und das Abholzen seiner Wälder nimmt immer dramatischere Ausmaße an. Am Dach der Welt schmelzen die Gletscher noch schneller ab als an den Polen, und die Verschmutzung der Luft ist in den höchsten Regionen der Achttausender genauso groß wie im chinesischen Chongqing, der am schnellsten wachsenden Stadt der Welt. Das gesamte Ökosystem des Himalaja gerät in Gefahr. Die insgesamt drei Jahrzehnte, in denen ich immer wieder in Nepal, Pakistan und Tibet unterwegs gewesen bin, haben meinen Blick geschärft. Es ist wohl nicht zulässig, einen Kontinent, ein Land und eine Gegend jeweils nur auf die Bergwelt zu reduzieren. Aber jetzt, auf meinen Reisen in aller Welt, erkannte ich rasch, dass Mutter Erde auch anderswo, nicht nur in den Gebirgen, tiefe Wunden zeigt, die ihr die Zivilisation zugefügt hat.

Asien – K2

Ein Bilderbuchberg

Auf dem Gipfel mischte sich Wehmut in die Freude, und ein neues Ziel nahm Gestalt an

AsienPakistan/ChinaKarakorum-GebirgeK28611 mErstbesteigung am 31. Juli 1954 durch Achille Compagnoni und Lino Lacedelli (beide Italien)

Der asiatische Kontinent ist in vielerlei Hinsicht der Superkontinent auf der Erdkruste. Er nimmt 8,7 Prozent der Erdoberfläche ein und ist mit 44,5 Millionen Quadratkilometern so groß wie kein anderer Kontinent. In Asien leben über vier Milliarden Menschen. Das sind rund sechzig Prozent der Weltbevölkerung und damit fast achtmal so viele Menschen wie in Nordamerika. In Asien liegen auch die höchsten Erhebungen unserer Erde, darunter alle vierzehn Achttausender. Der Mount Everest ist mit 8848 Metern die höchste Erhebung. Zweithöchster Berg ist der im Karakorum gelegene K2, der auch als der Berg der Berge bezeichnet wird und sicher die größte Herausforderung für einen Alpinisten darstellt.

Wohin treibt es einen Bergsteiger und Alpinisten, wenn er glaubt, in den europäischen Alpen bereits alles erlebt zu haben? Was soll er machen, wenn die schönsten Dolomitenwände durchklettert, die prächtigsten Westalpengipfel bestiegen und die Nordwand-Klassiker »erledigt« sind? Was kommt nach Eiger, Matterhorn und Grandes Jorasses? Was nach den Drei Zinnen, Langkofel und Heiligkreuzkofel? Nach Mont Blanc, Monte Rosa und Ortler? Wohin geht der suchende Bergsüchtige dann? Natürlich, er reist in die Anden, in die Rocky Mountains, in den Kaukasus oder eben zu den ganz hohen Bergen in den Himalaja. Im Lauf von drei Jahrzehnten habe ich die Bergwelt Asiens intensiv kennengelernt. Ich war mehr als dreißig Mal in Nepal, Pakistan und Tibet. Unterwegs auf großen Expeditionen und wunderbaren Trekkingtouren, die mir auf besondere Weise die Länder, die Landschaften und ihre Menschen nähergebracht haben. Viele diese Unternehmungen haben mich auf die höchsten Berge der Welt geführt. Und da diese ausnahmslos in Asien liegen, könnte man mich durchaus als ein wenig asienlastig bezeichnen. Die paar wenigen Abstecher nach Patagonien oder nach Nordamerika machten mich zwar neugierig, aber vorerst glaubte ich, im Himalaja und im Karakorum noch so viel erledigen zu müssen.

Als ich dann schließlich auf die Gipfel der Achttausender Cho Oyu, Gasherbrum I und II, Annapurna und Dhaulagiri, Makalu und Lhotse, Nanga Parbat und Broad Peak, Mount Everest und Kangchendzönga sowie auf den Mittelgipfel der Shisha Pangma und am Manaslu bis auf den Gipfelgrat gestiegen war, lag ganz am Ende dieser vierzehnteiligen Reise zu den Riesen der Berge nur noch dieser eine, allerdings ganz gewaltige Brocken des K2 vor mir. Die edelste und schönste aller Perlen an dieser Gipfelschnur. Der schwerste und der anspruchsvollste Gipfel zugleich. Wer überall sonst auf den ganz hohen Bergen gewesen ist, aber nicht auf dem K2, der wird sich wahrscheinlich für den Rest seines Lebens irgendwie unzufrieden, unausgefüllt und nicht wirklich am Ziel angekommen fühlen. Jedenfalls empfand ich das so. Und je öfter ich vergebens versuchte, auf den K2 hinaufzukommen, umso schlimmer wurde die Sehnsucht danach und die fast schon an Verzweiflung grenzende Ohnmacht, weil es einfach nicht gelingen wollte.

Der K2 hat viel von jenem Stoff zu bieten, der Bergsteiger anzieht. Und mindestens genauso viel von all dem, was Bergsteiger abschreckt. Er ist der Stoff, aus dem Träume gemacht werden. Der K2 ist hoch. Und er ist gefährlich. Dort kann man nicht gehen, man muss mit Händen und Füßen klettern. Und zwar fast die gesamte Zeit des Aufstiegs und auch wieder während des Abstiegs. Die Schwierigkeiten übersteigen zwar nicht den vierten Grad der inzwischen elfteiligen internationalen Kletterskala, halten sich also eher im unteren Niveau dessen, was heute möglich ist. Aber die Höhe, die Steilheit, die Ausgesetztheit, die Einsamkeit, dazu Kälte, Wind, Sturm, Schneeverfrachtungen, Eis, Fels, Séracs, Lawinen, Steinschlag, Absturzgefahr, pikante Einzelpassagen und schwierige Biwaknächte lassen den K2 zu einer wirklich großen Aufgabe werden. All das und dazu die üblichen Probleme und Gefahren des Bergsteigens an einem Achttausender machen diesen Berg zu etwas ganz Besonderem.

Wohl an keinem der anderen Erdteilgipfel lassen sich die wenigen Gemeinsamkeiten und die vielen Unterschiede zwischen dem höchsten und dem zweithöchsten Berg eines Kontinents so anschaulich vergegenwärtigen wie am Mount Everest und am K2. Es ist unübersehbar: Unter den Alpinisten aus der ganzen Welt haben gerade diese beiden Berge schon immer gleichermaßen große Begehrlichkeiten geweckt. Sie wurden schließlich auch fast innerhalb eines Jahres zum ersten Mal bestiegen. Das verdeutlicht ein wenig die prestigeträchtige Ausgangssituation und den Ansporn, der die Bergsteiger in den frühen Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts immer stärker umtrieb. Sie wollten mit allen gebotenen Mitteln auf die Achttausender. Denn sie wussten, Ruhm und Ehre würden danach groß sein. Und je häufiger Expeditionen bei diesem Vorhaben scheiterten, umso größer wurde der Reiz, es wieder und wieder zu versuchen. Die Franzosen Louis Lachenal und Maurice Herzog hatten bereits 1950 an der Annapurna bewiesen, dass es möglich ist, unbeschadet in große Höhen vorzudringen und vor allem auch wieder ins Tal zurückzukehren. Am 29. Mai 1953 schafften es schließlich der Neuseeländer Edmund Hillary und der nepalische Sherpa Tenzing Norgay auf den Gipfel des Everest. Rund sechs Wochen später knackte der Tiroler Hermann Buhl den Nanga Parbat. Und am 31. Juli 1954, nur vierzehn Monate nach der Erstbesteigung des Everest, gelang den Italienern Achille Compagnoni und Lino Lacedelli der so viel steilere K2. Die Vergleichbarkeit dieser Leistungen war damals natürlich noch viel schwieriger als heute, wo man über die beiden höchsten Berge der Welt längst so gut wie alles weiß. Nur eines war schon damals vollkommen klar: Die Besteigung des K2 war ganz sicher die weit größere bergsteigerische Leistung. Und sie ist es bis heute geblieben.

Am Everest tummeln sich die Massen. Tausend Menschen im Basislager auf der nepalischen Seite des Berges sind in der Hochsaison mittlerweile keine Seltenheit mehr. Am K2 ist es hingegen auch fast sechzig Jahre nach der Erstbesteigung immer noch recht einsam. Wenn sich dort dreißig, vierzig ernst zu nehmende Anwärter mit ihren Teams versammeln, sind es viele. Hundert sind schon eher die Ausnahme. Am Everest, auf den beiden Normalanstiegen von Nepal und von Tibet aus, lauern viele Bergtouristen auf ihre kleine Chance in einem ebenso kleinen Zeitfenster, das die Wettersituation zwischen Mitte und Ende Mai bietet. Sie können ihren Ausflug in die dünne Luft nahe der Stratosphäre praktisch im Katalog buchen. Bergführer und einheimische Sherpa geleiten sie dann so weit hinauf, wie es eben geht. Mit kilometerlangen Fixseilen wird der Everest praktisch in Ketten gelegt. Dort klinkt man sich ein, und der gesicherte Aufstieg beginnt. Dennoch endet längst nicht jeder Versuch am Gipfel. Die Zahl derer, die an ihrem eigenen Ehrgeiz, zu geringem Können und folglich auch am Everest scheitern, übersteigt noch immer bei Weitem die Quote der Erfolgreichen. Der Mount Everest ist zwar 237 Meter höher als der K2, was jenseits von 8000 Metern über dem Meeresspiegel enorm viel ist. Doch die vielen Seile und Aluminiumleitern, vor allem aber der Flaschensauerstoff, den weit über neunzig Prozent aller Aspiranten verwenden, machen den Everest »kleiner«, als er in Wirklichkeit ist. Die Verwendung von zusätzlichem Sauerstoff aus der Flasche erhöht die Leistungsfähigkeit des Körpers, die enorme Kälte wird nicht mehr ganz so extrem empfunden, und die Bergsteiger sind sich – obwohl man bei intensiver Beobachtung oft nicht unbedingt den Eindruck hat – ihrer selbst wohl eher bewusst. Offenbar ist es möglich, mit einer höheren Sauerstoffsättigung des Blutes die eigene Wahrnehmung zu stärken und die Befindlichkeit besser einzuschätzen. Natürlich ist die Besteigung des höchsten Punktes der Erde kein Spaziergang, aber mit all den Hilfsmitteln wird sie deutlich einfacher als ohne.

Der K2 hingegen ist ein Berg für Bergsteiger. Dort kommt man nicht sehr weit, wenn man nicht wirklich ganz genau weiß, was man tut. Und auch, was man besser lässt. Wer in großen Höhen nicht klettern kann, hebt dort kaum vom Boden ab. Vom Basislager in etwa 5200 Meter Höhe aus sind über 3400 schwere Aufstiegsmeter zu bewältigen. Flaschensauerstoff ist am K2 inzwischen eher verpönt, auch wenn er immer wieder von den Bergsteigern verwendet wird. Das Verlegen von Fixseilen beschränkt sich auf die Passagen, in denen es wirklich Sinn macht und notwendig erscheint. Es hat Zeiten gegeben, wie beispielsweise zwischen 1997 und 2000, da wurde der K2 fast 36 Monate lang nicht ein einziges Mal bestiegen. Am Everest dagegen sind 300 und mehr Besteigungen in einem Frühling durchaus normal. Es gab sogar Jahre, da standen binnen weniger Tage einer Vormonsun-Saison doppelt so viele Bergsteiger auf dem Gipfel des Everest, wie der K2 für seine gesamte Besteigungsgeschichte verzeichnet. Allein im Frühjahr 2007 waren mehr als 600 Menschen auf dem Everest-Gipfel. Nur ein paar mehr als 300 Bergsteiger waren indes bis heute auf dem kleinen Plateau der eindrucksvollen K2-Pyramide. Die Everest-Statistik weist hingegen weit über 15 000 Besteigungsversuche und mehr als 5000 Bergsteiger aus, die den Gipfel schließlich erreicht haben. Sie alle hatten im Vergleich zu einer Besteigung des K2 einen unschätzbaren Vorteil. Am Everest konnten sie immer wieder längere und lange Passagen in einem gleichmäßigen und damit viel weniger kraftraubenden Rhythmus gehen. Am K2 gibt es praktisch keine eintönigen Passagen, nicht viel Gehgelände, in dem man in eine monotone Schrittfolge und damit in einen gewissen Rhythmus kommen könnte. Das macht eine K2-Besteigung zwar auf eindrucksvolle Weise abwechslungsreich, aber auch überaus kraftraubend.

Meine ganz persönliche Geschichte am K2 begann 1994 und dauerte acht Jahre. Bevor ich zum letzten Mal den Rucksack packte und schließlich den Gipfel zu einem Zeitpunkt erreichte, da ich eigentlich am wenigsten damit rechnete, erlebte ich an diesem Berg erstaunliche, ernüchternde, tragische und kuriose Begebenheiten. So gesehen war es vielleicht ganz gut, dass es so lange dauerte, bis ich endlich oben stand. Denn mit jedem Jahr, das mich der K2 länger beschäftigte, wuchsen meine Spannung, mein Interesse und natürlich auch mein Wissen um den Berg der Berge. Zu den Kuriositäten gehörte, dass ich 1994 und auch 1998 bereits eine Genehmigung für die Besteigung hatte und in beiden Jahren dennoch nicht einmal auch nur in die Nähe des K2 gelangte. 1994 hatten mir die pakistanischen Behörden die Genehmigung kurzfristig wieder entzogen, weil sie herausfanden, dass ihre Vorschriften es nicht erlaubten, dass ein Bergsteiger innerhalb einer Saison an zwei verschiedenen Achttausendern von einer Expeditionsgruppe in eine andere wechselt. Ich hatte vorgehabt, zum Akklimatisieren den Broad Peak zu besteigen und dann an den benachbarten K2 zu wechseln. Vom Gipfel des Broad Peak blickte ich dann jedoch sehnsüchtig hinüber zum K2-Gipfel. Nur durch den Godwin-Austen-Gletscher getrennt und kaum vier Kilometer Luftlinie entfernt, lag mein viel größeres und wichtigeres Ziel zum Greifen nah und doch unerreichbar weit. Es war eine bittere Erfahrung, den einen Punkt erreicht zu haben und zum nächsten nicht hinzukönnen. Die bürokratische Hürde der Behörden in Islamabad erwies sich als so unüberwindlich wie ein Fluss für einen Nichtschwimmer.

Vier Jahre später, 1998, hatte ich wieder eine Genehmigung für den K2 in der Tasche. Doch bevor ich Mitte Juni dorthin reisen wollte, bestieg ich zunächst zusammen mit meinem Südtiroler Bergführerkollegen Konrad Auer den Kangchendzönga, einen riesigen Eisberg im Osten Nepals und mit 8586 Metern der dritthöchste der vierzehn Achttausender. Dummheit, Unachtsamkeit, ein Missgeschick – man mag es nennen, wie man will, jedenfalls hatte ich im letzten Hochlager nachts die Schuhe ausgezogen. Den Reißverschluss des Zelteingangs mussten wir trotz grimmiger Kälte und eisigem Wind ein Stück offen lassen, damit wir ausreichend frischen Sauerstoff erhielten. Doch in der Nacht rutschten meine Innenschuhe aus dem Schlafsack, und feiner Schneestaub wurde in sie hineingeweht. Diesen Schnee brachte ich vor unserem Aufbruch in Richtung Gipfel nicht vollständig aus den Schuhen heraus. Den gesamten folgenden Tag hatte ich ständig kalte Füße. Ich schob das zunächst auf einen vielleicht zu leichten, vielleicht aber auch zu fest geschlossenen Plastiküberschuh, den ich für eine geplante Skiabfahrt benötigte, und maß meinen kalten Füßen anfangs keine allzu große Bedeutung bei. Erst als ich ins Basislager zurückgekehrt war, wurde mir klar, dass ich Erfrierungen an den Zehen erlitten hatte, weil wegen meiner Nachlässigkeit die Blutzirkulation über Stunden eingeschränkt gewesen war. Statt am K2 landete ich im Krankenhaus und konnte ein paar Wochen später von Glück sagen, dass ich nicht ein paar meiner Zehen verloren hatte.

Es dauerte fast genau ein Jahr, bis ich mich traute, meine langsam heilenden Füße wieder voll zu belasten und in einen festen, steigeisentauglichen Bergschuh zu schlüpfen. Als ich schließlich im Frühsommer 1999 wieder zum asiatischen Kontinent aufbrach, war die Haut über den Erfrierungen noch immer eher dünn und besonders bei Witterungsumschwüngen recht empfindlich. Der Muztagh Ata, ein 7509 Meter hoher, mäßig steiler Berg auf der chinesischen Seite des Pamir-Gebirges, bot mir die Möglichkeit für einen Härtetest. Dort stieg ich mit den Mitgliedern einer Skiexpedition, die ich über meine Alpinschule organisiert hatte, auf den Gipfel und fuhr auf den Brettern wieder in Richtung Basislager zurück. Ich konnte sowohl die Kälte als auch die Belastung der Zehen gut aushalten und reiste voller Zuversicht weiter nach Pakistan. Dort hatten, während ich am Muztagh Ata unterwegs gewesen war, mein bewährter Partner Konrad Auer, unser Kameramann Hartmann Seeber, mein Koautor Walther Lücker und der TV-Journalist Bernd Welz am Fuß des K2 auf dem Godwin-Austen-Gletscher ein Basislager errichtet. Kurz bevor ich zu den Freunden stieß, hatten sie den Weg durch einen wild zerklüfteten Gletscherbruch bis zu einem vorgeschobenen Depot am Fuß des Abruzzengrates erkundet, über den der sogenannte Normalweg in Richtung Gipfel führt. Doch was ist am K2 schon normal? Eigentlich nichts. Wir waren noch nicht sehr lange am Fuß des Berges und hatten dennoch bereits ein paar vielversprechende Akklimatisierungsaufstiege absolviert, als der rumänische Bergsteiger Michai Cioroianu am 10. Juli 1999 bei einer Rast im Aufstieg am Abruzzensporn von einem Stein schwer am Rücken getroffen wurde und kaum drei Stunden später an der Unfallstelle seinen schweren inneren Verletzungen erlag. Konrad Auer und ich befanden uns zu diesem Zeitpunkt oberhalb von Lager II in etwa 7000 Metern, als wir von dieser Tragödie erfuhren. Wir waren zu weit weg, um noch etwas tun zu können. Doch als wir über Funk aus dem Basislager vom Tod des Rumänen erfuhren, stellten wir sogleich all unsere Versuche, noch weiter nach oben vorzudringen, ein und begannen rasch mit dem Abstieg. Auf dem Weg nach unten holten wir ein Bergungsteam ein, in dem sich neben meinen italienischen Bergführerkollegen Oskar Piazza und Angelo Giovanetti auch der Arzt und Expeditionsleiter Manuel Lugli sowie der Bergsteiger Jay Sieger aus Alaska befanden. Gemeinsam trugen wir nun den Leichnam Cioroianus hinunter bis zu dem vorgeschobenen Depotplatz am Fuß der Einstiegsflanke am Abruzzensporn. Dort wurde der Rumäne in einem steinernen Grab beigesetzt. In den Tagen danach breitete sich eine düstere, alles lähmende Stimmung über dem Basislager aus. Die internationale Expedition beschloss, keinen weiteren Besteigungsversuch mehr zu unternehmen. Rat- und tatenlos saßen die Mitglieder im Basislager, verständlicherweise überwältigt von ihrer Trauer. Wir warteten ein paar Tage, und weil uns allen bewusst war, dass es niemandem half, wenn wir weiter am Fuß des Berges herumsaßen, begannen wir wieder hinaufzusteigen. Das war keineswegs pietätlos oder geringschätzig, sondern ist oft die einzige Möglichkeit, nicht vollends in Tristesse zu versinken. Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, dass es das Beste ist, weiterzugehen und so über den Verlust selbst von sehr engen Kletterpartnern hinwegzukommen. Michai Cioroianu hatte ich zwar kaum gekannt, aber er war ein interessanter und sympathischer Mann, dessen Tod uns alle stark berührte. Und als wir am K2 unsere Bemühungen fortsetzten, taten wir es ein bisschen auch für ihn.

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