Sinister - Alexander Lenz - E-Book

Sinister E-Book

Alexander Lenz

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Beschreibung

Wie stark ist dein Nervenkostüm? Wilde Gerüchte ranken sich um den düsteren Sinistergürtel. Immer wieder stranden dort ganze Raumschiffe auf mysteriöse Art und Weise. Der Schrottsammler Noel macht sich zusammen mit der Abenteuerin Starlight auf zum Sinistergürtel. Auch der Verbrecher Rish begibt sich mit seinem unangenehmen Partner an diesen geheimnisvollen Ort. Eine lästige Mission, die alles von ihm abverlangt. Dort finden sie ein riesiges, unbemanntes Raumschiff vor, in dem sich unvorstellbar grauenvolle Dinge abspielen. Hinter jeder Ecke lauert der Tod. Schnallt euch an für eine turbulente Fahrt direkt in die Hölle!

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Inhaltsverzeichnis

Teil I: Aufbruch

Kapital 1

Kapital 2: NOEL

Kapital 3: RISH

Kapital 4: NOEL

Kapital 5: NOEL

Kapital 6: RISH

Kapital 7: NOEL

Teil II: Die Höhle des Löwen

Kapital 8: NOEL

Kapital 9: RISH

Kapital 10: RISH

Kapital 11: RISH

Kapital 12: NOEL

Kapital 13: RISH

Kapital 14: NOEL

Kapital 15: NOEL

Kapital 16: NOEL

Kapital 17: NOEL

Kapital 18: RAZIL

Kapital 19: NOEL

Kapital 20: RISH

Kapital 21: RISH

Teil III: Kriegszone

Kapital 22: NOEL

Kapital 23: RAZIL

Kapital 24: RAZIL

Kapital 25: RISH

Kapital 26: NOEL

Kapital 27: RAZIL

Kapital 28: RISH

Kapital 29: RISH

Kapital 30: NOEL

„Das älteste und stärkste Gefühl ist Angst, die älteste und stärkste Form der Angst, ist die Angst vor dem Unbekannten.“

- H. P. Lovecraft

Vorwort

Dieses Werk zu verfassen war eine Herausforderung, die mich an meine Grenzen brachte, lyrisch sowie psychisch. Lyrisch, weil das Horrorgenre völlig neu für mich ist und die Atmosphäre in dieser Geschichte einen großen Teil ausmacht. Auch bestimmte Gefühle, die ich bei euch Lesern gezielt hervorrufen möchte, verlangte eine spezielle Art des künstlerischen Ausdrucks. Psychisch, weil ich mich monatelang an einem düsteren Ort aufhielt, wo sich in mir ebenfalls die Dunkelheit ausgebreitet hat, obwohl er nur meiner Fantasie entsprungen ist. In vielerlei Hinsicht hat mich Sinister in meiner Entwicklung als Autor sehr vorangebracht. Ihr Leser habt es in der Hand, ob ich mich ein zweites Mal der Herausforderung Horror stellen werde. Sinister ist ein Horror-Science-Fiction und kann als ein Horrormärchen mit einem psychologischen Aspekt betrachtet werden. Eine Erfahrung.

Ich wünsche euch nun viel Spaß.

Prolog

Ein Schiff dieser Größenordnung war dem Schrottsammler noch nie unter die Augen gekommen. Er landete seinen Raumjäger in einer der vielen Landebuchten, da er nicht vorhatte, sich länger als nötig hier aufzuhalten. Lediglich eine kleine Inspektion sollte ihm mehr Aufschluss darüber bringen, was die nächsten Expeditionen an Geld einbrachten. Voller Euphorie warf er sich seinen Rucksack über und stieg übereilt aus dem Jäger. Dieser Fund ließ das Herz eines jeden Schatzsuchers höherschlagen. Niemand wäre einfach an dem gewaltigen Schiff vorbeigeflogen, ohne wenigstens einen Blick hineinzuwerfen. Garry hoffte, dass er der erste war, dem dieses Glück zuteilwurde. Sich in so einem riesigen, dunklen Schiff zu verirren, könnte tödliche Folgen haben. Eine kurze Stippvisite reichte vollkommen aus. Bei seinem nächsten Besuch hätte er auch seine Kollegen an seiner Seite. Sie müssten dieses Ding vorab kartographieren, bevor sie sich auf eine längere Tour begaben. Während er sich durch den Türspalt schob, rauschten vor seinem geistigen Auge die Geldbeträge an ihm vorbei. Plötzliche Stille.

Schlagartig legte sich eine bedrückende Atmosphäre auf ihn nieder, so drückend, dass er glaubte, sich in einer anderen Dimension zu befinden. Mit der Finsternis hatte Garry nie ein Problem, aber das hier war etwas völlig anderes. Diesem Ort haftete etwas ganz Groteskes an. Etwas, das er nicht benennen konnte. Er folgte einem gefühlt immer breiter werdenden Flur, der die Dunkelheit wie ein schwarzes Loch in sich verschlang. Der Sog war so heftig, dass er glaubte, die Kontrolle über seine Emotionen zu verlieren. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich einsam und hilflos. Wo war seine Selbstsicherheit abgeblieben? Einem Schrottsammler standen solche Gefühle nur im Weg, aber er konnte sie nicht abstellen. Was ging hier bloß vor sich? Beklommenheit und Anspannung waren nie eine gute Mischung. Den Wunsch nach einem funktionierenden Lichtschalter konnte ihm das gewaltige Schiff nicht erfüllen. Die Stimme in seinem Kopf schrie ihn an, keinen Meter weiterzugehen. Eine andere bettelte ihn an, mit der Taschenlampe den nächsten Raum zu untersuchen. Ein Geräusch erschreckte Garry bis auf die Knochen!

Plitsch!

Plitsch!

Platsch!

Irgendetwas wollte, dass er dem Tropfen mehr Beachtung schenkte. Mit einem beängstigenden Gefühl in der Magengegend ging er dem nach. Seine Halsschlagader pochte wie Donnergrollen. In seinem Körper hörte er das Blut schwappen. Wie fremdgesteuert schlich er in das düstere Zimmer. Der Drang seiner unbändigen Neugierde war viel zu groß und wurde unaufhörlich gefüttert. Da war sie!

Plitsch!

Eine rosarote schleimige Masse war die Quelle des Geräuschs. Sie übte eine widerwärtige Faszination auf Garry aus. Wie bei einem Stalaktit tropfte sie von der Decke.

Platsch!

Garry starrte wie hypnotisiert auf die eigenartige Substanz.

Platsch!

Das Tropfen verwandelte sich in ein unerträglich lautes Klatschen!

Platsch!

Jeder Aufschlag dieser Flüssigkeit hämmerte wie Hirnfrost in Garrys Kopf. Er wollte, dass es endlich aufhörte, und streckte hyperventilierend die Hand aus.

Plitsch!

Kein Eis, sondern ätzende Säure fraß sich durch die Hand! Garry schrie vor Schmerzen auf. Doch keiner hörte die schrecklichen Schreie des Schatzsuchers. Er fühlte, wie sich der brennende Schmerz wie loderndes Feuer in seinem Leib ausbreitete. Gekrümmt fiel er auf die Knie. Die Hand schwoll pulsierend zu einem Ballon an! Venen traten wie dicke Stränge aus der Haut hervor. Eine davon hielt der Spannung nicht stand und platzte! Blut schoss in sein Gesicht. Tränen rannen aus schierer Verzweiflung von den Wangen. Warum hatte er nicht auf Ed und Glenn gehört? Ging es mit ihm zu Ende? Weitere Blutgefäße platzten. Unter Schock stehend lag er bewegungsunfähig am Boden, während er innerlich verbrannte.

Teil I

Aufbruch

Kapitel 1

In den dicken Frontscheiben im Cockpit der Xeon konnte Noel Gondo das Schillern der Sterne im prachtvollen blauen Nebel des Gunraysystems erkennen, als er nach seinem Nickerchen die Füße von der Armatur herunternahm und sich in die aufrechte Sitzhaltung zurückbegab. Wie automatisiert und einstudiert war er zum richtigen Zeitpunkt aufgewacht, bevor er die Ausfahrt zum Stadtplaneten verpasst hätte oder in dessen Atmosphäre verglüht wäre. Im Hintergrund vernahm er das leise, stetige Piepsen des Bordcomputers, welches ihm signalisierte, dass alle Systeme im Normbereich liefen. Der bewohnte Mond Parvus und dessen Mutterplanet Magnus, die beide von bläulichem Licht sanft umhüllt wurden, nahmen größtenteils das Sichtfeld des Cockpitfensters ein. Der kleinere der beiden Himmelskörper befand sich in unmittelbarer Nähe und hatte es um einiges schwerer, sich zu behaupten. Parvus' türkisblaue Farbgebung war viel imposanter als die des Großstadthimmelskörpers, dennoch blieb er nur eine Randerscheinung und für die meisten Magnuser uninteressant. Noel fand es jedes Mal reizvoll, sich mit seinem Raumjäger dicht daran vorbeizumanövrieren, noch bevor die Gravitation das Schiff an die Oberfläche ziehen konnte. Das leuchtend blaue Farbspektrum spiegelte sich im Cockpit und auf sämtlichen Displays wider, während er den Kurs der Xeon minimal anpasste. Ein Klicken und Klacken der Bedienelemente beschallte die Kabine. Routiniert leitete Noel, den Anflug auf den Mutterplaneten ein. Anschließend verringerte er die Triebwerksleistung. Die Xeon war noch schnell genug, um Parvus zügig zu passieren. Von seiner Größe war er im Vergleich zu Magnus hoffnungslos unterlegen. Das Ausmaß seines großen Bruders kam jetzt endgültig zum Tragen. Noel hatte den Zwerg hinter sich gelassen und steuerte direkt auf den Giganten zu. Ein Ungetüm überzogen von Stahl und Beton, das mit unzähligen Lichtpunkten bespickt war.

Geschäfte jeglicher Art wickelte man auf Magnus ab. Milliarden Menschen besiedelten diesen Giganten, auf dem man leicht untertauchen und sich als gesuchter Schwerverbrecher den Syndikaten anschließen konnte, um das Vergnügen der Kriminalität weiter auszubauen. Die Regierung war daran nicht ganz unbeteiligt, da Korruption und Misswirtschaft mehr und mehr Einzug fanden. Kontrollen erachtete man als nicht notwendig, ebenso wenig Passierscheine und Landeerlaubnisse.

Als Noel die Volljährigkeit erreicht hatte, hatte er sich hier trotz seiner Eltern, die ihn stets vor diesem korrupten Ort bewahren wollten, niedergelassen. Sie wollten die gute Erziehung, die er genoss, nicht so leichtfertig aufs Spiel setzen. Seine eigene Erklärung war eher, dass sie selbst Magnus noch nicht bereist hatten und nur vom Hörensagen kannten. Mittlerweile musste er seinen Eltern recht geben. Noel hatte hier nie wirklich Fuß fassen können. Er verwandelte sich mit der Zeit zum Einzelgänger und konnte sich den hiesigen Gepflogenheiten nie anpassen, was auch nicht weiter tragisch war.

Vibrationen erfüllten den Raumjäger, als er in die Atmosphäre trat. Noel war gezwungen, die Steuerung fester zu umschließen, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Sorgen machte er sich keine, da er diese Erschütterungen bereits kannte, wenn die Inspektion des Schiffs schon ein Weilchen her war. Die

Xeon war inzwischen nah genug, sodass der blaue Nebel und die Krümmung des Planeten nicht mehr zu erkennen waren. Der Tag neigte sich seinem Ende zu, da die Planetenoberfläche in orangerotes Licht getaucht war, als das Schiff durch die Wolkendecke brach. Die gleißenden Sonnenstrahlen der Abenddämmerung nahmen ihm etwas die Sicht, woraufhin er teilweise mit der Hand die Strahlung von seinem Gesicht abschirmen musste. Noel verringerte die Schubleistung der Triebwerke auf zehn Prozent. Gelegentlich streckte er den Arm aus, um die Schalter der oberen Bedienelemente für die Landung voreinzustellen. Unter ihm breitete sich die Millionenstadt Kyner aus, als er in einem Bogen seinen Kurs auf das Industrieviertel anpasste.

Ein Ort, der einem das Fürchten vor harter Stahlarbeit lehrte. Die Arbeiter waren ganze Kerle, die vor nichts zurückschreckten. Von ihrer eigenen Körperhygiene und Etikette hielten sie ebenso recht wenig. Wer sich hier als Mechaniker oder Gerüstbauer bewarb und sich behaupten wollte, durfte nicht nur stumm und nach Vorschrift seine Arbeit verrichten. Der Umgang, der in dem Industrieviertel herrschte, war schroff und direkt. Wer sich aus der Reserve locken ließ und sich beleidigt fühlte, musste damit rechnen, dass man hier schnell unerwünscht war. Am besten war es, Paroli zu bieten, wenn man Eindruck schinden wollte. Ein loses Mundwerk, das mit einem Stiernacken einherging, war eine gute Grundvoraussetzung, um in Erinnerung zu bleiben, wenn es zwischen den Stahlarbeitern zu kleinen Reibereien kam. Selten wurden daraus echte Prügeleien, eher basierten die Auseinandersetzungen auf verbale Profilierungen, die manchmal peinlich und ziemlich an den Haaren herbeigezogen waren.

Riesige vergitterte Stahlgerüste, Konstruktionen und Baukräne durchzogen diesen Bereich. Fontänen aus Feuer und Flammen schleuderten ihre Auswürfe wie spuckende Geysire in alle Richtungen und griffen nach den Stahlträgern. Funkenregen prasselte erbarmungslos auf die Verstrebungen und Vergitterungen ein. Hier benötigte man eine gewisse Auffassungsgabe und ein sicheres Verständnis im Umgang mit Raumjägern, sodass man nicht von den Ausläufern der Flammen gegrillt wurde oder an den Stahlkonstruktionen zerschellte. Ein verlässliches Schiff, das auf blitzschnelle Manöver sofort reagierte, war oft eine gute Lebensversicherung, wenn man einen triftigen Grund hatte, das Industrieviertel aufzusuchen. Die Abenddämmerung verschmolz mit dem düsteren Viertel und Noel gelangte zu einem Vorhof, der ihn direkt in einen Höllenschlund führte. Er drosselte die Geschwindigkeit auf ein Minimum, flog auf die Stahlgerüste zu und steuerte die Xeon durch einen Irrgarten aus loderndem Feuer und gefährlich dicht aneinander liegenden Baugerüsten. Per Knopfdruck aktivierte er auf dem Steuerpult die seitlich angebrachten Schubdüsen und riss das Steuerrad nach rechts, als auf dem Hauptdisplay Warnsignale aufleuchteten. Eine Feuerfontäne verfehlte ihn nur knapp. Ein Fliegerass wie er konnte den Hindernissen mühelos ausweichen. Trotzdem musste Noel seinen Fokus beibehalten, als er im darauffolgenden Moment unter einem Stahlträger durchflog. Es glich einem Höllenritt. Ein kleiner Fehler würde ausreichen, um als Bauelement zu enden. Die Gefahrenstelle hatte er gekonnt passiert und flog nun tiefer und tiefer. Dann erkannte er den Eingang des kleinen Hangars zwischen den Reparaturwerkstätten und Werften.

Noel fragte sich jedes Mal aufs Neue, weshalb der Zugang der Werkstatt so verwinkelt und halsbrecherisch sein musste. Trent, der Werkstattleiter, hatte anscheinend den Gedanken verfolgt, dass nicht jeder beliebige Fatzke, der meinte, seinen Jäger reparieren zu wollen, hier anfliegen konnte.

Landeplattformen waren hier Mangelware und so fasste er eine kleine Fläche ins Auge, die ihm die Gewissheit gab, dass er seinem Mechaniker des Vertrauens einen kurzen Weg zu den Werkzeugen und Ersatzteilen verschaffen konnte. Noels eiserner Vogel klappte die Kufen des Fahrwerks aus und setzte harmonisch zur Landung an, indem er die Nase des Bugs sanft anhob. Das restliche Zischen der Düsen versiegte, als die Xeon bedachtsam aufsetzte. Noel schaltete mit mehreren Handgriffen die Ionentriebwerke ab. Jetzt erklangen Schweiß, Hämmerund Schraubgeräusche. Darüber hinaus erfassten grelle Lichtblitze die schäbige Werkstatt.

Wie immer herrschte hier reger Betrieb. Arbeit gab es rund um die Uhr, aber Noel wäre niemals auf die Idee gekommen, sich als Angestellter von Trent herumschubsen zu lassen. Diese Form der Unterwerfung überließ er lieber anderen.

Mit einem Klick löste Noel den Vierpunktgurt und erhob sich aus seinem Sitz. Endlich konnte sich die Xeon von dem wilden Ausritt zur Ruhe begeben und überholt werden. Nachdem er seine verspannten Muskeln und Gelenke mit hüpfendem Gezappel aufgelockert hatte, begab er sich von der Cockpitkabine zur kleinen Kochzeile im Aufenthaltsraum. Danach aktivierte er den Bewegungssensor am Waschbecken. Aus dem Hahn, der aus einem Längsschnitt von einem Rohr bestand, plätscherte das Wasser wie ein Bach und stürzte in das schmale Becken. Das kühle Nass wurde von einem blauen Licht angestrahlt und begann leicht zu fluoreszieren. Zusätzlich erhellte eine Neonröhre das Becken, das unter einem Spiegel befestigt war.

Noel erfrischte sich das Gesicht und betrachtete sein Spiegelbild. Das zerzauste, dunkelblau gefärbte Haar strich er sich mit der bloßen Hand glatt zur Seite. »Ich sah auch schon mal fitter aus.« Leicht geschwollene Ringe und Fältchen unter seinen blauen Augen untermalten seine Müdigkeit. Im Anschluss wischte er sich mit einem Papiertuch über das feuchte Antlitz und warf es anschließend in den Abfall. Sein Erkennungszeichen war eine offen getragene, schwarze Raumjägerjacke mit roten Streifen an den Ärmeln. Nur äußerst selten legte er diese ab. Darunter trug er ein einfaches graues T-Shirt, das unter einem roten Ledergürtel und in einer braunen Allzweckmechanikerhose steckte.

Als nächstes richtete er mit zusammengekniffenen Augen seine Jacke, nahm eine kleine unscheinbare Blasterpistole und klemmte sie sich gut versteckt hinten an den Gürtel. Danach klimperte er mit schwerem Schuhwerk über die Bodenplatten und haute mit der flachen Hand auf einen großen runden Knopf, der mit Druckluft die Rampe zischend absenken ließ.

Der Geruch von ranzigem Altöl lag bleiern in der Luft, als er seinen Raumjäger verließ und die schäbige Reparaturwerkstatt betrat. Ein Duft, der sich über ganz Kyner erstreckte und die meisten Leute eher abschreckte, diese Industriestadt freiwillig aufzusuchen. Keiner der Arbeiter ließ sich davon stören, jedoch war es für Noel nach seinen Ausflügen jedes Mal eine Zumutung. Gegenüber der Halle werkelte bereits jemand auf Knien mit Visier und Schweißbrenner an einem Jäger der FZ-Reihe, das erkannte Noel an der spitzen langgezogenen Nase. Funkenflug und Blitzlichter erhellten diesen Teil der Werkstatt. Der Mechaniker bemerkte Noel, schob das Schweißvisier nach oben und winkte ihm zu sich. Er kam der Aufforderung nach.

»Dieses Mal hat dein Raumjäger wohl nicht so lange durchgehalten, wie? War deine Ausbeute wenigstens hoch genug, um deine Reparaturkosten auszugleichen?«, meinte der Mechaniker sarkastisch.

Noel war diese Spitzen schon gewohnt. »Ich weiß auch schon, wer sie reparieren wird«, konterte er trocken. Ein Murren war von seinem Gegenüber zu vernehmen, bevor Noel fortfuhr. »Wie sich herausstellte, wurde das Wrack bereits ausgeschlachtet. Da war rein gar nichts mehr zu holen. Nur Recks haben sich dort herumgetrieben. Die Xeon war bei meinem Zwischenstopp auf der Salestation einem heftigen Gewitter ausgesetzt«, seufzte Noel.

»So viel Pech kannst auch nur du haben!«, sagte der Mechaniker sichtlich empört, als würde er Noels Misserfolg teilen, und machte sich, ohne Noel zu beachten, wieder an die Arbeit. Er schaltete den Brenner an und Funken flogen umher, als er die blaue Flamme rauschend an das Heck ansetzte.

Der Ausritt war wahrlich nicht das Gelbe vom Ei gewesen, aber dass der Typ so verärgert darauf reagierte, konnte er nicht so recht nachvollziehen. Es musste einen Grund dafür geben.

»Guten Flug gehabt, Gondo?«, fragte jemand links von ihm in einem lauten Tonfall. Es war die markante Stimme von Trent, dem Leiter der Werkstatt.

Noel wandte sich dem korpulenten Mechaniker zu und beide nahmen etwas Abstand vom plärrenden Schweißbrenner.

Trent trug einen dunkelgrünen Overall, der mit vielen Werkzeugtaschen um die Hüfte behangen war, und schaute zufrieden drein. »Wir hatten schon Wetten abgeschlossen, wann du das nächste Mal aufkreuzt«, fügte er an und nahm einen Schluck aus seinem dampfenden Becher.

Daher wehte wohl der Wind, sie schlössen auf seine Kosten Wetten ab. »Dann nehme ich mal an, dass dein Konto in dieser Sekunde ansteigt.«

»Sieht ganz so aus.«

»Hat sich anscheinend noch nicht herumgesprochen, dass man mit dir besser keine Geschäfte abschließen sollte«, meinte Noel und klang eher belustigt.

»Erzähl's nur keinem«, erwiderte Trent. »Die gleiche Prozedur?«

»Ahm ja, Standardinspektion, und das Fahrwerk hat sich wieder einmal verzogen.«

Trent schüttelte verständnislos den Kopf. »Hast du dir mal überlegt, das Ding platt zu machen?«

»Hey, bis auf die kleinen Macken bleibt sie mir treu, im Gegensatz zu manch anderem«, erklärte Noel und kratzte sich am Ohr.

Trent stellte den Becher auf einer Schwebekiste neben schmutzigem Werkzeug ab. Im Anschluss schwenkte er seinen Blick zu dem Kollegen, der mit dem Schweißbrenner noch zugange war, und rief: »Joe! Hier gibt es Wichtigeres für dich zu tun, schwing die Hufe!«

Joe schaltete sein Arbeitsgerät aus, setzte das Visier ab und stand auf. Nach seinem Bewegungsmuster zu urteilen, wirkte er gestresst, als er auf die beiden zu watschelte. Wahrscheinlich hatte er die Wette und das Geld verloren und musste jetzt auch noch das Schiff reparieren, welches ihm die Würde genommen hatte. Mit strenger Miene stapfte er zu Trent. »Das Fahrwerk, vermute ich mal?«, fragte er angesäuert.

»Warum fragst du? Du kennst doch die Antwort. Fang an, wenn du pünktlich dein Gehalt willst. Noel braucht morgen wieder ein voll funktionsfähiges Schiff. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!« Joe fügte sich den Launen des Werkstattleiters und begann, sich an die Arbeit zu machen. Trent blickte Noel mit einem Lachen in die Augen, als ob es ihm gefiel, seine Mitarbeiter herumzukommandieren, besonders dann, wenn er eine Wette gewann. »Na los, mach das du verschwindest! Wir kümmern uns um die alte Lady.«

»Seid gnädig zu ihr.« Noel wusste, dass die Xeon in guten Händen war, trotzdem begleitete ihn jedes Mal ein Unbehagen, wenn er von ihr getrennt war. Schwermütig stiefelte er durch die Werkstatt, um am anderen Ende mit dem vergitterten Lastenaufzug in die oberste Etage zu gelangen. Laute Geräusche der Arbeitsgeräte und die Zwischenrufe der Beschäftigten begleiteten ihn. Klimpernd stieg er in den Aufzug und fuhr nach oben.

Die Gebäude des Industrieviertels von Kyner waren dreckig und mit Ruß eingekleidet. Nichts, wo Noel sich länger als nötig aufhalten würde. Er trat auf eine große schmutzige Fläche, auf der sich die Fabrikarbeiter im Lichte der Abendsonne versammelten. Kneipen, Bars, Shops, Wettbüros und diverse Absteigen reihten sich an den Seiten aneinander. Verschiedene leuchtend bunte Schilder kennzeichneten diese.

Zügig ging er zu seiner gewohnten Absteige, denn dort wusste er, worauf er sich einließ. Wenn nur nicht das Einchecken jedes Mal so schwierig wäre. Auf dem Weg dorthin begegnete er gelegentlich Gruppen von Arbeitern, die ausgelassen ihre Pausen mit Belanglosigkeiten füllten und über Kollegen herzogen. Hoch oben schössen hinter den schmutzigen Gebäuden immer wieder Funkenschläge und ohrenbetäubende Flammen aus den Werften über ihre Köpfe hinweg. Anfangs erschrak sich einfach jeder und das Gelächter der Stahlarbeiter ließ einem die Röte schnell ins Gesicht jagen. Ein Grund mehr, einen Bogen um das verrußte Viertel zu machen, wenn man nicht dem Spott der Arbeiterklasse ausgesetzt sein wollte. Die Gutbetuchten von Magnus mieden diesen Ort. Hier musste man sich noch die Finger schmutzig machen, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Niemand von den Schnöseln wusste, was harte und ehrliche Arbeit zu bedeuten hatte. Noel schätzte das an diesem düsteren Ort. So brachial wie das Industrieviertel für einen Außenstehenden auch wirkte, waren die Schiffe, die hier am Fließband produziert wurden, qualitativ sehr hochwertig und hielten dementsprechend hohen Belastungen stand. Noel verschwendete keinen einzigen Gedanken daran, seine Xeon verschrotten zu lassen, so wie Trent es ihm angeraten hatte. Die Beziehung zu seinem Schiff war geprägt durch unzählige Abenteuer, Fehl- und Glücksmomente und glich einer guten Freundschaft oder glücklichen Ehe. Noel würde nicht zögern, Xeon zu heiraten, wenn man offiziell vor Maschinen ein Gelöbnis ablegen könnte.

Zischend schob sich die Tür nach oben auf, als er einen Fuß in die kleine Absteige setzte und hoffte, dass diesmal das Einchecken reibungslos verlaufen würde. Ein mickriger Tresen und eine Vitrine zierten den tristen Eingangsbereich. Neonlichter, die unterhalb vom Tresen befestigt waren, blendeten einem sofort die Augen. Die Frau am Schalter störte es nicht im Geringsten, da der lilafarbene Schein von ihrem Platz weitaus angenehmer sein musste. Ihre langen Beine ruhten auf dem Tresen. Vermutlich saß die Dame wieder einmal auf einem viel zu niedrigen Stuhl und hatte wie bei ihrem letzten Aufeinandertreffen eine Netbrille auf. Bestimmt schaute sie ein Filmdrama. Und dem war auch so, als er vor dem Schalter stand und sie so lange musterte, bis sie irgendwann Notiz von ihm nahm. Sie registrierte ihn genauso wenig wie alle anderen Gäste, die nach einem Zimmer verlangten. Ihre schwarzen, makellosen Stöckelschuhe, glänzten im Schein des qualvollen Neonlichts. Noel räusperte sich lautstark. Dann ein zweites Mal. Endlich erwachte sie aus ihrer Haltung, nahm ihre Stöckelschuhe vom Tresen und setzte ungehalten die übergroße Netbrille ab.

»Ich habe Pau...« Sie unterbrach ihren Satz, als sie Noel in seiner Raumjägerjacke erspähte und legte einen freundschaftlichen Blick auf. »Oh, entschuldige, ich wusste nicht, welch selten gesehenen Gast ich wieder bedienen werde.« Im Anschluss räumte sie mit einer großzügigen Armbewegung den Tisch frei, stützte ihre Ellenbogen darauf ab und legte ihr junges Gesicht in ihre Handinnenflächen. Sie musterte Noel neugierig. »Na, wie geht's?«, fragte sie mit einem Kaugummi im Mund und brachte eine Blase zum Platzen.

Der künstliche Geruch von Himbeere verteilte sich in seiner Nase. Noel kratzte sich nervös am Kopf. Er fühlte sich von ihrer Aufdringlichkeit ein wenig überrumpelt. »Gut, denke ich. Ich bin auf der Suche.«

»Ich auch, Schätzchen«, erwiderte sie kauend.

»Eigentlich meinte ich ein Zimmer.«

»Warum denn so verklemmt?«, fragte sie viel zu direkt für Noels Geschmack und trug ihn mithilfe eines Datenorganizers als Hotelgast ein. Die Chipkarte für seine Unterkunft legte sie auf den Tresen. Dabei wartete sie immer noch auf eine Antwort.

»Ahm, bin ich nicht. Nur müde.«

»Verstehe«, sagte sie enttäuscht. »Du weißt ja, wo du mich findest.« Sie setzte die Netbrille auf und ignorierte Noel genauso wie Joe es kurz vor ihr getan hatte.

Insgeheim ärgerte sich Noel darüber. Er wusste, dass er auf die meisten Frauen attraktiv wirkte, nur konnte er nie damit umgehen. Xeon musste er nie erklären, weshalb er so verklemmt war. Wie angewurzelt stand er vor dem Schalter und überlegte, was er anderes hätte tun können. Sollte er auf ihr Angebot eingehen und sie zu einem Kaffee einladen? Eigentlich war er froh, sich endlich schlafen legen zu können. Er schnappte sich die Chipkarte. Nachdenklich schlurfte er neben dem Tresen den schlauchartigen Flur entlang. Er passierte einen funkelnden Automaten und mehrere Plakate von Musikern und anstehenden Veranstaltungen. Danach schob er eine leicht milchige, verspiegelte Glastür auf, die seine Umrisse zu erkennen gab. Dahinter führte ihn ein schmales Treppenhaus nach oben zu den Appartements.

Ein Fabrikant kam aus dem heruntergekommenen Gang auf ihn zu. Der Typ sah einfach zum Davonlaufen aus. Ein vom Öl verschmiertes Gesicht und tiefe Augenhöhlen wie die Krater zweier Vulkane, die kurz vor ihrer Eruption stehen, zeichneten eine angsteinflößende Gestalt. Er stellte sich Noel regelrecht in den Weg, so breit machte er sich.

Der Raumjägerpilot musste sich duckend unter seinem Arm vorbei schlängeln, um nicht angerempelt zu werden. Er blickte dem Kraftpaket nach, so merkwürdig und bedrückend empfand er die Person. Ein Fabrikarbeiter, der eine solch boshafte Ausstrahlung besaß, war ihm noch nie unter die Augen getreten. Mit einem ahnungslosen Schulterzucken nahm er die skurrile Situation hin und schlurfte weiter durch den ramponierten Flur.

Aus seiner Jackentasche entnahm er die Chipkarte und überprüfte die Zimmernummer. Dabei hörte er durch die dünnen Wände die anderen Gäste, die lautstark miteinander diskutierten. Der Raumjägerpilot war sich nicht sicher, ob sie miteinan der stritten oder ob sie es mit der gewöhnlichen Arbeiterattitüde etwas übertrieben. Als ein Glas hörbar zu Bruch ging, war die Sachlage für ihn deutlicher. So langsam konnte er ein Streitgespräch unter den Fabrikarbeitern erkennen, was anfangs erheblich schwieriger gewesen war. Das Klientel im Industrieviertel von Kyner zeugte nicht gerade von Intelligenz, was Noel sehr früh aufgefallen war. Aber es störte ihn nicht, solange er in Ruhe gelassen wurde. Viel mehr verabscheute er die Leute, die nach zu vielen Banknoten stanken.

Drei Zugänge weiter erreichte er das Appartement. A-12 stand beleuchtet neben der Tür, darunter das kleine Terminal, das mit Ziffern und dem Karteneinschub versehen war. Noel zog sie durch und tippte den erhaltenen Zahlencode in das Eingabefeld ein. Die milchige Glastür entriegelte sich mit einem Klicken und zischte auf. Ein Schwall verbrauchter Luft stieg ihm in die Nase. Sofort kam ihm der Gedanke zu lüften und er begab sich zum Fenster des kleinen Zimmers. Dort betätigte er den verklebten Griff und öffnete es. Das Lüften half nur geringfügig, da das verrußte Industrieviertel kaum frische Luft zuließ. Wenigstens war die warme und stickige Raumluft schnell verflogen und er konnte wieder einen klaren Gedanken fassen.

Komischerweise musste er jetzt an die junge Frau von der Lobby zurückdenken, was ihm gar nicht gefiel. Obwohl es eine gute Gelegenheit wäre, mal aus seiner Haut zu schlüpfen, statt ständig vor Leuten zu flüchten, die an ihm Gefallen fanden. Er schob den Gedanken sowie die Begegnung mit der furchterregenden Gestalt flott beiseite.

Nach seiner letzten Expedition, die ihn ziemlich ermüdet hatte, war Noel endlich angekommen. Einen letzten Blick nach draußen werfend wurde ihm gähnend bewusst, dass er sich jetzt besser schlafen legen sollte.

Das kleine Zimmer hatte schon länger kein Reinigungsperso nal mehr gesehen. Ein tiefes Bett, ein Nacht- und Kleiderschrank und ein Bad mit einer Dusche reichten ihm vollkommen aus, um für den nächsten Tag fit zu sein, wenn er erneut die Weiten des Alls durchforstete. Er schloss das Fenster, trank einen Schluck Wasser aus der Leitung, verstaute seine Lieblingsjacke behutsam im Schrank und ließ sich, ausgelaugt wie er war, in das Bett fallen. Die Blasterpistole, die ihn unangenehm in den Rücken stach, legte er auf den Nachtschrank. Schon einmal hatte er sie vergessen und gerade noch Schlimmeres verhindern können. »Gute Nacht, Xeon«, flüsterte er und schlief ein.

2

NOEL

Ein gnadenloses Hämmern riss Noel aus dem Tiefschlaf.

»Öffnen Sie umgehend die Tür!«, rief jemand mit kräftiger Stimme.

Desorientiert und noch halb schlafend, versuchte er aus seinem Dusel zu erwachen und aufzustehen. Weiter als bis zur Bettkante kam er nicht. Es hämmerte erneut.

»Hier spricht das Kyner Police Department, öffnen Sie die Tür!«

»Ja, kleinen Moment bitte«, erwiderte er genervt. Das KPD? Was wollte denn die Polizei von ihm? Er hatte noch nicht einmal geduscht und muffelte. Aber das sollte an diesem Ort das geringste Problem sein. So unsäglich aus dem Schlaf gerissen zu werden, war das eigentliche Problem. Allein für dieses Vergehen sollte man einen weiteren Streifenwagen anfordern und die eigenen Kollegen in Gewahrsam nehmen. Er stemmte sich von der Bettkante hoch und watschelte verschlafen zur Tür. Der Bewegungssensor ließ sie aufzischen. Zwei Beamte in schwarzen Jacken und dem Emblem des KPD's standen vor seinem Appartement.

»Sind Sie Noel Gondo?«

»Äh,ja.«

»Ist Ihnen gestern bei Ihrer Anreise etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

Noel wusste nicht, was der Officer damit meinte. Nichts war hier gewöhnlich. Die Fabrikarbeiter waren nun mal alle irgendwie schräg. »Nein, Sir, ich bin früh ins Bett gegangen.«

»Wie früh?«, fragte der glatzköpfige Kollege.

»Weiß nicht so genau. Einundzwanzig Uhr oder so. Worum geht es denn?«, erkundigte sich Noel.

»Wie mir scheint, haben Sie den Lärm verpennt.«

Lärm? Wenn Noel schlief, konnte man neben ihm ein Ionentriebwerk starten, ohne dass er wach wurde. Was konnte letzte Nacht denn bloß vorgefallen sein?

Der Officer fuhr fort. »Hier hat sich gestern Abend ein Mord zugetragen. Die Notrufe, die bei uns in der Zentrale eingingen, beschrieben Todesschreie, aber niemand hat etwas gesehen. Der Täter ist noch auf freiem Fuß.«

Noel stockte der Atem. Einen Mord zu verschlafen, den er eventuell hätte verhindern können, war wie ein Schlag in die Magengrube, von dem ihm schwindelig wurde. »Ich bin schockiert!«, sagte er und fühlte sich kotzübel. Dann dachte er an die finstere Gestalt, der er auf dem Flur begegnet war. »Mir ist gestern ein Typ aufgefallen, der auf mich sehr düster wirkte ... irgendwie gefühlskalt.«

»Können Sie ihn beschreiben?«, wollte der glatzköpfige Kollege wissen.

Nachdenklich verzog Noel das Gesicht zu einer Grimasse. Das Einzige, das ihm in Erinnerung geblieben war, waren die tiefen Augenhöhlen und der leere, boshafte Blick. »Dafür habe ich ihn viel zu kurz gesehen. Er besaß auffällig tiefe Augenhöhlen und einen dunkelbraunen Overall, an mehr kann ich mich nicht erinnern.«

Der Officer tippte auf das Display seines Datenorganizers. »Wir haben Ihre Aussage aufgenommen. Verlassen Sie Magnus nicht, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind. Einen schönen Tag noch.« Damit verabschiedeten sich die Beamten.

»Na super, das hat mir heute noch gefehlt«, dachte er. Magnus nicht verlassen zu dürfen bedeutete, eine Einnahmequelle zu verlieren. Zweifelsohne musste der Mord aufgeklärt werden, dennoch musste er das Geld von der fehlgeschlagenen Expedition ja irgendwie wieder gutmachen. Es half nichts, außer sich erst einmal zu duschen und frisch einzukleiden.

Noel begab sich zuerst zum Sideboard gegenüber vom Bett und schaltete den Wasserkocher ein, zog sich aus und warf das T-Shirt mitsamt Schuhen, Hose und Socken aufs Bett. Noel tapste, während er sich die Brust kratzte, ins Bad, stellte sich in die Duschkabine und drehte auf, sodass das Wasser über seinen Rücken rann.

Seine Gedanken kreisten und er dachte darüber nach, was er auf Magnus erledigen könnte, bis der Mord aufgeklärt war. Eventuell könnte er Informationen über die nächsten Expeditionen ins All einholen, um womöglich etwas Wertvolleres zu erbeuten als nur Ersatzteile und weiteren Schrott. Zumindest eines der unzähligen Schiffe, die im Sinistergürtel ziellos umhertrieben, müsste doch seltenes Frachtgut geladen haben. Noel hoffte, bald zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

Er war einer der Wenigen, die sich überhaupt trauten, den Gürtel zu betreten, selbst auf die Gefahr hin, vom Nichts verschluckt zu werden, aber darüber machte er sich keine allzu großen Sorgen mehr. Von Mal zu Mal wurde es leichter, die Geschichten, die man sich erzählte, als Märchen abzuhaken. Vermissen würde ihn sowieso keiner, so dachte er. Enge Freunde hatte er nicht, da sein Hobby, Schätzen nachzujagen, den größten Teil seines Lebens einnahm.

Noel drehte das Wasser ab und die letzten Tropfen regneten auf die kalten Fliesen hinab. Patschend nahm er das Handtuch, das er über den Sichtschutz der Kabine gelegt hatte, und trocknete sich ab. Weiterhin in Gedanken versunken zog er seine Sachen wieder an.

Er könnte einen Abstecher nach Kynercentral machen, um sich neue Lektüre für die nächsten Ausflüge ins All zu besorgen und sich im Stürzenden Kranich nach gestrandeten Schiffen zu erkundigen.

Erneut begab sich Noel zum Sideboard, auf dem eine kleine Erfrischungsstation mit Tassen, Gläsern, einer wassergefüllten Karaffe und kleinen Utensilien, wie Stäbchen zum Verrühren der Heißgetränke, hergerichtet war. Verschiedene Sorten synthetischer Pulvertees und Kaffees befanden sich in Schubfächern, die in einem Schrank an der Wand montiert waren. Noel entschied sich für einen exotischen Kaffee. »Parvus' Erfolgsrezepturgeschmack und Finesse in einem Kaffee«, stand auf der Tüte. Er hielt es für einen schlechten Scherz und befüllte skeptisch die Tasse damit.

Nachdem er sein Heißgetränk zubereitet hatte, ging er an den Kleiderschrank, schnappte die Jacke und zog sie in einer einstudierten Drehbewegung über. Nunmehr fühlte er sich wohl, wie ein Ritter in seiner Rüstung und war bereit, es mit der ganzen Welt aufzunehmen. Zumindest so lange, bis ihn schlussendlich eine attraktive Frau ansprach und etwas von ihm wollte.

Danach öffnete er das Fenster und schaute dem Treiben mit seiner dampfenden Tasse in der Hand zu. Es waren zwar keine Fabrikarbeiter auf dem großen Platz zu sehen, doch viel mehr interessierte ihn das Schauspiel hinter den Gebäuden, dort wo Flammen und Funken aufloderten. Zwischendurch trank er von seinem Kaffee und bestellte über seinen Datenorganizer ein Fahrzeug, das ihn auf kürzestem Wege nach Kynercentral bringen würde. Noels einziges Fortbewegungsmittel war sein geliebtes Schiff, das nach jedem Ausflug besonders viel Aufmerksamkeit von den Mechanikern benötigte. Als er die Xeon das erste Mal in ihren Einzelteilen zerlegt in Trents Werkstatt vorfand, erkannte er, dass sie füreinander bestimmt waren. Er hatte viel Arbeit hineingesteckt, um sie in die Lüfte zu bekommen. Ein Fahrzeug zu bestellen, kostete ein wenig Überwindung, da er nie wusste, was ihn erwartete, ganz im Gegensatz zu seinem Raumjäger. Die alte Lady hatte zwar kleine Schönheitsfehler und andere winzige Macken, aber dafür fühlte er sich bei ihr gut aufgehoben. Er hoffte, dass dieses Mal ein vernünftiger Speeder mit einem gescheiten Fahrer geschickt wurde, der sich nicht so leicht von aufmüpfigen Verkehrsteilnehmern ablenken ließ. Anschließend dachte er an den Mord, der sich in der Absteige zugetragen haben sollte. Nachdem er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, wollte er sich selbst ein Bild davon machen.

Aus dem Appartement lief er den heruntergekommenen Flur entlang, sah die beiden Polizisten, wie sie die anderen Gäste befragten, und schlenderte an ihnen vorbei. Des Weiteren vernahm er Stimmen aus der Lobby. Als Noel über die Treppe und den schmalen Gang den Eingangsbereich betrat, empfingen ihn blaue und rote Lichter und ein langes Absperrband vor dem Tresen. Mehrere Forensiker dokumentierten in ihren keimund spurenfreien Anzügen die Lobby. Dem Schatzsucher wurde bewusst, dass er sich am Ort des Geschehens befand.

Ein Polizist bemerkte ihn. »Gehen Sie bitte weiter und fassen Sie nichts an«, forderte er Noel auf und versperrte ihm dabei die Sicht.

Zu gern hätte er gewusst, wer das Opfer war. Die Antwort erhielt er just in diesem Moment, als er hinaustrat. Es war die junge Empfangsdame, die ihm gestern noch auf den Zahn gefühlt hatte. Sie lag aufgebahrt auf einer Schwebeliege, die in ein Fahrzeug geschoben wurde. Vermutlich war sie auf dem Weg zur Obduktion. Noel blinzelte, um sich zu vergewissern, dass er sich nicht irrte. Ihm wurde schwindlig, als ihm klar wurde, dass am Tod der Empfangsdame kein Zweifel bestand. Er kannte noch nicht einmal ihren Namen und jetzt war sie tot? So hatte er sich die Ankunft auf Magnus ganz und gar nicht vorgestellt. Mit brummendem Schädel wankte Noel zur Fassade und rutschte mit dem Rücken an der Wand zu Boden. Bilder von ihr und dieser finsteren Gestalt schössen durch seinen

Kopf. Konnte da eventuell doch ein Zusammenhang bestehen? Dieser Gedanke verankerte sich in ihm, wie eine hartnäckige Reckratte, die sich Unterschlupf in einem gestrandeten Schiff im Sinistergürtel suchte. Er musste den Fall dem KPD überlassen und hoffen, dass der Schuldige schnell zur Rechenschaft gezogen wurde.

In seiner Haltung verharrend konnte er beobachten, wie das Fahrzeug mit der Leiche abhob und sie abtransportierte, während in der Morgenröte das Blaulicht von seinen Augen und seinem Gesicht reflektiert wurde. Direkt im Anschluss landete der grüne Speeder, der ihn nach Kynercentral bringen würde. Das offene Verdeck war das auffälligste daran, im Gegensatz zum kastenförmigen Chassis, das verbeult und ramponiert wirkte.

»Sir, haben Sie das Fahrzeug bestellt?«, fragte der Fahrer höflich nach. Er trug einen grünen Hut und einen schmalen Schnurrbart.

Er machte auf Noel einen zuverlässigen Eindruck, ein Mann, der seinen Job ernst nahm. Nachdem sich sein kleiner Schwächeanfall gelegt hatte, stand er behäbig auf. »Ahm, ja«, antwortete er knapp. Die Beifahrertür quietschte unangenehm, als er sie öffnete und sich in den gepolsterten Sitz fallen ließ.

»Kräftig die Tür zuschlagen«, wies der Fahrer ihn barsch an. Es polterte. »Sie lässt sich seit dem letzten Zusammenstoß nur schwer schließen.«

»Bei wem bin ich denn hier gelandet?«, ging es Noel durch den Kopf und er befürchtete, dass der Typ den Anflug in die Reparaturwerkstatt nicht überleben würde. Der Fahrer legte einen strengen Gesichtsausdruck an den Tag. Dann realisierte Noel, weshalb er so grimmig schaute. Bevor der Gurt nicht angelegt war, würde der Fahrer das Gefährt keinen Meter von der Stelle bewegen. Noel schnallte sich mit einem Klick an.

»Wo soll's denn hingehen?«

»Kynercentral, Wugano Viertel zur Gillistreet.« Der Fahrer zog an einem verchromten Hebel und trat das Gaspedal durch, sodass Noel ruckartig in den Sitz gepresst wurde. Als dann auch noch das Fahrzeug mit immenser Beschleunigung abhob, konnte er die G-Kräfte deutlich spüren. Sein Körper wurde bleischwer. Es war nahezu unmöglich, in den ersten Sekunden die Arme zu heben, um Halt zu finden. Krampfhaft gelang es ihm dann endlich, doch das Gefühl von Hilflosigkeit breitete sich ungehindert aus. Er war dem Fahrer jetzt ausgeliefert und hatte große Bedenken, als dieser dicht auf ein Werbeschild zuraste, um kurz davor mit einem Ruck schräg nach oben zu ziehen. Noels Innereien rutschten gefühlt zwei Stockwerke tiefer. Nach wenigen, qualvollen Sekunden erreichten sie mit dem Speeder eine optimale Höhe, die ihm Zeit zum Durchatmen verschaffte.

Unter ihnen spien die Fabriken weiterhin Flammen und Funken durch die Luft. Aus der Ferne konnte Noel den atemberaubenden Sonnenaufgang zwischen den gewaltigen Bauten von Kynercentral sehen. Die Sonnenstrahlen ließen die Hochhäuser nur so funkeln. Bis zur Landung, die womöglich auch nicht viel sanfter ausfallen würde, hatte er noch etwas Zeit, die pittoresk anmutende Atmosphäre auf sich wirken zu lassen. Der Fahrtwind wurde gut von der Frontscheibe abgeschirmt.

»Gab es wieder Fabrikarbeiter, die sich nicht benehmen konnten?« Der Schnurrbartträger blickte in den Rückspiegel, der einen rostigen Rahmen besaß.

Der schlechte Ruf der Arbeiter im Industrieviertel hielt sich in ganz Kyner. Noel konnte dieser Oberflächlichkeit nichts abgewinnen. Er kannte die Arbeiter besser als jeder andere in Kynercentral. Ihre Grobschlächtigkeit artete nur äußerst selten in Gewalt aus. Man hätte nicht gerade behaupteten können, dass sie zu mehr Gewalt neigten als andere Gruppen. Deshalb war der Mord das Letzte, was diesem Viertel guttun würde. Noel hatte eigentlich nicht vorgehabt, dem Fahrer darauf zu antworten. »Eine Frau kam ums Leben, der Täter wird noch gesucht«, erwiderte Noel und ließ die Einzelheiten außen vor.

»Es bleibt nach wie vor ein gefährliches Viertel. Frauen haben dort einfach nichts zu suchen!«, meinte der Fahrer.

Noel ärgerte sich, dass er einen Nährboden für den angestauten Groll des Schnurrbartträgers geliefert hatte.

»Sir, was hatten Sie dort eigentlich verloren? Sie sehen nicht gerade so aus, als gehörten Sie zu denen.«

»Ich weiß aber, wo Sie hingehören«, flüsterte Noel.

»Wie bitte? Sie müssen schon etwas lauter sprechen. Der Fahrtwind verschluckt einen Teil des Schalls.«

»Der Nachhall ihres Schalls wird dafür doppelt so stark ausfallen«, sagte er laut und deutlich.

»Ich verstehe nicht, Sir?«

Das wunderte Noel auch keineswegs. Die Oberflächlichkeit, die der Mann versprühte, verhinderte, Dinge zwischen den Zeilen zu lesen. »Schon okay, bringen Sie mich einfach ans Ziel. Buchhandlung Reaction.* Die restlichen Minuten bis nach Kynercentral verstrichen schweigsam. Noel genoss noch ein Weilchen die Aussicht, die sich ihm vom Speeder bot, bevor das Getümmel der Großstadt seinen Tag einnahm.

RISH

In Magnus Prime, auf der Nachtseite des Himmelskörpers, lag Rish Morbor mit dem Bauch auf einem Dach und schaute durch das surrende Fernvisier. Er trug einen schwarzen, enganliegenden Nanosuit mitsamt Helm, um sich möglichst leicht und unbemerkt durch die Nacht bewegen zu können. Der Anzug war so konzipiert worden, dass man mit den nötigen Schleichfähigkeiten praktisch geräuschlos untertauchen konnte, bot jedoch keinerlei Schutz für den Träger. Für wenige Sekunden war man sogar in der Lage, mit der Umgebung zu verschmelzen.

Rish hatte Sicht auf eine kleine Gasse, in der er zwei Personen beobachtete, die sich im Geheimen trafen. Er machte Bilder von ihnen und versendete sie zeitgleich an seinen Auftraggeber. Sein Job war erledigt. Das Beweismaterial zeigte eindeutig Grey Bloodhound, wie er sich mit den verfeindeten Deathskies traf. »Das dürfte für genügend Zündstoff sorgen«, flüsterte er und verstaute das handliche Fernvisier in einer dafür vorgesehenen Tasche, die an seinem Gürtel befestigt war. Danach schlich er in gebückter Haltung zur Mitte des Dachs und vergewisserte sich, dass er weiterhin unbeobachtet war. Als Rish an der Tür zum Treppenhaus genügend Sichtschutz gefunden hatte, kontaktierte er mithilfe einer Taste an seinem Helm Razil Radwar.

»Gute Arbeit, Morbor. Meine Intuition lag wieder einmal goldrichtig. Wie gesagt, dieses Beweismaterial ermöglicht es mir, mehr Einfluss auf unsere Organisation zu gewinnen und dir eine bessere Position zu verschaffen. Wir sehen uns im Quartier«, beendete er das Gespräch.

Rish atmete tief durch. Seine Loyalität und die ganzen Bemühungen zahlten sich endlich aus. Ein simpler Auftrag hatte die Türen für Razil Radwar geöffnet, die Organisation erheblich aufzumischen. Niemand von den Redrivers würde auch nur ansatzweise vermuten, dass der hoch angesehene Grey Bloodhound sich mit den Deathskies in einer dunklen Gasse traf. So gewieft wie Razil war, würde er auf den passenden Moment warten, den anderen Hintermännern die Beweisbilder vor deren Nasen zu halten. Rish hoffte, wenn das Spektakel losging, mit von der Partie zu sein. Es war Zeit für ihn aufzubrechen.

Den Helm konnte er erst von seinem Kopf abstreifen, wenn er den Bereich der Gefahrenzone verließ. Er befand sich immer noch im Territorium der Deathskies. Hier wimmelte es nur so von Spähern und Handlangern. Egal wer sich hier herumtrieb oder verirrte, musste gegebenenfalls mit dem Schlimmsten rechnen, wenn man von ihnen entdeckt wurde.

Die Fortbewegung über die Dächer war der beste Weg, um aus ihrem Sichtfeld fernzubleiben, und das tat auch Rish, leise und effizient. Er lief und sprang in einer flüssigen Bewegung von Dach zu Dach, stieß sich von kleinen Vorsprüngen ab und rollte sich gekonnt auf der anderen Seite ab. Sein agiler Körperbau machte aus ihm einen vorzüglichen Sprinter. Ein Späher, der sich schnell und leichtfüßig bewegen konnte, war ein wichtiges Werkzeug für die Syndikate. Mit ihnen konnten die Anführer den Überblick über die Verflechtungen, Verstrickungen und Machenschaften bewahren. Rishs heutiger Auftrag bewies das wieder einmal auf ein Neues. Aber er wollte nicht auf ewig dazu verdammt sein, einen einfachen Laufburschen abzugeben.

Seine einstudierten Bewegungsabfolgen verhalfen ihm, nicht mehr darüber nachzudenken, wie er ein Hindernis zu bewältigen hatte, wenn nicht gerade die Deathskies hinter ihm her waren. Die Art der grazilen Fortbewegung über die Dächer ließ seinen inneren Monolog gedeihen. »Nicht mehr lange und ich werde vom Späher zum Hintermann der Redrivers aufsteigen. Razil Radwar wird es mir bald ermöglichen. Trotzdem habe ich den größten Anteil dazu beigetragen und das werde ich ihm, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, schön unter seine schrumpelige Nase reiben. Aber noch bin ich auf ihn angewiesen, solange muss ich mich wohl damit abfinden, über Dächer zu springen.«

Rish hatte das Territorium der Deathskies hinter sich gelassen, stieß sich vom letzten Vordach ab und landete nahezu federleicht in einer schmalen Gasse. Die kurze Seite wurde von einem Gitterzaun abgetrennt, während an den Flanken jeweils eine Feuerleiter zu sehen war. Diesen unbeobachteten Moment nutzte Rish, um sich den Helm mitsamt Nanosuit abzustreifen und ihn in seinen Rucksack zu sperren. Die zivile Kleidung lag aufgestapelt daneben.

Rish gab nicht viel auf seinen Kleidungsstil, hauptsächlich schwarz musste er sein. Zurzeit musste ein Rollkragenpullover zu seiner Sonnenbrille herhalten. Die großen runden Gläser konnte man individuell nach Helligkeit und Kontrast einstellen. Nachdem er die schwarze Jeans übergezogen hatte, trat er mit dem Rucksack aus der Gasse und lief auf einen schwarzen Speeder zu.

Victor, sein Kollege und weiterer Handlanger der Redriver, saß am Steuer und hatte seinen Arm auf die Rückenlehne des Beifahrersitzes gelegt. Anschließend blickte er auf den Chronometer auf der Armatur. »Wow, das war der schnellste Auftrag, den du je erledigt hast«, staunte Victor.

Rish stieg ein und verstaute den Rucksack im Fußraum. »Razil hat wohl den richtigen Riecher gehabt.«

Victor machte einen enttäuschten Gesichtsausdruck und hob mit dem Speeder geschmeidig ab. »Ich kann es einfach nicht glauben. Der große Grey Bloodhound fällt uns allen in den Rücken?«

»Wenn ich so zurückdenke, versteckt er hinter seinem charismatischen Lächeln etwas ganz Groteskes. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass er einen hinter der nächsten Ecke umnietet. Geht es dir nicht auch so, wenn du die Fratze zu Gesicht bekommst?« Grey Bloodhound galt unter den Redrivers als Ikone und wäre definitiv als Legende in ihre Geschichte eingegangen, wenn Razil ihm nicht auf die Schliche gekommen wäre. Rish hätte auch niemals erwartet, dass Bloodhound mit verdeckten Karten spielte. Doch wenn Razil Radwar einmal die Witterung aufgenommen hatte, dann biss er zu wie ein lästiger Womp, der darauf wartete, bis das Opfer verblutete. Es wäre töricht gewesen, diesem Hintermann in die Suppe zu spucken. Rish würde sich hüten, ihm gegenüber unaufrichtig zu sein.

»Nein, auf mich wirkte Grey stets wie ein guter Kompagnon. Wir hatten schon des Öfteren einen zusammen gehoben. Gut, manchmal hat er echt beschissene Kommentare vom Stapel gelassen. Aber nichts, was darauf schließen ließ, dass er ein verkackter Spitzel ist!« Victor schlug auf das Lenkrad, sodass der Speeder unruhig darauf reagierte.

»Hey, locker bleiben.« Rish kannte Victor mittlerweile besser als sich selbst und wusste, dass er viel zu schnell mit Leuten Freundschaft schloss. An Loyalität den Redrivers gegenüber mangelte es keineswegs und der Freundschaft schadete es auch nicht. Dennoch sollte man in diesen Kreisen nicht jedem blindlings vertrauen. Vielleicht wurde er nach diesem Ereignis geläutert. Besser so, als eine Kugel in den Kopf zu bekommen. »Vic, ich kann deinen Zorn verstehen und bin genau wie du davon ausgegangen, dass Bloodhound niemals die Organisation verraten wird, aber ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.«

»Das wird für ordentlich Unruhe sorgen«, meinte Victor. »Wir müssen es für uns behalten, bis Razil seine Karte ausgespielt hat. Lange wird es sicherlich nicht dauern.« »Und wie geht es dann weiter?«

Rish wollte seine Pläne mit Razil besser für sich behalten, da Victor ihm im Weg stehen könnte, wenn er weiter solche Fragen stellte. Als einfacher Handlanger zu neugierig zu erscheinen, war nie eine gute Eigenschaft. »Mach dir darüber keine allzu großen Gedanken, befolge lieber weiterhin Befehle. Razil weiß ganz genau, wie er vorzugehen hat.« Victor grummelte. Er schien an dem Umstand, dass sein Idol doch keine ach so reine Weste hatte, ziemlich zu knabbern zu haben. Das unterschied die beiden voneinander. Im Gegensatz zu Victor hatte Rish enge Bindungen stets vermieden, was ihm bisher eine klare Sicht auf die wesentlichen Dinge ermöglicht hatte. Laut Razil Radwar war man nur so in der Lage, sich eine bessere Position zu verschaffen.

NOEL

Noel Gondo war heilfroh, lebendig aus der abgewrackten Karre entkommen zu sein. Trinkgeld hatte dieser Kerl nicht verdient. Sein Fahrstil hätte bei manch anderem wohl eher ein Herzflimmern ausgelöst. Ein Warnschild an seinem Fahrzeug wäre eine gute Lösung gewesen. Die Kontrolle als Beifahrer abzugeben, schmeckte Noel generell nicht und er widmete sich lieber der Literatur. Denn ein gutes Buch während der langen Flüge im All dabei zu haben, war ein Segen.

Er begab sich auf die andere Straßenseite zur Buchhandlung Reaction. In Kynercentral wehte ein gänzlich anderer Wind. Ein sehr einsamer Wind, vor allem, wenn man niemanden kannte.

Ein Einzelgänger wie Noel konnte hier nur schwer Fuß fassen, aber das kümmerte ihn recht wenig, solange er seinen Beruf als Schatzsucher ausüben konnte. Eine Begrifflichkeit, auf die er Wert legte. Für die meisten war er nur ein gewöhnlicher Schrottsammler, ein Tagträumer, der sich unnötig in Gefahr brachte.

Die Menschen in der Milliardenmetropole Kyner lebten teilweise so eng beieinander, dass man in schwindelerregende Höhen bauen musste. Aus dieser Not heraus entstanden ganze Meisterwerke der Statik, die kilometerweit in den Himmel ragten. Man konnte seinen Weg problemlos über gewaltige Brückenkonstruktionen zwischen den unzähligen Hochhäusern von A nach B bestreiten. Wer hier unter Höhenangst litt, musste buchstäblich im Dreck schlafen.

Im Untergrund, so nannte man die Erdbodenebenen, herrschten katastrophale Zustände. Bergeweise Müll stapelte sich und verrottete auch dort, so ähnlich musste es den Leuten ergehen, die keine Perspektive auf ein geordnetes Leben mehr besaßen. Niemand wusste auch nur annähernd, was im Untergrund vor sich ging.

Noel stand nun vor dem letzten übrig gebliebenen Buchladen in ganz Magnus. Er war so unscheinbar, dass man im Vorbeilaufen keine Notiz von ihm nahm. Da half auch kein schief hängendes und verwittertes Schild mehr. Der Laden wirkte trostlos unter dem Gebäude, das in den Himmel schoss wie ein luxuriös schillernder Raumfrachter.

Noel betrat die Buchhandlung. Wieder einmal war er der einzige Kunde. Ein heller Teppichboden und Bücherregale aus dunklem Holz staffierten den Raum aus. Sonnenlicht bahnte sich den Weg zwischen den vielen Büchern. Ein verlassener Ort, der tief im Inneren viele Geschichten auf Papier beherbergte. Zielstrebig ging er zum Händler, der gerade dabei war, Bücher aus einem der Regale zu räumen. »Freddie, was tust du da?«, wunderte sich Noel.

»Wonach sieht es denn aus? Ich mache den Laden dicht. Niemand liest mehr Bücher.«

Heute war einfach ein miserabler Tag. Erst der Mord und dann schloss Freddie ausgerechnet den letzten existierenden Buchladen. Noel hätte eine andere Reaktion von ihm erwartet. »Berührt dich das denn nicht?«

»Nein, du bist der einzig verbliebene Kunde und kannst dir außerdem sowieso alles auf deinen Organizer laden.«

»Das ist nicht das Gleiche.«

Freddie musste darüber nur grinsen. »Ach Noel, du bleibst ein schräger Vogel.«

»Und was geschieht jetzt mit den vielen Büchern?«

»Willst du sie haben? Ich weiß sowieso nicht, was ich mit ihnen anstellen soll. Sie würden sonst eh in den Untergrund wandern.«

»Du meinst, ich kann sie alle haben?«

»Ich wiederhole mich ungern. Der nächste Mieter scharrt schon ungeduldig mit den Füßen.«

So sehr Noel um die Schließung trauerte, diesen Schatz wollte er sich nicht entgehen lassen. Wenn er schon in den Weiten des Alls bisher nur Schrottteile gefunden hatte, dann wenigstens in

Kyner kistenweise Bücher. Er hoffte nur, dass er sie alle irgendwo unterbringen konnte. »Oh ja, ich nehme sie gern.«

»Hervorragend, dann übernehme ich auch die Transportkosten, wenn du mir sagst, wohin ich sie bringen lassen soll.«

Noel kratzte sich nachdenklich die Stirn. »Ins Industrieviertel, in Trents Reparaturwerkstatt. Ich lade sie in meinen Raumjäger.«

Freddie gab ihm die Hand und klopfte anschließend auf seine Schulter. »Alles Gute dir, und tue mir den Gefallen und fliege nicht in den Sinistergürtel, wenn dir dein Leben etwas wert ist.«

»Ich komme schon klar. So gefährlich ist es nicht«, beruhigte ihn Noel.

»Diesen Satz habe ich oft gehört. Du kannst dir ja sicherlich denken, was mit ihnen passiert ist.«

3

RISH

In der Kernstadt Magnus Prime lebten circa eine Milliarde Menschen. Die Einwohnerzahl befand sich in einem ständigen Wandel, je nachdem, wie stark die Syndikate und Clans die Schlagzeilen beherrschten. Tendenziell sank die Einwohnerzahl. Die Gesellschaft von Magnus Prime litt unter den verschiedenen kriminellen Syndikaten, die hier mit den Muskeln spielten. Zwei von ihnen, die Redrivers im Nordwesten und die verfeindeten Deathskies im Südosten, kontrollierten ein Viertel der Stadt. In den Häuserschluchten und Gassen war ein bewaffneter Schlagabtausch zwischen ihnen gang und gäbe. Noch waren diese Auseinandersetzungen auf ihre territorialen Gebiete begrenzt, nichtsdestotrotz schreckten die Bürger von Magnus Prime oft aus dem Bett hoch, wenn die Straßenschlachten durch die tiefen Nächte hallten. Erbitterte Kämpfe, in denen man nicht ins Kreuzfeuer geraten sollte, wurden unerfahrenen Passanten oft zum Verhängnis. Im Zentrum konnten die Bürger noch relativ sorgenfrei ihrem Alltag nachgehen. Mit sämtlichen Polizeispezialeinheiten versuchte der Bürgermeister, diesen Teil der Stadt unter Kontrolle zu halten. Ihre Ausbildung war sehr kostspielig, aber ein effektives Mittel, um die verfeindeten Parteien in ihren Territorien in Schach zu halten.

Das Netz der Syndikate war für die Regierung undurchsichtig und weit verzweigt, da kleinere kriminelle Organisationen und Clans sowohl Bündnisse mit den großen Syndikaten als auch untereinander eingingen, um so gegenseitig voneinander profitieren zu können. Nur die großen zwei Syndikate behielten den Überblick.

Früher oder später würden höchstwahrscheinlich entweder die Redrivers oder die Deathskies ganz Magnus Prime beherrschen. Die Regierung wollte dies unter allen Umständen verhindern und verteidigte das Stadtzentrum mit Kontrollen und Straßensperren, sodass die beiden verfeindeten Lager einen großen Bogen um das Herz der Stadt machten, bis geklärt worden war, wer das Sagen hatte. Sobald eine der beiden Fraktionen die Oberhand gewann, würde das Zentrum von der siegreichen Gruppe schnell besetzt werden. Die Karten müssten neu gemischt werden, sobald bekannt wurde, dass Grey Bloodhound die Redrivers hinters Licht geführt hatte.

Rish und Victor stellten im Nordwesten der Stadt vor ihrem Hauptquartier den Speeder ab. Ihr Quartier war eine nahezu uneinnehmbare Festung. Bis an die Zähne bewaffnete Patrouillen und Flugdrohnen riegelten das Gebiet wie ein Hochsicherheitstrakt ab.

Die beiden Handlanger stiegen aus ihrem Fahrzeug und gingen an der hohen Mauer entlang, die das Gebäude hermetisch absicherte. Vor dem bewachten Haupteingang hatten sich auf der Straße mehrere kleine Gruppen der Redrivers samt deren verbündeten Clans platziert und plauderten ausgelassen, während sie um ihre Speeder standen. Bisher setzten die verfeindeten Deathskies offiziell noch keinen Fuß in das Quartier. Man munkelte, dass Spione und Maulwürfe die Anlage seit längerem ausgekundschaftet hatten.

Die Wachen winkten die beiden durch das massive Betontor, das sich in diesem Augenblick öffnete. Darüber bezogen auf einer Plattform weitere Wachen Stellung und beobachteten alles und jeden, der sich dieser Anlage näherte. Einer der Wachleute unten am Tor rauchte lässig seine Zigarette fertig, warf sie auf den Boden und drückte sie mit dem Schuh aus, während das Blastergewehr an der Hüfte auf und ab schaukelte.

Rish Morbor, Victor und Razil Radwar besaßen pikante Informationen. Rish war gespannt auf das kommende Gespräch mit Razil, aber zuerst musste er Victor loswerden, da dieser keinen blassen Schimmer hatte, dass ihr Auftraggeber Rish den Weg für einen besseren Platz innerhalb der Organisation ebnete. Vermutlich wollte Victor mit ihm noch ein Bier an der Bar zischen.

Der Redriver Tower offenbarte sich ihnen, während sich das Tor mit einem Grollen hinter ihnen schloss. Das säulenartige Gebäude erinnerte an einen Vulkan. Rote Lichtbahnen durchzogen das Gebilde bis zur Spitze. Ein wahres Symbol ihrer Macht spiegelte sich in diesem Turm wider. Rish fühlte sich beobachtet. Als er hinaufblickte, war ihm bereits klar, dass Razil wahrscheinlich vom Fenster hinabschaute, während sie den Hof überquerten.

»Hey, Rish, lass noch einen trinken. Ich muss meinen Frust hinunterspülen.«

»Nee du, heute nicht. Ich habe noch ein Treffen mit Misty«, erwiderte er. Als Vorwand musste wieder seine Exfreundin herhalten.

»Sag bloß, ihr redet wieder miteinander?«

»Frag einfach nicht, okay?«, sagte Rish schroff und begrüßte im Vorbeigehen die beiden Anzugträger, die den Eingang bewachten. Der Gedanke an Misty machte ihn immer noch wütend. Er konnte mit ihr nicht mehr reden nach alldem, was zwischen ihnen vorgefallen war, und ärgerte sich im Nachhinein, ihren Namen ausgesprochen zu haben. Zum Glück beließ es Victor dabei.

Beide betraten nun das edle, großzügige Foyer des Redriver Towers, welches einem sofort das Gefühl gab, angekommen zu sein. Hier herrschte rund um die Uhr eine feuchtfröhliche Stimmung, damit sich jeder gleich wohlfühlte. Die Funktionäre und Strippenzieher bemühten sich stets darum, dass die Mitglieder einen Ort hatten, an dem sie sich zum Nulltarif volllaufen lassen oder auf der separaten Tanzfläche die Hüften nach der Musik schwingen konnten. Das Rasseln der Casinochips an den vielen Glücksspieltischen hallte durch das Foyer. Zocker und Kartenspieler kamen genauso auf ihre Kosten. Ein Securityteam hatte ein Auge auf die Mitglieder, da Raufereien bei dieser testosterongeladenen Klientel keine Seltenheit waren. Offene Rechnungen wurden in einem Ringkampf Mann gegen Mann beglichen. Manchmal waren die Reibereien so explosiv, dass die Streithähne nicht einmal bis dorthin kamen und daraufhin gnadenlos rausgeschmissen wurden. Man verhängte ihnen lediglich drei Monate Hausverbot, danach war in den meisten Fällen wieder alles beim Alten, bis man schlussendlich erneut rausgeworfen wurde.

Die hübschen und zierlichen Kellnerinnen verdienten gut und bekamen oftmals ein hohes Trinkgeld. Sie waren teilweise ziemlich fiesen Sprüchen ausgesetzt, die meist sehr leise zugeschoben wurden, was Victor erzürnen ließ. Die angestellten Kellnerinnen wies man in den Einstellungsgesprächen deutlich darauf hin, dennoch konnten sie sich sicher fühlen, denn Handgreiflichkeiten wurden vom Securityteam schnell unterbunden. Der Verdienst war für den Großteil viel zu verlockend, um abzulehnen, geschweige denn zu kündigen. Im Gegensatz zu den Deathskies wurden die Frauen hier zumindest nicht in die Straßenkämpfe mit einbezogen, und das schätzte Rish.

»Dann werde ich mich mal an der Bar zuschütten und meinem Idol nachtrauern. Viel Glück mit Misty, wir sehen uns«, verabschiedete sich Victor und schlurfte niedergeschlagen zur Bar mit dem weißen auf Hochglanz polierten Tresen, der schon gut besucht war.

»Übertreib's nicht«, rief Rish ihm noch nach. Victor veranschaulichte mit einer abfälligen Armbewegung, dass er recht wenig von seinem Ratschlag hielt. Rish verdrehte nur die Augen und machte einen Bogen um die Bar. Dahinter befanden sich die Aufzüge zu den oberen Verwaltungsebenen, in denen auch Misty arbeitete, somit musste sich Victor auch nicht wundern, dass er in Wirklichkeit zu Razil wollte, statt sich mit seiner Freundin zu versöhnen. Rish berührte mit dem Zeigefinger das Bedienfeld des Aufzugs, das zeitgleich als Fingerabdrucksensor fungierte. Das Feld leuchtete auf und zeigte seine Mitgliedsnummer. Den Zugang hatte er erst vor kurzem erhalten.

Während er auf den Lift wartete, blickte er kurzzeitig auf die Lustbarkeit, die hinter ihm stattfand. Gedimmte Lichtverhältnisse, bunte Scheinwerfer und gediegene Musik sorgten für das nötige Feeling, um sich voll und ganz der Gesellschaft hinzugeben. »Einfach absurd, dass Raufbolden wie meinesgleichen solch ein gehobenes Ambiente zur Verfügung gestellt wird.« Er hatte seinen Blick auf die offene Bar gerichtet und entdeckte Vic, der das Glas ansetzte, während er vorgebeugt auf einem Hocker saß.

Ein Ping ertönte, der ihm signalisierte, in den Aufzug zu steigen. Er fuhr in die vorletzte Etage, in der Razil in seinem Büro thronte. Wenn dieser Mann etwas zu sagen hatte, dann sollte man so klug sein, ihm aufmerksam zuzuhören. So gewissenhaft wie Razil seine Angelegenheiten klärte, so verlangte er von seinen Handlangern, die gleiche Professionalität an den Tag zu legen. Rish verfügte über diese Eigenschaft und setzte die Aufträge exakt so um, wie Razil es für richtig erachtete. Das brachte ihm allmählich einen Status ein, der ihm mehr Einblick in die Strukturen der Organisation verschaffte. Er war allerdings bei weitem noch nicht da, wo er sein wollte.

Die Fahrstuhltür zischte auf. Erhabenheit erfüllte ihn, als er den Flur entlang stolzierte. Mit einem Mal verlor er das Gleichgewicht, als ihn jemand heftig in die Seite stieß und mit dem Arm an die Wand presste, sodass er kaum Luft bekam und ihm die Brille vom Gesicht rutschte. Es war Matthews.

»Du beschissene dreckige Reckratte, was fällt dir ein? Spazierst hier rein wie ein eingebildeter Fatzke und glaubst, wir liegen dir zu Füßen? So läuft das nicht. Ich weiß genau, was du vorhast! Weißt du, was du bist? Ein lausiger Bengel, der anderen in den Arsch kriecht. Sobald du etwas Törichtes anstellst, werde ich zur Stelle sein und deinem armseligen Leben ein Ende bereiten!« Der Kraftprotz Mathews, der ihm eben die Leviten gelesen hatte, ließ Rish los, sodass er zu husten begann. »Kannst von Glück reden, dass du hier momentan sicher vor mir bist.«

»Hey, was ist hier los?«, fragte ein Wachmann im Anzug, der die Auseinandersetzung anscheinend erst jetzt mitbekommen hatte.

Matthews legte seinen Arm um den immer noch hustenden Rish. »Mein Freund und ich haben uns nur ein klein wenig unterhalten und dann hat er sich verschluckt. Rish, sag ihm doch, dass es dir gut geht.«

Er hob seinen Daumen und hustete ein letztes Mal. »Alles... alles in Ordnung.«

Im Anschluss klopfte Matthews ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Ich warte an der Bar auf dich«, sagte er noch, bevor er in den Aufzug stieg.

Der Wachmann entfernte sich ebenfalls und Rish sammelte seine Sonnenbrille auf. »So ein Lackaffe«, dachte er. Victor war anscheinend doch nicht derjenige, der ihm aufgrund seiner Neugierde gefährlich werde konnte, sondern Typen wie Matthews. Typen, die seinen Werdegang auf Schritt und Tritt beobachteten und neidisch auf Rishs rasante Entwicklung in der Organisation waren. Von nun an musste er umso mehr Augen und Ohren offenhalten. Matthews Ansage kümmerte ihn recht wenig, solange er dem bulligen Kerl keinen Anlass dazu gab, ein potenzielles Ziel abzugeben.

Nachdem er seine Brille und den Rollkragenpullover zurechtgerückt hatte, begab er sich durch den Mittelgang weiter in Richtung Razils Büro. Rish bog, ohne Eile, am Ende an der Fensterfront rechts ab, vorbei an den eingerahmten Auszügen der besten Schlagzeilen, auf die die Redrivers mit Stolz zurückblickten. Sie alle waren mit kleinen Lichtinstallationen versehen. Oben an der Decke befanden sich im Abstand von zwei Metern Lampen, die wie Kristalle funkelten. Auf der Tür zu Razil Radwars Büro verdeutlichte eine geheimnisvolle Rune aus roter Farbe, dass es sich um ein wichtiges Mitglied der Redrivers handelte. Er betrachtete zu den Seiten des Eingangs die zwei großen Zierpflanzen mit den weinroten Blüten. Über der Tür war eine Überwachungskamera befestigt.

Vermutlich sah Razil bereits in freudiger Erwartung, wie sein Schützling sich der Tür näherte und sie öffnete, da er der Einzige war, dem er seine Pläne anvertrauen konnte. Der Späher trat ein, setzte die Brille ab und klemmte sie an den Kragen. Ein dunkelgrauer Teppichboden federte seine Schritte ab.