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In der Blüte seiner Jahre wird Martin Kerker brutal aus dem Leben gerissen - von einem Auto erfasst und getötet. Ein Schock für Isabell. Der Mann war die Liebe ihres Lebens. Zehn Jahre haben sie Freud und Leid miteinander geteilt.
Isabell glaubt in dieser schweren Stunde nicht, dass sie diesen Verlust jemals verschmerzen wird. Zu groß ist die Lücke, die Martin hinterlässt. Doch plötzlich gerät ihre Welt erneut ins Wanken. Denn sie erfährt, dass ihr Partner jahrelang ein Doppelleben geführt und noch einer anderen Frau seine Liebe geschworen hat.
Nun steht Isabell vollkommen mit leeren Händen da, denn die glücklichen Erinnerungen an die gemeinsame Zeit entpuppen sich als eine einzige Lüge ...
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Seitenzahl: 127
Cover
Zeit für einen Neuanfang
Vorschau
Impressum
Zeit für einen Neuanfang
Ihr Leben liegt in Scherben, da trifft sie eine mutige Entscheidung
Von Felicia Blum
In der Blüte seiner Jahre wird Martin Kerker brutal aus dem Leben gerissen – von einem Auto erfasst und getötet. Ein Schock für Isabell. Der Mann war die Liebe ihres Lebens. Zehn Jahre haben sie Freud und Leid miteinander geteilt.
Isabell glaubt in dieser schweren Stunde nicht, dass sie diesen Verlust jemals verschmerzen wird. Zu groß ist die Lücke, die Martin hinterlässt. Doch plötzlich gerät ihre Welt erneut ins Wanken. Denn sie erfährt, dass ihr Partner jahrelang ein Doppelleben geführt und noch einer anderen Frau seine Liebe geschworen hat.
Nun steht Isabell vollkommen mit leeren Händen da, denn die glücklichen Erinnerungen an die gemeinsame Zeit entpuppen sich als eine einzige Lüge ...
»Liebe Familie, liebe Trauergemeinde ...«
Die Wolken über dem Friedhofsgelände waren dick und schwarz. Wie eine dunkle Decke legten sie sich über den Himmel, erstickten das Licht und raubten der Welt ihre Farben.
Der Pfarrer sah ernst und mitfühlend in die Traube von Menschen, die sich um das offene Grab versammelt hatten.
»Wir sind heute hier versammelt, um Abschied zu nehmen. Abschied von einem Mann, der das Leben vieler mit seiner Warmherzigkeit, Fürsorglichkeit und hohem Engagement bereichert hat.«
Rechts von ihm stand Isabell, ganz vorne in der Reihe. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln ging. Nicht einmal gerafft war es, nur der Bateau-Kragen zeigte etwas Schultern. Sie wusste, Martin hätte es gefallen.
»Martin Kerker hinterlässt eine liebende Mutter und Partnerin zurück. Er hinterlässt Kollegen und Freunde, die ihn auf seinem Lebensweg begleitet haben, sein Glück geteilt und seine Sorgen getragen haben.«
Isabell sah hinauf in den Himmel. Die Wolken wirkten schwer und prall gefüllt, doch kein Regentropfen ergoss sich über die sowieso schon vom Vortag feuchte Wiese und dem leicht aufgeweichten Kiesweg. Sie empfand tiefe Verbundenheit mit den Wolken. In ihnen musste es aussehen wie in ihrem Inneren. Irgendwo da drin in ihrem leeren, dumpfen Körper war er, der meterhohe, dicke Staudamm, der die Tränen zurückhielt. Er hinterließ eine gereizte und rote Schicht auf ihren trockenen Augen.
»Ihre Verbundenheit war stark und tief«, fuhr der Pfarrer fort, »und sie werden ihn für immer in ihrem Herzen tragen.«
Isabell sah hinüber zu ihrer Schwiegermutter. Renate Kerker sah man auch noch im hohen Alter an, wie viel Wert sie auf ihr Erscheinungsbild legte. Das ordentlich frisierte schlohweiße Haar war am Hinterkopf zu einem dezenten Knoten geflochten. Auch sie trug ein elegantes, schlichtes Kleid in Schwarz. Alles an ihr war zierlich und kontrolliert.
Nur unter ihren auffälligen stahlblauen Augen hatten sich dunkle, geschwollene Tränensäcke gebildet, und ihre dünnen Lippen waren zu einem zitternden Strich verzogen. Der Schicksalsschlag hatte seine Spuren hinterlassen. Am Anfang der Rede hatte sie die Tränen noch mit einem Taschentuch diskret weggewischt, doch jetzt rannen sie ihr über die Wangen.
Isabell rückte näher und legte ihr den Arm um die Schultern. Renates Staudamm konnte wohl noch so hoch sein. Wenn eine Mutter ihren Sohn verlor, schien keine Höhe ausreichend, um die immense Wucht dieses dunklen Meeres aufzuhalten.
»Martin Kerker war ein Experte auf seinem Gebiet. Als juristischer Berater liebte er seine Arbeit und ging mit Leidenschaft an jede Aufgabe heran. Sein Engagement und seine Fachkenntnis waren bewundernswert und haben ihm Respekt von Kollegen und Kunden gleichermaßen eingebracht.«
Isabell war froh, dass so viele Menschen ihrem Martin die letzte Ehre erwiesen. Sie sah ihre Nachbarn, die sie immer mal wieder zum Dinner eingeladen hatten. Sie hatten sie bei einem Tanzkurs kennengelernt und dann realisiert, dass sie zufällig im selben Haus lebten.
Sie sah einige von den Kollegen und Kunden, die der Pfarrer erwähnt hatte. Ihr gegenüber vom Grab, etwas weiter hinten, stand Jonas. Sein Kopf ragte über die meisten Anwesenden hinweg, so groß wie er war. Größer als Martin. Sein Körper verschwand in der Masse, also musterte Isabell sein glatt rasiertes Kinn, das zurückgegelte dunkelblonde Haar, die traurigen braunen Augen, die ihren Blick nur kurz erwiderten, um sich dann wieder ganz dem Pfarrer zuzuwenden.
Sie hatte seinen Nachnamen vergessen. Jonas Tolter, Bolter, Solter. Irgend so etwas musste es gewesen sein. Martin und er waren gute Kollegen gewesen, sie hatten in derselben Abteilung gearbeitet. Er war ihr bei Firmenfeiern und Kundenevents, zu denen Martin sie mitgenommen hatte, immer wieder über den Weg gelaufen. Sie hatten stets nett miteinander geredet. Das würden sie jetzt wohl nicht mehr tun.
»Doch er war nicht nur erfolgreich in seinem Beruf, sondern hat auch das Leben genossen«, erhob der Pfarrer seine Stimme. »Er liebte es zu reisen und neue Kulturen zu entdecken. Seine Abenteuerlust kannte keine Grenzen, und er fand stets Freude darin, neue Orte zu erkunden und unvergessliche Erinnerungen zu schaffen. Er hat uns gelehrt, dass das Leben dazu da ist, gelebt zu werden, und dass wir jeden Moment schätzen sollen.«
Es war merkwürdig, diese Rede zu hören. Es stimmte zwar alles, was der Geistliche sagte. Doch es klang so abgedroschen, so unpersönlich. Kurz bereute Isabell es, eine eigene Rede abgelehnt zu haben. Aber dann wurde ihr bewusst, dass auch ihre Worte keinen Unterschied gemacht hätten. Martin war so viel mehr als eine Aneinanderreihung von Sätzen. Keine Rede der Welt hätte ihn greifbarer gemacht. Keine Predigt der Welt vermochte es, ihn wieder zurückzuholen.
»Viel zu früh bist du von uns gegangen«, sprach der Geistliche hinein ins offene Grab. »Du hinterlässt eine Lücke in unserem Herzen, die nicht zu füllen ist.«
Isabell blinzelte. Sie drückte die zitternde Renate fester an sich.
»Mögen wir uns in unserer Trauer gegenseitig Halt geben und uns an die Liebe erinnern, die Martin uns geschenkt hat. Lasst uns gemeinsam Abschied nehmen und ihn in unserem Herzen weiterleben lassen.«
Er bekreuzigte sich. Dann nickte er den Totengräbern zu, die den Sarg langsam in die Erde hinunterließen.
»Mein Kind, mein Kind«, flüsterte Renate schluchzend an ihrer Seite.
Isabell sagte nichts. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie hatte keine Worte. Sie hatte nichts.
Wie in Trance hörte sie die Beileidsbekundungen, spürte die Hände und Umarmungen. Sie hätte nicht sagen können, von wem. Sie kämpfte gegen die Erinnerung an jenen Sonntagmorgen an, an dem Martin ihr gesagt hatte, er werde eine schnelle Runde um den Block drehen. Und dann hatte die Polizei vor ihrer Haustür gestanden.
Nein, dachte Isabell, nein, nicht das.
Zurück damit. Sie musste an etwas anderes denken. Es gab noch so viel zu tun. Noch so viel zu klären. Sie musste klar im Kopf bleiben, einen Schritt nach dem anderen erledigen. Sie durfte jetzt nicht aufhören zu funktionieren.
»Wir essen im Gasthaus ›Zum Walfisch‹. Es ist nur ein paar Gehminuten entfernt. Ihr kommt doch?«, fragte sie also immer und immer wieder die Menschen, die sich vor sie stellten.
Die Angesprochenen nickten, dann wurde die Menschengruppe nach und nach kleiner.
Erleichtert atmete Isabell auf. Ihr wurde leichter ums Herz. Fast niemand war mehr anwesend – bis auf eine Ausnahme. Erst jetzt sah sie die Frau, die etwas abseits vom Grab stand und den Blick gesenkt hielt. Sie sah das gewellte blonde Haar, die ausladenden Hüften und vor allem die zwei Kinder, die sie an den Händen hielt. Nie zuvor hatte Isabell die Kinder gesehen.
Ungläubig wischte sie sich über die Augen, als ihr Blick wieder zu der blonden Frau glitt. Das konnte eigentlich nicht sein. Ein Schwall von Emotionen waberte unter ihrer dumpfen, schweren Trauer.
♥♥♥
Isabell atmete tief ein und ging dann tapfer auf die andere zu.
»Hallo, Daniela«, sagte sie ruhig an die Frau gewandt, der sie einst das Versprechen abgenommen hatte, ihr nie wieder unter die Augen zu treten.
Daniela sah auf und schenkte ihr ein kleines, trauriges Lächeln.
Sie sah schick aus, fand Isabell. Es war knapp neun Jahre her, dass sie sich zuletzt gesehen hatten. Sie wusste es fast auf den Tag genau. Sie war etwas älter geworden, die Augenringe vielleicht etwas dunkler, die Falten um die Augen stärker, doch sonst schien sie sich kaum verändert zu haben.
»Mein Beileid«, flüsterte Daniela leise.
Isabell sah hinunter auf die Kinder, die die junge Frau an der Hand hielt, ein Junge und ein Mädchen. Das Mädchen versteckte sich hinter dem Rockzipfel ihrer Mutter.
»Du hast zwei Kinder«, stellte Isabell fest. Es war eine unnötige Bemerkung, und doch bewirkte sie, dass ein wenig Anspannung von Daniela abfiel. Ihr Gesicht wurde offener.
»Ja. Sind sie nicht goldig?«
Isabell sagte nichts. Der Sohn musste um die acht, vielleicht neun Jahre alt sein. Er hatte brünettes Haar und die Augen seiner Mutter. Das Mädchen war wohl etwas jünger. Abgesehen von der Augenfarbe, einem tiefen Azurblau, war sie Daniela wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie war ruhiger und schüchterner als ihr Bruder, das sah man ihr gleich an. Isabell fragte nicht nach den Namen. Sie wollte so wenig wie möglich wissen. Nur eine Sache interessierte sie dann doch.
»Gibt es einen Mann dazu?«, fragte sie, forscher als beabsichtigt.
Zu ihrem Erstaunen ließ sich Daniela Zeit mit der Antwort.
»Ja, ja, natürlich«, antwortete sie schließlich. »Aber er arbeitet. Deswegen hat er es nicht hergeschafft.«
Isabell nickte. Nicht, weil sie verstand. Einfach, weil man das so tat. Der Junge starrte sie mit großen, misstrauischen Augen an.
»Schön, dass du auch gekommen bist«, sagte Daniela nun, »aber bei eurer Geschichte ist das nur verständlich.«
Isabell stutzte. Was war das denn für eine blödsinnige Aussage?
»Natürlich bin ich gekommen«, sagte sie fast hart. »Martin ist die Liebe meines Lebens.«
Dann realisierte sie, was sie gesagt hatte, und korrigierte sich schweren Herzens.
»Er war die Liebe meines Lebens.« Sie spürte den Kloß in ihrem Hals, die brennenden Augen. Verletzt sah sie auf. »Niemand weiß das besser als du.«
Es gab eine lange Pause.
»Doch, natürlich. Natürlich weiß ich das«, erwiderte Daniela leise.
»Wir wollten nächstes Wochenende verreisen«, hörte Isabell sich sagen, »nach Paris, weißt du. Wir hatten schon alles geplant, das Hotel, die Restaurants, auch was wir uns ansehen wollten. Wir waren früher oft dort. Wir haben alles gesehen. Den Louvre, Notre Dame, den Eiffelturm natürlich. Nur in die Opéra Garnier haben wir es nie geschafft. Wir hatten schon Tickets. Endlich hatten wir die Tickets. Wir hatten uns so drauf gefreut.«
Nun kamen die Tränen doch. Isabell spürte, wie der Staudamm bröckelte, wie das salzige Wasser ihr die Sicht erschwerte.
»Was mache ich denn jetzt mit den Tickets?« Ihr Blick ging nach unten, hinunter zu dem kleinen Mädchen, das sie mitfühlend ansah.
»Kommst du, Isabell?«
Sie drehte sich um. Etwas weiter entfernt stand Renate, neben ihr zwei ihrer Freundinnen. Bei einer hatte sie sich untergehakt, die andere hatte ihr eine Hand auf die Schulter gelegt.
Isabell nickte, wischte sich über die Augen, dann drehte sie sich wieder zu Daniela um. Erst jetzt sah sie ihren überraschten, fast erschrockenen Gesichtsausdruck.
»Ihr wolltet nächstes Wochenende verreisen? Aber das kann nicht sein.«
Sie stockte. Kurz schien es, als wolle sie noch mehr sagen, doch Isabell sah sie verständnislos an, und daraufhin schloss sie den Mund. Das war auch richtig so. Widerstand stieg in ihr auf. Warum sagte sie ständig solche Sachen? Was stimmte mit dieser Frau nicht?
»Ich muss gehen. Alles Gute dir«, sagte Isabell knapp, dann drehte sie sich um und entfernte sich, ohne eine Antwort abzuwarten. Sie eilte übers feuchte Gras zu Renate. Sobald sie sie erreicht hatte, griff sie dankbar nach ihrer vertrauten, wohlwollenden Hand.
»Wer war das?«, fragte ihre Schwiegermutter neugierig.
Isabells Blick wurde dunkel.
»Meine Schwester«, antwortete sie ohne Wärme.
♥♥♥
Als Isabell am nächsten Morgen die Augen öffnete, wünschte sie, alles wäre nur ein schlechter Traum gewesen. Doch natürlich wusste sie es besser: Die Bettseite neben ihr war leer. Martin war nicht da. Er würde es nie wieder sein.
Dabei warst du gerade einmal ein halbes Jahr älter als ich, dachte sie bitter.
Der Gedanke machte es ihr schwer, aus dem Bett zu kommen. Aber sie musste. Sie musste unbedingt. Auch wenn ihre nächste Schicht erst wieder in zwei Tagen anstand. Sie war froh, bald wieder arbeiten zu gehen. Dabei hatte ihr Chef ihr eine Freistellung angeboten.
»Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst, Isabell«, hatte er ihr vorgeschlagen. »Wir fliegen ohne dich, solange es nötig ist.«
Aber sie hatte abgelehnt. Sie brauchte nun umso mehr einen Grund, um täglich das Bett zu verlassen. Und sie brauchte auch dringend einen Grund, um unter Menschen zu sein. Sie wollte mit ihren Gedanken so wenig wie möglich alleine sein.
»Ich möchte sofort wieder eingesetzt werden«, hatte sie mit starrer Miene geantwortet. Das hielt ihr Chef für unverantwortlich. Also hatten sie sich auf einen Kompromiss geeinigt. Sie bekam ihren Schichtdienst, dafür gab es aber keine Langstreckenflüge mehr. Das hieß für sie: Schalterdienst am Flughafen.
Isabell war froh, auch wenn sie viel lieber in den Lüften gewesen wäre. Es hätte bedeutet, immer wieder weit weg von alldem hier sein zu dürfen, ohne schlechtes Gewissen. Und je länger die Strecke, desto mehr Jetlag hätte es gegeben. Den früher so verhassten Zustand hätte sie heute mit Kusshand angenommen. Sie wäre froh um jede Ablenkung, jede Grenzerfahrung, die sie ihren Körper wieder spüren ließe.
Sie rollte sich auf die Seite.
»Was würdest du mir raten?«, fragte sie das leere Kopfkissen neben sich. Ihre Erinnerung holte das sanfte Lachen von Martin hervor. Sie dachte an ihre letzten Gespräche, lose Fragmente, die in ihrem Geist aufpoppten.
Wie oft sie hier im Bett gescherzt hatten. Manchmal hatte er ihr in den Po gekniffen. Nur ganz leicht, aber trotzdem. Dieser Frechdachs. Isabell lächelte. Sie drehte sich wieder auf den Rücken. Er hatte ihren Namen geflüstert. Immer und immer wieder.
»So eine Frau wie dich gibt es kein zweites Mal«, hatte er gesagt. »Uns gehört die Welt.«
Sie hatte gegrinst und sein Gesicht weggedrückt.
»Was für große Worte«, hatte sie neckend erwidert, »da will heute wohl jemand nicht das Geschirr abspülen!«
Draußen läutete eine Kirchenglocke.
Stimmt, dachte sie. Um die Spülmaschine musste sie sich auch noch kümmern. Sie war erst seit Kurzem kaputt. Und ihr Leben ebenfalls.
Ihre Gedanken schlugen eine andere Richtung ein. Ihr Selbstschutz brachte eine Erkenntnis hervor, die sich für sie mit einem Mal ganz logisch anfühlte.
»Das alles, das kann doch gar nicht sein«, murmelte sie.
Sie hatte doch gerade noch mit Martin gesprochen. Und nun sollte er einfach weg sein? Das war unmöglich. Isabell zog das Kissen an sich und presste es fest auf ihr Gesicht. Es roch nach ihm. Also war er nicht weit. Sie würde ihn finden.
Mit diesem Gedanken schaffte sie es endlich, die Bettdecke von sich zu streifen und aufzustehen.
Isabell zog ihren Morgenmantel über und schlich auf dem Eichenparkett über den Flur ins Wohnzimmer. Weder er noch seine Aktentasche waren da. Niemand las die Morgenzeitung auf dem Ledersofa, und keine Kaffeetasse stand auf dem Marmor-Couchtisch.
Sie ging in die angrenzende Küche. Die glatte Quarzit-Oberfläche der Kochinsel glänzte, auf dem Induktionskochfeld stand noch die Suppe von vor zwei Tagen.
Mit wenigen Schritten war sie im Badezimmer. Auf dem Waschtisch lag Martins Rasierer. Auch sein Handtuch hing noch unordentlich an der Stange, doch es war trocken. Isabell öffnete den Wäschekorb, suchte nach seiner Arbeitskleidung, doch es waren nur Sportsachen darin, die breiten Shorts und das T-Shirt fürs Fitnessstudio. Sie holte es raus und schnupperte daran. Es roch nach ihrem verschwitzten Martin. Sie legte es wieder zurück und sah in den Spiegel, ohne sich anzusehen. Keine Arbeitskleidung. Keine Aktentasche.