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Lieutenant Tromp Kramer vom Morddezernat Trekkersburg untersucht in Zululand ein Sprengstoffattentat, bei dem eine junge weiße Frau und ein Polizist ums Leben gekommen sind. Seine Ermittlungen werden jedoch permanent von inkompetenten Kollegen und korrupten Ärzten behindert, dazu kreuzt der Zulu Detective Sergeant Michael Zondi seinen Weg. Kramer heuert ihn für seine eigenen Untersuchungen an, und sie beginnen die gemeinsamen Ermittlungen. Je tiefer sie in den Fall einsteigen, desto rätselhafter wird er – bald schon machen Kramer und Zondi eine Entdeckung, die für beide zur tödlichen Gefahr wird.
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Seitenzahl: 465
Lieutenant Tromp Kramer und Detective Michael Zondi lernen sich in Zululand kennen, als Kramer ein Sprengstoffattentat an einer jungen weißen Frau und einem Polizisten untersucht. Die Ermittlungen des Duos werden von inkompetenten Kollegen behindert, und je näher sie der Wahrheit kommen, desto mehr begeben sie sich in Lebensgefahr.
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James McClure (1936–2006) lebte in Südafrika, bis er 1965 nach England zog. Seine Krimiserie rund um das Ermittlerduo Kramer und Zondi schildert die Jahre der Apartheid. Steam Pig wurde 1971 mit dem CWA Gold Dagger ausgezeichnet.
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James McClure
Song Dog
Südafrika-Thriller
Aus dem Englischen von Erika Ifang
Kramer & Zondi ermitteln (1)
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Die Originalausgabe erschien 1991 unter dem Titel The Song Dog im Verlag Faber and Faber, London
Die deutsche Erstausgabe erschien 1993 unter dem Titel Die schwarze Hexe im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek
Für die vorliegende Ausgabe wurde die deutsche Übersetzung nach dem Original durchgesehen.
Originaltitel: The Song Dog (1991)
© by The Estate of James McClure 1991
© by Unionsverlag, Zürich 2024
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Vondetraumer/Shotshop.com
Umschlaggestaltung: Heike Ossenkop
ISBN 978-3-293-30955-5
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
Unsere Angebote für Sie
Inhaltsverzeichnis
SONG DOG
1 – Schnell wie eine Katze war sie, ihre Hand …2 – Lieutenant Tromp Kramer vom Trekkersburger Morddezernat war überhaupt …3 – Es war gut, dass die Bremsen des Chevrolets …4 – Kramer und Terblanche verließen Jafini in einem verbeulten …5 – Kramer bemühte sich, nicht vor Erstaunen den Mund …6 – Nkosala stellte sich als Jafini mal drei heraus …7 – Terblanche kam gerade mit einem eingepackten Sandwich vom …8 – Kaum zwei Minuten später saß Kramer allein in …9 – Die Polizeistation von Jafini sah nach Anbruch der …10 – Kramer schlief schlecht in seiner ersten Nacht in …11 – Ein nächtlicher Regenschauer hatte mit Jafini das Gleiche …12 – Die Familienautos, die vor dem Haupteingang des Wildreservats …13 – Das Büro des obersten Wildhüters lag direkt im …14 – Es war später Nachmittag, die Sonne war dabei …15 – Der Tag bekam plötzlich eine ganz andere Klangfärbung …16 – Die Witwe Fourie kam gerade mit einem Glas …17 – Kramer mochte es, wenn Bewegung in die Sache …18 – Ein hungriges Kätzchen miaute und drückte sich an …19 – Kramers Ankunft in Fynn’s Creek blieb unbemerkt …20 – Du?« Kramer fiel aus allen Wolken21 – Die Windstöße draußen hatten offenbar Verstärkung angefordert …22 – Die unbefestigte Straße nach Mabata war mit Sicherheit …23 – Eine Stunde nach Sonnenaufgang hob ein Alouette-Helikopter quietschend …24 – Zondi, der sah, dass Kramer nur noch zwei …25 – Zuallererst, Mickey«, sagte Kramer, als sie langsam den …26 – Wieder allein im Büro des Stationschefs, setzte sich …27 – Kramer bemerkte kaum, wie der Chevrolet vom Hof …28 – Sie klingen verärgert, Tromp«, sagte Terblanche, kaum zu …29 – Du wirst es nicht für möglich halten« …30 – Niko Claasens zögerte noch und sah zum Telefon …31 – Zondi, der, die Füße auf Kritzingers Schreibtisch deponiert …32 – Das Merkwürdige war, dass Suzmans Mutter weiterhin irgendwie …33 – Wie aus einem Munde sagten Kramer und Zondi …34 – Terblanche ging voraus in sein Büro und bedeutete …35 – Eine einsame schwarze Krähe flatterte vor den von …36 – Ein Gefühl wohliger Mattigkeit erfüllte Kramer am nächsten …Mehr über dieses Buch
Über James McClure
»Wenn meine Gedanken in Südafrika sind, höre ich immer Gelächter«
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Schnell wie eine Katze war sie, ihre Hand schlug klatschend zu, und der Moskito klebte rot auf ihrem Schenkel.
»O je, er hat gut was rausgeholt aus dir«, murmelte er. »Sieh nur all das Blut …«
»Nie im Leben ist das mein Blut«, sagte sie und schnippte das tote Insekt weg. »Die Chance habe ich dem kleinen Bastard nicht gegeben! Es muss deins gewesen sein.«
»Das kann nicht sein«, sagte er. »Dann hätte ich etwas gespürt.«
Sie legten sich wieder hin auf die kahle Matratze. Sie lagen Seite an Seite, aber berührten sich nicht mehr.
Er war froh darüber; ihm war heiß, der Schweiß rann in Strömen.
»Puh!«, sagte sie, und sie lachten beide, ehe sie in Schweigen versanken.
Draußen quakten Mangrovenfrösche; ein Krokodil glitt mit leisem Klatschen ins Wasser der Flussmündung; zwei Eulen schrien, die eine hoch, die andere tief.
O ja, ihm war heiß, er kochte förmlich, fühlte sich aber rundum wohl. Und was noch besser war, er schien wieder klar denken zu können, jetzt, da sie aufgehört hatte, seinem Geist wollüstige Rätsel aufzugeben; jetzt, da er alle Antworten kannte und wusste, wie sich jeder einzelne Teil ihres jungen Körpers anfühlte und wie sie schrie, wenn sie zum Höhepunkt kam. Er war auch gekommen bei ihrem heiseren Schrei, im gleichen Augenblick, und er freute sich schon darauf, ihn noch einmal zu hören, wenn sie sich erst eine Weile ausgeruht hatten.
Dann begann die Kerzenflamme, deren Docht rasch zu Ende ging, zu flackern, und ein Zittern ging durch alle Schatten, die sie warf. Manche Schatten waren lang und züngelten an den ungetünchten Wänden des Zimmers empor, andere stahlen sich über die Fußbodendielen in unordentliche Ecken, die voll lagen mit Angelgerät und schmutziger Wäsche. Bald schien sich auch das freiliegende Binsendach über ihren Köpfen beunruhigend zu bewegen und im wabernden Licht zu wanken.
Und er musste auf einmal an die jüngsten Ereignisse denken, verwundert, wie benommen und aus weiter Ferne, wie er plötzlich einer Versuchung erlegen war, gegen die er sich fünf Jahre und länger heftig gewehrt hatte, seit er sie kennengelernt hatte. Einer Versuchung, die so stark war, dass ihn zum Schluss nur noch die Worte einer verrückten schwarzen Hexe vom Abgrund zurückzuhalten vermocht hatten, von dem, was er als ewige Verdammnis fürchtete. Hüte dich, Isipikili, vor dem, was durch deine Adern schießt und wohin es dich mitreißt! Hüte dich, Isipikili, denn die Lieder, die ich höre, singen vom Tod, und sie greifen mir an mein altes Herz! Aber gütige Mutter, hatte er erwidert, alle meine Lieder singen doch vom Tod, was meinst du also damit? Und er hatte Angst bekommen, als sie ihm nicht antworten wollte.
Er stützte sich auf einen Ellbogen. »Wessen Blut?«, sagte er und sah wieder den leuchtenden Fleck an, den der Moskito zurückgelassen hatte.
Sie zuckte die Achseln, die Augen geschlossen.
»Hör mal«, sagte er, »eine Mücke, die so viel Blut gesaugt hat, fliegt nicht weit – sie ist zu schwer.«
»Woher weißt du das?«
»Das ist doch einleuchtend. Wo hat sie also so viel Blut her?«
»Ist es wirklich viel?«
»Sieh doch selbst!«
Ihre Augen öffneten sich träge. »Du musst die Stirn nicht so runzeln«, maulte sie. »Dann ziehen sich deine Augenbrauen in der Mitte zusammen, und das verdirbt dein gutes Aussehen.« Und sie berührte ihn mit der Fingerspitze an der Stirn.
»Bist du sicher, dass dein verdammter Koch nicht doch hier ist? Dass niemand da ist?«
»Wie oft fragst du noch?«, sagte sie. »Wie gesagt, ich habe ihm Ausgang gegeben für die Nacht, und er ging, um sich bei seinem Onkel zu betrinken. Wirklich, er kommt allerfrühestens am Morgen zurück. «
Er drehte sich um und schaute auf die geschlossenen Fensterläden. »Diese Mücke, sie muss von irgendwoher ganz in der Nähe gekommen sein«, sagte er. »Und was ist mit Wilderern?«
»Gibts hier nicht!«, sagte sie und lachte. »Kein Wilderer kommt jemals auf zehn Meilen an dieses Haus heran – kein Kaffer, der seine Sinne beisammenhat, würde das je wagen! Du-weißt-schon-wer hat diesem Ort schließlich einen gewissen Ruf gegeben.«
Das veranlasste ihn dazu, einen Blick auf den Bluterguss an ihrer rechten Schulter zu werfen: eine dicke, lilablaue Stelle, die eindeutig von drei Handknöcheln herrührte. Früher hatte ein solcher Beweis brutaler Gewalt seltsamerweise ein angenehmes Prickeln bei ihm hervorgerufen, aber jetzt beunruhigte es ihn.
»Ach komm, warum so ein Gesicht?«, sagte sie, ergriff seine Hand und strich damit über ihre rechte Brustwarze. »Da, siehst du, wie schnell sie dir ›Hallo‹ sagt?«, sie schloss seine Hand um ihre Brust und drückte sie. »Ja, gut so«, stöhnte sie, »nur fester, bitte! Fester!«
Seine Hand blieb kraftlos, sein Blick haftete wieder an ihrem Schenkel. »Man sollte meinen«, sagte er, »dass ein so vollgesoffener Moskito irgendwo sitzen bleiben und verdauen würde.«
»Na und? Vielleicht hatte er die Absicht, als er auf mir gelandet ist, nur dass ich zu – «
»Aber wo ist er hergekommen, so voll?«
»Jesus!«, sagte sie und schubste seine Hand weg. »Was ist bloß mit dir los? Von dir hätte ich nun wirklich nicht gedacht, dass du dich wie ein wandelndes schlechtes Gewissen benimmst!«
»Es liegt am Job.«
»Das will ich gerne glauben!«
»Nein, ich meine, dass man ständig aufpassen – «
»Sei mal einen Augenblick still«, sagte sie. Und sie griff nach ihren Zigaretten auf der Apfelsinenkiste neben dem Bett, zündete sich eine an und inhalierte lange und tief. Der Rauch strömte langsam aus ihren Nasenlöchern und zog seinen Blick auf die Schweißtropfen auf ihrer Oberlippe und den Schönheitsfleck gleich daneben. Aus dieser Nähe betrachtet, war es nur ein winziger Leberfleck, aus dem zwei zarte Härchen sprossen, aber aus irgendeinem Grund wurde er leicht erregt dadurch, ebenso wie er die Unvollkommenheit ihres etwas hervorstehenden Nabels mochte, wie ein kleiner Knoten, der einen rosa Luftballon verschließt.
Aus einem plötzlichen Impuls heraus steckte er wieder die Zunge hinein.
»Nicht aufhören«, sagte sie und hielt seinen Kopf mit der freien Hand dort fest. »Und streichel mich. Streichel mich so wie am Anfang …«
Er begann und hatte dabei den dunkler werdenden Blutfleck jenseits der runden, gelbbraunen Wölbung auf der erstaunlichen Blässe ihres Schenkels im Auge; einen Fleck, so leuchtend wie ein Spritzer auf den weißen Kacheln eines Autopsieraums. Seine Augen schlossen sich, und er streichelte schneller. Seine Hand strich sachte über ihre Brüste und dann abwärts, senkte sich leicht und hob sich wieder, glitt flach an ihrer glatten Taille herab und hielt erst inne, als sie die raue Haut an ihren Knien berührte. Und zurück. Und wieder abwärts.
»Mehr«, sagte sie und drückte die Zigarette hastig auf der Apfelsinenkiste aus. »Mehr …«
Es war nicht nötig. Er spürte etwas hart werden vom Druck ihrer drängenden Hüfte, und wieder überkam ihn die große Benommenheit. Bald, das wusste er, würde er sich drehen, sich auf sie wälzen und jenem ekstatischen Augenblick der Befreiung entgegenstreben, der ganz plötzlich kam, wie das Auslösen eines gespannten Abzugs, und er würde miterleben, wie sie sich aufbäumte, schrie und leblos unter ihm zusammensackte.
Sie regte sich, spreizte die Beine weit auseinander. »Jetzt?«, flüsterte sie.
»Warte noch«, flüsterte er, und seine Hand streichelte sie federleicht, immer schneller und schneller.
Sie wartete, fing am ganzen Leib zu zittern an.
»Ja, jetzt!«, sagte er und beugte sich, um sich zwischen ihre Schenkel zu knien, die ihn festhielten, mit dem Rücken zum Fenster. »Schnell, nimm ihn und – «
Ein Husten erklang direkt hinter ihm.
»Ein Kroko«, sagte sie schnell und schloss die Finger um ihn, wobei er sich lächerlich vorkam: eine Pfanne, die am Griff gepackt wird. »Nur ein blödes altes Kroko – sie machen manchmal solche Geräusche.«
Er riss sich von ihr los und setzte sich aufrecht. »Ein Krokodil?«, sagte er, als sei ihm das Wort völlig neu.
»Ja, bestimmt«, sagte sie. »Manchmal kommen sie hier hoch und liegen in dem Zwischenraum unter dem Haus.« Sie versuchte, ihn wieder an sich zu ziehen.
Unter dem Haus ist kaum Raum, dachte er, denn er hatte es vorher auf seinem Weg durch die Dünen gesehen.
»Hör mal«, sagte er mit einer Stimme, die plötzlich sehr leise war, »hier sind überall Aschenbecher. Raucht, äh, Du-weißt-schon-wer auch? Ja?«
Sie nickte. »Ja, aber er hat keinen – «
»Wie viele?«, zischte er. »Wie viele am Tag? Viele?«
»Ja, eine ganze Menge – vielleicht dreißig, vierzig. Er – «
»Still!«, sagte er. »Sei mucksmäuschenstill und lieg ruhig!«
»Also ehrlich!«
Sie lag trotzdem still, bis auf das leichte Wackeln ihres rechten Fußes. Er horchte angestrengt. Er fragte sich, ob er seinen Revolver nehmen sollte dort aus dem Schulterhalfter, wo seine Kleider ordentlich lagen, die Unterhosen zuoberst, damit er sich schnell davonmachen konnte. Die Kerzenflamme wurde dunkler und flammte im Erlöschen noch einmal hell auf. Er war in höchster Erregung.
»Na, immerhin einer hat noch Interesse«, murmelte sie mit einem Seufzer, bemächtigte sich seines sehr harten Gliedes und drückte die glitschige Spitze sanft mit dem Daumen.
Und er konnte sehen, dass sich auch ihre Erregung noch gesteigert hatte. In ihren Augen lag jetzt ein seltsamer Ausdruck von starrer Intensität wie im Blick einer Schlange. Er wand sich unter ihrer weichen Hand.
»Ja, es wird auch Zeit, dass du mit deinen Fantasien aufhörst«, sagte sie, und ihr Daumen wurde noch emsiger. »Glaubst du wirklich, vor zehn Minuten hätte einer von uns gemerkt, dass uns eine Mücke sticht? Jesus, sie muss gedacht haben, auf einem bockenden Mustang gelandet zu sein! Mir kams jedenfalls so vor!«
Er lachte laut auf, sehr laut, erstaunt darüber, was für wundervoll schmutzige Gedanken dieses junge Mädchen hatte. »Gar nicht schlecht für mein Alter, was?«, sagte er und ergriff ihre Hände. »Aber das war erst das Vorspiel, vergiss das nicht!«
»Ach ja?«, sagte sie und drückte sich an ihm hoch.
Das zweite Husten erklang direkt unter ihnen, abrupt und aus tiefster Brust.
Sie bekam eine Gänsehaut. Eine Gänsehaut, die sich um den Blutfleck auf der Innenseite ihres rechten Schenkels herumzog, während er gebannt zuschaute.
»Ach!«, sagte sie. »Alles schlapp bei dir!«
»Sei still!«, erwiderte er.
Ein Kichern überkam sie. »Alles schlapp, einfach so!«, sprudelte sie hervor. »Vor einer Sekunde hat er mich noch angeschaut – «
Er schlug sie, in dem verzweifelten Bemühen, sie zum Schweigen zu bringen, vielleicht eine Idee zu fest mit der Handkante, wie er es manchmal bei anderen Leuten machte.
»Bist du okay?«, fragte er.
Sie sagte nichts; ihre blauen Augen waren weit offen.
»Wir sind vielleicht in größten Schwierigkeiten«, sagte er mit noch leiserer Stimme. »Hör auf, herumzualbern …«
Die blauen Augen zwinkerten nicht einmal.
»Herrje«, sagte er. »War nur Spaß. Greif mal rüber und gib mir meine Knarre – du bist näher dran.«
Eine merkwürdige Wärme hüllte seine Knie ein. Er schaute hinunter; ihre Blase leerte sich. Mit einem Satz rückwärts und einem lauten Bums landete er auf den Füßen neben dem Bett.
Husten.
Die beiden Eulen schrien, die eine hoch, die andere tief.
»Du Schwein!«, explodierte er und packte seinen Revolver. »Du Schwein! Das sollst du mir büßen! Du wirst es verdammt büßen!!!«
Und ohne nachzudenken, ohne achtzugeben, rasend vor Wut, schleuderte er das leere Schulterhalfter zur Seite und stürmte splitternackt los, aus dem Zimmer hinaus. Er warf Stühle um, stieß einen Tisch aus dem Weg und stürzte, mit der Schulter voran, durch das Fliegengitter vor der Eingangstür, ehe er wild, jede Vorsicht außer Acht lassend, von der Veranda auf den Boden sprang.
Er traf schlecht auf und fiel hin, flach aufs Gesicht, und seine linke Hand berührte die Stahlkappe eines Anglerstiefels.
Er wimmerte. Nur einmal, denn er hatte sich nie so schutzlos gefühlt, und dann erstarrte er.
Es dauerte immer länger, dieses Warten auf das Unvorstellbare. Diese feige Bauchlage im stinkenden Uferschlamm der Flussmündung. Bis ihm plötzlich etwas Schleimiges über die rechte Wade glitt, sodass er unabsichtlich zusammenfuhr und eine ruckartige Handbewegung machte – und der Anglerstiefel umfiel.
Er war leer.
»O Gott …«, schluchzte er, kam unbeholfen wieder auf die Füße und musste sich bücken, um seinen Revolver aufzulesen. »Wofür das alles?«
Er wusste einfach, ohne sich umzuschauen, dass er niemanden in der Umgebung, nichts Fremdes unter dem Haus sehen würde.
In diesem Augenblick erschien der Mond wieder, trat hervor aus einer Wolke über dem Meer, und sein kaltes, gleichmäßiges Licht bestätigte ihm mit einem Blick, wie recht er hatte: Der Platz lag vollkommen verlassen da. Und als er so etwas wie Husten hörte, konnte er sich gerade noch rechtzeitig umdrehen und sehen, wie sich ein großes Krokodil von einer nahe gelegenen Schlammbank in die Flussmündung fallen ließ.
»Du Mistvieh«, sagte er kraftlos und versuchte zu lachen.
Aber kein Laut kam hervor. Denn er hatte sie noch lebhaft vor Augen, das Haar so schief wie eine Perücke, und ihre Brüste, die sich nicht hoben und senkten. Vielleicht war der Albtraum noch nicht zu Ende – vielleicht hatte er eben erst angefangen.
»Quatsch!«, sagte er zu sich selbst, als er die Holzstufen zur Veranda hinaufging. »Es wird wirklich Zeit, dass du mit deinen Fantastereien aufhörst! Eine Gehirnerschütterung, das ist es – sonst nichts! Hörst du?«
In viel besserer Geistesverfassung zog er die Fliegengittertür auf. Zuerst würde er einen großen Eimer kaltes Wasser nehmen und über sie gießen und ihr dann eine Zigarette anzünden. Nein, sie war okay, ihr ging es gut: Eben hatte sie ein Streichholz angemacht, um eine neue Kerze anzuzünden.
Das dachte er eine Millisekunde lang, als plötzlich ein Lichtschein in dem Zimmer aufflammte, in dem er sie zurückgelassen hatte. Ein jäher Lichtschein, der sofort in eine blendende Helligkeit überging, die von wirbelnden Glasscherben, Holzsplittern, Angelgerätresten, schmutzigen Wäschestücken, Matratzenfetzen, Knochen, Körpergewebe und von einer Menge Blut erfüllt war, das nicht seins war.
Die Explosion war noch in zwanzig Meilen Entfernung zu hören.
Lieutenant Tromp Kramer vom Trekkersburger Morddezernat war überhaupt nicht in Stimmung für eine Konfrontation mit einer fünfzehnköpfigen Herde schläfriger Kaffernrinder. Statt also zu bremsen und zu warten, bis sie sich gemächlich von der unbefestigten Straße entfernten, brach er ins Buschland aus und fuhr um sie herum, wobei er eine Radkappe verlor.
»Aber Lieutenant!«, protestierte Detective Sergeant Bokkie Maritz und stützte sich am Armaturenbrett ab. »Bitte denken Sie daran, dass dieser Wagen auf meinen Namen läuft, ja?«
»Ich vergess es schon nicht, Bok«, sagte Kramer und raste über die Bodenwellen, die gnadenlos auf die Stoßdämpfer einhämmerten.
»Ich meine ja nur, das Auto ist fast neu«, fügte Maritz hinzu.
»Stimmt«, sagte Kramer. »Ist noch was von den Süßigkeiten übrig?«
Malzbonbons waren ihm bis dahin unbekannt gewesen – wie er auch noch nie einen Beifahrer gehabt hatte, der leicht reisekrank wurde –, und sie waren ganz nach seinem Geschmack, besonders jetzt, da seine Zigaretten alle waren. Das war einer der Härtefälle, mit denen ein Mann rechnen musste, wenn er durch Zululand fuhr, hatte er lernen müssen: gute dreißig Meilen konnten vorbeifliegen, ohne dass auch nur ein Laden auftauchte.
»Also, äh, es ist nur noch ein Malzbonbon da«, eröffnete ihm Maritz widerstrebend. »Und um ehrlich zu sein, mir wird wieder ein kleines bisschen übel. Wenn Sie vielleicht – «
»Ach, machen Sie sich nicht die Mühe, das Papier abzuwickeln – ich kann es selbst«, sagte Kramer und nahm eine Hand vom Lenkrad.
»Nein, ich machs schon!«, sagte Maritz und riss hastig das Papier ab, ehe er das Malzbonbon weiterreichte.
Kramer warf sich das Bonbon in den Mund, biss einmal herzhaft darauf und schluckte.
»Schlimmer als ein Hund«, murmelte Maritz.
»Was haben Sie gesagt?«
»Nichts, Lieutenant – gar nichts! Ich musste nur gerade daran denken, was für eine Sauerei das war. Laut Colonel Du Plessis hatte Maaties Kritzinger nur – «
»Bok, habe ich nicht gesagt, ich wollte nicht über den Fall sprechen?«
Maritz nickte. »Ja, aber ich kann nicht dafür – «
Kramer brachte ihn vom Thema ab, indem er in der nächsten Kurve, hoch oben über einem breiten braunen Fluss, mit einem Ruck die Handbremse zog, sodass alle vier Räder des Chevrolets blockierten und sie quergestellt weiter geradeaus schleuderten.
»Ein Bus!«, schrie Maritz.
»Sehe ich, sehe ich ja«, sagte Kramer.
Und dann musste er noch einmal ganz von vorne anfangen mit der amtlichen Mitteilung, die er im Kopf auszuarbeiten versuchte:
7. August 1962
Lieber Colonel Du Plessis,
trotz der mir bekannten Tatsache, dass ich vor nur 23 Tagen von Bloemfontein zu Ihrer Abteilung in Natal versetzt worden bin, möchte ich dennoch hiermit um erneute sofortige Versetzung ersuchen. Noch nie in meinem ganzen Leben bei der südafrikanischen Polizei sind mir solche Affen wie Sie und Ihre kleine Horde arschkriechender Schwachköpfe begegnet – und was Trekkersburg anbelangt, weiß Gott, was unsere Vorväter dazu bewogen haben mag, mit den verdammten Engländern darum zu kämpfen! Drei Wochen Trekkersburg sollten meiner Meinung nach als neue Strafe für schwere Kindesmisshandlung eingeführt werden.
Bis hierher ganz gut – auch wenn es noch etwas ungeschliffen war, dachte er und freute sich schon auf den Gesichtsausdruck von Du Plessis.
Das Arschloch!
Unabsichtlich war Kramer gerade in den Sinn gekommen, wie der Colonel an jenem Morgen um 5.30 Uhr, als er ihn begrüßte, dagestanden hatte – an dem großen Fenster in seinem Büro in der Bezirkswache – und sich am Hintern kratzte.
»Ja, Colonel?«, hatte Kramer gesagt, als er ohne anzuklopfen eingetreten war. »Was für Probleme gibt es – außer der Tatsache, dass irgend so ein blöder Scheißer gerade meine Vermieterin geweckt hat, um ihr zu sagen, Sie wünschten mich hier zu sehen, zack zack …?«
Du Plessis wandte sich um, und sein faltiger Hals ragte wie der einer Schildkröte aus dem übergroßen Kragen seiner Uniformjacke heraus. »Aha, der Lieutenant!«, sagte er ölig. »Nett von Ihnen, dass Sie so schnell gekommen sind! Der arme Captain Bronkhorst hatte schon Sorgen, Sie könnten Schwierigkeiten haben, sich unseren bescheidenen Gewohnheiten anzupassen, aber Ihre Pünktlichkeit gibt mir keinen Anlass zur Klage – überhaupt keinen. Pünktlichkeit ist das, was ich an einem Beamten schätze! Das und Loyalität natürlich. Loyalität und Pünktlichkeit.«
»Ja, ja, aber warum hat der Colonel nach mir geschickt?«, fragte Kramer, den die Gegenwart dieses Hanswurstes allmählich nervös machte. Wie es klang, brauchte Du Plessis weniger einen Kripobeamten als vielmehr einen ergebenen Kriecher mit einem guten Wecker.
»Schreckliche Nachrichten«, sagte Du Plessis plötzlich sehr ernst und ging vom Fenster zu seinem riesigen Schreibtisch. »Schreckliche, schreckliche Nachrichten«, wiederholte er und ließ sich ganz langsam und gebückt auf seinem Sitz in einer Haltung nieder, für die Kramer kein anderer Name als »Hämorrhoidenhocke« eingefallen war. »Von weit her«, fügte Du Plessis noch hinzu und zuckte zusammen, als er endlich mit vollem Gewicht saß.
»Wie weit?«, fragte Kramer.
Du Plessis schlug den braunen Terminkalender auf seiner Schreibunterlage auf. »Aus Jafini oben in Nordzululand«, sagte er. »Etwa fünfzehn Meilen weiter östlich davon, in einem Ort namens Fynn’s Creek, hat es einen Doppelmord gegeben. Zwei Erwachsene, beide weiß, ein Mann und eine Frau; es wird ein Sprengsatz vermutet, das Motiv ist bisher unbekannt.«
»Oh je … Wann?«
»Kurz nach Mitternacht. Um 0.18 Uhr heute Nacht, um genau zu sein, denn zu diesem Zeitpunkt hat der Chef der Polizeiwache in Jafini eine laute Detonation gehört und ist losgefahren, um der Sache nachzugehen. Er hat erst um 4.10 Uhr den Explosionsort ermitteln können, und da hat er – «
»Gut, aber Sie haben mir immer noch nicht erzählt, was daran so schrecklich ist, Colonel«, unterbrach ihn Kramer, den die Einzelheiten nicht interessierten. »Sind Ihnen die Toten persönlich bekannt oder so was?«
»Scharfsinnig, sehr scharfsinnig«, murmelte Du Plessis mit einem Lächeln, das so flüchtig war wie die sündhaften Gedanken einer Nonne. »Ja und nein, das ist, glaube ich, die richtige Antwort. Der Mann, der auf diese gemeine, verabscheuungswürdige Art abgeschlachtet worden ist, war niemand anders als Maaties Kritzinger …«
Kramer zuckte die Achseln. »Na und?«, sagte er und war sich dabei bewusst, dass eine viel stärkere Reaktion von ihm erwartet wurde, ohne eine Ahnung zu haben, warum.
»Detective Sergeant Martinus Kritzinger!«, half Du Plessis ihm auf die Sprünge. »Chef des CID in Jafini. Hat einmal für Ihre Heimatprovinz, den Freistaat, Fußball gespielt.«
»Aha, ein Cop – jetzt fällt bei mir der Groschen«, sagte Kramer. »Habe noch nie von dem Burschen gehört. Wer war denn seine Freundin?«
Du Plessis wurde ärgerlich. »Ein Polizeikollege stirbt in Erfüllung seiner Pflicht, und das ist alles, was Sie dazu zu sagen haben?«
»Im Augenblick ja«, gestand Kramer. »Es gibt eine Menge Cops, mit denen ich keine lahme Katze allein lassen würde, ich neige deshalb dazu, nicht vorschnell zu urteilen.«
»Vorschnell zu urteilen?«, wiederholte Du Plessis und schluckte kräftig, ehe er ein gequältes Lachen von sich gab. »Ach ja, Captain Bronkhorst hat mich darüber unterrichtet, dass Sie, äh, einen gewissen Hang zum stillen Freidenker haben. Aber ich gebe Ihnen mein Wort darauf, dass Maaties Kritzinger einer unserer Besten war. Mir fällt tatsächlich kein Mal ein, wo er mir bei einem Besuch hier kein schönes Stück frisches Wildbret mitgebracht hätte, zu jeder Jahreszeit. Und einmal kam er mit einer ganzen Kiste Muscheln an, die er eigenhändig von den Felsen geholt hatte!«
»Scheiße, Colonel.«
»Genau! Wie gesagt, einer unserer Besten – zu schade, dass Sie beide sich nicht mehr von Angesicht zu Angesicht kennenlernen können, denn dann könnten Sie sich selbst davon überzeugen, was für ein feiner Kerl er war.«
»Nun, wir werden uns schon noch von Angesicht zu Angesicht sehen, keine Angst, Sir«, sagte Kramer. »In welcher Leichenhalle liegt er denn?«
»Nein, nein, ich meinte, dass Sie ihn wirklich kennenlernen!« Du Plessis schnappte wie eine Schildkröte und erhob den Zeigefinger. »Und Sie urteilen doch vorschnell, gewiss! Ihre Bemerkung über seine ›Freundin‹ war völlig unangebracht. Allmächtiger, Kramer, der Mann war verheiratet und lässt vier kleine Kinder zurück, gar nicht zu reden von der Polizistenwitwe. Ich werde zu Gedenkspenden aufrufen, es ist ein tragischer Fall.«
»Und wer war die betreffende Weiße?«
Du Plessis warf einen Blick auf seine Notizen. »Annika Gillets, die Frau des Wildhüters von Fynn’s Creek«, sagte er. »Er war nicht zu Hause. Hans Terblanche, der Chef der Polizeiwache von Jafini, versucht gerade, Verbindung zu ihm aufzunehmen, um ihm zu sagen, was passiert ist.«
»Vielleicht weiß er es schon, Colonel.«
»Bitte? Meinen Sie den Ehemann?«
»Hm, hm. Wie alt war denn diese Annika?«
»Sie ist gerade zweiundzwanzig geworden, genauso wie meine – ach! Sie fangen doch wohl nicht wieder mit diesem Unsinn an! Hören Sie mir gut zu, und prägen Sie sich das in Ihren Dickschädel ein: Maaties ist bei der Pflichterfüllung gestorben, wie ich Ihnen gesagt habe. Kein Techtelmechtel, klar? Wie dem auch sei, seine Leiche wurde meilenweit entfernt gefunden, und er hatte den Revolver noch in der Hand.«
»Kein Techtelmechtel«, wiederholte Kramer mit möglichst unbewegtem Gesicht und fügte den Satz seiner kleinen Sammlung von Colonelsprüchen zu. »Aber wie viele Meilen weit entfernt wurde seine Leiche gefunden? Es muss ja eine Wahnsinnsexplosion gewesen sein – «
»Ach, Sie wissen verdammt gut, was ich meine, Lieutenant! Sie war im Haus, und Maaties war außerhalb des Hauses, näherte sich mit gezogener Waffe, offensichtlich hatte er gemerkt, dass etwas nicht – «
»War er allein?«, fragte Kramer.
»Natürlich – Maaties pflegte immer allein zu arbeiten.«
»Er hat nicht einmal einen Boy mitgenommen?«
»Nein, nie. Maaties sagte, ein Bantu würde mehr Ärger machen, als er wert sei, und außerdem konnte er selbst fließend Zulu sprechen, warum also?«
»Hm«, brummte Kramer.
»Was haben Sie denn eigentlich zu bekritteln?«, wollte Colonel Du Plessis wissen. »Captain Bronkhorst hat mir gesagt, dass Sie selbst ein ausgesprochener Einzelgänger sind – und Sie arbeiten nicht einmal mit weißen Kollegen zusammen, es sei denn, es wird Ihnen befohlen. Was für eine Haltung ist das?«
»Zum Teufel, ich spreche fließend Afrikaans und Englisch, Colonel«, erwiderte Kramer und nahm eine Zigarette aus einem Paket Lucky Strike in seiner Hemdtasche, »warum also?«
»Ich hoffe, Sie zünden sie nicht an«, sagte Du Plessis streng. »In meinem Büro herrscht striktes Rauchverbot – ich bin im Kirchenvorstand. «
»Oha«, sagte Kramer und steckte sich die Zigarette in den Mundwinkel, »aber was ich sagen wollte, es scheint – «
»Nein, was ich bereits angefangen habe zu sagen, Lieutenant, ist, dass ich beschlossen habe, Sie nach Jafini zu schicken, um die Ermittlungen dort zu führen. Es wird höchste Zeit, dass Sie den ganzen Bezirk kennenlernen, nicht wahr? Außerdem freue ich mich, Ihnen sagen zu können, dass Captain Bronkhorst Ihren Spürsinn sehr lobend erwähnt hat.«
»Sir?«, sagte Kramer, der gerade drei Wochen in Trekkersburg verbracht und sich zu Tode gelangweilt hatte bei Routineuntersuchungen, die keinerlei Spürsinn erforderten. »Das wundert mich.«
»Bescheidenheit ist etwas, das ich ebenfalls bei einem Beamten sehr schätze!«, sagte Du Plessis und zeigte sein Gebiss. »Die genauen Einzelheiten werden Ihnen mitgeteilt, sobald Sie in Jafini sind, deshalb will ich Sie nicht länger aufhalten – es ist eine ordentliche Strecke bis dahin. Bokkie Maritz wartet bereits in einem Wagen auf dem Fahrzeughof.«
»Bokkie, Colonel?«, sagte Kramer. »Was hat der fette Blödmann denn damit zu tun?«
»Er soll Ihnen natürlich assistieren. Pretoria erwartet einen genauen Bericht, und während sich der eine damit befasst, kann der andere draußen – «
»Aber Maritz ist eine absolute Witzfigur, Colonel«, protestierte Kramer und zündete ein Streichholz an. »Das Allerletzte, was ich gebrauchen kann, ist ein – «
»Lieutenant«, schnitt Du Plessis ihm das Wort ab, während er die Streichholzflamme anstarrte. »Bokkie Maritz hat mir gut und treu gedient die letzten acht, neun Jahre, und ich lasse mein Urteil nicht in Zweifel ziehen – schon gar nicht von jemandem, der kaum fünf Minuten hier ist!«
»Meine Worte, Colonel. Warum – «
»Haben Sie nicht gehört, was ich über das Rauchverbot hier gesagt habe?«
Kramer nickte und sah zu, wie das Streichholz in seiner Hand abbrannte. »Aber warum schicken Sie mich, wo ich doch als Neuling hier von Tuten und Blasen keine Ahnung habe? Warum nicht jemanden mit mehr Erfahrung, der sich besser vor Ort auskennt und – «
»Hören Sie mir gut zu«, sagte Du Plessis, ebenfalls in den Anblick der Flamme versunken, »ich kenne den Arbeitsstil Ihres früheren Vorgesetzten nicht, aber wenn ich einen Befehl gebe, dann erwarte ich – «
»Ich möchte wetten, dass mehr hinter der Sache steckt«, sagte Kramer, als die Flamme eben seine Daumenspitze erreichte. »Hat Captain Bronkhorst besondere Gründe, warum er nicht – «
»Vergessen Sies!«, explodierte Du Plessis und schlug ärgerlich mit einem Lineal nach dem Streichholz. »Pusten Sie es aus! Pusten Sie es auf der Stelle aus!«
»Ich gehe schon, Colonel«, sagte Kramer. Er merkte sich den kleinen Ausrutscher gut und zündete sich am selben Streichholz noch eine Zigarette an, als er Du Plessis Büro verließ.
Der Chevrolet, inzwischen um eine weitere Radkappe erleichtert, machte sich gerade an eine neue Steilauffahrt. Immerhin waren die Rinder Ziegen gewichen, und der Himmel vorn sah auch interessanter aus mit all den riesigen weißen Wolken, die wie die Kissen in einem Krankenhauswäscheraum aufgetürmt waren.
Kramer hatte daheim in Bloemfontein viele glückliche Minuten in einem ebensolchen Wäscheraum verbracht, wo er sich mit einer jungen Krankenschwester angefreundet hatte, die ihm nie ihren Namen sagte und nie Unterwäsche trug. Es überraschte ihn, wie oft er in der letzten Zeit, seit seiner Versetzung nach Trekkersburg, daran denken musste.
Eine Stadt, die mit gekreuzten Beinen lebte.
»Sagen Sie, Bok«, sagte er plötzlich, »was meinen Sie, wohin die Leichen gebracht worden sind? Normalerweise gibt es draußen im Busch keine staatlichen Leichenhallen – zumindest da nicht, wo ich herkomme. In ein Krankenhaus vielleicht?«
Bokkie Maritz nickte. »Ja, das ist wohl anzunehmen. Ich würde vermuten, in ein Missionshospital bei Nonnen.«
»Ist ja wunderbar«, sagte Kramer.
»Soll ich jetzt reden?«, erkundigte sich Maritz vorsichtig. »Ich dachte mir, Sie würden gern ein paar Hintergrundinformationen über den guten alten Maaties haben …«
»Einer der Besten, Bok.«
»Aha, das wissen Sie also schon. Ja, eindeutig einer der Besten.«
»Und?«
»Na ja, er war immer zum Lachen und Scherzen aufgelegt. Teufel auch, Maaties hatte die Sekretärinnen in der Hauptwache alle bei Laune, wenn er schließlich Feierabend machte.«
»Ein Frauenheld, ist es das, was Sie meinen?«
»Verdammt, nein! Sie mochten ihn, das war alles. Er zeigte ihnen Fotos von seinen Kindern und so was.«
»Wie war seine Frau – sah sie gut aus?«
»Was? Woher sollte ich das wissen?«
»War sie nie auf den Fotos, die er herumzeigte?«
Maritz runzelte die Stirn. »Könnte nicht behaupten, dass ich mich an eins erinnere, wo sie drauf war«, gab er zu.
»Hm«, sagte Kramer. »Sehen Sie nur …«
Sie waren gerade auf dem höchsten Punkt der Anhöhe angekommen, und unter ihnen lag eine weite, grüne Ebene, die fast ganz mit Zuckerrohr bepflanzt war. So viel Grün wirkte nahezu unnatürlich nach den kahlen, brotfarbenen Landstrichen, die Kramer gewöhnt war, und er musste an grünen Schimmel denken, den man mit einem Messer abschabte.
»Das muss Jafini sein – weit dahinten links«, rief Maritz und wies nach Norden auf einen rauchigen Schmutzfleck in einiger Entfernung. »Mann, wir haben einen ausgezeichneten Schnitt gefahren, was? Der Colonel wird sehr beeindruckt sein!«
»Der Colonel kann mich mal«, sagte Kramer.
Es war gut, dass die Bremsen des Chevrolets so funktionierten, als würde ein Schlachtschiff Anker werfen. Sonst hätte es allzu leicht passieren können, über ein Dreckloch wie Jafini einfach hinwegzuschießen. Eben noch da und schon vorbei; ein flüchtiger Eindruck von heruntergekommenen Ladenfronten, die genau vor der Polizeistation aus roten Ziegeln mit Blechdach endeten, nur halb sichtbar hinter einer hohen Hecke aus Christusdorn, wo eine ausgebleichte südafrikanische Fahne schlaff von dem kümmerlichen Fahnenmast im Vorgarten hing.
Maritz, der einen Augenblick nicht auf der Hut vor den Bremsen gewesen war, wurde jäh unter dem Armaturenbrett eingekeilt. »He, Lieutenant!«, japste er. »Was ist passiert? Ist uns ein Kind vors Auto gelaufen oder was?«
»Zigaretten«, sagte Kramer. »Sie fahren weiter – ich komme gleich nach …«
Und damit stieg er aus dem Chevrolet, um sich den Ort anzusehen. Jafinis einzige Straße schien alles in allem ein Dutzend Geschäfte zu haben, die überwiegend von Indern geführt wurden. Es gab ferner eine Bäckerei, eine Bruchbude als Filiale von Barclays Bank, die nur dienstags und donnerstags besetzt war, und eine kleine anglikanische Kirche aus rotem Backstein. Ein paar Zapfsäulen in der Ferne ließen vermuten, dass Jafini mit einer Einmann-Autowerkstatt gesegnet war, aber darauf wollte er nicht unbedingt wetten.
Stattdessen ging er lässig über die Straße und betrat das Bombay Emporium, wo er die Luft tief einsog. Kramer hatte die warmen, etwas stechenden Gerüche von Gemischtwarenläden seit eh und je genossen – der einzigen Art von Geschäften, die er bis zu seinem elften Lebensjahr gekannt hatte –, und er staunte immer wieder über die unglaubliche, sinnverwirrende Vielfalt des Angebots. Das Bombay Emporium enttäuschte ihn nicht. Es führte alles von Sturmlaternen bis hin zu Nähmaschinen, von kilometerlangen billigen Stoffbahnen auf großen Rollen bis hin zu Pflügen und Kofferradios, nicht zu vergessen die mindestens neun Sorten von Ölsardinen in Dosen. Auf dem gedrängt vollen Brett mit Zigaretten und Pfeifentabak sah er zum ersten Mal seit Jahren die kleinen Baumwollbeutel mit Shag, den sein Vater im Übermaß geraucht hatte und der so grob war, dass er sogar die Tabakstiele enthielt. Gutes Zeug, dieser Shag: Es hatte dem alten Mistkerl den langen, schleichenden, überaus schrecklichen Tod beschert, den er verdient hatte.
»Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?«, rief der indische Ladenbesitzer etwas zögernd über den Kopfputz der barbrüstigen Zulufrauen hinweg, die in der Reihe vor der Theke standen.
»Lucky Strike – eine ganze Stange«, sagte Kramer.
Der Ladenbesitzer schaute gequält drein.
»Ach ja«, sagte Kramer, als ihm einfiel, dass seine Muttersprache in Natal, dieser gottverlassenen Provinz, kaum von den Nichtweißen verstanden wurde, und er wiederholte den Satz auf Englisch. »Eine Stange Lucky-Strike-Zigaretten – nein, lieber zwei.«
Der Ladenbesitzer rang die Hände. »Ich wollte, es ginge, Sir! Du liebe Güte, ja! Aber sehen Sie, Sir, die besseren Marken werden selten verlangt, Sir, und deshalb sind die Vorräte – «
»Luckys, verdammt noch mal!«, sagte Kramer. »So viel Sie haben.«
Während der Ladenbesitzer ins Hinterzimmer davoneilte, stellte sich noch jemand ans Ende der schweigenden Schlange einfacher Provinzler, die auf Bedienung warteten. Der Neuankömmling war ein frech aussehender Zulu, bei dem Kramer das deutliche Gefühl hatte, ihn schon einmal irgendwo gesehen zu haben, und das beunruhigte ihn, denn dieses »Irgendwo« konnte nur Trekkersburg gewesen sein, über 200 Meilen weiter südlich. Unmöglich. Schließlich war die ganze Sache mit den Passgesetzen dazu gedacht, die Schwarzen in ganz bestimmten, klar definierten Gebieten zu halten, damit sie sich nicht im ganzen Land herumtrieben, als gehörte es ihnen. Dieser aber tat es augenscheinlich doch, schlenderte unbekümmert mit den Händen in den Hosentaschen daher wie ein Chicagoer Gangster, und da sich Schwarze solche Filme nicht ansehen durften, war das allein vielleicht schon Grund genug, Short Arse, wie er diesen kleinen Arsch bei sich nannte, näher unter die Lupe zu nehmen.
Short Arse: ein guter Name für ihn, entschied Kramer – bis die Ausweispapiere des Mistkerls seine richtigen Personalien offenbarten. Zum Teufel, er konnte nicht größer sein als ein Meter sechzig, ging ihm nicht einmal bis zur Schulter.
»Tut mir aufrichtig leid, Sir – es dauert nicht mehr lange!«, sagte der indische Ladenbesitzer, der kurz erschien und gleich wieder verschwand.
Kramer betrachtete die schweigende Warteschlange noch einmal, alles Leute direkt aus dem örtlichen Eingeborenenreservat. Die meisten hatten abgelegte Kleidungsstücke von Weißen an oder, wie einige Frauen, das, was jetzt anscheinend als traditioneller Zuludress galt: perlenverzierter Kopfputz, jede Menge Kupferfußkettchen, primitive Kupferarmbänder, ein kurzer Faltenrock und dazu – falls sie überhaupt ein Oberteil für nötig hielten – ein einfaches weißes Trikot. Short Arse hatte ein altes Sportjackett an, das auf links gedreht war, um sein Satinfutter vorzuführen, dazu ein Paar Reithosen mit breitem Hosenlatz vorn, die längst aus der Mode waren. Der Schwarze vor ihm hob sich kontrastreich dagegen ab mit Nadelstreifen nach Art eines piekfeinen Anwalts – oder des öffentlichen Henkers, wenn man so will, den Krämer einmal gesehen hatte – und einem Paar klobiger Rugbystiefel. Das war der springende Punkt: im Gegensatz zu allen anderen in der Schlange trug Short Arse Schuhwerk, das allem Anschein nach die richtige Größe hatte, obwohl es sich nur um billige Tennisschuhe handelte, und das hob ihn ein wenig ab vom Rest. Es warf auch ein paar interessante Fragen auf: Wie schnell war Short Arse auf seinen Füßen, wie oft – und warum?
Short Arse drehte sich um und schaute irgendetwas draußen auf der Straße an, sodass Kramer seinen wachsamen, kugelrunden Schädel nur noch von hinten sehen konnte, was ihn ärgerte. Er versuchte, ihn durch seine Willenskraft dazu zu bewegen, ihm wenigstens das Profil wieder zuzuwenden. Anders als die meisten Leute außerhalb der südafrikanischen Polizei (SAP), die zu sagen pflegten: »Für mich sehen sie alle gleich aus!«, hatte Kramer damit nie Schwierigkeiten gehabt. Teufel auch, Affen auseinanderzuhalten, das war etwas anderes: Da fehlten schließlich die unendlichen Variationen, die durch Schnurrbärte, Kinnbärte, Augengröße, Kinnpartie, Nasenbreite und so weiter gegeben waren. Aber jede der verschiedenen Rassen warf für das geschulte Auge nur wenige Probleme auf. Trotzdem, mit einem Hinterkopf war nicht viel anzufangen, und allmählich kamen ihm Zweifel. Zwei kleine Zöpfchen, aus dem dichten krausen Haar über dem linken Ohr geflochten, fielen ihm ins Auge, und er musste sich eingestehen, dass sie ihm nicht bekannt vorkamen. Auch die gelben Küchenstreichhölzer, mit denen Short Arse die Löcher in seinen durchstochenen Ohrläppchen offenhielt, sagten ihm nichts.
»Sir? Ihr werter Einkauf, bitte sehr«, sagte der indische Ladenbesitzer und stellte eine braune Papiertüte auf die Theke vor Kramer, zu verlegen, um sie ihm direkt in die Hand zu drücken. »Gibt es sonst noch etwas, das ich für Sie tun könnte, Sir?«
Es gab nichts, und so bezahlte Kramer und ging, und auf dem Weg nach draußen zündete er sich seine erste Lucky an und vergaß völlig, Short Arse noch einen letzten Blick zu gönnen. Nicht, dass es irgendeine Rolle spielte, sagte er sich – schlimmstenfalls war der Schwarze womöglich bloß der ländliche Vetter irgendeines Stadtkaffers.
»Lieutenant!«, sagte Maritz, der auf der Straße vor der Polizeiwache auf und ab rannte, wo jetzt der Chevrolet geparkt war. »Lieutenant, der Stationschef will wissen, wo zum Teufel Sie gesteckt haben! – Das hat er gesagt, Lieutenant …«
»Er soll sich doch in die Schuhe pissen – das sage ich, Bok«, erwiderte Kramer. »Und nach einer so langen Fahrt muss ich mich erst einmal erleichtern.«
Hinhaltemanöver, sagte er sich zehn Minuten später. Ja, an dieser ganzen Jafini-Geschichte ist etwas Unheimliches, das ich noch nicht verstehe, und ich weiß auch nicht, ob ichs überhaupt verstehen will. Besonders, wenn es um meine Rolle dabei geht. Hinhaltemanöver helfen aber nicht weiter; besser, ich lege endlich los, bringe den Scheißjob hinter mich und mache, dass ich hier wieder wegkomme, zurück zum Freistaat.
Doch nachdem Kramer auf dem verrosteten Pissoir hinter der Polizeistation von Jafini, an dem NUR FÜR WEISSE stand, mit gesenktem Blick den Reißverschluss zugezogen hatte, zögerte er wieder. Er studierte den Zustand des Fußbodens. Keiner der Nur-Weißen schien sich darum zu kümmern, wohin er zielte, und so waren fünf verschiedene Pfützen da. Zudem war ein großes Stück des Zementbodens merklich dunkler als der Rest, als sei es ständig feucht, was darauf schließen ließ, dass das hier als normal galt. Interessant, sinnierte Kramer, denn das wiederum ließ zwei Möglichkeiten zu, was den Chef der Station betraf, den er gleich kennenlernen sollte: Entweder war der Mann von Hause aus ein Schwein, oder er hatte zu wenig Schneid, um die Grundregeln der Hygiene bei seinen Untergebenen durchzusetzen.
Und ich möchte wetten, dass ich weiß, welches von beiden zutrifft, sagte sich Kramer, als er den ausgedörrten Rasen zur Hintertür der Polizeistation überquerte, wo Bokkie Maritz ihn sehnlichst erwartete.
»Zum Chef gehts hier lang, Lieutenant …«, sagte Maritz, der voranging.
Rissiges braunes Linoleum erstreckte sich zwischen abgestoßenen beigefarbenen, bis in Gürtelhöhe grün gestrichenen Wänden über die ganze Fläche des langen Korridors, und von der Decke baumelten nackte Glühbirnen, an denen verschmorte Insekten klebten. Das Linoleum war etwa auf halbem Weg am stärksten abgetreten, da, wo ein kurzer Seitengang rechtwinklig hinzustieß. Der Seitengang wiederum führte zu einer dicken, braun gestrichenen Tür, die ein Schild in beiden Amtssprachen trug, das den Raum dahinter als das Büro des Stationschefs auswies.
»Hier rein«, sagte Maritz und zeigte darauf.
»Bok, Sie sind von unschätzbarem Wert«, sagte Kramer. »Haben Sie denn auch eine Ahnung, wo der CID seine Amtsgeschäfte abwickelt?«
Maritz nickte wichtigtuerisch. »Ja sicher! Sie haben zwei Bürozimmer da drüben – «
»Dann verpissen Sie sich und durchsuchen Sie Maaties’ Schreibtisch, ja? Ich will eine Aufstellung aller Fälle, in denen er kürzlich ermittelt hat, und wenn Sie alles säuberlich durchgekämmt haben, will ich einen vollständigen Bericht in doppelter Ausführung haben – einen für den Colonel.«
»Mit einer solchen Aufgabe wollen Sie mich betrauen?«, sagte Maritz, so geschmeichelt, dass er sich kaum zu fassen wusste.
»Teufel auch, warum denn nicht?«, sagte Kramer, der sich keine schnellere und trotzdem unblutige Methode denken konnte, einen Idioten loszuwerden.
Dann riss er, ohne anzuklopfen, die Tür zum Büro des Stationschefs auf und schritt hinein.
»Wer zum – !«, legte ein verblüffter Fünfzigjähriger in Uniform los, als er sich, den Telefonhörer ans Ohr gedrückt, umdrehte.
»Kramer, Morddezernat. Sind Sie Terblanche?«
Der Stationschef nickte und bedeckte die Sprechmuschel mit der Hand. »Suchen Sie sich einen Platz bitte? Ich habe gerade den Colonel an der Strippe.« Dann wandte er sich wieder ab und sagte: »Entschuldigen Sie, Colonel! Ja, er wars – ist eben angekommen. Danke, ich werde daran denken, Sir.«
Woran denken, fragte sich Kramer, der sich mit gespreizten Beinen rittlings auf einem hochlehnigen Stuhl niedergelassen hatte. Er sah sich um. Drei abgenagte Hühnerknochen lagen bleichend auf dem einen Aktenschrank, neben dem in einer Pfütze aus frischem schwarzem Schlamm ein Paar dreckige Gummistiefel herumstanden. Eine halbe Packung Plätzchen stand neben einem trüben Glaskrug mit Wasser und dem zugehörigen Glas, und die Fensterbank war vollgehäuft mit ausgebleichten Zettelkästen, aus denen der Inhalt herausquoll. Das einzige Saubere und Ordentliche im Zimmer war offenbar der Boden des großen geflochtenen Papierkorbs.
Terblanche selbst war keine Ausnahme von dieser Regel, wie Kramer feststellte. Der Chef der Polizeistation von Jafini hatte kleine Wollflusen in seinem borstigen, pomadefettigen Haar, Ähnliches stak in den Rasierschnitten in seinem Doppelkinn, und ein Streifen Maisporridge rann griesig über die ganze Länge seiner Uniformkrawatte. In seinem rechten Hosenumschlag saß eine tote Motte, gut zu sehen, weil er seine Füße mit den ungeputzten Schuhen auf eine Ecke des Schreibtisches abgelegt hatte, auf dem ein solches Durcheinander herrschte, dass nur ein Bulldozer Ordnung hätte schaffen können.
»Ja, Colonel, es ist alles soweit arrangiert«, sagte Terblanche gerade und stand auf, fast stramm. »Sehr gut, Colonel – ich verstehe Ihre Befehle voll und ganz, Sir. Bis dann. Ja, auf Wiederhören …«
Kramer, der zusah, wie er den Hörer auflegte, fragte: »Was ist alles arrangiert?«
»Ach, die Unterkunft für Sie und Ihren Sergeant«, erwiderte Terblanche. »Sehen Sie, hier gibt es kein Hotel oder so was. Deshalb habe ich Ihnen ein paar Zimmer bei einer Witwe besorgt, die ich kenne. Ich bin sicher, dass Sie sie mögen.« Dann lächelte er unsicher und streckte seine riesige Hand aus. »Ich heiße Hans – erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Tromp«, sagte Kramer. »Mögen Sie eine Lucky?«
»Danke, aber ich rauche Filter.«
Terblanche zündete mit einem schrottreifen Feuerzeug erst Kramers, dann seine eigene Zigarette an, ehe er wieder in seinen Sessel sank, als sei er völlig erschöpft. »Ich will Ihnen nicht verhehlen, dass dieser Tag die reine Hölle war«, sagte er und rieb sich mit den Knöcheln die rotgeränderten Augen. »Ich bin gerade erst von Madhlala zurückgekommen, wo ich Lance Gillets die Nachricht überbringen musste.«
»Ist das der Ehemann der Toten?«
Terblanche nickte. »Wildhüter. Ganz schön harter Job, ihn aufzutreiben, bis mir jemand erzählte, er sei gestern mit einem Flugzeug in Fynn’s Creek abgeholt worden, um beim Einfangen von ein paar Nashörnern für irgendeinen amerikanischen Zoo zu helfen. Er war im Hauptlager.«
»Hm, hm – und wie hat ers aufgenommen?«
»Was glauben Sie denn? Schlecht, wirklich schlecht – Annika war sein Ein und Alles. Er war verständlicherweise außer sich. Ich dachte schon, sie müssten die Betäubungsflinte für ihn benutzen wie bei den Nashörnern, aber inzwischen haben ihn die anderen Ranger in einem Gästehäuschen eingesperrt und gießen ihn ständig mit Gin voll.«
»Wann hat ihn denn das Flugzeug gestern aufgegabelt?«
»Danach habe ich nicht gefragt.« Terblanche gab ein müdes schiefes Lächeln von sich. »Ich dachte mir, wer immer vom Morddezernat käme, würde diese kleinen Details später schon selbst in Erfahrung bringen.«
»Aus Ihnen spricht ein echter Mann in Uniform.«
»Sie haben recht«, pflichtete Terblanche ihm bei und hievte sich wieder auf die Füße. »Und da Sie nun hier sind und übernehmen können, setze ich Sie am besten so schnell wie möglich ins Bild. Am einfachsten wäre es, wenn ich Sie zum Tatort mitnähme und Ihnen auf dem Weg dorthin alles erklärte – und danach könnte ich zur Abwechslung mal nach Hause fahren und schlafen, das sage ich Ihnen!«
Auf seinem Gesicht lag eine Grimmigkeit, die Kramer kannte, weil er sie schon einige Male im Spiegel gesehen hatte: das Aussehen eines Mannes, der bis an die Grenzen des Erträglichen gelangt ist, der trotzdem die Zähne zusammenbeißt und eine letzte Anstrengung auf sich nimmt, ehe er, ausgelaugt vor Erschöpfung, zusammenklappt.
Dennoch war es merkwürdig, dachte Kramer, als er dem Stationschef aus dem Büro folgte, dass Terblanche nicht ein einziges Mal, nicht einmal andeutungsweise, seinen verstorbenen Kollegen erwähnte – den ansonsten tief betrauerten Detective Sergeant Kritzinger.
Kramer und Terblanche verließen Jafini in einem verbeulten Landrover mit weitem Achsabstand, dem hinten ein Drahtkäfig für Bantugefangene aufgeschweißt worden war. »Der Weg nach Fynn’s Creek ist absolut furchtbar«, erklärte Terblanche. »Er würde Ihren hübschen neuen Chevy vollkommen ruinieren! Kennen Sie die Story von diesem Fynn?«
»Ein Held unseres Landes?«, bemerkte Kramer wagemutig.
Terblanche zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Irgend so ein verrückter Ire, ein Jäger«, sagte er. »Damals, als die ersten Siedler nach Natal kamen. Er kam hier herauf und machte gemeinsame Sache mit Shaka, so hieß, glaube ich, der damalige Zulukönig. Sie wurden so dicke Freunde, dass Fynn all diese Kaffernmädchen heiratete, dass er sogar mit eigenen Impi, also Zulukriegern, einen Unterclan begründete und wie ein Eingeborener lebte. Im Grunde zum Kotzen, würde ich sagen.«
»Hm, hm«, brummte Kramer. »Damit hätten wir ›Fynn‹ erklärt, aber was zum Teufel bedeutet ›Creek‹?«
»Das ist Englisch und heißt Fluss, soviel ich weiß.«
»Aha. Colonel Dupe hat mir erzählt, Sie hätten die Explosion gehört.«
»Nein«, sagte Terblanche, »meine Herzensdame. Sie hat mich geschüttelt und gesagt, es müsse einen üblen Autounfall gegeben haben. Sie wissen ja, das gibt einen ganz schönen Knall, wenn man nahe genug dran ist. Was mich betrifft, so habe ich nichts mitbekommen. Es war ein langer Tag gewesen, sage ich Ihnen!«
Kramer zündete sich eine neue Lucky an. »Und dann?«
»Und dann klingelt das Telefon«, fuhr Terblanche fort. »Ich gehe ran, und es ist der Bantu, der auf der Wache Dienst tut. Er hat den großen Knall auch gehört und ist ein bisschen in Panik, weil Sarel Suzman – mein Sergeant im Streifendienst – mit dem Wagen unterwegs ist und er nicht weiß, wie er ihn erreichen soll. Mann, es ist höchste Zeit, dass sie uns bei der SAP Funk installieren wie bei den Cops in Amerika! Zum Beispiel bei dem Blutbad in Sharpeville, als all die Schwarzen erschossen wurden. Wenn die da mit Funk ausgestattet gewesen wären, hätten sie Verstärkung rufen können, statt in Panik zu geraten, und – «
»Ja, ja, aber was ist dann passiert? Sind Sie auf die Suche gegangen?«
»Ich bin losgezogen, um erst einmal einen unserer schwarzen Boys in der Wache abzuholen, und da hörte ich, dass aus der ganzen Gegend rundum schon Anrufe gekommen waren, in denen der Krach gemeldet wurde, aber niemand schien ihn genau lokalisieren zu können. Wir sind überallhin gefahren, haben alles abgesucht. Ich habe es sogar auf der gegenüberliegenden Seite der Flussmündung probiert, wo die Grice-Farm liegt, und auf dem Weg dorthin habe ich Scheinwerfer gesichtet. Es waren vier Burschen in einem Jeep, die unten am Strand gewesen waren und nach dem Angeln gegrillt und Bier getrunken haben. Sie haben behauptet, gesehen zu haben, dass etwas hochging, eine Riesenstichflamme auf der anderen Seite der Mündung, Richtung Fynn’s Creek. Einer sagte, es sei genauso ein Knall gewesen, wie man ihn mit Dynamitstäben auslöst, wenn ein Damm gebaut wird. Wissen Sie, was ich dachte, dass es sein könnte?«
»Keine Ahnung«, sagte Kramer. »Ein amoklaufender Bauingenieur?«
»Ach Quatsch – Spaß beiseite. Ein U‑Boot.«
Kramer blickte verständnislos drein.
»Hören Sie«, sagte Terblanche, »Sie haben doch sicher auch all die Zeitungsberichte von russischen U‑Booten gelesen, die an der Küste entlangfahren? Und kommunistische Agitatoren absetzen?«
Richtig, Kramer hatte solche Storys gelesen. Aber schon nach nur drei Wochen in Natal war er zu der Auffassung gekommen, dass die englischsprachige Presse aus Fairness gegenüber dem Leser bei ihren Artikeln freizügig Gebrauch machen sollte von dem schönen Satzanfang »Es war einmal …«.
»Wie ich merke, sind Sie jäh verstummt«, sagte Terblanche. »Weil es irgendwie einen Sinn ergibt, nicht wahr? Kommunistische Agitatoren mit Bomben und dergleichen im Pappköfferchen, die zu einem Zeitpunkt landen, wo es ohnehin schon eine Menge Ärger bei den Kaffern gibt, die ihre Pässe verbrennen und so weiter. Vielleicht ist die Bombe gleich nach der Landung des Agitators losgegangen – bei den Schwarzen weiß man nie, es kann einer mit der Zünduhr rumgespielt haben, um zu sehen, wie spät es ist.«
»Sie haben also eine dritte Leiche gefunden?«, fragte Kramer.
»Das nicht, aber es ist zumindest eine Theorie.«
»Was ist mit der Theorie, dass diese Explosion ein Unfall war?«, fragte Kramer. »Haben die Gillets Gas zum Kochen benutzt? Standen Benzinfässer in der Nähe des Hauses?«
»Ja, Lance hatte zwei Benzinfässer von je 44 Gallonen Inhalt, weitab vom Haus – damit ist nichts passiert. Der Herd war ein normaler Ölofen, der offensichtlich nie explodiert ist.«
Kramer nickte. »Nebenbei bemerkt, hätte die Möglichkeit eines Unfalls bestimmt nicht Maaties Kritzinger dazu bewogen, um Mitternacht mit seinem Revolver dort draußen herumzuschleichen. Was meinen Sie, warum hat er das getan?«
»Habe keinen blassen Schimmer, Tromp«, sagte Terblanche achselzuckend. »Ich habe meine Nase nie in CID‑Angelegenheiten gesteckt. Ich habe lediglich allmonatlich ihre Berichte gelesen und dann meinen Stempel daraufgedrückt.«
»Der ideale Boss, wie?«
»Ach nein, nicht ganz – ich finde es bloß schon anstrengend genug, meinen Job zu machen, ganz zu schweigen von ihrem, und Colonel Du Plessis ist damit ganz zufrieden. Hier ist es, hier ist die Abzweigung nach Fynn’s Creek: Halten Sie sich lieber irgendwo fest …«
Der holprige Weg nach Fynn’s Creek sah aus wie ein Dutzend andere auch, die in die endlosen Zuckerrohrfelder hineinführten, und so merkte Kramer sich einen auffallenden Stinkbaum in der Nähe der Abzweigung. Dann blockierte etwa eine Meile lang das hohe Zuckerrohr die Sicht nach beiden Seiten, und die Holperfahrt wurde recht eintönig. Allerdings änderte sich die Luft, sie hatte auf einmal eine gewisse Schärfe und eine erstaunliche Frische.
»Hier ungefähr war es«, sagte Terblanche, »hier bin ich heute Morgen gegen vier Uhr auf einen alten Kaffern gestoßen, der nach Hause schwankte. Er sagte, er sei Moses Khumalo, der schwarze Koch der Gillets’, und hätte sich mit seinem Onkel in Jafini betrunken. Als er zu dem Knall befragt wurde, sagte er, es sei wahr, er hätte eine ganze Zeit vorher einen Blitz einschlagen hören, und seine junge Missus, die allein gewesen sei, habe sich sicher furchtbar erschreckt. Daran konnte man schon merken, wie betrunken er war!«
»Und was haben Sie gemacht?«
»Ach, ich habe ihn dortgelassen und habe ordentlich Gas gegeben – ob Sies glauben oder nicht, ich hatte ganz vergessen, dass dort in Fynn’s Creek ein Rangerhaus stand! Es ist ein neues Reservat, wissen Sie, versuchsweise, und noch nicht lange besetzt. Vielleicht wollte ich auch einfach nicht an so was denken – wer weiß? Jedenfalls bin ich wie der Blitz gefahren, aus Sorge um die kleine Annika, als ich gehört hatte, dass Lance nicht bei ihr war.«
»Sie haben sie persönlich gekannt?«