Slam - Nick Hornby - E-Book

Slam E-Book

Nick Hornby

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Rührend und durch und durch überzeugend.« The GuardianSam, 15, kann kaum glauben, dass Alicia, die eigentlich eine Nummer zu groß für ihn ist, sich tatsächlich für ihn interessiert. Doch nach einer kurzen Zeit des Glücks kommt es knüppeldick: Könnte es sein, dass sie schwanger ist? »Eigentlich lief alles gerade ziemlich gut. Ich würde sogar sagen, dass die Entwicklungen der letzten sechs Monate durchgängig positiv gewesen waren. Zum Beispiel hatte Mum sich von Steve getrennt, ihrem bescheuerten Freund. Zum Beispiel konnte ich plötzlich zwei neue Skatingtricks, nachdem ich mich wochenlang öffentlich blamiert hatte. Das alles, und außerdem hatte ich noch Alicia kennengelernt.« Sam, selbst Sohn einer 32-jährigen Mutter, ist ein besessener Skateboardfahrer. Seine Bibel ist die Autobiographie des berühmten Skateboarders Tony Hawk, die für alle Lebensfragen das richtige Zitat bietet. Selbst als sich Sam in Alicia verliebt, läuft alles wie am Schnürchen und die beiden kommen tatsächlich zusammen. Doch dann droht die Glückssträhne zu reißen, denn Sam muss Angst haben, dass Alicia schwanger ist: Da mit der Angst zu leben immer noch besser ist, als zu wissen, dass die schlimmsten Befürchtungen Wirklichkeit geworden sind, nimmt Sam erstmal Reißaus. Mit wunderbarer Ironie schildert Nick Hornby in seinem neuen Roman Sams Sprung ins Erwachsensein. Das ist erbarmungslos ehrlich, rührend und saukomisch.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 401

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nick Hornby

Slam

Roman

Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Nick Hornby

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

WidmungDank1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. KapitelHinweis
zurück

Für Lowell und Jesse

zurück

Dank an Tony Hawk, Pat Hawk, Francesca Dow, Tony Lacey, Joanna Prior, Caroline Dawney und Amanda Posey

zurück

1

Eigentlich lief alles gerade richtig gut. Ich würde sogar sagen, dass die Entwicklungen der letzten sechs Monate durchgängig positiv gewesen waren.

Zum Beispiel hatte Mum sich von Steve getrennt, ihrem bescheuerten Freund.

Zum Beispiel hatte meine Kunstlehrerin, Mrs Gillett, mich nach der Stunde beiseitegenommen und gefragt, ob ich nicht Kunst studieren wollte.

Das alles, und außerdem hatte ich noch Alicia kennengelernt.

Damit wollte ich eigentlich sagen, dass ihr vielleicht das ein oder andere über mich wissen solltet, ehe ich loslege mit Mum und Alicia und allem. Wenn ihr mehr über mich wüsstet, könnte es immerhin sein, dass euch einiges davon interessiert. Aber andererseits, wenn ich mir ansehe, was ich gerade geschrieben habe, wisst ihr schon eine ganze Menge oder habt es euch wenigstens zusammenreimen können. Zum Beispiel seid ihr wahrscheinlich schon drauf gekommen, dass meine Mum und mein Dad nicht zusammenleben, es sei denn, mein Dad wäre so einer, dem es nichts ausmacht, wenn seine Frau noch andere Liebhaber hat. Ist er nicht. Und ihr könnt euch denken, dass ich skate, und ihr könnt euch denken, dass Kunst und Design das Fach ist, in dem ich am besten bin, außer ihr habt angenommen, ich wäre so jemand, den die Lehrer ständig beiseitenehmen, um ihm zu sagen, er soll sich für ein bestimmtes Fach an der Uni einschreiben. Und sich darüber richtig in die Haare kriegen. »Nein Sam! Vergiss Kunst! Studier Physik!« »Vergiss Physik. Es wäre ein tragischer Verlust für die Menschheit, wenn du Französisch aufgibst!« Und dann fangen sie an, aufeinander einzuprügeln.

Na ja. Genau das würde mir nie passieren. Ich kann euch versprechen, ich hab nie einen Streit unter Lehrern provoziert.

Und man muss kein Sherlock Holmes oder so sein, um zu kombinieren, dass Alicia ein Mädchen ist, das mir etwas bedeutet. Ich bin froh, dass es einiges gibt, was ihr nicht wisst und worauf ihr nie kommen würdet, seltsame Sachen, die, soweit ich weiß, in der gesamten Geschichte der Menschheit außer mir noch keinem passiert sind. Denn wenn ihr euch alles schon nach dem ersten kleinen Absatz hättet denken können, würde mich das ungute Gefühl beschleichen, nicht unbedingt ein rasend komplizierter und interessanter Mensch zu sein, haha.

Liegt ein paar Jahre zurück, diese Zeit, als sich alles ganz gut entwickelte, ich war also fünfzehn, fast sechzehn. Ich will nicht auf die Tränendrüse drücken, und ich will euch auf keinen Fall leidtun, aber dieses Gefühl, mein Leben wäre gar nicht so übel, war neu für mich. Das Gefühl hatte ich bis dahin nicht gekannt und habe es seitdem auch nie wieder gehabt. Das soll jetzt nicht heißen, ich wäre unglücklich gewesen. Bloß hatte vorher immer irgendwas nicht gestimmt, einen immer irgendwas beunruhigt. (Ihr werdet sehen, dass es seitdem noch reichlich Grund zur Beunruhigung gab, aber dazu kommen wir später.) Zum Beispiel, dass meine Eltern sich scheiden ließen und andauernd zofften. Beziehungsweise geschieden waren, sich aber immer noch stritten, sie haben sich nämlich noch bis lange nach der Scheidung weitergestritten. Oder in Mathe lief es nicht berauschend – ich hasse Mathe –, oder ich wollte was von einem Mädchen, das nichts von mir wollte … das alles hatte sich plötzlich verzogen, ohne dass ich es mitbekommen hatte, wie es mit Regenwolken manchmal geht. Und in diesem Sommer schien mehr Geld da zu sein. Meine Mum hatte einen Job, und mein Dad war nicht mehr ganz so sauer auf sie, darum gab er uns das, was uns sowieso die ganze Zeit zugestanden hatte. Na ja. Das war schon mal nicht schlecht.

Wenn ich diese Geschichte richtig erzählen will, ohne irgendwas auszulassen, sollte ich eine Sache gleich zugeben, weil sie wichtig ist. Also jetzt kommt es. Ich weiß, es hört sich blöd an, und ich bin normalerweise nicht der Typ für so was, ehrlich. Ich meine, ich glaube nicht an, na ja, so was wie Geister oder Seelenwanderung und so einen Quatsch, aber das … Das ergab sich irgendwann einfach so, und … Na ja, was soll’s, ich sag es jetzt einfach, und ihr könnt denken, was ihr wollt.

Ich rede mit Tony Hawk, und Tony Hawk redet mit mir.

Einige von euch, wahrscheinlich dieselben, die auch denken, ich würde auf dem Eis Pirouetten drehen, werden nie von Tony Hawk gehört haben. Schön, ich sag’s euch, obwohl ihr den eigentlich kennen müsstet, ehrlich. Wenn man Tony Hawk nicht kennt, ist das so, als würde man Robbie Williams nicht kennen, oder meinetwegen Tony Blair. Es ist sogar im Grunde schlimmer. Denn es gibt endlos viele Politiker, endlos viele Popstars, und Hunderte von Fernsehsendungen. George Bush ist wahrscheinlich noch berühmter als Tony Blair, und Britney Spears und Kylie Minogue sind genauso berühmt wie Robbie Williams. Aber es gibt eigentlich nur einen Skater, und der heißt Tony Hawk. Klar, es gibt nicht nur einen. Aber er ist DER SKATER schlechthin. Er ist die J.K. Rowling unter den Skatern, der Big Mac, der iPod, die Xbox. Für mich gibt es nur eine Entschuldigung, Tony Hawk nicht zu kennen, nämlich, dass man sich nicht für Skaten interessiert.

Als ich mit dem Skaten anfing, bestellte mir meine Mutter ein Tony-Hawk-Poster übers Internet. Es ist das coolste Geschenk, das ich je bekommen hab, und dabei nicht mal das teuerste. Es kam natürlich direkt in meinem Zimmer an die Wand, und seitdem hab ich mir angewöhnt, ihm alles Mögliche zu erzählen. Zuerst hab ich Tony nur vom Skaten erzählt – ich hab ihm erzählt, wenn mir was Probleme machte, oder von Tricks, die geklappt haben. Ich rannte praktisch in mein Zimmer, um ihm von meinem ersten gelungenen Rock’n’Roll zu erzählen, weil ich wusste, dass ein Poster von Tony Hawk damit sehr viel mehr anfangen kann als eine Mutter aus Fleisch und Blut. Ich will meine Mum nicht dissen, aber sie hat keine Ahnung. Deshalb versuchte sie immer, ein ganz begeistertes Gesicht zu machen, wenn ich ihr so was erzählte, aber in ihren Augen herrschte große Leere. Sie war so total: Oh, ist ja fantastisch. Aber wenn ich sie gefragt hätte, was ein Rock’n’Roll ist, hätte sie es nicht gewusst. Und was sollte das Ganze dann? Tony wusste es. Vielleicht hatte meine Mum mir darum das Poster gekauft, damit ich jemand anderen zum Reden hatte.

Dass er auch mit mir redete, fing an, kurz nachdem ich sein Buch gelesen hatte, Tony Hawk: Hawk. Beruf: Skateboarder. Dadurch hatte ich eine ungefähre Vorstellung von seinem Tonfall und was er wahrscheinlich sagen würde. Um ehrlich zu sein, wusste ich genau, was er zu mir sagen würde, weil es aus seinem Buch stammte. Ich hatte es damals so etwa vierzig- fünfzigmal gelesen und seitdem noch ein paarmal. Meiner Meinung nach ist es das beste Buch, das je geschrieben wurde, und zwar nicht nur, wenn man Skater ist. Jeder sollte es lesen, denn selbst wenn man nicht skatet, kann man einiges daraus lernen. Tony Hawk war ganz oben und ganz unten, und er hat viel mitgemacht, genau wie jeder Politiker oder Musiker oder Soap-Star. Na, jedenfalls, weil ich es vierzig- oder fünfzigmal gelesen hatte, kannte ich es mehr oder weniger auswendig. Als ich ihm von den Rock’n’Rolls erzählte, sagte er: »Nicht allzu schwer, aber das Fundament, um Balance und Boardkontrolle auf einer Rampe zu bekommen. Gut gemacht, Mann!«

Das »Gut gemacht, Mann!« war O-Ton-Gespräch, falls ihr versteht, was ich meine. Das war neu. Ich hab’s erfunden. Aber der Rest, das waren mehr oder weniger seine eigenen Worte. Okay, nicht mehr oder weniger. Genau. Irgendwie wünschte ich fast, ich würde sein Buch nicht so in- und auswendig kennen, denn dann hätte ich den Teil auslassen können, wo er sagt: »Nicht allzu schwer.« Das musste ich nicht unbedingt hören, nachdem ich sechs Monate geübt hatte, bis mal einer klappte. Ich wünschte, er hätte nur gesagt, na ja, ihr wisst schon: »He! Rock’n’Rolls sind das Fundament, um Balance und Boardkontrolle auf einer Rampe zu bekommen.« Aber »Nicht allzu schwer« wegzulassen, wäre nicht ehrlich gewesen. Wenn du dir Tony Hawk vorstellst, wie er über Rock’n’Rolls redet, hörst du ihn sagen: »Nicht allzu schwer.« Geht mir jedenfalls so. So ist es nun mal. Man kann die Geschichte nicht umschreiben oder einfach Einzelheiten auslassen, die einem nicht in den Kram passen.

Nach einer Weile redete ich dann mit Tony Hawk auch über andere Dinge – über die Schule, Mum, Alicia, was weiß ich – und stellte fest, dass er auch dazu einiges zu sagen hatte. Seine Worte kamen immer noch aus dem Buch, aber in dem Buch geht es ja auch um sein Leben, und nicht alles, was er sagt, dreht sich um Sacktaps und Shove-its.

Ich hab ihm zum Beispiel erzählt, wie ich meiner Mutter gegenüber völlig grundlos ausgerastet bin, und er sagte: »Ich war unmöglich. Ich weiß nicht, warum meine Eltern mich nicht mit Gaffa-Tape gefesselt haben, um mich mit einer Socke im Mund in einer Ecke kaltzustellen.« Und als ich ihm von einer wilden Prügelei in der Schule erzählte, sagte er: »Ich hielt mich aus allem Ärger raus, weil ich mit Cindy glücklich war.« Cindy war seine damalige Freundin. Nicht alles, was Tony Hawk sagte, war so hilfreich, wenn ich ehrlich bin, aber dafür konnte er nichts. Wenn ich im Buch nichts fand, das genau stimmte, musste ich mir die Sätze entsprechend zurechtbiegen. Und das Erstaunliche war, wenn man sie sich passend gemacht hatte, klangen sie immer vernünftig, wenn man gründlich über das nachdachte, was er sagte.

Von jetzt an ist Tony Hawk übrigens TH, denn so nenne ich ihn. Die meisten Leute nennen ihn den Birdman, weil er ja Hawk heißt und so, aber das ist mir ein bisschen zu amerikanisch. Außerdem sind die Leute in meiner Umgebung Herdentiere, für die ist Thierry Henry der einzige Sportler mit den Initialen TH. Ist er eben nicht, und es macht mir Spaß, sie vorzuführen. Die Buchstaben TH sind für mich so was wie mein persönlicher Geheimcode.

Aber eigentlich erwähne ich meine Unterhaltungen mit TH deswegen, weil ich noch weiß, wie ich ihm erzählt habe, dass alles so weit ganz gut lief. Es war sonnig, und ich hatte den größten Teil des Tages in Grind City verbracht, das ist, wie ihr vielleicht wisst oder auch nicht, ein Skatepark, ein kurzes Stück mit dem Bus von da, wo ich wohne. Okay, ihr werdet wahrscheinlich nicht wissen, dass er ein kurzes Stück mit dem Bus von unserem Haus entfernt ist, weil ihr nicht wisst, wo ich wohne, aber ihr habt vielleicht schon mal was von Skateparks gehört, wenn ihr cool seid oder wenigstens jemanden kennt, der cool ist. Na, Alicia und ich waren an dem Abend jedenfalls im Kino gewesen, das war das dritte oder vierte Mal, dass wir zusammen weggegangen waren, und ich stand wirklich total auf sie. Und als ich nach Haus kam, guckte meine Mutter mit ihrer Freundin Paula eine DVD, und sie schien mir ganz glücklich zu sein, obwohl das vielleicht nur Einbildung von mir war. Vielleicht war ich selber glücklich, weil sie die DVD mit Paula guckte und nicht mit Steve, dem saublöden Freund.

»Wie war der Film?«, fragte mich Mum.

»Ja, gut«, sagte ich.

»Habt ihr irgendwas davon mitbekommen?«, fragte Paula, und ich ging einfach auf mein Zimmer, weil ich keine Lust auf eins von diesen Gesprächen mit ihr hatte. Ich setzte mich aufs Bett und sah TH an und sagte zu ihm: »Es läuft gar nicht so übel.«

Und er sagte: »Das Leben war gut: Wir sind in ein neues, größeres Haus umgezogen, in einer Bucht, nah am Strand – und was sehr viel wichtiger ist – mit einem Tor.«

Wie gesagt, nicht alles, was TH zu sagen hat, passt hundertprozentig. Er kann nichts dafür. Sein Buch ist nur einfach nicht lang genug. Ich wünschte, es hätte eine Million Seiten, a) weil ich es dann wahrscheinlich noch nicht ausgelesen hätte und b) weil er mir dann zu jedem Thema etwas zu sagen hätte.

Ich erzählte ihm von meinem Tag bei Grind City und den Tricks, an denen ich gearbeitet hatte, und dann erzählte ich ihm auch solche Sachen, die ich bei meinen Gesprächen mit TH sonst weglasse. Ich erzählte ihm ein bisschen was über Alicia, und was mit Mum war, und dass Paula jetzt da saß, wo sonst Steve gesessen hatte. Er hatte dazu nicht viel zu sagen, aber ich hatte aus irgendeinem Grund den Eindruck, dass es ihn interessierte.

Klingt das für euch verrückt? Wahrscheinlich ja, aber das ist mir eigentlich egal. Wer redet nicht im Kopf mit irgendwem? Wer redet nicht mit Gott, einem Haustier oder jemand, den man geliebt hat und der gestorben ist, oder auch einfach mit sich selbst? TH … Er war nicht ich. Aber er war der, der ich gerne gewesen wäre, und damit die bestmögliche Version von mir selbst, und es kann ja nichts schaden, die bestmögliche Version von sich selbst an der Schlafzimmerwand zu haben, von der sie einem zusieht. Man hat dann das Gefühl, man dürfte sich selbst nicht enttäuschen.

Na, wie auch immer, ich will nur sagen, dass es mal eine Phase gab – sie dauerte vielleicht einen Tag, vielleicht zwei Tage, ich weiß nicht mehr so genau –, in der sich alles geregelt zu haben schien. Und dagegen musste man natürlich dringend etwas unternehmen.

zurück

2

Noch ein paar Dinge, ehe es weitergeht. Erstens, meine Mum war zu der Zeit, über die ich rede, zweiunddreißig. Sie ist zwei Jahre älter als David Beckham, ein Jahr älter als Robbie Williams, vier Jahre jünger als Jennifer Aniston. Sie hat diese ganzen Daten im Kopf. Auf Wunsch kann sie die Liste noch beliebig verlängern. Es sind allerdings keine sehr viel jüngeren Menschen auf der Liste. Sie sagt nie: »Ich bin vierzehn Jahre älter als Joss Stone«, oder so was in der Art. Sie kennt nur gut aussehende Leute ungefähr in ihrem Alter.

Eine Zeit lang war mir gar nicht richtig aufgefallen, dass sie nicht alt genug war, um einen fünfzehnjährigen Sohn zu haben, aber speziell in diesem letzten Jahr fing es an, ein wenig sonderbar auszusehen. Zuerst mal wuchs ich glatte zehn Zentimeter, und darum halten sie neuerdings viele für meine Tante oder sogar für meine Schwester. Und als würde das noch nicht reichen … Es gibt einfach keine gute Art, es auszusprechen. Ich sage euch, was ich machen werde. Ich werde ein Gespräch zwischen mir und Rabbit wiedergeben, das ist ein Typ, den ich vom Skaten kenne. Er ist so etwa zwei Jahre älter als ich, und er kommt auch zu Grind City, und wir begegnen uns von Zeit zu Zeit mit unseren Boards an der Bushaltestelle oder im Bowl, dem anderen Skateplatz, wenn wir keinen Bock haben, zu Grind City zu fahren. Ist natürlich kein echter Bowl, sondern so eine Art Betonweiher, der eigentlich die Wohnungen um die Ecke heiterer machen sollte, aber es ist kein Wasser mehr drin, weil sie auf einmal befürchteten, die Kinder könnten darin ertrinken. Sie hätten sich davor fürchten müssen, dass Kinder daraus trinken könnten, wenn ihr mich fragt, weil die Leute auf dem Heimweg vom Pub reingepinkelt haben und so was. Er ist jetzt trocken, und wenn man gerade was zum Skaten sucht und nur eine halbe Stunde Zeit hat, ist er ideal. Es gibt drei von uns, die ihn die ganze Zeit benutzen – ich, Rabbit und Schrott, der eigentlich als Skater total Schrott ist, weswegen wir ihn ja auch Schrott oder Schrotti nennen, aber er redet wenigstens halbwegs vernünftig. Wenn man was über Skaten lernen will, muss man Rabbit zugucken. Wenn man ein Gespräch führen will, das nicht komplett irrsinnig ist, wendet man sich an Schrotti. In einer perfekten Welt gäbe es jemanden, der Rabbits Können und Schrottis Gehirn in sich vereint, aber wie ihr wisst, leben wir nun mal nicht in einer perfekten Welt.

An diesem einen Abend probierte ich also im Bowl rum, und Rabbit war auch da, und … Wie gesagt, Rabbit ist nicht gerade ein Geistesriese, aber trotzdem. Hier kommt’s, was er gesagt hat.

»Yo, Sam«, hat er gesagt.

Hab ich schon gesagt, dass ich Sam heiße? Okay, dann wisst ihr es jetzt.

»Alles klar?«

»Wie läuft es, Mann?«

»Okay.«

»Alles klar. He, Sam, jetzt weiß ich, was ich dich fragen wollte. Du kennst doch deine Mutter.«

Hab ich nicht gesagt, Rabbit ist extrem verblödet? Ja, antwortete ich ihm. Ja, meine Mum kannte ich. »Hat sie im Moment irgendwen?«

»Meine Mum?«

»Ja.«

»Warum willst du wissen, ob meine Mum im Moment irgendwen hat?«, fragte ich ihn.

»Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß«, sagte er. Und wurde rot.

Ich traute meinen Ohren nicht. Rabbit wollte was mit meiner Mutter anfangen! Ich sah plötzlich vor mir, wie ich in die Wohnung komme und die zwei zusammengekuschelt auf dem Sofa liegen und eine DVD gucken, und ich musste grinsen. Meine Mum hatte nicht das beste Urteilsvermögen, was Männer anging, aber so blöd war sie auch wieder nicht.

»Was gibt es da zu grinsen?«, fragte Rabbit.

»Nein, nein, nichts. Aber … Wie alt schätzt du meine Mum?«

»Wie alt? Keine Ahnung.«

»Rat mal.«

Er starrte in den Himmel, als versuchte er sie dort oben zu sehen.

»Dreiundzwanzig? Vierundzwanzig?«

Diesmal lachte ich nicht. Rabbit war ein dermaßener Schwachkopf, dass Lachen irgendwie nicht mehr genügte.

»Na ja«, sagte ich. »Ich geb dir eine Hilfestellung. Wie alt bin ich?«

»Du?«

Er sah da keinen Zusammenhang.

»Ja, ich.«

»Keine Ahnung.«

»Okay. Ich bin fünfzehn.«

»Klar. Und weiter?«

»Also. Sagen wir mal, sie war zwanzig, als sie mich bekommen hat.« Ich wollte nicht sagen, wie alt sie wirklich war. Das wäre vielleicht nicht alt genug gewesen, um ihn abzuschrecken.

»Ja.« Plötzlich ging ihm ein Licht auf. »O Mann. Sie ist deine Mutter. Hab ich ja nie geschnallt. Ich meine, ich wusste, dass sie deine Mum ist, aber ich hab nie, irgendwie, na ja, nachgerechnet … Scheiße. Hör mal, sag ihr bloß nicht, dass ich gefragt hab, okay?«

»Warum nicht? Sie würde sich geschmeichelt fühlen.«

»Ja, aber weißt du. Fünfunddreißig. Da hat sie wahrscheinlich schon Panik. Und ich will keine Freundin, die fünfunddreißig ist.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn du ganz sicher bist.«

Und damit hatte es sich. Aber ihr versteht sicher, was ich sagen will, oder? Rabbit ist nicht der Einzige. Meine anderen Freunde würden nie was sagen, aber daran, wie sie mit ihr reden, merke ich, dass sie sie okay finden. Ich seh das nicht, aber andererseits sieht man es ja nie, wenn man mit jemandem verwandt ist, oder? Und es kommt ja auch nicht darauf an, was ich denke. Der Punkt ist, dass ich eine zweiunddreißigjährige Mutter habe, auf die andere Leute – Leute meines Alters – stehen.

Und jetzt das andere, was ich noch erzählen wollte. Die Geschichte meiner Familie ist, soweit ich das beurteilen kann, immer wieder dieselbe in Grün. Irgendwer – meine Mum, mein Dad, mein Großvater – geht zunächst mal davon aus, dass er einen guten Schulabschluss machen wird, dann vielleicht studieren und sich eine goldene Nase verdienen wird. Aber stattdessen stellt er irgendwas Dummes an und versucht dann für den Rest seines Lebens, diesen Fehler wieder auszubügeln. Manchmal hat man den Eindruck, als würden es Kinder immer weiterbringen als ihre Eltern. Ihr wisst schon – der Vater war vielleicht Bergmann oder so was, aber sein Sohn spielt dann für ein Erstligateam oder gewinnt bei Pop Idol oder erfindet das Internet. Bei diesen Storys hat man das Gefühl, als wäre alle Welt auf dem Weg nach oben. Aber in meiner Familie rutschen die Leute immer schon auf der ersten Stufe aus. Ach was, die meiste Zeit finden sie noch nicht mal die Treppe.

Den Fehler meiner zweiunddreißigjährigen Mum zu erraten, ist nicht weiter preisverdächtig, dasselbe gilt für meinen dreiunddreißigjährigen Dad. Mums Dad beging den Fehler, zu glauben, er würde Fußballer werden. So sollte er sich eine goldene Nase verdienen. Man bot ihm einen Platz in der Jugendmannschaft der Queens Park Rangers an, damals, als die Rangers noch gut waren. Also schmiss er die Schule und unterschrieb, und er hielt sich sogar ein paar Jahre. Heutzutage lassen sie die Kids ihre Abschlüsse machen, sagt er, damit sie was haben, worauf sie zurückgreifen können, wenn nichts aus ihnen wird. Ihn haben sie gar nichts machen lassen, und mit achtzehn war er draußen, nichts gelernt, ohne Ausbildung. Meine Mutter geht davon aus, dass sie auf die Uni hätte gehen können, stattdessen war sie mit knapp siebzehn schon verheiratet.

Alle dachten, ich würde irgendwas Dummes mit Skateboardfahren anstellen, und ich versuchte ihnen immer wieder klarzumachen, dass es für mich da nichts Dummes anzustellen gab. Tony Hawk wurde Profi, als er vierzehn war, aber selbst in Kalifornien konnte er erst mal eine Weile kein Geld damit verdienen. Wie sollte ich in Islington Profi werden? Wer würde mich schon bezahlen? Und wofür? Also hörten sie auf, sich darüber Sorgen zu machen, und machten sich stattdessen über die Schule Sorgen. Ich wusste, wie viel ihnen das bedeutete. Mir bedeutete es auch viel. Ich wollte der Erste in unserer Familie sein, der den Schulabschluss im ersten Anlauf schaffte. (Meine Mutter hat den Schulabschluss später nachgeholt, den sie sich nur verbaut hatte, weil sie mich kriegte.) Ich würde der Einzige sein, der dieses Muster durchbrach. Dass Mrs Gillett mich fragte, ob ich nicht Kunst und Design studieren wollte … Das war ein großer Moment. Ich ging direkt nach Hause und erzählte es Mum. Jetzt wünschte ich, ich hätte es für mich behalten.

Alicia war nicht auf meiner Schule. Das gefiel mir. Ich bin schon mit Mädchen aus der Schule gegangen, aber es kommt einem manchmal kindisch vor. Sie schreiben dir Zettelchen, und selbst wenn sie nicht in deiner Klasse sind, läufst du ihnen fünfzigmal am Tag über den Weg. Man hat sie schon satt, bevor überhaupt irgendwas gelaufen ist, so ungefähr. Alicia war auf der St. Mary and St. Michael, und es gefiel mir, von Lehrern zu hören, die ich nicht kannte, und von Kids, die ich nie kennenlernen würde. Da hatte man mehr Gesprächsstoff. Man langweilt sich schnell mit jemandem, der jeden Pickel in Darren Holmes’ Gesicht kennt.

Alicias Mum kannte meine Mum aus dem Gemeinderat. Meine Mum arbeitet beim Gemeinderat, und Alicia ist Stadträtin, das ist so was wie Premierminister, bloß, dass man nicht das ganze Land regiert. Man regiert bloß einen winzigen Teil von Islington. Oder Hackney, oder was weiß ich wo. Irgendwie ist das Ganze eher Zeitverschwendung. Ist ja nicht so, als dürfte man Osama bin Laden bombardieren oder so. Man redet nur darüber, was man anstellen soll, um mehr Teenager in die Stadtbüchereien zu locken, und dabei hatte Mum Alicias Mum kennengelernt.

Na, jedenfalls, Alicias Mum hatte Geburtstag, und es gab eine Party, zu der sie meine Mum einlud. Und außerdem bat sie meine Mum, mich mitzubringen. Meine Mum behauptete, Alicia hätte gesagt, sie würde mich gern mal kennenlernen. Ich glaubte nicht daran. Wer sagt denn so was? Ich nicht. Und Alicia auch nicht, jetzt, wo ich sie kenne. Ich würde TH gern kennenlernen, und Alicia würde gern, was weiß ich, Kate Moss oder Kate Winslet oder sonst ein Promi-Mädchen mit hübschen Klamotten kennenlernen. Aber wer läuft schon rum und sagt, er würde gern mal den Sohn einer Frau treffen, die seine Mutter aus dem Gemeinderat kennt? Wenn ihr mich fragt, versuchte Alicias Mum, ein paar Freunde für sie zu finden. Beziehungsweise ein paar Freunde oder einen Freund für sie zu finden, mit dem sie einverstanden ist. Tja, das ging daneben, was?

Ich weiß gar nicht genau, warum ich hingegangen bin, wenn ich so überlege. Nein, stimmt nicht ganz. Ich bin gegangen, weil ich meiner Mum gesagt habe, ich wollte nicht mitgehen und auch kein Mädchen kennenlernen, das ihr gefiel. Und meine Mum sagte darauf: »Glaub mir, das willst du.«

Und sie sagte das todernst, was mich überraschte. Ich sah sie an.

»Woher willst du das wissen?«

»Weil ich sie kennengelernt habe.«

»Und du glaubst, sie ist jemand, den ich mögen würde?«

»Soweit ich es sagen kann, ist sie jemand, den jeder Junge mögen würde.«

»Soll heißen, sie ist eine Schlampe?«

»Sam!«

»Tut mir leid. Aber so hört es sich an.«

»Das ist genau das, was ich nicht gesagt habe. Ich habe sehr darauf geachtet. Ich sagte, jeder Junge mag sie. Ich sagte nicht, dass sie jeden Jungen mag. Ist dir der Unterschied bewusst?«

Mum denkt immer, ich bin sexistisch, also versuche ich mich in Acht zu nehmen – nicht nur ihr gegenüber, sondern bei jedem. Manchen Mädchen scheint es sehr darauf anzukommen. Wenn du zur richtigen Sorte Mädchen was Nicht-Sexistisches sagst, mag sie dich lieber. Angenommen, einer deiner Kumpel sagt, Mädchen wären dumm, und du sagst: »Nicht alle Mädchen sind dumm«, dann lässt dich das gut dastehen. Es müssen natürlich Mädchen zuhören, das ist klar. Andernfalls ist es Zeitverschwendung.

Aber Mum hatte recht. Sie hatte nicht gesagt, Alicia wäre eine Schlampe. Sie hatte nur gesagt, Alicia wäre scharf, und das ist schon was anderes, oder? Ich hasse es, wenn sie mich drankriegt, wie gerade eben. Aber egal, es hat mein Interesse geweckt. Wenn Mum jemanden als scharf bezeichnet … Das machte es irgendwie amtlich. Ich schätze, ich wollte unbedingt wissen, wie jemand aussieht, der das amtliche Schärfesiegel hat. Das hieß noch lange nicht, dass ich mit ihr reden wollte. Aber ansehen wollte ich sie mir.

Ich hatte kein Interesse an einer Freundin, dachte ich jedenfalls. Ich war noch nie länger als sieben Wochen mit einem Mädchen zusammen, und drei von den sieben zählen nicht, weil wir uns eigentlich kaum gesehen haben. Ich wollte sie abschießen, sie wollte mich abschießen, also gingen wir uns aus dem Weg. So blieben wir beide unabgeschossen. Davon abgesehen waren es immer nur mal zwei Wochen hier, drei Wochen da. Ich wusste, dass ich mich später mehr würde reinhängen müssen, aber ich fand, ich konnte beim Skaten mit Rabbit mehr Spaß haben, als wenn ich bei McDonald’s rumsaß und mit irgendwem, den ich kaum kannte, kaum ein Wort redete.

Meine Mum machte sich für die Party schick, und sie sah gar nicht übel aus. Sie trug ein schwarzes Kleid und ein bisschen Make-up, und man merkte, dass sie sich Mühe gegeben hatte.

»Na, was meinst du?«, fragte sie.

»Ja. Ganz passabel.«

»Heißt das passabel im Sinne von gut oder passabel im Sinne von geht so?«

»Ein bisschen besser als geht so. Nicht so gut wie richtig gut.«

Aber sie wusste, dass ich nur Spaß machte, also gab sie mir nur einen Klaps.

»Dem Anlass entsprechend?«

Ich wusste, was das bedeutete, aber ich machte ein Gesicht, als hätte sie gerade was auf Japanisch gesagt, und sie seufzte.

»Es ist eine Party zum fünfzigsten Geburtstag«, sagte sie. »Meinst du, ich sehe dafür richtig aus? Oder deplatziert?«

»Zum fünfzigsten?«

»Ja.«

»Sie ist fünfzig?«

»Ja.«

»Scheiße, nee. Wie alt ist ihre Tochter? Dreißig oder was? Was soll ich mit einer Dreißigjährigen anfangen?«

»Sechzehn. Das hab ich dir doch gesagt. Das ist normal. Du kriegst ein Baby, wenn du vierunddreißig bist, so wie ich es auch hätte machen sollen, dann ist sie sechzehn, wenn du fünfzig wirst.«

»Dann war sie ja älter als du jetzt bist, als sie das Kind gekriegt hat.«

»Alicia. Ja. Und wie gesagt. Das ist nicht abartig. Es ist normal.«

»Ich bin froh, dass du nicht fünfzig bist.«

»Warum? Was würde sich denn für dich dadurch ändern?«

Eigentlich hatte sie recht. Irgendwie machte es keinen großen Unterschied für mich.

»Ich bin an deinem Fünfzigsten vierunddreißig.«

»Und?«

»Ich darf mich dann betrinken. Und du kannst nichts dagegen sagen.«

»Das ist das beste Argument dafür, mit sechzehn ein Kind zu bekommen, das ich je gehört habe. Eigentlich sogar das einzige.«

Es gefiel mir nicht, wenn sie solche Dinge sagte. Ich hatte dann immer den Eindruck, als sei es irgendwie meine Schuld. Als hätte ich sie dazu überredet, mich achtzehn Jahre zu früh rauszulassen. Das ist eben so, wenn man ein ungewolltes Kind ist, und das war ich nun mal, man muss es sehen, wie es ist. Du musst dir immer ins Gedächtnis rufen, dass es ihre Idee war, nicht deine.

Sie lebten in einem dieser großen alten Häuser um den Highbury New Park. Ich war noch nie in einem davon gewesen. Mum kennt Leute, die in solchen Häusern wohnen, durch ihre Arbeit und ihre Buchgruppe, aber ich nicht. Wir lebten nur etwa eine halbe Meile von ihnen entfernt, aber ich hatte nie einen Grund gesehen, mich in Alicias Gegend zu begeben, bis ich sie kennenlernte. Alles an ihrem Haus war anders als bei uns. Ihres war groß, und wir wohnten in einer Etagenwohnung. Ihres war alt, unseres neu. Bei ihr war es unordentlich und ein bisschen verstaubt, und bei uns war es ordentlich und sauber. Und sie hatten überall Bücher. Nicht, dass wir zu Hause keine Bücher hatten. Aber es war mehr so, dass Mum hundert hatte, und ich hatte dreißig. Sie hatten beide so an die zehntausend, so sah es zumindest aus. Ein Bücherregal war im Flur, und noch mehr die Treppe hoch, und oben auf den Bücherregalen stapelten sich noch mehr Bücher. Und unsere waren alle neu, während ihre alt waren. Mir gefiel bei uns alles besser, außer dass ich wünschte, wir hätten mehr als zwei Zimmer. Wenn ich daran dachte, wie meine Zukunft wohl werden würde, sah ich genau das vor mir: ein Haus mit ganz vielen Zimmern. Ich wusste nicht, was ich damit anfangen würde, denn ich wollte allein leben, wie so ein Skater, den ich mal auf MTV gesehen hatte. Er hatte so ein monstermäßiges Haus mit Swimmingpool und einem Pooltisch und einem Mini-Haus-Skatepark mit gepolsterten Wänden und einer Vert Ramp und einer Halfpipe. Und er hatte keine Freundin dort bei sich wohnen, keine Eltern, nichts. So was wollte ich auch. Ich wusste nicht, wie ich da rankommen sollte, aber das war egal. Ich hatte ein Ziel.

Mum sagte Hallo zu Andrea, Alicias Mum, und dann schickte mich Andrea rüber zu Alicia, um Hallo zu sagen. Alicia sah nicht aus, als wollte sie Hallo sagen. Sie rekelte sich auf dem Sofa und blätterte in einer Zeitschrift, obwohl es eine Party war, und als ihre Mum und ich zu ihr herüberkamen, benahm sie sich, als hätte der langweiligste Abend ihres Lebens gerade eine Wende zum Schlechteren genommen.

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wenn Eltern mich verkuppeln, finde ich automatisch, dass die Person, mit der ich verkuppelt werden soll, der größte Schwachkopf von ganz Großbritannien ist. Da konnte sie aussehen, wie Britney Spears mal ausgesehen hat, und Hawk. Beruf: Skateboarder für das beste Buch halten, das je geschrieben wurde, es hätte nichts geändert. Wenn die Idee von meiner Mum kam, war ich nicht interessiert. Der Witz bei Freunden ist doch gerade, dass man sie sich selbst aussucht. Ist schlimm genug, dass einem die Verwandten aufgezwungen werden, deine Tanten und Onkel und Vettern und Kusinen. Wenn ich mir noch nicht mal meine Freunde selbst aussuchen dürfte, würde ich wahrscheinlich nie wieder mit einem anderen Menschen reden. Da würde ich lieber allein auf einer einsamen Insel leben, solange sie aus Beton war und ich mein Board dabeihatte. Auf einer einsamen Verkehrsinsel, haha.

Andererseits. Es war ja okay, wenn ich mit niemandem reden wollte, aber für wen hielt die sich, dass sie da saß, eine Schnute machte und in die andere Richtung guckte? Sie hatte wahrscheinlich noch nie von Tony Hawk oder Green Day oder sonst was Coolem gehört, was maßte sie sich überhaupt an?

Ich überlegte mir, einfach noch pampiger als sie zu sein. Sie saß auf dem Sofa, ganz nach unten gerutscht, die Beine lang gestreckt, und schaute von mir weg zum Buffet an der gegenüberliegenden Wand. Ich ließ mich genauso weit runterrutschen, streckte meine Beine aus und starrte auf das Bücherregal neben mir. Wir waren so liebevoll arrangiert, dass wir wie Plastikmodelle ausgesehen haben müssen, wie irgendwas, das man in einem Happy Meal findet.

Ich machte mich über sie lustig, und sie wusste es, aber anstatt noch saurer zu reagieren, was auch eine Möglichkeit gewesen wäre, entschied sie sich, lieber zu lachen. Und als sie lachte, machte plötzlich irgendwas in mir klick. Ganz plötzlich wollte ich das Mädchen unbedingt dazu bringen, mich zu mögen. Und wie ihr euch wahrscheinlich denken könnt, hatte meine Mutter recht. Sie war ganz offiziell bildhübsch. Sie hätte sich ihre Schönheit von der Gemeinde Islington amtlich beglaubigen lassen können, wenn sie gewollt hätte, und dazu hätte nicht mal ihre Mutter ihre Verbindungen spielen lassen müssen. Sie hatte – beziehungsweise hat – diese riesigen grauen Augen, die mir tatsächlich ein- oder zweimal physische Schmerzen bereitet haben, irgendwo zwischen Kehle und Brust. Und sie hat dieses strohfarbene Wahnsinnshaar, das immer gleichzeitig unordentlich und cool aussieht, und sie ist groß, aber nicht so knochig und flachbrüstig, wie viele große Mädchen sind, und sie ist nicht größer als ich, und dann noch ihre Haut, die ist irgendwie wie, wie Pfirsichhaut und so … Ich bin total miserabel im Leute-Beschreiben. Ich kann nur sagen, als ich sie sah, war ich sauer auf Mum, weil sie mich nicht an der Gurgel gepackt und zusammengeschissen hatte. Okay, sie hat mir einen kleinen Wink gegeben, aber der hätte wesentlich energischer sein müssen. So was in der Art wie: »Wenn du nicht mitkommst, wirst du es jede Minute für den Rest deines Lebens bedauern, du Schwachkopf.«

»Du darfst natürlich nicht gucken«, sagte ich zu Alicia.

»Wer hat gesagt, dass ich über dich gelacht habe?«

»Du hast entweder über mich gelacht, oder du bist nicht richtig im Kopf. Es gibt hier sonst nichts zu lachen.«

Das stimmte nicht ganz. Sie hätte für den Anfang schon mal über die Tanzversuche ihres Vaters lachen können. Und es gab jede Menge Hosen und Hemden, die ziemlich lustig waren.

»Vielleicht habe ich über was gelacht, was mir gerade wieder eingefallen ist«, sagte sie.

»Zum Beispiel?«

»Keine Ahnung. Es passieren doch jede Menge lustige Dinge, oder?«

»Und über die alle auf einmal hast du gelacht?«

Und das ging eine Zeit lang so, wir alberten rum. Ich entspannte mich langsam. Ich hatte sie zum Reden gebracht, und wenn ich ein Mädchen erst zum Reden gebracht hab, ist sie mir verfallen, dann gibt es für sie kein Entkommen mehr. Aber dann hörte sie auf zu reden.

»Was ist?«

»Du bildest dir wohl ein, du machst Fortschritte, was?«

»Woran merkst du das?« Ich war geschockt. Genau das hatte ich mir eingebildet.

Sie lachte. »Als du angefangen hast, mit mir zu reden, war kein einziger Muskel an deinem Körper entspannt. Und jetzt bist du total …« Und sie warf ihre Arme und Beine von sich, als würde sie jemanden darstellen, der zu Hause auf dem Sofa vor dem Fernseher hängt. »Tja, so ist es jedenfalls nicht«, sagte sie. »Noch nicht. Und vielleicht wird es nie so sein.«

»Okay«, sagte ich. »Danke.« Ich fühlte mich ungefähr drei Jahre alt.

»So hab ich das nicht gemeint«, sagte sie. »Ich meinte nur, na ja, du musst es weiter versuchen.«

»Vielleicht will ich es nicht weiter versuchen.«

»Ich weiß, dass das nicht stimmt.«

Ich drehte mich zu ihr um, um zu sehen, wie ernst sie es meinte, und ich merkte, dass es halb augenzwinkernd gemeint war, also konnte ich ihr gerade so vergeben, dass sie es gesagt hatte. Sie wirkte älter als ich, und ich kam zu dem Schluss, dass es daran lag, dass sie viel mit Jungen zu tun hatte, die sich innerhalb von zwei Sekunden in sie verliebten.

»Wo möchtest du jetzt lieber sein?«, fragte sie mich.

Ich war nicht sicher, was ich sagen sollte. Ich wusste die Antwort. Die Antwort war, dass ich nirgendwo lieber wäre. Aber wenn ich ihr das sagte, war ich erledigt.

»Keine Ahnung. Skaten wahrscheinlich.«

»Du skatest?«

»Ja. Nicht auf dem Eis. Skateboarden.« Ich weiß, ich hab gesagt, ich würde das Wort nie wieder verwenden, aber manchmal brauche ich es. Nicht jeder ist so cool wie ich.

»Ich weiß, was Skaten ist, danke.«

Sie machte zu viele Punkte. Ich brauchte bald einen Taschenrechner, um sie zusammenzuziehen. Aber ich wollte nicht übers Skaten reden, ehe ich wusste, was sie davon hielt.

»Was ist mit dir? Wo möchtest du jetzt lieber sein?«

Sie zögerte, als sei sie kurz davor, etwas Peinliches zu sagen.

»Eigentlich wäre ich am liebsten hier, auf diesem Sofa.«

Zum zweiten Mal war es so, als wüsste sie, was ich dachte, nur war es diesmal noch besser. Sie hatte die Antwort erraten, die ich gerne gegeben hätte, und verkaufte sie als ihre eigene. Ihr Punktestand würde in die Milliarden gehen.

»Genau hier. Aber mit niemand sonst im Raum.«

»Oh.« Ich merkte, dass ich rot wurde, und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Sie sah mich an und lachte.

»Niemand«, sagte sie. »Dich eingeschlossen.«

Streicht die Milliarden. Ja, sie konnte sehen, was ich dachte. Aber sie wollte ihre Superkräfte zum Bösen, nicht zum Guten einsetzen.

»Tut mir leid, wenn das unhöflich klang. Aber ich hasse es, wenn meine Eltern Partys geben. Da möchte ich am liebsten allein fernsehen. Ich bin langweilig, oder?«

»Nein, natürlich nicht.«

Manche Menschen hätten sie dafür gehalten. Sie hätte für ein paar Sekunden jeden Ort auf der Welt aussuchen können und entschied sich für ihr eigenes Zuhause, um ungestört Pop Idol zu gucken. Aber diese Menschen hätten nicht verstanden, warum sie gesagt hatte, was sie sagte. Sie hatte es gesagt, um mich auf die Palme zu bringen. Sie wusste, dass ich, wenn auch nur für eine Sekunde, gedacht hatte, es käme etwas Romantisches. Sie wusste, dass ich hoffte, sie würde sagen: »Genau hier, mit niemand sonst im Raum, außer dir.« Und die letzten beiden Worte hatte sie weggelassen, um mich zu zertreten. Ich fand das eigentlich richtig clever. Grausam, aber clever. »Du hast also keine Geschwister?«

»Was hat das denn damit zu tun?«

»Dass du, wenn deine Eltern keine Party geben würden, Gelegenheit hättest, allein fernzusehen.«

»Oh. Ja, stimmt irgendwie. Ich habe einen Bruder. Er ist neunzehn. Er ist auf dem College.«

»Was studiert er?«

»Musik.«

»Was für Musik magst du?«

»Oh, ganz smooth.«

Für einen Moment dachte ich, sie hätte gemeint, dass sie smoothe Musik mochte, aber dann wurde mir klar, dass sie sich über meine Versuche, ein Gespräch in Gang zu bringen, lustig machte. Jetzt machte sie mich langsam irre. Entweder wir unterhielten uns oder eben nicht. Und wenn ja, dann war es ganz okay, zu fragen, was für Musik sie mochte. Die Frage war vielleicht nicht unglaublich originell, aber bei ihr hörte es sich an, als würde ich sie zum wiederholten Mal bitten, sich auszuziehen.

Ich stand auf.

»Wo willst du hin?«

»Ich glaube, ich geh dir auf die Nerven, und das tut mir leid.«

»Du bist okay. Setz dich wieder.«

»Du kannst dir gerne vorstellen, es wäre sonst niemand hier. Du kannst allein hier sitzen und nachdenken.«

»Und was willst du machen? Mit wem unterhältst du dich?«

»Mit meiner Mum.«

»Ach, wie süß.«

Jetzt reichte es mir.

»Hör zu. Du siehst toll aus. Das Problem ist nur, dass du es weißt und du denkst, deshalb könntest du die Leute wie Dreck behandeln. Tja, tut mir leid, aber so nötig hab ich es noch nicht.«

Und ich ließ sie da sitzen. Es war eine meiner Sternstunden: Ich brachte alle Sätze flüssig raus, ich meinte alles, was ich gesagt hatte, und ich war froh, dass ich es gesagt hatte. Und es ging mir auch nicht um den reinen Effekt. Ich war wirklich gründlich angekotzt von ihr, ungefähr zwanzig Sekunden lang. Nach zwanzig Sekunden beruhigte ich mich und suchte nach irgendeinem Weg, das Gespräch wieder aufzunehmen. Und ich hoffte, dass sich mehr daraus entwickeln würde – ein Kuss, dann die Hochzeit, nachdem wir ein paar Wochen miteinander gegangen waren. Aber ich fand es ätzend, wie ich mich in ihrer Gegenwart fühlte. Ich war zu nervös, zu eifrig, keinen Fehler zu machen, ich war einfach jämmerlich. Wenn wir wieder miteinander redeten, dann nur, wenn sie es wollte.

Meine Mum unterhielt sich mit einem Kerl, und sie war nicht begeistert, mich zu sehen. Ich hatte den Eindruck, dass das Gespräch bisher noch nicht auf mich gekommen war, ihr versteht schon. Ich weiß, dass sie mich liebt, aber ab und zu, in genau solchen Situationen, vergisst sie gerne, ihren fünfzehnjährigen Sohn zu erwähnen.

»Das ist mein Sohn, Sam«, sagte meine Mum. Aber ich merkte, dass sie mich lieber als ihren Bruder ausgegeben hätte. Oder ihren Dad. »Sam, das ist Ollie.«

»Ollie«, sagte ich und lachte. Er guckte verstimmt, meine Mutter guckte stinksauer, also versuchte ich zu erklären.

»Ollie«, sagte ich noch mal, als würden sie es kapieren, aber das taten sie nicht.

»Du weißt schon«, sagte ich zu meiner Mum.

»Nein«, sagte sie.

»Wie der Skate-Trick.« Es gibt nämlich einen Trick, der Ollie heißt.

»Und das soll lustig sein?«

»Ja«, sagte ich. Aber ich war nicht mehr sicher. Ich glaube, ich war nach dem Gespräch mit Alicia noch verwirrt und nicht ganz auf der Höhe.

»Sein Name ist Oliver«, sagte sie. »Nehme ich jedenfalls an.« Sie sah ihn an, und er nickte. »Hast du den Namen Oliver schon mal gehört?«

»Ja, aber …«

»Also abgekürzt Ollie.«

»Ja, ich weiß, aber …«

»Was wäre, wenn er Mark hieße?«

»Nicht lustig.«

»Nein? Aber, du weißt doch … Mark! Wie Markklößchen! Hahaha!«, sagte Mum.

Geh nie mit deiner Mutter auf eine Party.

»Markklößchen!«, sagte sie noch mal.

Dann kam Alicia zu uns rüber, und ich warf meiner Mum einen Blick zu, der sagen sollte: »Wenn du noch ein Mal ›Markklößchen‹ sagst, kriegt Ollie einiges zu hören, das du ihm lieber verschweigen würdest.« Ich glaube, sie verstand mich.

»Du gehst doch noch nicht, oder?«, fragte Alicia.

»Keine Ahnung.«

Sie nahm mich an der Hand und zog mich zurück zum Sofa.

»Setz dich. Du hattest ganz recht, mich sitzen zu lassen. Ich weiß nicht, warum ich so zu dir war.«

»Weißt du wohl.«

»Warum denn?«

»Weil die Leute es dir durchgehen lassen, dass du so bist.«

»Können wir noch mal neu anfangen?«

»Wenn du willst«, sagte ich. Ich war nicht sicher, ob sie es konnte. Ihr kennt das doch, dass man nicht die Augen verdrehen soll, weil es zwölf Uhr schlägt, schlagen und man so bleiben könnte? Na ja, und ich fragte mich, ob es zwölf geschlagen hatte und sie für immer pampig und großkotzig bleiben würde.

»Okay«, sagte sie. »Ich mag ein paar Hip-Hop-Sachen, aber nicht viele. Die Beastie Boys und Kanye West. Bisschen Hip-Hop, bisschen R&B. Justin Timberlake. Kennst du REM? Die hört mein Dad gerne, und ich mittlerweile auch. Und ich spiele Klavier, darum höre ich manchmal auch klassische Sachen. Da. Damit hab ich mir keinen Zacken aus der Krone gebrochen, oder?«

Ich lachte. Und damit war es gegessen. Das war der Moment, von dem an sie mich nicht mehr wie einen Feind behandelte. Ganz plötzlich war ich ein Freund, und diesen Umschwung hatte ich einfach durch Weggehen bewirkt.

Es war besser, ein Freund als ein Feind zu sein, ist ja klar. Ich hatte immer noch eine Party durchzustehen, und wenn ich eine gute Freundin hatte, hatte ich jemand, mit dem ich reden konnte. Ich hatte nicht vor, danebenzustehen und mir anzuhören, wie meine Mutter wiehernd über Ollies schlechte Witze lachte, also musste ich mich an Alicia halten. Kurzfristig war ich also froh, dass wir Freunde waren. Auf lange Sicht wusste ich allerdings nicht so recht. Damit meine ich nicht, dass Alicia kein guter Kumpel gewesen wäre, denn das wäre sie bestimmt gewesen. Sie wäre ein fantastischer Kumpel gewesen. Sie war witzig, und ich kannte nicht allzu viele Leute wie sie. Aber schon in diesem Stadium wusste ich, dass ich nicht ihr Kumpel sein wollte, ihr versteht, worauf ich hinauswill, und ich machte mir Sorgen, wenn sie mich ab jetzt wie einen Kumpel behandelte, hätte ich nicht die mindeste Aussicht, irgendwann mehr als das zu sein. Ich weiß, das ist falsch. Mom sagt mir immer wieder, dass Freundschaft zuerst kommen muss, vor allem anderen. Aber mir kam es so vor, als hätte sie mich, als ich auf die Party kam, zuerst als potenziellen richtigen Freund in Betracht gezogen und wäre darum so bissig und widerborstig gewesen. Was ich nicht wusste, war, ob sie aus einem bestimmten Grund plötzlich so zahm war. Manche Mädchen sind nämlich so. Manchmal weißt du, dass du Chancen bei einem Mädchen hast, weil es sich mit dir streiten will. Wenn die Welt nicht so verkorkst wäre, wäre es anders. Wäre die Welt normal, wäre es ein gutes Zeichen, wenn ein Mädchen nett zu dir ist, aber in der wirklichen Welt ist das anders.

Wie sich dann herausstellte, war es ein gutes Zeichen, dass Alicia nett zu mir war, also ist die Welt vielleicht gar nicht so verkorkst, wie ich dachte. Und ich kapierte sogar relativ schnell, dass es ein gutes Zeichen war, weil sie über Dinge zu reden begann, die wir zusammen machen könnten. Sie sagte, sie wollte zu Grind City kommen, um mich skaten zu sehen, und dann fragte sie mich, ob ich Lust hätte, mit ihr ins Kino zu gehen.

Da bekam ich schon Schmetterlinge im Bauch. Es hörte sich für mich an, als hätte sie schon beschlossen, dass wir miteinander gehen würden, aber nichts ist jemals so einfach, oder? Und außerdem, wieso hatte sie keinen festen Freund? Alicia hätte jeden haben können, meiner Meinung nach. Vielleicht war es sogar eine objektive Tatsache.

Als sie diese mögliche Verabredung zum Kino ansprach, versuchte ich, na ja, so blah wie möglich zu sein, nur um zu sehen, wie sie reagieren würde.

»Mal sehen, was bei mir geht«, sagte ich.

»Was bedeutet das?«

»Na, du weißt schon. Ich muss manchmal abends Hausaufgaben machen. Und am Wochenende gehe ich normalerweise ziemlich viel skaten.«

»Ganz wie es dir passt.«

»Okay. Muss ich jemanden finden, der mitkommt?«

Sie sah mich an, als wäre ich verrückt oder dumm.

»Was meinst du?«

»Ich will nicht mit dir und deinem Freund ins Kino gehen«, sagte ich. Begreift ihr meinen cleveren Plan? So wollte ich rausfinden, was bei ihr los war.

»Wenn ich einen Freund hätte, würde ich dich doch nicht fragen, oder? Wenn ich einen Freund hätte, würdest du jetzt nicht hier sitzen und ich wahrscheinlich auch nicht.«

»Ich dachte, du hättest einen Freund.«

»Wie bist du denn darauf gekommen?«

»Keine Ahnung. Und warum hast du eigentlich keinen?«

»Wir haben uns getrennt.«

»Oh. Wann?«

»Letzten Dienstag. Ich bin untröstlich, merkt man das nicht.«

»Wie lange wart ihr zusammen?«

»Zwei Monate. Aber er wollte Sex, und ich war noch nicht so weit.«

»Verstehe.«

Ich guckte auf meine Schuhe. Noch vor fünf Minuten wollte sie mir nicht sagen, welche Musik sie hörte, und jetzt erzählte sie mir von ihrem Sexleben.

»Vielleicht überlegt er es sich anders«, sagte ich. »Wegen dem Sex, meine ich.«

»Vielleicht überlege ich es mir anders«, sagte sie.

»Klar.«

Wollte sie sagen, sie könnte möglicherweise ihre Meinung über Sex allgemein ändern? Mit anderen Worten, wollte sie sagen, dass sie möglicherweise Sex mit mir haben würde? Oder sollte das heißen, sie würde es sich anders überlegen und doch Sex mit ihm haben? Und wenn sie das meinte, wo blieb ich dann? War es möglich, dass sie mit mir gehen würde, aber jeden Moment beschließen konnte, jetzt sei die Zeit gekommen, abzuhauen und mit ihm ins Bett zu gehen? Das schienen mir wesentliche Informationen zu sein, aber ich war nicht sicher, wie ich an sie kommen sollte.

»He«, sagte sie. »Sollen wir rauf in mein Zimmer gehen? Ein bisschen fernsehen? Oder Musik hören?«