Widerstand auf Civitas - Alexander Lenz - E-Book

Widerstand auf Civitas E-Book

Alexander Lenz

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Beschreibung

Auf dem Planeten Civitas im Sonnensystem Isis herrschen unruhige Zeiten. Eine einst friedvolle Welt steht unter Kontrolle eines Regimes, hervorgerufen durch einen Putsch seitens des Militärs. Zerfall und Armut prägen nach und nach das Stadtbild der Hauptmetropole Lux. Die verwaiste und noch recht unerfahrene Mira Khan lebt mit ihrem kauzigen Mentor Interius zurückgezogen auf dem idyllischen Dschungelmond Virida Silva. Dort verarbeitet Mira den Verlust ihrer Eltern. Der im Exil lebende Interius unterweist Mira in der Kampfkunst Kaitagare. Zudem erscheinen Mira immer wieder Vorahnungen und Visionen und sie muss lernen, mit ihnen umzugehen. Ein einschneidendes Erlebnis zwingt die junge Frau, ihren Dschungelmond zu verlassen. Das Abenteuer nimmt seinen Lauf.

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»Always be yourself, express yourself, have faith in yourself, do not go out and look for a successfull personality and duplicate it.«

Bruce Lee

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

KAPITEL 1: Das im Wind raschelnde Dickicht

KAPITEL 2: Kräuterkunde

KAPITEL 3: Der Headcrusher

KAPITEL 4: Schnell wie der Wind

KAPITEL 5: Brandwund

KAPITEL 6: Kaleidoskop

KAPITEL 7: Sturmgewitter

KAPITEL 8: Parabolicalismus

KAPITEL 9: Reisefieber

KAPITEL 10: Der Geschmack von Blut

KAPITEL 11: Göttlichkeit

KAPITEL 12: Der Proband

KAPITEL 13: Katzenfutter

KAPITEL 14: Zielscheibe

KAPITEL 15: Das Aggressorium

KAPITEL 16: Talisman

KAPITEL 17: Bradley Street

KAPITEL 18: Verpflegungsstation

KAPITEL 19: Der weiße Adler

KAPITEL 20: Verarbeitung

KAPITEL 21: Der Felsblock

KAPITEL 22: Das geheime Treffen

KAPITEL 23: Das Mitbringsel

KAPITEL 24: Neues Crewmitglied

KAPITEL 25: Kuriositäten

KAPITEL 26: Alternativmethode

KAPITEL 27: Wolkenstaub

KAPITEL 28: Darmwind

KAPITEL 29: Zu den Waffen

KAPITEL 30: Friedensbringer

KAPITEL 31: Bohnenkaffee

KAPITEL 32: Geschichtsstunde

KAPITEL 33: Universität

KAPITEL 34: Säbelrasseln

KAPITEL 35: Knochendoktor

KAPITEL 36: Kriechende Weltraumschnecken

KAPITEL 37: Unterm Radar

KAPITEL 38: Komponente

KAPITEL 39: Der Abendball

KAPITEL 40: Kalter Schweiß

KAPITEL 41: Nur mit strenger Hand

KAPITEL 42: Fantasiegebilde

KAPITEL 43: Restfunken

KAPITEL 44: Das letzte Gefecht

KAPITEL 45: Rehabilitation

KAPITEL 46: Ein Impuls

KAPITEL 47: Judas

KAPITEL 48: Lichtermeer

KAPITEL 49: Das im Wind wieder raschelnde Dickicht

VORWORT

Hat nicht jeder schon mit dem Gedanken gespielt, ein Buch zu schreiben? Diese Idee schlummerte schon seit meiner Schulzeit in mir, doch ich hatte sie nie ausgesprochen und legte sie deshalb einige Jahre zurück in die Mottenkiste. Das Lesen und Schreiben konnten mir meine Deutschlehrer nie wirklich schmackhaft machen. Vielleicht lag es auch daran, dass mich die ganze Grammatik und die Rechtschreibung beziehungsweise die Umstellung auf die Neue einfach verschreckt haben. Ich war ein Lesemuffel und sah in Büchern keinen Sinn für mich. Nicht einmal Harry Potter hat es geschafft, mich zu bekehren. Mein erstes Buch las ich bewusst, als ich achtundzwanzig war. Danach kam dann alles ins Rollen. Im Oktober 2019 schrieb ich die ersten Zeilen zu meinem Debutroman »Widerstand auf Civitas«. Noch einige Zeilen zu mir, die vielleicht nicht unerwähnt bleiben sollen, obwohl ich meinerseits nicht viel von Personenkult halte. Ich bin Alexander Lenz und leide an einer unheilbaren Muskeldystrophie. Dank dem heutigen Stand der modernen Medizin bin ich schon zwölf Jahre über das Ablaufdatum hinaus. Aber darum geht es in diesem Buch nicht. Es geht mir um die Faszination einer spannenden, humorvollen und gut erzählten Geschichte. Meine Geschichten sind in den Genres Science Fiction und Fantasy angesiedelt. Die Romane, die mit diesem Logo versehen sind (siehe Kopfzeile), gehören in ein und dasselbe Universum. Beginnen wir mit Mira Khan.

KAPITEL 1

Das im Wind raschelnde Dickicht

»Schließe deine Augen und konzentriere dich!«, sagte Interius. »Konzentriere dich auf deine Umgebung. Das im Wind raschelnde Dickicht.« Mira Khan ließ sich in die Tiefen ihrer Trance treiben. Interius verlieh seinen hypnotischen Worten mehr Ausdruck, indem er langsamer sprach. Der Klang seiner Stimme fühlte sich für Mira an, als ob er direkt in ihrem Kopf sitzen würde. »Vergiss nicht, auf deine Atmung zu achten.« Gleichmäßig hob und senkte sich Ihr Brustkorb. Sie fing an, sukzessiv ihre Umgebung abzutasten. Das im Wind raschelnde Dickicht. Eine kaum wahrnehmbare Windböe streifte durch den dichten Dschungel. Pollen tänzelten durch die Baumkronen, bis sie sachte zu Boden glitten. »Stell dir den erdigen, waldfrischen Duft von Moos überwucherten Ästen vor.« Wie ein nebeliger Duftfilm legte sich der Geruch vom frischen Moos in ihre Atemwege. »Und spüre die Wärme der Sonne auf deiner Haut.« Die Sonne kitzelte auf ihrer Haut, die mit feinen empfindlichen Härchen bespickt war. »Höre den ausgewachsenen Sumpfkröten beim Quaken aufmerksam zu.« Vor ihrem geistigen Auge sah sie die dreißig Zentimeter riesige, schleimige Kröte glasklar vor sich. Ihre Herzfrequenz reduzierte sich stetig.

Sie bekam Angst. Miras erste Vision stand kurz bevor. Zu spät! Plötzlich wachte Mira aus ihrer Trance auf.

»Ich werde nie eine Vision erhalten!«, beklagte Mira.

»Du musst deinen inneren Dialog besänftigen«, erwiderte Interius. »Du besitzt die Gabe der Vorahnungen, ich habe es in meinen Visionen gesehen, sowie ich gesehen habe, dass sich unsere Wege kreuzen«, beruhigte er sie mit seiner Gelassenheit.

»Soll das etwa heißen, dass ich schon in deiner Vergangenheit als Vision erschienen bin?«, fragte Mira neugierig ihren Mentor.

»Ja, als ich im Exil war.«

»Davon hast du mir nie erzählt.«

»Ich hielt es am Anfang für das Beste, dich davon in Kenntnis zu setzen, wenn du wirklich dazu bereit bist. Und ich denke, heute ist der Tag gekommen.« Nach unzähligen Tagen intensiven Trainings hatte sie zum ersten Mal das Gefühl, dass die Früchte ihrer Disziplin zum Tragen kamen.

»Es hat wohl doch alles seinen Sinn«, dachte Mira. Mittlerweile setzte die Abenddämmerung ein. Nach dem langen Trainingstag war es an der Zeit, für Mira und Interius den Rückweg anzutreten. Auf schmalen Pfaden bahnten sie sich ihren Weg durch die Wildnis, wobei sie jederzeit darauf achten mussten, nicht über die freiliegenden Wurzeln zu stolpern, geschweige denn, sich den Kopf am Geäst zu stoßen.

»Du hast gewusst, dass ich diejenige in deinen Visionen war? Aber wie?«

»In meiner Meditation habe ich viele Bilder von dir empfangen. Mit der Zeit ahnte ich, dass es etwas zu bedeuten hatte. Nun weiß ich es.«

»Wie hast du mich ausfindig machen können?«

»Gar nicht, meine Visionen haben es mir einfach offenbart. Zu dem Zeitpunkt habe ich schon gewusst, dass es so eintreffen wird«, sagte Interius. Die Nacht war zum Greifen nahe. Die Hinterleiber der Zikaden stießen ein lautstarkes Zirpen aus. Mira und Interius mussten nun lauter sprechen, um die Kakofonie des Dschungels zu übertönen.

»Und was ist mit meinen Eltern, weißt du darüber etwas?«

»Ich habe nur dieses mit dem Schicksal hadernde kleine Mädchen gesehen. Was genau geschehen ist, habe ich erst im Nachhinein erfahren. Die Sache hat mich schwer mitgenommen«, sagte er leidvoll.

»Meine Mutter sehe ich manchmal direkt vor mir, aber ich kann mich kaum noch an sie und das was passiert ist erinnern. Irgendwie konnte ich meinen Bruder nie fragen.« Sie stieß einen Stein vom Wegesrand, als sie ihren Satz beendete.

»Auch Darjos hat seine Eltern verloren. Gib ihm noch etwas Zeit, er kommt bestimmt bald wieder. Dann kannst du ihn mit Sicherheit fragen.« Interius Worte wirkten auf Mira aufmunternd.

»Wolltest du mir nicht von deiner Zeit im Exil berichten?«

»Ja, das stimmt. Im Exil selbst habe ich circa sechs Jahre verbracht, ich wollte mit all dem nichts mehr zu tun haben. Die Gräueltaten, die auf Civitas geschehen sind, konnte ich einfach nicht mehr ertragen. Deshalb hatte ich mich zurückgezogen. Mir ist im Exil einiges klar geworden. Dieses System darf so in dieser Form nicht weiter fortgeführt werden. Die Unterdrückung ist die Folge des Machthungers, von dem das Militär betroffen ist. Selbst mein alter Freund Kaleb ist diesem Wahn verfallen«, erklärte er.

»Dient dieser Kaleb dem Militär?«, erwiderte Mira.

»Ja, Flottenadmiral Kaleb Bradley. Wir waren gemeinsam auf der Militärakademie Stützpfeiler stationiert, dort haben wir uns kennengelernt«, führte Interius nachdenklich fort. »Wir wollten uns für mehr Gerechtigkeit in dieser Welt einsetzen, doch nach einer gewissen Zeit hat jeder von uns Gerechtigkeit unterschiedlich interpretiert. Kaleb ist der Meinung: Nur mit Gewalt kann man Frieden in der Welt erreichen und das Böse zerschlagen. Ich für meinen Teil habe mehr und mehr erkannt, dass Krieg keine Gerechtigkeit hervorbringen kann. Diese unterschiedlichen Meinungen waren die Gründe, weshalb wir uns zerstritten haben. Während er seine Karriereleiter weiter verfolgte, bin ich auf die Barrikaden gegangen und habe mich geweigert, die Grundausbildung fortzusetzen. Daraufhin hat man mich in Isolationshaft gesteckt, damit ich wieder zur Vernunft komme. Sie haben mich gefoltert. Man hat mich bei lebendigem Leibe mumifiziert, um mich von der Außenwelt abzutrennen. Ich konnte nichts sehen, hören, riechen, schmecken, noch nicht einmal etwas spüren. Am Anfang war das Gefühl der Hilflosigkeit unerträglich. Das Zeitgefühl hatte ich irgendwann völlig verloren. Ich fing an zu halluzinieren. Es taten sich Bilder in meinem Kopf auf, die so schlimm waren, dass ich drohte wahnsinnig zu werden. Die Details erspare ich dir lieber.« Er blieb einen Moment stehen und holte tief Luft. »Irgendwie ist es mir gelungen, meine Gedanken zu fokussieren und diese grässlichen Sinnestäuschungen zu bekämpfen. Schlagartig wendete sich das Blatt und mir wurde warm ums Herz. Ich sah eine Welt ohne Kriege. Alle Probleme wurden diplomatisch und mit voller Nächstenliebe gelöst. Seitdem widme ich mich diesem Ziel.« Mittlerweile war es stockfinster, man konnte die eigene Hand vor Augen nicht mehr sehen.

»Das erklärt so einiges... Mir war nicht bewusst, welches Leid du ertragen musstest.« Mira hielt kurz inne, ehe sie fortsetzte. »Was hast du die sechs Jahre im Exil überhaupt getrieben?«

Interius musste kurz schmunzeln. »Diese späteren Bilder, die in meinem Verlies in mir nach oben trieben, waren unbeschreiblich schön. Das Gefühl, was in mir ausgelöst wurde, wollte ich unbedingt wieder erlangen. Die Folter entpuppte sich für mich als reine Offenbarung. Und die Zeit im Exil habe ich genutzt, um herauszufinden, ob ich aus diesen Bildern etwas lernen kann.« Nach etwa zwanzig Minuten Fußmarsch, erreichten sie endlich ihr Lager. Zwischen dem Schein der Fackeln stand einsam ihre Hütte.

»Aber wie hast du von deinen hellseherischen Fähigkeiten erfahren?«

»Das genügt fürs Erste, mehr davon ein anderes Mal. Lasse dir meine Worte durch deinen Kopf gehen«, erwiderte ihr Mentor.

»Und schon wieder werde ich heute Nacht kein Auge zu bekommen, mein ach so lieber geschätzter hochverehrter Meister Interius.«

KAPITEL 2

Kräuterkunde

Soviel an einem einzigen Tag hatte Interius nie über sich erzählt. So wie er sein einsames Leben im Exil verbarg, war er auch der Meister im Verbergen seiner erlebten Geschichten. Der Buschmond Virida Silva schien für Interius der beste Ort zu sein, der sich für ein abgeschiedenes Leben eignete. Der Himmelskörper war zu unbedeutend, als dass das Militär ihm große Beachtung geschenkt hätte. Sie waren zu sehr mit ihrem eigenen Krieg beschäftigt. Mira wohnte mit Interius gemeinsam auf diesem Mond, der hauptsächlich nur aus Dschungel bestand. Es herrschte tropisches Klima. Angesichts der hohen Luftfeuchtigkeit sowie der erhöhten, durchschnittlichen Temperatur von dreißig Grad Celsius war es für die meisten nicht gerade reizvoll, sich hier niederzulassen. Riesige Bäume waren mit gewaltigen Brettwurzeln ausgestattet. Viele außergewöhnliche fluoreszierende Aufsitzerpflanzen wuchsen zwischen den Bäumen, was für Mira eine magische Atmosphäre erzeugte. Die Flora und Fauna waren nahezu unberührt, dennoch lauerten überall Gefahren. Gefahren, die die komplette Aufmerksamkeit erforderten, um nicht von den wilden oder giftigen Tieren überrascht zu werden, da es hier an medizinischer Versorgung mangelte. Der dünn besiedelte Mond besaß keine Infrastruktur und war alles andere als ein sicherer Ort, wenn man sich hier nicht gut auskannte. In einigen Gegenden des Mondes gab es auch sehr trockene Bereiche, die unbewohnt waren. Am Firmament schillerte Tag und Nacht ein gewaltiger kupferrubinroter Nachbarplanet stets allgegenwärtig. Von ihm ging eine geheimnisvolle Faszination aus. Zudem rankten sich um ihn die wildesten Gerüchte. Einige Bewohner glaubten, dass dieser Gasriese böse Geister fernhielt, um das Gleichgewicht der Natur zu bewahren. Andere gaben ihm die Schuld für schlaflose Nächte und dass sie wegen ihm Schlafwandeln würden.

Die Holzhütte, in der Mira und Interius hausten, stand mitten im Dschungel. Sie bestand aus einem bestimmten Holz, welches besonders gut isoliert und bekannt dafür war, sehr robust und widerstandsfähig zu sein. Es war auch recht billig, weil es einen starken Eigengeruch hatte. Es roch leicht nach moosiger Verwesung. Der Gestank zog durch die komplette Hütte, aber keiner von den beiden ließ sich davon stören. Nach einer gewissen Eingewöhnungszeit nahm man diesen Gestank auch gar nicht mehr wahr. Das Mobiliar war vom ortsansässigen Tischler angefertigt worden. Die Ausstattung der Hütte war schlicht und wirkte etwas ramponiert. Zwei kleine Zimmer, ein Bad und ein großer Wohnbereich mit einer Küchenzeile, die mit Holz befeuert werden musste, da es nachts manchmal etwas frisch werden konnte und außerdem hielt das Feuer die wilden Tiere auf Abstand.

Mira saß auf ihrem Bett und schnitzte mit einem Messer an ihrem neusten Werk, während sich die Holzspäne großzügig auf ihre Bettdecke verteilten.

»Wo habe ich nur... Mira? Hast du mein Amulett gesehen?«, hallte Interius Stimme durch die Hütte. Er war manchmal etwas vergesslich, was vielleicht an seinem fortgeschrittenen Alter liegen konnte. Doch sein Scharfsinn blieb stets gewetzt.

»Nein, habe ich nicht!«, sagte Mira und kicherte leise vor sich hin. Sie erlaubte sich mit seiner Vergesslichkeit manchmal einen riesigen Spaß.

»Vielleicht ist es hier«, brummte Interius. Der vermutlich sein Zimmer schon halb auf den Kopf stellte. Mira hörte, wie er das Schubfach seiner ranzigen Kommode öffnete, denn das typisch quietschende Geräusch kannte sie nur allzu gut. »Mhh... hier auch nicht«, sagte er und Mira konnte schon förmlich die Zahnräder, die in seinem Kopf klackten, hören.

Mira stand von ihrem Bett auf und klopfte sich die übrig gebliebenen Holzsplitter von ihrer Kleidung. Um sich selber ein Bild zu machen, wie Interius verzweifelt versuchte, das Amulett zu finden, machte sie sich auf dem Weg in sein Zimmer. Sie stand vor Interius Zimmer und lehnte mit dem Rücken an seinem Türrahmen. »Warum legst du das Ding überhaupt ab?«

»Das Amulett behindert mich ständig bei meiner Meditation«, erwiderte Interius, während er durch das Zimmer wuselte.

»Es kann ja auch vielleicht auf dem Tisch vor dem Bücherregal liegen«, sagte Mira.

»Da kannst du recht haben.« Interius begab sich zum Wohnbereich und Mira wich in dem Moment zurück, als er an ihr vorbeiging.

Mira kostete ihre Gelegenheit aus, schlich sich in sein Zimmer und platzierte das Amulett in der Kommode, in der ihr Mentor soeben noch vergebens gesucht hatte.

»Hast du schon in deiner Kommode geschaut?«, rief sie und anschließend begab sie sich ebenfalls zum Wohnbereich.

»Ja, da ist es auch nicht«, widersprach Interius.

Mittlerweile stand Mira hinter ihm, als er sich über den Tisch gebeugt hatte. »Doch, ich wette, dein Amulett befindet sich da drin!«

»Ich zeig´s dir.« Er lief zurück zu seinem Zimmer und Mira folgte ihm unauffällig, dann öffnete er erneut die Kommode. Tatsächlich, das Fach war leer! »Siehst du, kein Amulett.«

»Wie zum Henker hast du das bewerkstelligt?« Ist ihr irgendetwas entgangen? Sie war sich sicher, dass sie das Amulett dort platziert hatte.

»Du musst noch viel lernen, Mira.«

»Und wo ist jetzt das Amulett?«

Ihr Mentor nahm das Amulett aus seiner Hosentasche und warf es Mira zu. »Was hältst du davon, wenn wir in den Wald gehen, um ein paar Kräuter und Pilze zu sammeln?«

Mira hielt es für eine gute Idee und ihre Laune besserte sich etwas. Die beiden schnappten sich aus ihrer Hütte das Nötigste und machten sich auf den Weg.

Es gab eine Vielzahl an Kräutern und Pilzen auf diesem grünen Fleckchen Mond. Interius verbrachte hier einige Jahre, bevor sich ihre Wege kreuzten, demnach kannte er die wichtigsten Pflanzenarten und deren Wirkungen. Da es in der Nacht zuvor geregnet hatte, roch die Luft feucht und leicht modrig. Dicke Wasserperlen auf den Pflanzen erzeugten im schimmernden Sonnenlicht ein glitzerndes Naturschauspiel, als sie durch den stark bewachsenen Urwald stapften. Vereinzelte Sonnenlichtstrahlen funkelten einzelne sensible Pflanzenarten an, die besonders viel Licht benötigten. Interius ging voran und achtete darauf, wohin er trat. Anschließend machte er halt und zeigte auf eine bestimmte Blüte. »Die Pflanze mit den trichterförmigen violetten Blüten ist die Parabolica. Sie hilft dir bei Erkältungen, deinen Husten zu lösen und zusätzlich macht sie dich schläfrig und deine quirlige Art wird besänftigt«, sagte Interius.

»Hey, was soll das heißen?« Er lächelte nur. Sie liefen ein paar Schritte weiter und ihr Mentor pflückte unterwegs ein paar Zweige. »Oh Interius, schau mal da! Eine »Ulkiga«, sie hilft bei akuter Kauzigkeit«, gab Mira frech zurück. Interius schlug sie mit den Zweigen leicht auf den Hinterkopf. »AUTSCH!«

»Du solltest besser aufpassen! Diese Pflanzen können auch Leben retten. Hier zum Beispiel die Antiseptica. Wie der Name schon verrät, wirkt sie antiseptisch. Mit ihr kannst du deine Wunden und Verletzungen versorgen. Sie wächst meist zwischen dem Moos. An den kleinen Noppen am Stängel erkennst du sie. Die heilende Tinktur gewinnt man aus den Blättern«, erklärte Interius. Er schnitt mit seinem Sichelmesser vorsichtig an der Sprossachse die oberen Blätter ab und verstaute sie in seiner Kräutertasche.

Mira verlor beinah ihr Gleichgewicht. Sie musste nachtreten, um nicht über den riesigen Pilz zu fallen, der sich vor ihren Füßen erstreckte. »Boar, der Pilz ist ja potthässlich.«

»Ja, es gibt sicher schönere. Aber nichtsdestotrotz ist er sehr nahrhaft. Man nennt ihn Clipeum. Sein fleischiger Schirm wird uns heute Abend satt machen können.« Interius sammelte ihn mit seiner Sichel ein. Zwischendurch hörte man immer wieder Vogellaute durch das riesige Blattwerk trillern. »Solange du die Vögel zwitschern hörst, wird kein größeres Raubtier in der Nähe sein«, sagte er.

Mira erhielt in dem Moment, wo er den Satz beendete, plötzlich eine Vorahnung. Sie sah eine Schlange aus dem Ast zu ihrer Rechten hervorschnellen und wie sie mit ihren Giftzähnen Interius direkt in den Arm biss. »Vorsicht! Schlange!«, rief sie ihm zu. Mira schnappte sich den am Boden liegenden Ast und hechtete los. Sie schlug das Reptil, welches ahnungslos auf dem Zweig saß, in die Flucht. Ihr Mentor war ziemlich verblüfft, warum sie der harmlosen Schlange eins übergebraten hatte. Mira grinste bis über beide Ohren. »Habe ich das nicht gut gemacht?«

»Ich bin wirklich enttäuscht von dir Fräulein, einfach so die Schlange zu vermöbeln.«

»Was habe ich denn falsch gemacht?« Mira verstand nicht, weshalb Interius sie tadelte. »Ich habe soeben dein Leben gerettet!«

»Wie kommst du denn darauf?« Interius kratzte sich verwundert am Kopf.

»Ich habe gesehen, wie du gebissen wurdest.«

»Mhh... durchaus interessant. Eine Vorahnung, die aber möglicherweise nicht ausgelöst wurde.« Interius dachte kurz darüber nach. »Wenn du das kontrollieren könntest, wäre das vielleicht von großem Nutzen. Ich weiß zwar noch nicht wie, dennoch hat diese Fähigkeit großes Potential, Gutes zu bewirken«, sagte er. Mira erhielt regelmäßig Vorahnungen, das war sie bereits gewohnt, nur konnte sie diese nicht kontrollieren und sie traten willkürlich auf.

»Aber wieso kannst du das nicht auch?«

»Das wird wohl erst mal ein verborgenes Geheimnis bleiben. Ich habe genauso viele Fragen wie du.« Interius hatte immer noch keine wirkliche Erklärung gefunden für seine Gabe, Dinge vorauszusehen.

»Es wäre wirklich interessant herauszufinden, ob das auch andere können. Darjos zum Beispiel?«, fragte Mira ihren Mentor.

»Da bin ich mir nicht so sicher, dein Bruder kam in meinen Visionen nie vor.«

»Sind wir die Einzigen, die das können?«

»Meine mögliche Vermutung wäre eventuell eine echte Gabe, die nur wir beide besitzen, oder vielleicht könnte auch eine Genmutation die Ursache sein. Ich muss Nachforschungen anstellen.« Er bemerkte Miras traurig dreinblickenden Gesichtsausdruck. »Was schaust du so?«

Sie ließ ihre Schultern hängen. »Ach nichts. Ich musste nur wieder mal an meinen Bruder denken.«. Sie vermisste ihn schrecklich, sodass sie sich manchmal selbst Vorwürfe für seinen Fortgang machte.

»Denke lieber an die Zukunft als an die Vergangenheit, die du ohnehin nicht ändern kannst.«

Obwohl Interius ihr regelmäßig den Rat gab, den Blick nach vorn, anstatt nach hinten zu richten, riss der Gedanke an Darjos nie ab.

Als Mira und Interius in der Hütte wieder ankamen, brach bereits die Nacht an. »Jetzt bin ich aber ziemlich erledigt!«, sagte sie erschöpft.

»Dann werde ich uns schon mal einen leckeren Tee aufbrühen.« Interius bereitete die Kräuter, die sie im Dickicht des Dschungels gesammelt hatten, zu. Er wusch sie gründlich und schnitt sie für den Tee zurecht, während das Wasser im Kessel bereits kochte. Mira lief auf die Veranda und setzte sich ausgelaugt auf die Bank, wo sie den Ausflug nochmals Revue passieren ließ. Währenddessen spürte sie aufgrund des langen Fußmarschs ihre brennenden Oberschenkel und die Müdigkeit, die sie dadurch geerntet hatte. Es war ihr ein Rätsel, dass Interius, im Gegensatz zu ihr, nur selten Anzeichen von Erschöpfung aufzeigte. Ihr Mentor gesellte sich mit dem fertigen Tee zu ihr. »Wie gewünscht, ein Parabolica-Tee für dich«, sagte Interius.

»Und was trinkst du da?«, fragte Mira, als sie ihm die qualmende Tasse abnahm.

»Ein Spezialtee alla Interius, der perfekt zu meiner Stimmung passt.« Er nahm einen Schluck, daraufhin weiteten sich seine Pupillen.

Es vergingen circa fünfzehn Minuten. »Der Sternenhimmel ist heute wieder wunderschön«, sagte Mira und verspürte eine leichte Melancholie.

Interius rutschte etwas von der Bank, während er ebenfalls nach oben zu den Sternen schaute. Er kreiste seine Arme in einer wellenförmigen Bewegung. »Die Schwerelosigkeit in meiner Freiheit ist die absolute Reinheit«, philosophierte Interius.

»Du solltest nicht zu viel von diesem Spezialtee trinken, mein lieber Interius«, erwiderte sie. Sie stand von der Bank auf und trank ihren Tee aus. »Ich lasse dich mal mit deinem Trip alleine. Morgen kannst du mir gerne berichten, welche Erkenntnisse du gewonnen hast. Gute Nacht.«

KAPITEL 3

Der Headcrusher

Auf dem drögen Stern Proelium, befand sich die geheime Basis des Militärs. Das Hauptgebäude, auch Hexagon genannt, wurde gut bewacht. Dreiachsige Fahrzeuge fuhren durch das Gelände, Uniformierte lotsten die Fahrer zu ihren Stellplätzen. Schnellen Schrittes patrouillierten Soldaten zwischen den Aussichtstürmen, die an jeder Ecke stationiert waren. Das Hexagon war umgeben von einem vergitterten hohen Zelt, welches ein Tarnfeld erzeugen konnte und nur auf größere Distanz die Anlage Sichtschutz bot. Ausschließlich das Militär selbst kannte diesen geheimen Ort.

Admiral Kaleb Bradley stand im Besprechungsraum und er wurde von der Decke von einem grellen Lichtpunkt beschien, der außerdem einen großen glatt polierten Tisch ausleuchtete. Das Bild was darauf projiziert wurde, konnte man interaktiv mit Gesten und Berührungen steuern. Der Admiral war umgeben von Generälen, seinem persönlichen Adjutanten und zu guter Letzt dem Commander, der verschwitzt zur Besprechung geeilt kam.

»Commander Green! Sie sind zu spät! Wenn Sie nicht aufpassen, wird Sie ihre Torheit eines Tages noch den Kopf kosten«, ermahnte Admiral Kaleb Bradley. Wenn er eins nicht leiden konnte, war es Unpünktlichkeit. Besonders dann, wenn eine Besprechung stattfand und er sich gegebenenfalls wiederholen musste, was Kaleb jetzt auch tat. »Hier sollten wir darauf achten, dass uns der Feind keinen Hinterhalt stellen kann, deshalb werden wir hier und hier Bodentruppen ausschwärmen lassen«, veranschaulichte er auf der Oberfläche des Tisches. »Die Siedlung sollte uns aber kein größeres Problem darstellen.«

»Aber Sir, bei allem Respekt. Sie müssen auch bedenken, dass die Dissidenten viele Sprengkörper verstecken«, antwortete Commander Green mit zittriger Stimme.

General Harris mischte sich mit ein. »Außerdem erschwert die hügelige Landschaft es uns, den Überblick zu bewahren.«

»Wenn wir jetzt nicht zuschlagen, wird die Gruppe von Dissidenten weitere Attentate planen. Ich leite diese Operation und lasse mich nicht von diesen Belanglosigkeiten beeinflussen«, erwiderte der Admiral mit strenger Miene. Sein Adjutant lehnte sich zu ihm herüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Für alle anderen im Raum war es nicht verständlich. Kalebs Adjutanten blieben nie länger als ein Jahr. Durch seine exzentrische Art wurde seine Wahl anspruchsvoller, es wurde von Mal zu Mal immer schwieriger, den geeigneten Kandidaten zu finden. Sie waren zuständig für Sicherheitsfragen jeglicher Art, mussten ausführlich über alles Buch führen, Termine organisieren, Auszeichnungen verleihen und Offiziere befördern. Sein Sekretär brach jedes Mal ins Schwitzen aus, wenn er eine Nachricht von Bradley erhielt und sich darin beschwerte, wie dilettantisch sie sich ihm gegenüber verhielten. Zum einen war die Ausbildung sehr kostspielig und zum anderen dauerte es fast zwei Jahre, bis seine Adjutanten in allen Militärstrukturen unterwiesen wurden. Der Admiral demonstrierte seine Vorgehensweise auf dem Touchscreen des Tisches und fuhr fort. »Der Feind kennt das Terrain wie seine eigene Westentasche.«

General Scott meldete sich zu Wort »Sir, es werden bestimmt...«

»Mir ist auch bewusst, dass sich dort der Miliz viele Verstecke bieten könnten«, unterbrach ihn jäh der Admiral. Admiral Kaleb Bradley war ein hervorragender Stratege. Im Militär genoss er viel Anerkennung, da seine Missionen immer von Erfolg gekrönt waren. Es war eine recht simple Operation. »Wir agieren in der Finsternis, der Überraschungsmoment wäre dann auf unserer Seite. Heute Nacht muss die Siedlung unter allen Umständen eingenommen werden. Commander Green, Sie beziehen mit ihren Streitkräften vor diesem Hügel Stellung.« Für kurze Zeit erfüllte Stille den Raum, bevor sie vom Admiral durchbrochen wurde. »Meine Herren, ich empfehle mich!«

Kaleb machte sich auf den Weg zu seinem Arbeitszimmer. Sein Schrittmuster strotzte vor Autorität. Er trug glänzende Lederstiefel, graue Hosen aus feinstem Stoff und dazu eine pechschwarze Uniformsjacke mit Schulterstücken, die mit mehreren bunten, dreieckigen Auszeichnungen bestickt waren. Seine Umrisse reflektierten auf den spiegelglatten hellen Fliesen den Gang entlang. Das Geräusch seiner schweren Stiefel, die durch den langen Flur hallten, kündigte ihn bereits an und die wachhabenden Soldaten salutierten, als er an ihnen vorbeikam.

Sein Arbeitsplatz befand sich im Südflügel des Hexagons. In seinem Arbeitszimmer grübelte er über die strategischen Vorgehensweisen der Operation nach. Es war sein Lieblingsrückzugsort, wo er in Ruhe nachdenken konnte. Sein Zimmer war sehr prunkvoll eingerichtet. Ein großes Ölgemälde hing an der Rückwand, darunter ein Schild aus purem Gold mit der Aufschrift: Admiral Kaleb Bradley. Ein handgewebter großer roter Teppich, der in seiner Mitte das Hexagon abbildete, füllte den Raum aus. Kriegsgegenstände in den Vitrinen und einige Skulpturen von mächtigen Generälen vom Künstler seines Vertrauens schmückten sein Zimmer aus. Der Admiral ließ seinen Blick durch das Arbeitszimmer schweifen. Er musste kurz an seinen alten Freund Interius denken. »Wäre dieser Einfaltspinsel doch nur bei Verstand geblieben! Die lächerlich veraltete Folter hat ihn komplett wirr im Kopf gemacht. Er meint, dass eine Welt ohne Kriege möglich wäre. Er könnte Visionen erhalten. Und was wäre, wenn es doch der Wahrheit entspricht? Es gibt nur eine Möglichkeit das herauszufinden.«

Auf Civitas kam es vor circa vierzig Jahren zum Militärputsch, um die alte demokratische Regierung zu stürzen. Die Führungsriege des Militärs, Admiräle und wenige Generäle, darunter auch der Vater von Kaleb, Admiral Benedikt Bradley, waren die Initiatoren des Putsches. Mittlerweile lenkte und dirigierte das Militär die gesamte Staatsgewalt. Sie rekrutierten wie wild und gaben Unmengen an Ressourcen für ihre Kriegsmaschinerie aus, um die Macht zu sichern. Die rund dreißigtausend Soldaten sorgten für Recht und Ordnung auf den Straßen. Der Militärstaat entwickelte sich langsam zu einem Regime der Unterdrückung. Einige Bürger waren unzufrieden mit diesen radikalen Maßnahmen des Militärs. Eine Splittergruppe gründete sich, die Aggressoren. Die Gruppierung wollte durch unzählige Attentate und mit aller Gewalt die alte Regierung zurück, damit der langanhaltende Krieg und die Unterdrückung endlich in dieser trostlosen Epoche aufhörten. Sie rebellierten gegen das System mit Terroranschlägen. Offiziere verloren ihr Leben. Revolution war an der Tagesordnung. Das Militär war jahrelang, größtenteils damit beschäftigt, die Dissidenten zu zerschlagen. Die Aggressoren waren auf dem Vormarsch.

Im Zentrum von Civitas gab es die Hauptmetropole Lux. Die einzige Neutrale Zone, während die blutigen Aufstände außerhalb der Stadtmauern tobten. Die meisten suchten deshalb dort Zuflucht, was dazu führte, dass Lux aus allen Nähten platzte. Die Aggressoren hatten es nicht auf die Zivilisten von Lux abgesehen, da die dichtgedrängte Stadt notwendig war, um besser untertauchen zu können und so auch ungestört ihre geheimen Treffen abzuhalten. Die Infrastruktur kam schon vor einigen Jahren komplett zum Erliegen. Für Schwebefahrzeuge gab es kein Durchkommen mehr, jedoch sah man hin und wieder ein einzelnes Fahrzeug im Stop and Go an den Massen vorbeifahren. Tagsüber wirkte Lux trist, das mochte an den grauen, leicht verkommenden Gemäuern der Häuser liegen. Für Sanierungen wurde kein Civito ausgegeben, das Zahlungsmittel Civitas. Die Bürger mussten selbst für die Instandsetzungen aufkommen. Obdachlose, die ihren Rausch ausschliefen, Marktverkäufer, die tüchtig ihre Stände aufbauten und spielende Kinder säumten die Gehwege und Straßen. Im Gegensatz zum langweiligen Tagesgeschehen war das Nachtleben sehr intensiv. Dann schmückten größtenteils unzählige kleine Lämpchen und bunte leuchtende Reklametafeln an den Hochhäusern die Stadt aus. Die größeren Plätze waren lebhaft gefüllt. Märkte, kleine Buden, Läden, Restaurants, Manufakturen, und Lichtspielhäuser zierten die neonbestrahlten Straßen. Der einzige Ort auf ganz Civitas, wo man nicht damit rechnen musste, sich jederzeit eine Kugel einzufangen. Ein wildes Durcheinander von Gesprächsfetzen erzeugte ein vielstimmiges Orchester an nicht verwertbaren Informationen. Das Grummeln der Pechvögel drängte aus den Casinos, Interessenten feilschten lauthals mit den Händlern, Halbstarke pöbelten die Soldaten an, woraufhin sie abgeführt wurden. Es gab strenge Waffenkontrollen gegenüber den Bürgern. Die Offiziere und Soldaten waren die Einzigen, die uneingeschränkt Waffen mit sich führen durften. Regelmäßige Inspizierungen der Warengüter waren Alltag.

Eine rothaarige uniformierte junge Frau bewegte sich durch die Menge. »Habt ihr Sichtkontakt?«, hörte man eine männliche Stimme über ein Funkgerät fragen.

»Bestätige, Zielperson in Sichtweite, ich wiederhole, Zielperson in Sichtweite«, sagte eine zweite Stimme.

»Verstanden, over.« Mittlerweile verfolgte Darjos sie auf Schritt und Tritt. Darjos war ein vom Militär gut bezahlter Söldner. Das Ziel, welches seine Söldnertruppe verfolgte, war Stella, ein wichtiges Mitglied der Aggressoren. Darjos Komplizen Balin und Mace hatten sie bereits im Auge. Ihre Informationen waren einfach zu wertvoll, deshalb durfte sie der Söldnertruppe keinesfalls entkommen. Sie wurde erst vor kurzem als Spionin entlarvt. Keiner hatte zuvor auch nur im Geringsten geahnt, dass der Feind bereits verdeckt unter seinesgleichen operierte. Stella hatte sich in wenigen Jahren bis zu einer etablierten Führungsriege hochgearbeitet, doch Unstimmigkeiten ihrer Hintergrundgeschichte hatten sie schlussendlich enttarnt. Jetzt kam Darjos Khan ins Spiel, er sollte dem Admiral ihren Kopf bringen, um ein Exempel zu statuieren. Sie war keinesfalls leichtsinnig, im Gegenteil, Stella war sehr gewieft.

Sie fühlte sich anscheinend mit der Zeit verfolgt, da sie ungewöhnliche Blicke erntete, und erhöhte deshalb ihren Laufschritt.

»Leute ihr wurdet entdeckt. Ab jetzt übernehme ich«, sagte Darjos über Funk. Sein Ziel war noch zwischen den Massen in Sichtweite. Darjos veränderte immer wieder seinen Weg durch die gefüllten Straßen, er nahm genauso viele Abkürzungen wie Umwege, um nicht aufzufallen.

Der Kampfanzug, den er trug, war die modernste und neuste Entwicklung des Militärs. Er basierte auf Nanotechnologie, leicht, effizient und nahezu kugelsicher. Er schmiegte sich an seinen Körper wie eine zweite Haut. Die gepanzerten Platten waren ringsum auf dem Anzug verteilt. Der Rest des Kampfanzugs wies muskelähnliche Strukturen auf. Die Handschuhe, die bis zum Ellenbogen reichten, waren mit Lamellen ausgestattet, um die Beweglichkeit der verstärkten Panzerung zu gewährleisten. Der Helm bestand aus einem großen V-förmigen Visier, das sich automatisch öffnen oder schließen ließ. Der Kampfanzug verlieh ihm den gebürtigen Respekt. Ansonsten fiel er nicht weiter zwischen den Soldaten auf. Ein Funkgerät war ebenfalls im Helm mit eingebaut. Auf dem Rücken trug er eine Teleskop-Elektrolanze. Die eineinhalb Meter lange Waffe wurde beidhändig gehalten. Am Ende des verlängerten Griffs war ein vergitterter Kolben, der mit einer Spule versehen war, die Strom erzeugte. Verschiedene Stromstärken von betäubend bis tödlich konnte man damit voreinstellen. Nur eine handvoll erlesener Krieger waren mit diesem Anzug ausgestattet.

Stella schlängelte sich durch die Massen in Richtung des großen Platzes. Man verlor in den überfüllten Straßen schnell den Überblick, da es auch ziemlich laut zuging. Kurzzeitig löste sich ihre Spur in dem Trubel auf.

Dennoch konnte Darjos sich denken, welchen Fluchtweg sie suchen würde. Die Seitengassen waren ideal, um flink unterzutauchen. Somit bahnte er sich ebenfalls den Weg durch die Gassen und bog in die nächste Seitenstraße ein. In einer schmalen Gasse, wo die Beleuchtung sehr schwach war, nahm er etwas Anlauf und überwand eine kleine Mauer, indem er sich mit den Füßen von der einen Wand zur anderen abstieß. Gekonnt dämpfte er seinen Fall mit einer Vorwärtsrolle ab. Darjos erspähte in der nächsten Querstraße seine Beute, rannte parallel zu ihr, zückte aus seinem Fach am Rücken die Elektrolanze, die er mit einem Ruck teleskopartig ausfuhr, sprang mit einem großen Satz über ein Vordach und landete auf der anderen Seite direkt vor ihren Füßen. Stella stoppte rutschend auf ihn zu. »Bis hierher und nicht weiter! Deine Tarnung ist aufgeflogen, ich bin hier, um dich zu stoppen«, sagte Darjos.

»Mich beeindruckt deine alberne Rüstung nicht«, erwiderte Stella. Sie holte aus ihrer Gürteltasche eine Art Säbel mit elektromagnetischer Ladung heraus. Die Luft knisterte vor Elektrizität, aus ihren Waffen sprühten vereinzelte blaue Ladungen nach oben. Ihre Augen trafen sich, zusätzlich schauten sich grimmig an.

Darjos hielt seine Elektrolanze mit beiden Händen fest im Griff. Er führte diagonal von unten nach oben seinen ersten Schlag aus, seine Kontrahentin parierte ihn einhändig mit ihrem Säbel.

In diesem Augenblick nahm Stella mit der linken Hand blitzschnell ihren Fire-Revolver aus dem Halfter und schoss eine Salve auf ihn ab. Seine Brustplatte fing Funken und gleich danach stieg Rauch auf.

Die Kraft ihrer Waffe reichte aus, um Darjos zwei Meter nach hinten taumeln zu lassen. Er war kurzzeitig benommen, bis er mit seiner Hasstirade fortfahren konnte. »Dein Mut ist bemerkenswert, doch deine Leichtsinnigkeit wird dich noch teuer zu stehen kommen. Ich höre schon deinen Kopf rollen, Abschaum!« Er verlagerte sein Gewicht nach vorn, stürmte los, und bevor seine Gegnerin reagieren konnte, glitt Darjos auch schon durch ihre Defensive. Er holte mit seiner Waffe aus und versetzte ihr mit einem Schwinger brachialster Wucht den finalen Treffer in ihre Kniekehle. Stella schrie auf! Die dünne Haut ihrer Kniekehle hielt der Härte des Schlages nicht stand. Das Außen- und Innenband riss komplett durch. Sogar die Kniescheibe brach. Der zusätzliche Stromschlag gab ihr den Rest. Sie verlor das Bewusstsein. Nun lag sie mit allen Vieren von sich gestreckt vor ihm auf den Boden. »Es wird Zeit, meine Jagdtrophäe einzusacken«, sagte Darjos höhnisch.

Die Aggressoren waren für Darjos das größte Übel, sie waren mitverantwortlich an dem tragischen Tod seiner Eltern. Er schwor, sich an ihnen zu rächen, für den Rest seines Lebens, bis der letzte Dissident durch seine eigene Klinge gestorben war. Er legte großen Wert auf Sorgfalt und Präzision in seinen Ausführungen. Zudem war Darjos Klassenbester in seiner Grundausbildung sowie in der Spezialeinheit Sturmfront. Nur die Besten und Tüchtigsten wurden für diese spezielle Ausbildung auserwählt. Später löste er sich von der Sturmfront, um als Söldner tätig zu sein. Darjos nahm keine Befehle mehr entgegen, jetzt erteilte er sie.

An seinem Stiefel vorne am Schienbein war der Headchop befestigt. Ein schwarzer handbreiter, mit Gummi ummantelter Griff in der Größe eines Stifts, der von Darjos selbst angefertigt wurde, diente einzig und allein dazu, fein säuberlich und ohne Blut zu vergießen, die Köpfe seiner Opfer abzutrennen. Mit einem Klicken zog er ihn aus der Halterung und setzte die Laseröffnung des Headchop an Stellas Hals an. Er fuhr langsam, dampfend und rot leuchtend von der einen Seite zur anderen. Dann griff er nach den roten Haaren, zog ihren Kopf vom Hals und spazierte damit in Richtung des großen Platzes. Man sah ihn in seinem Kampfanzug und dem geschlossenen Visier aus der dunklen Gasse treten. Stellas Kopf baumelte in seiner rechten Hand. Die Bewohner von Lux drehten sich schockierend zur Gasse um. »Ich bin der Headcrusher, der Vollstrecker der Dissidenten. Jeder, der dem Militär in die Quere kommt, verliert seinen Kopf!«, brüllte Darjos durch die Massen. Mit dem eingebauten Stimmenverzerrer in seinem Helm klang seine Stimme noch dunkler und bedrohlicher als sonst. Es gab gemischte Reaktionen der Passanten, eine Frau schrie auf, andere wiederum wollten diese Gräueltat am liebsten ignorieren. Nach diesem kurzen Aufruhr steckte er seine Trophäe in den Stoffsack. »Der Job ist erledigt, Zeit zu verschwinden. Wir treffen uns in der Shadow«, sagte Darjos über Funk.

Die Shadow war ein gut ausgestatteter Raumjäger, die der Söldnertruppe schon oft gute Dienste geleistet hatte. Sie verfügte über zwei Protonengeschütze und eine schwarze Lackierung. Zudem bot sie Platz für vier Personen. Darjos machte sich auf den Weg zur Shadow, sie stand im Hangar von Lux.

Mit dem Haupt der Deserteurin unter dem Arm, lief er strammen Schrittes durch das Meer der entrüsteten Menschen und das verborgene Grinsen des Söldners wurde nur noch breiter. Mit dieser Trophäe bewies er einmal mehr seine Skrupellosigkeit gegen die Verantwortlichen seiner Eltern und dem Chaos, dass sie tagtäglich verrichteten. Nur mit rigoroser Vollstreckung dieser Terroristen konnte man Herr der Lage werden und der Admiral sah es nicht anders, demnach würde er gut entlohnt werden.

Ohne Probleme verschaffte er sich Zutritt zum streng bewachten Hangar. Die Soldaten winkten ihn an den vielen Kontrollen vorbei, als sie seinen Stoffbeutel sahen. Die Rampe, die sich am Heck befand, klappte schwerfällig auf. Darjos betrat den Einstieg. Die Nanostiefel klimperten über die Metallrampe. Im Gepäck die erbeutete Trophäe. Er lief wortlos an seiner Truppe vorbei und knallte mit einem Rums den Stoffsack mit Stellas Kopf auf den kleinen runden Tisch. Der Stoffsack wackelte etwas, bis er zum Stillstand kam.

»Das wird uns ein schönes Sümmchen einbringen«, sagte Balin.

»Ihr rühmt euch nicht gerade mit guter Leistung. Ihr habt euch entdecken lassen. Ihr könnt froh sein, wenn ich euch einen kleinen Rest von der Summe abgebe. Versager!«, erwiderte Darjos.

»Soll ich den Startvorgang einleiten?«, fragte Sohra, die Pilotin.

»Ja, nimm Kurs auf Proelium.«

Sohra schwang sich leichtfüßig zum Cockpit. Sie drückte den Knopf für die Rampe und betätigte danach noch weitere Schalter, um die Maschine auf Betriebstemperatur zu bringen. »Hier ist die Shadow. Wir erbitten Starterlaubnis.«

Der Tower antwortete: »Startbahn zwölf ist freigegeben. Sie dürfen passieren.« Der Rest der Crew hielt sich an ihren Sitzen fest. Sie wussten, dass Sohra immer mit maximalem Schub startete. Leichte Vibrationen füllten den Raumjäger aus und die Schubdüsen gaben ein lautes Kreischen von sich.

»Ich hasse es. Sie tut es jedes Mal«, sagte Mace. Die Shadow donnerte aus dem Hangar. Innerhalb weniger Sekunden waren sie auch schon im Orbit.

KAPITEL 4

Schnell wie der Wind

Am nächsten Tag war Mira schon recht früh auf den Beinen. Interius war noch im Land der Träume versunken. Sein Körper war noch damit beschäftigt, den Rest des Spezialtees abzubauen. Der Wirkstoff steigerte die Traumerinnerung und damit konnte man die wildesten Träume erleben. Im Dorf hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass in den Tiefen des Dschungels von Virida Silva ein Volk versteckt lebte, das bestimmte Kräuter für geheimnisvolle Rituale konsumierte, aber niemand hatte sie bisher gesehen. Einige Bewohner waren der Meinung, das mysteriöse Volk wäre zu Scheu, als dass man sie zu Gesicht bekommen würde. Andere sagten, sie würden auf die Dorfbewohner mit Giftpfeilen schießen, wenn sie ihnen zu nahekamen. Das Gift der Pfeile soll in der Lage gewesen sein, die Erinnerungen von dem Volk auszulöschen. Mira glaubte fest an die Existenz dieses Urvolks und daran, dass Interius mit den Wirkstoffen der Pflanzen experimentierte, um in ferneren Gefilden in die Zukunft und deren Parallelen blicken zu können. Doch Interius ließ sich wie immer nicht in die Karten schauen. Es gab noch so viel Rätselhaftes an ihrem Mentor. Mira wusste immer noch nicht, wie genau der Kontakt zwischen ihren Eltern und ihm überhaupt zustande gekommen war. Wie an jedem Morgen setzte sich Mira nach dem Aufwachen zuerst auf die Bettkante und versuchte krampfhaft, an den letzten Traum zu denken, aber es gelang ihr einfach nicht die Erinnerungen aufrecht zu halten. Sie trat schlaftrunken aus ihrem Zimmer. Halb verträumt torkelte sie die knarzenden Holzstufen hinunter in die offene Küchenzeile, um sich einen Kaffee aufzubrühen und aus den Früchten des Urwalds eine bunte Platte zum Frühstück zurechtzumachen. Anschließend begab sie sich unter die Dusche, schlüpfte in ihre frischen Sachen, nahm eine Tasse mit dem fertigen Kaffee und startete auf der Veranda mit einer Meditation in den Tag.

Sie saß im Schneidersitz und am blauen Himmel war der kupferrubinrote Riese deutlich sichtbar. Mira vermied während der Meditation ihre Augen zu öffnen. Der Gasriese übte eine faszinierende Wirkung auf sie aus. In der Vergangenheit verlor sie sich jedes Mal darin, wenn sie direkt hineinschaute. Mira atmete tief ein und aus und konzentrierte sich darauf, die innere Ruhe zu finden, was anfangs wunderbar funktionierte, bis die Vergangenheit sie plötzlich wieder einholte. Oft waren es die langsam verblassenden Gesichter ihrer Eltern und die Sorge, sie zu vergessen. Selten konnte sie die morgendliche Meditation vollenden, was ihr auch dieses Mal misslang, und sie machte sich stattdessen anschließend lieber auf den Weg zum Trainingsgelände. In Wirklichkeit war es nur eine Lichtung in den Tiefen des Dschungels, den sie eigens für ihre Übungen umgepflanzt hatten.

In einem Parcour gestaltete sie spielerisch ihren Weg. »Schnell wie der Wind«, dachte Mira. Sie sprintete los und sah den heran rauschenden Ast kommen. Im richtigen Moment duckte sie sich und sprang sofort über den nächsten Stein. Dann bog sie hinter einem Baum ab und setzte erneut zum Sprung an. Während sie in der Luft über den Bach glitt, schlug sie einen Vorwärtssalto und landete sanft auf dem Waldboden. Da alle Steine, Wurzeln, Äste, Felsen und Bäume in ihrem Kopf fest abgespeichert waren, konnte sie mit Leichtigkeit und sicheren Fußes den Dschungel passieren. Im Laub vernahm sie das leise Rascheln einer Schlange. »Leise wie ein Raubtier.« Sie pirschte sich an das giftige Reptil heran und verpasste ihr einen Klaps. Ehe die Schlange reagieren konnte, war Mira auch schon verschwunden. Ein Baum versperrte ihr den Weg. Wie eine Eidechse kletterte sie ihn empor, spurtete über einen gewaltigen Ast, sprang auf einen gegenüberliegenden und rutschte mit einer Drehung die Liane herunter.

Seit ihrem vierten Lebensjahr wuchs sie hier auf und kannte sich im Busch bestens aus. Mira wusste, wie man im Dschungel überlebte, das hatte Interius ihr von klein auf beigebracht. Als Teenager hatte sie oft die Orientierung verloren.

»Du darfst dich niemals verlaufen. Falls es doch passiert, dann orientiere dich gegebenenfalls an dem Rinnsal, da kannst du ausreichend sauberes Wasser trinken, und außerdem führt er dich direkt zum Lager. Oder halte nach einer Anhöhe Ausschau, von wo aus du den dicken, von Insekten zerfressenen, morschen Baum ausfindig machen kannst. Die Insekten werden dich mit Energie versorgen«, riet Interius. Das hatte ihr schon oft das Leben gerettet.

Zwanzig Minuten Fußweg war der Trainingsplatz von ihrem Lager entfernt. Es war ein mittlerweile niedergetrampeltes, staubtrockenes zwanzig mal zwanzig Meter Feld. Mira setzte diszipliniert und wie besessen ihr Training fort. Ihr Training bestand aus mehreren verschiedenen Übungen, die sie körperlich wie geistig massiv forderte. Die Meditation diente ihr dazu, das Gespür ihrer Vorahnungen zu verfeinern. Mira legte das Hauptaugenmerk des Trainings dabei besonders auf die Vorahnungen.

Ihre ersten Übungen mit Interius bestanden zum Beispiel darin, rechtzeitig die Zunge der Sumpfkröte zu schnappen. Dazu setzten sie die schleimige Kröte vor einen Fruchtfliegenschwarm. Mira hockte sich unmittelbar hinter den Schwarm. Während diese riesige Kröte mit ihrer glitschigen Zunge genüsslich nach ihrem Abendbrot jagte, versuchte sie diese zu erhaschen. Anfangs war es für Mira eine unmögliche Aufgabe. Nach mehreren erfolglosen Wochen hatte sie es zum ersten Mal geschafft. Ihre Reaktionszeit war jetzt meisterhaft. »Mira, du machst Fortschritte! Nun ist es an der Zeit, dass du beginnst, deine Konzentration zu steigern. Jetzt musst du noch den richtigen Moment erfühlen«, sagte Interius.

»Aber wie soll das überhaupt gehen?«, fragte sie.

»Versuche, dir so gut wie möglich einen Raum ohne Licht vorzustellen. Das Einzige, was du darin siehst, ist die Sumpfkröte.« Sie schloss ihre Augen und stellte es sich genauso vor. Auf einmal riss sie die Augen wieder auf. Noch bevor die Kröte innerhalb einer Millisekunde ihr Maul öffnete, streckte sie ihre Hand aus. Zack! Die Zunge steckte zwischen ihrem Zeige-, Mittelfinger und Daumen fest und die Kröte verdrehte vor Schreck ihre Augen.

»Ich kann es kaum glauben! Wie ist das möglich?« Interius hüllte sich in Schweigen. Mittlerweile war es für Mira ein Kinderspiel.

Die Kampfkunst Kaitagare half ihr, den Körper zu kontrollieren. Sie diente nur zur Verteidigung. Im Notfall gab es auch Bewegungsabläufe, die den frontalen Angriff suchten. Ihr Mentor hatte Mira die Grundtechniken gelehrt. Fließende Drehbewegungen und minimale Berührungen des Feindes waren die Basis, auf der das Kaitagare beruhte. In all den Jahren hatte sie diese Kampfkunst für sich weiterentwickelt und optimiert. Jetzt war es ein sehr akrobatisch anzusehender Kampfstil geworden. Saltos in allen erdenklichen Schraubbewegungen gehörten zum Standardrepertoire. Mentales Training war hilfreich, um Disziplin, Geist und die Abfolge ihrer Bewegungen zu manifestieren. Mira dachte sich zum Spaß komplexe, fast unmenschlich körperliche Bewegungssequenzen aus. Sie liebte es sich diesen Herausforderungen zu stellen. Wie ein Stehaufmännchen probierte sie es unzählige Male und klopfte den Dreck immer wieder von ihren Beinen. Wenn sie nicht weiterkam, nahm sie einen Schneidersitz ein. Mit ihrer Vorstellungskraft sinnierte sie über die Bewegungsabläufe und versuchte es noch einmal.

Mira begab sich an den Rand des Trainingsgeländes und nahm ihre Position ein. Soeben empfing sie eine neue Vorahnung. Sie sah, wie sie am Ende ihres Sprunges, den sie vornehmen wollte, mit dem Gesicht zu Boden fiel. Sie schüttelte die gerade frisch erhaltene Vorahnung ab und setzte konzentriert ihre Übungen fort. Leichtfüßig spurtete sie los, begann mit einem Radschlag vorwärts die Sequenz, darauf folgten zwei weitere, bevor sie ein letztes Mal mit ihren Füßen den Kontakt zum Boden verlor. Mit einer Seitwärtsschraube hob sie ab und bemerkte, dass sie immer noch zu schnell war. Als sie mit einer weiteren Schraubbewegung ihre Sequenz beenden wollte, verlor Mira das Gleichgewicht und stürzte mit ihrem zierlichen Gesicht auf den Waldboden. Kurzzeitig lag sie regungslos am Boden. Benommen kam sie langsam wieder zu sich »Ich sollte solche Vorahnungen nicht mehr ignorieren«, sagte sie nuschelnd, als sie im Dreck lag. Der lehmige Geschmack der Erde war sehr bitter und der Sand knirschte unangenehm zwischen ihren Zähnen. Mira rappelte sich auf, nahezu unversehrt bis auf ein paar Kratzer und hielt die Hände vor ihr schmerzverzerrtes Gesicht. »Das lasse ich nicht auf mir sitzen.« Etwas angesäuert durchsuchte sie das Dickicht nach etwas Brauchbarem. »Der größere Stein könnte mir nützlich sein«, sagte sie hoffnungsvoll. An dem Baum zu ihrer Linken hing vom Ast eine dickere Liane herab, dann nahm sie ein Messer aus ihrer Hosentasche und schnitt diese ab. Mira legte die Liane um den Findling, wickelte sie anschließend noch um ihre Hände und schleifte den großen Stein quer durchs Gebüsch. Äste brachen, Büsche raschelten und Blätter fielen zu Boden. Mira zog den schweren Stein in die Mitte des Trainingsplatzes.

Erneut positionierte sie sich und wartete einen Moment ab. »Nichts, keine Anzeichen von einer Vorahnung«, sagte sie leise. Sie spurtete los und begann erneut, mit einem Radschlag die Sequenz einzuleiten, danach folgten wieder zwei weitere. Sie behielt die gleiche Geschwindigkeit, nur dieses Mal nutzte sie den Stein als zusätzliches Sprungbrett und hob wieder mit einer Seitwärtsschraube ab. Im Anschluss legte sie die letzte Schraubbewegung hin, holte mit ihrem rechten angewinkelten Bein aus, trat einen Meter über der Erde zu und rollte danach über die Schulter vorwärts ab. Aus dem Hintergrund hörte man ein einzelnes Händeklatschen hallen.

»Ich staune über die Hartnäckigkeit deines Eifers«, sagte Interius stolz. Er stand am Rand des Geschehens.

»Wie lange beobachtest du mich denn schon?«, fragte sie entsetzt mit verschränkten Armen.

»Seitdem du regungslos am Boden lagst«, antwortete er.

Auf Mira wirkte es fast gleichgültig. »Wie? Du hast mich einfach so liegenlassen?«, fauchte sie.

»Wenn dir was passiert wäre, hätte ich das schon letzte Woche gesehen.«

»Verlass dich nicht zu sehr auf deine Vorsehungen, du alter in die Zukunft schauender Jahrmarktfutzi.« Wie immer prallten Miras Herabwürdigungen von Interius ab wie Wasser von einer Lotusblüte. Mit strengem Blick und knallrotem Gesicht stapfte sie wutentbrannt wie ein wildes Tier nach Hause. Vögel flogen von den Ästen davon und mit lautem Gezwitscher warnten die Vogeleltern ihren Nachwuchs vor der potenziellen Gefahr. Ein weiterer Stein am Wegesrand musste für ihren kleinen Wutausbruch herhalten. Mit ihrem rechten Fuß versetzte sie ihm einen kräftigen Tritt, sodass der Stein zweimal auf den Waldboden aufschlug und schließlich gegen den nächsten Baum krachte. Auf dem Baumwipfel knabberte ein kleiner Affe genüsslich an einer saftigen Frucht. Durch die Erschütterung erschrak der Affe und purzelte rückwärts mit einem Geraschel durch die Zweige des Baumes.

Als sie an der Hütte angekommen war, begab sich Mira schnurstracks in ihr Zimmer. Immer wenn sie wütend oder traurig war, werkelte sie mit Schnitzarbeit an einem Holzklotz. Sie schnappte das Messer aus ihrer Hosentasche, nahm das von der Baumrinde befreite helle Holzstück und schnitzte los. Sie wusste nie genau was sie schnitzte, das lief meist in ihrem Unterbewusstsein ab. Versunken in ihren Gedanken flogen die Holzspäne auf den Zimmerboden. Span für Span wurde ihre Figur detaillierter und gleichzeitig wurde die Wut in ihr abgebaut. Das Schnitzen half Mira, kürzliche und vergangene Erlebnisse zu verarbeiten.

Des Öfteren dachte sie an ihre Eltern. »Wie es wohl wäre, wenn sie doch noch am Leben wären? Dann hätte ich Interius nie kennengelernt und wäre vermutlich noch in diesem Kriegsgebiet. Wenn sie mich jetzt sehen könnten, wären sie heilfroh, dass ich vor der Unterdrückung des Militärstaats fliehen konnte. Und dann hätte ich all die Dinge verpasst, die Interius mir auf diesem herrlichen Mond gezeigt hat. Dann wären sie bestimmt stolz auf mich.«

Nach circa zwei Stunden hielt Mira auch schon die fertig geschnitzte Figur in ihren Händen. Ein einheimischer Vogel, der Buntavem. Er verfügte über einen spitzen Schnabel, mit dem er Nüsse knacken konnte und sein schrill buntes Gefieder diente zur Balz. Sie betrachtete die Figur von allen Seiten, die aufgeschlagenen Flügel, der Schnabel und die scharfen Krallen des Vogels waren ihr besonders gut gelungen. Mira fühlte sich wieder besser und bereute ein wenig den fiesen Spruch von eben. Sie legte die Holzfigur in das Regal zu ihren anderen Werken. Ihre Sammlung konnte sich sehen lassen. Zu jeder Figur hatte sie ein bestimmtes Erlebnis festgehalten.

KAPITEL 5

Brandwund

Sohra rief die geheimen Koordinaten der Militärbasis aus dem Bordcomputer auf. »Berechnete Ankunftszeit: 40 Stunden und 32 Minuten«, stand auf dem Display.

Von Civitas aus war es im Vergleich zu den anderen bewohnbaren Himmelskörpern ihres Sternensystems nur ein Katzensprung nach Proelium. Für größere Entfernungen war die Shadow nicht geeignet, da der Raumjäger nicht für intergalaktische Raumflüge in andere Sternensysteme konzipiert worden war. Größere Distanzen zu überwinden war generell eine sehr kostspielige Angelegenheit.

»Alle festhalten! Ich leite Phase zwei ein«, sagte Sohra etwas lauter. Mit einem heftigen Rückstoß wurde die Shadow durchgerüttelt. Alle nicht befestigten Gegenstände flogen quer durch den Raumjäger. Becher, die vorher hastig geleert worden waren, raschelnde Tüten mit Rationen und die schweren Ausrüstungstaschen rutschten nach hinten. Selbst eine gut an der Wand befestigte Taschenlampe löste sich aus ihrer Halterung. Darjos hielt den Stoffsack gut fest. »Berechnete Ankunftszeit: 23 Stunden und 12 Minuten«, änderte der Bordcomputer die ursprüngliche Zeit. »Beginne Phase drei.« Der zweite Rückstoß war nur halb so kräftig, dennoch reichte es aus, dass von oben die Taschenlampe auf Maces Rübe krachte.

»Verdammt nochmal«, schimpfte er.

»Verbleibende Ankunftszeit: 17 Stunden und 26 Minuten.«

Sohra schaltete den Autopiloten ein, lehnte sich bequem in ihren fest verschraubten Sitz und öffnete ihren Zopf. Ihre schwarzen glatten langen Haare, ihre onyxfarbenen Knopfaugen, das schmale zarte Gesicht und ihr durchtrainierter Körper machten aus ihr eine sehr begehrenswerte Soldatin unter den männlichen Kollegen. Sohra und Darjos kannten sich schon seit der Grundausbildung. Sie bewunderte ihn schon immer für seine Entschlossenheit, er war anders als die meisten anderen Rekruten. Aus irgendeinem Grund hatte er diese extreme zielorientierte Selbstsicherheit, was ihn für Sohra so anziehend machte. Die beiden kamen sich damals schon ziemlich nahe. Sie waren kurzzeitig ein Liebespaar gewesen, bis sich ihre Wege nach der Grundausbildung trennten.

Nur Admiral Bradley wusste, dass seine Eltern bei einem Anschlag ums Leben gekommen waren. Außerdem verschwieg er, dass er eine jüngere Schwester hatte. Noch nicht einmal Sohra kannte sein Schicksal. Sie war eine hervorragende Pilotin. Darjos konnte sich auf sie verlassen. Ihre Professionalität überstieg ihre einstige Liebesbeziehung. Das war die Abmachung, die persönlichen Dinge auf die allerletzte Stelle zu setzen. Nur so war man in der Lage gute Arbeit zu leisten.

»Hat sich jemand verletzt? Ich vernahm ein schmerzhaftes Winseln«, fragte sie.

»Wer von euch kam auf die fahrlässige Idee, die Halterung der Taschenlampe direkt über mir zu befestigen?«, fragte Mace verärgert. Er rieb sich mit einer Grimasse den Kopf.

Sohra erhob sich aus dem Pilotensitz. »Lass mal schauen, ob du jetzt deine Erleuchtung erlangt hast. Ach herrje, ein Prachtexemplar von einem Horn.«

Inzwischen schlenderte Darjos zur Umkleidekabine, in der sich ebenfalls die kleinen Schlafkojen befanden. Er begab sich auf eine Plattform, die eine Art Kontakt mit ihm herstellte. Der Kampfanzug begann sich unterhalb des Helms zu verflüssigen und lief an seinem Körper herunter. Kurz darauf verfestigte er sich in eine handliche Form, die er bequem in seinem Spind verstauen konnte. Danach zog er seinen Helm aus. Er war jedes Mal froh, sich aus dieser mobilen Sauna zu befreien. Von seinem eigenen Körpergeruch angewidert huschte Darjos in die eingebaute Desinfektionsdusche, die ihn in Sekundenschnelle reinigte und mit einem Gebläse trocknete. Vor dem Spiegel musterte er sich von oben bis unten. Anschließend strich er sich mit seinen Händen über die neueste Brandwunde auf seiner Brust. Er kleidete sich in seine eher praktisch orientierte Uniform. Dann griff er nach dem Kamm und richtete penibel seine zerzauste braune Tolle, dabei dachte er an die letzte Auseinandersetzung mit Interius, die schon einige Jahre hinter ihm lag.

Mace platzte herein und fuhr Darjos an. »Hat der feine Herr es noch nötig, sein Haupt bei der Visage zu richten?«, feixte Mace.

»Im Gegensatz zu dir brüte ich keinen Parasiten auf meiner Stirn aus«, konterte Darjos.

Beleidigt zog Mace wieder ab und schnappte sich das Kühlakku. Er gehörte, genau wie Darjos auch, zur ehemaligen Sturmfront. Ihre gewisse freundliche Rivalität und dieselbe harte Disziplin zeichnete dieses besondere Duo aus. Mace wollte ihm in nichts nachstehen. »Wäre Balin, dieser Idiot, doch nur auf Abstand geblieben, dann wären wir gar nicht erst aufgeflogen«, grummelte er. Mace begab sich zur Hauptkabine und inspizierte in den Taschen die Ausrüstung nach Beschädigungen.

Die Hauptkabine war ein kleiner Raum in Form einer Halbkugel. In der Mitte befanden sich ein Tisch sowie vier bequeme Stühle, die separat in den eigens dafür vorgesehen Nischen standen. Klappbare Bodenplatten aus Titan boten zusätzlichen Stauraum. Nur ein gelbes spärliches Licht beleuchtete die Kabine. Mace war der Waffenexperte der Crew, der auch in der Lage war, kleine Sprengkörper zu basteln.

Balin saß in der Ecke, beugte sich vor und nahm sein Elektrogewehr. Er säuberte es wie seinen Schatz.

Daraufhin sagte Mace: »Wenn du dich halb so viel waschen würdest, wie du deine Waffe putzt, wären wir durch deinen Gestank nicht von ihr entdeckt worden.«

»Ich hoffe, du kommst bald wieder zu Verstand. Deine Gehirnerschütterung scheint dir ordentlich zuzusetzen«, gab Balin zurück.

»Achte darauf, den feuchten Lappen nicht über die Induktionsspule zu wischen«, gab Mace zu verstehen.

»Und du darauf deine Beule zu kühlen«, antwortete Balin.

Als die beiden ihr Wortgefecht fortsetzten, lief Sohra zur kleinen Küchenzeile und setzte für die ganze ausgelaugte Crew den Kaffee auf. Die verklebte Maschine begann zu gluckern und kurz danach stieg Dampf auf. »Das Ding hätte schon längst von Grund auf gereinigt werden müssen. Doch keiner von den Herren hält es für notwendig«, blaffte Sohra. Sie goss etwas Kaffee in ihren Becher und gesellte sich zu Balin und Mace. »Übrigens, der Kaffee ist fertig, ihr Taugenichtse. Den werdet ihr vermutlich für die Nachbesprechung benötigen«, sagte sie.

Frisch gestriegelt trat Darjos aus der Umkleide. »Mace, Balin. Ich habe euch mit an Bord geholt, weil ihr die Besten seid, indem was ihr tut. Also, bitte verratet mir, wieso habt ihr euch entdecken lassen?«

»Mace hielt seinen Mindestabstand nicht ein, es ist seine Schuld«, sagte Balin.

»Es freut mich, dass du einen Schuldigen gefunden hast. Aber es rechtfertigt nicht dein Fehlverhalten gegenüber Mace.«

»Was sagst du da? Hast du Lack gesoffen?«

»Du hast richtig gehört. Den Kollegen für das Versagen anzuschwärzen, zeugt nicht gerade von Teamgeist. Die Hälfte deines Anteils werde ich dir deshalb aberkennen.« Mace musste sich ein Lachen verkneifen. »Wir sind ein Team, jeder hat seinen Teil beizutragen. Nur so wirst du aus deinem Fehler lernen.« Balin wirkte von dem harten Durchgreifen überrascht. »Mace, was denkst du, warum ihr entdeckt worden seid?«

»Ich denke wir hätten uns besser absprechen sollen. Statt uns bei der Beschattung abzuwechseln, haben wir unbewusst zeitgleich unser Ziel angestarrt, was sich für meine Analyse als großer Fehler herausgestellt hat.«

»Danke für deine ehrlichen Worte. Jetzt wisst ihr, woran ihr arbeiten müsst.«

»Ja, Boss«, sagten Balin und Mace synchron.

»Bordcomputer! Verbleibende Ankunftszeit?«, erkundigte Darjos. »16 Stunden und circa 6 Minuten«, gab der Computer auditiv zurück. »Genug Zeit, um unsere Kräfte zu sammeln. Ich haue mich jetzt aufs Ohr. Wehe, einer von euch Pfeifen weckt mich«, kläffte er und machte sich in Richtung seiner Schlafkoje auf.

Sohra, Balin und Mace verblieben noch in der Hauptkabine. Balin war betrübt über den Umstand. »Wie soll ich das nur meiner Tochter erklären«, ging es ihm durch den Kopf.

»Hier, nimm meinen Kaffee, den brauchst du gerade dringender als ich. Das wird schon wieder«, beruhigte Sohra ihn.

»Du hast ja gut reden. Du hast keine Familie, die du ernähren musst. Außerdem braucht meine Tochter diese Medikamente.«

»Medikamente?«

»Ja, sie erleidet wahnsinnige Schmerzen ohne diesen bestimmten Wirkstoff. Deshalb braucht sie dieses Pharmazeutikum so dringend. Unsere Militärregierung investiert leider keinen Civitos in die Forschung.«

»Ich hatte ja gar keine Ahnung davon. Soll ich...«

»Lass es gut sein«, unterbrach Balin sie.

»Wenn du mich suchst, findest du mich im Cockpit«, sagte Sohra mit einfühlsamer Stimme.

Das Cockpit war relativ dunkel gehalten, nur einzelne LED's des Bedienfelds schillerten durch die Kabine wie die Sterne durch den Weltraum und das sorgte für entspanntes Fliegen. Statisches Rauschen der Triebwerke machte den Rest der Crew nach der anstrengenden Mission schläfrig.

»Berechnete Ankunftszeit: 20 Minuten«, dröhnte es aus den Lautsprechern. Sohra und Mace zuckten im Cockpit zusammen, als sie die Beine noch eben auf die Armaturen hochgelegt hatten. »Wie lange haben wir denn geschlafen?«, fragte Sohra schockiert.

»Lange genug, ihr Schlafmützen. Macht euch fertig, der Admiral empfängt uns gleich.« Darjos stand mit einem Becher Kaffee, der vor Hitze qualmte, angelehnt an der Cockpittür.

»Ich bereite den Landeanflug vor, Captain Khan!«, zwinkerte Sohra Darjos liebevoll zu.

Er widerstand ihrem Charme und wandte sich an Mace. »Mace, ich muss mit dir und Balin nochmal kurz sprechen. Am besten treffen wir uns gleich im Aufenthaltsraum.«

»Ja, klar«, antwortete er. Die beiden begaben sich zu Balin.

»Da ihr beiden dem Admiral noch nicht begegnet seid, wollte ich noch einiges klarstellen. Er besitzt ein ziemlich eigenwilliges Gemüt, verhandeln jeglicher Art des Kopfgeldes ist somit nicht möglich. Jeder Fehler könnte uns die wichtige Einnahmequelle kosten. Der Admiral legt großen Wert auf ein seriöses Auftreten. Also überlasst das Reden mir. Ihr antwortet nur, wenn ihr gefragt werdet«, stellte er klar. Balin und Mace machten sich zur Umkleide auf, um sich in ihre Militäruniformen zu zwängen.

Die Relais gaben surrende Geräusche von sich. Zusätzlich hörte man Knöpfe, Schalter und Hebel der Armaturen aus dem Cockpit klacken. Daraufhin drehte sich Darjos um, lief zu Sohra und legte seine rechte Hand auf ihre Schulter. Durch die riesigen Frontscheiben sah man einen unscheinbaren, kargen, blassgrauen Himmelskörper, der mit mehreren Felsen übersät war. Hinzu kamen einige Anhöhen, die die Landschaft verdüsterten.

Eine prägnante tiefe Stimme meldete sich knisternd über Funk. »Sie betreten einen streng bewachten Raum, autorisieren Sie sich!«

»Hier spricht Darjos Khan, informieren sie Admiral Bradley, unser Auftrag ist ausgeführt.«

Nach einer kurzen Pause kam die Antwort: »Der Admiral erwartet Sie. Ihnen wurde Landeplatz D8 zugeteilt.«

»Steuer die Südseite an«, sagte er. In einem großen Bogen manövrierte Sohra die Shadow um Proelium. Auf der anderen Seite trat das Hexagon schimmernd aus seinem Tarnfeld zum Vorschein. »Drossele die Triebwerke um fünfundzwanzig Prozent und lande, ich will gar nicht erst ausdrücklicher sagen müssen, bitte sanft im Hangar. Wir wollen doch nicht die Aufmerksamkeit der gesamten Flotte auf uns lenken.«

Unterdessen saß Admiral Kaleb Bradley in seinem Zimmer und unterhielt sich mit General Harris. »Herr Admiral, Stella, hat uns die ganze Zeit an der Nase herumgeführt? Können wir uns über diese Information sicher sein?«, fragte der General verblüfft.

»So sicher wie ich nur sein kann. Ihre leiblichen Eltern sind auf einer Liste von unseren Opfern der Aggressoren aufgetaucht. Der DNA Test war positiv.«

»Weshalb hat sie uns das vorenthalten?«

»Weil sie eine Dissidentin ist! Stella hat sich in letzter Zeit uns gegenüber äußerst abwesend verhalten. Als ich sie darauf ansprach, reagierte sie nervös und brach kurz danach in Schwitzen aus. Als sie am nächsten Tag einen Urlaubsantrag stellte, erhielt ich die Ergebnisse des DNA-Tests. Anschließend machte sie sich aus dem Staub. Das riecht eindeutig nach Spionage«, sagte Kaleb bissig.

»Die Beweislage spricht für sich, Sir.«

Der Admiral schlug mit seiner Faust auf den Schreibtisch. »Genau deshalb will ich ihren Kopf!«

»Aber wieso foltern wir sie nicht vorher, sie hat womöglich wichtige Informationen, die sie preisgeben könnte?«

»General, was meinen Sie wohl, warum sie es geschafft hat, uns so dermaßen durchtrieben zu täuschen? Wir werden aus diesem Ungeziefer nur Schleim und unwichtiges Sekret herausquetschen können. Reinste Zeitverschwendung, für das Folterpersonal und die Reinigungskräfte.«

»Und was wollen Sie mit ihrer Trophäe?«

»Es dient zur Abschreckung für all diejenigen, die sich gegen uns auflehnen werden.«

»Admiral, erlauben Sie mir ein Kopfgeld auf Stella auszusetzen?«