Shadowsong - S. Jae-Jones - E-Book

Shadowsong E-Book

S. Jae-Jones

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Beschreibung

Seit Liesl ihr Leben als Königin der Unterwelt hinter sich gelassen hat und zu ihrer Familie zurückgekehrt ist, versucht sie, die Musikkarriere ihres kleinen Bruders Josef zu fördern. Gemeinsam mit ihrer Schwester reist Liesl nach Wien, um Josef zu unterstützen. Doch Josef verhält sich kühl, distanziert und zieht sich immer mehr zurück. Als besorgniserregende Zeichen darauf hindeuten, dass die alte Barriere zwischen den Welten verschwindet, muss Liesl ihren Bruder verlassen und in die Unterwelt zurückkehren. Nur sie kann das Mysterium enträtseln, das den König der Kobolde umgibt. Was muss passieren, damit die alten Gesetze der Unterwelt gebrochen werden können und Liesls unmögliche Liebe eine Chance bekommt?

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Danksagung

Anmerkung der Autorin

Gedicht

Brief 1

Brief 2

Brief 3

Notiz

Teil 1

EWIG DEIN

Der Ruf

Der Preis von Salz

Die Wahnsinnigen, die Furchtsamen, die Getreuen

Vom Nutzen des Weglaufens

Ein Mahlstrom im Blut

Einem Königreich entronnen

Zwischenspiel

Teil 2

EWIG MEIN

Seltsame Neigungen

Fehlerhaftigkeit

Das Heim der Verrückten und der Träumer

Das Labyrinth

Schafspelze

Die dem Erlkönig gehören

Das Ende der Welt

Zwischenspiel

Teil 3

EWIG UNS

Burg Snovin

Die Verwandtschaft zwischen uns

Die Geschichte der tapferen Maid, Reprise

Das alte Kloster

Das Monster, das ich beanspruche

Wechselbalg

Intermezzo

In die verkehrte Welt

Vergessen

Er gehört jetzt dem Erlkönig

Das Ende der tapferen Maid

Zwischenspiel

Teil 4

unsterblicher Geliebter

Die Rückkehr der Koboldkönigin

Umgedreht

Aus tiefstem Herzen und mit der ganzen Welt

Finale

Brief

Zitat

Coda

Glossar der musikalischen Begriffe

Widmung

Für die Ungeheuer unter uns und für jene, die uns lieben.

Gedicht

Gedenke mein, wenn ich fort bin dann,

Gegangen weit ins stille Land;

Wenn du mich nicht mehr halten kannst an meiner Hand,

Noch ich mich halb zum Gehen wenden kann,

Nur um zu bleiben und um dann,

Tag für Tag zu hören, was du für unsre Zukunft planst:

Gedenke mein, auch wenn du ahnst,

Dass kein Gebet mich mehr erreichen kann.

Doch wenn du mich vergisst für eine Zeit,

Sei nicht traurig, wenn du wieder an mich denkst,

Denn wenn du durch Dunkelheit und Trauer lenkst,

Auf eine Spur triffst von dem, was ich gewesen bin,

Lächle und vergiss und nimm es hin,

Gedenke mein, doch nicht in Traurigkeit.

Christina Rossetti, Gedenke mein

Brief 1

An Franz Josef Johannes Gottlieb Vogler

wohnhaft bei Meister Antonius

Paris

Mein liebster Sepperl,

man sagt, es habe geregnet an dem Tag, an dem Mozart starb.

Offenbar weint Gott, wenn ein Musiker zu Grabe getragen wird, denn es hat wie aus Eimern gegossen, als wir Papa auf dem Kirchfriedhof beerdigt haben. Der Priester hat seine Gebete mit unüblicher Eile über dem Leichnam unseres Vaters gesprochen, er hatte es eilig, fortzukommen von der Nässe, dem Schmutz und dem Schlamm. Außer der Familie waren nur Papas Freunde aus der Schenke anwesend, doch sobald sie erfuhren, dass es keinen Leichenschmaus geben würde, waren sie auch schon wieder fort.

Wo bist Du, mein Brüderchen? Wo bist Du?

Unser Vater hat uns ein gewaltiges Erbe hinterlassen, Sepp – die Musik, ja, aber vor allem Schulden. Mutter und ich müssen unsere Mittel immer wieder überziehen, während wir versuchen, das, was wir besitzen, und das, was wir verdienen können, zusammenzuhalten. Wir kämpfen darum, den Kopf über Wasser zu halten, um nicht zu ertrinken, während uns das Gasthaus langsam hinabzieht ins Vergessen. Unsere Grenzen sind eng, unsere Geldbeutel sogar noch enger.

Wenigstens ist es uns gelungen, genug zusammenzubekommen, um Papa einen anständigen Platz auf dem Kirchfriedhof kaufen zu können. Wenigstens werden Papas Gebeine an der Seite seiner Vorväter ruhen und nicht in einem Armengrab vor den Toren der Stadt. Wenigstens das, wenigstens das, wenigstens das.

Ich wünschte, Du wärst dort gewesen, Sepp. Du hättest dort sein sollen.

Warum dieses Schweigen? Sechs Monate sind vergangen und noch immer kein Wort von Dir. Kommen meine Briefe denn immer einen Tag, einen Ort, eine Stadt zu spät an? Nachdem Du wieder zum nächsten Auftritt auf deiner Rundreise aufgebrochen bist? Antwortest Du mir deswegen nicht? Weißt Du, dass Papa gestorben ist? Dass Käthe ihre Verlobung mit Hans gelöst hat? Dass Constanze mit jedem Tag seltsamer und exzentrischer wird? Dass Mutter – unsere stoische, standfeste, unsentimentale Mutter – weint, wenn sie glaubt, wir könnten es nicht hören? Schweigst Du, um mich für die Monate, die ich unerreichbar in der Unterwelt verbracht habe, zu bestrafen?

Es tut mir leid, mein Herz. Wenn ich tausend Lieder, tausend Wörter schreiben könnte, dann würde ich Dir mit jedem einzelnen davon sagen, wie leid es mir tut, dass ich mein Versprechen an Dich gebrochen habe. Wir haben uns geschworen, dass die Entfernung keinen Unterschied machen würde. Wir haben uns geschworen, einander zu schreiben. Wir haben uns geschworen, wir würden unsere Musik in Papier und Tinte und Blut miteinander teilen. Ich habe diese Versprechen gebrochen, und ich kann nur hoffen, dass Du mir verzeihst. Ich habe so viel zu geben, Sepp. So viel, von dem ich mir wünsche, dass Du es hörst.

Bitte schreib bald. Wir vermissen Dich. Mutter vermisst Dich, Käthe vermisst Dich, Constanze vermisst Dich. Aber ich bin es, die Dich am meisten von allen vermisst.

Deine Dich immer liebende Schwester,

Komponistin von »Der Erlkönig«

Brief 2

An Franz Josef Johannes Gottlieb Vogler

wohnhaft bei Meister Antonius

Paris

Mein liebes Brüderchen,

ein weiterer Tod, ein weiteres Begräbnis, ein weiterer Leichenschmaus. Frau Berchtold wurde letzte Woche tot im Bett gefunden, mit Frost um die Lippen und einer silbrigen Narbe über der Kehle. Erinnerst Du Dich an Frau Berchtold, Sepp? Sie hat immer mit uns geschimpft, weil wir die guten, gottesfürchtigen Kinder im Dorf mit unseren grässlichen Sagen von der Unterwelt verdorben haben.

Und nun ist sie fort.

Sie war die Dritte, die diesen Monat unter derartigen Umständen gestorben ist. Allmählich haben wir alle Angst vor der Seuche – wenn es denn eine Seuche ist. Falls ja, dann hat noch niemand bisher eine solche Krankheit je gesehen. Keine Pocken, keine Wundmale, kein Zeichen einer Erkrankung, nichts, was zu sehen wäre. Die Toten erscheinen unversehrt, unberührt, abgesehen von den Silberküssen um ihren Mund und am Hals. Niemand kann sich einen Reim darauf machen. Es sterben Alte und Junge, Männer und Frauen, Gesunde und Versehrte, Vernünftige und Unvernünftige gleichermaßen.

Schreibst Du deshalb nicht? Bist Du gesund, munter und heil? Lebst Du überhaupt noch? Oder wird der nächste Brief mit Deinem Namen darauf nichts als gebrochene Herzen bringen und eine weitere Beerdigung?

Die Alten im Dorf murmeln leise ihre düsteren Weissagungen. »Von den Elfen geholt«, sagen sie. »Von Kobolden gezeichnet. Das Handwerk des Teufels. Denkt an unsere Worte: Schon bald wird der Ärger beginnen.«

Von Kobolden gezeichnet. Silber an der Kehle. Frost auf den Lippen. Ich weiß nicht, was das bedeutet. Ich habe einmal geglaubt, Liebe wäre genug, um die Welt sich weiter drehen zu lassen. Genug, um die alten Gesetze zu überwinden. Aber ich habe gesehen, wie sich Vernunft und Ordnung in unserem langweiligen, rückständigen kleinen Dorf nach und nach auflösen, das Zurückweisen aufgeklärter Ideen und das Zurückfallen in alte Muster. Salz auf jeder Türschwelle, vor jedem Eingang. Selbst der alte Dorfpfarrer hat die Tore der Kirche gegen das Böse geschützt. Ungebrochene weiße Linien, die dennoch die Grenzen zwischen Heiligkeit und Aberglaube verwischen.

Constanze ist auch keine Hilfe. Sie redet in letzter Zeit nicht mehr viel; nicht, dass unsere Großmutter das jemals getan hätte. Doch in Wahrheit macht sie mir Sorgen. Sie verlässt ihr Zimmer nur noch selten, und wenn sie es tut, können wir nie wissen, welcher Version unserer Großmutter wir begegnen werden. Manchmal ist sie geistesgegenwärtig, scharfäugig und aufbrausend wie eh und je, doch manchmal scheint sie in einem anderen Jahr zu leben, in einer völlig anderen Zeit.

Käthe und ich stellen ihr pflichtbewusst jeden Abend ein Tablett mit Essen vor die Tür, aber an jedem Morgen steht es immer noch unberührt dort. Vielleicht fehlen ein paar Bissen Brot und Käse und ein paar Tropfen Milch sind über den Boden verteilt wie Feenspuren, doch Constanze scheint sich nur noch von Furcht und ihrem Glauben an den Erlkönig zu nähren.

Von Glauben allein kann man nicht leben.

Der Wahnsinn liegt ihr im Blut, sagt Mutter immer. Manie und Melancholie.

Wahnsinn.

Mutter sagt, unser Vater habe getrunken, um seine Dämonen zu vertreiben, um den Mahlstrom in seinem Inneren zu dämpfen. Sein Großvater, Constanzes Vater, ist darin ertrunken. Papa ist vorher im Schnaps ertrunken. Ich habe es nicht verstanden, bis auch ich die Dämonen kennengelernt habe.

Manchmal fürchte ich, dass auch in mir ein Mahlstrom wirbelt. Wahnsinn, Manie, Melancholie. Musik, Zauber, Erinnerungen. Ein Strudel, der um eine Wahrheit kreist, die ich nicht zugeben will. Ich schlafe nicht, weil ich mich vor den Zeichen und Wundern fürchte, die ich sehe, wenn ich erwache. Dornenranken winden sich um Zweige, das Klacken von unsichtbaren schwarzen Krallen, Blut, das zu einer Blume erblüht.

Ich wünschte, Du wärst hier. Du konntest meine umherstreifenden, rastlosen Gedanken immer in gerade Bahnen lenken und meine wilden Vorstellungen zu einem schönen Garten zähmen. Es liegt ein Schatten auf meiner Seele, Sepperl. Nicht nur die Toten sind von den Kobolden gezeichnet.

Hilf mir, Sepp. Hilf mir dabei, mich selbst zu verstehen.

Immer die Deine

Komponistin von »Der Erlkönig«

Brief 3

An Franz Josef Johannes Gottlieb Vogler

wohnhaft bei Meister Antonius

Paris

Mein liebster Bruder,

die Jahreszeiten wechseln und immer noch kein Wort von Dir. Der Winter ist vorbei, doch das Tauwetter lässt sich Zeit. Die Bäume zittern im Wind, an ihren Ästen wächst noch immer kein junges Laub. Die Luft riecht nicht mehr nach Eis und Schlaf, aber die Brise weht auch nicht den Duft von feuchtem Grün heran.

Seit dem Sommer habe ich den Koboldhain nicht mehr betreten und seit Papas Tod steht das Klavier in unserem Zimmer unberührt da.

Ich weiß nicht, was ich Dir erzählen soll, mein Brüderchen. Ich habe meine Versprechen an Dich zweimal gebrochen. Das erste Mal, indem ich unerreichbar für Dich war, das zweite Mal, indem ich Dir nicht geschrieben habe. Keine Worte, sondern Melodien. Harmonien. Akkorde. Die Hochzeitsnachtsonate ist unvollendet, der letzte Satz noch immer ungeschrieben. Wenn die Sonne hoch am Himmel steht und die Welt hell ist, finde ich endlos viele Entschuldigungen dafür, dass ich nicht komponiere: in den staubigen Ecken, in den Rechnungsbüchern, in den Vorräten für Mehl, Hefe, Zucker und Butter, in den alltäglichen Details, wenn man ein Wirtshaus führt.

Im Dunkeln ist die Antwort jedoch eine andere. Zwischen Abenddämmerung und Morgengrauen, den Stunden, wenn die Kobolde und Hödeken in den Wäldern ihren Schabernack treiben, dann gibt es nur einen Grund.

Den Koboldkönig.

Ich war nicht ehrlich zu Dir, Sepp. Ich habe Dir nicht die ganze Geschichte erzählt, weil ich geglaubt habe, ich könnte es von Angesicht zu Angesicht tun. Es ist keine Geschichte, die ich bloßen Worten anvertrauen wollte, denn Worte reichen dafür nicht aus. Aber ich werde es trotzdem versuchen.

Es war einmal ein kleines Mädchen, das seine Musik für einen kleinen Jungen in den Wäldern spielte. Sie war die Tochter eines Schankwirts und er war der Herr des Unheils, doch keiner von beiden war ganz das, was sie zu sein schienen, denn nichts ist so einfach wie im Märchen.

Für die Dauer eines Jahres war ich die Braut des Koboldkönigs.

Das ist kein Märchen, mein Brüderchen, sondern die reine Wahrheit. Vor zwei Wintern hat der Erlkönig unsere Schwester gestohlen und ich bin in die Unterwelt gereist, um sie zu finden.

Stattdessen habe ich dort mich selbst gefunden.

Käthe weiß es. Käthe weiß besser als jeder andere, wie es ist, im Reich der Kobolde begraben zu sein. Aber unsere Schwester versteht nicht, was Du verstehen würdest: dass ich nicht im Gefängnis des Erlkönigs in der Falle saß, sondern aus freiem Willen die Königin der Kobolde geworden bin. Sie weiß nicht, dass jenes Monster, das sie geraubt hat, zugleich das Monster ist, das ich für mich beanspruche. Sie glaubt, ich sei den Fängen des Erlkönigs entkommen. Sie weiß nicht, dass er mich gehen ließ.

Er ließ mich gehen.

In all den Jahren, die wir zu Constanzes Füßen gesessen und ihren Geschichten gelauscht haben, hat sie uns nicht ein einziges Mal erzählt, was geschieht, nachdem einen die Kobolde entführt haben. Nicht ein Mal hat sie uns gesagt, dass sich die Unterwelt und die obere Welt zugleich so fern und so nah sind wie die zwei Seiten eines Spiegels, von denen jede die andere reflektiert. Ein Leben für das Leben. Sie hat uns nie gesagt, dass eine Jungfrau sterben muss, um das Land vom Tod zurückzuholen. Vom Winter in den Frühling zu führen.

Doch was sie uns hätte erzählen müssen, ist, dass es nicht das Leben ist, das die Welt sich weiterdrehen lässt, sondern die Liebe. Ich halte an dieser Liebe fest, denn sie ist das Versprechen, das mich dazu gebracht hat, die Unterwelt zu verlassen. Ihn zu verlassen. Den Koboldkönig.

Ich weiß nicht, wie die Geschichte enden wird.

Ach, Sepp. Es ist schwer, so viel schwerer, als ich dachte, sich jedem Tag so zu stellen, wie ich bin: allein und unversehrt. Ich habe den Koboldhain seit einer Ewigkeit nicht mehr betreten, weil ich mich meiner Einsamkeit und Reue nicht stellen kann. Weil ich mich weigere, mich zu einem Halbleben bestehend aus Sehnsucht und Bedauern zu verdammen. Jede Erwähnung, jede Erinnerung an jene Stunden, die ich mit ihm in der Unterwelt verbracht habe, mit meinem Koboldkönig, ist eine Qual. Wie kann ich weitermachen, solange ich von Geistern verfolgt werde? Ich fühle ihn, Sepp. Ich fühle den Koboldkönig, wenn ich spiele, wenn ich an der Hochzeitsnachtsonate arbeite. Die Berührung seiner Hand auf meinem Haar. Den Druck seiner Lippen auf meiner Wange. Den Klang seiner Stimme, die meinen Namen flüstert.

Der Wahnsinn liegt uns im Blut.

Als ich Dir damals die Seiten der Hochzeitsnachsonate geschickt habe, dachte ich, Du würdest zwischen den Zeilen der Musik lesen und erkennen, was dahintersteht. Aber ich muss für meine Schuld einstehen. Ich bin gegangen, also ist es an mir, das Ende zu schreiben. Allein.

Ich möchte fort. Ich möchte entkommen. Ich möchte ein Leben, das ganz und gar gelebt wird – voller Erdbeeren und Schokoladentorte und Musik. Und Applaus. Akzeptanz. Das alles finde ich hier nicht.

Also richte ich den Blick auf Dich, Sepp. Nur Du kannst mich verstehen. Ich bete darum, dass Du verstehst. Lass nicht zu, dass ich mich dieser Dunkelheit allein stellen muss.

Bitte schreib. Bitte.

Bitte.

Die Deine in Musik und in Wahnsinn

Komponistin von »Der Erlkönig«

Notiz

An Maria Elisabeth Ingeborg Vogler

Meister Antonius ist tot. Ich bin in Wien. Komm schnell.

Der Preis von Salz

Der nächste Tag dämmerte hell und bitter herauf, als ich zum Klang von Mutters und Constanzes Streitereien aufwachte. Ihre Stimmen trugen von Constanzes Zimmer bis hinunter in Josefs Kammer, in der ich schlief. Wenn ich die beiden in diesem fernen Winkel des Hauses hören konnte, dann hörten sie auch die Gäste.

»Guten Morgen, Liesl«, rief meine Schwester, als ich aus der Küche in den Wirtsraum trat. Ein paar Gäste hatten sich bereits dort versammelt, einige, um zu essen, andere, um sich wegen des Lärms zu beschweren. »Ist das Frühstück bald fertig?«

Käthes Stimme klang betont fröhlich und sie hatte ein auffälliges Lächeln aufgesetzt. Hinter ihr sah ich die mürrischen Gesichter der Gäste. Wenn Papa noch am Leben gewesen wäre, hätte er die Spannung vertrieben, indem er ein lustiges Stück auf der Geige gespielt hätte. Wenn Papa noch am Leben und nüchtern gewesen wäre, jedenfalls. Wenn er denn jemals nüchtern gewesen war.

»Was soll das heißen?« Mutters Worte waren klar und scharf wie Glassplitter. »Schau mich an, Constanze. Schau mich an, wenn ich mit dir spreche!«

»Ahaha«, kicherte ich nervös und versuchte, es meiner Schwester gleichzutun und ebenfalls zu lächeln, aber es fühlte sich schief auf meinem Gesicht an. »Gleich. Das Frühstück ist gleich fertig. Ich muss nur … Ich, äh, ich muss, ähm, Mutter noch etwas fragen.«

Käthe funkelte mich an, ohne dass ihr hübsches Lächeln dabei verblasste. Ich drückte ihre Hand und entzog mich geschickt ihrem Griff. Dann eilte ich hinauf in die Höhle des Löwen.

Die Tür zu Constanzes Zimmer war geschlossen, aber Mutters Zorn war klar und deutlich zu verstehen. Sie war immerhin Sängerin gewesen und hatte ihre Stimmgewalt nie verloren. Sie wusste, wie sie ihre Stimme zu einer nicht zu unterschätzenden Waffe machen konnte. Ich hielt mich nicht mit Klopfen auf, sondern drehte stattdessen gleich den Türknauf, wobei ich mich wappnete.

Die Tür gab nicht nach.

Stirnrunzelnd rüttelte ich am Knauf und versuchte es ein weiteres Mal. Die Tür rührte sich nicht, so als würde sie irgendetwas blockieren. Was auch immer es war, es schien von der anderen Seite dagegengeschoben worden zu sein. Ich drückte mit der Schulter gegen das Holz.

»Constanze?«, rief ich und versuchte dabei, nicht allzu laut zu sein, damit die Gäste mich nicht hörten. »Constanze, ich bin’s, Liesl.« Ich klopfte und drückte energischer gegen die Tür. »Mutter? Lasst mich rein!«