Silent Night, Killing Night - Mia Kingsley - E-Book

Silent Night, Killing Night E-Book

Mia Kingsley

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Beschreibung

"Was willst du von mir?" "Wir wissen beide, was ich will. Die Frage ist bloß: Wirst du es mir freiwillig geben oder muss ich es mir mit Gewalt nehmen?" Was mein Boss mir aufgetragen hat: An Weihnachten zusammen mit meinem Partner einen Juwelier überfallen. Den Schmuck liegenlassen und stattdessen das Geld aus dem Tresor stehlen, das vor den Feiertagen nicht mehr zur Bank gebracht wurde. Das Geld beim Boss abliefern. Was ich tatsächlich mache: Meinen Partner an Weihnachten in einem Juweliergeschäft umbringen, Schmuck im Wert von mehr als 20 Millionen Dollar stehlen und flüchten. Was mein Boss ihm aufgetragen hat: Mich finden. Mich zurück zum Boss bringen. Was er tatsächlich macht: Mich finden. Mir einen Deal vorschlagen: Zwischen Weihnachten und Neujahr gehöre ich ihm – wenn es ihm gefällt, bleibe ich am Leben … Dark Romance. Düstere Themen. Eindeutige Szenen. Deutliche Sprache. In sich abgeschlossen.

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Seitenzahl: 174

Veröffentlichungsjahr: 2019

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SILENT NIGHT, KILLING NIGHT

MIA KINGSLEY

DARK ROMANCE

INHALT

Silent Night, Killing Night

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

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Über Mia Kingsley

Copyright: Mia Kingsley, 2018, Deutschland.

Coverfoto: © filip-mroz-183341-unsplash

Korrektorat: Laura Gosemann

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.

Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

Black Umbrella Publishing

www.blackumbrellapublishing.com

SILENT NIGHT, KILLING NIGHT

»Was willst du von mir?«

»Wir wissen beide, was ich will. Die Frage ist bloß: Wirst du es mir freiwillig geben oder muss ich es mir mit Gewalt nehmen?«

Was mein Boss mir aufgetragen hat: An Weihnachten zusammen mit meinem Partner einen Juwelier überfallen. Den Schmuck liegenlassen und stattdessen das Geld aus dem Tresor stehlen, das vor den Feiertagen nicht mehr zur Bank gebracht wurde. Das Geld beim Boss abliefern.

Was ich tatsächlich mache: Meinen Partner an Weihnachten in einem Juweliergeschäft umbringen, Schmuck im Wert von mehr als 20 Millionen Dollar stehlen und flüchten.

Was mein Boss ihm aufgetragen hat: Mich finden. Mich zurück zum Boss bringen.

Was er tatsächlich macht: Mich finden. Mir einen Deal vorschlagen: Zwischen Weihnachten und Neujahr gehöre ich ihm – wenn es ihm gefällt, bleibe ich am Leben …

PROLOG

DOLL

NEW YORK, VOR DREI JAHREN, WEIHNACHTEN

»Frohe Weihnachten, Doll«, sagte Reaper, als er hereinkam und die Arme nach mir ausstreckte.

Ich zwang mir ein Lächeln ins Gesicht, während ich mich aus dem Stuhl vor seinem Schreibtisch erhob. Eine halbe Stunde hatte er Sythe und mich wie Schüler warten lassen, die zum Direktor zitiert worden waren.

Seine Umarmung war mir zuwider und wurde mit jedem Mal unangenehmer. Aber Reaper war der Boss, und den Boss verärgerte man nicht. Zumindest nicht, bis man die perfekte Exit-Strategie hatte.

Reaper hielt mich einen Hauch zu lange fest, und als er mich endlich losließ, legte er seine schwieligen Hände stattdessen um meine Wangen. »Enttäusch mich nicht, Püppchen. Verstanden?«

»Natürlich nicht.«

»Ich passe schon auf sie auf«, versicherte Sythe neben mir und zog seine Jeanshose nach oben – wie jedes Mal, wenn er aufstand, sich bückte oder generell bewegte. Mir war es ein Rätsel, warum man sich in seinem Alter noch immer wie ein Teenager anziehen sollte. Dass er den schmalen Körper eines Jungen hatte, konnte kaum der Grund sein, oder?

Außerdem musste ich mich davon abhalten, mit den Augen zu rollen. Im Gegensatz zu Sythe konnte ich sehr gut auf mich selbst aufpassen. Ich hasste es, mit ihm zu arbeiten, weil er unberechenbar war und sich ständig in Schwierigkeiten brachte.

»Gut«, sagte Reaper und musterte mich, bevor er einen Schritt zurücktrat. »Es wäre nicht schön, wenn die Situation mit Dove und Sugar sich wiederholen würde. Ich muss mich auf meine Mädchen verlassen können.«

Das Lächeln war auf meinem Gesicht festgefroren. »Natürlich«, wiederholte ich wie ein kleiner Papagei, obwohl ich viel lieber erwidert hätte, dass ich nicht sein Mädchen war. Niemand hatte mir gesagt, was mit Dove oder Sugar passiert war, nachdem sie einfach vom einen auf den anderen Tag verschwunden waren. Ich war klug genug, nicht nachzufragen. Genauso wie ich klug genug war, meinen Kopf unten zu halten und Reaper nicht darauf hinzuweisen, dass die Decknamen, die er verteilte, sowohl bescheuert als auch sexistisch waren. Er hatte mich Doll getauft, weil ich ein hübsches Puppengesicht hatte – seine Worte, nicht meine. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mich »Widow« oder »Poison« genannt.

Seit ich bei Reaper gelandet war, fühlte ich mich ständig alarmiert, als bräuchte ich ein zusätzliches Paar Augen im Rücken. Ich schlief mit einer Waffe unter dem Kopfkissen, rührte in der Gesellschaft meiner »Kollegen« keinen Alkohol an und misstraute ihnen allen. Ausnahmslos.

Leider war es an der gesamten Ostküste unmöglich, an Reaper vorbeizukommen, da er seine Finger überall im Spiel hatte. Wenn man wie ich leider irgendwann die falsche Abzweigung nahm, arbeitete man früher oder später für ihn.

Ich war noch keine dreißig, fühlte mich aber wie sechzig. Es war Weihnachten, und statt wenigstens in einem schäbigen Motel mit schlechtem Essen aus der Mikrowelle vor dem Fernseher zu sitzen, trug ich eine billige blonde Perücke und ein schlecht nachgemachtes Chanel-Kostüm. Mein Gesicht war unter zentimeterdickem Make-up verborgen, in den Augen hatte ich braune Kontaktlinsen, und meine Wimpern waren so dicht mit falschen Wimpern beklebt, dass ich die Augen kaum offen halten konnte. Die Kostümierung erfüllte seinen Zweck: Meine eigene Mutter hätte mich nicht erkannt, selbst wenn sie noch am Leben und ausnahmsweise nicht high gewesen wäre.

Reaper nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. »Ihr solltet jetzt gehen. Wir wollen ja nicht, dass ihr nachher zu spät zu unserer Weihnachtsparty kommt.« Sein Blick lag wieder auf mir. »Nicht wahr, Püppchen? Du solltest dich mal wieder amüsieren.«

Sein Blick verursachte ein unangenehmes Kribbeln unter meiner Haut, wie tausend kleine Insekten. Ich wollte unter die nächste Dusche springen und kochendes Wasser über mich laufen lassen, bis ich nichts mehr fühlte. Gar nichts mehr.

»Wir sind schon unterwegs, Boss.« Sythe zog ein letztes Mal seine Jeans hoch, bevor er zur Tür stapfte und das Büro verließ.

Ich folgte ihm gezwungenermaßen durch den langen Gang und die angrenzende »Lounge« – eine schöne Umschreibung für den kneipenähnlichen Vorraum, in dem immer etliche üble Gestalten herumlungerten und sich die Zeit vertrieben, indem sie sich betranken.

Als wir fast durch die Tür waren, löste sich ein wahrer Hüne aus dem Schatten in einer der Ecken und machte sich auf den Weg zu Reapers Büro. Ich schaute über die Schulter, die Stirn gerunzelt. Der Mann war ein Riese, mit Oberarmen wie Baumstämme und einem Rücken, der so breit war, dass er eigentlich seitlich durch die Tür hätte gehen müssen. Die Jeans auf seinen Hüften wurde von einem Gürtel gehalten – etwas, wovon Sythe sich eine Scheibe abschneiden konnte. Ich hatte den Kerl noch nie gesehen und konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. Manchmal kam meine Vorliebe für große, starke Männer zu sehr durch.

Sythe stand dicht hinter mir, sodass ich seinen warmen Atem trotz der Perücke an meinem Ohr spüren konnte. »Das ist der Neue, muss ein ziemlich abgefuckter Kerl sein, wenn Reaper ihn ›Psycho‹ tauft.« Im nächsten Moment zog er geräuschvoll die Nase hoch und wandte sich ab. »Kommst du, Doll?«

Blieb mir etwas anderes übrig? Mit einem letzten Blick auf den Neuen lief ich hinter Sythe bis zu seinem Wagen her, dessen Inneres nach Frittierfett und kaltem Zigarettenrauch stank. Noch drei oder vier Stunden, dachte ich mir, dann konnte ich einen weiteren Tag abwaschen.

Einen weiteren Tag, eine weitere Sünde, ein weiteres Dutzend Lügen.

Ich lehnte mich im Beifahrersitz zurück und hätte vielleicht sogar die Augen geschlossen, wenn ich Sythe getraut hätte. Doch ich traute ihm nicht, weshalb ich ihn die ganze Zeit verstohlen musterte.

Der Schnee fiel in großen Flocken vom Himmel, verlieh der Stadt genau das richtige weihnachtliche Ambiente. Heute Nacht würden unzählige Kinder aus ihren Fenstern in den Himmel starren, um einen Blick auf den Weihnachtsmann zu erhaschen.

Niemand würde nach unten auf die Straße schauen, wo Leute wie Sythe und ich loszogen, um einen Juwelier auszurauben, dessen Einnahmen nicht mehr vor den Feiertagen abgeholt worden waren. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, woher Reaper seine Informationen bekam, und ich wollte es auch nicht wissen.

Es war nicht mein Job, Fragen zu stellen, und Neugier war in seiner Organisation nicht gern gesehen, schon gar nicht von Frauen. Mein Job war es lediglich, mein hübsches Gesicht als Schlüssel zu benutzen.

Heute spielte ich die vornehme Lady von der Upper East Side, die zu später Stunde beschlossen hatte, noch ein kostspieliges Geschenk zu besorgen. Da sie es nicht gewohnt war, dass man ihr etwas ausschlug, würde sie so lange an die Tür des Juweliers hämmern, bis der arme Wachmann – heute Nacht alleine bei seiner Schicht, es war immerhin Weihnachten – die Tür weit genug öffnete, um zu fragen, ob alles in Ordnung war. Sobald die Tür auf war, würde Sythe sich mit Waffengewalt Zugang verschaffen.

Wir würden den Wachmann mit Kabelbindern fesseln, den Tresor leer räumen und die Aufzeichnungen der Überwachungskameras löschen. Ein Kinderspiel.

In der Theorie zumindest, denn mit Sythe an meiner Seite konnte alles passieren. Ich hatte es schon erlebt, dass er nach einem absolut friedlichen Hund getreten hatte. So lange, bis der arme Hund ihn gebissen und dabei wahrscheinlich sich selbst mit Tollwut infiziert hatte.

Ein anderes Mal hatte Sythe lässig über ein Geländer springen wollen und außer Acht gelassen, dass wir uns noch im dritten Stock befunden hatten. Vor ein paar aufgebrachten und bewaffneten Drogendealern, denen man gerade fünf Kilo Heroin gestohlen hatte, zu flüchten, war wesentlich einfacher, wenn man kein achtzig Kilo schweres Kleinkind mit sich schleppen musste, weil es sich den Knöchel gebrochen hatte.

Der Einbruch machte mir keine Sorgen, das Manöver beherrschte ich im Schlaf. Die tickende Zeitbombe auf dem Fahrersitz war mein größtes Problem.

Meine Gedanken wanderten zurück zu dem Berg von Mann, der angeblich Psycho hieß. Ich versuchte, mich zu erinnern, wann ich den letzten passablen Fick gehabt hatte, und kam zu dem Schluss, dass es eindeutig zu lange her war, wenn ich überhaupt überlegen musste. Der Neue sah aus, als könnte er zumindest kräftig zupacken, was meiner Meinung nach bereits die halbe Miete war. Vielleicht würde ich doch kurz auf Reapers Weihnachtsparty vorbeischauen und mir ein Bild davon verschaffen, ob Psychos Vorderseite mit der Rückansicht mithalten konnte. Ab und zu konnte ich mein Puppengesicht durchaus dazu benutzen, mir selbst einen Vorteil zu verschaffen. Die Vorstellung, wie Psycho seine (hoffentlich) kräftigen Finger um meine Kehle schloss, bevor er mit seinem (hoffentlich) großen, harten Schwanz in mich drang, sorgte dafür, dass ich die Schenkel zusammenpresste und meine Laune besser wurde.

Zumindest so lange, bis Sythe zu reden begann. »Warum so ruhig, Doll?«

»Ich bin konzentriert.«

»Wozu? Das wird ein Spaziergang. Wir sind ein eingespieltes Team, du und ich.« Er parkte – wie von Reaper aufgetragen – in einer Seitenstraße.

»Wenn du es sagst.« Ich starrte aus der Windschutzscheibe, weil wir den Laden von hier aus sehen konnten.

Sythe griff hinter meinen Sitz und reichte mir die gefälschte Designertasche, in der sich ein paar Kabelbinder, ein Taser und für den schlimmsten Notfall eine Pistole befanden. »Klar. Wir funktionieren gut zusammen, Baby.«

»Du sollst mich nicht so nennen.«

Er legte die Hand auf meinen Oberschenkel. »Hab dich nicht so.«

Ich ärgerte mich nach wie vor, dass ich den Fehler gemacht hatte, mit ihm zu schlafen, kurz nachdem ich in New York angekommen war. Obwohl seitdem etliche Jahre ins Land gezogen waren, hinderte es Sythe nicht daran, es alle paar Monate erneut zu versuchen.

Ich schaute auf seine Hand und zog eine Augenbraue hoch. »Du hast ein merkwürdiges Timing.«

»Wir sind eine Viertelstunde zu früh.«

»Eine ganze Viertelstunde? Und was sollen wir dann in den restlichen dreizehneinhalb Minuten machen? Vorausgesetzt du hältst überhaupt neunzig Sekunden durch …«

Er nahm die Hand weg und verschränkte die Arme. »Du musst nicht immer so tun, als wärst du schwer zu haben.«

»Ich habe nie behauptet, ich wäre schwer zu haben. Aber du warst einfach zu schlecht, um die gleiche Erfahrung noch einmal zu machen.«

»Pass auf, was du sagst.«

Langsam drehte ich den Kopf und sah ihn an. »Ich weiß, die Wahrheit ist schwer zu verkraften.«

Ohne Vorwarnung holte er aus und versetzte mir eine harte Ohrfeige.

Ich spürte das Brennen an meiner Lippe sofort, doch äußerlich zuckte ich nicht einmal mit der Wimper. »Du solltest vorsichtiger sein. Wie willst du Reaper sonst erklären, dass wir nicht in den Laden gekommen sind? Mein hübsches Gesicht ist die Eintrittskarte.«

Seine Nasenlöcher blähten sich, als er die Fäuste ballte. »Falls hier jemand aufpassen sollte, dann du – oder hast du dich nie gefragt, was aus Dove und Sugar geworden ist?«

Sythe hatte nur zwei Funktionsweisen: Entweder er war ein überheblicher Vollidiot oder er wurde ruhig. Ruhig und bösartig, was durchaus gefährlich werden konnte.

Als er mich anlächelte, war es die bösartige Variante. »War eine nette Party damals. Sie haben zu oft nicht gemacht, was der Boss gesagt hat, bis er die Nase voll hatte. Es ist sowieso schon schwierig genug, mit Frauen zu arbeiten – wenn sie allerdings nackt auf den Billardtischen in der Lounge festgebunden sind, bieten sie erheblich mehr Vergnügen.«

Mir wurde schlecht, und nur mein Selbsterhaltungstrieb hielt mich davon ab, angewidert zu erschauern.

Er wackelte vielsagend mit den Augenbrauen und legte die Hand erneut auf meinen Schenkel, dieses Mal schob er sie unter den Rock des falschen Chanel-Kostüms. Trotz der Strumpfhose fühlte ich seine Berührung wie auf der nackten Haut. »Sei nett zu mir oder ich erzähle Reaper, wie du dich benommen hast. Ficken werde ich dich so oder so – die Frage ist, ob jetzt alleine oder nachdem fünfzehn andere Kerle in deiner Pussy herumgestochert haben. Ich glaube, uns beiden ist die erste Variante lieber.«

Ich sagte nichts, damit das leise Schnappen meines Klappmessers deutlich zu hören war. Sythe schluckte, als er die Klinge auf der Höhe seiner Niere spürte. Dieses Mal war ich diejenige, die übertrieben süßlich lächelte. »Ich bin weder Dove noch Sugar. Du hast genau zwei Sekunden, deine widerlichen Pfoten von mir zu nehmen, oder ich erzähle Reaper, womit du mir gedroht hast. Falls du es gerade nicht mitbekommen hast, spekuliert er selbst darauf, mich flachzulegen. Du kannst dir also vermutlich ausrechnen, wer seine Priorität ist. Momentan gibt es bei uns gefühlt fünfhundert kleine widerliche Stricher wie dich und exakt ein hübsches Puppengesicht.«

Er zog die Finger weg, als hätte er sich verbrannt. »Miststück!«

»Sei froh, dass ich mich so gut unter Kontrolle habe. Das Messer würde längst in deinem Oberschenkel stecken, wenn du dann nicht eine verräterische Blutspur hinterlassen würdest.« Ich klappte die Sonnenblende nach unten und warf einen Blick in den Spiegel. Der Cut an meiner Lippe war glücklicherweise nur klein. Trotzdem war es vermutlich besser, ein wenig Make-up nachzulegen.

Ich ließ mir Zeit dabei, und als ich fertig war, stieg Sythe aus dem Wagen. Er schmollte offensichtlich, was mir nur recht war. Je weniger ich mit ihm reden musste, umso besser.

Wie ich befürchtet hatte, lief alles nach Plan, bis Sythe sich zu uns gesellte. Nachdem ich erst geklopft und dann an die Tür gehämmert hatte, war der Wachmann aufgetaucht und hatte mir bedeutet, dass ich verschwinden sollte. Ich hatte so weit gehen müssen, mit dem Fuß aufzustampfen, damit er mir öffnete. Keine Sekunde später hatte Sythe ihm die Waffe an die Stirn gehalten und ihn in den Laden gedrängt.

Wir hatten die Tür hinter uns geschlossen, und ich suchte in der Tasche nach den Kabelbindern. »Bleiben Sie ruhig, und niemandem wird etwas passieren«, versicherte ich dem Wachmann.

Als ich den Kopf hob, zwei Kabelbinder in der Hand, zerfetzte der Schuss beinahe mein Trommelfell. Blut spritzte auf mein Gesicht, meine Perücke und meinen Hals, der Rest landete auf meiner Kleidung.

Der Wachmann fiel vornüber, und eine Blutlache breitete sich um die Überreste seines Kopfes aus.

Es stank nach Schießpulver. Das unangenehme Klingeln in meinen Ohren machte mich aggressiv. »Was zum Teufel sollte das?«

»Keine Zeugen.« Sythe zuckte mit den Schultern. »Ist besser so.«

»Du bist echt ein Arschloch«, sagte ich und machte einen großen Schritt über die Leiche. Der Mann tat mir leid, weil er völlig grundlos gestorben war, aber ich würde mir selbst mehr leidtun, wenn ich Reaper nicht das Geld aus dem Tresor lieferte.

Wir ignorierten die Schmuckauslagen, in denen sich mehrere Millionen Dollar stapelten, da es unmöglich wäre, die Juwelen später loszuwerden, ohne unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Stattdessen umrundeten wir die Schaukästen und gingen direkt nach hinten.

Sythe machte sich auf den Weg zum Tresor, während ich die Tür zum Wachraum aufstieß, um die Aufzeichnungen der Überwachungskameras zu löschen.

Auf dem Tisch stand eine Thermoskanne, aus der es dampfte, und ein Teller voller Kekse. Mein Herz klopfte unwillkürlich schneller, weil daneben ein identisches Set aus Thermoskanne und Teller stand, nur kleiner. Kleiner – wie für ein Kind.

Ich fuhr herum und eilte hinter Sythe her. »Warte«, sagte ich.

Als er sich zu mir umdrehte, öffnete sich eine Tür im Gang.

»Daddy?« Ein kleiner Junge kam aus der Herrentoilette und starrte uns entsetzt an.

Welcher verdammte Vollidiot brachte sein Kind an Weihnachten mit zur Arbeit? Wahrscheinlich war es für den Jungen ein lustiges Abenteuer gewesen, seinen Dad zu begleiten und die Nacht wach zu bleiben, während er ohnehin auf den Weihnachtsmann wartete.

Sythe hob seine Waffe, woraufhin ich mich vor ihn stellte.

»Hast du den Verstand verloren?«, fragte ich.

»Aus dem Weg, Doll«, knurrte er. »Keine Zeugen.«

»Ich werde nicht zusehen, wie du ein Kind erschießt.«

Er machte einen Schritt zur Seite, sein Finger krümmte sich am Abzug der Glock. Ich dachte nicht, ich handelte nur. Mit einer schnellen Bewegung riss ich das Bein hoch und trat von unten gegen den Arm, mit dem Sythe die Waffe hielt. Dabei drehte ich mich, das Messer in der Hand, und rammte es seitlich in Sythes Hals. Als der Schuss mit einem lauten Knall die Decke traf, spritzte das Blut bereits aus der Wunde. Ich kickte die Waffe aus seiner Reichweite und sah zu, wie er zu Boden ging.

Nicht nur der Schuss hallte in meinen Ohren, das Kreischen des Kindes ließ beinahe mein Trommelfell platzen.

Ich packte das Kind am Arm und zerrte es in den Überwachungsraum. Hinter uns röchelte Sythe, allerdings rechnete ich ihm keine hohen Überlebenschancen aus.

Mit zwei Klicks löschte ich die Aufzeichnungen der Überwachungskamera und reichte dem Jungen das Telefon. »Du wirst bis Einhundert zählen und dann den Notruf wählen, verstanden?«

Er starrte mich aus seinen großen Augen an. »Ja, Ma’am.«

Ich hätte beinahe gelacht, wenn es nicht so traurig gewesen wäre. »Es tut mir wirklich leid, Junge.«

Auf dem Weg zurück zum Verkaufsraum schlug ich das Glas ein, um die Notfallaxt aus ihrem Kasten zu holen. Ich zertrümmerte ein paar der Tresen und warf so viel Schmuck in meine Handtasche, wie hineinpasste, ehe ich die Flucht ergriff.

Ich musste so schnell wie möglich so weit weg wie möglich – vor allem von der Straße, weil ich über und über mit Blut besudelt war. Die Perücke und mein Handy, das Reaper mir besorgt hatte, landeten in der nächsten Mülltonne.

Leider konnte ich nichts gegen die Fußspuren machen, die ich hinterließ. Erst wenn ich an der nächsten Feuerleiter vorbeikam würden sie sich – genau wie ich – in Luft auflösen.

KAPITEL1

PSYCHO

01. DEZEMBER

Mit einem wohlkalkulierten Ruck riss ich die Zange zurück. Sneaky Stevie kreischte wie am Spieß und hörte erst auf, als Reaper ihm einen Schlag ins Gesicht versetzte, bevor er angewidert sagte: »Stell dich nicht so an. Es sind nur Fingernägel. Sie würden sogar nachwachsen, wenn wir dich am Leben lassen würden. Zum letzten Mal: Wer hat das Feuer gelegt?«

»Ich weiß es nicht«, schluchzte Stevie.

Reaper seufzte und nickte mir zu. Mit einem Achselzucken beugte ich mich vor und setzte die Zange erneut an.

»Zhadanov«, schrie Stevie. »Es war Nikon Zhadanov. Er hat jedem, der ihm hilft, fünftausend Dollar geboten.«

»War das so schwer?« Reaper tätschelte Stevies Wange. »Mach weiter«, sagte er danach an mich gewandt.

Ich gehorchte und spürte nichts, während Stevie erneut wie eine Sirene aufheulte. Um ehrlich zu sein, war ich gelangweilt. Die Arbeit für Reaper hatte wesentlich aufregender geklungen, als sie wirklich war. Sein Führungsstil ließ stark zu wünschen übrig, weshalb er ständig Probleme hatte, seine Leute unter Kontrolle zu halten. Das bedeutete zwar einen nie versiegenden Strom Opfer für mich, aber nach drei Jahren tagein, tagaus der gleichen Arbeit war ich der ganzen Sache überdrüssig.

Ich ließ den blutigen Fingernagel zu Boden fallen und überlegte, ob ich wieder als Chirurg arbeiten sollte. Es war lukrativ gewesen, ehemaligen Gangstern ein neues Gesicht zu zaubern – noch mehr Spaß hatte es allerdings gemacht, wenn die Gegenseite dafür bezahlt hatte, dass mein Patient sich in Luft auflöste.

Außerdem fand ich die Mentalität der New Yorker so anstrengend. Jeder war hier permanent gehetzt, gestresst und angespannt. Vielleicht sollte ich es mal mit Los Angeles probieren.

Mein Blick fiel auf Reaper. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mich freiwillig gehen ließ. Auf der anderen Seite: Was für einen Unterschied machte schon ein weiterer Mord?

Reaper drückte mir ein Skalpell in die Hand, meist das Zeichen, dass ich mich austoben durfte, und holte sein Handy aus der Hosentasche. Ich würde mich nie daran gewöhnen, dass er ausgerechnet Walking On Sunshine von Katrina & The Waves als Klingelton hatte.

Das Handy ans Ohr gepresst, verließ er den Raum.

»Hey, hey, hey«, wisperte Stevie. »Ich kann dir Geld geben, wenn du mich laufen lässt. Ich verschwinde nach Südamerika. Reaper muss es nie erfahren.«