Sieben kurze Geschichten - Kaspar Eduard Schech - E-Book

Sieben kurze Geschichten E-Book

Kaspar Eduard Schech

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Beschreibung

Sieben kurze Geschichten von Katzen, Männern, einer Frau und Anderem. Alle mit einem offenen Ende, etwas düster aber nicht hoffnungslos. Eine kurze Lektüre wie ein Dessert aus zartbitterer Schokolade.

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Seitenzahl: 88

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Wer eine Katze hat,

braucht das Alleinsein nicht zu fürchten.

(Daniel Defoe)

Der Inhalt

Che bel vivere

– was für ein tolles Leben

Monolog mit Irene

Totenstille

Der Fährmann

Der Hellseher

Die Frau aus der Parfümerieabteilung

Warten

1

Che bel vivere – was für ein tolles Leben

Der alte Mann ging nur noch selten aus dem Haus, manchmal nur alle zwei oder drei Wochen manchmal sogar für einen ganzen Monat nicht. Zu Hause arbeitete er an allerlei kleinen Projekten, viel am Computer. Für andere Projekte beschrieb er zahllose Seiten seines Notizbuches. Manches Projekt legte er zur Seite oder verwarf es gänzlich, andere Vorhaben nahm er nach Wochen oder nach einem Jahr wieder auf, um daran ein wenig weiterzuarbeiten oder sich dann doch ganz davon abzuwenden. Einige Studien waren reine Gedankenspielereien, andere versprachen einen geringen wirtschaftlichen Gewinn, eine Zulage zu seiner Rente, die zwar kümmerlich klein war, aber für alles, was notwendig erschien, ausreichte. Man konnte vermuten, dass er mit dem, was er tat und seinem Leben zufrieden war. Er hatte aber auch eine Empfindung, dass da noch irgendetwas anderes sein müsste, vielleicht noch eine neue Entdeckung, ein bisschen Lob und Anerkennung für eine Erfindung oder etwas, was er erdacht und ausgetüftelt hatte. Eine Winzigkeit, die ihm eine geistige Zufriedenheit verschaffen könnte. Er erinnerte sich an die letzten Jahre im Beruf, als er aus dem Tagesbetrieb abgezogen wurde, um für die Neuangestellten zuweilen technische Seminare zu halten. Da war die vage Hoffnung, dass da vielleicht noch ein neuer Aspekt auftreten könnte, etwas mehr als nur aus dem Fenster seines Arbeitszimmers zu starren und die Jahreszeiten wechseln zu sehen. So wie viele alte Menschen glaubte er, dass jetzt, wo alles vorbei zu sein schien, vielleicht doch noch eine wichtige Nebensache käme, die neu, die interessant sein könnte.

Doch für diesen Tag hatte er Pläne. Er wollte sich am Abend mit alten Freunden treffen, um ein Geschäft zu besprechen. Er überraschte seine Frau, die ihm meist wortarm zur Seite stand, heute damit, dass er schon am Morgen in der Dusche sang. Das hatte er seit Monaten nicht mehr getan. Früher, vor Jahren, hatte er sich gelegentlich als Amateur am Klavier versucht. Es war weniger die Musik als viel mehr die Suche nach etwas Neuem, Befriedigenden, das ihn damals antrieb. Heute sang der alte Mann im Badezimmer eine frohe Arie von Gioachino Rossini, in dem Raum, der so ein schönes Echo hatte, wenn man nur die Handtücher von der Wand nahm und die Fliesen dann den Schall zurückwerfen konnten. Die Arie „Largo al Factotum“, wenn schon nicht im Konzertsaal zum Besten gegeben, klingt in jeder mittelgroßen Dusche wie für diese Situation komponiert. Der alte Mann trommelte die 6/8 Triolen im allegro-vivace-Tempo überzeugend auf den Klodeckel. Er hatte sich inzwischen längst rasiert, getrocknet und zum Frühstück niedergesetzt und immer noch klang die Arie als imaginäre Musik durch das kleine Haus „Ah, che bel vivere, che bel piacere“, – „was für ein tolles Leben!“ Es schien ein besonderer Tag werden zu wollen. Selbst die Morgenzeitung, sonst oft viel zu spät ausgeliefert, kam heute pünktlich zum Kaffee, und hatte – nicht wie sonst meist – keine dieser entsetzlichen Mord- und Totschlageschichten auf der Titelseite, sondern Bilder von Kätzchen, die letzte Nacht in der Vorstadt von der Feuerwehr von einem Dach gerettet worden waren und jetzt wieder glücklich in die Kamera grienten.

Der Vormittag hatte eine vorausschauendfreundliche Stimmung, die weit jenseits des Frühstücks reichte. Der Mann hatte die Ergebnisse seiner letzten Arbeit zusammengefasst und davon sieben Büchlein drucken und binden lassen. Sieben Exemplare sollten ausreichen; eines wollte er selbst behalten, die anderen an seine Bekannten verteilen. Seine schweigsame Frau hatte ihm ein sauber gebügeltes weißes Hemd und den mittelgrauen Anzug herausgelegt. Die Frau erinnerte sich, dass er den Anzug schon seit mehr als zwei Jahren nicht mehr getragen hatte. Er hatte keinen Anlass, keine Hochzeit, keine Feier und keine geschäftliche Angelegenheit, die so einen Anzug gerechtfertigt hätte.

Für den kurzen Weg zum abendlichen Treffen hatte er sich eine Kraftdroschke bestellt. Der Weg zum Lokal, in dem das Treffen stattfinden sollte, war kurz. Berufskollegen, alte Freunde und ehemalige Kommilitonen kamen am dritten Freitag jeden Quartals zusammen, um sich zu unterhalten, zu debattieren oder gelegentlich auch Geschäftliches zu besprechen. Das Lokal war ein früherer Tanzsaal, der nur noch selten Gäste hatte und noch seltener Musik, die zum Tanz aufspielte. Vor dem Eingang zum Saal waren Klapptische und Bänke für die Besucher, die es vorzogen, an den milden Sommerabenden draußen zu verweilen und über ihr Bierglas hinweg die Passanten zu beobachten. Über der Tür zum Eingang stand „Aufgang zum Tanzsaal“ und ein altes Emailleschild, das den Besuchern erklärte, dass der „Zugang zum Saal nur in angemessener Kleidung“ gestattet sei. Dort war ein Tisch als Kasse für die Besucher dieses Treffens aufgestellt. Zwei kichernde Mädchen kassierten den Eintritt und baten darum, doch die Visitenkarte in die bereitgestellte Blumenvase zu werfen und sich dann bitte namentlich in die Liste der Besucher einzutragen und „bitte die E-mail-Adresse nicht zu vergessen.“ Der Besucher wurde so zum Teilnehmer und bekam ein buntes Armband um das Handgelenk geknotet, als Zeichen, dass der Teilnehmer seinen Obolus beglichen hatte, dass er Zugang zum Saal hatte und sich dort ohne weitere Kosten am Zapfbier erlaben konnte. An den wenigen Tischen waren Happen und andere essbare Kleinigkeiten bereitgestellt; daneben Papierservietten und Zahnstocher, um die Happen aufzupicken. Die Zusammenkunft fand im Stehen statt, wozu sich die karge Bestuhlung des Tanzsaales besonders eignete.

Die Gäste waren in der Mehrzahl ältere Männer, darunter viele, die ihre Rente genossen und andere, die dabei waren, die letzten Jahre ihres Berufslebens endlich hinter sich zu bringen. Da war der Mathematiker, der stets durch seinen wirren Blick und schlechte Kleidung auffiel. Er arbeitete jetzt in Teilzeit bei einer Computerfirma und litt darunter, dass er das, was der Inhalt seiner Forschung und wohl auch seines Lebens war, nicht erklären durfte. „Das ist Firmengeheimnis, wissen Sie?“ Wenn der Abend fortschritt und er mehr Bier getrunken hatte, vergaß er die Geheimhaltung und versuchte seine mathematische Gedankenwelt zu erklären. Niemand verstand das Problem und schon gar nicht die Lösung, was dazu führte, dass der Mathematiker meist alleine herumstand, da sich kaum jemand mit ihm unterhalten wollte. Oft kam der dicke Brauer. Sie kannten sich noch aus dem Studium. Damals war der dickbauchige Brauer der laute Leithammel im Institut gewesen. Er hatte sein Studium nicht zu Ende geführt, denn er hatte von seinem Vater eine Brauerei geerbt. Auf diese Weise war er wohlhabend und reich geworden und hatte genug Geld, um für sich eine alte Villa mit Zugang zum See am Stadtrand zu renovieren und dort teure Bilder an die Wände zu hängen. Doch konnte er es nie hinnehmen, dass er keinen akademischen Grad erworben hatte. Um sich darüber zu trösten, versuchte er als Mäzen aufzutreten, oder wenigstens als Sponsor von Sportereignissen bekannt zu werden. Es beglückte ihn, sein Bild in der Lokalzeitung zu sehen. Daher war er mit seinem Geld immer gebefreudig, offen, neue Ideen zu fördern und kleine Firmen mit einem Startkapital auszustatten. An diesem Abend kam der fette Brauer nicht. Seit mehr als einem Vierteljahr sah er fettleibig aus, aufgedunsen und nicht gesund.

Auch einige Frauen waren an diesem Abend zur Versammlung gekommen. Da war die blonde Witwe, die bei jedem dieser Treffen ungefragt, lange, laut und ausführlich über ihre letzten Auslandsreisen erzählte. Ihre Ausführungen begannen meist wie: „Wart ihr schon mal in ...“, und weiter „man kann sich das ja gar nicht vorstellen ...“ Sie wusste keinen anderen Weg, um die Leere in ihrem Leben mit immer längeren, immer teureren und exotischeren Reisen zu füllen, aber es schien ihr nicht recht zu gelingen. An manchen Abenden, wenn er nicht geschäftlich gebunden war, kam der Arzt, ein Schulfreund. Er hatte damals das beste Abitur des Jahrgangs, reiche Eltern und konnte es sich leisten, arrogant aufzutreten. Die Mädchen mochten ihn trotzdem, die einen, weil er gut aussah, die anderen, weil er bemittelt war. Er studierte Medizin, wurde Arzt und nach kurzer Zeit Chef in einer großen Klinik, wo er – angeblich – mit Mauscheleien und schwarzen Geldern bei der Vergabe von Transplantat-Organen noch reicher wurde. Seine – vierte – Frau fuhr demonstrativ mit einem gelben Porsche durch die Stadt und zum Golfplatz. Seine ersten drei Frauen waren dem Arzt abhandengekommen, während er zu viele Stunden in seinem Krankenhaus verbrachte oder für Wochen in exotische Länder reiste, um an bezahlten Seminaren teilzunehmen.

Der alte Mann hatte gehofft, an diesem Abend den Brauer zu treffen, um herauszufinden, ob dieser möglicherweise einen kleinen Betrag in sein neues Projekt investieren wollte. Dafür hatte er die grünen Büchlein machen lassen, die ihm helfen sollten, das Konzept zu erklären. Um auf der Toilette die Hände freizuhaben, legte er die Büchlein auf einem Ecktisch ab. Als er zurückkam, fand er die Büchlein in einer nassen Lache, von der nicht genau zu erkennen war, ob da ein Bier ausgeschüttet worden war oder ob sich jemand in dem Eck übergeben hatte. Mit Ekel schob er die nassen Heftchen mithilfe einer Papierserviette nach hinten über den Tisch, von wo sie auf den nassen Parkettboden des Tanzsaales fielen. Er brauchte sie nicht mehr.

„Wie war dein Abend?“, fragte seine Frau am Morgen, während sie ihm Kaffee eingoss, „wie ist es gestern gelaufen?“ – „Ach, wie immer, nichts Besonderes, immer die gleichen Leute, immer die gleichen Geschichten.“ Dann fügte er noch hinzu: „Der fette Brauer kam nicht, man sagt er sei gestorben, ist aber egal“ – „und deine Büchlein, die du extra hast drucken lassen?“ – „die habe ich nicht mehr.“ Der alte Mann zeigte ein tiefgründiges Lächeln, einen Gesichtszug, den nur seine wortarme Frau sehen und verstehen konnte. „Ach so“, sagte sie. Nach dem Frühstück ging er wieder in sein Arbeitszimmer mit dem Fenster zum Garten, das Zimmer mit dem Computer auf dem Schreibtisch und den vielen Notizbüchern im Regal. – „Ah, che bel vivere, che bel piacere.“

2

Monolog mit Irene

Er hatte schon längst die Morgenzeitung vor einer Stunde an der Tür aufgehoben. Milch in der Flasche, die vor der Haustür abgestellt wurde, gab es seit zwei Jahren nicht mehr. Ersatzlos gestrichen. Fast im gleichen Monat gab der Bäcker auf, der sonst per Boten jeden Morgen – außer Sonntags – zwei große Brötchen und eine Salzstange in einem kleinen Textilsäckchen an die Klinke der Tür gehängt hatte. Ein kleines Frühstück, das sich fast über das ganze Jahr kaum ge