Familie mit Herz 191 - Felicia Blum - E-Book

Familie mit Herz 191 E-Book

Felicia Blum

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Beschreibung

Seit dem tragischen Tod ihrer Mutter ist Luisa gezwungen, viel zu früh erwachsen zu werden. Gemeinsam mit ihrer Schwester Emma kämpft sie täglich darum, den Haushalt zu führen und das Nesthäkchen Anna zu versorgen, während sich ihr Vater, überfordert und emotional abwesend, in seiner Arbeit vergräbt. Zwischen schlaflosen Nächten und drängenden Pflichten träumt Luisa davon, wieder einmal unbeschwert zu sein - doch der Alltag lässt ihr kaum Raum für solche Wünsche.
Als plötzlich die Putzhilfe Sarah in das Leben der Familie tritt, scheint sich alles zu ändern. Sie bringt nicht nur Ordnung ins Haus, sondern berührt auch die Herzen der drei Schwestern. Doch wird es ihr gelingen, auch den verschlossenen Vater zu erreichen und der Familie die Hilfe zu geben, die sie so dringend braucht?

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Inhalt

Cover

Die Hoffnung seiner Töchter

Vorschau

Impressum

Die Hoffnung seiner Töchter

Sarah folgt dem Hilferuf und rettet Olivers Familie

Von Felicia Blum

Seit dem tragischen Tod ihrer Mutter ist Luisa gezwungen, viel zu früh erwachsen zu werden. Gemeinsam mit ihrer Schwester Emma kämpft sie täglich darum, den Haushalt zu führen und das Nesthäkchen Anna zu versorgen, während sich ihr Vater, überfordert und emotional abwesend, in seiner Arbeit vergräbt. Zwischen schlaflosen Nächten und drängenden Pflichten träumt Luisa davon, wieder einmal unbeschwert zu sein – doch der Alltag lässt ihr kaum Raum für solche Wünsche.

Als plötzlich die Putzhilfe Sarah in das Leben der Familie tritt, scheint sich alles zu ändern. Sie bringt nicht nur Ordnung ins Haus, sondern berührt auch die Herzen der drei Schwestern. Doch wird es ihr gelingen, auch den verschlossenen Vater zu erreichen und der Familie die Hilfe zu geben, die sie so dringend braucht?

Die Schicht ihres Vaters begann um sechs Uhr. Also klingelte Luisas Wecker eine Stunde früher. Schlaftrunken stellte die Fünfzehnjährige das Handy ab und blieb noch einige Minuten liegen.

Sie versuchte, an nichts zu denken. Nur dem leisen, friedlichen Schnarchen ihrer Schwester zu lauschen, das in dem dunklen Raum zu hören war. Doch ohne es verhindern zu können, erschien die ellenlange To-Do-Liste vor ihrem geistigen Auge und brachte ihren Kopf sogleich zum Pochen.

Sie seufzte, richtete sich auf und trank ein halbes Glas Wasser mit Aspirin, dann stand sie auf und ging ans Bett ihrer Schwester.

»Steh auf, Emma. Es wird Zeit«, flüsterte sie, während sie das Nachtlicht neben ihr einschaltete.

Das lockige blonde Mädchen stöhnte unglücklich und drehte sich auf die Seite. »Ich will nicht. Es ist zu früh.«

»Stell dich nicht so an«, zischte Luisa ungeduldig. »Ich brauche deine Hilfe. Papa ärgert sich, wenn wir rechtzeitig fertig sind.«

Die Erwähnung ihres Vaters erfüllte wie gewohnt seinen Zweck. Emma blinzelte gegen das grelle Licht und erhob sich langsam.

»Schon gut, schon gut. Ich bin wach.«

Während sich die Jüngere der beiden noch die Augen rieb, stand Luisa schon vor ihrem Kleiderschrank und griff lustlos nach den erstbesten sauberen Sachen, die sie fand. Sie schlüpfte in ihre grüne Cargohose und ein graues, enganliegendes T-Shirt mit einer Ente drauf. Schnell band sie sich ihr blondes Haar zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammen, dann öffnete sie die Tür und ging zu dem gegenüberliegenden Zimmer, in dem sie schnell nach Anna sah.

Anna war das jüngste Kind im Hause Moser. Mit ihren vier Jahren schlief sie immer noch in ihrem alten Babybett. Luisa hatte jedoch mittlerweile das Gitter am Fußende entfernt, damit sie jederzeit zu den Schwestern konnte, falls sie nachts wach wurde.

Eine Zeit lang war sie häufig unter Luisa Bettdecke gekrochen. Doch dann hatte sie sich eines Nachts eingenässt, ausgerechnet kurz vor einer wichtigen Prüfung, und die überreizte Luisa war durchgedreht.

»Verdammt nochmal, Anna! Du bist doch kein kleines Baby mehr!«, hatte sie so wütend gerufen, dass Emma davon aufgewacht war und beschützend die erschrockene Anna in die Arme genommen hatte.

Luisa hatte sogleich ihre Worte bereut, doch sie konnte sie nicht mehr ungeschehen machen. Seitdem suchte Anna nachts nur noch bei Emma Geborgenheit. Luisa konnte es dem kleinen Blondschopf nicht verübeln, auch wenn es sie wehmütig machte ...

Doch in der Regel hatte sie gar keine Zeit, über solche Dinge nachzudenken.

Nachdem sie erleichtert feststellte, dass das Küken der Familie trotz Wecker noch tief und fest schlief, eilte sie hinunter in die großzügige Wohnküche und machte das Licht an.

Wie erwartet, lagen auf der Kücheninsel die Reste einer nächtlichen Nascherei: Ein Teller mit schmutzigem Messer, eine halbleere Packung Toastbrot, Butter und Käse. Über der Couch vorm Fernseher hing die Arbeitskleidung ihres Vaters, seine offene Sporttasche mit dem nassen Handtuch lag gleich daneben.

Sie seufzte und sah durch die Terrassentür hinaus in den Garten. Die Rosensträucher bewegten sich im Herbstwind, einige Zweige des uralten Apfelbaumes schwangen unruhig hin und her. Sie beobachtete mehrere braune Blätter, die langsam auf das noch grüne Gras hinuntertanzten. Unglücklich fügte sie »Laub aufsammeln« ihrer imaginären Liste hinzu.

»Gut, ich bin da.« Die müde Emma stand lustlos hinter ihr und krempelte die Ärmel hoch. »Wer macht was?« Luisa neigte ihren Kopf in Richtung Küche. »Du räumst die Spülmaschine aus und bringst das Durcheinander hier in Ordnung. Ich mach das Frühstück und decke den Tisch.«

»Und wer weckt Papa?« Luisa zuckte mit den Schultern.

»Das mach dann auch ich. Hauptsache, alles ist bis halb sechs fertig.«

Ohne weitere Worte machten sich die Schwestern an die Arbeit. Luisa schaltete die Kaffeemaschine ein, warf drei Eier in die Pfanne und verrührte sie mit ordentlich Salz und Pfeffer. Dann nahm sie die zwei Scheiben goldbraunes Weißbrot aus dem Toaster und beschmierte sie mit ordentlich Butter, während die Kaffeemaschine zischte.

Es dauerte nicht lange, dann stand auf dem Küchentisch duftendes Frühstück mit Rührei-Toast, Cappuccino und Orangensaft. Auch die Wohnküche sah zufriedenstellend aus. Luisa sah auf die Wanduhr über dem Kühlschrank und dann zu ihrer Schwester.

»Wo ist Papas Arbeitskleidung?«

»Liegt ordentlich gefaltet auf der Waschmaschine im Bad«, antwortete Emma knapp.

Luisa nickte. »Dann geh ich ihn schnell wecken.«

Sie eilte die Wendeltreppe hinauf und ging bis zum Ende des Flurs, vorbei an ihrem und Annas Zimmer. Gegenüber vom Badezimmer lag das Schlafzimmer ihres Vaters. Sie straffte die Schultern. Gerade wollte sie klopfen, da ging die Tür mit solchem Schwung auf, dass sie zusammenzuckte.

Der hochgewachsene, blonde Mann mit den leeren, blauen Augen musterte sie kurz. Er trug bereits seine Latzhose und den Overall, den Emma ihm zurechtgelegt hatte.

»Was machst du vor meiner Tür, Luisa?«, fragte er mit gedämpfter Stimme.

»Entschuldige«, sagte sie automatisch, obwohl es nichts zu entschuldigen gab. »Ich wusste nicht, dass du schon wach bist. Frühstück ist fertig.«

Er nickte, dann ging er an ihr vorbei in Richtung Wendeltreppe. Luisa beobachtete, wie er vor Annas geöffneter Tür stehen blieb und hineinsah. Als er leise eintrat, gefiel ihr das gar nicht.

Sie folgte ihm leise. »Papa«, flüsterte sie unruhig, »was machst du da?«

Er drehte sich zu ihr um. »Ich will ihr einen Abschiedskuss geben.«

Luisa schüttelte den Kopf. »Lieber nicht. Sonst weint sie wieder und kann danach nicht mehr schlafen.«

Mit gerunzelter Stirn sah er sie an. Dann verzog er grimmig das Gesicht. »Das lass mal meine Sorge sein. Sieh du lieber zu, dass ihr alle eure Aufgaben erledigt habt, bevor ich wieder zu Hause bin.«

Luisa sagte nichts. Stumm sah sie zu, wie ihr Vater über Annas Wange strich und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte. Wie erwartet, wurde die Kleine wach und schmiegte sich an ihn. Er hielt sie eine Weile in einer halben Umarmung, dann richtete er sich auf.

»Schlaf jetzt weiter, mein Engel. Papa ist heute Abend wieder zu Hause«, sagte er sanft, dann verließ er das Zimmer.

Luisa ging ihm nicht nach. Sie wartete. Nach wenigen Sekunden ging das Gebrüll auch schon los.

♥♥♥

»Warum kommt deine Schwester nicht runter?«

Emma sah ihren Vater ungläubig an. Hatte er das laute Geheule im oberen Stockwerk denn nicht gehört?

»Sie kümmert sich um Anna«, antwortete sie so neutral wie möglich, während der Mann ihr gegenüber seinen letzten Bissen Toast aß und auf die Uhr sah.

»Das hätte sie auch hier machen können. Ihr wisst, dass ich mit euch gemeinsam essen möchte. Sag ihr das, wenn du sie siehst.«

Emma ging nicht darauf ein. Sie war die ständige Kritik und Regeln leid. Sie wollte endlich einmal über etwas anderes mit ihrem Vater reden. Etwas Schönes.

Er trank gerade den Kaffee aus, da räusperte sie sich. »Papa, meine alte Klasse plant eine Tanzaufführung.«

Er blickte auf. Nach Ewigkeiten sah sie wieder so etwas wie Neugierde in seinen Augen. Ihr Herz hüpfte.

»Sie wollen, dass ich mitmache. Was hältst du davon?«

Wieder sah er auf die Uhr. Dann stand er auf. »Du weißt, dass ich keine Zeit habe, dich zu irgendwelchen Proben zu fahren?«

Die kurze Freude, die sie eben noch verspürt hatte, erlosch. »Natürlich.«

»Gut. Solange ihr eure Aufgaben nicht vernachlässigt und eure Prüfungen schafft, könnt ihr machen, was ihr wollt.«

Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals, und eine Antwort fiel ihr nicht ein.

Eine Weile stand er so da, dann sagte er: »Ich muss los. Erinnere Luisa daran, dass oben endlich geputzt werden muss. Und geht etwas einkaufen!«

Er legte ihr seine Kreditkarte auf den Tisch. Sie nickte und sah, wie er kurze Zeit später durch die Haustür verschwand.

Kaum war er weg, verspürte sie eine schmerzende Leere. Sie kämpfte gerade gegen die Tränen, als Luisa die Wendeltreppen hinunterkam. Auf ihrem Arm trug sie die quengelige Anna, die natürlich nicht hatte wieder einschlafen wollen und um die sie sich nun kümmern mussten. Neben Haushalt und Schulaufgaben.

Emma ging zur Couch und legte sich in Embryohaltung auf das weiche Polster. »Ich mag nicht mehr«, sagte sie matt, während sich Anna neben sie setzte und den Fernseher einschaltete. »Ich bin so müde.«

»Ich weiß.« Ihre Schwester hockte sich zu ihr und strich ihr über das zerzauste Haar. »Es wird besser. Versprochen.«

»Schwachsinn. Es wird nur immer schlimmer.« Emma wischte sich über die Augen, froh darüber, dass Anna von der Zeichentrickserie im Fernsehen vollkommen eingenommen war.

»Nein. Wir holen uns Hilfe ins Haus«, erwiderte Luisa.

Emma rollte mit den Augen. »Das hatten wir doch schon. Papa sagt, er will keine Putzfrau.«

Doch das erste Mal nach langer Zeit funkelten Luisas Augen. Sie zuckte mit den Schultern. »Na und? Er ist eh fast nie da. Er muss es ja nicht wissen.«

»Und wie sollen wir das bezahlen?«, fragte Emma über die Fernsehgeräusche hinweg.

Ohne zu antworten, ging Luisa zum Küchentisch und kam dann grinsend zurück.

»Damit natürlich«, sagte sie triumphierend und hielt ihr Papas Mastercard ins Gesicht.

♥♥♥

Oliver Moser stieg missmutig aus seinem schwarzen Peugeot und ging mit schweren Schritten auf das weitläufige Logistikzentrum zu. Sein schlechtes Gewissen verfolgte ihn. Luisa hatte ihn noch gewarnt. Warum zum Teufel hatte er nicht auf sie gehört?

Immer wieder dachte er an das herzzerreißende Schluchzen seiner kleinen Anna, aber auch an Emmas mutlosen Blick, als sie von dieser Tanzsache erzählt hatte. Seine Mädchen waren ständig enttäuscht von ihm.

Warum bin ich nur so?, fragte er sich, während er seine Mitarbeiterkarte an den Sensor hielt und die Schiebetür automatisch aufging. Warum bekomme ich es einfach nicht hin?

Kühle, sterile Luft und das leise Brummen der Förderbänder empfingen ihn, als er den Gebäudekomplex der Warenausgabe betrat. Am Eingangsbereich entledigte er sich seiner Jacke und schnappte sich eines der Funkgeräte, bevor er sich auf den Weg zu seiner Station machte.

In diesem Teil des Zentrums gab es drei Aufgabenbereiche, für die die Mitarbeiter zuständig waren: Das Entladen der Lastwagen, das Auspacken und Registrieren der Waren und das Einräumen in das Lager – für letzteres war Oliver zuständig.

Vor mehr als zehn Jahren hatte er hier angefangen. Seine Beine trugen ihn wie von selbst zu seinem Arbeitsplatz, vorbei an den Regalen, die randvoll mit Kartons und Paletten bestückt waren.

Seine Schuldgefühle drängten in den Hintergrund, als er das angrenzende Büro des Lagerbereichs betrat und sich am Computer in das System einloggte. Sekunden später erschien eine Liste der heutigen Tagesaufgaben. Der Familienvater ging noch immer die Liste durch, als ihn ein zögerliches Klopfen unterbrach.

»Sind Sie der heutige Teamleiter?« Er sah auf. Vor ihm stand ein älterer Mann mit grauen Haaren und fragendem Blick.

Oliver nickte. »Ist alles in Ordnung?«

»Ich bin neu und meine Schicht fängt gleich an. Ich weiß nicht ...«

»Sie wissen nicht, wo Sie hin müssen«, vervollständigte er den Satz. »Kein Problem. Ich bin hier gleich fertig, dann nehme ich Sie mit zur Versammlung.«

Der ältere Mann nickte dankbar. Dann wanderte sein Blick zu dem Foto auf dem Schreibtisch.

»Sind das Ihre Mädchen?«, fragte er neugierig. Wieder einmal nickte Oliver. »Die sind ja herzig. Und alle drei sind Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten.«

Oliver antwortete nicht. Er versuchte, sich zu konzentrieren. Fünfzig Mitarbeiter standen heute unter seiner Verantwortung. Er überlegte gerade, wie er die sinnvoll über drei Ebenen verteilen konnte, da meldete sich der ältere Mann erneut zu Wort:

»Alle haben Ihr goldiges Haar geerbt.«

»Oder ist die Mutter auch so blond? Haben Sie von der auch ein Foto?«

Oliver spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Strenger als beabsichtigt verzog er die Miene.

Der neue Mitarbeiter hob sogleich die Hände. »Entschuldigung, ich wollte nicht neugierig sein ...«

»Schon gut«, erwiderte Oliver nach einigem Zögern und erhob sich. »Es wird ohnehin Zeit, dass wir gehen.«

Sie verloren kein gemeinsames Wort mehr. Oliver führte ihn an den endlosen Reihen der Lagerregale entlang zum Treffpunkt des Teams.

Er hielt seine übliche Ansprache, ordnete an, den Neuen mit dem Ablauf vertraut zu machen, und führte anschließend seinen Sicherheitsrundgang mit einem der Versandmitarbeiter durch.

Dann packte er mit routinierter Präzision mit an: Er hob Kisten auf, hievte sie in die entsprechenden Regale, wies die Mitarbeiter an. Er versuchte, sich vollkommen auf seine Arbeit zu konzentrieren, doch immer wieder schweiften seine Gedanken ab. Der Neue war schuld. Er hatte nach Bianca gefragt.

Er dachte daran, wie er sich damals in der Schule unsterblich in diese wunderschöne, geheimnisvolle Frau verliebt hatte. Dachte an all ihre Träume, die sie ihm anvertraut hatte. »Ich werde dir jeden Wunsch erfüllen«, hatte er ihr damals versprochen. Das Glück in ihren glasigen Augen würde er niemals vergessen.

Freunde und Familie ließen sie in Deutschland zurück, um in Wien ein neues Leben zu beginnen. Ein Haus voller Kinder, eine Ehe voller Liebe und Sicherheit. Das war der Plan gewesen. Nach der Schule hatte er gleich hier zu arbeiten begonnen, hatte ständig Überstunden gemacht, um seiner Familie das bieten zu können, was sie verdienten. Was er seiner Bianca schuldete.

Alles, was er auf sich nahm, alles, worauf er verzichtete, lohnte sich für das zufriedene Lächeln auf ihrem Gesicht. Davon war er überzeugt gewesen. Bis sie vor drei Jahren von einem auf dem anderen Tag nicht mehr da war. Ausgelöscht.

In einem Skiurlaub war der Unfall passiert. Einem Skiurlaub, für den er einige Extraschichten angenommen hatte. Er hatte sozusagen Überstunden für ihren Tod gemacht ...

Nein! Oliver schüttelte sich und ließ ruckartig einen Karton los. Einer seiner Mitarbeiter sah ihn verwirrt an.

»Sorry. Muss schnell an die frische Luft«, sagte der Teamleiter entschuldigend, dann eilte er durch die Lagerhalle zu einem der Seitenausgänge, vor dem meist die Raucher standen. Angestrengt bemühte er sich, seinen erregten Geist herunterzufahren.

Er musste damit aufhören. Er durfte nicht immer in diese schwarzen, dunklen Löcher abstürzen. Solche Schicksalsschläge passierten nun einmal. Das hatte ihm nicht nur sein damaliger Freundeskreis versichert, auch der Pfarrer hatte es immer wieder gesagt. So schwer es auch war, man musste weitermachen. Und obwohl das alles gerade einmal drei Jahre her war, gingen seine Mädchen so gut damit um – im Gegensatz zu ihm.

Es war ein Trauerspiel. Ein lächerliches Trauerspiel. Was war er nur für ein Vater?

Oliver ballte die Hände zu Fäusten, seine Kiefermuskeln spannten sich an.

Schluss jetzt. Er würde sich ändern. Heute Abend nach der Schicht, egal wie müde er war, würde er die Mädchen ins Kino einladen. Warum nicht? Das würde ihnen allen sicherlich guttun ...

»Oliver, da bist du ja. Bist du etwa unter die Raucher gegangen?«

Der Familienvater schreckte auf. Sein Chef stand in der Tür, Tablet und eine Packung Zigaretten in der Hand. Der Teamleiter zwang sich zu einem Lächeln.

»Ich hab nur eine kurze Verschnaufpause gebraucht. Hast du mich gesucht?«

Sein Chef zeigte ihm den Dienstplan. »Markus fällt diese Woche aus. Hat sich eben krankgemeldet. Kannst du einspringen?«

Wieder spannten sich Olivers Kiefermuskeln an. »Markus macht aber die Nachtschichten. Du weißt doch, dass ich das eigentlich nicht mehr möchte, wegen der Kinder. Ich bin eh schon immer so spät zu Hause ...«

»Natürlich, Oliver, das verstehe ich total«, sagte der Chef. »Und ich hätte dich auch nicht gefragt, wenn ich eine andere Wahl hätte. Aber du bist nun einmal einer der Teamleiter, und das bedeutet manchmal auch, in den sauren Apfel zu beißen. Nächste Woche ist sicher wieder alles normal.«

Bis die nächste Krankmeldung kommt, dachte Oliver verbittert, sagte jedoch nichts. Er zuckte mit den Schultern und gab seine Zustimmung. Zufrieden nickte der Chef und ließ ihn wieder alleine.

Dann eben morgen, nahm Oliver sich vor, morgen mach ich was Nettes mit den Mädchen.

Dafür musste er nur Benjamin absagen. Er holte sein Handy aus der Tasche und fing schon an, eine Absage für die Verabredung mit ihm zu tippen, doch dann zögerte er.