Sheltered in blue - Svea Lundberg - E-Book

Sheltered in blue E-Book

Svea Lundberg

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Beschreibung

Frisch von der Polizeischule beginnt Nils Lassner voller Tatendrang seinen Dienst bei der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit. Doch bereits bei seinem ersten Einsatz muss er am eigenen Leib erleben, dass seine Uniform ihn nicht nur zum Freund und Helfer, sondern auch zum Feindbild macht. Inmitten brennender Barrikaden braucht Nils mit einem Mal eine emotionale Stütze – und findet sie in seinem Truppführer. Aber Polizeihauptmeister Erik Rieth hat gerade ganz andere Probleme, als sich um einen jungen Kollegen zu kümmern: beispielsweise seine Ex-Frau davon abzuhalten, einen erbitterten Sorgerechtsstreit zu beginnen. Zwischen Demo-Einsätzen und Festnahmen kommen Nils und Erik sich dennoch näher. Aber dank seiner On-Off-Beziehung zu einem bekannten Gesicht der Stuttgarter High Society gerät Nils auf unerwartete Weise plötzlich erneut zwischen zwei Fronten … ~~~~~ Band 1 der Polizei-Romance-Reihe "Sheltered in blue". Alle Bände sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. ~~~~~ Bislang innerhalb der Reihe erschienen sind: »Sheltered in blue – Wenn Barrikaden brennen« (Erik & Nils) »Sheltered in blue – Wenn Erinnerungen lähmen« (Jan & Kadir) »Sheltered in blue – Wenn Vertrauen aus Verrat erwächst« (Elián, Ben & János) »Sheltered in blue – Wenn wir verletzen« (Domenico & Sascha) »Sheltered in blue – Wenn wir verzeihen« (Domenico & Sascha)

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Inhalt
Impressum
Vorwort
Widmung
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
Epilog
Danksagung
Über die Autorin
Weitere Bände der Reihe »Sheltered in blue«
 

Sheltered in blue

Wenn Barrikaden brennen

 

Ein Roman von Svea Lundberg

Inhalt

 

Frisch von der Polizeischule beginnt Nils Lassner voller Tatendrang seinen Dienst bei der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit. Doch bereits bei seinem ersten Einsatz muss er am eigenen Leib erleben, dass seine Uniform ihn nicht nur zum Freund und Helfer, sondern auch zum Feindbild macht. Inmitten brennender Barrikaden braucht Nils mit einem Mal eine emotionale Stütze – und findet sie in seinem Truppführer.

Aber Polizeihauptmeister Erik Rieth hat gerade ganz andere Probleme, als sich um einen jungen Kollegen zu kümmern: beispielsweise seine Ex-Frau davon abzuhalten, einen erbitterten Sorgerechtsstreit zu beginnen.

Zwischen Demo-Einsätzen und Festnahmen kommen Nils und Erik sich dennoch näher. Aber dank seiner On-Off-Beziehung zu einem bekannten Gesicht der Stuttgarter High Society gerät Nils auf unerwartete Weise plötzlich erneut zwischen zwei Fronten …

Impressum

 

Copyright © 2019 Svea Lundberg

 

Julia Fränkle-Cholewa

Zwerchweg 54

75305 Neuenbürg

[email protected]

www.svealundberg.net

 

Korrektorat & Buchsatz: Annette Juretzki/ www.annette-juretzki.de

 

Covergestaltung:

Minelle Chevalier/ www.mc-coverdesign.de

Bildrechte:

© outsiderzone /depositphotos.com

© Freepik/freepik.com

 

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte sind vorbehalten.

 

Die in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Die politischen Einstellungen der fiktiven Personen entsprechen nicht zwangsläufig denen der Autorin.

 

Der Inhalt des Romans sagt nichts über die sexuelle Orientierung der Covermodels aus.

Vorwort

 

Lange angekündigt und endlich erschienen: Hier ist der erste Teil meiner Romanreihe »Sheltered in blue«. Wer mir ein wenig auf Social Media oder meiner Website folgt, dürfte mitbekommen haben, dass »Polizei & Co« sowohl schriftstellerisch als auch privat mein Steckenpferd ist – dem Beruf meines Mannes sei Dank! Es irritiert mich immer wieder, wie viele Klischees und Unwahrheiten in Bezug auf Polizeiarbeit über die Medien (sei es durch TV-Sendungen oder Romane) verbreitet, und wie viele von diesen verklärten Bildern als bare Münze genommen werden.

 

»Romane sind Fiktion. Fiktion muss nicht die Wirklichkeit abbilden.«

 

Nein, das muss sie tatsächlich nicht. Und auch dieser Roman hier entbehrt nicht einer gewissen künstlerischen Freiheit. Zumal es selbstverständlich – vor allem, wenn wir uns den Spezialeinheiten der Polizei nähern – Dinge gibt, die nicht für jedermanns Ohren und Augen bestimmt sind. Daher folgt meine Reihe »Sheltered in blue« ganz dem Motto: »So nahe an der Realität wie möglich, so weit in der Fiktion wie nötig.«

 

Jeder Band der Reihe wird eine in sich abgeschlossene Geschichte aus dem Leben der Einsatzkräfte bei der Polizei erzählen. Im ersten Band begeben wir uns zur Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (kurz: BFE). In weiteren bereits geplanten Bänden nehme ich euch mit zum Spezialeinsatzkommando (SEK), zur GSG9, zur Hunde- und Reiterstaffel, zur Kriminal- und zur Verkehrspolizei und natürlich zur Schutzpolizei. Wer bereits einen Blick auf den Alltag des Streifendienstes werfen möchte, kann dies zudem in meinen beiden bereits erschienenen Romanen »Kristallschnee« und »Kristallscherben« tun.

 

Ich hoffe, meine Einsatzkräfte können euch auch über mehrere Bände hinweg in ihren Bann ziehen und nun wünsche ich euch hoffentlich gutes Lesevergnügen mit Erik, Nils und ihren Kollegen von der BFE.

Widmung

 

Für all jene, die täglich mit ihrem Leib und Leben für unser aller Sicherheit einstehen. Für ihre Familien und Freunde.

 

~~~~~

 

Die »thin blue line« – eine dünne blaue Linie auf schwarzem Grund – hat sich, ausgehend vom angelsächsischen Raum, weltweit als Zeichen der Verbundenheit zwischen Gesetzeshütern und Bevölkerung etabliert und hebt den Auftrag der Beamten im Dienst hervor, die Bevölkerung vor kriminellen Elementen zu bewahren. Vor dem schwarzen Hintergrund erinnert die »thin blue line« an all jene Kollegen, die im Dienst verletzt oder getötet wurden.

 

Ausgehend von diesem Symbol entstand der Reihen-Titel »Sheltered in blue«. Stets in der Hoffnung, die Beamten mögen unverletzt aus dem Dienst zurückkehren. In ihr Zuhause, zu ihren Familien und Freunden.

Prolog

 

~~~ Nils ~~~

 

Genüsslich strecke ich mich, spüre dem Gefühl nach, wie träge Befriedigung meine Glieder schwer werden lässt, ehe ich mich in eine halb aufrechte Position hochrapple. Auf die Unterarme gestützt beobachte ich Patrick. Beschwingt steigt er aus dem übergroßen Bett und läuft splitterfasernackt, mit noch nicht gänzlich abgeklungener Erektion, quer durch den geräumigen Wohnbereich. Ich lege den Kopf leicht schief, lasse den Blick über den schlanken Rücken, an der Wirbelsäule hinab, bis zu den kleinen, festen Pobacken wandern. Genieße das warme Kribbeln, das sich in meinem Unterleib ausbreitet, bei der Erinnerung, wie es sich angefühlt hat, in diesem wunderschönen Arsch zu stecken. Grinsend über meine eigenen Gedanken schüttele ich den Kopf und ringe mich endlich dazu durch, das gefüllte Kondom abzustreifen.

»Willst du was trinken?« Patricks Stimme schallt aus der mehr als edel eingerichteten Designerküche herüber und entlockt mir erneut ein Schmunzeln.

»Hast du nicht irgendwas in der Reihenfolge verwechselt?«

Patrick steht neben dem Kühlschrank und dreht sich halb zu mir um. Das Blitzen in seinen dunklen Augen kann ich selbst über die Entfernung und im Schummerlicht der gedimmten Deckenspots erkennen und erschauere wohlig.

»Ich hatte nicht den Eindruck, dass du einen Whiskey wolltest, bevor du mich gefickt hast.«

Für einen winzig kurzen Moment bin ich sprachlos, doch dann kriecht ein leises Lachen aus meiner Kehle und ich aus dem Bett. Entspannt schlendere ich zu Patrick, der noch immer neben dem geöffneten Kühlschrank steht. Es gefällt mir, dass er anscheinend keiner der Kerle ist, die nach der ersten Runde Sex erschöpft einpennen. Und noch mehr mag ich es, dass er offenbar kein Problem damit hat, anschließend noch ein Bier miteinander zu trinken, bevor er mich rausschmeißt.

Wobei das mit dem Bier schwierig werden könnte ... Misstrauisch linse ich in den geöffneten Kühlschrank, finde Champagner, Poppers, irgendeinen Chiasamen-Smoothie und stilles Wasser mit merkwürdigen Geschmacksrichtungen. Und ist das in diesem Döschen dort oben wirklich eine Feuchtigkeitscreme?

Patrick muss meinen prüfenden Blick bemerkt haben, denn das leicht spöttische Grinsen, das mich noch vor wenigen Stunden im Club um den Verstand gebracht und mich dazu veranlasst hat, mich an die Wäsche dieses Kerls zu klemmen, kehrt zurück.

»Frag mich jetzt nicht, ob ich auch ›en Wulle‹ da hab«, raunzt Patrick und bringt mich damit – und mit der Art, wie er unbewusst mein Lieblingsbier beleidigt – zum wiederholten Mal in dieser Nacht zum Lachen.

»Wulle wäre mir definitiv lieber als ...«, ich greife nach einer der Champagnerflaschen, nehme das hochwertig aussehende Etikett in Augenschein, »... Duval-Leroy.«

»Sorry.« Ein nachlässiges Schulterzucken. »Bier hab ich nicht da. Aber wenn es dich aufbaut: Ich hatte mal was mit ’nem Leroy und der hat nicht halb so gut gevögelt wie du.«

Ich verdrehe nur die Augen und lehne mich mit einem gemurmelten »Spinner« rücklings gegen den Küchentresen. Kurz frage ich mich, wie oft Patrick wohl schon mit blankem Arsch auf seinen Küchenmöbeln gesessen hat und ob ich heute Nacht noch die Gelegenheit bekommen werde, ihn hier zu vernaschen. Heiß ist Patrick definitiv, mit seinem feinen, aber dennoch männlichen Gesicht, den dunklen Haaren und dem schlanken, sehnig-festen Body. Außerdem scheint er alles andere als verklemmt. Der ideale Kandidat eigentlich, um aus einem One-Night-Stand ein klein wenig mehr werden zu lassen. Nur ein bisschen mehr, ein bisschen häufiger Sex.

»Scheiße Mann, bekommst du grad ernsthaft schon wieder ’nen Ständer?«

Mein Blick fliegt bei Patricks Worten nach oben, ich fixiere sein markantes Gesicht, taxiere die zu leichtem Spott verzogenen Lippen. Nach unten schauen muss ich schließlich nicht, um zu wissen, dass ich gerade wieder im Begriff bin, hart zu werden.

»Was dagegen?«

Ich erwarte schon eine ähnlich patzige Antwort wie Stunden zuvor, als ich ihn an der Bar im ›Kings Club‹ angesprochen habe. Doch zu meiner Überraschung formt sich ein fast schon sanftes Lächeln auf den schmalen Lippen.

»Überhaupt nicht. Aber lass mich vorher kurz unter die Dusche springen.«

Ich stoße mich vom Tresen ab, überbrücke die letzten beiden Schritte und neige mich zu ihm. Sauge in einer übertriebenen Geste seinen Geruch in mich auf und presse meine Lippen auf die weiche Haut seines Halses. Direkt über dem Kehlkopf. Patrick schluckt merklich.

»Warum? Ich mag, wie du riechst.«

Wieder ein Hüpfen des Kehlkopfes, ich lasse die Zungenspitze darübertanzen und erfreue mich an seinem leisen Keuchen.

»Ich aber nicht.« Sanft, aber bestimmt schiebt er mich ein kleines Stück von sich weg. Die Art jedoch, wie sich sein Schwanz halbsteif und bettelnd nach erneuter Zuwendung aufrichtet, macht überdeutlich, dass die Geste keine Zurückweisung ist. Er küsst mich flüchtig, ehe er sich endgültig von mir losmacht und quer durch den Raum läuft, nur um am anderen Ende hinter einer blickdichten Glastür zu verschwinden. Einen Moment lang starre ich auf die Stelle, an der er eben noch gestanden hat. In mir flammt der Gedanke auf, dass er und ich tatsächlich auch außerhalb des Bettes ganz gut zusammenpassen könnten, doch rasch verwerfe ich die Überlegung.

Der Drang, Patrick zu folgen und ihn unter dem heißen Wasserstrahl bäuchlings gegen die Wand zu drücken – oder gedrückt zu werden, gleiches Recht für beide – ist groß. Aber ich entscheide mich trotz pochender Erektion dagegen und lasse stattdessen den Blick durch den riesigen Raum schweifen.

Dieses Appartement im Stuttgarter Westen muss alleine schon aufgrund der Lage und Größe ein halbes Vermögen an Miete kosten. Oder aber es ist Eigentum, wobei diese Überlegung in mir nur noch dringlicher die Frage weckt, was meine Sex-Eroberung wohl beruflich macht. Ich selbst könnte mir so eine Wohnung jedenfalls nicht leisten. Weder mit meinem Auszubildendengehalt und sicher auch nicht mit dem, was ich in wenigen Monaten bei der Bereitschaftspolizei verdienen werde. Vorausgesetzt natürlich, ich bestehe den Eignungstest für die BFE ...

Hart stoße ich die Luft aus und tappe zu meiner Jeans, die mitten im Raum auf dem Boden liegt, um mein Handy daraus hervorzukramen. Ein flüchtiger Blick auf das Display zeigt 02:54 Uhr. Erneut schnaufe ich.

Ich hatte eigentlich nur auf einen Absacker im ›Matahari‹ vorbeischauen und dann nach Hause gehen wollen. Immerhin sollte ich langsam, aber sicher für meine Abschlussklausuren an der Polizeischule büffeln. Es war weder geplant, nach zwei Bier noch in den ›Kings Club‹ weiterzuziehen, geschweige denn, dort einen Kerl abzuschleppen. Mit einem tiefen Seufzer schiebe ich mein Handy zurück in die Jeans. Geplant oder auch nicht ... nun bin ich hier und werde die Zeit, die Patrick unter der Dusche verbringt, sinnvoll nutzen.

Interessiert sehe ich mich um und schlendere näher an die ausladende Sofalandschaft aus Echtleder heran, die mitten im Raum aufragt und eher zu exzessiven Sexpartys als zu gemütlichen DVD-Abenden einzuladen scheint. An der gegenüberliegenden Wand protzt ein riesiger Flachbildschirm, doch auch der scheint mir aus irgendeinem Grund eher für Pornos denn für künstlerisch wertvolle Filme geeignet zu sein.

Flüchtig lasse ich meine Finger über das unangenehm kalte Leder der Rückenlehne gleiten, bemerke ein schickes dunkelblaues Jackett, das über der Seitenlehne hängt. In dessen Nackenausschnitt ist auf dem Etikett das Label ›VH-Styles‹ zu erkennen. Meine Lippen verziehen sich zu einem Schmunzeln. Geschmack hat Patrick ja, wenn auch einen extravaganten.

Auf dem Glastisch inmitten der Sofalandschaft ruht eine aufgeschlagene Ausgabe der ›Stuttgarter Tageszeitung‹. Mein Blick bleibt an einem Foto auf der rechten Seite hängen, das mich wie magisch anzuziehen scheint, und als ich nähertrete, wird mir auch klar, warum: Tatsächlich zeigt die Abbildung eindeutig Patrick, gekleidet in einen sichtbar teuren Designeranzug – vom elegant-engen Schnitt möglicherweise ebenfalls aus der Kollektion von ›VH-Styles‹. Neben ihm steht ein unbestreitbar attraktiver Mann Mitte der Fünfzig, dessen frostiger Blick eine gewisse anregende Autorität ausstrahlt und der Patrick wie aus dem Gesicht geschnitten scheint. Oder eher umgekehrt. Scharf ziehe ich den Atem ein, doch erst als ich die Überschrift des Artikels lese, beginnt es zu dämmern: Ich habe keinen Geringeren abgeschleppt als Patrick van Hoeven. Seines Zeichens gefeierter Nachwuchsdesigner und Inhaber des exklusiven Modelabels ›VH-Styles‹. Und noch dazu Sohn des Bauunternehmers und rechtsorientierten Politikers Achim van Hoeven.

»Naa, bereit, flachgelegt zu werden?«, ertönt Patricks raue Stimme von der Glastür in meinem Rücken her. Ich fahre herum und starre ihn entgeistert an, doch er grinst nur wissend.

 

~~~ Erik ~~~

 

Laylas Atem stockt kaum merklich, als ich näher an sie heranrücke und in einer gleichsam zärtlichen wie besitzergreifenden Geste einen Arm um ihre Taille schlinge. Doch gleich darauf entspannt sie sich und ich wage es, meine Hand unter das weite T-Shirt zu schieben, welches sie zum Schlafen trägt. Das Gefühl ihrer weichen, warmen Haut unter meinen Fingern, der Pfirsichgeruch ihres Shampoos, die Art, wie sie wie unbeabsichtigt ihre Hüfte bewegt und gegen meinen Unterleib drückt – das alles ist mir so vertraut. Wohlig brummend vergrabe ich meine Nase in ihrem Haar, das sich wie ein dunkler Fächer über das Kopfkissen schmiegt.

»Liebling«, murmele ich ihr ins Ohr, küsse die zarte Haut darunter, »ich hab Lust auf dich.« Noch während ich die Worte wispere, kommt mir in den Sinn, wie überflüssig sie eigentlich sind, muss sie doch längst meine Erektion an ihrem Po spüren. Wie zur Bekräftigung reibe ich mich ein wenig an ihr, fühle ihre Wärme durch die dünnen Stoffe ihres Slips und meiner Boxerbriefs hindurch.

Layla lacht leise, schiebt ihre Hand über meine, die auf ihrem flachen Bauch ruht.

»Hab ich bemerkt.«

Ich küsse mich eine Spur an ihrem Hals abwärts, mit den Fingerspitzen zeichne ich die dünne Kaiserschnittnarbe an ihrem Bauch nach und spüre ihr Schaudern. Seufzend schmiegt sie sich an mich, die sanfte Reibung ihrer Pobacken an meinem harten Schwanz schickt ein sehnsüchtiges Ziehen durch meinen Unterleib. Fahrig stehle ich mich mit einer Hand von hinten in ihren Slip, streife mit den Fingerspitzen zart über ihre Schamlippen, gleite dazwischen. Ziehe gleich darauf überrascht den Atem ein, als ich spüre, dass sie bereits feucht ist. Doch statt meinem Ego einen Kick zu geben, schiele ich hinüber zum Nachttisch und auf das Buch, das darauf liegt und in dem Layla eben noch gelesen hat, ehe ich zu ihr ins Bett gekrochen bin. Ein schiefes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen.

»Was liest du nur schon wieder?«, raune ich ihr ins Ohr, küsse es sanft und könnte schwören, dass sie rot anläuft und dass dieser Eindruck nicht alleine dem schwachen Licht der Nachttischlampe geschuldet ist.

Layla entgegnet nichts, dreht den Kopf und küsst mich. Der Aufforderung komme ich nur zu gerne nach, unsere Zungenspitzen finden und umkreisen einander. Vom Aroma des Rotweins, den wir vorher noch getrunken haben, ist kaum etwas geblieben. Stattdessen schmecke ich Zahnpasta und ... Layla. Ihre Küsse bedeuten Heimat für mich. Ankommen und bleiben. Und im selben Moment wecken sie eine lustvolle Sehnsucht in mir.

Während ich weitere Küsse und zarte Bisse über ihre Wange und ihren Hals hinabziehe, streichele ich sie zwischen den Beinen, schiebe schließlich vorsichtig zwei Finger in sie. Ihre erstickten Laute bringen meinen Puls zum Rasen, entfachen ein begehrliches Pochen in meinem Schwanz. Ich bin längst richtig hart, sehne mich danach, Laylas feuchte Hitze um mich zu spüren. Oder doch eher ...

Mein Ständer zuckt sehnsüchtig gegen das elastische, aber dennoch beengende Gefängnis meiner Briefs. Ich keuche leise auf, zusätzlich angeheizt von den Bildern, die plötzlich wie ein schmutziger Kurzfilm vor meinem inneren Auge ablaufen. Noch ehe ich meinen Fingern das bewusste Einverständnis dazu gegeben habe, ziehe ich sie aus ihr zurück, bewege sie weiter, hinterlasse einen feuchten Film zwischen ihren runden Pobacken. Layla verspannt sich sofort, ihr Atem stockt, als ich mit zwei Fingern über ihren Hintereingang reibe.

Mit der freien Hand umfasse ich eine ihrer Brüste, necke durch den Stoff des T-Shits hindurch ihren Nippel, der sich mir hart entgegenreckt. Dennoch, trotz offensichtlicher Erregung, hält Layla weiter den Atem an, verkrampft sich.

»Layla ... Babe ... ich würde gern ...«

»Nein ... nicht!« Ihre Hand schießt nach hinten, umklammert mein Handgelenk und zieht meine Finger bestimmt fort. Die Geste und die zittrige Vehemenz ihrer Worte lassen mich innerlich die Augen rollen. Wie zur Entschuldigung presse ich meine Lippen auf ihren Nacken. Ich weiß, dass Layla Analverkehr nicht sonderlich mag, dass sie es – sehr selten nur – lediglich mir zuliebe tut. Obwohl sie nicht nachvollziehen kann, warum ich es überhaupt mag. Sie versteht nicht – oder ich kann es ihr einfach nicht verständlich erklären – dass die heiße, feste Enge, die ich um meinen Schwanz empfinde, wenn ich sie auf diese Art nehme, nicht zu vergleichen ist mit der feuchten Weichheit, die ich ebenso liebe. Ich genieße Vaginalverkehr mit Layla. Habe es bislang mit jeder – okay, fast jeder – Frau genossen, aber kann und will dennoch nicht verhehlen, dass ich eben auch Analverkehr sehr erregend finde.

»Ich will das jetzt nicht«, erklärt Layla mit Nachdruck und schiebt meine Hand endgültig fort. Erst der gereizte Klang ihrer Stimme macht mir klar, dass ich kein Stückchen von ihr abgerückt bin. Ich seufze, halb enttäuscht über ihre vehemente Abwehr und halb resigniert über meine eigene zu forsche Art. Nach unseren sieben gemeinsamen Jahren sollte ich inzwischen wirklich wissen, wie Layla tickt.

»Okay, ich ...«

Das leise Knarzen der Schlafzimmertür macht meine Erklärung – oder Entschuldigung? – zunichte. Vom Flur fällt ein zusätzlicher Lichtstreifen ins Zimmer und hüllt die kleine Gestalt im Türrahmen in Schatten. Sofort flutet Wärme meinen Bauch, verdrängt Enttäuschung und Überraschung.

»Paps ... ich kann nicht schlafen.« Emilios Stimme klingt leise. Unsicher.

»Hockt wieder das Monster unter dem Bett?«

»Mhm.«

Ich atme einmal tief durch, presse mir unter der Bettdecke eine Hand in den Schritt. Laylas Abfuhr und Emilios plötzliches Erscheinen haben es nicht ganz geschafft, meinen Penis zum Erschlaffen zu bringen.

»Soll ich?« Layla sieht mich von der Seite an, doch ich schüttle sofort den Kopf.

»Nein, bleib liegen, ich kümmere mich.«

Auf seltsam unangenehme Weise will ich für einen Moment raus aus dem Bett. Aus dem Zimmer. Und Emilio wird sich jetzt ohnehin nicht von seiner Mama ins Bett stecken lassen. Vielleicht liegt es daran, dass Layla immer bei ihm ist und ich manchmal nächtelang im Dienst bin, dass Emilio dann immer zu mir kommt, wenn ich da bin und er nicht schlafen kann. Seufzend schwinge ich die Beine aus dem Bett und tappe zu meinem Sohnemann.

»Na komm, wir schauen, ob wir das Monster rauslocken und überreden können, woanders hinzugehen, okay?«

»Okay.« Emilio legt seine kleine Hand in meine und lässt sich von mir zurück in sein Kinderzimmer führen.

Wie immer ist das Monster bereits verschwunden, als ich unter das Bett linse und auch Emilio kann es nicht mehr entdecken.

»Alles gut? Kannst du jetzt schlafen?«

Er nickt und zieht sich die Bettdecke bis zur Nase hoch.

»Bleibst du trotzdem noch hier?«, nuschelt er gegen die dicke Biberbettwäsche.

»Klar«, verspreche ich und streichele meinem Sohn durch die dunklen Locken, die er eindeutig von Layla geerbt hat. Meine Schwiegereltern sind ja der Meinung, Emilio müsse mit seinen fünf Jahren nun auch mal lernen, alleine einzuschlafen, aber ich tue den unterschwelligen Tadel immer schulterzuckend ab. Emilio kann alleine einschlafen und tut das auch, wenn ich über Nacht nicht zu Hause bin. Nur wenn ich da bin, fordert mein Kleiner manchmal besondere Aufmerksamkeit. Eine, die ich ihm auch gerne gewähre, solange sie nicht überhandnimmt. Zum Glück kam es bislang nur sehr selten vor, dass er ins Zimmer platzte, während ich mit Layla intim war.

Die Sehnsucht nach ihrer Nähe prickelt heiß mein Rückgrat hinab. Ich bin nicht mehr hart, aber auch keineswegs abgekühlt. Die letzten beiden Wochen habe ich beinahe ohne Unterbrechung bei mehrtägigen Einsätzen verbracht – Demos, Fußballspiele, eine groß angelegte Festnahme. Es hat sich schlichtweg nicht gelohnt, für wenige Stunden nach Hause zu fahren, stattdessen habe ich versucht, in der Bereitschaftspolizei ein paar Stunden Schlaf zu erhaschen. Jetzt freue ich mich nur umso mehr auf mein freies Wochenende und auf Zweisamkeit mit meiner Frau.

Wie erwartet schläft Emilio schnell wieder ein. Trotzdem bleibe ich noch ein paar Minuten auf der Bettkante sitzen, sehe meinem Sohn einfach beim Schlafen zu. Mein Herz puckert schwer und zufrieden in meinem Brustkorb. Das Kinderzimmer, unsere Wohnung ... das ist mein Heimathafen. Meine ›Comfort-Zone‹, in die ich mich nach stressigen Einsätzen zurückziehen kann.

Noch einmal vergewissere ich mich, dass Emilio gut zugedeckt ist, ehe ich die mondförmige Lampe über dem Bett ausknipse und aus dem Zimmer schleiche. Die Tür lehne ich nur an, das Licht im Flur brennt immer die ganze Nacht. Die Nachttischlampe im Schlafzimmer hat Layla hingegen gelöscht. Halb blind und mit plötzlichem, unguten Rumoren im Bauch taste ich mich am Bett entlang auf meine Seite. Irgendetwas in mir ahnt, dass Layla das Licht nicht ausgeschaltet hat, um eine kuschelige Atmosphäre zu kreieren. Stattdessen macht die Geste deutlich, was heute Nacht noch laufen wird: nichts!

»Layla?« Ich glaube schon, sie stellt sich schlafend oder ist tatsächlich bereits eingeschlafen, aber schließlich gibt sie ein zustimmendes Brummeln von sich. Ausatmend lasse ich mich in die Kissen sinken, rutsche näher zu ihr, doch ehe ich sie berühren kann, registriere ich, wie verkrampft sie daliegt. Ohne in der Dunkelheit mehr als Schemen erkennen zu können, ist dennoch mehr als deutlich, dass ihr ganzer Körper nach Abwehr schreit.

»Hey ... Liebling ...« Leise spreche ich sie an. Sanft. »Was ist los?«

Keine Antwort. Nur ein verspanntes Atemholen.

»Wegen vorhin ... Wir müssen nicht ...«

»Woran denkst du dabei?«

Nun bin ich es, der keine Antwort gibt. Verwirrt blinzele ich in die Dunkelheit.

»Was meinst du?«

Am Rascheln des Bettzeugs höre ich, dass Layla sich auf den Rücken dreht, halb zu mir hin. Aber sie hält weiterhin Abstand.

»Wenn du ... wenn wir es ... von hinten machen ... Woran denkst du dabei?«

Dass ›von hinten‹ so viel wie ›anal‹ heißen soll, ist keine Überlegung wert. Was, um Himmels willen, Layla genau von mir wissen will, jedoch umso mehr.

»Woran soll ich da denken?«, entgegne ich zögerlich. »Ich find’s schön. Ich find’s immer schön mit dir, egal wie wir ...«

»Denkst du an einen Mann?«

Ein Keuchen entweicht mir, gefolgt von einem gleichsam überrumpelten wie ungläubigen »Was?«

»Ob du dabei an einen Kerl denkst?«, setzt Layla nach. Ihre Stimme zittert merklich.

»Ich ... nein ... was ...? Wie kommst du denn auf so einen Schwachsinn?« Ich kann nicht verhindern, dass ich lauter werde. Vielleicht, weil ich ahne, wohin dieser Disput führen wird.

»Tut mir leid«, entgegnet Layla kleinlaut und gleichsam patzig, »ich dachte nur, weil ... tja ... weil du ...«

Sie spricht es nicht aus und dieses peinliche Schweigen ist es, das mich dazu bringt, mich ruckartig im Bett aufzusetzen und zornig auf die dunklen Schemen von Laylas schlanker Gestalt zu starren.

»Weil ich bisexuell bin? Wirklich, Layla? Gott ... ich dachte, das Thema wäre längst vom Tisch. Wie lange sind wir bitte verheiratet?«

Es ist keine wirkliche Frage gewesen und dennoch antwortet sie: »Vier Jahre.«

»Ja, verdammt und habe ich dir in diesen vier Jahren – oder davor – je das Gefühl gegeben, es würde irgendeine Rolle spielen?«

Wieder keine Antwort.

Mit einem zutiefst frustrierten Laut lasse ich den Kopf in meine auf die angezogenen Knie aufgestützten Hände fallen.

»Meine Güte, Layla ...«, flüstere ich gegen meine Handflächen.

»Was? Ist es so absurd, dass ich mir Gedanken mache? Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, wie es ist, auf Frauen und Männer zu stehen. Das ist irgendwie ... Ich kann es nicht abstellen, aber ich denke immer, dass ... dass dir vielleicht doch etwas fehlt und dass du ... Mein Gott, wenn du mir dann auch noch sagst, dass du ...«

»Was denn, verdammt nochmal?« Ich kann nicht verhindern, sie anzuschnauzen. »Weil ich dir sage, dass ich deinen Arsch süß finde und es gerne mag, dich so zu ...« Ich beiße mir auf die Zunge, verbiete es mir im letzten Moment, ›ficken‹ zu sagen. »Weil ich es mag, auf diese Art mit dir zu schlafen, unterstellst du mir, dass ich es nur tue, um mir irgendeine Befriedigung zu holen, nach der ich mich eigentlich mit einem Kerl sehne? Gott, weißt du, wie absurd sich das anhört?«

Layla schnieft neben mir.

»Für dich vielleicht.« Kurz hört es sich an, als würde sie noch etwas hinzusetzen, aber es kommt nichts mehr. Kein ›ich hab Angst, dir nicht zu genügen‹. Zum Glück nicht. Wir haben dieses Thema zu Beginn unserer Beziehung so oft durchgekaut. Ich bin es so leid!

Ich zwinge mich, ruhig durchzuatmen und meiner Stimme Wärme zu verleihen, als ich murmele: »Layla ... Baby ... du weißt, dass ich dich ...«

»Ja«, unterbricht sie mich gepresst. »Trotzdem, ich ... Ich will, dass du heute Nacht auf dem Sofa schläfst.«

1. Kapitel

 

Ein halbes Jahr später.

 

~~~ Nils ~~~

 

Vom Beifahrersitz aus wirft Lisa mir einen fragenden Blick zu.

»Und, aufgeregt?«

Die Frage müsste ich eigentlich ihr stellen, immerhin glühen ihre Wangen vor Erwartung, was mich ein wenig wundert. Ich habe Lisa bislang als sehr taff eingeschätzt und vermutlich hätte sie sich auch nicht entschlossen, nach der Ausbildung zur BFE zu gehen, wäre sie es nicht. Allerdings kann ich selbst aufgrund meines erhöhten Pulses nicht abstreiten, nervös zu sein.

»Bisschen«, gebe ich daher zu und ziehe den Zündschlüssel aus dem Schloss. Aus dem Augenwinkel nehme ich Lisas aufmunterndes Zwinkern wahr und bin in diesem Moment tatsächlich froh, an meinem ersten Tag nicht alleine antreten zu müssen.

Gut, von ›alleine‹ kann im Grunde nicht die Rede sein. Immerhin werden mit uns noch rund zwanzig andere die Zentrale Fortbildung absolvieren. Trotzdem war es ganz angenehm, auf der Fahrt von Stuttgart nach Göppingen jemanden zum Quatschen neben mir zu haben.

Wie der Zufall es wollte, habe ich Lisa vor ein paar Wochen bei der ›Blaulichtparty‹ im ›Perkins Park‹ kennengelernt. Während der Ausbildung sind wir uns allerdings nie über den Weg gelaufen. Sie war auf der Polizeischule in Lahr, ich in Böblingen. Aber da sie gerade in Stuttgart mit ihrem Freund zusammengezogen ist, hat sie sich ebenfalls für die BFE in Göppingen beworben.

»Na, wird schon werden«, meint Lisa mit einem Schulterzucken, das tatsächlich recht lässig aussieht. Beschwingt öffnet sie die Beifahrertür und springt regelrecht aus meinem Auto. Man merkt schon, dass sie sich trotz aller Aufregung richtig auf den bevorstehenden Lehrgang und unsere anschließende Arbeit in der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit freut. Tue ich auch. Wie verrückt sogar!

Prinzipiell kann ich mir jeden Job, den es bei der Polizei zu machen gibt, vorstellen – mal abgesehen von irgendwelchen Schreibtischsachen. Aber eine geschlossene Einheit wie die BFE sie ist, reizt mich am meisten. Demos, Fußballspiele, Festnahmen – das verspricht Action und genau darauf habe ich Lust. Dementsprechend flott folge ich Lisa aus dem Auto, schnappe mir meine Tasche aus dem Kofferraum und sehe mich gespannt um. Wir kommen jedoch nicht dazu, das Gelände der Bereitschaftspolizei genauer in Augenschein zu nehmen, denn schon kommt uns ein Kollege im Overall mit großen Schritten entgegen.

»Hey, ihr kommt auch zur ZFE, richtig?«

Lisa und ich nicken unisono, gleichsam ein wenig überrumpelt und erleichtert, direkt angesprochen zu werden.

»Gut. Tim Meise.« Er begrüßt zunächst Lisa, dann mich mit einem kräftigen Handschlag. »Ich zeige euch eure Unterkunft und bringe euch zum Einkleiden. Nachher geht’s dann direkt mit Sport los.«

Bei seinen Worten weicht meine nervöse Unruhe der Vorfreude. Körperschutzausstattung abholen und dann die Muskeln ein wenig quälen ... es geht los und ich hab Bock drauf!

Tim führt uns über das Gelände zu einem der hinteren Gebäude, in dem offenbar die Wohnräume untergebracht sind. Da ich gerade mal 40 Minuten Anfahrtsweg von Stuttgart habe, habe ich eigentlich nicht vor, allzu oft in der BePo zu übernachten. Und da ich davon ausgehe, dass sich die Unterbringungen hier in Göppingen nicht allzu stark von denen in Böblingen unterscheiden, bin ich nur mäßig gespannt auf die Räumlichkeiten. Mit wem ich mir allerdings mein Zimmer teile, würde ich schon gerne wissen.

»Weißt du, wer noch hier einzieht?«, frage ich also an Tim gewandt, während ich meine Tasche auf einem der Betten abstelle und mich flüchtig umsehe. Es sieht fast so aus, als wäre die andere Hälfte des Zimmers schon belegt, also dürfte man mich nicht zu einem der Neuen gesteckt haben.

Tim tritt noch mal zwei Schritte aus dem Zimmer, um einen Blick auf die Zimmernummer zu werfen.

»Ist Eriks Zimmer«, erklärt er mit einem Grinsen, als müsse mir der Name irgendetwas sagen. Dabei komme ich nicht umhin, festzustellen, dass er ein ziemlich anziehendes Lächeln hat. Und auch abgesehen davon schlägt mein Radar bei ihm an. War ja wieder klar, dass ich direkt auf den ersten schwulen Kollegen treffe – als ob meine aktuelle On-off-Affäre mit Patrick nicht schon verwirrend genug wäre.

»Er ist in Ordnung«, fährt Tim fort und ich bin mir nicht sicher, ob er meinen eingehenden Blick überhaupt bemerkt hat. »Und außerdem nicht oft über Nacht hier.«

»Werd ich auch nicht sein, ich wohne ja nicht so weit weg.«

»Glaub mir, nach einem ganzen Demo-Tag in voller Montur lernt man ein Bett in der BePo schnell zu schätzen.«

Das glaube ich gerne, und da ich ein geselliger Typ bin, habe ich auch eigentlich keine Sorge, nicht mit meinem Zimmerkollegen klarzukommen.

»Hast du deine Waffe dabei?«, fragt Tim.

»Hab ich.«

»Okay, dann nimm sie mit, wir sammeln Lisa wieder ein und dann zeige ich euch Waffen- und Kleiderkammer. Da bekommt ihr eure Overalls, Körperschutzausstattung und so weiter.«

Rasch krame ich alles zusammen, was ich brauche, und folge Tim wieder hinaus auf den Flur.

 

~~~ Erik ~~~

 

Unpünktlichkeit ist etwas, das ich wirklich hasse und dementsprechend gereizt bin ich, als ich meinen Wagen auf das Gelände der BePo lenke. Ein Blick zum Wachhäuschen bewirkt, dass meine Laune noch weiter in den Keller sinkt. Der Kollege Hirscher schiebt heute Wache und er nimmt es immer sehr genau mit der Ausweispflicht. Prinzipiell hat er damit natürlich recht, schließlich darf nicht jeder Bürger auf dem Gelände herumspazieren. Aber mein Gesicht sollte er nach meinen inzwischen insgesamt sieben Jahren in Göppingen endlich mal kennen.

Mit einem genervten Laut in der Kehle krame ich meinen Dienstausweis hervor und lasse das Fenster herunter, um ihn dem Kollegen Hirscher unter die Nase zu halten. Er mustert zunächst den Ausweis und dann mich kritisch, als ob es irgendeinen Zweifel daran gäbe, dass ich tatsächlich Polizeihauptmeister Erik Rieth bin.

»Angenehmen Dienst«, wünscht er mir nach sich endlos dehnenden Sekunden endlich und betätigt den Schalter, der die Schranke an der Einfahrt hochklappen lässt.

»Danke, gleichfalls«, brumme ich ihm zu und trete das Gaspedal etwas weiter durch, als nötig gewesen wäre. Auf dem Parkplatz stehen deutlich mehr Autos als in den letzten Wochen. Die Neuen sind da. Ich hoffe, meine Kollegen von der Führungsebene haben anständige Leute für die Trupps ausgewählt. Beim diesjährigen Einstellungstest war ich nicht dabei. Ich hatte einige Tage Urlaub, die ich in erster Linie damit verbracht habe, mich in der Dachgeschosswohnung auf dem Hof meiner Eltern einzurichten. Und damit, Emilio zu erklären, warum Papa nun gar nicht mehr über Nacht nach Hause kommt.

Hart stoße ich die Luft aus, blinzle das traurige, verständnislose Gesicht meines Sohnes vor meinem inneren Auge fort. Ich muss mich regelrecht dazu zwingen, die Hände vom Lenkrad zu lösen, welches ich fest umklammert halte. Aus meiner Hosentasche krame ich mein Handy, um nachzuschauen, wer für das Vibrieren während der kurzen Fahrt von Bad Dietzenbach nach Göppingen verantwortlich ist.

Layla! Ausgerechnet!

Ihren Namen auf dem Display zu lesen, sticht nach wie vor. Eine seltsame Mischung aus Sehnsucht, Enttäuschung und Wut.

›Hallo Erik. Ruf mich bitte an, wenn du das liest und Zeit hast. Es geht um Emilio.‹

Sofort ist mein Pulsschlag auf hundertachtzig, mit zittrigen Fingern klicke ich mich in die Kurzwahl. Doch ich komme nicht dazu, das grüne Hörersymbol zu betätigen, denn ein Klopfen am Fahrerfenster lässt mich zusammenzucken und auf dem Sitz herumfahren. Gott, ich war auch schon mal weniger schreckhaft.

Neben meinem Auto steht Polizeihauptkommissar Markus Bechtel, der Zugführer des 523. Vor einer halben Stunde hätte ich bei ihm im Büro sein sollen. Innerlich seufzend drücke ich den Knopf für die Bildschirmsperre. Wenn etwas wirklich Dringendes mit Emilio wäre, hätte Layla versucht, mich anzurufen. Ganz sicher.

Markus wartet neben meinem Wagen, bis ich ausgestiegen bin. Ich zwinge mich zu einem Lächeln.

»Hallo, tut mir leid, dass ich zu spät bin.«

»Grüß dich, Erik. Halb so wild, ich habe alles Organisatorische schon mit Roland besprochen. Nur damit du Bescheid weißt.«

»Okay, ich schau gleich bei Roland vorbei.« Im Grunde überflüssig, das zu erwähnen, immerhin stimmen mein Truppführer und ich uns in jedem Dienst einmal kurz ab, insofern die Zeit es zulässt.

»Gut. Wiedersehen, Erik.«

»Tschüss, Markus.«

Kurz schaue ich ihm nach, wie er mit großen Schritten über den Parkplatz in Richtung seines Autos eilt. Er hat nicht mal mehr seine Dienstkleidung an, scheint also dringend wegzumüssen. Und ich wiederum muss dringend noch Layla anrufen, ehe ich mich auf die Suche nach dem Kollegen Berger mache, der in diesem Jahr mit mir gemeinsam für die Durchführung der Zentralen Fortbildung der Neueinsteiger verantwortlich ist.

Noch während ich den Hof in Richtung des Schul- und Wohntraktes überquere, wähle ich Laylas Nummer. Vor wenigen Monaten noch unser gemeinsamer Festnetzanschluss. Kurz flackert die Frage in meinen Gedanken auf, ob sie inzwischen wohl die Anrufbeantworteransage geändert hat, oder ob immer noch Emilio und ich zu hören sind.

»Layla Aktaş, hallo?«

Unter dem plötzlichen, stechenden Schmerz verharre ich einen Moment in der Bewegung. Ich komme inzwischen damit klar, ihre Stimme zu hören, nicht aber damit, dass sie meinen ... unseren gemeinsamen Namen offenbar für sich abgelegt hat, obwohl wir noch verheiratet sind.

»Ich bin’s, Erik«, würge ich hervor und zwinge mich dazu, weiterzugehen und dabei einige Kollegen mit einem Nicken zu begrüßen. »Alles okay bei euch? Ich sollte dich anrufen.«

Nun ist sie diejenige, die kurz zögert.

»Ja. Alles okay so weit. Kannst du gerade sprechen?«

Klingt ernst und so beschleunige ich meine Schritte noch, nehme drei Stufen auf einmal auf dem Weg in den zweiten Stock.

»Mhm, ja. Ich bin in der BePo. Warte kurz, ich gehe in mein Zimmer.«

»Okay.«

Betretenes Schweigen, während ich den Flur entlanggehe und den Schlüssel hervorkrame. Schon bitter, wie man sich mit einem Mal nichts mehr zu sagen hat.

Genau genommen gäbe es von meiner Seite aus noch einiges zu sagen. Aber Layla will es nicht hören. Und ich habe mich inzwischen damit abgefunden.

»Also«, setzte ich erneut an und lasse die Tür hinter mir ins Schloss gleiten. »Was gibt’s?«

Flüchtig streift mein Blick die Reisetasche, die auf dem Bett an der linken Wand steht.

»Es geht um Emilio.« Ihre Stimme klingt dünn. Mein Herz poltert. Eine unbestimmte Sorge schnürt mir den Brustkorb ab.

»Ja, hast du geschrieben. Ist er krank?«

»Nein! Nein. Es ist nur ... Ich habe beschlossen ... Erik, es tut mir leid, aber ... Ich werde mit Emilio aus Weil der Stadt wegziehen.«

Mitten im Raum bleibe ich stehen, als sei ich gegen eine Wand gelaufen.

»Okay, du ... Und wohin?«

Ich höre Laylas tiefes Atemholen. Kann ihre Unruhe regelrecht greifen. Mein eigenes Herz scheint mit seinen Schlägen meinen Brustkorb sprengen zu wollen.

»Erstmal zu meinen Eltern und dann ... in eine eigene Wohnung. Das ist ...«

»Scheiße!«, falle ich ihr ungehalten ins Wort. »Zu deinen Eltern? Nach Hamburg? Ernsthaft, das ... Layla, das kannst du nicht machen, du ...«

»Erik, bitte ... es ist besser so, wir ...«

»Besser für wen?«, fauche ich in mein Handy, mit zitternden Fingern presse ich das Gerät fest gegen mein Ohr.

»Für uns alle ...«, setzt Layla an, doch ich bekomme ihre mit Sicherheit vollkommen abstruse Begründung nicht mehr mit, denn in diesem Moment fliegt die Tür in meinem Rücken auf.

»Nicht jetzt!« Ich fahre herum und blicke direkt in das Gesicht eines recht jungen Kollegen in Overall, der mir reichlich verdattert entgegenstarrt.

»Bitte?«, murrt er sichtlich pikiert, im selben Moment, da Layla ein »Was?« ins Telefon zischt.

»Du warst nicht gemeint«, raunze ich ins Handy, gebe indessen dem Kollegen mit einer wedelnden Handbewegung zu verstehen, dass er das Zimmer gefälligst verlassen soll. Doch er macht keine Anstalten, sich umzudrehen, deutet stattdessen an mir vorbei.

»Ich will nur ...«

»Nicht jetzt, verdammt!«, schnauze ich ihn an, kann nur mit halbem Ohr dem folgen, was Layla mir durch den Lautsprecher hindurch zu erklären versucht. Besser für Emilio ... nicht mehr so hin- und hergerissen sein ... Ich glaube, die spinnt!

»Jetzt hör mir mal zu«, gifte ich ins Handy und muss mich wirklich beherrschen, nicht zu schreien. Mir ist kotzübel und mein Herz rast, als wäre ich soeben einen verdammten Marathon in voller Körperschutzausstattung gelaufen. »Du kannst das nicht über meinen Kopf hinweg entscheiden. Du brauchst mein Einverständnis, du ...«

»Brauche ich nicht.«

»Was?«

Aus dem Augenwinkel bekomme ich noch mit, wie der Kollege in der Tasche auf dem Bett kramt, dabei einen giftigen Blick auf mich abfeuert, eine Wasserflasche zum Vorschein bringt und dann ohne einen weiteren Kommentar den Raum verlässt und die Tür hinter sich zuknallt. Idiot!

»Ich brauche dein Einverständnis nicht«, erklärt Layla mit einer plötzlichen Kälte in der Stimme, die ich so gar nicht von ihr kenne. »Ich steige bei meinen Eltern in die Firma ein, da ist es nur logisch, dass ich mit Emilio nach Hamburg ziehe.«

»Wir haben das gemeinsame Sorgerecht. Du kannst nicht einfach ...«

»Willst du es mir verbieten?«

Scharf ziehe ich den Atem ein. Schweige. So weit sind wir also schon?

»Ich habe ein Recht darauf, Emilio regelmäßig zu sehen.«

»Das streite ich doch gar nicht ab. Du kannst jederzeit ...«

»Bullshit, Layla!« Nun schreie ich wirklich. Schmerz und Wut ballen sich in meinem Inneren zu einem schmerzhaften Klumpen, der mit aller Macht auszubrechen versucht. »Du weißt genau, dass meine Arbeitszeiten es nicht zulassen, dass ich mal eben so für ein Wochenende nach Hamburg fahre. Ich habe zugestimmt, dass Emilio bei dir bleibt, weil ich angenommen habe, ihr würdet in unserer Wohnung in Weil der Stadt bleiben und ...«

»Du hast zugestimmt, weil du überhaupt nicht genug Zeit hättest, dich um ihn zu kümmern. Ich aber schon.«

›Miststück!‹

So über Layla zu denken, tut weh und dennoch überlagern in diesem Moment Zorn und Enttäuschung all die warmen Gefühle, die ich einst für sie hatte. Oder vielleicht manchmal immer noch habe.

»Ich denke, du willst wieder arbeiten? Dann ...«

»Ich werde Unterstützung von meinen Eltern haben. Es ist alles geregelt, Erik, wir müssen das nicht diskutieren.«

»Doch, das müssen wir verdammt nochmal! Er ist auch mein Sohn und ...«

»Das bleibt er auch. Du kannst ihn besuchen kommen. Wenn du denn die Zeit dafür findest ... Ich muss ihn jetzt von der Kita abholen. Mach’s gut, Erik. Ich melde mich, wenn ich weiß, wann genau wir fahren werden.«

Mit diesen Worten legt sie auf. Einfach so. Und ich stehe mitten in meinem Zimmer in der BePo, starre ungläubig auf die Reisetasche auf dem Bett und spüre dem angstvollen Schmerz nach, der sich durch meinen Brustkorb frisst.

 

~~~ Nils ~~~

 

Rund eine halbe Stunde später ist der Zorn über meinen Kollegen und Zimmergenossen weitgehend verflogen. Jedoch nicht, weil ich so harmoniebedürftig bin, dass ich seine ruppige Art einfach wegzulächeln versuche. Sondern schlichtweg, weil ich gerade echt andere Probleme habe, als mich über diesen Kerl aufzuregen.

Mir ist heiß!

Scheiße heiß!

Habe ich mich am Morgen noch über den wolkenlos strahlenden Himmel und die ansteigenden Temperaturen gefreut, so verfluche ich den warmen Tag im Moment inbrünstig. Zusammen mit den anderen neunzehn Neueinsteigern stehe ich in voller Körperschutzausstattung auf dem Sportplatz. Komplette KSA meint immerhin den Overall, darüber eine schwere Schlagschutzweste, Ellbogen- und Unterarmschutz sowie Beinschutz, dazu noch die massiven Einsatzstiefel. Und ich schwöre, wenn wir gleich auch noch den Helm aufsetzen müssen, sterbe ich.

Natürlich war mir klar, dass wir bei unseren Einsätzen und schon zuvor im Zentralen Lehrgang nicht nur in kurzen Jogginghosen und Tanktop herumlaufen würden. Aber KSA bei knappen 30 Grad im Schatten grenzt schon an Folter. Und wir stehen verflucht nochmal nicht im Schatten, sondern in der prallen Sonne.

Polizeihauptmeister Ralf Berger, der sich uns am Vormittag als Leiter der diesjährigen ZFE vorgestellt hat, steht in der Mitte des Sportplatzes. Auch er scheint in seinem Overall ordentlich zu schwitzen, aber in diesem Moment beneide ich ihn darum. Der Overall mag zwar petrolfarben und dick sein, aber die KSA, die meine neuen Kollegen und ich darüber tragen, wiegt alles in allem verdammte 20 Kilogramm.

»Okay, nachdem ihr vorhin schon so fleißig joggen wart«, setzt PHM Berger an und schickt ein lockeres Grinsen in die Runde, »seid ihr ja jetzt aufgewärmt.«

Ein leises Raunen geht durch die Menge und Bergers Schmunzeln wird noch eine Spur breiter. Alleine das Wissen, dass er bei seiner Einstellung in der BFE dieselbe Tortur durchlaufen hat, lässt mich das Ganze mit Humor nehmen.

»Wir machen einen kleinen KSA-Lauf.«

»War klar«, raunt Lisa neben mir und wirft mir einen gespielt verzweifelten Blick zu, den ich nur mit schiefem Lächeln erwidere. Wir wollten zur BFE, wir wussten alle, wie die Dienstkleidung aussieht ... Selbst schuld!

Das scheint auch Berger zu denken, denn ohne jegliches Mitleid in der Stimme kommandiert er: »Helme aufsetzen.« Dagegen klingt sein folgendes »Visiere können oben bleiben« beinahe wie eine Erlösung.

Geduldig wartet er, bis alle ihre Helme aufgesetzt und richtig eingestellt haben. Im Einsatz später muss und wird das definitiv schneller gehen. Noch haben wir Schonfrist – insofern man einen bevorstehenden Lauf in KSA als solche bezeichnen kann.

»Damit ihr ein wenig Ansporn habt ...«, spricht Berger weiter, wobei seine Stimme durch den Helm gedämpft bei mir ankommt. Gut, dass wir bei richtigen Einsätzen ein Headset im Ohr haben werden. »... wird der Kollege Rieth mit euch mitlaufen.«

Berger deutet auf einen weiteren Beamten, der gerade – ebenfalls in voller KSA und mit Helm – über den Platz auf uns zukommt.

»Hauptmeister Erik Rieth leitet mit mir gemeinsam den ZFE. Heute Vormittag war er verhindert, aber jetzt ist er da und wird euch ein wenig Feuer unterm Hintern machen.«

Die beiden begrüßen sich mit kräftigem Händedruck, wobei Bergers Hand in Rieths Einsatzhandschuh beinahe verschwindet, und ich könnte schwören, dass Letzterer seinem Kollegen durch das Helmvisier hindurch teuflisch zugrinst. Ich bin mir jedoch ziemlich sicher, dass Rieth beim Laufen genauso leiden wird wie wir alle.

Wir beginnen im lockeren Tempo, deutlich langsamer, als ich üblicherweise beim Joggen laufe. Rieth vorneweg gibt das Tempo vor, von dem ich mir recht sicher bin, dass ich es über mehrere Runden werde halten können, ganz egal, wie heiß die Sonne brennt und wie sehr die Luft unter der Schutzausstattung steht. Ich muss den behelmten Kopf ganz drehen, um Lisa ansehen zu können. Mit einem Daumen nach oben signalisiert sie mir, dass auch sie nach dem Sportprogramm am Vormittag noch genug Reserven hat und bestätigt mir damit meinen bisherigen Eindruck von ihr: Sie ist taff. Und fit. Volle Power verteilt auf einen Meter sechsundsechzig. Für eine BFE-Beamtin ist sie wirklich zierlich, dennoch scheint ihr das Gewicht der KSA nicht allzu viel auszumachen.

Nach eineinhalb lockeren Runden zieht Rieth das Tempo an. Durch den Helm hindurch höre ich das angestrengte Atmen meiner Kollegen und bin selbst schon ordentlich am Pumpen. Fast erleichtert stoße ich die Luft aus, als Rieth nach der zweiten Runde den Sportplatz verlässt und uns querfeldein am SEK-Gebäude vorbeiführt. Ich bin ein guter Läufer und jogge auch gerne – aber nicht stupide Runde um Runde, sondern über Stock und Stein. Einige meiner Kollegen scheinen das anders zu sehen. Rieth lässt sich zurückfallen, treibt uns mit Rufen an. Seine Stimme klingt dumpf durch den Helm, aber auch irgendwie ... rau ... anheizend ... Hat was von einem Drillinstructor beim Bund, aber zumindest mich spornt es an und ich lege einen Zahn zu.

In monotonem Takt treffen die schweren Einsatzstiefel auf den Asphalt, als wir die Rigisteige erreichen, die zum Fahrsicherheitsplatz hinaufführt. Mit jedem Schritt aufwärts merke ich mehr und mehr das Gewicht der KSA, das auf meine Schultern und meinen gesamten Brustkorb drückt. Mein rascher Atem stockt, als ich die beiden Mannschaftswagen registriere, die mitten auf der Straße stehen und da mit Sicherheit nicht hingehören.

»Auf geht’s, hoch mit den Karren!«, kommandiert Rieth und klingt dabei erschreckend wenig außer Atem.

Ich hingegen schnaufe heftig und bin eine Sekunde lang versucht, mich erschöpft gegen den Mercedes-Sprinter zu lehnen. Doch stattdessen stemme ich mich dagegen. Neben mir auf beiden Seiten drei oder vier Mann. Und Lisa.

Zunächst bewegt sich der Wagen keinen Millimeter, dann geht ein Ruck hindurch. Wer auch immer drin sitzt, hat die Handbremse gelöst. Mit aller Macht stemme ich mich gegen den Sprinter. Keuche. Rechts neben mir füllt ein Kollege die Lücke. Erst als er ein raues »Los, kommt schon« knurrt, registriere ich, dass es Rieth ist. Wäre ich gerade nicht so fokussiert darauf, alle meine Kräfte zusammenzuraufen, würde ich ihm glatt Respekt dafür zollen, dass er es sich nicht nehmen lässt, den Lauf in allen anstrengenden Einzelheiten mitzumachen.

Zentimeter für Zentimeter, so scheint es mir, schieben wir den Sprinter die Rigisteige hinauf. Letztlich sind es nur zwei oder drei Meter, aber mir kommt es wie Kilometer vor, bis Rieth mit der flachen Hand gegen das Blech schlägt.

»Stopp!«

Der Kollege im Sprinter zieht die Handbremse an. Zwei meiner Mitstreiter sinken keuchend gegen den Wagen.

»Weiter!«

Keine Verschnaufpause. Unser Lehrgangsleiter jagt uns auch die letzten Meter die Straße hinauf bis zum Fahrsicherheitsplatz. Meine Lungen rebellieren, als ich auf den ersten Blick erkenne, dass auf dem Platz weitere spaßige Aufgaben auf uns warten. Noch immer im Laufschritt steuert Rieth auf eine etwa zweieinhalb Meter hohe Holzwand zu.

»Auf geht’s, drüber mit euch!«

Himmel ... wie kann der Kerl noch immer so brüllen?

Als einer der ersten erreiche ich die Planken, gehe instinktiv in die Knie und forme mit den Händen eine Räuberleiter. Einer meiner Kollegen – ich glaube, es ist André, den ich aus Böblingen kenne – tut es mir gleich. Mein Atem rast, als wir den ersten Mitstreiter über die Wand hieven. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, kaum Luft zu bekommen, will mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlen mag, mit heruntergelassenem Visier zu laufen. Die zweite, die ihren Fuß in unsere verschränkten Hände stellt, ist Lisa. Aus Reflex und weil wir ihr Gewicht schlichtweg überschätzt haben, geben wir ihr zu viel Schwung und werfen sie beinahe über die Planken.

»Hey! Aufpassen!«, ertönt Rieths tiefe Stimme hinter mir und jagt mir trotz Hitze unter dem Nackenschutz des Helmes einen Schauer an der Wirbelsäule entlang. Meine Arme brennen, meine Beine fast ebenso stark, sodass ich keine Ahnung habe, wie ich selbst über die Planken kommen soll. Während André und ich den letzten der Achtzehn darüber hieven, tritt Rieth neben André, bedeutet ihm mit einer harschen Armbewegung, dass er der nächste sein wird.

Fest verschränkt er seine Hände mit meinen. Zum ersten Mal treffen sich unsere Blicke. Die flammenhemmende Haube, die wir alle unter dem Helm tragen, verbirgt sein Gesicht beinahe gänzlich. Dennoch erkenne ich markante Gesichtszüge. Starre direkt in stechend blaue Augen. Die harte Miene ... der abweisende Blick ... Beides kommt mir bekannt vor. Doch ehe ich darüber nachdenken kann, spüre ich den Druck von Andrés Stiefel auf meinen Händen. Gemeinsam mit Rieth helfe ich ihm an der Wand hoch, beobachte keuchend, wie er über die oberen Planken rutscht und die Beine darüberschwingt – ein verdammter weiterer Kraftakt mit den Beinprotektoren und Stiefeln.

»Jetzt du.« Rieths Blick lässt keinen Widerspruch zu. Ich packe an seine Schultern. Spüre trotz seiner KSA und meiner Handschuhe die Kraft, die in seinem Körper wohnt. Mit Schwung drückt er mich mit festem Griff um meine Stiefel nach oben. Ich greife nach den oberen Planken, klammere mich fest. Reißender Schmerz zieht durch meine Oberarme, dennoch hieve ich mich mit aller Macht hoch. Rieth greift nach mir, seine Hände um meine Oberschenkel geben mir einen weiteren Schub.

In Zeitlupentempo – so scheint es mir – schiebe ich das rechte Bein über die Planken, hänge wie ein Klammeräffchen oben auf der Wand. Rechts von der Wand sehe ich meine Kollegen, manche schauen erwartungsvoll zu mir auf, feuern mich an, andere sind so außer Atem, dass sie auf die Oberschenkel gestützt hoffen, der Lauf möge nach diesem Scheiß vorbei sein.

Mein Blick fliegt zurück zu Rieth, bohrt sich in seinen. Keine Ahnung, was er von mir erwartet, doch ich strecke die linke Hand aus, signalisiere ihm so, dass auch er über die Wand kommen soll. Seinen Mund kann ich dank Helm und Haube nicht sehen, dennoch könnte ich in diesem Moment schwören, dass ein Grinsen in seiner Miene spielt. Die stahlblauen Augen blitzen.

Er tritt ein paar Schritte zurück, nimmt Anlauf. Wie er in voller Montur auf die Wand zusprintet hat unbestreitbar etwas Heroisches an sich. Als sein dank Ausrüstung schwerer Körper gegen die Planken prallt und er sich hochzieht, muss ich mich mit aller Macht festklammern, um nicht unelegant abzustürzen. Doch dann packe ich seinen Oberarm, ziehe ihn mit aller Kraft, die ich noch habe, hoch und gemeinsam hieven wir uns über die Wand. Die Erde scheint zu beben, als wir nebeneinander auf dem sandigen Boden des Fahrplatzes landen.

Ich gehe in die Knie. Keuche. Ringe nach Atem. Scheiße!

Wieder ist Rieth neben mir. Seine Hand trifft in einem wohl aufmunternd gemeinten Schlag meine Schulter.

»Gut durchgebissen.« Lauter kommandiert er: »Weiter geht’s! Da drüben ... Reifen tragen ...«

Noch immer atemlos kämpfe ich mich auf die Beine hoch. Jeder Muskel in meinem Körper scheint in Flammen zu stehen. Schweiß läuft mir in Rinnsalen unter dem Overall über den Rücken. Mein Blick fliegt über den Sandplatz und findet die Autoreifen, die auf der Fahrbahn liegen.

›Scheiße!‹, kann ich nur denken, ›scheiße, warum tue ich mir das an?‹

 

~~~ Erik ~~~

 

Schwer atmend stehe ich mitten im Zimmer. Die Anstrengung des zurückliegenden Laufs sitzt mir noch in den Gliedern, lässt meinen Atem fliegen. Und gleichzeitig kehren Unverständnis und Hilflosigkeit in meine Gedanken zurück und zwängen die Luft nur umso heftiger aus meinen Lungen. Die KSA habe ich längst abgelegt, dennoch kommt es mir so vor, als drücke etwas tonnenschwer auf meine Schultern und meinen Brustkorb.

---ENDE DER LESEPROBE---