1,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 1,99 €
**Lass deine Feinde niemals in dein Herz blicken…** Anna hat geschworen, sich niemals wieder zu verlieben. Dieses Vorhaben gerät ins Wanken, als der gut aussehende Marco in ihr Leben tritt. Sein verwegener Blick und die türkisgrünen Augen beginnen eine Barriere in ihr zu lösen. Doch nicht nur das: Plötzlich kann sie in eine ihr völlig fremde, magische Welt blicken. Hier ist sie die verloren geglaubte Prinzessin Lunaja und soll den skrupellosen König vom Thron stürzen. Nie hätte Anna gedacht, dass ihr die Feinde der anderen Welt auch in ihrer eigenen bereits gefährlich nah sind – oder es kein Zufall sein könnte, dass Marco nicht mehr von ihrer Seite weicht… Tauch ein in Alexandra Carols fantastische Welt und entdecke ein Land, das erfüllt ist von dunkler Magie und reiner Liebe! Einmal angefangen, kannst du dich dem Sog dieser spannungsgeladenen und gefühlvollen Geschichte nicht mehr entziehen. //Alle Bände der magischen Fantasy-Reihe »Shadow of Light«: -- Shadow of Light: Lunajas Gabe (die kostenlose Vorgeschichte) -- Shadow of Light 1: Verschollene Prinzessin -- Shadow of Light 2: Königliche Bedrohung -- Shadow of Light 3: Gefährliche Krone//
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Alexandra Carol
Shadow of Light 1: Verschollene Prinzessin
**Lass deine Feinde niemals in dein Herz blicken …**Anna hat geschworen, sich niemals wieder zu verlieben. Dieses Vorhaben gerät ins Wanken, als der gut aussehende Marco in ihr Leben tritt. Sein verwegener Blick und die türkisgrünen Augen beginnen eine Barriere in ihr zu lösen. Doch nicht nur das: Plötzlich kann sie in eine ihr völlig fremde, magische Welt blicken. Hier ist sie die verloren geglaubte Prinzessin Lunaja und soll den skrupellosen König vom Thron stürzen. Nie hätte Anna gedacht, dass ihr die Feinde der anderen Welt auch in ihrer eigenen bereits gefährlich nah sind – oder es kein Zufall sein könnte, dass Marco nicht mehr von ihrer Seite weicht …
Buch lesen
Vita
Das könnte dir auch gefallen
© Nadine Malzkorn
Alexandra Carol lebt mit ihrer Familie (dazu gehören auch die Vierbeiner) in einer kleinen Gemeinde im Sauerland. Schon seit der Schulzeit ist die Leidenschaft zur Schreiberei stets ein Teil von ihr gewesen, auch wenn es lange Zeit nur bei dem Traum vom Autorendasein blieb. Die Geschichten, die sie gern mit ihren Lesern teilen möchte, handeln von Romantik und der großen Liebe.
Anna
Ich blinzelte unter der Bettdecke hervor, während mein Wecker sein übliches monotones Piepen von sich gab. Am liebsten hätte ich das Ding an die Wand geworfen und nur, weil es sich dabei um mein Smartphone handelte, sah ich von solchen Maßnahmen ab. Schlaftrunken streckte ich den Arm aus, ertastete das Gerät blind und schaffte es, mit nur einem geöffneten Auge die Sleep-Funktion einzuschalten. Doch just in dem Moment, da es im Raum wieder still war, hörte ich bereits Mamas Schritte auf der Treppe im Flur. Nun war ich drauf und dran mir das Kissen über den Kopf zu ziehen, denn gleich würde sie die Tür zu meinem Zimmer aufreißen und mir ein fröhliches »Guten Morgen, mein Schatz!« entgegenzwitschern.
Sie war völlig anders als ich. Sie redete gern, war am frühen Morgen gut gelaunt, zu jedem stets freundlich, aufgeschlossen und vor allen Dingen war sie unglaublich selbstbewusst. Letzteres sah man schon an ihrer Kleidung – farbenfroh und chic. Dass ich tatsächlich ihre Tochter war, erkannte man trotzdem auf den ersten Blick. Ich war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Das Einzige, was ich von meinem Vater geerbt hatte, war die Farbe meiner Augen. Dunkelgrün. Aber da hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf, denn all das, was meine Mutter mir von ihm erzählt hatte, traf auf mich definitiv nicht zu.
Vorsorglich zog ich die Bettdecke höher. Was natürlich gar nichts nützte. Im selben Moment flog die Tür auf.
»Guten Morgen, Annabell, höchste Zeit aufzustehen!«
Für sie war es höchste Zeit, ich hatte noch jede Menge davon, wenn man es genau nahm. Doch wie an jedem Morgen tat ich ihr den Gefallen und quälte mich mühsam aus dem Bett. Ohne ein Wort ging ich an ihr vorbei, küsste sie wie immer flüchtig auf die Wange und verschwand im Bad.
Nach einer kurzen Dusche zog ich mich an und machte mich auf den Weg nach unten. Mama stand vor dem Garderobenspiegel und zupfte ihr kurzes Haar mit etwas Gel zurecht, folgte mir aber bald darauf in die Küche, wo sie das Frühstück schon auf unserem kleinen Tisch zubereitet hatte. Hoffentlich war der Kaffee in den Tassen nicht schon kalt.
»Hast du deinen Neoprenanzug herausgesucht?«, fragte sie.
Ihrem fürsorglichen Blick wich ich aus und nippte an meinem Heißgetränk, das tatsächlich nicht mehr wirklich eins war. »Mache ich nachher.«
»Sollte er nicht mehr passen, müssen wir noch einen neuen besorgen. Um diese Jahreszeit ist das Wetter an der See meistens schon ziemlich gut, aber du wirst ihn trotzdem brauchen.«
Mit zusammengeschobenen Augenbrauen blickte ich neben mir aus dem Fenster. Die Büsche draußen zwischen den Parkbuchten hielten nur mühsam dem strengen Wind stand. Das Wasser lief in Rinnsalen die Straße hinunter. Ja, das Wetter würde sicher toll!
»Er passt bestimmt noch«, antwortete ich trotz allem ohne jeglichen Widerspruch. Für sarkastische Bemerkungen war es einfach noch zu früh.
Mama verdrehte die Augen, dann stand sie auf. »Föhn dir die Haare«, rief sie mir auf dem Weg in den Flur noch zu. »Und heute Nachmittag probierst du das Ding an.«
Wie immer hatte sie es nun irre eilig, zur Arbeit zu kommen, und ich noch mindestens eine Viertelstunde Zeit, um endlich wach zu werden.
***
Nicht mal eine Stunde später ging ich über den Parkplatz, der direkt an den Pausenhof meiner Schule grenzte. Ein paar Autos standen schon hier, aber von Schülern war weit und breit noch nichts zu sehen. Wieso war mein Bus eigentlich immer so überpünktlich? Man konnte fast den Eindruck bekommen, ich sei eine Streberin, weil ich stets als eine der Ersten auf dem Schulgelände ankam.
Ich rückte die Stöpsel in meinen Ohren zurecht, schaltete die Musik eine Idee lauter und hoffte inständig, die Türen zum Schulgebäude stünden schon offen. Bei dieser Windstärke hatte ich wenig Lust, lange draußen rumzustehen. Angewidert blickte ich nach oben. Die Wolken zogen tief und dunkel über mich hinweg, aber wenigstens hatte der Regen etwas nachgelassen. Dennoch ging ich gleich noch einen Schritt schneller … und stolperte prompt über meine eigenen Füße. Die Schleife an einem meiner Sneaker war aufgegangen und ich war geradewegs in einer matschigen Pfütze gelandet. Die braune Brühe spritzte fast bis zu meinen Knien.
»Verflucht!«, zischte ich wütend. Heute war absolut nicht mein Tag. Neben einem der parkenden Autos ging ich in die Knie, befreite den Schnürsenkel vom gröbsten Schmutz und band den Schuh wieder zu. Dann kramte ich ein Taschentuch hervor, um wenigstens die bis vorhin noch weißen Schuhe von den Schlammspritzern zu befreien. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen, wie ich schnell feststellen musste.
Das nächste Lied in der Playlist begann. Eine fürchterliche Schnulze. Luisa hatte es mir draufgeladen, doch ich fand es schrecklich. Also zog ich mein Smartphone aus der Tasche und machte die Musik aus.
Genau in diesem Augenblick hörte ich irgendwo neben mir eine Autotür ins Schloss fallen. »So weit sind wir noch gar nicht«, ertönte daraufhin eine tiefe männliche Stimme. »Sobald ich sie gefunden habe, ist sie tot, da kannst du sicher sein.« Den letzten Satz sprach er wesentlich leiser, aber nicht weniger wütend aus.
Ich runzelte die Stirn. Klar, solche Sprüche kannte ich. Wer sagte das nicht schon mal, wenn er stinksauer auf jemanden war? Luisa zum Beispiel versprach das dauernd: »Wenn sie die gleichen Schuhe wie ich beim Abschlussball trägt, ist sie tot!« Damit meinte sie ein Mädchen aus unserer Klasse, das in die gleiche Tanzschule ging wie sie.
Ich grinste. Klar, auch Jungs hatten so ihre Streitigkeiten.
»Ich muss jetzt in die Schule, lass uns später darüber reden«, verabschiedete sich der Unbekannte. Eine bemerkenswert angenehme Stimme und sie klang längst nicht mehr so wütend wie noch gerade eben.
Natürlich wollte ich nicht, dass irgendjemand dachte, ich hätte ein Gespräch belauscht, das nicht für meine Ohren bestimmt war. Weshalb ich nun drauf und dran war, noch eine Weile hier in Deckung zu bleiben. Andererseits war ich neugierig. Eine Eigenschaft, die nicht immer hilfreich war. Sturheit übrigens auch nicht. Aber, hey, ich durfte hier sein. Jeder musste zu dieser Zeit damit rechnen, dass noch andere Schüler oder Lehrer in der Nähe waren. Außerdem war es nicht besonders bequem, hier herumzuhocken. Kurzerhand stand ich auf und … blickte geradewegs in das Gesicht von Marco Sander, der noch an seinem Sportwagen lehnte und sein Handy gerade in der Jackentasche verschwinden ließ.
Bisher hatte ich immer den Eindruck gehabt, er würdigte niemanden eines Blickes – außer einiger Auserwählter, die sich in seinem Dunstkreis aufhalten durften. Aber hier und jetzt starrte er mich fassungslos an, als wäre ein Geist aufgetaucht oder irgendetwas anderes Schreckliches. Es war, als wäre von einer Sekunde zur anderen jegliche Farbe aus seinem perfekten Gesicht gewischt worden. Doch diese Verunsicherung währte höchstens eine Sekunde lang, dann kam er mit einigen schnellen Schritten zu mir.
Gerade genug Zeit für mich, die Musik an meinem Handy wieder einzuschalten, und zwar so, dass er nichts davon mitbekam. Denn auch wenn mir schon ein lockerer Spruch zum Thema seines Telefonates auf der Zunge brannte, ahnte ich, dass genau das momentan sein Problem war. Er sah aus, als würde er mir gleich den Hals umdrehen wollen, und ich stand einfach nur wie angewurzelt da und starrte ihn an – wie ein vom Lichtkegel erfasstes Kaninchen, kurz bevor es überfahren wurde.
Etwa einen halben Meter vor mir blieb er abrupt stehen. Sofort fiel die Anspannung von ihm ab. Er sagte etwas. Doch die Musik in meinen Ohren war zu laut, um ihn noch verstehen zu können.
Aus der Ferne hatte ich ihn schon öfter bewundert, so wie wahrscheinlich jedes weibliche Wesen, das ihn erblickte. Aber jetzt verwirrten mich seine wahnsinnig hellen türkisfarbenen Augen so sehr, dass ich nicht mal auf die Idee kam, das Headset abzunehmen.
Er deutete mit den Fingern auf seine Ohren, was mich endlich dazu brachte, den Blick von ihm zu lösen und die Stöpsel herauszunehmen.
»Du hörst Musik?«, fragte er. »Die ganze Zeit schon?«
Ich nickte. Dieses Gesicht war wirklich überirdisch schön. Trotzdem. Gerade dachte ich noch, es wäre ihm lieber, wenn ich sein Gespräch nicht mit angehört hätte, und nun stellte er eine solche Frage? »Hast du irgendein Problem damit?«
Für einen winzigen Moment wurde sein Blick wieder kälter. »Gewissermaßen schon«, gab er dann völlig gelassen zurück. »Wenn du die Musik zu laut machst, überhörst du die Autos um dich herum. Immerhin bist du hier auf einem Parkplatz und solltest dich im Straßenverkehr verantwortungsvoller benehmen.«
Hielt er mir ernsthaft einen Vortrag über Verkehrssicherheit? Das war doch wohl nicht sein Ernst. So was hatte ich gerade noch gebraucht an diesem bescheuerten Morgen.
Ich neigte den Kopf ein Stück zur Seite, ehe meine Antwort entsprechend trotzig ausfiel. »Danke für die Aufklärung. Ich werde es mir merken.« Damit wandte ich mich ab und ging schnurstracks an ihm vorbei auf das Schulgebäude zu.
Zum Glück öffnete der Hausmeister gerade die Eingangstüren, sodass ich sofort eintreten konnte. Anstatt auf direktem Wege in die Klasse zu gehen, marschierte ich zu den Toiletten, damit ich mir endlich die schmutzigen Hände waschen konnte. Das tat ich und versuchte anschließend mit den Papiertüchern den Matsch von meiner Hose zu entfernen. Keine Chance, mit dieser Aktion gelang es mir nur, aus kleinen Spritzern große zu machen. Ich gab es auf. Außerdem war es schon fast acht und wenn ich mich nicht beeilte, würde ich nun auch noch zu spät zum Unterricht kommen. Wir hatten Mathe bei Herrn Heinrich. Mit dem war nicht zu spaßen.
Ich schnappte meine Tasche und verließ den sanitären Bereich. Gegenüber stand die Tür des Hauswirtschaftsraums weit offen, und davor lümmelten einige Halbstarke herum. Vermutlich achte oder neunte Klasse. Auf dem Weg zur Treppe kam mir ein Junge mit starken Brillengläsern entgegen. Als er die Bande sah, senkte er den Kopf und griff die Tüte, die er in der Hand hielt, fester. Es sah so aus, als fürchtete er, man könnte sie ihm stehlen. Und damit lag er wohl gar nicht so falsch.
Keine Ahnung, wieso ich mich noch einmal umdrehte, bevor ich die Stufen nach oben ging, vielleicht war es das ungute Gefühl, was ich beim Anblick des Jungen gehabt hatte. Zu Recht, wie sich herausstellte, denn kaum hatte er den Hauswirtschaftsraum erreicht, traten ihm vier der anderen entgegen.
»Was hast du denn da drin?«, fragte einer und deutete auf die Tüte.
»Das ist Joghurt«, antwortete der Brillenträger und senkte den Blick.
»Ach ja? Zeig mal«, forderte einer der anderen und streckte den Arm aus.
Der Junge wich einige Schritte zurück und hielt den Beutel hinter sich. »Frau Kessler hat mir aufgetragen, ihn für den Unterricht einzukaufen«, wehrte er sich nun.
Ich ahnte schon, was jetzt passierte. Der größte der Kerle ging zu ihm und fasste um ihn herum. Einen Zipfel Plastik erwischte er und zog daran. »Los, zeig schon.«
Das reichte. »Lass ihn in Ruhe!«, rief ich, rannte hin, ergriff den Arm des Jungen und versuchte ihn wegzuziehen. Dummerweise ließ er den Beutel nicht los, was nichts anderes zur Folge hatte, als dass das dünne Material zerriss und die Gläser hinausfielen. Sie gingen scheppernd zu Boden und zerplatzten in tausend Splitter. Der Joghurt spritzte in alle Richtungen und als der Gong ertönte, kam auch die Hauswirtschaftslehrerin.
»Was ist denn hier passiert?«
Die Jungen redeten drauflos und ich konnte nicht fassen, dass sie allesamt auf mich zeigten, als wäre ich die Übeltäterin gewesen. Na toll.
»Ihr habt den Kleinen doch angegriffen!«, wehrte ich mich lautstark, wurde jedoch übertönt.
»So, nun der Reihe nach. Torben? Was ist passiert?«
Der Junge sah von einem zum anderen und ich wusste bereits jetzt, er würde lügen, allein aus Angst vor seinen durchgeknallten Mitschülern.
Langsam, aber sicher wurde ich wütend.
»Sie wollte nur helfen«, ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir. Eine tiefe, angenehme und sehr sachliche Stimme. Nicht nur mein Blick richtete sich nach oben zu der Person, die für mich Partei ergriffen hatte. Marco Sander stand auf der ersten Stufe und sah auf uns herab. Irgendwie wirkte das majestätisch.
»Du hast gesehen, wie das hier passiert ist?«, fragte Frau Kessler.
»Ich habe gesehen, wie es zum Streit kam«, bestätigte er.
»Also gut. Danke für deinen Einsatz, Anna. Und nun solltest du dich beeilen in deine Klasse zu kommen.«
Warum ermahnte sie nur mich und nicht Marco? Er würde nun schließlich auch zu spät zum Unterricht erscheinen.
»Wir sehen uns ja dann spätestens am Samstag«, fügte sie noch an und erinnerte mich damit an diesen blöden Surfkurs, der mir bevorstand.
Mürrisch strebte ich zur Treppe und ging an Marco vorbei. Roch er etwa nach Zigarettenqualm?
»Wieso hast du mir nicht geholfen, wenn du alles gesehen hast?«, fragte ich, als er zu mir aufschloss.
»Ich habe es nicht gesehen.«
»Und wieso hast du es dann behauptet?«
»Weil ich weiß, dass du nur helfen wolltest. Ich kenne die Bande. Habe sie schon mal dabei beobachtet, wie sie einem anderen das Handy abnehmen wollten.«
»Was? Willst du damit sagen, sie erpressen ihre Mitschüler?«
»Jetzt nicht mehr.« Marco grinste halb, zwinkerte mir zu, dann ging er die Stufen schneller nach oben, bog um die nächste Ecke – und weg war er.
Der Gong zur ersten Stunde erinnerte mich lautstark daran, dass ich es nun ebenfalls eilig hatte. Ich rannte los und schaffte es gerade noch, das Klassenzimmer zu erreichen und mich auf meinen Platz zu setzen, bevor Herr Heinrich den Raum betrat. Er schloss die Tür hinter sich und begann mit dem Unterricht. Nun … nicht bevor er noch ein paar Worte zu der dämlichen Ostseefahrt gesagt hatte. Das schien ja neuerdings Thema Nummer eins zu sein. Wieso fuhren eigentlich ausgerechnet unsere Lehrer mit? Gab es in diesem gottverdammten Nest denn nicht genügend Ehrenamtliche, die als Betreuer für so was infrage kamen? Die Aussicht auf ein paar nette freie Tage mit viel frischer Luft – so, wie unser Mathelehrer es nannte – würde durch seine Anwesenheit garantiert auch nicht besser.
»Wo warst du denn?«, flüsterte Luisa neben mir.
»Auf dem Klo.« Ich hob ein Bein an, um ihr mein Missgeschick zu zeigen.
Sie rümpfte die Nase, doch ehe sie etwas erwidern konnte, wurden wir von Herrn Heinrich unterbrochen. Luisas Inquisition würde folgen, sobald die Stunde um wäre.
Und so war es auch. Beinahe wenigstens.
Kaum war der Gong ertönt, stand sie auf und setzte sich vor mich auf den Schreibtisch. Bevor sie anfangen konnte, legte ihr Sabrina jedoch die Hand auf die Schulter.
»Jetzt sag schon! Wusstest du, dass Sven Lorenz mit von der Partie sein wird?«
Offenbar ging es da um ein Thema, das ich vor der Stunde nicht mitbekommen hatte. Allerdings ahnte ich, worüber sie sprach. Der Surfkurs! Genervt lehnte ich mich im Stuhl zurück und verschränkte die Arme. Nicht nur meine Mutter war ganz aus dem Häuschen deswegen, meine Freundinnen auch. Keine zwei Sekunden später belagerte auch Marie unseren Tisch. Die drei plapperten wie wild durcheinander, was mir momentan ganz recht war. Sabrina und Marie lenkten meine beste Freundin davon ab, mich zu löchern. Trotzdem konnte ich dem Gespräch absolut nichts abgewinnen. Wer hatte eigentlich den dummen Einfall gehabt, uns vier in den ersten fünf Tagen der Osterferien an die Ostsee zu schicken? Ich wusste es nicht mal so genau. Nur dass Mama die Idee super fand. Erstens meinte sie, die frische Seeluft sei gesund, zweitens war die Reise sehr preiswert, weil sie von einer kirchlichen Organisation und der Schule gemeinsam angeboten wurde.
Ich konnte es Luisa natürlich nicht verdenken, dass sie sich mit Marie und Sabrina zusammentat, um über die Klamotten zu reden, die sie mitnehmen wollten – oder die Gegebenheiten vor Ort, wie zum Beispiel Klubs und Geschäfte. Mir war das Ganze furchtbar egal.
Ich hatte mich nach vorn über den Tisch gebeugt, die Arme nutzte ich als Kopfkissen, was nicht besonders bequem war. Sabrinas Schwärmereien entgingen mir dabei leider nicht. »Ich habe gehört, dass sogar Marco Sander mitfahren wird. Ist das nicht der Hammer?«
Das war nicht der Hammer, das war merkwürdig. Marco und auch Sven hätten sich nämlich ganz locker eine Reise auf die Malediven leisten können. Ja, nicht nur Marco Sander, sondern auch sein Dunstkreis gehörten zur absoluten Elite der Schule. Was würden wir nur ohne sie anfangen, wenn sie im nächsten Halbjahr nicht mehr an dieser Schule wären? Zumal Marcos Vater den Abiball sponserte und sich der Eintrittspreis dadurch nicht wie in jedem Jahr auf rund dreißig Euro, sondern nur auf zehn belaufen würde.
»Er ist einfach … göttlich«, seufzte Sabrina.
»Ja, das ist er«, pflichtete Marie ihr bei. »Und genau deswegen wird sich nichts ändern. Für Mädchen dieser Schule hat er noch nie auch nur einen Blick übriggehabt.«
O doch, hatte er, und zwar einen, der töten konnte. Ich dachte daran, wie er mich auf dem Parkplatz angesehen hatte, und erschauderte.
»Stimmt«, pflichtete Luisa ihr bei. »Der Kerl ist absolut nicht von dieser Welt.«
Wenn es um Sicherheit im Straßenverkehr ging, war er sehr wohl von dieser Welt. Ich schnaubte leise, weil mir einfiel, wie gut er sich in Sachen Verkehrserziehung auskannte. Und das war garantiert nicht der einzige Verkehr, in dem er bestens bewandert war. Marie hatte recht, mit Mädchen wie uns gab sich Marco Sander nicht ab. Seine Freundinnen waren stets mindestens ein bis zwei Jahre älter als wir und sahen außerdem unglaublich gut aus. Passend zu Marco, denn ganz nebenbei wirkte auch er immer so, als wäre er einem Modekatalog entsprungen – in den lässigen, gewollt unauffälligen Outfits, die garantiert allesamt unerschwinglich waren. Nun, zumindest für mich.
Wieso musste ich eigentlich ausgerechnet ihm am frühen Morgen mit völlig verdreckten Schuhen und Hosen über den Weg laufen und mir auch noch unnötigerweise so einen Mist über Verantwortung im Straßenverkehr anhören?
Oh! Klar! Weil er ein Streber war. Überpünktlich! Und so erwachsen! In der Zwölften war er Jahrgangsbester gewesen, das wusste jeder. Vielleicht hatte er ja deshalb vorhin den Aufpasser gemimt und mir geholfen.
Sollte ich den anderen davon erzählen, was heute Morgen passiert war? Nein, bloß nicht, ermahnte ich mich. Sie würden ein riesen Theater daraus machen.
»Was!?«, riss Luisa mich aus meinen Gedanken und ließ mich zusammenzucken. Irgendetwas in meinem Gesicht musste sie dazu gebracht haben, mich argwöhnisch zu betrachten. »Du siehst aus, als wärst du anderer Meinung.«
Wer? Ich? Niemals!
»Sag jetzt nichts Falsches!«, warnte sie mich.
Hatte ich vorgehabt irgendetwas zu sagen? Nope! Mit abwehrender Geste erhob ich mich aus meiner Beinahe-Schlaf-Stellung und runzelte die Stirn.
»Sag jetzt bloß nicht, du findest ihn nicht toll. Jede Frau steht auf ihn.«
Das schien ja ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, denn die anderen Mädels nickten einträchtig.
»Deswegen ist er aber kein Gott, den man aus der Ferne anhimmeln muss«, schoss es mir über die Lippen, ehe ich es verhindern konnte. Und weil ich schon ahnte etwas sehr, sehr Falsches gesagt zu haben, verschränkte ich vorsichtshalber schützend die Arme vor der Brust.
Was mir nichts nützte.
»Du denkst also, du hättest eine Chance bei ihm?«, mischte Marie sich nun ein, kam näher und beugte sich über den Tisch zu mir vor. Ihre kinnlangen schwarzen Locken wippten dabei. Dass sie sich ganz offensichtlich über mich lustig machte, musste wohl nicht näher erläutert werden.
»Der Typ interessiert mich überhaupt nicht«, verkündete ich so gelassen wie möglich.
»Und wenn doch, würde es auch nichts ändern«, gab Marie grinsend zurück und richtete sich wieder auf. »Marco Sander spielt in einer ganz anderen Liga.«
Sie sprach mir aus der Seele. Doch leider konnte ich nichts dagegen unternehmen, dass mir ihre dummen Sprüche sauer aufstießen. »Und wenn schon«, konterte ich, dickköpfig, wie ich war.
Sie lachte kurz auf, dann war sie wieder ernst. »Okay, dann lass uns wetten«, forderte sie zynisch.
»Meinetwegen«, gab ich im gleichen Tonfall zurück. »Ich habe ihn geküsst, noch ehe der vierte Tag der Reise vorbei ist. Falls er überhaupt tatsächlich dabei sein sollte!« Vorstellen konnte ich es mir nicht wirklich.
Marie streckte mir sofort die rechte Hand entgegen. »Die Wette gilt«, meinte sie und ich schlug auch noch prompt ein.
Luisa und Sabrina lachten und klatschten Beifall.
Die Lehrerin betrat die Klasse, eine gähnend langweilige Stunde Physik lag vor uns, damit war dieses Gespräch wohl erst mal beendet. Leider hatte ich in den nächsten Minuten verdammt viel Zeit zum Nachdenken. Normalerweise war es so, dass ich meist erst zu spät erkannte, wenn meine spontanen Entscheidungen falsch gewesen waren. Diesmal wusste ich schon jetzt, wie bescheuert diese Wette war. Natürlich zog ich in Erwägung, einen Rückzieher zu machen. Die Idee war dumm, ganz nebenbei unmöglich und außerdem peinlich! Blöderweise kreisten meine Gedanken nicht nur darum, wie selten dämlich ich war, sondern vor allem um ihn! Marco Sander! Türkisgrüne Augen funkelten mich im Geiste wütend an und im nächsten Moment sah ich ihn völlig lässig oben auf der Treppe vor dem Hauswirtschaftsraum stehen. Sein Telefonat auf dem Parkplatz fiel mir ein und hinterließ eine Gänsehaut auf meinen Armen, andererseits dachte ich an seine sachlichen Worte, die er an Frau Kessler gerichtet hatte.
Sagte ich schon, dass ich verdammt neugierig war? Und in diesem Fall auch wahnsinnig fasziniert. Nun ja, und abgesehen davon waren Rückzieher einfach nicht mein Ding. Man musste zu seinem Wort stehen.
Als der Gong zur großen Pause ertönte, sprang Luisa sofort von ihrem Stuhl auf und setzte sich vor mich auf den Tisch. »Anna und Marco, was für ein Paar«, witzelte sie.
»Lass das«, zischte ich und erhob mich ebenfalls. Musste ja schließlich nicht gleich die ganze Klasse mitkriegen.
Einer von ganz hinten ging grinsend an uns vorbei. Für die höchste Geheimhaltungsstufe war es wohl bereits zu spät. Ich grinste spöttisch zurück.
»Kommt ihr mit raus?«, fragte Sabrina. »Bestimmt ist Marco unten. Da kannst du dich ja schon mal rantasten«, fügte sie noch neckend hinzu.
Jede Antwort hätte sie dazu ermutigt, weiter auf mir herumzuhacken, deshalb schnitt ich ihr nur eine Grimasse und folgte den anderen auf den Flur.
»Um was wetten wir überhaupt?«, fragte Marie auf dem Weg nach draußen.
Wir sahen uns alle der Reihe nach an. »Ich hab’s«, meinte Luisa dann. »Wer verliert, muss eine Fete schmeißen. Mit allem, was dazugehört.«
Meine Mutter würde mich töten! Trotzdem sahen Marie und ich uns vielsagend in die Augen und nickten gleichzeitig. »Okay!«, sagten wir wie aus einem Mund und gaben uns noch einmal die Hand drauf.
»Die Wette habe ich schon gewonnen«, warf Marie noch lachend hinterher und ich stieß ihr als Antwort scherzhaft den Ellbogen in die Seite.
Gemeinsam gingen wir in die Ecke zwischen den beiden Pavillons. Hier traf sich in jeder Pause fast die ganze Oberstufe. Manche von ihnen rauchten sogar heimlich. Allerdings waren die meisten ohnehin schon volljährig. Wahrscheinlich kam deshalb nie ein Lehrer vorbei, um nachzusehen.
Mein Puls beschleunigte sich schon um ein Vielfaches, als ich Marco nur von Weitem erblickte. Ob das an dieser peinlichen Wette lag oder an unseren Begegnungen am Morgen, wusste ich im Augenblick nicht. In dem Moment, als meine Freundinnen und ich stehen blieben, sah er zu mir herüber. Sein Blick war kalt und einschüchternd. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, gelang es mir nicht, mich abzuwenden oder in eine andere Richtung zu schauen. Möglich, dass er Mitleid mit mir hatte, weshalb seine Augen nun aufzutauen schienen. Sogar ein angedeutetes Lächeln zog über sein Gesicht und er nickte mir zu.
Mit angehaltenem Atem schaffte ich es, ebenfalls kurz zu nicken und ihm dann endlich den Rücken zuzudrehen.
»Er sieht himmlisch gut aus, nicht wahr?«, flüsterte Luisa mir grinsend zu. »Wollen wir mal rübergehen und einfach fragen, ob er und Sven tatsächlich mit zur Ostsee fahren?«
Für einen Augenblick war ich mir nicht sicher, ob sie das wirklich ernst meinte, doch ich kam nicht dazu nachzufragen, denn ihr Blick glitt an mir hinunter. »Obwohl, so wie du heute aussiehst, lassen wir das besser.« Sie betrachtete abschätzend meine schmutzigen Schuhe. »Wie hast du es eigentlich fertiggebracht, dich dermaßen einzusauen?«
O Mann! Wer wollte daran denn jetzt auch noch erinnert werden?! »Keine Ahnung«, antwortete ich mürrisch. »Ich stecke sie später in die Waschmaschine. Danach sind sie wieder wie neu.«
»Okay, wir finden einen besseren Zeitpunkt, um mit den Jungs zu reden. Zum Beispiel, wenn du in sauberen Klamotten durch die Gegend läufst.«
Ja genau. Das war der feine Unterschied zwischen mir und Marco Sander. Er sah stets aus wie ein Katalogmodel und ich wie eine schmutzige graue Maus. Wahrscheinlich konnte ich mir schon deshalb einen zweiten Blick zu ihm nicht verkneifen. Diesmal unterhielt er sich mit jemandem.
Schon allein wegen seiner männlichen Statur sah er viel erwachsener aus als alle anderen Jungs an der Schule. Seine ganze Haltung wirkte irgendwie erhaben. Niemals hätte ich auf eine so dämliche Wette eingehen dürfen. Nun stand ich hier und überlegte stumm, wie ich einer totalen Blamage entkommen konnte. In meiner Aufmachung war ich das exakte Gegenteil von dem, was einem Marco Sander gefiel. Meine mittelbraunen langen Haare trug ich am liebsten offen. Schon der leichte Rotschimmer deutete darauf hin, dass sich die Blässe meiner Haut auch nicht mit einem ausgedehnten Sonnenbad beseitigen ließ. Ich trug grundsätzlich Jeans und irgendwelche bezahlbaren No-Name-Oberteile.
Mein erster und einziger Freund war ein ziemlicher Aufschneider im Schwimmteam gewesen, zu einem Zeitpunkt, an dem alle gerade versucht hatten ihre Jungfräulichkeit hinter sich zu lassen. Um nicht hintenanzustehen, war er genau der Richtige gewesen. Mehr aber auch nicht. Und im Nachhinein hätte ich auf diese enttäuschende Erfahrung auch gut verzichten können. Das war zwar etwas, was ich niemals zugegeben hätte, aber leider entsprach es der Wahrheit. Seitdem hatte ich mir geschworen mich niemals wieder zu verlieben. So was war pure Selbsttäuschung. Man dachte, man würde auf Wolke sieben schweben, und wenn der Kerl erst erreicht hatte, was er wollte, fiel man aus tausend Metern in die Tiefe. Nicht nur, weil man fallen gelassen wurde, sondern weil man selbst erkannte, wie wenig man in Wirklichkeit empfunden hatte. Keine Ahnung, weshalb alle so einen Wirbel um Liebe und Sex machten. Ich war geheilt von diesem Schwachsinn.
Marcos Erfahrungen auf diesem Gebiet waren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitaus größer als meine. Seine Beziehungen dauerten garantiert auch nicht länger als einige Wochen, aber dafür waren es sicher mindestens drei allein im letzten Jahr gewesen.
Tja, ihn zu einem Kuss zu verführen, war eine echte Herausforderung. Eine schier unmögliche, um realistisch zu sein. In Gedanken ging ich mein Erspartes durch. Wahrscheinlich würde restlos alles für die Party draufgehen. Diese verflixte Wette konnte ich gar nicht gewinnen.
Anna
An diesem Abend machte ich mich noch eher auf den Weg in mein Zimmer, als es normalerweise der Fall war. Schon als Mama vor dem Fernseher auf den Abendfilm wartete, stand ich mit einem Pyjama bekleidet in der Tür zum Wohnzimmer.
Mit argwöhnischem Blick linste sie über ihre Brille. »Du willst doch nicht jetzt schon ins Bett?« Und das an einem Freitag, erahnte ich ihre Gedanken.
»Doch«, antwortete ich. »Ich höre noch ein bisschen Musik … und lese …«
Mama blickte mich misstrauisch an, doch das übersah ich großzügig. Stattdessen wünschte ich ihr schnell eine gute Nacht und flitzte die Treppen hinauf in mein Zimmer. Ich wusste genau, was sie dachte. Schließlich war sie in meinem Alter der reinste Partylöwe gewesen. Dass ich nur noch zu Hause rumhing, fand sie furchtbar. Sie meinte ständig, ich müsse mit meinen siebzehn Jahren doch endlich mal etwas erleben. Dabei hatte ich ganz und gar nicht das Gefühl, etwas zu verpassen.
Damit die Nachbarn sich von meiner Musik nicht bedroht fühlen konnten, schob ich mir Kopfhörer auf die Ohren, setzte mich damit aufs Bett und drehte voll auf.
Jeden Abend das Gleiche. Es war meine Art abzuschalten. Meine Art, um inneren Frieden und Freiheit zu finden. Ich schaffte es mit der donnernden Musik in meinem Kopf, alles um mich herum auszublenden. Alles in mir verstummte, jeden Gedanken, jedes noch so sinnlose Gefühl schaltete ich damit aus und spürte nichts mehr außer dem heftigen Takt der Musik. Es fühlte sich an, als würde mein Innerstes, meine Seele, zu einem zähflüssigen Gebilde umgeformt, von dem alles Störende abprallte wie von einem Gummiball.
Normalerweise war das so. Heute gab ich schon nach fünf Minuten auf. Diese blöde Wette ging mir einfach nicht mehr aus dem Sinn und der Gedanke an Marco Sander ließ sich nicht ausblenden. Mit seinem Bild vor Augen schlief ich irgendwann ein.
***
Als ich wieder erwachte, war es schon fast Mittag. Wahrscheinlich hätte ich sogar noch länger geschlafen, wenn mein Telefon nicht Sturm geklingelt hätte. Mit einem verschlafenen Blick auf das Display sah ich, wer es war. Luisa. Obwohl ich keine Lust hatte, ging ich dran. Schließlich müsste ich nur zuhören, was mir allerdings schon schwer genug fiel. Sie erzählte mir immer alles Mögliche und ich war einfach noch nicht wach genug, um ihr folgen zu können.
»Wusstest du, dass ganz in der Nähe unserer Appartements eine Bar ist? Da können wir abends zu Fuß hingehen«, meinte sie.
Ich seufzte. Bei dem Thema Ostsee, das mir gestern noch so auf die Nerven gegangen war, fiel mir heute nur noch eines ein. Marco!
»Komm schon, das wird super«, versuchte Luisa mich zu begeistern. »Wir können tanzen gehen. Ganz sicher werden Sven und Marco ebenfalls dort sein. Wäre für deine Wette ja nicht ganz uninteressant.«
Es war dringend Zeit, das Thema zu wechseln. »Apropos Tanzen. Gehen wir heute Abend noch ins Flickflack? Hast du was von Sabrina und Marie gehört? Gehen die?«
»Klar!«, schmetterte sie und machte dann gleich mit dem nächsten Redeschwall weiter. Ich brauchte nur noch mit »Ja, okay« und »Klar, bis später« antworten.
Als ich auflegte, konnte ich selbst kaum fassen, dass es heute ausgerechnet meine Idee gewesen war auszugehen. Normalerweise musste man mich mindestens drei Tage auf solche Aktivitäten vorbereiten und anschließend bereute ich es auch gleich wieder. Gut, heute würde ich also ausgehen und ausnahmsweise für einen Abend meiner depressiven Phase den Rücken kehren.
***
»Wow, coole Schuhe«, meinte Luisa, als ich aus Mamas Auto stieg.
»Viel Spaß!«, rief die uns noch hinterher, ehe ich die Tür zuschlug und sie wieder davonrauschte. Ich winkte ihr kurz nach und starrte dann sofort auf meine Füße.
»Hat Mama mir geliehen«, murmelte ich. Hohe Schuhe waren vielleicht doch zu auffällig?
»Sehen toll aus!« Luisa konnte das beurteilen, sie legte viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres. »Marco ist heute Abend im Flickflack … weiß ich aus sicherer Quelle«, meinte sie grinsend.
Ich warf ihr einen störrischen Blick zu. »Ich will nichts von Marco«, murrte ich. »Auf diese dämliche Wette hätte ich mich gar nicht einlassen sollen.«
»Gut, mit Marie kann man reden. Die nimmt es dir bestimmt nicht übel, wenn du einen Rückzieher machst.« Das sagte sie nur, um mich zu ärgern. Sie wusste, dass das nicht infrage kam.
»Ich mache keinen Rückzieher!«, widersprach ich. »Ihr kriegt euren Kuss …« Haha! Wer’s glaubt! »Und dann ist das Thema endgültig erledigt.«
Wir beeilten uns, dem leichten Nieselregen zu entkommen, rannten über die Straße und trafen Marie und Sabrina direkt am Eingang des Flickflack. Vielleicht fanden die beiden unsere blöde Wette mittlerweile ebenso peinlich wie ich, denn keine von ihnen sprach das Thema auch nur im Ansatz an.
Gemeinsam betraten wir das Lokal und blieben gleich vorn an der Theke stehen, um uns etwas zu trinken zu bestellen. Es konnte dauern, bis uns überhaupt eine Bedienung wahrnehmen würde, denn hier drin war die Hölle los. Die Leute standen dicht gedrängt, es war stickig und laut. Schon wegen der Hitze wollte ich dringend meine Jacke loswerden und zur Toilette musste ich auch.
»Bin gleich wieder da«, teilte ich den anderen kurz mit und stürzte mich ins Gedränge.
»Warte«, hörte ich Luisa hinter mir. »Ich komme mit.«
Ich drehte mich noch nach ihr um, doch sie war schnell aus meinem Blickfeld verschwunden. In dem Gang wurde man regelrecht weitergeschoben, so voll war es hier. Einige benutzten sogar ihre Ellbogen, um voranzukommen. Langsam, aber sicher fragte ich mich, welcher Teufel mich geritten hatte überhaupt herzukommen. Kaum zu Ende gedacht bekam ich einen heftigen Stoß von hinten ab, der mich in Richtung Tresen katapultierte.
»Pass doch auf«, zischte ich, aber der Übeltäter war in der Menge nicht mehr auszumachen und außerdem stolperte ich nun deswegen auch noch und prallte mit jemand anderem zusammen. Ich fühlte starke Hände, die mich an den Oberarmen festhielten. Angestrengt und immer noch genervt ging mein nächster Blick nach vorn. Weißes Hemd, zwei Knöpfe offen. Ich starrte geradewegs auf die perfekt ausgeprägten Muskeln einer männlichen Brust, die sich unter dem Stoff abzeichneten. Meine Nasenspitze war nur Millimeter davon entfernt. Allein der herbe Geruch vernebelte mir die Sinne. War das Duschgel oder ein Parfüm?
Völlig verwirrt hob ich den Kopf. Leuchtendes Türkis schien mir entgegen.
Marco Sander.
Wahnsinn! Ein schiefes, verschmitztes Lächeln zog über sein Gesicht und gab mir endgültig den Rest. Oder war es sein Atem, der mich nun traf? Ich war mal wieder nicht in der Lage, den Blick abzuwenden. Entschuldigung, wollte ich eigentlich sagen, aber jetzt wusste ich nicht mal mehr, wie das ging. Der Ausdruck, mit dem er mich gerade ansah, war überhaupt nicht zu vergleichen mit dem von gestern Morgen. Erst in diesem Augenblick erkannte ich, wie viel Wut er gehabt haben musste, als er mich auf dem Parkplatz erschrocken angestarrt hatte. Der Blick, mit dem er mich nun taxierte, war das schockierende Gegenteil. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
»Alles in Ordnung?«, fragte er und stützte mich noch so lange, bis ich wieder richtig stand. Dann ließ er mich los. Den Schubs von hinten, den ich nun schon wieder abbekam, hätte ich nicht gebraucht, denn meine Knie gaben auch so einfach nach. Ich schwankte und er packte mich gleich wieder bei den Armen. Wie ein Stromstoß fuhr mir die Berührung durch den ganzen Körper. Jetzt beugte er sich zu mir und sah mir forschend ins Gesicht.
»Geht’s dir gut?«, fragte er diesmal. Sein Mund war so unglaublich nah. Sein warmer Atem traf mich schon wieder. Keine Ahnung, wie, aber ich schaffte es trotz allem, endlich zu nicken. Wahrscheinlich startete er nun deshalb den nächsten Versuch, mich loszulassen. Langsam ließ er die Arme sinken.
Nur der Anblick von perfekt manikürten, glitzernden Fingernägeln auf seiner Schulter rüttelte mich endlich wach. Die Hand gehörte zu einer Blondine, die mindestens einen Kopf größer war als ich. Die Haare fielen ihr in sanften Wellen über die Schultern und ihr Körper steckte in einem hautengen, silbern glänzenden Minikleid, in dem ihre makellosen langen Beine zur Geltung kamen. Ihr Anblick musste jeder Frau einen Schlag versetzen – nicht nur mir gerade.
Endlich schaffte ich es, mich abzuwenden und zurück in die Menge zu stürzen. Trotzdem fühlte ich mich noch immer ganz benommen. Vielleicht stand »Ich will dich küssen!« auf meiner Stirn geschrieben, so, wie er mich angesehen hatte. Süß und verführerisch. Vielleicht wusste er es wirklich schon? Wer konnte denn ahnen, wie schnell sich eine so selten dämliche Idee rumsprach. Peinlicher, pubertärer Mist! Vielleicht sollte ich doch mit Marie reden?
Andererseits war es auch aufregend, an einen Kuss mit ihm zu denken. Seine Lippen gerade eben waren so nah gewesen. Ich hätte nur das Kinn anheben müssen. Hatte er nicht irgendwie so ausgesehen, als wartete er nur darauf? Mit diesem seetiefen Funkeln in den Augen?
Aus sicherer Entfernung blickte ich mich noch mal zu ihm um. Aha! Er hielt wieder sein Model im Arm. Wie konnte ich mir nur so bescheuerte Sachen einbilden? So schnell es ging marschierte ich weiter und hatte bald darauf die Damentoilette erreicht. Luisa stand schon vor einem der Spiegel und zupfte an ihrer blonden Kurzhaarfrisur. Schnell huschte ich vorbei in eine der Kabinen, verrichtete meine Notdurft und hoffte irgendwie, sie wäre schon vorgegangen, als ich die Tür wieder öffnete. Dem war leider nicht so. Sie stand noch da und wartete offensichtlich auf mich. Ich trat neben sie an den Waschtisch, wusch mir die Hände und trocknete sie mit einigen Papiertüchern ab. Dann blickte ich in den Spiegel und korrigierte den Kajalstrich unter meinen Augen. War ich hässlich? Nein, das fand ich eigentlich nicht. Allerdings war ich sicher nicht so auffällig schön wie diese blonde Modepuppe vorhin.
»Vielleicht sollte ich die ganze Sache doch sein lassen«, bemerkte ich möglichst beiläufig. Mir war nicht entgangen, dass Luisa mich beobachtete. Unsere Blicke begegneten sich im Spiegel.
»Was meinst du?«
Nun drehte ich mich zu ihr um. Sie wusste sehr wohl, wovon ich sprach.
»Okay, okay!«, lenkte sie ein. »Marco, schon klar.«
»Es wäre gar nicht richtig, ihn anzumachen, er hat immerhin eine Freundin.« Als wäre das mein einziges Problem.
»Sina«, gab Luisa meinen zerplatzten Träumen einen Namen. »Das ist nicht seine Freundin«, meinte sie dann. »Weiß ich …«
»… aus sicherer Quelle«, beendete ich ihren Satz und sah sie fragend an.
»Hat Sven mir erzählt.«
Die Auskunft reichte mir nicht, deshalb forschte ich weiter in ihrem Blick nach Antworten. Ein bisschen eindringlicher vielleicht.
»Sven Lorenz. Der große Blonde. Müsstest du eigentlich kennen.«
Kam es mir nur so vor oder wollte sie mich aufziehen?
»Der dünne, große Blonde«, berichtigte ich sie ironisch. »Ich weiß, wer Sven ist. Also?«
»Wundert mich ein bisschen. Du scheinst nämlich oft gar nicht zu registrieren, was für süße Typen in unserer Schule herumlaufen«, entgegnete sie noch viel ironischer.
Ich verdrehte die Augen. Was fand sie an Sven süß? »Also? Du wolltest was sagen«, überging ich das Thema drängelnd.
»Okay, jedenfalls will Marco überhaupt nichts von dieser Sina. Er findet sie oberflächlich!«
»Aha. Du scheinst dich ja gut mit Sven zu unterhalten«, stellte ich grimmig lächelnd fest. »Du hast ihm doch wohl nichts von der Wette erzählt!?«
»Nein! Na ja, nicht direkt«, stammelte sie. »Er weiß ja auch nicht, wer gewettet hat … und er erzählt es auch nicht weiter.«
Das war wirklich das Dämlichste, was sie je von sich gegeben hatte! Sven war sicher kein Dummkopf. Er würde doch wissen, dass nur noch drei Freundinnen infrage kamen. Es war also durchaus möglich, dass Marco tatsächlich schon Bescheid wusste. Vielleicht machten sich längst alle über mich lustig. Am Montag wäre ich das Gespött der Schule!
Ich schlug die Hände vors Gesicht. »Ich fasse es nicht.«
»Der sagt nichts, wirklich nicht«, beteuerte Luisa.
Kopfschüttelnd ging ich voran und sie folgte mir auf den Gang hin zu den Garderoben. Ich gab meine Jacke ab und sah mich dann um. Svens blonder Schopf ragte aus der Menge heraus. Auch wenn es nicht gut zu erkennen war, konnte ich mir denken, wo genau er sich befand. Nämlich bei Marco und diesem Superweib.
Um zu Sabrina und Marie zurückzugelangen, müssten wir wieder an ihnen vorbei, aber diesmal gab ich mir alle Mühe, das ohne Pannen hinter mich zu bringen. Obwohl Sven Luisa am Arm zu sich heranzog, ging ich zielstrebig weiter. Sie rief mir noch etwas nach, aber ich gab ihr gestikulierend zu verstehen, dass sie mich bei den anderen Mädels finden würde.
Dort angekommen setzte ich mich auf den Hocker, den Marie und Sabrina mit Mühe ergattert hatten. Sofort verschwanden die zwei in Richtung Tanzfläche. Dann lehnte ich mich über die Theke, um etwas zu trinken zu bestellen, aber die Kellnerinnen waren gerade auf der anderen Seite beschäftigt. Schräg gegenüber nahm Marco einige Getränke entgegen. Klar! Er brauchte nur mit dem Finger zu schnipsen und schon wurde er gleich von zwei der Damen bedient. Ohne die beiden zu beachten, nahm er seine Getränkekarte, gab sie der einen und blickte dann an ihr vorbei. Automatisch hielt ich den Atem an, denn er sah mir direkt in die Augen. Keinerlei Belustigung war darin zu finden. Unsere Blicke versanken für nicht mehr als eine Millisekunde ineinander, doch es reichte, um meinen Gleichgewichtssinn zu stören. Schnell wandte ich mich wieder ab.
Meine Laune sank beinahe bis auf den Nullpunkt, während ich darüber nachdachte, wie ich mich zum Affen gemacht hatte. Er musste mich für den letzten Trottel halten, so, wie ich ihn angestarrt hatte. Nicht nur vorhin, sondern immer, wenn er mich ansah. Aber wie, zur Hölle, konnte man nur solche Augen haben? In leuchtend hellem Türkis! Das war unfair.
Irgendwie schaffte ich es, ohne noch mal in seine Richtung zu schauen, ein Glas Cola zu bestellen. Doch selbst als Luisa zurückkam und mir detailliert von Sven vorschwärmte, wurde meine Laune nicht besser.
»Los, komm mit rüber. Die sind eigentlich alle ganz okay«, meinte sie, nachdem sie mit ihrem Bericht fertig war.
Klar, das hätte mir gerade noch gefehlt! Ihr Angebot wollte ich im Moment dankend ablehnen, als Marco mit seiner Modepuppe an uns vorbeiging.
»Was denn, geht ihr schon?«, hielt Luisa die beiden auf. Auch das noch!
»Ich bringe nur kurz Sina nach Hause, dann komme ich zurück«, erwiderte Marco höflich.
»Nun, mal sehen, ob er gleich wiederkommt«, grinste Sina neckend.
Von wegen, nicht seine Freundin! Aber Marco sah sie einen kurzen Moment düster an, was ich mir, zugegeben, vielleicht auch nur einbildete. Seit ich zum ersten Mal ein Wort mit ihm gewechselt hatte, war ich ja ohnehin nicht mehr zurechnungsfähig. Die beiden verschwanden jedenfalls zum Ausgang hinaus und ich beschloss, dass ich nun nichts mehr zu befürchten hatte. Also folgte ich Luisa rüber zu Sven.
»Anna, nicht wahr?« Er streckte mir die Hand entgegen.
»Richtig.« Ich lächelte. Wenn ich ihn jetzt so betrachtete, konnte ich meine Freundin doch ganz gut verstehen. Na ja, für meinen Geschmack war er etwas zu unnatürlich gebräunt für diese Jahreszeit, was unweigerlich darauf schließen ließ, dass er das ein oder andere Mal zu oft die Sonnenbank aufgesucht hatte. Aber dafür war seine sonst so picklige Haut, die ich in Erinnerung hatte, so gut wie verschwunden. Vielleicht hatte ich es doch in letzter Zeit versäumt, meine Umwelt richtig wahrzunehmen?
»Und du bist Sven. Luisas neue Eroberung?«, scherzte ich.
»Anna!«, rief Luisa mit gespielter Empörung, aber Sven lachte.
»Doch, doch, ich denke, da hast du recht«, antwortete er und grinste sie an.
Luisa sah verlegen zu ihm auf. »Marco hat gesagt, er kommt gleich wieder«, wechselte sie das Thema.
»Gleich?«, lachte Sven. »Das kann etwas dauern. Immerhin bringt er Sina nach Hause.« Er zog ihren Namen in die Länge, zeichnete mit den Händen eine wohlgeformte Frau in die Luft und grinste lasziv, als spräche er über ein Supermodel. Offenbar fand er das ziemlich witzig.
Meine Freundin stimmte in sein Lachen mit ein und ich zwang mich dazu, es ihr nachzumachen. Blöderweise fühlte ich gleichzeitig, wie mir seine Worte einen üblen Stich versetzten. Lächerlich, nur leider nicht zu leugnen.
Eifersucht breitete sich wie Gift in meinen Adern aus. Ja, ich fühlte mich wie eine betrogene, sitzen gelassene Ex-Freundin. Dabei gab es nicht den geringsten, nicht den winzigsten Grund dazu. Marco und ich hatten noch nie auch nur ein vernünftiges Wort miteinander gewechselt. Leider dachte ich seit gestern so oft an ihn, dass er mir nicht mal mehr fremd vorkam. Es ärgerte mich wahnsinnig. Er und dieses Superweib. Sie tobten wahrscheinlich demnächst zwischen ihren Laken herum.
»Hey!«, rief ich kurzerhand eine Kellnerin heran. »Einen Whiskey Cola, bitte!« Vielleicht half der gegen mein Gefühlschaos.
Luisa betrachtete mich argwöhnisch. »Was hast du vor? Willst du dich betrinken?«
»Wieso nicht?«, antwortete ich zynisch.
Sie zog die Augenbrauen hoch, dann wandte sie sich ebenfalls zur Theke um und grinste. »Für mich auch, bitte!«
Wir waren beide nicht volljährig, aber hier fragte nie jemand nach dem Ausweis.
Sobald das erste Glas leer gewesen war, hatte ich gleich noch mal nachbestellt, aber meine Stimmung besserte sich dadurch leider nur minimal. Immerhin gelang es mir jetzt, mich zur Tanzfläche umzudrehen und im Rhythmus zu Gigi D’Agostinos In My Mind von einem Bein aufs andere zu wippen. Ich mochte den Song, obwohl mir Rockmusik eigentlich lieber war.
»Anna!«, hörte ich plötzlich Sven hinter mir. Im selben Moment tippte er mir auf die Schulter.
Nichtsahnend drehte ich mich herum und … blickte schon wieder in dieses überirdisch schöne Gesicht von Marco Sander. Zwar blieb ich zunächst wie angewurzelt stehen, schaffte es jedoch sehr schnell, mich zusammenzureißen. Vielleicht verhalf mir der Alkohol diesmal zu der nötigen Gelassenheit. Selbst als mein Gegenüber dieses unwiderstehliche halbe Lächeln auf sein Gesicht zauberte, hielt ich seinem Blick stand. Tief in mir drin schien alles zu vibrieren, doch äußerlich gelang es mir, halbwegs unbeeindruckt zurückzulächeln.
»Das ist Anna, eine gute Freundin von Luisa«, stellte Sven mich vor. Marco hielt mir die Hand hin und ich brachte es fertig, einen sicheren Schritt vorzutreten und sie zu ergreifen. Wow! Und … vorbei war es mit meiner Selbstbeherrschung. Sie fiel zusammen wie ein Kartenhaus, denn die Berührung fuhr wie ein Stromschlag durch meinen Körper. Mein Puls drohte völlig außer Kontrolle zu geraten. Musste wohl ziemlich offensichtlich sein, denn Marco grinste noch breiter als zuvor. »Hi, Anna, ich bin …«
»… Marco, schon klar«, beendete ich seinen Satz dennoch kühl und sicher, neigte den Kopf leicht zur Seite und grinste ebenfalls.
In diesem Moment verflog sein Lächeln. Ich konnte nicht deuten, was gerade in ihm vorging, aber sein Blick haftete plötzlich mit einer solchen Intensität auf mir, dass mir davon ernsthaft schwindelig wurde. Was ich überhaupt nicht wahrnahm, war das sehr langsame Lied, das gerade gespielt wurde. Erst seine Frage brachte mich dazu aufzuhorchen. »Würdest du mit mir tanzen, schöne Frau?« Meine Hand hielt er immer noch in seiner und diesmal brauchte ich sie auch, um nicht doch noch ins Schwanken zu geraten. Hatte er ernsthaft schöne Frau gesagt?
In der Hoffnung, er möge mir nicht allzu viel meiner wirren Gedanken ansehen, nickte ich knapp und ließ mich zur Tanzfläche führen. Für einen Moment war ich mir nicht sicher, ob ich wirklich spürte, wie sein Daumen sanft über meinen Handrücken strich, ehe er seine Finger leicht mit meinen verschränkte und sie dann zu seiner Brust hob, um sie dort festzuhalten, während er den freien Arm um meine Taille legte. Aus viel zu hellen Augen, die stets ein wenig kühl wirkten, blickte er auf mich herab. Trotzdem schaffte er es, warm und beunruhigend sanft mein Gesicht zu mustern.
Völlig hypnotisiert erwiderte ich seine Umarmung. Wahnsinn! Die Eleganz und Geschmeidigkeit seiner Bewegungen waren einfach nicht von dieser Welt. Ich konnte nicht anders, als den Kopf an seine Brust zu legen. Sein Geruch, die Art wie er mich hielt, sein gleichmäßiger Herzschlag, den ich fühlen konnte und der ganz und gar nicht so holprig war wie mein eigener, ließen meine Sinne schwinden. Von Sekunde zu Sekunde wurde ich ruhiger. Vielleicht war nur der Alkoholspiegel in meinem Blut verantwortlich dafür. Ich wusste es nicht. Um mich herum schien alles zu verstummen. Das Einzige, was ich fühlte, waren seine Muskeln unter meinen Fingerspitzen, seine Hand an meinem Rücken – und zum ersten Mal in meinem Leben war ich einfach nur glücklich. Als wäre ich angekommen an einem fantastischen Ort, von dem ich bisher nicht einmal gewusst hatte, dass es ihn gab.
Als der Song zu Ende war, löste er sich ein Stück weit von mir. Es fühlte sich falsch an. Die Musik um mich herum erschien mir plötzlich viel zu laut. Verwirrt sah ich zu ihm auf. Er hob die Hand und strich mir mit einer sanften Bewegung die Haare zurück über die Schulter. Dann verschränkte er wieder seine Finger mit meinen und zog mich in Richtung Theke. Selbst als ihn jemand ansprach und er stehen blieb, machte er keine Anstalten, mich loszulassen. Nur ich fand diese Situation irgendwie merkwürdig, deshalb löste ich mich aus seinem Griff und ging allein zu Luisa zurück.
»Warst du tanzen?«, fragte sie neugierig. »Mit Marco?«
Nein, mit dem tollsten, aufregendsten, schönsten … Ich nickte und sah mich noch mal zu ihm um. Er war noch immer in ein Gespräch vertieft, deshalb wandte ich mich Luisa wieder zu.
»Wir haben uns geküsst«, sprühte meine Freundin vor Begeisterung und deutete auf Sven.
»Wirklich?«, erwiderte ich viel zu knapp. Was ich gerade erlebt hatte, konnte von einem Kuss unmöglich getoppt werden.
Luisas argwöhnischer Blick entging mir nicht, deshalb versuchte ich schnell mich zusammenzureißen und lächelte sie an. Wahrscheinlich war ich nicht sehr überzeugend, denn in ihren Augen blitzten mindestens hundert Fragen gleichzeitig auf.
Sven rettete mich vor ihrer Inquisition, indem er ihr Handgelenk ergriff und sie wieder in seine Arme zog. Sie sah nicht so aus, als würde sie das stören, weshalb ich nun grinsen musste. Schnell rückte ich mir einen frei gewordenen Hocker zurecht und setzte mich. Noch immer spürte ich deutlich dieses merkwürdige Gefühl in meinen Gliedern. Meine Beine waren noch immer ein wenig taub, in meinen Ohren dröhnte die Musik unnatürlich dumpf. Wie war es möglich, sich so sicher und behütet zu fühlen, wie ich es gerade in seinen Armen empfunden hatte? Als wären wir allein auf der Tanzfläche gewesen. Völlig verrückt!
»Was willst du trinken?«, fragte er wieder mit diesem verführerischen Lächeln und riss mich damit völlig überraschend aus meinen Gedanken. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er zurückgekommen war.
»Whiskey Cola«, antwortete ich kurz und knapp. Cool bleiben, Anna! Ganz cool bleiben!
»Whiskey?«, wiederholte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Wieso denn nicht?« Ich merkte selbst, wie trotzig das gerade klang.
Er schürzte die Lippen, lehnte sich aber über die Theke und gab seine Bestellung auf. »Es tut mir übrigens leid, wenn ich dich erschreckt habe – gestern auf dem Parkplatz«, sagte er, als er sich mir wieder zuwandte.
Einen Moment lang sah ich ihn ungläubig an. Er verdrehte das Ganze doch wohl eindeutig. »Ich hatte eher den Eindruck, ich hätte dich erschreckt«, sprach ich es mutiger aus als gedacht. Immerhin vernebelte sein bloßer Anblick schon wieder meine Sinne.
»Dann nimmst du es mir nicht übel, dass ich dich zurechtgewiesen habe?«, fragte er, ohne auf meine Bemerkung einzugehen.
Übel genommen? Zurechtgewiesen? Diese Wortwahl passte zu ihm. »Doch. Ich bin immer noch sauer, weil du mich so runtergemacht hast«, antwortete ich in meiner Sprache, konnte mir aber ein Grinsen nicht mehr verkneifen.
»Nimmst du meine Entschuldigung an, wenn ich dich darum bitte?«
Wow, diese Art zu reden klang aus seinem Mund unwiderstehlich. »Schon vergessen«, seufzte ich und blickte wieder zu ihm auf. Irgendetwas passte nicht an dieser Unterhaltung. Zumindest kam mir nun zum ersten Mal eine Idee: Was, wenn das gestern Morgen gar kein dummer, harmloser Spruch unter Freunden gewesen war?
Wenn ich sie finde, ist sie tot, fielen mir seine Worte ein. Ich schüttelte unmerklich den Kopf. Marco war sicher anders als alle anderen und wirkte ganz bestimmt auch einschüchternd, aber er war kein … Ich wollte Killer denken und ersetzte das Wort jetzt lieber mit Verbrecher.
»Und wieso warst du nun so sauer auf mich?«, hakte ich nach. »Doch nicht wirklich, weil ich so laute Musik gehört habe.«
»Nein, das war eine Ausrede«, gab er ohne Umschweife zu.
»Sondern?«
»Ich dachte, du hättest ein Telefonat mitgehört«, antwortete er.
Oh! Ich hob die Augenbrauen. »Und wenn ich es gehört hätte?«
»Hast du?« In seinen Augen loderte es.
»Nein.« Irgendwie fühlte ich mich gerade sicherer mit dieser Lüge.
»Gut.« Mit einer beiläufigen Handbewegung strich er über meine Wange, was mein Herz erneut zum Stolpern brachte. Trotz seines Lächelns stand fest, dass dieses Thema nun beendet war. Bis hierhin und nicht weiter, sagte sein Blick.
Ich versuchte es trotzdem.
»Wenn doch, hättest du mir möglicherweise nicht beigestanden, als Frau Kessler kam.«
»Nein, in dem Fall hätte ich es mir nicht entgehen lassen, dir dabei zuzusehen, wie du Unmengen von Joghurt aufwischst.« Er grinste frech. Dann wurde er wieder ernst. »Erzähl mir etwas über dich«, forderte er sanft.
»Was willst du denn wissen?«
»Alles.« Dabei sah er mich mit echter Neugierde an.
Ich schluckte trocken. Alles war ja eine ganze Menge, aber er sah echt nicht so aus, als wäre das ein Scherz gewesen.
»Tja, da weiß ich gerade gar nicht, wo ich anfangen soll«, erwiderte ich stirnrunzelnd.
»Lieblingsfilme? Musik?«