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Eves sinnlichste Darbietung ist der Tanz mit ihrem Partner Clint, einem Python. Eines Morgens wird sie tot im Nachtclub aufgefunden – stranguliert von Clint. Der Kopf der Schlange ist eingeschlagen. Hat etwa jemand noch versucht, Eve vor der Erwürgung durch die Python zu retten? Als hätten Lieutenant Tromp Kramer und Sergeant Michael Zondi damit noch nicht genug zu tun, häufen sich derweil Raubüberfälle auf kleine Läden in und rund um Peacevale. Die Räuber bedienen sich kaum an der Kasse, aber immer am Leben der Besitzer: Sie werden regelrecht hingerichtet. Sind da Gangster am Werk, die sich auf etwas Größeres vorbereiten? Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren, und Kramer begibt sich in höchste Gefahr. Gut, dass da noch Zondi ist, der seinem weißen Kollegen das Leben rettet …
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Seitenzahl: 331
Tänzerin Eve wird tot aufgefunden – stranguliert von ihrem Partner Clint, dem Python. Und als hätten Kramer und Zondi damit nicht genug zu tun, bereiten ihnen zudem Raubüberfälle in und um Peacevale schlaflose Nächte. Das meiste Geld bleibt dabei in der Kasse, die Besitzer der kleinen Läden aber werden erschossen. Fingerübungen für einen größeren Coup?
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James McClure (1936–2006) lebte in Südafrika, bis er 1965 nach England zog. Seine Krimiserie rund um das Ermittlerduo Kramer und Zondi schildert die Jahre der Apartheid. Steam Pig wurde 1971 mit dem CWA Gold Dagger ausgezeichnet.
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James McClure
Snake
Südafrika-Thriller
Aus dem Englischen von Erika Ifang
Kramer & Zondi ermitteln (5)
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Die Originalausgabe erschien 1975 unter dem Titel Snake im Verlag Victor Gollancz Ltd, London.
Die deutsche Erstausgabe erschien 1977 unter dem TitelDie Viper im Scherz Verlag, Bern.
Für die vorliegende Ausgabe wurde die deutsche Übersetzung nach dem Original durchgesehen.
Originaltitel: Snake (1975)
© by The Estate of James McClure 1976
© by Unionsverlag, Zürich 2024
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: pabkov/Shotshop.com
Umschlaggestaltung: Heike Ossenkop
ISBN 978-3-293-30964-7
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
Unsere Angebote für Sie
Inhaltsverzeichnis
SNAKE
1 – Eve forderte zweimal jeden Abend den Tod heraus …2 – Ein Montagmorgen im Leichenschauhaus war für einige die …3 – Gardiner bezahlte dem Sergeant an der Bar der …4 – Der Dienstag brach an, und an diesem Tag …5 – Stevenson musste zu Hause sein. Ein Kombi stand …6 – Als der vollständige Obduktionsbericht von Sonja Bergstroom durch …7 – Sie machten mitten in der Nacht einen grauenvollen …8 – Das Museum öffnete für die Allgemeinheit um zehn …9 – Auf dem Schreibtisch des Colonels war Platz geschaffen …10 – Der Colonel fand Kramers Gedanken zu ausgefallen und …11 – Wessels stand voller Unbehagen da in seiner neuen …12 – Das Donnerstagskind bedeutete gegenüber der übrigen Woche eine …13 – Der Wutausbruch im Amt verblüffte Wessels anscheinend ebenso …14 – Auf dem Hocker, auf dem Martha Mabile gesessen …Mehr über dieses Buch
Über James McClure
»Wenn meine Gedanken in Südafrika sind, höre ich immer Gelächter«
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Eve forderte zweimal jeden Abend den Tod heraus, außer an Sonntagen.
Der Sonntag war gerade angebrochen, als an der Tür des Umkleideraums ein leises Klopfen ertönte.
»Hau ab«, zischte sie ungehalten.
Von montags bis freitags machte sie jeweils eine Show um elf und eine um eins: die erste, um den Leuten, die aus dem Kino kamen, noch etwas zu bieten, und die zweite als Betthupferl, sodass sie angenehm erregt und begierig auf mehr zu Bett gingen. Samstags mussten beide Shows vorüber sein, ehe die gesetzlichen Regelungen in Bezug auf Alkoholkonsum und Unterhaltung in der Öffentlichkeit in Kraft traten, die für den südafrikanischen Sabbat galten. Das ergab alles in allem zwölf Stunden, aber es war ein ermüdender, anstrengender Job.
So verwandelte sie sich, wenn ihre Arbeitswoche Samstag Punkt Mitternacht zu Ende gegangen war, mit Freude in einen Kürbis. Ihre straffe goldbraune Haut und das runde Gesicht waren genau richtig für einen untätigen, denkfaulen, dahinvegetierenden Kürbis, der – sobald sie die Brücke oben herausgenommen hatte – beim Lächeln die Zahnlücken im Spiegel zeigte wie eine Kürbislaterne zu Halloween. Niemand bezahlte sie dafür, auch privat hübsch auszusehen.
Es klopfte wieder.
Ihr Lächeln verschwand. Sie setzte die Brücke wieder ein und drehte sich auf dem Hocker herum.
»Hau ab, du voetsak!«, rief sie mit kalter Unmissverständlichkeit. »Ein Mädchen braucht seine Ruhe!«
Füße scharrten näher zur Tür.
»Eve?«
»Bist dus, Baby?«
»Kann ich dich eine Minute sprechen, ja?«
Den Spruch hatte sie schon mal gehört, aber sie nahm trotzdem ihren Morgenrock und legte ihn sich um die Schultern.
»Jetzt kannst du mit mir reden«, sagte sie und öffnete die Tür einen Spalt.
Er war tatsächlich noch ein Baby, ein großes, dickes Baby, das bemuttert werden wollte – und wie ein Baby wahrscheinlich einen großen Spektakel veranstalten würde, wenn es seinen Willen nicht bekam.
»Ich wollte – findest du es sehr frech?«
»Na los, ich höre.«
Sie versuchte, sich vorzustellen, was er diesmal wollte.
»Na ja«, sagte er schüchtern und zog die Hand mit einer Flasche Champagner, die er am Hals gepackt hatte, hinter dem Rücken hervor.
»Oho.«
Er hielt ihr die Flasche hin.
»Es geht auch so«, sagte er, »ich brauche nicht hereinzukommen.«
Wie es aussah, sollte sie die Flasche tatsächlich einfach nehmen. Aber da sie sich den Morgenrock über dem Busen zusammenhielt, hatte sie keine Hand mehr frei. Außerdem wäre das gemein gewesen.
»Für mich?«
»Bitte.«
»Wo hast du denn die Idee her? Aus einem alten Film?«
»Ist mir einfach so eingefallen.«
»Und?«
»Die Woche war wundervoll.«
»Du bist also ganz spontan darauf gekommen, was?«
Er lächelte breit, ein wenig geschmeichelt.
»So bin ich eben, Eve. Ich wollte dir nur – na ja – danken und so. Okay?«
Ihre Sinne hatten schon so oft Alarm geschlagen, dass sie jetzt kaum noch fair sein konnte – weder ihm noch sich selbst gegenüber.
»Bist du allein?«
»Verzeihung?«
»Die Flasche ist so groß.«
»Wir müssen sie ja nicht –«
»Gut«, sagte sie, »du wartest eine Minute, und dann sehen wir weiter.«
Sie warf einen Blick auf seine Lackschuhe, die nicht versuchten, die Tür offen zu halten. Also schloss sie diese sanft und schaute in den großen Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Ihr Spiegelbild war nicht besonders unterhaltsam, hinzu kam, dass es ihr letzter Abend in Trekkersburg war und sie sich, wenn sie ehrlich war, ein wenig deprimiert und einsam fühlte. Vor allem aber rührte sie seine spontane Geste. Niemand hatte ihr je zuvor Champagner gebracht, und fast sagte ihr Gefühl ihr, dass es auch nie wieder jemand tun würde.
»Also gut?«, wiederholte sie lautlos.
Ihr Spiegelbild zog eine Augenbraue hoch, die mit ihrem Auf-und-nieder-Zucken ihr Urteil infrage stellte, das auf Erfahrung beruhte – dass nämlich große Babys immer leicht hinauszuwerfen waren, wenn sie genug von ihnen hatte. Dann fiel es langsam wieder in seine nachgezeichnete Symmetrie zurück. Sie zuckte die Achseln. Es zuckte die Achseln.
»Schon gut«, sagte sie und verknotete den Gürtel ihres Morgenrocks ordentlich.
Dann hob sie einen großen Weidenkorb auf den Diwan und löste die Lederriemen. Heraus nahm sie eine Pythonschlange von etwa fünf Fuß Länge, die in der Mitte gut fünf Zentimeter dick und wunderschön mit hellbraunen, runden, blattähnlichen Formen gemustert war, und legte sie sich um die Schultern. Das Gewicht entsprach dem zweier zusätzlicher schützender Arme.
Wie er die Augen aufriss! Das war normalerweise das Letzte, was sie von denen sah, die es nicht ehrlich meinten.
»Es macht dir doch nichts aus?«, sagte sie. »Clint wird so unruhig nach einer Show, wenn ich ihn gleich wieder in seinen Korb lege. Er tut dir nichts.«
Seine Augen blitzten. Sie dachte zuerst, es machte ihm Spaß, dann war sie sich nicht mehr sicher, aber er war bereits höflich an ihr vorbeigetreten und hatte sich dorthin gestellt, wo ihre Straßenkleider an einem Haken hingen.
Sie schloss die Tür fest hinter ihm, um andere Besucher auf jeden Fall fernzuhalten, und wies auf den Hocker.
»Willst du nicht Platz nehmen?«
»Nein, es geht schon, danke – vielen Dank.«
»Na ja, ich bin für heute lange genug auf den Beinen gewesen«, sagte sie und setzte sich. »Bezaubernd hier, nicht wahr?«
Das sollte ein kleiner Seitenhieb über die Art und Weise sein, in der sie zu leben gezwungen war. Die Garderobe hatte drei Wände, durch deren dünne weiße Tünche das Mauerwerk hindurchschimmerte, eine vierte Wand, die aus einer verbogenen Spanplatte bestand, einen unebenen Zementfußboden und eine Decke, die fleckig war und durchhing wie alte Unterwäsche. Was die Einrichtung betraf, so gab es den Spiegel mit blinden Stellen, der gegenüber der Tür schief an der Wand hing, eine Reihe von Kleiderbügeln an Haken als Schrank, einen Toilettentisch vom Trödler, eine Strohmatte, ein Sofa und ein Waschbecken, aus dem es übel roch – und natürlich den Schemel, auf dem sie hockte und von dem sich Holzsplitter lösten, wenn man nicht achtgab. Nicht ein einziges Fenster.
»Du bist ein bisschen unordentlich, Eve.«
Das stimmte, aber trotzdem war es eine unnötige Bemerkung.
»Ich wette, da, wo du wohnst, lohnt es sich, Ordnung zu halten!«, sagte sie.
»Also bitte! Du erwartest doch nicht wirklich, wie ein Filmstar zu leben, oder? Womit ich nicht gesagt haben will, dass du es nicht wert wärst!«
»Kommt jetzt der Zucker?«
»Wieso?«, fragte er in seiner überraschend unschuldigen Art.
»Ach, vergiss es. Dort neben dem Waschbecken sind ein Glas und ein Henkelbecher.«
»Ich hätte Gläser mitbringen sollen!«
»Du musst sie bloß abwaschen. Ich nehme immer Papiertücher zum Abtrocknen. Hier – fang!«
Er griff daneben, sodass die Schachtel herunterfiel. Dann reinigte er mit lautem Geschepper Glas und Becher im Waschbecken. Sie sah ihm mit einer gewissen Schadenfreude bei dieser Arbeit zu. Gut so, er hatte schließlich ein angenehmes Leben.
Der Korken flog mit einem scharfen Knall aus der Flasche.
Schlangen können keine Schallwellen aus der Luft auffangen, aber da sie jäh zusammenfuhr, rollte sich Clint enger zusammen, sodass sie ihn vorsichtig ein wenig auseinanderziehen musste, damit er erträglich war. Sobald sie sicher sein konnte, dass alles wieder war wie sonst, konnte Clint in seinen Korb zurück.
Sie bekam das damenhaftere Glas, das fast überschwappte, so voll war es.
»Auf dein Wohl, Eve!«
»Danke. Und auf deins!«
Sie tranken.
»Ist das dein richtiger Name? Eve?«
»Fällt dir ein besserer ein?«
Seine Lippen kräuselten sich, und er schüttelte den Kopf.
»Sagen wir mal so«, fuhr sie fort und merkte, dass sie ihr Glas fast auf einen Zug leer getrunken hatte. »Es ist nicht der, der einst auf meinem Grabstein stehen wird.«
Warum sie ein Schauer überlief, als sie das sagte, blieb ihr schleierhaft. Sie war jung, topfit und gesund und tat eigentlich nie etwas wirklich Gefährliches.
»Gänsehaut?«, fragte er grinsend.
»Bitte?«
»Zu spät! Nicht schlecht, das Zeug – wusste gar nicht, dass man hier so anständigen Schampus kriegen kann. Du und ich hätten viel früher damit anfangen sollen.«
Er ging allmählich aus sich heraus. Fühlte sich vielleicht hier mehr zu Hause als bei sich, nach allem, was sie davon gehört hatte. Die Frau klang wie ein alter Besen. Der arme Kerl.
»Die Tünche färbt ab auf dein Jackett.«
»Oh, keine Sorge, ich hab noch mehr davon – das ist nicht mein einziges.«
Es war ihr schon aufgefallen; praktisch jeden Abend ein anderer Anzug – als ob Kunden, die nicht so regelmäßig kamen, das je bemerken würden.
»Aber reden wir doch zur Abwechslung mal von dir«, sagte er. »Warum machst du nicht mehr aus dir? Spielst mal nackt in Lesotho und zeigst, was du kannst?«
»Vor Eingeborenen? So weit kommt es noch! Und überhaupt, was soll dieser ganze Nackt-Blödsinn? Ich dachte, du wärst der Mann, der meine psychologische Art zu würdigen weiß –«
»Bitte, bitte. Ich wollte ja nur, dass du dich verbesserst und die – äh – Verträge bekommst, die du wirklich verdienst. Du bist eine echte Künstlerin, und es wird höchste Zeit, dass du dir dessen bewusst wirst! Was ist denn schon Trekkersburg? Was du hier erreichen kannst, hast du erreicht. Und das gilt, wie ich zugeben muss, letztlich auch für Maseru. Aber hast du je an London gedacht? An Hamburg? Oder Las Vegas?«
»Ist schon alles klar – und du wärst mein Manager, was?«
»Warum ärgert dich das so?«
»Ach, weil mir alle fünf Minuten irgendein Kerl mit diesem Geseire kommt. Es macht mich krank, ich bins wirklich leid!«
»Hat es sich so angehört?«
»Allerdings!«
»Dann tut es mir leid, wirklich, etwas Falsches gesagt zu haben, obwohl ich dir versichere, dass ich es bestimmt so gemeint habe. Also los, nimm noch ein Schlückchen.«
Typisch. Mach, was du willst, sag, dass es dir leidtut, und alles ist wieder eitel Sonnenschein. Alle Männer waren im Grunde Babys, wenn mans recht bedachte. Bissen einen in den Finger, um dann Süßholz zu raspeln. Es stimmte sie traurig, dass jetzt alles einen Stich bekam, obwohl es sie nicht überraschte. So war das Leben eben.
Aber zumindest hatte der Champagner nichts von seiner Lieblichkeit verloren. Er musste ein Heidengeld gekostet haben. Süß und prickelnd und im Nu im Bauch, der wegen der schwierigeren Darbietungen immer leer blieb. Und von da aus verteilte er sich und wirkte wohltuender auf ihre schmerzenden Glieder als ein heißes Bad, das ihre Pension anscheinend ohnehin nicht besaß, und benebelte ihr den Kopf so angenehm, dass ihr das grelle Licht nicht länger in den Augen wehtat.
Sie ließ sich ihr Glas noch einmal von ihm füllen.
»Da – pass auf, dass nichts danebengeht! Bloß keinen Tropfen verschwenden. Weißt du, was ich beschlossen habe? Ich werde einfach einen Tag blaumachen.«
Jetzt war also Plan B dran.
»So?«
»Nimmst du dir jemals einen Tag frei?«
»Manchmal. Wenn Clint eine dicke Mahlzeit verschlungen hat.«
Seine Augen hefteten sich auf die Pythonschlange.
»Clint mag es nicht, wenn er angestarrt wird«, sagte sie und setzte dann den Satz aus ihrer Familienshow hinzu: »Er glaubt dann, du willst ihn hypnotisieren.«
Er lachte laut. »Wie fühlt er sich an, Eve?«
»Glatt und schön – nicht glitschig.«
»Und wie viel Kraft hat er tatsächlich?«
»Ein Python von seiner Größe kann eine Antilope töten, selbst einen viel größeren Bock. Berühr ihn mal.«
Seine freie Hand fuhr in die Hosentasche, und die andere erhob er, um zu zeigen, dass er damit den Becher hielt. Baby wollte nicht.
»Was ist los – fehlt dir deine Mami?«
»Das ist gar nicht deine Art, Eve«, sagte er tief verletzt.
Dann streckte er die Finger mit den abgebissenen Nägeln aus, berührte vorsichtig die Schuppen und zog die Finger gleich zurück. Clint versuchte, von Eves Schultern wegzukommen. Sie legte ihn wieder um sich.
»Gar nicht so kalt«, sagte das Baby. »Super.«
»Zimmertemperatur.«
»Aha. Und womit fütterst du ihn?«
»Mit Meerschweinchen.«
»Toten oder lebendigen?«
»Ich werfe sie einfach in seinen Korb. Manchmal passiert stundenlang überhaupt nichts, und dann hört mans quieken. Das mach ich aber nicht allzu oft, sonst wird er noch fauler. Nicht wahr, du altes Mistvieh?«
Bei diesen Worten hielt sie den Kopf des Pythons mit trügerischem Nachdruck fest, während sie liebkosend ihre Nase an der seinen rieb.
»Darf ich zusehen, wie er eins frisst?«
»Keine Fütterungszeit.«
»Bitte!«
Das war auch so eine Zauberformel von ihm, wie »tut mir leid«.
»Ich bezahle es auch. Clint soll eine Extraration haben.«
Ich bezahle es.
»Wenn du es eines Tages schaffst, dich von diesem Club loszureißen, kannst du uns mal in Durban besuchen. Dort habe ich eine Kobra, die frisst, wann sie will.«
»Lass das endlich, Eve! Du weißt doch, dass du die Hauptattraktion bist!«
»Ach ja? Ich fasziniere dich, stimmts?«
»Irgendwie schon, ja – ja, das tust du.«
»Und warum?«
Er zuckte die Achseln und sah nachdenklicher aus, als sie erwartet hatte.
»Weil ich mit Schlangen spiele?«
»Das könnte den Ausschlag gegeben haben – ich dachte, es wäre sicher interessant, mit dir zu reden –, aber ich hatte auch so ein komisches Gefühl …«
Er brach mitten im Satz ab, ganz ungekünstelt, wie es schien, und sein Blick löste sich von ihr, während er die Stirn runzelte und an seinem Daumennagel kaute. Für ihn gab es ohne Zweifel auch einen Job im Showgeschäft.
»Mein Gott, du bist doch jetzt nicht etwa eingeschnappt, oder?«, sagte sie.
»Ich?«
Und er lachte leise, füllte ihr Glas wieder neu und reichte es ihr mit gespieltem Schwung. Sein professioneller Charme wurde so plötzlich an- und ausgeknipst, dass man es förmlich klicken hören konnte.
»Wofür wolltest du mir eigentlich danken? Ich werde doch dafür bezahlt, nicht wahr?«
»Für dich. Deine Show. Alles.«
»Törnt dich an, was?«
»Jemanden, den ich kenne.«
»He! Das ist mal was Neues! Jetzt erzähl mir bloß nicht, du hättest eine Freundin irgendwo versteckt!«
»Nein, nein, sie ist nicht hier. Sie – sie ist verreist.«
»Klar, sehe ich auch, dass sie nicht draußen vor der Tür steht, Mann. Ich habe mich bloß gewundert, denn nach allem, was du mir erzählt hast, ist es kaum wahrscheinlich, dass deine alte Fregatte daran Gefallen fände.«
»Ich nehme sie nie mit nach Hause«, sagte er ernst.
»Teufel auch! So weit ist es also gekommen?«
Er lachte länger als sie.
Es war krank, dass er zusehen wollte, wie Clint ein Meerschweinchen verschlang. Es dauerte jetzt ein Weilchen, bis sie schaltete – auch ganz nett. Sie hatte nie dabei zugeschaut, obgleich es zum Leben gehörte wie anderes auch. Clint musste etwas fressen, aber dabei brauchte man ihm nicht unbedingt zuzusehen. Die meisten Leute dachten wahrscheinlich wie sie, er war also gar nicht so normal. Er war verrückt.
»Bist du verrückt?«, fragte sie und schlürfte noch ein Schlückchen.
»Was für eine Frage!«
»Ich musste eben daran denken, dass du Clint anglotzen willst, wenn er mampft.«
»Finde ich lediglich interessant. Was ist daran verrückt?«
Nichts, wenn man bedachte, wie begeistert kleine Kinder darüber wären. Wenn sie es in einem Wildreservat mitbekämen, würden sie es toll finden und kein Mitleid oder andere Regungen zeigen. Wenn die Schlange auf sie losginge, sähe die Sache schon anders aus, aber ihre Angst wäre – wie seine – rein äußerlich. Das konnte sie Abend für Abend ringsumher bei den Erwachsenen beobachten.
»Wovon träumst du gerade?«, fragte er und versuchte, freundlich zu sprechen, konnte jedoch seine Nervosität nicht ganz verbergen.
»Ich habe nachgedacht.«
»Und, wars spannend?«
Als könnte er ihre Gedanken lesen, streckte er wieder die Hand aus, um den Python zu berühren.
»Nicht zu dicht an seinem Kopf«, warnte sie.
»Pythonschlangen beißen nicht.«
»Wer hat dir das denn gesagt?«
»Sie sind doch nicht giftig.«
»Blutvergiftung. Du kannst eine Blutvergiftung bekommen von seinen Zähnen – sie sind nicht sauber.«
Er zuckte zusammen. »Kann er nicht wieder in den Korb?«
»Gleich.«
Die Freundin war also weg. O ja, das erklärte einiges. Wie zum Beispiel die Flasche Champagner, die so groß war, dass zwei Leute davon sternhagelvoll werden konnten. Eine Flasche, die wahrscheinlich etlichen Augen im Club nicht entgangen war, und vermutlich waren auch Witze darüber gemacht worden. Vielleicht waren sogar ein paar derbe Wetten abgeschlossen worden. Sie sah immer klarer.
»Du bist vorher noch nie in meiner Garderobe gewesen«, sagte sie.
»Ich weiß. Und?«
»Am Tisch war es nicht so intim.«
»Wo-Worauf willst du hinaus?«
Schnell wie der Blitz war er. Sieh dir nur das unschuldige Lächeln an.
»Hast du deinen Freunden erzählt, dass du hierherkommst?«
»Was?«
»Freunden, Kumpeln, guten Kameraden.«
Er zog die Stirn in Falten, als hätte er sie nicht richtig verstanden.
»Habe ich recht?«
»Ich habe eigentlich keine«, sagte er. »Auf jeden Fall niemanden, dem ich das erzählen könnte.«
Dem ich das erzählen könnte.
Sie zögerte. Der Augenblick war da, ihn hinauszuwerfen. Doch sie konnte trotzdem noch dabei verlieren: Er konnte hingehen und bei seinen Kumpanen irgendeine dreckige Story über sie verbreiten, und dann wären sie alle draußen, würden an die Tür bummern und Flaschen schwingen. Oder auf der Straße auf sie warten oder ihr zur Pension folgen. Das Schlimme war, dass sie ihm schon viel zu lange gestattet hatte zu bleiben, und deshalb war es mit dem Rausschmiss nicht getan. Wenn sie ihn nur irgendwie davon abhalten könnte, ihr etwas Übles nachzureden, dafür sorgen konnte, dass er mit eingekniffenem Schwanz nach Hause rannte. Wenn sie doch nur …
Es gab einen Ausweg! Und wenn sie mit ihm fertig war, würde er nicht einmal daran zurückdenken wollen, geschweige denn darüber reden. Sie kannte die Männer.
»Halbe-halbe«, sagte sie.
»Aber du wirst doch davon nicht … Du weißt schon …!«
»Kriege so komische Gefühle dabei.«
Er neigte den Kopf schräg, und sein Lächeln wurde breiter. Dann konzentrierte er sich darauf, ihr Glas wieder besonders vollzuschenken.
Sie änderte Clints Lage ein wenig, wobei sich ihr Morgenrock vorn etwas aufschob. Sie ließ es zu und war sich bewusst, dass ihr Busen allmählich hervordrängte. Bald würden die Glitzerspitzen zum Vorschein kommen.
»Was für komische Gefühle?«, fragte er. »Vielleicht solche wie meine?«
»Wie soll ich das wissen?«
»Ich kann meine nicht in Worte fassen«, sagte er.
»Ich meine auch nicht«, sagte sie und nahm langsam die Knie auseinander.
Er trank mit einem Schluck seinen Henkelbecher leer. Schweiß rann ihm in die Augenbrauen. Es musste ein Gefühl für ihn sein, als ginge ein nasser Traum in Erfüllung.
Ihre Brüste waren jetzt heraus. Rund und voll, aber nicht so schwer, dass sie bei Hitze wund darunter wurden, wie bei manchen Frauen. Tief goldbraun, wie alles an ihr. Jedes bisschen.
»Stört dich etwas?«
»Nein!« Er schaute weg.
Wieder wusste sie, was zu tun war. Sie zog Clints Haupt herum und lenkte es so, dass er von ihren Schultern glitt in den Spalt zwischen ihren Brüsten. Der Kleber kitzelte, und die Glitzerspitzen fühlten sich an, als fielen sie gleich ab.
»Himmel«, sagte er und starrte.
Sie nahm Clint und lenkte ihn so, dass er sich wieder um ihren Hals legte, sanft an ihre Haut züngelnd, und die zwei kleinen Fußstummel kratzten, als er sich wand und die Schuppen am Bauch spreizte. Sie bewegte sich ebenso feinfühlig wie die Schlange, bis diese einen bequemen Platz gefunden hatte, wo sie sie halten konnte.
»Ich habe dir ja gesagt, wie das mit dem Anstarren ist«, murmelte sie.
»Man kriegt … ich meine, man bekommt wirklich …«
»Bist du nicht deshalb heute Abend hergekommen?«
»Nein, bin ich nicht …«
»Wegen der Show? Hat dich das nicht auch angetörnt? Oder nur wir Mädchen?«
Clint war wieder auf dem Weg zwischen ihren Brüsten nach unten und schob sein glattes Kinn über ihren harten kleinen Bauch. Sie tat so, als ließe sie es ihm durchgehen, doch dann presste sie sein Haupt fest zwischen ihre Schenkel und stoppte sein Gleiten, nur eine Sekunde lang.
Er wurde blass.
»Magst du die Zugabe, Baby?«, fragte sie, während sie die Beine spreizte und Clint auf den Fußboden entließ. Der Python verschwand natürlich sofort unter dem Toilettentisch.
»Bitte?«, sagte er und kehrte jäh in die Wirklichkeit zurück.
»Macht er dich eifersüchtig?«, fragte sie und räkelte sich zurück, wobei sie einen Ellbogen in verschütteten Puder legte. »Das sagen ihm die meisten nach. Dass Clint sie eifersüchtig macht. Richtig grün werden sie.«
Er ging einen Schritt auf sie zu und sagte dann: »Bleibt er da unten?«
»Meine Gefühle werden immer komischer.«
»Aber wird die Schlange da …?«
»Er kommt, wenn ich pfeife.«
»Und tust dus?«
»Was?«, fragte sie und lächelte absichtlich dreckig.
Der Morgenrock glitt ihr von den Schultern. Da stand sie, die Füße weit auseinander, die Hände auf den Hüften, und begann, eine ihrer Eröffnungsnummern zu summen, indem sie ihm erst eine, dann die andere hochgezogene Schulter zeigte. Seine Augen wanderten pfeilschnell von ihr zum Fußboden und wieder zurück.
»Na komm«, lud sie ihn ein.
Er sah, wie sie die Lippen spitzte, um zu pfeifen.
»Los doch, es ist nicht kalt«, sagte sie. Und pfiff ganz leise.
Er wich zurück. »Himmel, Eve.«
Sie fing an, mit den Hüften zu wackeln und ihren Busen zu schütteln, aber ganz langsam und im Takt zu dem leisen, weichen Pfeifen.
Dann verzog sich ihr Mund zu einem breiten, verheißungsvollen Lächeln.
Er griff mit der Hand nach ihr, aber sie bog sich zum Spaß zurück. Um sie berühren zu können, musste er noch einen Schritt auf sie zugehen. Er schaute unter den Toilettentisch, als messe er die Entfernung mit den Augen.
»Was gibts denn, Baby? Hast du keinen?«
Und sie ahmte das Aufbäumen ihres anderen Schätzchens nach, indem sie ihre Hand zur Schlangenhaube formte und darüber lachte, weil sie es so komisch fand. Was sie befremdete.
»Um Himmels willen!«
Er zeigte an ihr vorbei. Clint musste sein Haupt herausgestreckt haben.
»Oho, das macht dich also an! Ich habe einen wie ein Nüsschen!«
Die alten Gags waren immer noch brauchbar. Und sie drehte sich um und stand jetzt, die Füße zusammen, und lächelte ihn über die Schulter an. Während sie gleichzeitig erst den einen, dann den anderen Schenkelmuskel anspannte, weil sie wusste, wie ihr Hinterteil dabei wippte und wackelte.
Wippte und wackelte.
Er konnte nicht anders. Er kam auf sie zu. Sie hob die Arme ein wenig an, sodass er sie mit seinen Händen umfassen, umschließen, sie drücken und packen konnte.
Während seine schweißfeuchten Handflächen an ihr herunterstrichen, beugte sie sich vor und zerrte Clint am Schwanz hervor, sodass seine Unterseite über den Fußboden ratschte. Das tat ihm weh, und er zischte.
Hinter ihr fiel Killekille fast über sich selbst.
»Eve, um Gottes willen, steck ihn in den Korb!«
Sie zupfte an der Schleife ihres Bikini-Oberteils, entfernte die Klebespitzen unter Schmerzen und stellte sich erneut vor ihn, die Pythonschlange wieder um den Hals wie ein Metermaß.
»Komm – hol ihn dir!«, sagte sie.
»Das ist nicht mehr –«
»Ach, lass Clint-Schätzchen doch nicht warten, Baby – er will in sein eigenes Bett hüpfen!«
»Und –«
Sie nickte zum Diwan hinüber.
»Alles hübsch ordentlich falten!«
Sein Dilemma war perfekt.
Zwar griffen seine Hände nach der Frackschleife, aber Clints Haupt folgte seinen Bewegungen, und so sanken sie wieder herab, zitternd. Sie schaffte es, mit einer Hand den Deckel des Korbes zurückzuschlagen. Er begann, sich die Kleider vom Leib zu reißen, und ein Hemdenknopf flog mit einem Ping! gegen das Waschbecken, ohne dass er es bemerkte, denn er wandte seinen Blick nicht von ihr. Nicht eine einzige Sekunde.
»Fertig!«
»Sieh nur, Clint«, kicherte sie.
Er spähte an sich herunter, über den leichten Schmerbauch hinweg, und sah, dass sich nichts tat.
»O Himmel …«
»Du musst es ihm wohl zeigen, Clint, nicht wahr? Sonst wird Eve heute Abend sehr enttäuscht sein.«
Der Python verfiel in seine Routine, als wüsste er Bescheid, dabei erhielt er seine Anweisungen durch die leichten Berührungen mit ihren bebenden, spielenden Fingern. Clint war im Grunde ein ausgesprochen dummes Tier, aber das machte ihn nur noch liebenswerter.
»Es muss an der Schlange liegen«, sagte er. »Das ist mir noch nie –«
»Du bist doch nicht etwa impotent, mein Süßer? Und machst ein Mädchen an für nichts und wieder nichts?«
»Vielleicht kommt es daher, dass ich dich noch nie so –«
»Erinnere ich dich an deine Mutter?« Sie lachte.
Da war wieder das Blitzen in seinen Augen.
»Was du mir antust, ist überhaupt nicht komisch, verflucht noch mal«, sagte er flehentlich.
Dieses zusätzliche kleine Problem hatte sie nicht eingeplant – es traf sie wohl ebenso überraschend –, aber daraus ließ sich durchaus etwas machen. Sie holte Clint vorn wieder hoch, wozu sie eine Ewigkeit brauchte, und beobachtete die Wirkung.
Sie musste ein wenig übertrieben haben, denn das Problem war plötzlich nicht mehr da.
»Du bist also wirklich jetzt startklar, mein Süßer?«
»Eve«, bettelte er flüsternd.
»Feiern wir doch eine Orgie, ja? Wir drei?«
Sie hatte ebenfalls die Stimme gesenkt und sprach sehr leise.
»Bitte! Ich bezahle jede Summe. Nur –«
Das war der richtige Augenblick.
»Bezahlen? Es ist gratis! Komm schon!«
Er stürzte auf sie zu und prallte wieder zurück.
Wie sie lachte! Sich schüttelte, japste und ihm Küsschen zuwarf.
Lachte und lachte. Ganz leise lachte und lachte. Auch ein wenig schwankte, sodass sie sich Clint einmal um den Hals schlingen musste, damit er an Bord blieb. Wobei sie einen Hustenanfall bekam.
»Hure!«, fauchte er sie an.
»Wurm!«, gab sie zurück.
»Ich will endlich!«
»Ich will aber nicht – nicht mit dir, Baby.«
»Bitte, bitte …!«
»Nein, nichts da!«
Das alles immer noch im Flüsterton.
»Glaubst du, ich habe Angst?«
»Ha! Das sehe ich doch sogar!« Und sie streckte ihm die Zunge heraus.
Pa hatte ihr immer warnend vorgehalten, dass sie eines Tages zu weit gehen würde. Einem Mann etwas antun würde, das sie selbst nicht für möglich hielte. Oder eine Schlange so aufregte, dass sie ihre guten Manieren vergaß und gezwungen war, sich die Situation zunutze zu machen.
Während sie würgend, in einem scharlachroten Wirbel, auf dem Fußboden der Garderobe lag, musste sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben eingestehen, dass der nichtsnutzige alte Saufbold in einem Punkt recht gehabt hatte. Dann fiel ihre Zahnbrücke heraus, und ihr Gesicht grinste fratzenhaft zur Decke empor wie eine Kürbislaterne zu Halloween. In der die Kerze noch einmal aufflackerte, ehe der Kürbis ein stumpfes Rostrot annahm, über und über fleckig und ekelhaft.
Ein Montagmorgen im Leichenschauhaus war für einige die Hölle, für andere der Himmel.
Van Rensberg, der Officer, der normalerweise hier Dienst tat, war nach einem Berufsunfall – wie es in der dienstlichen Meldung hieß – mit einer Blutvergiftung krankgeschrieben worden, und seinen Platz hatte widerstrebend Sergeant Jacobus Kloppers eingenommen, der erst vor Kurzem von der Nordgrenze Rhodesiens zurückgekehrt war.
Kloppers hatte Anpassungsprobleme. Erstens an den Gedanken, dass er nicht mehr an der Front stand, was ihm insgeheim missfallen hatte, und dann noch an die Tatsache, dass sein früherer Posten inzwischen von einem Juden eingenommen worden war. Er war nicht gerade Antisemitist oder wie immer das Wort lautete, aber es war doch unübersehbar das Jüdische an dem Burschen, das ihn ärgerte. Es schien ihm noch gar nicht lange her zu sein, dass er in der Zeitung gelesen hatte: ERSTER JÜDISCHER REKRUT SCHLIESST POLIZEIAUSBILDUNG ERFOLGREICH AB, und nun hatte Trekkersburg selbst einen, und lauter Pressefotos waren der Beweis dafür. JÜDISCHER CONSTABLE WACHT ÜBER MELDEREGISTER, lautete die Schlagzeile auf einem Zeitungsausschnitt, den ihm seine Frau geschickt hatte, und im Untertitel stand eine Menge Unsinn von der Vaterlandsliebe eines jeden. Darauf zu achten, dass alle weißen Bürger ihre Ausweispapiere hatten, sei eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, hatte Kloppers bei seiner Rückkehr argumentiert, die man keinem Neuling überlassen könne. Seine Vorgesetzten, deren Begeisterung für die Neuregelung ihm immer verdächtig vorgekommen war, hatten es anders gesehen. Jeder Dummkopf könne persönliche Daten verwalten, hatten sie ihm gesagt, was natürlich nicht hieße, dass Oppenheimer ein Dummkopf sei, nur sehr jung, und was sie weiter oben verzweifelt brauchten, sei ein erfahrener Mann, der auch die Schreibarbeiten gut erledigen könne. Ja, der hoffentlich so gut sei wie er und gewillt, in ruhiger Umgebung überwiegend selbstständig zu arbeiten. Der Betreffende sei letztendlich für eine ganze Abteilung zuständig. Eine wichtige. Könnte sie auf seine Art führen. Ob er die Stelle nicht antreten wolle? Gut! Ein weiser Entschluss. Er müsse nur vorsichtig sein und stets seine Gummihandschuhe tragen …
Diese Schweinehunde.
Es war nicht das Melderegister, das er in Händen hielt. Eher das Gegenteil davon, und dazu auch noch erbärmlich lückenhaft, was die persönlichen Angaben betraf. Kloppers konnte der Hälfte seiner Fälle nicht einmal einen Namen geben, sondern hatte sie fürs Erste mit Aufklebern alphabetisch geordnet.
Sie lagen überall. Die Kühlanlage war Samstagnacht voll geworden, alle vier Tische waren belegt, und was übrig war, kam ins Waschbecken – zwei Bantubabys – und auf Tabletts auf den Fußboden.
Kloppers überkam wieder die leichte Panik, die er schon früher einmal empfunden hatte, als er seinen ersten Verwaltungsjob bei einem sehr unordentlichen Lieutenant bekam. Er wusste einfach nicht, wo er anfangen sollte. Aber eins wusste er, dass es nämlich viel zu viel für den Kreisarzt war, um an einem Vormittag damit fertig zu werden, und so musste er irgendwie Prioritäten setzen. Es gab keine Weißen dabei, und damit war sein erstes Kriterium vom Tisch. Er konnte versuchen, eine rassische Einteilung vorzunehmen – Mischling, Inder oder Bantu –, aber das erschien ihm wie Haarspalterei. Er konnte sie natürlich auch danach aufteilen, ob der Tod verdächtig oder unfallbedingt war. Ja, das wars. Vorausgesetzt, er konnte es unterscheiden … Mann, das entwickelte sich zu einem Scheißjob. Ein Albtraum. Und der stets vergnügte Dr. Christiaan Strydom musste sehr bald da sein.
»Ach, fangen wir mit A an«, murmelte er vor sich hin, als er sein stickiges kleines Büro verließ, und wäre beinahe über K gestolpert.
Währenddessen saß sein schwarzer Helfer, N2134 Nxumalo, draußen in der Sonne und röstete angenehm in seiner Polizeiuniform, wärmte sich für die Kälte drinnen auf und genoss diesen beispiellos schleppenden Tagesbeginn aus vollen Zügen. Der große Vorteil seiner Position war der, dass er für unfähig gehalten wurde, irgendeine Initiative zu ergreifen, und er infolgedessen warten musste, bis ihm gesagt wurde, was zu tun war. Normalerweise hätte ihn Sarge Van Rensberg jetzt längst im Kreis herumlaufen lassen und ihm gedroht, die Knochensäge an seinen tondo anzulegen, wenn er nicht sofort von seinem verfluchten Baum herunterkäme und arbeiten würde.
»Du bist ein fauler Kaffer!«, machte ihn Nxumalo voller Vergnügen nach und schüttelte den Kopf bei der Erinnerung an ihre vier gemeinsamen Jahre. Und dieser hier, der ihn mit vollem Recht einen faulen Kaffer nennen konnte, tat es nicht. Verrückt!
Und auch noch schlecht in seiner Arbeit, die Nxumalo meinte mit verbundenen Augen erledigen zu können. Aber das war nicht seine Sorge.
Nxumalo hustete und nieste. Folge des Versuchs, mit rauchgefüllter Lunge zu lachen. Das Komischste an seinem neuen Boss Kloppers war, dass der offenbar dachte, das Wochenende sei vorüber. Dass keine Leichen mehr auf der Schwelle landen und ihm seine hübschen Listen verderben würden. Wohingegen mindestens eine, wenn nicht gar zwei oder ein halbes Dutzend, bis zum Anbruch der Nacht seine Sorgen vermehren dürfte.
Er würde ja sehen. So war es immer.
Er hatte Songqoza Sishanagane Shepstone Siyayo geheißen. Jeder hatte ihn Lucky genannt. Er war tot. Nicht ganz, aber doch tot genug, um der Definition des Wortes zu entsprechen.
Wenn sein Blut noch kreiste, dann war das der Schwerkraft zu verdanken und nicht einer intakten Zirkulation, und die vielen Zellen, die noch lebten, würden eine nach der anderen die Nachricht empfangen, es war also nur noch eine Frage der Zeit. Obwohl sie, da ihr Kommunikationszentrum völlig zerschossen war, womöglich nur noch ein grausiges Gerücht hören würden, bis plötzlich ihr eigener Zerfall einsetzte. Staub zu Staub, Pottasche zu Pottasche.
Was sonst noch zu Lucky gehörte, wurde allerdings sofort von seiner Ermordung in Kenntnis gesetzt. Und gebeten, sich unverzüglich in dem kleinen Laden an der Peacevale Road einzufinden. Wo sie ebenfalls Stück für Stück sterben sollten. Denn so schnell die Kugel auch war, würde es doch eine Weile dauern, bis sie bei allen angekommen wäre und ihre Zerstörungskraft voll entfaltet hätte.
Lieutenant Tromp Kramer vom Trekkersburger Morddezernat richtete sich auf, steckte noch ein Pfefferminz in seinen Mund und trat drei Schritte zurück.
Der Tod war nie ein schöner Anblick, doch diesmal kam er dem verdammt nahe.
Lucky war vor den Regalen gestorben, die seinen Vorrat an Süßigkeiten beherbergten, in der Nähe des einzigen staubigen Schaufensters, wo das Licht gut war. Nachdem die zerschlissene Leinwandmarkise endlich hochgezogen worden war, strahlte dieses Licht rein und ungehindert vom Himmel, wurde von der hellen Sandstraße und vom Lack der beiden draußen geparkten Fahrzeuge zurückgeworfen und ließ all die großmäuligen Bonbongläser funkeln.
Kniff man die Augen zusammen, kam es zu den unterschiedlichsten farbigen Impressionen. Der stärkste – wenn auch abwegigste – Eindruck war der, die edelsteinübersäte Wand einer Märchenhöhle vor Augen zu haben.
Alles war da, von der ungeschliffenen Glut der Fruchtgummis bis hin zu den rosaroten Perlen mit Zuckerguss überzogener Erdnüsse, von Silberbrocken in Folie gewickelten Nougats und bernsteinfarbenen Toffeescheiben bis hin zu jadegrünen Rhomben mit Zitronen und Limettengeschmack, und unten lagen verstreut die Penny-Insignien der Herrscher im Kinderreich: Lollipopszepter und Unmengen von Goldmünzen.
Darüber gestreut war eine wunderbare Mischung aus diamantenen Zuckerplätzchen und smaragdenen Pfefferminzchen – und ebenso viele, wenn nicht mehr, Blutrubine, so dick ausgestreut, dass nur die kleinsten nicht mehr glänzten.
Dazwischen lag ausgestreckt wie der pflichtvergessene Wächter eines Schatzes, der gerade eingeschlummert war, eine bunt gekleidete Gestalt mit braunen Sandalen. Die Pfefferminzchen lagen auf ihm wie sanft herabgefallene Pfirsichblüten.
In den vergangenen zehn Minuten hatte sich Luckys Hautfarbe von schwarzem zu Milchkaffee aufgehellt, er gab inzwischen einen widerwärtigen Gestank von sich, und der überraschte Ausdruck auf seinem Gesicht war fast vollständig dahingeschmolzen.
»Himmel, ja, heiß ist es«, sagte Kramer und wandte sich zu dem weißen Sergeant im Kakioverall an seiner Seite. Bei den Ölflecken in dem flachen, derben Gesicht musste er an ein Werkstatthandbuch denken.
»Hat nicht gerade Glück gehabt, was, Lieutenant?«
»Besser als Krebs.«
»Kriegen die auch Krebs?«
»Hm – ja.«
»Mann, man lernt nie aus.«
»Wers glaubt«, murmelte Kramer sarkastisch, der die allgemeine Überzeugung teilte, Bokkie Howells verdanke alles seinen Erbanlagen, auch sein technisches Genie – wie ein Webervogel. »Aber zurück zum Geschäft. Was –«
»Die Waffe, Sir – .32 oder .38?«
».38. Volltreffer aus großer Nähe.«
»Nicht zwei Schüsse?«, fragte Bokkie zweifelnd und zeigte auf eine entsprechende Wunde.
»Da ist die Kugel wieder ausgetreten.«
»Und Sie sagen, es ist die gleiche Methode wie vorher?«
»Hm. Nummer fünf. Kasse ausgeräumt. Mit Wagen geflüchtet. Apropos Wagen: Was ist mit meinen Stoßdämpfern? Wie lange wird es dauern?«
Bokkie gehörte zum polizeilichen Fahrzeugdienst, und die beiden hatten gerade Kramers neuen Chevy Commando auf der Straße getestet, als sie der Ruf nach Peacevale erreichte. Die Federung war insgesamt zu weich für unbefestigte Straßen.
»Könnte ihn morgen fertig haben, sagen wir, um fünf.«
»Zwei Tage für vier Stoßdämpfer?«
»Haben Sie doch Erbarmen, Sir. Ich muss ja die Teile bestellen. Sehen, was gebraucht wird. He, er fängt an, in die Hose zu machen.«
»Sein gutes Recht.«
»Ich könnte versuchen – wirklich nur versuchen! –, bis heute Abend fertig zu werden. Dann müsste ich ihn aber gleich mitnehmen.«
»Mir recht. Das Militär hat Straßensperren errichtet, und Zondi ist sowieso mit seinem Wagen hier. Fahren Sie los, wann immer Sie wollen.«
Der Sergeant schien es nicht eilig zu haben. Er sah sich in dem Laden um, dann blickte er über die Menge draußen hinweg zu den aneinandergereihten Baracken auf der anderen Seite.