Shadow of Light: Sammelband der magischen Fantasyserie »Shadow of Light« inklusive Vorgeschichte - Alexandra Carol - E-Book

Shadow of Light: Sammelband der magischen Fantasyserie »Shadow of Light« inklusive Vorgeschichte E-Book

Alexandra Carol

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Beschreibung

**Lass dich in eine magische Parallelwelt entführen, deren verschollene Prinzessin du bist** Anna wollte sich nie wieder verlieben. Aber Marcos faszinierend grüne Augen bringen sie dazu, ihre Vorsätze über Bord zu werfen. Seitdem sich die beiden jedoch nähergekommen sind, hat Anna eine besondere Fähigkeit: Sie kann eine magische Welt betreten, in der sie die verloren geglaubte Prinzessin Lunaja ist. In diesem unbekannten Land trägt sie die Verantwortung für ein ganzes Volk und soll dieses gegen dunkle Mächte verteidigen. Doch wie soll sie ein Land vor Unheil bewahren, wenn sie nicht einmal ihr eigenes Herz schützen kann? Tauch ein in Alexandra Carols fantastische Welt und entdecke ein Land, das erfüllt ist von dunkler Magie und reiner Liebe! Einmal darin gefangen, kannst du dich dem Sog dieser spannungsgeladenen und gefühlvollen Geschichte nicht mehr entziehen. Leserstimmen auf Amazon: »Wow!!!« »Einfach Fantastisch.« »Unbedingt lesen!!!« »Mir fehlen die Worte, einfach der Wahnsinn.« »Besser geht's nicht!« »Spannend bis zum Schluss.« //Dies ist ein E-Book-Sammelband zur magischen Fantasy-Reihe »Shadow of Light«. Er enthält alle Bände der Buchserie: -- Shadow of Light: Lunajas Gabe (die kostenlose Vorgeschichte) -- Shadow of Light 1: Verschollene Prinzessin -- Shadow of Light 2: Königliche Bedrohung -- Shadow of Light 3: Gefährliche Krone// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Die Macht der Gefühle

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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2020 Text © Alexandra Carol, 2019 Lektorat: Julia Feldbaum Coverbild: shutterstock.com / © IvaFoto / © agsandrew / © conrado Covergestaltung der Einzelbände: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-60565-5www.carlsen.de

Alexandra Carol

Shadow of Light: Lunajas Gabe (Die kostenlose Vorgeschichte inklusive XXL-Leseprobe zur Reihe)

**Wenn sich dein Herz zwischen Liebe und Krone entscheiden muss …** Ein Mädchen in zwei verschiedenen Welten, die auf magische Weise miteinander verbunden sind. Ein Buch, das sich unaufhaltsam mit ihrer Geschichte füllt. Und eine Liebe zwischen Licht und Dunkelheit, für die es sich zu kämpfen lohnt.

Wohin soll es gehen?

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Vita

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© Nadine Malzkorn

Alexandra Carol lebt mit ihrer Familie (dazu gehören auch die Vierbeiner) in einer kleinen Gemeinde im Sauerland. Schon seit der Schulzeit ist die Leidenschaft zur Schreiberei stets ein Teil von ihr gewesen, auch wenn es lange Zeit nur bei dem Traum vom Autorendasein blieb. Die Geschichten, die sie gern mit ihren Lesern teilen möchte, handeln von Romantik und der großen Liebe.

Zwischen den Welten

»Behalte für dich, was du siehst, die Leute würden es nicht verstehen.«

Die mahnenden Worte meiner Mutter begleiteten mich schon, solange ich denken konnte. Ich hasste es, etwas Besonderes zu sein. Ein ganz normales Mädchen war ich nie gewesen, schon weil ich trotz meiner eher zierlichen Statur immer stärker gewesen war als die anderen. Für eine besondere Gabe hielt ich das allerdings nicht, sondern eher für das Ergebnis jeder Menge körperlicher Arbeit.

Nun ja, ich konnte noch andere seltsame Dinge, aber dazu später mehr.

Das, was mich von allen unterschied, war meine Fähigkeit, die andere Welt sehen zu können. Eine zweifelhafte Gabe, wie ich fand, denn das Leben der Menschen dort hatte mit dem unseren nur wenig gemeinsam. Natürlich hatte ich als kleines Kind oft einfach drauflosgeplappert, Gegenstände und Kleidung beschrieben, Namen erwähnt, von denen hier niemand eine Vorstellung hatte. Aus diesem Grund war das, was ich konnte, kein echtes Geheimnis mehr in unserem Dorf.

Doch immer, wenn ich gefragt wurde, gab ich die gleichen ausweichenden Antworten. Was hätte ich auch sagen sollen, wenn jemand wissen wollte, wie wir in jener fremden Welt lebten und ob es uns alle ein zweites Mal gab.

Mich gab es ohne Zweifel, meine Mutter war ebenfalls die gleiche, meinen Vater hatte ich genauso wie hier niemals kennengelernt, aber auch er war dort gewesen.

Außer meiner Familie kannte ich jedoch niemanden, der in beiden Welten zu Hause war. Und wie hätte ich all die anderen Sachen erklären sollen? Wie beschrieb man ein Auto, eine Waschmaschine oder sogar noch simplere Dinge wie Jeans und Sneakers? Und wozu auch? So etwas gab es hier nicht und niemand vermisste es. Ohnehin lebten wir völlig anders und selbst Mama erzählte ich längst nicht mehr alles.

Mein zweites Ich wurde langsam erwachsen und das bedeutete dort etwas völlig anderes als hier. Während ich bereits eine junge Frau war, deren Tugendhaftigkeit vorausgesetzt wurde und die in spätestens ein bis zwei Jahren in heiratsfähigem Alter wäre, war Anna ein Teenager, der sich verlieben durfte, sich mit Freundinnen traf und mit jungen Männern flirtete. Im Gegensatz zu mir war sie schon geküsst worden und hatte gestern sogar Dinge getan, über die ich nicht einmal nachdenken würde.

»Wo willst du hin?«, fragte meine Mutter, als ich meine ungewaschene alte Schürze nahm und sie umband.

»Zur Schmiede.«

»Das Dorf ist voller Reisender, Lunaja.«

»Ich weiß und sie werden ihre Pferde beschlagen lassen«, erwiderte ich gut gelaunt. »Du kennst doch Caso. Wenn er viel zu tun hat, geht er nicht gerade freundlich mit den Tieren um. Wenn ich ihm helfe, ist er nicht so grob zu ihnen.«

Meine Mutter trocknete ihre Hände an einem Tuch ab und kam zu mir. »Dein Vater wäre nicht damit einverstanden, dass du dich zwischen all den fremden Leuten herumtreibst.«

»Du redest nur über ihn, wenn du mir etwas verbieten willst.«

»Ich sorge mich bloß um dich.« Lächelnd zupfte sie an meinem Kragen herum. »Du brauchst dringend ein neues Kleid«, meinte sie dann.

»Mutter, ich werde bei den Pferden helfen, dafür ist dieses hier genau richtig.«

Sie seufzte und nickte gleichzeitig. »Pass auf dich auf, mein Kind.«

Ich drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und machte mich auf den Weg. Die Sonne schien und das bedeutete, dass die Händler heute bestimmt ein gutes Geschäft machen würden. Mehrmals im Jahr kamen sie hierher und boten Waren aus ganz Solest an. Werkzeuge, Stoffe, Salben, herrlich riechende Seifen, manchmal sogar Duftmischungen und auch Tiere. Leider besaßen wir nicht viel Geld, weshalb meine Mutter sich meistens von dem bunten Treiben fernhielt. Sie meinte, wenn sie all die schönen Sachen sehen würde, müsste sie auch eine Kleinigkeit davon kaufen. Mir war das nicht so wichtig, mich interessierte hauptsächlich, was die Leute von ihren Reisen berichteten.

Sie erzählten von den größeren Städten, unseren Fürsten und dem König, der zwar seit Jahren allein über Solest herrschte, sich jedoch nirgends blicken ließ – außer in seiner Heimat und einer Stadt in den Bergen, wo nur Mörder, Diebe und vor allem Späher ihr Zuhause gefunden hatten. Man sagte ihm nach, er habe das Gesindel dieser Welt unter Kontrolle.

Weil ich das eher als Schauergeschichte empfand, mochte ich es lieber, wenn die älteren Reisenden von längst vergangenen Tagen schwärmten, als jedes Land noch seinen eigenen König gehabt hatte. Bei der Dreiländerschlacht waren alle Königreiche gemeinsam gegen die Soldaten des dunklen Zauberers in den Krieg gezogen und als Sieger heimgekehrt. Manche behaupteten sogar, die Menschen der anderen Welt sollen ihnen zugejubelt haben. Das konnte natürlich nur ein Märchen sein, denn wenn Anna schlief, konnte ich sehen, was sie am Tag erlebt hatte. Sie wusste von mir und dieser Welt rein gar nichts. Aber dennoch hieß es, unsere Welten seien miteinander verwoben – so stünde es im Buch der Bücher geschrieben. Unaufhaltsam würden magische Lettern die Geschichte unserer Welt erzählen. Mama behauptete sogar, das Buch der Bücher sei der Grund, weshalb die Menschen von der anderen Welt wüssten und manche, so wie ich, sie sogar sehen könnten.

Es gab noch mehr solcher Sagen. Zum Beispiel die von einem Mann, der so alt war wie die Erde selbst und alle Prinzen und Prinzessinnen gekrönt haben sollte. Sicher, manches klang eher märchenhaft, anderes nach Mythen und Legenden, aber ich liebte diese Geschichten und hätte ihnen stundenlang lauschen können.

Dem sinnlosen Geplapper von Trisha konnte ich hingegen gar nichts abgewinnen. Sie war einige Monate älter als ich und hielt sich mit ihren siebzehn Jahren für besonders weltgewandt. Außerdem glaubte sie, die schönste Frau des ganzen Landes zu sein. In meinen Augen war sie eher ein verwöhntes dummes Huhn. Ihre Eltern besaßen den einzigen Krämerladen des Ortes und gehörten damit, neben wenigen anderen, zu den reichen Leuten hier. Neidisch war ich trotzdem nicht, da konnte sie sich auf den Kopf stellen.

Als ich sie aus dem Haus kommen sah, ahnte ich schon, sie würde es sich wieder nicht verkneifen können, mir gemeine Worte entgegenzuschmettern. Und richtig.

»Luna«, säuselte sie. »Wir haben uns lange nicht gesehen. Bestimmt bist du in den letzten Wochen nur noch mit den Ziegen draußen gewesen.«

»Und mit den Schafen«, ergänzte ich, hob den Kopf höher und schob das Kinn vor. Es stimmte wirklich. Ich war mit den Tieren überall dort gewesen, wo das Gras am saftigsten schien, und es gab keinen Grund, mich dafür zu schämen. Immerhin besaßen wir Vieh, von dem wir gut leben konnten.

»Dann hast du bestimmt die frohen Neuigkeiten noch nicht mitbekommen«, meinte sie.

»Falls du von deiner bevorstehenden Hochzeit mit Keno sprichst … Doch, davon hörte ich.« Jeder wusste darüber Bescheid und die ganze Gemeinde würde diesen Tag feiern.

»Zu gern hätte ich dich ja zum Fest in unser Haus eingeladen, aber meine Mutter hat mir davon abgeraten«, sagte sie und machte dabei ein Gesicht, als würde sie das zutiefst bedauern. »Sie will dich nicht in die Verlegenheit bringen, in einem deiner schmutzigen Lumpen zu erscheinen. Aber ihr besitzt ja nichts anderes. Tut mir sehr leid.«

»Wenn du willst, leihe ich dir ein Kleid«, mischte sich Nala ein.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie zu uns gestoßen war. Sie stellte sich neben Trisha und beachtete deren mürrisches Gesicht gar nicht.

»Du würdest bestimmt hübsch darin aussehen«, fügte sie sogar noch an und kassierte dafür einen Hieb mit dem Ellbogen.

»Das ist sehr nett von dir«, bedankte ich mich. »Aber ich hatte sowieso nicht vor mir anzusehen, wie deine Freundin diesen hässlichen Mops heiratet.«

»Das nimmst du sofort zurück!«, wetterte Trisha.

»Wieso sollte ich?«

»Keno ist ein höflicher, wirklich gut situierter Mann. Er wird mich auf Händen tragen, lieben und ehren. Außerdem werden wir ein großes Haus besitzen und viele Kinder haben. Etwas, das du niemals erleben wirst, wenn du dich weiterhin so benimmst wie ein Stallbursche.«

Ob sie wohl eine Ahnung davon hatte, wie sie an all ihre Kinder kommen würde? Dass ich es sehr genau wusste, durfte ich ihr ja leider nicht erzählen. Mein anderes Ich war nämlich deutlich erfahrener als sie. Am liebsten hätte ich Trisha erklärt, dass ihr Mann über sie herfallen, etwas sehr Großes, Hartes zwischen ihre Schenkel …

Nein, lieber nicht. Allein bei dem Gedanken an das, was ich gestern gesehen hatte, färbten sich meine Wangen mit Schamesröte. Wenigstens war dieser Steven aus dem Schwimmteam ein großer, blonder Schönling mit breiten, durchtrainierten Schultern, auch wenn ihm sicher nicht viel an Anna gelegen war und sie spätestens seit dieser enttäuschenden Erfahrung allen Männern abgeschworen hatte. Wenn ich mir nun allerdings vorstellte, wie Keno mit seinem fettleibigen Körper, schweißgebadet und stöhnend auf der schlanken Trisha liegend … genug! Innerlich schüttelte ich mich vor Ekel. Ich war wirklich nicht neidisch auf sie. »Schönen Tag noch«, verabschiedete ich mich und ging einfach weiter.

Das Stimmengewirr vom großen Dorfplatz war schon von Weitem zu hören und als ich näher kam, sah ich unweit der Schmiede einen zerstörten Karren stehen. Die Deichsel war gebrochen, die Achse ebenfalls. Der Unfall war bestimmt heftig gewesen und ich fragte mich, ob es Verletzte gegeben hatte. Die letzten Meter lief ich etwas schneller und als ich die Werkstatt betreten wollte, kam mir ein fluchender Mann entgegen. Er faselte etwas von einem Mistvieh und ich hörte heraus, dass er froh war es los zu sein. Einen kurzen Moment sah ich ihm noch stirnrunzelnd nach, dann ging ich hinein und konnte mir denken, wovon er gesprochen hatte. In einem fest verriegelten Holzverschlag stand ein großer Brauner mit bebenden Nüstern. Sobald ich näher kam, schnaubte er aufgebracht und hob den Kopf höher. Er hatte Angst, das sah man ganz deutlich. Langsam schlich ich an ihn heran und legte die flache Hand an die Gitterstäbe.

»He, wer bist du denn?«, begrüßte ich ihn leise.

»Geh lieber weg von ihm«, ertönte Casos Stimme hinter mir. »Er zerschlägt alles, was ihm vor die Hufe kommt. Wir haben ihn zu dritt dort hineinbringen müssen und nun ist sein Besitzer auf und davon.«

Dann war wohl dieser Hengst hier für den Unfall verantwortlich. Zum Glück schien er nicht verletzt zu sein.

»Der Mann hat ihn dir einfach überlassen?«, staunte ich und drehte mich zu Caso herum.

»Ja, ein ziemlich gutes Geschäft«, lachte er.

»Und was hast du nun mit ihm vor?«

Er machte eine eindeutige Handbewegung an seinem Hals entlang und grinste.

Der hübsche Kerl würde also am Fleischerhaken enden. »Armes Pferdchen«, flüsterte ich.

Eine Frau, die ihre grauen Haare zu einem unordentlichen Dutt am Hinterkopf zusammengebunden hatte, führte ihr Pferd hinein. Ich kannte sie. Baria wirkte stets mürrisch, doch sie besaß ein gutes Herz. Schon seit Jahren kam sie mit den anderen Reisenden hierher und immer ließ sie ihren alten Rufos bei uns beschlagen.

Caso begrüßte sie, ging näher heran und begutachtete die Hufe des Pferdes. Lammfromme Tiere waren ihm die liebsten. Mit den jungen, wilden ging er nicht gerade zimperlich um. Diesem hier klopfte er sogar den Hals, ehe er seinen Vorderfuß anhob. »Lange wirst du ihn nicht mehr vor den Karren spannen können«, meinte er. »Eines Tages bricht er davor zusammen.«

Mir kam eine Idee. »Es sei denn, du stellst ihm ein junges Pferd zur Seite«, mischte ich mich ein.

Caso ließ den Huf wieder hinunter, richtete sich auf und lachte. »Das kannst du vergessen, Lunaja. Der da …«, er zeigte auf den Wildfang hinter mir, »… lässt sich nicht zähmen.«

»Wenn er einen älteren Kameraden an seiner Seite hat … wer weiß?«

Baria blickte von einem zum anderen. Dann kam sie zu mir und lugte durchs Gitter. »Von der Größe her würde er passen.«

»Ja, und sogar von der Farbe. Außerdem müsstest du nur den Fleischpreis bezahlen.«

Sie drehte sich zu Caso herum. »Ist er gesund?«

»Kerngesund und deshalb wird er auch nicht zum Schlachtpreis verkauft.«

»Dann behalte ihn«, meinte sie gleichmütig, weshalb ich mich gleich wieder einmischte.

»Zwei Taler mehr und Caso würde dir bestimmt auch das Geschirr dazugeben.«

»Lun…«, wollte er widersprechen, doch ich war noch nicht fertig.

»Natürlich darfst du ausprobieren, ob die beiden sich vor dem Karren vertragen.«

Wieder wollte Caso etwas sagen, doch Baria war schneller. »Einverstanden, wir sind im Geschäft.« Sie ging zu ihm und hielt ihm die Hand hin.

Erst schüttelte er den Kopf in meine Richtung, dann zuckte er mit den Schultern. »Ich konnte diesem Kind noch nie etwas abschlagen«, meinte er und schlug ein.

Damit war das Geschäft besiegelt und der hübsche braune Hengst hinter mir würde eine wahrlich gute Besitzerin bekommen. Ich wusste, sie würde ihn genauso freundlich behandeln wie ihr altes Tier.

Caso winkte mich zu sich herüber und wir begannen mit unserer Arbeit. Während ich die Hufe hielt, löste er die alten Eisen ab, raspelte und schnitt das Horn zurecht und passte dann den neuen Beschlag an.

Als wir fertig waren, brachte ich Rufos nach draußen, wo Baria auf uns wartete. »Er war brav wie immer«, sagte ich und übergab ihr den Führstrick. Dann wollte ich zurück in den Schuppen, doch sie hielt mich auf.

»Wenn es heute Abend etwas ruhiger ist, hilfst du mir dann mit ihm?«, fragte sie und deutete auf den Holzverschlag, wo ihr neu erworbenes Pferd stand.

»Sehr gern«, versprach ich und hoffte, dass meine Mutter nichts dagegen hätte.

***

Sobald es für mich in der Schmiede nichts mehr zu tun gab, rannte ich so schnell es ging nach Hause, um meine Mutter um Erlaubnis zu bitten.

Besonders angetan war sie nicht, ließ mich aber dennoch ziehen.

Mein Plan ging auf. Barias Ruhe und die sanfte Gelassenheit ihres alten Pferdes wirkten Wunder. Aus dem ängstlichen Wildfang würde schon bald ein zuverlässiges Kutschpferd werden.

»Du kannst noch nicht nach Hause«, meinte sie, als ich den Heimweg antreten wollte. »Schließlich habe ich dir einen neuen treuen Freund zu verdanken und nun hat er noch gar keinen Namen.«

»Sofur«, fiel mir spontan ein.

Erst runzelte sie die Stirn, dann fiel der Groschen. »Rufos rückwärts?«

»Ja, es klingt anders und ist doch gleich«, grinste ich.

Sie nickte bedächtig. »Hm … du hast recht und ich finde den Namen gar nicht so schlecht.«

Zufrieden legte ich mir meinen Wollumhang über die Schultern. Es war kühl geworden. Auch wenn die Sonne nie ganz unterging, verlor sie doch für einige Stunden, in denen sie am tiefsten Punkt stand, die Kraft, um genügend Wärme zu spenden. Das Licht glich in dieser Zeit der Abend- oder Morgendämmerung in der anderen Welt.

Nun war es aber wirklich Zeit, nach Hause zu gehen, doch Baria hielt mich abermals auf.

»Nein, nein, so geht das nicht. Ich möchte mich bei dir bedanken und deswegen lade ich dich zum Essen ein.«

Mit großen Augen sah ich sie an. »Wo?«

»Hinten am Lagerfeuer«, sagte sie, als wäre es selbstverständlich für eine junge Frau wie mich, mit einem Dutzend Männer am Feuer zu sitzen. »Du brauchst keine Angst zu haben, die beißen alle nur, wenn sie darum gebeten werden.« Über den Witz, den ich sehr wohl verstanden hatte, lachte sie schallend. Sie schloss das Gatter des Pferchs, in dem die Pferde grasen und ruhen durften. »Komm schon«, meinte sie dann und ging vor.

Ich folgte ihr zu der Wiese, wo sich all die Händler bereits versammelt hatten. Inmitten ihrer Wagen standen Tische und Bänke, einige spielten Musik, andere lagen müde herum. Baria strebte einen freien Platz an.

»Setz dich da hin, ich hole uns etwas«, meinte sie und ging.

Ängstlich blickte ich in die Runde. Würde mir auch niemand etwas tun? Um sicherzugehen, schloss ich für einen winzigen Moment die Augen und nutzte meine Vorausschau. Ja, auch dies war eine meiner Gaben und garantiert nichts Besonderes in dieser Welt. Sie verschaffte mir wenigstens einen Überblick darüber, wie die Männer reagieren würden.

Nein, in den nächsten Sekunden würde sich niemand um mich kümmern, deshalb ließ ich mich auf der Bank nieder und wurde zunächst tatsächlich nicht beachtet.

Nur einer schob nach einer Weile einen Krug zu mir hinüber. »Du bist doch das Mädchen, das immer in der Schmiede hilft. Machst deine Sache sehr gut«, meinte er.

»Danke«, erwiderte ich zaghaft.

»Wie alt bist du?«

»Sechzehn.«

»Du bist ziemlich stark. Siehst gar nicht danach aus.« Er betrachtete mich von oben bis unten, was mir wirklich unangenehm war.

Automatisch senkte ich den Blick. Doch dann ging mir auf, dass ich noch nie so nah an diese Leute herangekommen war und es bestimmt so schnell nicht wieder schaffen würde. Bisher hatte ich immer nur ihren Gesprächen gelauscht, wenn sie auf dem Dorfplatz oder an der Schmiede versammelt gewesen waren, jetzt konnte ich sogar Fragen stellen.

»Wie viele Orte hast du in diesem Jahr schon besucht?«, wollte ich wissen.

»Dies ist der vierte.«

»Waren auch große Städte dabei?«

»Nein, aber in einigen Tagen werde ich ins Fürstentum Taris aufbrechen.« Er lachte und klopfte seinem Nachbarn auf die Schulter. »Mein Kumpel hier wird in einigen Wochen nach Karanot reisen«, meinte er dann und verzog das Gesicht.

Ich wusste warum. Es war die Stadt in den Bergen. »Ist das nicht gefährlich?«, fragte ich.

»Du hast also schon davon gehört«, stellte er fest.

»Die Leute dort bezahlen gut und sie kaufen sehr viel«, meinte der andere.

»Vermutlich weil sich niemand hintraut«, erwiderte ich. »Es soll dort Späher geben.«

»Die Kleine weiß gut Bescheid.«

»Ich interessiere mich für das, was ihr tut«, gab ich zu. »Mein Vater war auch ein Reisender.«

»Wirklich? Wie hieß er?«

»Sein Name war Michael. Er starb, kurz bevor ich geboren wurde.«

»Ein merkwürdiger Name. Nie gehört.«

»Er wurde nach jemandem aus der anderen Welt benannt«, erklärte ich stolz. »Dort heißen viele Männer so.«

»Hört, hört«, mischte sich nun ein alter Mann ein, der bisher noch gar nichts von sich gegeben hatte. »Du kannst voraussehen und sogar noch mehr«, meinte er.

Woher wusste er das? Misstrauisch sah ich ihn an.

»Du hast es getan, bevor du dich zu uns gesellt hast«, beantwortete er meine unausgesprochene Frage. »Ich sah es daran, dass du die Augen geschlossen und dich konzentriert hast.«

»Es sind nur wenige Sekunden, die ich voraussehen kann«, tat ich meine Fähigkeit als belanglos ab.

»Auch wenige Sekunden können einem manchmal das Leben retten«, erwiderte er.

»Dennoch ist es nichts Besonderes«, erwiderte ich. »Ein Nachbarsjunge kann es auch.«

»Ja, aber diese Gabe kommt dennoch seltener vor, als du denkst, und ich hörte von welchen, die dazu noch Visionen von der Zukunft haben.« Er sah mich an, als würde er meine Reaktion abwarten.

Ich ließ mir nichts anmerken, denn auch das traf auf mich zu und ich versuchte stets es geheim zu halten. Anscheinend gelang es mir, denn nach einer Weile fuhr der Mann unbeirrt fort.

»Wenn du dazu noch die Gabe hast, die andere Welt zu sehen, ist das wahrhaft königlich«, meinte er.

»Es gibt dort nicht nur Tage, sondern auch Phasen, in denen die Sonne nicht scheint, also gänzlich aus ist«, wusste jemand zu berichten.

Darüber musste ich fast grinsen, hielt mich jedoch zurück. Leuten, die niemals schliefen und weder die Nacht noch den Mond kannten, hätte ich es wohl auch nicht besser erklären können.

Baria kam zum Tisch und stellte eine Schüssel mit gebratenem Hühnchen vor mir ab. Es duftete köstlich.

»Davon solltest du nicht so viel trinken«, riet sie mir und deutete auf den Krug, der noch immer unberührt vor mir stand. »Starker Wein.«

Schon weil ich neugierig war, trank ich nun einen Schluck. Das dunkelrote Zeug war schrecklich sauer, sonst gar nichts, und als ich das Gesicht verzog, lachten die anderen über mich.

»Möglicherweise ist in den nächsten Wochen gerade Karanot die sicherste Stadt«, meinte Baria, als sie sich neben mich setzte. Anscheinend hatte sie etwas von unserem Gespräch aufgeschnappt.

Die anderen nickten, nur ich konnte nicht begreifen, was sie damit meinte, und blickte fragend in die Runde.

»Schattenkrieger«, klärte mich mein Gegenüber auf. »Sie wurden schon vielerorts gesehen. Späher ebenfalls. Man muss also nicht nach Karanot reisen, um ihnen zu begegnen.«

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich Baria.

Doch ehe sie mir eine Erklärung liefern konnte, entbrannte eine wirre Diskussion am Tisch. Es war das erste Mal, dass ich davon hörte, der dunkle Zauberer hätte damit gedroht, unsere Welt zu zerstören. Doch vorrangig ging es um seine Handlanger, die Schattenkrieger. Manche meinten, diese entsetzlichen Gestalten galten seit der Dreiländerschlacht als besiegt, andere sagten, es sei ein Trugschluss zu glauben, man könne solche Wesen vernichten. In einem Punkt waren sich alle einig. Sie hatten Angst, denn diese metallisch schimmernden Soldaten stahlen ihren Opfern die Schatten und das bedeutete, man war seiner Lebensenergie beraubt und starb schon nach wenigen Tagen an Kraftlosigkeit.

Was die Späher anbelangte, gab es fast noch schlimmere Geschichten, die meisten kannte ich bereits. Diese Monster waren zwar nicht im Namen dunkler Mächte unterwegs, doch sie töteten für ihren König. Jeder, der Ungehorsam zeigte, wurde niedergemetzelt. Bisher hatten wir einfach nur Glück gehabt, dass sie unser Dorf noch nicht überfallen hatten. Angeblich ließen sie alle niederknien und einen Eid auf König Gorson schwören. Und jeder, der sich weigerte, wurde versteinert oder gefror zu ewigem Eis, ehe man ihn zerstückelte. Ich hatte sogar schon mal davon gehört, dass sie ihre Opfer zerfleischten und aßen. Keine besonders schöne Vorstellung. Hätte das Essen nicht so gut geduftet, wäre mir der Appetit vergangen. Gebratenes Huhn stand bei uns zu Hause allerdings nicht sehr oft auf dem Speiseplan, weshalb ich es mir trotz allem gut schmecken ließ.

***

Bald nach dem Essen trat ich mit einem mulmigen Gefühl den Heimweg an. Die Stunden, in denen die Sonne am tiefsten Punkt stand, nutzten wir, um uns auszuruhen, deswegen waren die Straßen um diese Zeit wie leer gefegt. Aber zum ersten Mal empfand ich das als gruselig, zuckte bei jedem winzigen Geräusch ängstlich zusammen und war froh, als ich endlich an unserem Zaun ankam. Die Schauergeschichten der Reisenden hatten mir wohl doch mehr zugesetzt, als ich erwartet hatte. Davon wollte ich meiner Mutter jedoch lieber nichts erzählen, ihre Begeisterung für meinen Ausflug würde sich sowieso in Grenzen halten, weil es so spät geworden war. Deshalb atmete ich tief durch, machte ein möglichst unbeschwertes Gesicht und öffnete dann erst die Tür.

»Hat die Dame den Hengst gekauft?«, wurde ich zu meiner Überraschung freundlich gefragt. Ich hatte wirklich mit einer Moralpredigt gerechnet.

»Ich glaube, eine Dame ist sie nicht gerade, aber dafür sehr nett«, antwortete ich. »Ja, sie hat ihn gekauft und ich bin sicher, er wird es gut bei ihr haben.«

»Du warst ziemlich lange unterwegs«, meinte sie, womit meine Befürchtungen wohl doch noch eintrafen.

»Baria hat mir noch Essen und Trinken spendiert.«

Schon am Gesichtsausdruck meiner Mutter sah ich, dass sie etwas einwenden wollte.

Ich stoppte sie. »Reg dich nicht gleich auf, Mutter. Die Leute waren alle sehr nett zu mir.«

»Es gefällt mir trotzdem nicht, wenn meine Tochter mit solchen Vagabunden zu Abend isst.«

»Mein Vater war doch auch solch ein Vagabund, also dürftest du wohl nichts dagegen haben«, erwiderte ich vorlauter, als ich es eigentlich vorgehabt hatte.

»Er war keiner von ihnen«, widersprach sie. »Ein Reisender, sicher, aber nicht so … so …«

»So was?«

Darauf bekam ich keine Antwort. Wie immer. »Warum redest du nie über ihn?«, fragte ich.

Meine Mutter blickte nur sehr kurz zu mir auf, doch ich sah schon, dass ihr meine Frage nicht gefiel. »Wovon sprichst du, Kind?«

»Das weißt du genau.«

Sie legte die Schafswolle beiseite und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Dein Vater war ein gebildeter Mann, der sich zu benehmen wusste. Dafür, dass er uns verlassen hat, wird es einen guten Grund gegeben haben.« Sie nahm ihn in Schutz, obwohl sie immer noch dachte, er habe sie schwanger zurückgelassen. Dazu noch unverheiratet. Das war das Schlimmste, was man einer Frau antun konnte. Aber ich wusste es besser und hatte ihr schon mehrmals davon berichtet.

Wenn er in Annas Welt gestorben war, bedeutete das nur eines: Er war auch hier … »Er ist nicht zurückgekehrt, weil er starb«, erwiderte ich eine Spur zu leise. Ich wusste, sie wollte es nicht hören. »Und falls du denkst, er hätte dich nicht gewollt, dann irrst du dich. In der anderen Welt wart ihr verheiratet.«

Meine Erzählungen trieben Tränen in ihre Augen. »Er hatte sicher seine Geheimnisse, aber die bewahrte er stets zu unserem Schutz, davon bin ich überzeugt. Ich weiß, dass er kein schlechter Mann war, Lunaja. Und er hat sich sehr darüber gefreut, als ich mit dir schwanger war. Du musst mich also nicht trösten.«

»Es ist nur die Wahrheit«, gab ich zurück.

Sie nickte und deutete hinter sich auf unsere Ruhelager. »Du solltest dich etwas hinlegen, schließlich warst du den ganzen Tag auf den Beinen.«

»Halb so schlimm. Ich gehe gleich mit den Tieren auf den Hügel, dort habe ich mehr Ruhe als nötig.« Das sagte ich so leicht dahin, dachte aber im nächsten Moment an Schattenkrieger und Späher. Sie machten mir immer noch Angst.

Trotzdem packte ich meine Tasche mit Äpfeln und einem Beutel Wasser, ohne mir etwas anmerken zu lassen, schon allein, weil ich meiner Mutter nichts von dem erzählen wollte, was ich gehört hatte. Auf jeden Fall würde ich heute öfter meine Vorausschau nutzen. So hatte ich etwas Vorsprung, wenn ich flüchten musste.

***

Als die Sonne von ihrem tiefsten Punkt wieder emporstieg und damit den neuen Tag begrüßte, machte ich mich auf den Weg. Das Wetter war herrlich, die Vögel zwitscherten um die Wette. Perfekte Voraussetzungen für einen wunderschönen Tag. Mir würde nichts geschehen, denn ich hatte mal gehört, dass Tiere instinktiv das Weite suchten, sobald Gefahr drohte. Trotzdem ging ich nicht so weit wie in den letzten Tagen. Sobald die Ziegen und Schafe genug Futter fanden, machte ich Halt und setzte mich in die duftende Wiese.

Bald legte ich mich hin und schloss die Augen. Anna schlief wohl. Wenn ich mich nun konzentrieren würde, könnte ich sehen, wie ihr Tag verlaufen war. So sehr interessierte es mich allerdings nicht, weshalb ich nur unzusammenhängende Szenen mitbekam.

Da war ihre Schule, die anderen Mädchen und Jungen … Halt! Einer von ihnen war mir schon öfter aufgefallen. Genauso wie Anna natürlich, doch sie hielt sich stets von ihm fern. Nicht ihre Liga, dachte sie ständig, obwohl sie ihn so wie alle anderen anhimmelte. Was ich wirklich gut verstehen konnte, denn er besaß die schönsten Augen, die ich je gesehen hatte. Sie leuchteten in hellem Türkisgrün, das war absolut einzigartig. Schon allein wegen seiner männlichen Statur sah er älter aus als die anderen, vielleicht auch, weil er stets ein bisschen arrogant wirkte. Was er sich durchaus leisten konnte. Alles in seinem Gesicht passte perfekt, die gerade Nase, die relativ hoch angesetzten Wangenknochen, das nicht übertrieben markante Kinn. Sein Lächeln war kühl und doch berauschend. Er schien über alles erhaben zu sein. In Jeans und einem schlichten weißen T-Shirt sah er einfach atemberaubend aus.

Wenn mir doch nur solch ein Mann begegnen würde, ich wäre sicher nicht so schüchtern wie Anna, dachte ich, seufzte tief und musste im nächsten Moment laut lachen, denn mit Sicherheit würde ich mich genauso zurückhalten, wie sie es tat. Hm, vielleicht waren wir doch nicht so verschieden.

Trotzdem stellte ich ihn mir in meiner Welt vor, vielleicht als jemand, der mit nacktem Oberkörper, so wie viele Männer es machten, auf dem Feld arbeitete. Vor meinem inneren Auge sah ich seine breiten Schultern und wie die Muskeln unter der Haut spielten. Mhmm … wobei jemand wie er sicher kein einfacher Arbeiter war. Eher der Offizier einer königlichen oder wenigstens fürstlichen Garde. Eine Uniform würde ihm ganz sicher gut stehen. Ich musste grinsen, denn das erste Bild auf dem Feld gefiel mir dennoch tausendmal besser, weil seine sonnengebräunte Haut vor Schweiß glänzte, er sich aufrichtete und sich mit den Fingern durch das nasse dunkle Haar strich. Himmel, er war so …!

Was war das?

Erschrocken riss ich die Augen auf und blinzelte ins Licht. Es war kein Geräusch gewesen, was mich hellhörig gemacht hatte, eher die plötzliche Stille. Ich sah mich um, einige der Schafe und Ziegen blickten neugierig zum Waldrand, doch mit bloßem Auge war dort nichts zu erkennen. Mit meiner Vorausschau konnte ich Dinge in einiger Entfernung sehen, deswegen konzentrierte ich mich auf die Richtung und schloss die Augen, um meine Gabe zu nutzen.

Zumindest hatte ich das vor. Nur wurde leider nichts daraus, denn die Bilder vor meinem inneren Auge begannen zu verschwimmen. So war es immer, wenn mich eine Vision heimsuchte. Verdammt, wieso denn ausgerechnet jetzt? Möglicherweise schwebte ich in Lebensgefahr und würde wertvolle Minuten damit vergeuden, Dinge zu sehen, mit denen ich nicht besonders viel anfangen konnte, weil sie noch nicht geschehen waren oder niemals passieren würden. Wer wusste das schon?

Bisher war jedenfalls noch nichts von dem eingetroffen, was mir meine Visionen gezeigt hatten. Zum Beispiel sah ich das Bild einer jungen Frau mit seidigem, rötlich glänzendem Haar – ja, das hätte ich sein können, allerdings trug sie eine mit Diamanten und Rubinen verzierte Krone auf dem Kopf und das Kleid, in dem sie steckte, war ein Traum aus blutroter Seide. Dummerweise konnte ich niemals Gesichter erkennen, sie waren immer verschwommen. Genauso wie die des kahlköpfigen Mannes, der mir immer auf einem Sandplatz gegenüberstand. Sein Schwert war wunderschön gearbeitet, die Ornamente würde ich jederzeit wiedererkennen. Obwohl er es hoch erhoben hielt oder kunstvoll umherschwang, wusste ich, er war kein Feind, sondern eher ein Lehrer. Diese Szenen gefielen mir am besten von allen, die ich bisher gesehen hatte.

Jetzt konnte ich allerdings gut darauf verzichten. Wehren konnte ich mich nicht dagegen, meine Visionen kamen und gingen, wie es ihnen passte. Und ausgerechnet heute kam auch noch etwas Neues hinzu. Ein Falke. Er setzte sich auf den hölzernen Zaun direkt vor unserem kleinen Haus, dann erkannte ich, wie im dichten Nebel eine Reiterstaffel die gepflasterte Straße zu uns hinaufgeritten kam. Die Soldaten trugen schlichte Uniformen, manche von ihnen nur Hemden. Ihre Ärmel und die Sattelunterlagen ihrer Pferde waren mit einem Wappen bestickt. Ich versuchte angestrengt es zu erkennen, doch der Nebel hatte sich verdichtet und die Krieger – oder wer auch immer sich da näherte –, waren zu weit entfernt. In dem Augenblick, da ich dachte, sie seien nun nah genug, war meine Vision zu Ende. Als wäre nichts gewesen, fand ich mich im Gras kniend wieder, riss die Augen auf und das Sonnenlicht blendete mich. Sofort konzentrierte ich mich auf meine Umgebung.

Diesmal klappte es! Gott sei Dank, denn nun wusste ich, dass ich recht gehabt hatte. Irgendwo zwischen hohen Bäumen und satt grünen Farnblättern standen Männer. Der Wald war nicht weit entfernt, ich nahm an, dass sie in seinem Schutz lauerten und mich beobachteten. Ihre Kleidung sah seltsam aus und in ihren Gürteln trugen sie … Schwerter!

So schnell ich konnte, sprang ich auf. In meiner Panik hätte ich die Tiere auch zurückgelassen. Doch zum Glück hörten sie auf mein Pfeifen und rannten hinter mir her.

Ich hielt kein einziges Mal an, bis ich zu Hause angekommen war.

Völlig außer Atem sperrte ich die kleine Herde in den Pferch. Das würde garantiert nichts nützen. Wenn man uns überfiel, würden sie gestohlen. Schnell kniff ich die Augen zusammen, um noch einmal die Gegend abzusuchen. Doch da war nichts mehr. Wie es aussah, war mir niemand gefolgt. Mir fiel ein Stein vom Herzen.

»Lunaja, was ist denn geschehen?« Meine Mutter war aus dem Haus gekommen und nun, da sie mich sah, stürzte sie zu mir. »Du bist ja schweißnass, Kind.«

Noch immer völlig außer Atem plapperte ich drauflos. »Männer mit silbrigen Hemden und Waffen.« Dann beschrieb ich noch ihre Hosen und die sehnigen Unterarme, ihre Statur … »Sie waren groß und einer hatte langes feuerrotes Haar, der andere blondes.« Wenn ich es mir recht überlegte, hatte ich noch nie einen Mann mit so glänzenden hellen Locken gesehen. Doch all das wollte meine Mutter nicht wissen.

»Trugen sie … Masken?«, unterbrach sie meinen Redeschwall, weshalb ich endlich tief Luft holen konnte.

Zuerst schüttelte ich den Kopf. »Keine Gesichter«, antwortete ich und atmete aus. »Weißt du doch. Ich … kann …« … in meiner Vorausschau Gesichter nicht erkennen, wollte ich sagen, doch dann dachte ich genauer nach. Ja, da war etwas Eisernes an ihren Köpfen gewesen. Ich hatte es für Helme gehalten und auch nicht wirklich drauf geachtet, aber … »Kann schon sein«, sagte ich dann.

»Späher«, flüsterte meine Mutter und sah sich ängstlich um. »Das sollten wir im Dorf berichten.« Sie wollte sofort loslaufen, doch ich hielt sie auf.

»Die Händler wussten bereits davon, dass Späher in der Nähe gesehen wurden. Ich schätze also, im Dorf ist es bereits bekannt.«

»Und das sagst du mir erst jetzt? Vor allem gehst du trotzdem in den Wald? Bist du noch zu retten?«

»Ich war ja nicht im Wald«, erwiderte ich, obwohl das eine dürftige Ausrede war.

Mama rannte ins Haus und kam mit einigen Sachen zurück. Dann verriegelte sie die Tür. »Wir gehen trotzdem ins Dorf«, befahl sie. »Dort sind wir sicherer als hier.«

Ich sah, dass sie einen kleinen Lederbeutel einsteckte. »Was ist das?«

»Geld, Lunaja. Es gehört deinem Vater und ich gedenke nicht es solchen Schurken zu überlassen.« Dann marschierte sie voraus und ich brav und vor allem augenverdrehend hinter ihr her. Wann würde sie endlich akzeptieren, dass er tot war?

Im Dorf erwartete uns der gleiche Trubel wie mich am Tag zuvor. Doch diesmal schien sich die Gemeinde versammelt zu haben.

»Wenn ihr etwas Neues wisst, dann kommt mit in die Kirche«, riet uns eine Nachbarin.

»Kirchen sind stets eine Falle«, rief jemand aus der Menge heraus. »Versteckt euch in den Wäldern, flüchtet, wenn ihr könnt!«

Woher die Stimme kam, konnte ich nicht deuten, doch sie machte nicht nur mir Angst. Mama legte schützend ihren Arm um mich. »Wir könnten in die Schmiede gehen«, schlug ich vor. »Caso hat sicher nichts dagegen.«

Bevor meine Mutter etwas erwidern konnte, stieg der Gemeindevorsteher auf eine der Kirchenmauern und bat um Aufmerksamkeit.

Es dauerte einen Augenblick, bis es etwas ruhiger geworden war und alle ihm zuhörten. »Es gibt keinen Grund zur Panik!«, rief er. »Alle Vorkehrungen sind getroffen, Wachen rund um die Uhr im Dienst.«

»Meine Tochter hat Späher im angrenzenden Wald des Nordhügels gesehen!«, rief meine Mutter und ein anderer stimmte mit ein. »Ja, auch ich habe auf der Jagd Männer mit Masken gesehen. Nur um ein Haar bin ich ihnen entkommen!«

»Davon hörte ich bereits, aber sie scheinen nur zu zweit unterwegs zu sein, was bedeutet, dass wir nichts zu befürchten haben.«

»Zwei reichen völlig aus, um das ganze Dorf niederzumetzeln«, widersprach jemand.

»Nein, sie sind Beobachter und genauso Feinde der Schatten wie auch wir«, erwiderte der Vorsteher.

»Da habe ich etwas anderes gehört«, schallte es aus der Menge.

Noch mehr Leute begannen zu reden und eine wilde Diskussion entbrannte. Bis Trishas Vater ebenfalls auf die Kirchenmauer stieg. »Geht nach Hause und freut euch auf die Festlichkeiten, die bevorstehen!«, rief er. »Seid gewiss, es ist alles getan worden, um Schaden von uns abzuwenden.«

Vielleicht hatten meine Visionen von der Reiterstaffel etwas damit zu tun, überlegte ich. Möglicherweise schickte man uns ein Heer zu Hilfe. Schließlich unterstand auch Karadia König Gorson, weshalb er schließlich die Pflicht hatte, uns vor Gefahren zu schützen. Und die Späher waren bestimmt nur hier, um ihm Bericht erstatten zu können.

Ich zog meine Mutter am Ärmel, damit sie mir zuhörte, dann erzählte ich ihr von meiner Theorie.

Stirnrunzelnd blickte sie mich an und nickte schließlich. »Ja, das ergibt Sinn«, stimmte sie mir zu.

Auf der anderen Seite des Dorfplatzes war der alte Mann, den ich bei den Händlern kennengelernt hatte, auf einen der Wagen gestiegen. »Euer Dorfvorsteher hat recht! Niemand muss sich um Schattenkrieger sorgen, denn König Gorson schützt uns vor ihnen. Aber ich weiß, warum er das tut! Am kariadischen Hof wurden Schriften gefunden, die den Untergang dieser Welt ankündigen. Solange Gorson die alleinige Herrschaft hat, besitzt er die Macht über Leben und Tod! Und ich sage euch, er wird den Tod über uns bringen. Über uns alle, niemand wird davonkommen.«

»Stoppt diesen Narren!«, rief jemand und daraufhin zogen einige Leute den Mann von seinem Wagen herunter.

»Wir werden alle sterben, wenn Gorson König bleibt!«, rief er trotzdem weiter, obwohl ihm jemand einen Kinnhaken verpasste.

Ich drängte mich durch die Menge zu ihm nach vorn. Ehe ich ihn erreichen konnte, lag er schon am Boden. Er blutete am Kopf, doch noch immer gab es welche, die auf ihn einprügeln wollten.

»Genug«, rief meine Mutter hinter mir.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie mir gefolgt war. Gemeinsam schoben wir die Schläger beiseite und knieten uns zu dem Alten.

»Was sind das nur für Geschichten?«, sagte meine Mutter. »Du musst dich nicht wundern, wenn plötzlich alle auf dich losgehen.«

»Weil sie die Wahrheit nicht vertragen können. Weil sie blind sein wollen.«

»Von welchen Prophezeiungen hast du da überhaupt gesprochen?«, wollte sie wissen.

»Der dunkle Zauberer steht mit Gorson im Bunde. Nur durch den Magier konnte er damals unseren eigenen König töten. Und dafür ist er ihm etwas schuldig. Seither ist Gorson nichts weiter als ein Werkzeug des Bösen.«

»Die Sagen rund um den dunklen Zauberer sind ein Mythos, das Einzige, was man je von ihm sah, waren seine Schattenkrieger, und nun soll er die Macht über den großen Herrscher Gorson besitzen?«, wiedersprach sie. »Unser König starb in einem fairen Zweikampf.«

»Ja, das ist es, was das Volk glauben soll, und doch weiß jeder, dass der dunkle Zauberer, der größte aller Schatten, von jeher den Fall Solests anstrebt. In diesem Zweikampf, den du fair nennst, hat er Gorson zu seinem Handlanger gemacht, all das war nur der Anfang vom Untergang der Welt.«

Ich sah meiner Mutter an, dass sie ihm glaubte. Trotzdem tat sie es ab, als wäre das alles Unsinn. »Woher hast du denn überhaupt diese Weissagungen?«

»Ein Junge, der im kariadischen Schloss als Stallbursche arbeitet, wusste von den Schriften zu berichten und der hatte es von einer Küchenmagd.«

»Und die hat es wahrscheinlich auch wieder von jemand anderem gehört, und dann kommen am Ende die schlimmsten Gerüchte dabei heraus«, meinte meine Mutter und grinste.

»An jedem Gerücht ist etwas dran«, sagte der Mann mit ernster Miene und ließ sich von uns auf die Beine helfen. »Es war nicht das erste Mal, dass ich von den Prophezeiungen hörte. Glaubt es oder lasst es!«

»Denkst du wirklich, die Schattenkrieger werden uns nicht angreifen?«

»O doch, das werden sie. Aber nicht jetzt, sondern erst, wenn Gorson bereit ist mit ihnen auszuziehen, um die schützenden Mauern unserer Welt zu zerstören.«

***

Es dauerte einige Tage, bis sich die Lage im Dorf beruhigt hatte. Sogar die meisten Händler waren geblieben, weil sie es nicht wagten, schutzlos durch die Wälder zu reisen. Erst als man die Wachen abzog, machten sich die ersten auf den Weg. Baria war eine davon. Sie meinte, Unkraut verginge nicht, weshalb ihr garantiert nichts geschehen könnte. Und unter vorgehaltener Hand gab sie sogar zu, ebenfalls schon öfter von diesen Prophezeiungen gehört zu haben. Sie war davon überzeugt, dass die schrecklichen Kreaturen sich nicht so lange an einem Ort aufhalten würden, ohne tätig zu werden.

Ich wünschte mir, genauso mutig zu sein wie die alte Frau, aber mir gingen die Späher nicht aus dem Kopf. Sie waren da gewesen, ganz in meiner Nähe, und das machte mir immer noch Angst. Doch wann immer ich mich suchend umsah, konnte auch ich nichts Auffälliges mehr entdecken. Trotzdem entfernte ich mich nur ungern weit vom Haus und in der Schmiede half ich stets nur einige Stunden, um Mama nicht so lange allein zu lassen. Sie kannte mich gut und wurde bald misstrauisch, doch ich wollte sie nicht mit meiner Furcht belasten.

Wenn sie mich fragte, ob alles in Ordnung sei, erfand ich Ausreden. Eine davon waren meine Visionen. Mama hatte in den letzten Tagen mehrfach mitbekommen, wie ich scheinbar blind in die Knie gegangen war. Jedes Mal hatte sie mir den Rücken gestreichelt, bis es vorbei gewesen war, und mich anschließend voller Sorge betrachtet. Meine Berichte darüber, was ich gesehen hatte, hatten es natürlich nicht besser gemacht.

»Wenn du die Wappen nicht erkennen kannst, woher willst du dann wissen, dass sie keine Feinde sind?«, fragte sie, doch darauf hatte auch ich bisher keine Antwort. »Wir sollten weiterhin vorsichtig sein.«

»Glaubst du an das, was der Mann bei der Versammlung gesagt hat?«

»Nur in einem Punkt«, erwiderte sie. »An den meisten Gerüchten ist etwas Wahres dran. In dieser Hinsicht kann ich ihm tatsächlich nicht widersprechen.«

»Baria und die anderen sind der Überzeugung, dass der dunkle Zauberer unsere Welt längst vernichtet hätte, wenn das sein Ziel wäre«, wollte ich sie beruhigen.

»Es gefällt mir nicht, dass du noch immer mit diesen Leuten Kontakt hast.«

Das blieb wohl kaum aus. Schließlich brachten sie alle ihre Zugtiere zu Caso.

»Trishas Eltern sehen es ähnlich«, sagte ich, ohne auf ihren Vorwurf einzugehen. »Sonst würden sie kaum wie geplant das Fest ausrichten.«

Dem stimmte meine Mutter zu oder zumindest sagte sie nichts weiter darauf, sondern nickte knapp und ging dann ins Haus. Vielleicht wollte sie mich genauso wenig ängstigen wie ich sie. Denn obwohl ich stets versuchte mir und auch ihr einzureden, dass alles, was wir gehört hatten, nicht von Bedeutung war, wusste ich doch tief in mir drin, dass wir sehr wohl in Gefahr schwebten. Da waren einerseits meine Visionen – von den vielen Reitern, von der Frau mit der Krone, dem Mann mit dem Schwert –, andererseits ein merkwürdiges Gefühl, das ich nicht beschreiben konnte.

In Momenten wie diesen, wenn ich zum Horizont sah und sich die Wolken zu einem dunklen Gebilde verdichteten, war es besonders schlimm. Von Weitem war ein Donnergrollen zu hören und hoch über mir zog ein Falke seine Kreise. Es fühlte sich so an, als wären es die Vorboten auf das, was uns bevorstand.

Ich lehnte mich an die Mauer unseres Hauses und ließ mich daran nieder. Ein eisiger Schauer lief mir über den Rücken, ich zog den Wollumhang fester um die Schultern und schloss die Augen. Manchmal war es gut, dieser Welt entfliehen zu können, indem ich mich auf mein zweites Ich konzentrierte und der Musik lauschte, die Anna hörte. Der dumpfe Bass, die Gitarrenklänge und die donnernden Rhythmen, die es hier nicht gab. Sie lenkten mich ab, doch aufheitern konnten sie mich nicht. Auch Anna war in den letzten Tagen mehr und mehr in trübe Stimmung verfallen. Kein Wunder, sie hatte Schwimmwettbewerbe verloren und sich vom Team abgemeldet. Seit der Sache mit Steven war sie ohnehin nur noch ungern dort gewesen. Wie es schien, machten wir gerade beide eine merkwürdige Zeit durch.

»Luna!«

Es war Nala, die mich aus meiner Melancholie riss. Sie kam den Weg zu unserem Haus hinauf. In einem Arm hielt sie ein verschnürtes Paket, mit der freien Hand winkte sie mir zu.

Ich ahnte, weshalb sie hier war … und sollte recht behalten. Auf den letzten Metern hielt sie das Päckchen höher und strahlte mich an.

»Du willst mir nicht wirklich ein Kleid leihen«, sagte ich, stand auf und öffnete das kleine Törchen, um sie in unseren Garten zu lassen.

»Nicht ich«, machte sie es spannend, was ich wiederum gar nicht verstand. Entsprechend verwirrt sah ich sie nun an.

»Trisha leiht es dir«, rückte sie mit der Sprache raus.

»Wirklich? Oh, das ist aber nett von ihr«, rief meine Mutter hinter mir. »Kommt doch rein, Kinder. Lasst uns nachsehen.«

Ihre Begeisterung zu teilen fiel mir wirklich schwer und außerdem fragte ich mich ernsthaft, wie Nala es geschafft hatte, ihre Freundin zu überreden. Wir folgten Mama ins Haus, wo nur wenige Sekunden später ein Haufen rosaroter Stoff auf dem Tisch lag.

»Was ist das?«, fragte ich, obwohl es eindeutig zu erkennen war.

Mama nahm es und hielt es hoch. »Wunderschön, wie im Märchen, oder?«

Na ja … wie in einem Albtraum traf es schon eher. Die Farbe erinnerte mich an diese süßen, klebrigen Kaugummis aus der anderen Welt. Automatisch zog ich die Nase kraus, nickte jedoch gleichzeitig, um meiner Mutter und vor allem Nala einen Gefallen zu tun.

Sie durchschauten mich trotzdem. Mama sah mich mahnend an und Nala lachte.

»Mach nicht so ein Gesicht. Ich weiß, die Farbe ist schon sehr – wie soll ich sagen? – gewagt.«

Gewagt war wirklich sehr vorsichtig ausgedrückt.

»Aber es ist ein Brautjungfernkleid. Wir werden alle so eins tragen.« Und dann erzählte Nala leichthin, wie sie die Braut dazu überredet hatte, mich als vierte Brautjungfer zu erwählen. »Auf diese Weise ist schließlich jedem geholfen, weil Trisha ja Bedenken hatte, du könntest sonst nicht kommen«, meinte sie und zwinkerte mir zu.

Darüber musste ich lachen, weil ich wusste, Nala hatte das nur getan, um Trisha eins auszuwischen. Mir sollte es recht sein.

»Also, ich finde es sehr herzlich von deinen Freundinnen, dass sie dich dabei haben wollen«, meinte Mama, sichtlich empört von meinem Gelächter. »Ihr habt euch in letzter Zeit nur sehr selten gesehen.«

Das stimmte und manchmal tat es mir auch leid, nur dummerweise konnte ich mit ihnen nicht viel anfangen. Ich war lieber bei den Pferden, galoppierte ohne Sattel über die Wiesen oder kletterte auf Bäume. Als Kinder hatten wir noch alle mit Stöcken gespielt, so getan, als wären wir Soldaten im Kampf, aber darauf hatten die anderen Mädchen schon lange keine Lust mehr.

»Mach schon, probier es an«, forderte Nala grinsend. Sie kannte mich gut und wusste, was ich davon hielt.

Trotzdem tat ich, was sie wollte und stand kurz darauf in dieser Bonbonverpackung vor einem Spiegel, den Mama geholt hatte. Sogar Schuhe mit einem erhöhten Absatz hatte sie hervorgekramt. Wir hatten beide die gleiche Größe, weshalb ich mich nicht mal dagegen wehren konnte, sie zu tragen.

Ich drehte mich ein paar Mal vor dem Spiegel hin und her, doch davon wurde es auch nicht besser. Der Stoff war sehr edel und schimmerte im Licht, aber die Rüschen fand ich furchtbar und die Korsage zwickte und drückte meinen Busen nach oben, was ich ziemlich unmöglich fand. Meiner Meinung nach standen mir schlichte Sachen einfach besser. Natürlich bedankte ich mich trotzdem sehr herzlich bei meiner Freundin, denn schließlich hatte sie es nur gut gemeint.

»Ihr werdet die hübschesten Brautjungfern sein, die ganz Kariada je zu Gesicht bekommen hat«, schwärmte Mama.

Ehrlich gesagt hoffte ich, mich würden nicht allzu viele Leute darin sehen.

»Ja, das werden wir«, stimmte Nala zu.

Nun, wir würden sehen.

***

Um genau zu sein, sahen wir es schon am nächsten Tag. Mama hatte mir extra aufgetragen nicht mit den Tieren loszuziehen. Also blieb ich am Haus, melkte die Ziegen und kümmerte mich um Brennholz. Der nächste Winter kam bestimmt, man konnte nie genug vorsorgen.

»Hach, ich freue mich schon so sehr auf das Fest«, säuselte meine Mutter. »Wenn ich daran denke, wie du in diesem Kleid aussehen wirst …« Sie lächelte selig. »Vielleicht lernst du ja auch mal einen netten Mann kennen«, meinte sie. »Im Winter wirst du schon siebzehn, es ist also durchaus Zeit, darüber nachzudenken.«

»Mama, ich kenne hier jeden einzelnen Jungen und keiner von ihnen interessiert sich für mich.« Und ich mich nicht für sie. Solch einen Mann, wie ich ihn aus meinen Tagträumen kannte, gab es hier nun mal nicht. Noch immer geriet ich ins Schwärmen, wenn ich an die türkisgrünen Augen und das wunderschöne Gesicht dachte, das ich in der anderen Welt gesehen hatte.

»Das liegt nur daran, dass du dich immer zurückhältst«, meinte Mama. »Wenn sie dich als Brautjungfer sehen, wird das mit Sicherheit anders. Glaube mir.«

Augenverdrehend legte ich ein dickes Stück Holz auf den Baumstumpf und schwang die Axt. Dass meine Mutter den Kopf schüttelte, entging mir dabei nicht. Tja, der Mann, von dem ich schwärmte, war ein unerreichbarer Traum. Und selbst wenn es jemanden gegeben hätte, der ihm wenigstens ähnlich war, würde er wahrscheinlich keine Frau an seiner Seite haben wollen, die mindestens genauso stark war wie er.

»Komm rein, wenn du fertig bist. Du solltest dich langsam zurechtmachen«, sagte Mama und ging ins Haus.

Es waren noch wenigstens drei Stunden Zeit, bis wir aufbrechen mussten, anscheinend hatte sie Großes mit mir vor, wenn sie damit schon jetzt beginnen wollte.

Und so war es. Als ich ihr hineingefolgt war, sah ich, dass sie mehrere große Schüsseln Wasser aufgestellt hatte und es roch sogar nach Seife.

Kurz darauf musste ich mich von oben bis unten waschen. Sogar die Haare, obwohl ich erst gestern am Bach gewesen war. Mama schwor jedoch auf das Mittel, was sie im Dorf erstanden hatte. Es würde mein Haar glänzend und seidig machen, versprach sie. Zumindest duftete es wunderbar, weshalb ich die Prozedur tatsächlich genoss.

Als ich endlich fertig war, zog ich noch den rosaroten Albtraum an und betrachtete mich mal wieder im Spiegel. So ging ich tatsächlich als ganz normale junge Frau durch, da musste ich Mama zustimmen. Leider fühlte ich mich noch immer nicht besonders wohl, aber diesen einen Tag würde ich schon überstehen.

Auch Mama machte sich hübsch und ich fragte mich, ob sie wohl je wieder einen Mann kennenlernen würde. Sie war eine schöne Frau und hätte bestimmt gute Chancen. Am liebsten hätte ich sie gefragt, aber ich traute mich nicht, weil ich wusste, wie sehr sie noch immer an meinem Vater hing. Er war ihre große Liebe gewesen. In den seltenen Momenten, da sie von ihm sprach, leuchteten ihre Augen. So etwas zu erleben musste magisch sein, doch ich hatte leider keinerlei Vorstellung davon. Nicht einmal Anna aus der anderen Welt würde so etwas je erleben – nach ihrem ernüchternden Erlebnis mit Schwimmteam-Steven in der Umkleidekabine erst recht nicht, davon war ich überzeugt.

***

Vor der Kirche wartete Nala bereits auf mich und zog mich beiseite. »Wir lassen erst alle hineingehen, zum Schluss kommt die Braut. Ihr Vater wird sie geleiten und wir folgen ihnen. Zwei Mädchen rechts und wir beide links. Ganz am Schluss gehen die Blumenkinder. Alles verstanden?«

Ich nickte, verabschiedete mich von Mama und ließ mich dann zu den anderen bringen.

»Luna!«, begrüßte mich Mirja. »Du siehst wunderschön aus.«

»Ja, so kennt man dich gar nicht«, bestätigte Viana und betrachtete mich von oben bis unten.

Täuschte ich mich oder sprach da der Neid aus ihren Augen? Den sie keineswegs nötig hatte, denn sie war eine wahre Schönheit und jede von uns wusste, dass ihr der Sohn des Dorfvorstehers den Hof machte. Bestimmt wäre sie die nächste Braut. »Danke«, erwiderte ich dennoch kleinlaut und sah mich um. So, wie Nala es angekündigt hatte, steckten wir alle in den gleichen rosaroten Kleidern, selbst die kleinen Mädchen. Und in ihren Körben befanden sich Blütenblätter in der gleichen Farbe.

Als die Kutsche mit den beiden Schimmeln vorfuhr, waren die Hochzeitsgäste bereits in der Kirche verschwunden, anscheinend passte der Zeitplan perfekt. Die Mädchen um mich herum gaben ein lautes »Oh!« und »Ah!« und »Hach, wie wunderschön!« von sich und ich versuchte wirklich mich mit einzubringen, zumal selbst mir nicht entging, wie herrlich Trishas schneeweißes Hochzeitskleid aussah. An ihrer kunstvollen Hochsteckfrisur hatte man einen Schleier befestigt, der mit vielen kleinen Perlen im Licht schimmerte. Sie lächelte, doch ich sah ihr an, wie aufgeregt sie war.

»Es geht los«, meinte Nala und zog mich an der Hand hinter sich her. In den engen Schuhen lief ich zwar, so schnell ich konnte, und ich wollte auch wirklich alles richtig machen, doch leider kam mir mein Kopf in die Quere. Bevor wir uns hinter der Braut aufstellen konnten, verschwammen die Bilder vor meinen Augen.

Verdammt, in letzter Zeit passierte mir das immer häufiger. Zwar wollte ich wirklich wissen, welches Wappen die Soldaten trugen, die ich stets sah, aber musste es denn ausgerechnet jetzt geschehen? Ich spürte noch, dass ich stolperte, sah eins von den kleinen Blumenmädchen direkt vor mir, dann schossen mir die Bilder in den Sinn, Szenen, die ich längst kannte. Wieder versuchte ich voller Anstrengung das Wappen zu erkennen und wieder war alles vorbei, ehe die Soldaten nahe genug herangeritten waren.

Und als ich endlich im Hier und Jetzt angekommen war und normal sehen konnte, fand ich mich auf dem Bauch liegend wieder – in einem Meer aus rosafarbenen Blütenblättern. Eins der Kinder sammelte sie gerade auf. Anscheinend war ich der Länge nach hingeschlagen und hatte der Kleinen dabei den Korb aus den Ärmchen gerissen.

Während Nala besorgt neben mir hockte und mir dann gemeinsam mit den anderen Mädchen auf die Beine half, wetterte Trisha in einer Tour. »Lasst das liegen, Kinder! Die Blüten sind ganz staubig. Teilt den Rest untereinander auf!« Dann wandte sie sich in meine Richtung. »War ja klar, dass sie hier alles durcheinanderbringt. Was ist mit ihrem Kleid? Los macht schon, klopft ihr den Dreck aus dem Rock!«

Die anderen gehorchten, rieben an dem rosaroten Stoff herum und befanden schließlich, dass es nicht so schlimm sei und sie den gröbsten Schmutz entfernt hätten.

Der Einzige, der etwas Mitgefühl zeigte, war Trishas Vater. »Geht es dir gut? Sollen wir dir einen Krug Wasser bringen?« Wahrscheinlich dachte er, ich hätte einen Ohnmachtsanfall gehabt.

Ich ließ ihn in dem Glauben, indem ich einige Male mit den Wimpern klimperte und mir mit der Hand etwas Luft zufächerte. »Nein danke, es geht schon wieder«, versprach ich dann. »Wir sollten Eure Tochter und den Bräutigam nicht länger warten lassen.«

Er warf noch einen fürsorglichen Blick auf mich, dann nickte er und gab einem Jungen, der in der Kirchentür wartete, ein Handzeichen.

»Das wird auch Zeit«, motzte Trisha. »Wenn ich nicht rechtzeitig erscheine, heiratet der Dummkopf noch eine andere, die zufällig im Weg rumsteht.«

Sie war wirklich alles andere als eine liebliche Braut und ich schüttelte unmerklich den Kopf.

Kurz darauf begannen die Glocken zu läuten und unsere kleine Kolonne setzte sich in Bewegung. Ich hoffte inständig, dass meine Visionen nun für ein paar Stunden ausbleiben würden, damit ich nicht noch mehr Schaden anrichtete.

Wir durchschritten langsam den Gang in Richtung Altar, wo Keno bereits wartete. Die wenigen roten Haare, die ihm noch geblieben waren, hatte er streng zurück über den Kopf gekämmt und im Nacken zu einem spärlichen Zopf gebunden. Er trug ein Hochzeitsgewand, das sehr an eine Uniform erinnerte. Allerdings machte ihn das auch nicht schöner. Die kurze dunkelblaue Jacke verdeckte leider nicht seinen dicken Bauch. Sein Kopf war hochrot, Schweiß glänzte auf seiner Stirn.

Als er Trisha erblickte, riss er die Augen auf und sein Mund stand seltsam offen. Es sah mehr danach aus, als hätte man ihm einen leckeren Braten vor die Nase gestellt, als dass er seine zukünftige Frau bewunderte. Mich schüttelte der Anblick innerlich, denn prompt fiel mir ein, was er in wenigen Stunden mit Trisha machen würde.

Na ja, andererseits hatte sie gerade erst wieder bewiesen, was für ein Miststück sie sein konnte, und in einem Punkt hatte sie recht: Keno war nicht gerade für seine Intelligenz bekannt. Demnach war ich mir gerade nicht so sicher, wer von den beiden mir mehr leidtun sollte. Sie nahm ihn nur, weil er ihr ein noch besseres Leben ermöglichen konnte, als sie es sowieso schon von zu Hause gewohnt war. Und er? Nun ja, vielleicht machte ihn ihre Schönheit blind für die Tatsache, dass sie eine hinterhältige Hexe war. Liebe verband die beiden garantiert nicht.

Wenn ich je einen Mann nehmen müsste, würde ich ihn mir nicht danach aussuchen, ob er gut situiert war oder arm. Ja, vielleicht waren es Kleinmädchenträume, an die ganz große, einzig wahre Liebe des Lebens zu glauben, aber zumindest war es nicht völlig ausgeschlossen, dass es so etwas gab. Schließlich war meine Mutter der beste Beweis dafür. Noch heute liebte sie meinen Vater aus ganzem Herzen, und das sogar in beiden Welten.

Sobald Trisha bei Keno angekommen war, legte ihr Vater ihre Hand in die des Bräutigams und die Zeremonie begann. Der Pfarrer nahm den beiden das Versprechen ab, in guten wie in schlechten Tagen zusammenzuhalten, sich zu lieben und zu ehren, bis der Tot sie irgendwann schied. Auch was das anbelangte, schwor ich dieses Gelübde nur abzulegen, wenn ich es auch auf immer und ewig halten konnte … und wollte.

»Wenn jemand etwas einzuwenden hat, so soll er jetzt sprechen oder für immer schweigen!«, rief der Prediger in die Menge und als sich niemand meldete, wollte er fortfahren.

Doch genau in diesem Moment flog das große Tor am Ende des Kirchenschiffes auf und ein Junge stürzte herein. »Ein Wirbelsturm rast auf uns zu!«

»Es sind Schattenkrieger!«, rief ein zweiter, der die Kirche betreten hatte. »Sie sind überall!«

Verwirrt blickte ich mich um. Von draußen konnte man den Wind pfeifen hören, der Himmel schien sich zu verdunkeln, durch die Fenster drang kaum noch Licht herein. Für mich sah es wirklich so aus, als würde uns ein gigantisches Unwetter heimsuchen, und nicht danach, dass eine bewaffnete Meute im Anmarsch war.

Fast gleichzeitig mit dem Tumult, der daraufhin entstand, brüllte Trisha den sichtlich geschockten Geistlichen an. »Macht schon! Sprecht zu Ende!«

»Hiermit seid ihr Mann und Frau!«, rief der wie in Trance, ohne noch auf das Brautpaar zu achten. »Ihr dürft euch jetzt küssen!«

Dann rannte er in die Sakristei. Wahrscheinlich wollte er sich darin verbarrikadieren, wer konnte es ihm verdenken. Noch mehr Leute kamen in die Kirche gerannt und draußen riefen etliche durcheinander. »Schließt die Türen!«, schrien manche, »Geht nicht da rein!«, andere.

Auf Letztere schienen die wenigsten zu hören, anscheinend stürmte alles, was Beine hatte, in das Gotteshaus. Im Nu herrschte hier drinnen fürchterliches Gedränge. Es dauerte, bis es den Kräftigsten gelang, die Tore zu schließen und sie mit einem riesigen Holzpfosten zu verriegeln.

Ich versuchte meine Mutter in der Menge auszumachen, wollte sie suchen, doch jemand ergriff meine Hand und ehe ich mich versah, kauerte ich neben Nala und einigen anderen unter dem Altar.

Es wurde immer dunkler, der Wind pfiff so laut, dass er das Stimmengewirr übertönte. Ich sah die Angst der anderen in ihren weit aufgerissenen Augen. War dies der Weltuntergang? So, wie es die Prophezeiungen voraussagten, an die niemand glauben mochte? Hatte er womöglich schon begonnen?

Die Kirche war voller Menschen, das halbe Dorf musste hier versammelt sein. Würden wir heute alle sterben?

Wo war meine Mutter? Würde ich sie je wiedersehen?