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Der gesuchte Bankräuber Tollie Erasmus hängt an einem Baum, in seiner Hand eine Bibel. Lieutenant Tromp Kramer wird beauftragt, in diesem Fall zu ermitteln, obwohl zunächst alles auf einen Selbstmord hindeutet. Bald stellt sich heraus, dass Erasmus 20 000 Rand erbeutet hatte, für Kramer ist ein Suizid deshalb ausgeschlossen: Warum sollte sich der Kriminelle trotz fetter Beute erhängen? Die Obduktion bestätigt diesen Verdacht. Bleibt die Frage, wer über das Know-How des Hinrichtens verfügt, das anscheinend nur der Henker des Staatsgefängnisses besitzt?
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Seitenzahl: 407
Ein gesuchter Bankräuber hängt an einem Baum. Zunächst deutet alles auf Selbstmord hin, doch Lieutenant Kramer glaubt nicht daran. Wieso sollte sich jemand umbringen, der jüngst fette Beute gemacht hat? Die Obduktion bestätigt den Verdacht: Der Mann wurde hingerichtet – irgendwo da draußen kennt sich jemand sehr gut aus in der »Kunst« des Hängens.
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James McClure (1936–2006) lebte in Südafrika, bis er 1965 nach England zog. Seine Krimiserie rund um das Ermittlerduo Kramer und Zondi schildert die Jahre der Apartheid. Steam Pig wurde 1971 mit dem CWA Gold Dagger ausgezeichnet.
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James McClure
Sunday Hangman
Südafrika-Thriller
Aus dem Englischen von Erika Ifang
Kramer & Zondi ermitteln (6)
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Die Originalausgabe erschien 1977 unter dem Titel The Sunday Hangman im Verlag Macmillan, London.
Die deutsche Erstausgabe erschien 1984 unter dem TitelMord am Galgen im Moewig Verlag, Rastatt.
Für die vorliegende Ausgabe wurde die deutsche Übersetzung nach dem Original durchgesehen.
Originaltitel: The Sunday Hangman (1977)
© by The Estate of James McClure 1977
© by Unionsverlag, Zürich 2024
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: DWerner/Shotshop.com
Umschlaggestaltung: Heike Ossenkop
ISBN 978-3-293-30965-4
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Über dieses Buch
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Inhaltsverzeichnis
SUNDAY HANGMAN
1 – Tollie Erasmus betrachtete den Raum, in dem er …2 – Lieutenant Tromp Kramer vom Trekkersburger Morddezernat hatte während …3 – Die Landschaft ringsumher war so vertrocknet wie ein …4 – Constable Van Heerden hatte anscheinend über Funk so …5 – Die schlechte Nachricht lautete wie folgt6 – Es gibt Träume, die den ganzen Arbeitstag eines …7 – Der weiße Stein, dem Witklip seinen Namen verdankte …8 – Es bestand ein scharfer Kontrast zwischen dem wöchentlichen …9 – An diesem regnerischen Donnerstagmorgen hatte jemand einen neuen …10 – Doktor Strydom war inzwischen ziemlich aufgeregt. Nicht weniger …11 – Wen man am besten nach dem unbetrauerten Eisenbahnvorarbeiter …12 – Aber als Kramer hörte, dass der Sittich krank …13 – Constable Willie Boshoff, seinen Peinigern von der Polizeihochschule …14 – Der weiße Landstreicher blieb ein vollkommenes Rätsel …15 – Kidnapping?«, sagte Willie Boshoff zweifelnd und schob sein …16 – Madam Ratte starb in jener Nacht. Samstagmorgen nagte …17 – Zondi wusste, dass er träumte. Er hatte Dorothy …18 – Willie Boshoff hatte sich nie leicht unters Volk …19 – Die Fünundzwanzig-Watt-Birne an der Lagerraumdecke spendete nur wenig …20 – Der weiße Fels leuchtete im Mondlicht wie ein …21 – Zondi kannte nur eine Möglichkeit, die Schwerkraft daran …Mehr über dieses Buch
Über James McClure
»Wenn meine Gedanken in Südafrika sind, höre ich immer Gelächter«
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Für Allen Cook
»Aus hübschen braunen Ziegelsteinen erbaut, sieht es mehr aus wie ein modernes Verwaltungsgebäude. Fenster mit schweren Eisengittern sind in die Wände eingelassen. Weiße Marmortreppen, von üppigen bunten Blumenbeeten und weiten Rasenflächen eingefasst, führen zu dem riesigen Tor aus hochglanzpoliertem Holz mit starken Beschlägen empor. Außen befindet sich ein glänzend blanker Türklopfer aus Messing und ein mit Messing eingefasster Sichtschlitz. Der einzige Hinweis auf die Funktion des Gebäudeblocks sind die Wachtürme an den Ecken. Im Innern des Gebäudes werden Strafgefangene, die auf ihre Hinrichtung warten, rund um die Uhr überwacht.«
PRETORIA NEWS
Tollie Erasmus betrachtete den Raum, in dem er sterben sollte, und was er da sah, war die Geschichte seines Lebens: Nichts war je so geworden, wie er es sich vorgestellt hatte.
Im Augenblick war er jedoch sehr erleichtert, dass es so war. In immer wiederkehrenden Albträumen hatte er sich in einem grell erleuchteten Hinrichtungsraum mit weiß getünchten Wänden und hohen Oberlichtern, einem gescheuerten Holzfußboden und einem groben Balken mit langem Hebebaum und einem dicken, blutbefleckten Seil daran gesehen. Wohingegen dieser Raum eher wie eine Ecke im Krankenhaus aussah, von grünen Vorhängen abgeschirmt und von einem warmen, orangefarbenen Licht erfüllt; der Flaschenzug aus Messing hatte etwas Klinisches an sich, und der Strick war so sauber, als sei er eigens keimfrei gemacht worden, und versprach seinem Leben ein schnelles, sicheres, nach wissenschaftlichem Ermessen humanes Ende zu setzen.
Tollie dachte sehr schnell, er nahm all dies im Umsehen wahr, während er sich gleichzeitig auf einer anderen Ebene fragte, was eigentlich alles zwischendurch passiert war. Er konnte sich nicht mehr an seine Verhaftung, an die Gerichtsverhandlung und die Urteilsverlesung erinnern. Es war, wie wenn man im Zahnarztstuhl wieder zu sich kommt: Man weiß, wo man ist und warum, forscht aber lieber nicht zu genau nach aus Angst vor jähen Schmerzen.
Allmählich erholten sich auch seine anderen Sinne. Er roch den Gefängnisgestank von Desinfektionsmitteln und schmeckte Brandy. In seiner linken Hand hatte er etwas Eckiges. Die Hand war nicht sichtbar. Nichts von ihm war sichtbar. Er war so fachmännisch in ein Betttuch gewickelt worden, dass er sich nicht rühren konnte. Ein langes Betttuch, das mehrmals um ihn herumgewickelt und an der Seite ordentlich mit Sicherheitsnadeln zusammengesteckt worden war. Er saß auf einem Stuhl, an den er mit einem breiten, weichen Verband mit unzähligen Umwicklungen festgebunden worden war.
Da stimmte etwas nicht. Denk nach, Tollie, denk schnell nach.
Die Form des Raums war irgendwie verkehrt. Wochentags hatte er jeden Vormittag im Zentralgefängnis von Pretoria auf dem Fußballplatz gewartet, bis er mit den anderen zu den Werkstätten abkommandiert wurde. Während er dort stand, hatte er auf eine zweieinhalb Stockwerke hohe Steinmauer geblickt mit nur einem einzigen Oberlicht ganz oben. Wenn man nicht gleich darauf kam, dass es sich dabei um den Galgentrakt handelte, erfuhr man es bald genug, da es dienstags und donnerstags oft Verzögerungen gab, weil sie erst die Sargdeckel zunageln mussten. Mit der Zeit kannte man die Abmessungen des Trakts ziemlich gut, und dieser Raum passte einfach nicht ins Bild. Denk schneller.
Die Rolle für nur ein Seil war auch so eine Sache – ebenso wie die Fußbodengröße. Er wusste zuverlässig, dass sie manchmal sechs Kaffern auf einmal aufhängten, und sechs konnten auf gar keinen Fall nebeneinander auf dem Bodenstück mit der Falltür stehen. Natürlich übertrieben die Wärter gern, wenn sie Zahlen nannten, aber er war mit eigenen Augen Zeuge einer Hinrichtung von mehreren gleichzeitig gewesen. Nachdem man den Fußballplatz verlassen hatte, ging man ein paar Stufen an der Seite des Galgentrakts hinauf und einen Gang entlang, der zwischen der Tür zum Aufbahrungsraum und der Tür hindurchführte, aus der sie sie hinausbrachten, über Sägemehl, das ausgestreut war, damit einem kein Blut an den Füßen kleben blieb. Und eines Donnerstagmorgens hatte er tatsächlich einmal sechs Paar durchnässte Kakishorts vor der Tür liegen sehen, bevor sie zum Waschen eingesammelt wurden. Er erinnerte sich noch, dass der Wärter ihm zugeblinzelt hatte und eine Hand an der Wand abwischte.
Außerdem hatte er ja Ohren. Er hörte nichts von dem Klang, der in den Wänden des Zentralgefängnisses nie verstummte – er brach nur ganz plötzlich ab, wenn sich die Falltüren öffneten; dem Klang der frommen Lieder und Gesänge, die die zum Tode verurteilten Kaffern in der großen Zelle von B2 sangen. Bevor sie gehängt wurden, sangen sie sogar noch lauter und ließen das Lied So nimm denn meine Hände die ganze Nacht durch erklingen, womit sie Trakt A und B in den Wahnsinn trieben, was den privilegierten Bastarden recht geschah. Selbst bis zum Trakt C, der viel weiter weg war, drang es durch, wenn um 5.30 Uhr das Licht anging und es zum letzten Mal vor der langen, leeren Stille laut anschwoll.
Um in dieser widersinnigen Situation seinen klaren Verstand zu bewahren, stellte sich Tollie eine einfache Frage: Wenn ich nicht im Zentralgefängnis bin, wo zum Henker bin ich dann?
Es war kein Traum, und im Grunde konnte er nirgendwo anders sein, trotz all der –
Tollie wusste plötzlich genau, wo er war und warum alles nicht mit seinen Erfahrungen übereingestimmt hatte. Er war längere Zeit nicht im Zentralgefängnis gewesen und hatte gar nicht mehr an das neue Gebäude für die Todeskandidaten gedacht, das sich gleich hinter dem alten Trakt im Bau befunden hatte. Ein wirklich modernes Gebäude, hatte in der Zeitung gestanden, mit allen möglichen Neuerungen; die Häftlinge hatten ihm den Spitznamen »Beverly Hills« gegeben.
Sofort passte alles zusammen. Dass nur ein Galgen für alle Rassen da war, hatte ihn immer gewundert; dies hier war der für Weiße reservierte Galgen, was auch die Vorhänge und den einzigen Strick erklärte. Das unablässige Singen aus B2 hinten im alten Block war jedem auf die Nerven gegangen; jetzt waren die Kaffern in einen neuen Trakt gekommen, der offenbar schalldicht war. Was das Betttuch betraf, in das er eingewickelt war, so war es wohl eine verbesserte Form der alten Zwangsjacke, die, wie die Wärter oft geklagt hatten, bei den wirklich aggressiven Fällen nichts genutzt hatte.
Nachdem er die Probleme gelöst hatte, die unmittelbar mit seinem Erwachen in einem solchen Raum in Zusammenhang standen, wurde Tollie plötzlich klar, dass er noch nie zuvor das Bewusstsein verloren hatte. Er konnte sich sogar entfernt erinnern –
»Keine Angst, mein Sohn, du spürst nichts«, sagte eine tiefe Stimme hinter ihm. »Wir sind alle hier, und es ist Punkt halb sechs.«
Lieutenant Tromp Kramer vom Trekkersburger Morddezernat hatte während seiner Dienstzeit schon so manches glauben sollen. Aber als ihm erzählt wurde, Tollie Erasmus hätte sich erhängt, schüttelte er bloß den Kopf.
»Sehen Sie doch selbst«, sagte der neue Mann von der Spurensicherung und zog ein Foto aus dem Packen, den er in der Hand hielt. »Das habe ich eigenhändig heute Morgen gemacht, deshalb ist es auch so klar und deutlich.«
Kramer drehte das Bild auf der Theke teilnahmslos mit dem Finger in die richtige Position. Sicher, das war eindeutig das Gesicht von Tollie Erasmus: ein aalglattes, spitzes Gesicht mit kleinen, eng zusammenstehenden Augen; von der Art, wie ein Bullterrier aussehen würde, wenn er ein Mensch wäre. Zudem ein totes Gesicht, und um den Hals war ein Strick.
»Wo?«, murmelte er und blickte auf, um zu sehen, wer sonst noch vom Polizeihauptquartier auf der anderen Straßenseite in die Hotelbar herübergekommen war.
Er hätte es sich wahrhaftig denken können: natürlich kein anderer als Sergeant Klip Marais, der fröhlichste Überbringer von Hiobsbotschaften in den Reihen des Criminal Investigation Department, ein kriecherischer und gelegentlich streitsüchtiger kleiner Fiesling.
»Lieut Gardiner hat gesagt, Sie müssten sofort informiert werden«, erklärte Marais in einem Ton, aus dem Reue über die Leichtfertigkeit seines Gefährten sprach. »Wir haben die Nachricht gesehen, die Sie in Ihrem Büro für Zondi zurückgelassen haben, und da …«
»Wo?«, sagte Kramer noch einmal.
»Äh, im Landesinnern«, sagte der Neue. »Sie haben ihn in Doringboom nicht identifizieren können, und da hat mich der Lieut losgeschickt, um ein paar Aufnahmen zu machen und so weiter. Als ich jetzt zurückgekommen bin, haben ihn die anderen Kerle sofort erkannt, und ich sollte Sie im CID suchen.«
Seine derzeitige Umgebung schien ihn zu belustigen.
»Doringboom ist hierfür also zuständig?«, sagte Kramer und steckte das Bild ein. »Wann machen sie denn die Obduktion?«
»Heute Nachmittag, wenn ich recht gehört habe.«
»Hm. Die Leiche ist wann gefunden worden?«
»Heute.«
»Wo?«
»Auf einem der Rastplätze an der Nationalstraße, etwa zwanzig Kilometer vor Doringboom. Sein Wagen stand auch dort, ein grüner Ford; er hatte sich an einer Dornenakazie gleich am Zaun erhängt. Ein paar schwarze Kids haben es einer Familie gemeldet, die mit ihrem Caravan zum Frühstücken angehalten hatte. Er hat nicht allzu lange da gehangen, nur ein paar Stunden – sagt der Doc.«
»Welcher Doc?«
»Fragen Sie mich nicht – der örtliche Kreisarzt, wer immer das ist.«
»Hm.«
Kramer starrte den Neuen an und kam zu dem Schluss, dass er kein Gewinn für die Kripo sein würde. Manche Leute kaschierten durch Großspurigkeit ihre Schüchternheit, andere taten groß, weil sie nur die Mindestgröße von eins siebzig hatten, aber auf den hier traf keins von beidem zu: Er war fast so groß wie Kramer selbst und viel stämmiger, und sogar die Art, wie er seine fettige Tolle zurückgekämmt hatte, bewies seine Großtuerei.
Merkwürdig, dass das Unglaubliche eine solche Wirkung hatte und einen dazu verführte, über unerhebliche Belanglosigkeiten nachzudenken, während man im tiefsten Innern gewisse Korrekturen vornahm.
»Geben Sie einen aus?«, fragte der Neue mit einem Kopfnicken in Richtung des Getränkes, das vor Kramer stand.
»Warum nicht?«
»Äh, ich gehe dann wohl besser«, sagte Marais und wandte sich zum Gehen. »Äh, bis dann, ja?«
Sie sahen ihm nach, wie er davonging.
»Übrigens, ich bin Klaas Havenga«, erklärte der Flegel und schnippte mit den Fingern nach dem indischen Barmann. »Einen Brandy mit Orange, kein Eis, und der Lieutenant hier zahlt.«
»Für mich das Gleiche«, sagte Kramer und merkte, wie mechanisch seine Reaktionen geworden waren.
Er zog das Bild hervor, um es sich noch einmal anzuschauen.
»Worum gehts denn eigentlich?«, fragte Havenga, nachdem er sich mit dem ersten Schluck den Mund gespült hatte. »Marais wollte es mir auf dem Weg hierher erzählen, aber Sie wissen ja, der Kerl redet nur dummes Zeug, wie ein gottverdammter Kuli.«
Der Barmann, ein sensibler Mensch, ging ans andere Ende der Theke und nahm seine Zeitung mit. Er war gerade dabei gewesen, ein paar interessante Worte in das Kreuzworträtsel einzutragen, als die beiden Witzbolde erschienen und ihre Bombe platzen ließen.
»Ich war hinter ihm her«, sagte Kramer und spürte noch nichts.
»So? Stimmt es, dass er mal aus dem Hinterhalt auf Sie geballert und Ihr Boy dann alles versaut hat?«
»Vor drei Monaten«, sagte Kramer und nahm Eis aus dem Plastikkübel. »Wir haben in letzter Minute einen Tipp bekommen, es könnte einen Überfall oben in Peacevale geben, wo ein paar Bantugeschäfte sind – an der Piste, die parallel zu der zweispurigen Straße verläuft. Sie hatten dort gerade einen Versuch mit einer kleinen Bank gemacht. Genau zu Mittag, sagte unser Informant, aber als wir anrollten, war die Geschichte schon voll im Gang.«
»Yirra!«
»Dabei sah es gar nicht so aus. Die Leute draußen hatten überhaupt nichts gemerkt, so schnell war er. Sie waren den Anblick bewaffneter Weißer gewohnt, die hineingingen und das Geld von der Bank abholten, ebenso wie die Bankangestellten. Die blöden Hunde haben ihn direkt zum Safe gebracht und ihn für ihn geöffnet. Jedenfalls kam Erasmus mit der Waffe im Anschlag herausgerannt, und wir merkten zu spät, wohin sie zielte. Meine eigene steckte noch, also riss Zondi blitzschnell den Wagen herum, um mir Zeit zu geben zu ziehen. Als er Erasmus zugekehrt ist, kriegt er eine .38er ins Bein, direkt durch die verfluchte Tür. Ende, aus.«
»Wie bitte?«, fragte Havenga mit gerunzelter Stirn.
»Das Bein wurde auf dem Gaspedal steif, und wir donnerten in einen Gemüseladen – überall Glas, Trauben und Kohlköpfe. Der Besitzer war sofort tot.«
Der Mann hatte offenbar noch nie etwas Komischeres gehört. Kramer lächelte nachsichtig, während der andere Luft holte.
»Heiliger Himmel! Überall K-K-Kohlköpfe!«, keuchte Havenga und hatte seine helle Freude an dieser Vorstellung. »Mann, Sekunde mal.«
Er wischte sich mit seinem tintenbeschmierten Handrücken die Tränen aus den Augen, dann rief er den Barmann.
»Das Gleiche noch mal«, befahl er. »Aber diesmal zahle ich.«
»Den Teufel werden Sie!«, sagte Kramer, und dabei blieb es. Während der Barmann ihnen erneut einschenkte, huschte ein heller Lichtstrahl über die Flaschen und Gläser in dem Regal hinter der Theke.
»Wer macht denn so was?«, brummte ein alter Knabe gereizt.
Niemand wusste eine Antwort darauf, und so rutschte er von seinem Hocker und ging zu den Sprossenfenstern, die der Bar das Aussehen einer Pseudotudortaverne verliehen. Aber die Mattglasscheiben verwehrten ihm den Blick nach draußen; er trat hinaus auf den Bürgersteig und schimpfte.
»Nur weiter«, ermunterte Havenga Kramer und stieß mit ihm an. »Während Ihr Boy also einen verfluchten Narren aus Ihnen in all den Trauben und Mangos machte, ist Tollie entkommen?«
»Mhhm.«
»Und jetzt haben Sie zum ersten Mal wieder etwas von ihm gehört?«
»Zum ersten Mal. Er stammte aus Durban, aber dorthin ist er nicht zurückgekehrt. Er wurde in allen großen Städten steckbrieflich gesucht – in Johannesburg, Kapstadt, Port Elizabeth, aber ohne Erfolg. Wo war denn sein Wagen zugelassen?«
Aber Havenga wurde in diesem Augenblick von der Rückkehr des alten Miesepeters abgelenkt.
»Wer wars denn?«, fragte ein Farmer, der zu Besuch war und in der Zwischenzeit anscheinend frisches Bier für sich und den anderen bestellt hatte. »Irgendein Jugendlicher, der –«
»Nein, ein unverschämter schwarzer Bastard, der auf der anderen Seite mit seiner Tabaksdose oder was Ähnlichem rumgewackelt hat. Hat mich nur angegrinst – Sie kennen die Typen ja. Aufgetakelt wie ein Flaggschiff mit einem Anzug, den er bestimmt geklaut hat. All right. Ist das für mich? Sehr nett von Ihnen, Mann.«
»Wenn Sie wollen, gehe ich mal raus und trete ihn in den Hintern«, erbot sich der Farmer, der erheblich jünger war.
»Nein, nein; ich habe ihn schon weggescheucht. Cheers, auf die Gesundheit!«
Havenga grinste zynisch und wandte sich wieder Kramer zu. »Pardon, was haben Sie gesagt?«
»Ich habe Sie nach seiner verdammten Zulassung gefragt.«
»Hab die Schilder nie gesehen. Gehen Ihnen diese verfluchten Engländer nicht schwer auf den Geist?«
Noch während er sprach, wanderte der von draußen hereingespiegelte Lichtstrahl über Havengas Gesicht, gaukelte dann wie ein Schmetterling zum Oude-Meester-Brandy und weiter zur Kasse.
»Was will der Kerl denn?«, explodierte der alte Mann und knallte seinen Humpen auf den Tisch. »Was zum Teufel glaubt er eigentlich, wer er ist?«
Kramer dämmerte plötzlich, dass er möglicherweise die Antwort auf die beiden Fragen wusste. Und nicht nur das, er hatte auch die gewissen Korrekturen vorgenommen, und jetzt war es Zeit zu handeln.
»Was Dienstliches?«, fragte Havenga erstaunt, weil Kramer aus unerfindlichen Gründen auf einmal so entschlossen aufstand.
»Wieso dienstlich, Sergeant? Ich hatte offiziell heute früh um sechs Dienstschluss.«
»Aber ich … Sie meinen, Marais …«
Der Neue von der Spurensicherung sah das Glas in seiner Hand an, dann setzte er mit einem etwas unsicheren Lachen auf alte Kameradschaft: »Sie werden es doch nicht melden, Sir, oder?«
»Aber sicher«, sagte Kramer einfach nur aus Spaß.
Drüben auf der anderen Straßenseite lehnte, wie er vermutet hatte, unbeschwert Bantu Detective Sergeant Mickey Zondi und versuchte noch immer, das Problem zu lösen, mithilfe eines überschüssigen 9-mm-Magazins Sonnenlicht in die Bar zu spiegeln. Im Nu hörte er damit auf und kam herüber.
»Wie gehts, Mickey?«
»Nicht gerade gut, Boss – und nicht gerade schlecht. Ich war zwei Stunden bei Mama Makitini, aber sie schwört bei Gott, dass sie nicht einen Tropfen von dem Wodka in ihrer illegalen Spelunke hatte. Dann habe ich zufällig Yankee Boy Msomi hinten bei Pillay’s gefunden und einen Tipp bekommen. Wir sollten beobachten, wohin die Mpendu-Brüder heute Abend gehen, weil es da vielleicht eine Spur gibt. Tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten.«
»Schon gut; habe bloß die Nase von dem verfluchten Büro voll. Musste reden.«
»Mit wem denn? Dem Alten, der die Zulusprache so gut beherrscht?«, witzelte Zondi und schüttelte zittrig die Faust. »Es wäre allerdings nett, wenn man ihm den Unterschied zwischen bhema und bhepa erklären würde. Er hat doch tatsächlich die Grobheit begangen, mir zu sagen, ich solle gehen und mich selber rauchen.«
»Hm.«
»Boss?«, fragte Zondi mit Gespür für Stimmungen.
»Vergiss den blöden Wodka und die Mpendus. Ich muss ein Wörtchen mit dem Colonel reden, während du den Wagen volltankst. Sei um eins auf dem Hof.«
»Und wohin fahren wir?«
»Nach Doringboom. Zu einer Autopsie nach Doringboom.«
»Hau! Ermittlungen in einem Mordfall?«
»Na ja, das scheint im Augenblick noch Ansichtssache zu sein«, sagte Kramer. »Hier, sag mir, was du davon hältst.«
Er reichte Zondi das Foto.
Zondis Miene verfinsterte sich nach einem flüchtigen Blick. Er gab Kramer das Bild ohne eine Andeutung dessen, was in seinem Kopf vorging, wieder und trat einen Schritt zurück.
»Ich hol das Auto, Boss.«
»Fein.«
Kramer schlug die entgegengesetzte Richtung zum CID-Gebäude ein, dann trat er seitlich in den Schatten eines Coca-Cola-Wagens, der gerade entladen wurde. Mit dem Humpeln wurde es keineswegs besser; im Gegenteil, wenn Zondi sich unbeobachtet glaubte, wurde es sogar erheblich schlimmer.
»Ich habs gehört«, sagte Colonel Hans Muller, ohne den Blick von seiner Schreibtischauflage zu wenden, auf der er mit dem Sud aus seinem Pfeifenstiel Gänseblümchen malte. »Ich habe mit Dr. Myburgh gesprochen, dem jungen Kreisarzt, der in Doringboom für den Fall zuständig ist. Habe ihm die nötigen Informationen und so weiter gegeben.«
»Ach ja? Was sagt er denn?«, fragte Kramer und nahm wie gewohnt auf der Ecke des großen Schreibtischs Platz.
»Vorsichtig! Nicht wackeln, bitte. Das hier ist nicht so einfach, wie es aussieht. Also, wie gesagt, Myburgh klang, als sei er ein intelligenter Mensch. Hat natürlich eine Menge Erhängte dort draußen in der ländlichen Umgebung – die Bantus haben schließlich keine Schlaftabletten und all das Zeug, mit dem man rumspielen kann. Hat ziemlich viel Erfahrung für sein Alter.«
»Mhhm.«
»Es interessierte ihn, was wir ihm über den Verstorbenen sagen konnten. Sagte, jetzt wäre ihm klar, warum Erasmus keine Papiere bei sich hatte – was beweist, dass er nicht dumm ist.«
»Und weiter?«, drängte Kramer, den die lange Vorrede misstrauisch machte.
»Na ja, er sagte mir, er wäre persönlich am Tatort gewesen. Keine Hinweise auf Gewaltanwendung, keine Erdrosselung vor dem Hängen, und eine hübsche kleine Astgabel an dem Baum zum Runterspringen. Nichts, was –«
»Aber Colonel …«
»Herrje! Sehen Sie nur, was Sie jetzt angerichtet haben! Ich will doch keine Sonnenblumen, verflucht noch mal! Lassen Sie mich bitte ausreden: Das einzige etwas Ungewöhnliche waren Tollies gebrochenes Genick und sein Sprung in die Tiefe – die meisten Selbstmörder erdrosseln sich meist irgendwie.«
»Etwas ungewöhnlich? Himmel, ich bin gespannt, was unser Kreisarzt dazu sagt«, erwiderte Kramer scharf, zuversichtlich, dass Dr. Christiaan Strydom, der begabte, wenn auch exzentrische Gartenzwerg, mit dem er normalerweise zusammenarbeitete, seine Zweifel teilen würde.
»Immer zu Diensten, Trompie«, murmelte der Colonel gut gelaunt. »Vor nicht einmal fünf Minuten habe ich mit selbigem gesprochen, und Chris stimmte zu, dass ein Genickbruch selten ist – allerdings auch nicht völlig abwegig in Anbetracht der Umstände, die ich ihm geschildert habe. Er machte ein paar sehr treffliche Beobachtungen, und eine davon hatte auch Dr. Myburgh schon gemacht.«
Statt nun zu erklären, worum es sich dabei handelte, widmete der Amateurkünstler seine ungeteilte Aufmerksamkeit der Verteilung des nächsten ekelhaften gelben Kleckses.
»Soll ich einfach mal raten, Colonel?«
»Mhhm. Sie könntens versuchen, wenn Sie möchten: Was haben – oder hatten – Dr. Strydom und Tollie Erasmus gemeinsam?« Die Antwort, die er darauf erhielt, war verdientermaßen grob. »Dann will ich Ihnen mal einen Tipp geben: Wo haben sie beide, wenn ich so sagen darf, ihre Zeit verbracht?«
Kramer blieb still und bereute, sich überhaupt die Mühe gemacht zu haben, dem alten Mistkerl einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Sein Verstand beharrte jedoch kindisch darauf, das Rätsel zu lösen: Strydom und Erasmus hatten beide eine gewisse Zeit im Zentralgefängnis von Pretoria verbracht, dem Henkersplatz der Republik, einem der wenigen Orte, wo Schwarze die gleichen Annehmlichkeiten genossen wie Weiße, wenn auch nur kurz.
»Volltreffer«, fuhr Colonel Muller fort, der es als sicher ansah, dass Kramer zum richtigen Schluss kam, »und es wäre einem Mann bestimmt unmöglich, nicht mitzubekommen, was dienstags und donnerstags dort abläuft. Jeder Wärter muss bei mindestens einer Vollstreckung als Zeuge zugegen sein, und ich bin sicher, dass er es danach für seine Pflicht hält, den vor ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft stehenden Hochsicherheitshäftlingen zur Abschreckung davon zu erzählen. Tollie muss diese Geschichten während seines letzten Einsitzens Dutzende von Malen gehört haben – vielleicht sogar auch das Geräusch der sich öffnenden Falltür. Und da hat er wohl, als er Verlangen nach einem schnellen Tod hatte, wie ihn die Regierung gewährt …«
»Tollie? Blödsinn!«, sagte Kramer bissig.
»Dann bitte ich Sie nur ungern, es bei Ihren Überlegungen zu berücksichtigen, Lieutenant. Nichtsdestoweniger wäre eine solche Vorgehensweise bei Tollie vollkommen logisch, insbesondere dann, wenn er seine Waffe weggeworfen und nur noch ein Abschleppseil gehabt hat. Lassen Sie sich nicht von der Statistik irreführen: In der Öffentlichkeit wissen nur die wenigsten Menschen, wie man sich richtig erhängt, sonst würden es viel mehr tun.«
»Als Nächstes werden Sie noch behaupten, er hätte es aus Gewissensnöten getan!«
Der Colonel blickte auf. »Wer redet hier Blödsinn?«, sagte er mit leisem Lachen und lehnte sich zurück. »Das ist etwas, womit sich unser Freund nie belastet hat, ein schlechtes Gewissen. Aber Sie müssen doch zugeben, dass in diesem Zusammenhang nichts gegen die angewandte Methode spricht.«
»Es hätte mich gewundert, wenn er sich auf andere Art und Weise erhängt hätte, Sir – aber das heißt nicht, dass ich auch nur eine Minute lang glaube, dass er es getan hat.«
»Das haben Sie wohl im Urin, was?«
»Da sind ein paar Widersprüche, angefangen mit –«
»Moment mal; hier kommt Punkt zwei: Dr. Strydom teilt Ihre hohe Meinung von Präzedenzfällen.«
»Ach ja?«
»Das Erhängen ist, wie er sagt, eine Form des gewaltsamen Todes, die sich von allen übrigen Todesarten unterscheidet, sofern die Annahme der Gerichtsmedizin, dass es sich um Selbstmord handelt, hier zutrifft. Seiner abwegigen Ansicht nach ist sogar der gerichtlich angeordnete Tod durch den Strang Selbstmord, aber wir wollen unsere Zeit nicht damit verschwenden, tiefer in –«
»Warum eigentlich nicht?«, fühlte sich Kramer genötigt zu sagen.
»Vorsichtig. Sie sollten fragen, wie es zu dieser Annahme gekommen ist. Nur, weil die Selbsttötung durch Erhängen schon Millionen Mal erfolgt ist – wie etwa bereits bei Judas, wenn Sie so wollen, wohingegen Mord durch Erhängen ein buchstäblich beispielloses Verbrechen ist. Können Sie mir folgen? Der einzige Fall, den der Doc sofort anführen konnte, war einer in Paris 1881.«
Kramer zündete sich eine Lucky Strike an und überwand einige Wellen des Zweifels in besagtem Urin. Einen Augenblick lang hatte ihn dieses Gerede von Präzedenzfällen beeindruckt, bis ihm klar wurde, dass der Standpunkt des Colonels einzig auf der Anzahl von Morden durch Erhängen beruhte, die tatsächlich festgestellt worden waren.
»Eine Annahme, die sehr gelegen kommt«, bemerkte er trocken. »Teufel auch, wenn mir mein Liebesleben über den Kopf wächst, könnte ich die Methode ja selbst mal ausprobieren.«
»Können Sie machen, Tromp – vorausgesetzt, Sie suchen sich dazu Zweijährige aus oder Fixer, die bis über beide Ohren stoned sind. Denn der Kreisarzt wird trotz allem seine Routineuntersuchung vornehmen und sicherlich jedes Anzeichen von äußerer Gewaltanwendung bemerken, die Sie Ihrem Opfer zwecks Kontrolle wahrscheinlich angedeihen lassen müssten. Erasmus war zu dem betreffenden Zeitpunkt bei Bewusstsein, und es gibt keinerlei Hinweis auf frische Druckstellen.«
»Bei vollem Bewusstsein? Wie kann Myburgh das sagen?«
»Aha«, sagte der Colonel und gab sich verschlagen, »da hätten wir den unglaubwürdigen Teil der Story. Anscheinend hatte Tollie in seiner linken Hand eine Taschenausgabe der Bibel mit Ledereinband. Er muss sie teuflisch fest umklammert haben, und dann hat die Leichenstarre sie dort festgehalten.«
Das leuchtete Kramer natürlich ein: Der plötzliche, gewaltsame Tod hat manche Überraschung auf Lager. Er hatte sich einmal zehn Minuten lang damit abgemüht, einen Haarfön dem Griff einer dünnen Schreibkraft zu entwinden, die in ihrem Bad durch Stromschlag getötet worden war. Zwischen den Zähnen eines Kaminkehrers, der auf eine Parkuhr gespießt worden war, hatte er eine Bruyèrepfeife gefunden, vergleichbar der des Colonels. Und wenn sich jemand in der äußersten Not an Jesus wandte, dann der Abschaum der Erde – das bezeugten die an jede Zellenwand gekritzelten Gebete.
Trotzdem sagte er im Brustton der Überzeugung: »Ach was, die hat später jemand hineingesteckt.«
Der Colonel drohte ihm mit einem haarigen Finger.
»Sir?«
»Die Wahrheit ist, dass Sie diesen Tollie Erasmus selbst haben wollten, Trompie. Und da Sie ihn nicht mehr kriegen können, soll jemand anders die Prügel bekommen.«
Kramer zuckte die Achseln.
»Außerdem hat es keinen Sinn, wenn Sie und ich wilde Vermutungen anstellen und sagen, Tollie sei zu sehr Psychopath gewesen, um überhaupt auf eine solche Idee zu kommen, weil wir gar nicht dazu qualifiziert sind, ein derartiges Urteil zu fällen – ich würde sogar so weit gehen, dass es niemand kann. Ich will nicht, dass Sie nach Doringboom fahren und zum Beispiel Dr. Myburgh ein Eingeständnis abringen oder etwas anderes in der Art, was für Sie in Ihrer Enttäuschung typisch wäre. Die Tatsachen, die nackten Tatsachen und inwiefern sie für uns relevant sind – verstanden?«
»Auf Heller und Pfennig, Sir.«
»Dann ist es ja –«
»Ich meine: Würden Sie sich umbringen, wenn Sie noch zwanzigtausend Rand besäßen?«
»Gott im Himmel!«, protestierte der Colonel. »Seit wann wissen Sie das?«
»Nun ja, Sir, zumindest hätten wir davon gehört, wenn Tollie es auf den Kopf gehauen hätte. Offensichtlich wollte er warten, bis die Luft raus ist. Hat sich wahrscheinlich irgendwo in einer Wohnung bei einem Gänschen eingenistet, das für ihn gekocht und Aufträge ausgeführt hat.«
»Ja? Das gleiche Gänschen, das womöglich eines Nachts mit seinem goldenen Ei verschwunden ist? Nachdem es das Abendessen entsprechend gewürzt hatte? Das hat es schon gegeben – und es kann einen Mann in tiefe Depressionen stürzen.«
Zur offenkundigen Zufriedenheit des Colonels klingelte in diesem Augenblick das Telefon und sorgte für die nötige Unterbrechung.
Dachte er.
»He, wann fahren Sie eigentlich nach Doringboom?«, fragte der Colonel ihn kurze Zeit später, während er die Sprechmuschel mit der hohlen Hand abschirmte. »Ihr alter Kumpel ist dran und fragt, ob er mitfahren kann. Ich dachte mir schon, dass er bald seine Nase in die Sache stecken würde! Sie wissen ja, wie der Doktor ist.«
Kramer runzelte die Stirn; er wusste, dass Strydom einen Dienstwagen hatte, weswegen seine Anfrage ziemlich seltsam war, und es passte ihm nicht, so gebunden zu sein und den blöden Kerl wieder zurückbringen zu müssen.
»Sagen Sie ihm, dass es mir leidtut, Colonel, aber ich warte nicht einmal mehr bis zum Mittagessen. Wir fahren Punkt eins los.«
»Hallo, Chris? Er saust gerade davon.« Der Colonel lauschte noch ein, zwei Sekunden, lachte in sich hinein und warf dann den Hörer mit einem solchen Knall auf die Gabel zurück, dass er Kramers ewige Treue und Hochachtung zurückgewann.
»Alles paletti, Tromp«, sagte der Colonel fröhlich und sprengte den Rest seines Tabaksuds auf die rückwärtige Wandvertäfelung. »Der Doc wartet Ecke Parade und Ladysmith Street auf Ihrem Weg auf Sie. Und wenn Sie das nächste Mal versuchen, ein Gespräch mit mir abzukürzen, dann achten Sie bitte darauf, dass es nicht schon zehn nach eins ist, verdammt noch mal.«
Alle Korrekturen vorzunehmen, war offenbar zu viel verlangt gewesen.
Die Landschaft ringsumher war so vertrocknet wie ein alter Tennisball und hatte in etwa die gleiche Farbe. Außer dornigem Gestrüpp gab es nur Baumgruppen, die zu einem bestimmten Zweck angepflanzt worden waren: um ein Gehöft mit Blechdach zu beschatten oder einer Handelsstation als Windschutz zu dienen. Die Art von Gottes eigenem Land, wo jeder Farmer den Tag mit einem abgrundtiefen Seufzer begann.
Kramer, der schon vom bloßen Anblick müde wurde, wandte den Blick wieder der vor ihm liegenden Straße zu. Trugbilder von Wasserpfützen flimmerten auf dem Asphalt und versetzten den unterbrochenen weißen Mittelstreifen in Wellenbewegung, ein in weiter Ferne entgegenkommender Bus glänzte in der grellen Sonne wie ein Stecknadelkopf, ehe er zu bedrohlicher Größe wuchs. Dann waren der Schlag und das Geschüttel vom Vorüberfahren auch schon vorbei, und ein Volkswagen trat in der Ferne auf den Plan. Den ließen sie auch bald schieläugig hinter sich, und entsprechend näher rückte das armselige Städtchen Doringboom. Zondi fuhr, wie er immer fuhr: nicht so, als sei der Chevrolet eine konsequente Erweiterung von Geist und Körper, sondern wie ein Mann, der sein durchgehendes Pferd gewähren lässt und sich damit zufriedengibt, ihm nur ab und zu die Sporen in die Rippen zu treiben. Für Kramer hatte die Fahrtechnik einen gewissen Reiz, aber wie er dem ehrfürchtigen Schweigen auf der Rückbank entnahm, war ihr Fahrgast anderer Meinung.
»Kommen Sie oft hierherauf, Doc?«
»Äh, oft kann man eigentlich nicht sagen.«
»Dann muss es doch schön sein, oder? Besonders, wenn Sie sich einfach zurücklehnen und die Aussicht genießen können!«
»Sehr schön«, sagte Strydom, dessen zusammengekniffene Augen nicht von der Straße wichen. »Das war einer der Hauptgründe dafür, warum ich Sie um diesen Gefallen gebeten habe.«
Andere Gründe hatte der verschlagene alte Mistkerl bisher gar nicht angeführt. Er hatte etwas von Kühler und Leck gemurmelt und es dabei bewenden lassen. Wenn man jedoch ein paar Minuten Zeit zum Nachdenken hatte, kam man leicht hinter seine Strategie: Er glaubte wohl, wenn er mit dem Ermittlungsbeamten reiste, uneingeladen bei Myburghs Leichenschauhausparty erscheinen zu können, ohne peinliche Fragen beantworten zu müssen. Der junge Bursche dort musste gut aufpassen, sonst würden ihm noch Unterlagen unter der Nase wegstibitzt werden.
Ein Ortsschild flitzte vorbei: DORINGBOOM 22 KM.
»Sehen Sie mal, Sir«, murmelte Zondi, »da könnte es sein.«
Die Straße war in eine schnurgerade, ebene Strecke übergegangen, die eine trostlose Ebene durchschnitt und ungefähr auf halbem Wege einen dunklen Flecken streifte, ehe sie vom wabernden Dunst ferner Steppenfeuer verschluckt wurde. Und der Bursche mit seinem Adlerblick hatte tatsächlich recht: In null Komma nichts hatte sich der Flecken in drei Picknicktische aus Zement, eine große Abfalltonne und ein halbes Dutzend Dornenakazien mit flachen Kronen verwandelt – plus einen Landrover der Polizei, der mit offenen Türen geparkt war. Zwei Bantu-Constables in Kakihosen bückten sich über ein Bandmaß, während sich ein weißer Constable mit blauem Uniformrock und Shorts Notizen auf einem Klemmbrett machte. Eine Attraktion am Straßenrand, die man sich nicht entgehen lassen durfte.
Sie kamen schleudernd zum Stehen, warteten, bis sich die Staubwolke gelichtet hatte, und stiegen aus. Der weiße Constable näherte sich und begrüßte sie mit vollem ländlichem Zeremoniell. Er war ein hagerer Typ mit knubbeligen Knien und Ellbogen, kräftig ausstaffiert durch seinen an der Seite baumelnden Revolver.
»Lieutenant Kramer?«
»Richtig – und das hier ist Oberkreisarzt Dr. Strydom.«
»Van Heerden, Sir«, sagte der junge Polizist und schüttelte dem Zivilisten die Hand. »Teufel auch, waren Sie schnell! Als der Sergeant mich bat, hierherzufahren und die Vermessung zu beenden, statt meine Schafe zu suchen, konnte ich nicht recht einsehen, was die Panik eigentlich sollte.« Er hatte eine gewinnende Unschuld, mit der er es bei der Polizei nicht weit bringen würde.
»Dann wollen wir mal schauen.«
»Bitte, Sir, es ist noch die Rohfassung. Wenn Sie eine Minute warten, bringe ich sie –«
»Danke«, sagte Kramer und entriss ihm das Klemmbrett, »ich sehe schon, was Sie meinen: lauter nette Summen und hübsche Buchstaben, aber mit keinem verfluchten Strich die Aufzeichnung begonnen – geschweige denn fertiggestellt. Sie sind ein Faulpelz, was?«
»Stinkfaul, Sir. Nur dass mir diese Schafsgeschichte auf der Seele liegt, und das Bandmaß hat keine metrische Einteilung, ich muss also alles umrechnen. Meine Boys haben das falsche mitgebracht.«
»Dann erholen Sie sich erst mal«, knurrte Kramer und gab ihm die Schreibunterlage zurück.
Er ging an den Straßenrand, wo sich Teer und Erde trafen, und schaute nach rechts und nach links. Man konnte in beiden Richtungen ziemlich weit blicken, und nachts wurde man mit Sicherheit von jedem herankommenden Fahrzeug mindestens sechzig Sekunden im Voraus gewarnt, ehe dessen Scheinwerfer Wirkung zeigten.
»Was ist denn mit dem Dingsbums selbst?«, äußerte sich Strydom, der eine entschiedene Hartnäckigkeit an den Tag legte, was die Wichtigkeit der Dinge betraf.
»Doc, Sie denken aber auch an alles.«
»Der Lieutenant – aus dem Weg!«, bellte Van Heerden und eilte durch die Lücke zwischen seinen auseinanderweichenden schwarzen Gehilfen. »Das ist der fragliche Baum, gleich da. Und wenn Sie so freundlich sind, Sir, und meiner Aufzeichnung noch einen zweiten Blick gönnen, werden Sie sehen, dass ich ihn mit A gekennzeichnet habe.«
Der mit A gekennzeichnete Baum war der zweithöchste in der Baumgruppe. Er hatte eine sehr harte graugelbe Rinde und eine schirmartige Krone aus winzigen staubigen Blättern, die von dichten Kränzen großer Dornen vor längst ausgestorbenen Giraffen geschützt wurden. Der Stamm, der ungefähr die Dicke zweier Telegrafenmasten hatte, wuchs ziemlich gerade in die Höhe, nur weit oben war er anscheinend ein paar imaginären Rotrockschüssen ausgewichen. Dort teilte er sich in einige gewundene Knüppeläste, deren stärkster horizontal von der Straße wegragte. Und da Asymmetrie eine Eigenart aller Schirmakazien ist, wurde der schöne Anblick von einem zweiten Stamm verdorben, der auf der anderen, der Picknickplatzseite, in Kopfhöhe aus dem Hauptstamm gesprossen war.
»Soll ich es erklären, Lieutenant?«
»Na los.«
»Der Verstorbene baumelte genau über der Stelle, wo Sie die roten Ameisen aus ihrem Bau heraus- und hineinkrabbeln sehen. Seine Zehen berührten fast den Boden, wegen der Dehnung seines Halses – es war schrecklich. Der Strick lief also, wie Sie sehen können, da oben über den dicksten Ast und wieder hinunter, wo er am Hauptstamm befestigt war.«
»Einen Moment mal«, unterbrach ihn Strydom, den Kopf in den Nacken gelegt. »Wie hat er ihn denn über einen so hohen Ast ziehen können? Er kann ihn ja nicht geworfen haben bei all den Ästen, die im Weg waren.«
»Außerdem war es ein verflucht langes Abschleppseil«, setzte Kramer hinzu.
»Eigentlich nicht, Sir; normale doppelte Länge. Soll ich es Ihnen vormachen?«
»Sie dürften in etwa die richtige Größe haben.«
Van Heerden ging grinsend auf die hintere Seite des Baums und sprang auf einen großen Felsblock. Er griff nach oben, hielt sich an einem Zweig, der aus dem Hauptstamm spross, fest und zog sich in die Höhe. Dann glitt er mit dem Fuß in die Astgabel, schwang herum, stand triumphierend da, und man konnte seine Unterhosen sehen.
»Geschickt, geschickt, Van – sind Sie ganz allein darauf gekommen?«
»Brauchte ich nicht, Lieutenant. Hier war das Seilende festgemacht, nachdem er den Teil mit der Schlinge über den Ast geworfen hatte. Genau hier vor meinem Gesicht, wenn ich gerade stehe, sehen Sie? Eigentlich war es Sergeant Arnot, der sagte, es sei alles ganz offensichtlich, als wir heute Morgen den Knoten lösten.«
Schon wieder; er hatte keinerlei Feingefühl.
Aber Dr. Strydom schien entzückt zu sein, er holte sein Notizbuch hervor und machte sich schnell eine Skizze. »Sehen Sie das, Tromp? So muss er auch seine Fallhöhe erreicht haben. Es ist nichts anderes da, worauf er hatte stehen können.«
»Und was ist mit dem Felsblock?«
»Von da kann man nicht herabbaumeln, Mann! Reden Sie keinen Quatsch. Der Baum ist im Weg. Van Heerden, könnten Sie etwas für mich ausprobieren?«
»Was Sie wollen, Doktor.«
»Stellen Sie sich mal in der Astgabel nur auf ein Bein, und versuchen Sie, auf dieser Seite herunterzuspringen.«
Das Experiment war ein fast traumatischer Erfolg.
»Ausgezeichnet! Und die Bibel steckte in der linken Hand – ja, das würde perfekt hinhauen: Er hätte sich mit der rechten Hand festgehalten.«
»Erasmus war Linkshänder«, sagte Kramer leise. »Ein Grund dafür, warum wir damals seine Waffe nicht sofort entdeckten …«
»Ach so! Van Heerden, könnten Sie das Gleiche noch einmal machen von der anderen Stammseite aus?«
Der Versuch wurde gemacht und gleich wieder abgebrochen, als Van Heerden mit dem Kopf zwischen ein paar kleinere Zweige geriet.
»Tut mir leid, Doktor, aber das schafft man nicht, wenn man nicht aufrecht steht – man wird zu sperrig, wenn Sie verstehen, was ich meine. Man muss allerdings nicht fest zupacken, sondern braucht bloß anzutippen, um das Gleichgewicht zu bewahren.«
»Sehen Sie, Tromp?«
Kramer schaute sich nach Zondi um und sah ihn im Gespräch mit den zwei Bantu-Constables aus Doringboom. Dann nickte er dem Vorführer zu.
»Gut, Tarzan, genug Luftsprünge, also runter mit Ihnen. Ich will die genaue Skizze mit allen Einzelheiten auf dem Schreibtisch Ihres Sergeants liegen sehen, bevor ich heute abfahre. Kann auch in Zoll sein, klar? Denn dieses neue metrische System geht mir auf die Nuss.«
»Auf wie viel würden Sie die Fallhöhe schätzen?«, fragte Strydom und trat zurück, um einen besseren Blickwinkel zu haben. »Ich würde sagen, es waren etwa zwei – äh – sechs Fuß. Schade, dass wir den jungen Mann nicht gebeten haben, ein Bandmaß mit hinaufzunehmen.«
Van Heerden lachte, als er das hörte, und klopfte mit den Fingern auf sein Klemmbrett. »Kein Grund zur Aufregung, meine Herren. Man misst von da ab, wo sein Fuß in der Astgabel war, bis zum Erdboden hinunter und zieht ein paar Zoll bis zur Spitze seiner Füße ab. Fünf Fuß zehn habe ich hier stehen.«
Diesmal war Strydom sichtlich aus der Fassung gebracht, aber Kramer, der den Triumph des gesunden Menschenverstandes über hochgradigen Schwachsinn genoss, war versöhnlich gestimmt. Er bot Van Heerden sogar eine Lucky Strike an, während er plötzlich eine Frage abschoss.
»Was für Reifenspuren sind das hier?«
»Die? Die müssen vom Rettungswagen stammen, als er heute früh rückwärts unter diesen Baum setzte.«
»Hat denn niemand den Boden überprüft?«
»Wie denn, Lieutenant? Es war ja alles von den Kids zertrampelt, und wer sollte schon –«
»Ich, Constable Van Heerden. Sie haben doch sicher schon mal einen Western gesehen, oder? Wo sie den Typen mit der Schlinge um den Hals auf ein Pferd setzen?«
»Na, na, mein Freund«, schritt Strydom ein, »Sie gehen zu weit! Selbst wenn Sie damit andeuten wollen, dass er vielleicht oben auf einem stand! Wie hätte man ihn dazu bringen können, das brav zu tun? Wir müssen uns an die Tatsachen halten.«
Das hätte dicke Luft geben können, wenn sich nicht Zondi gerade zu ihnen gesellt und respektvoll die Brauen hochgezogen hätte, um etwas sagen zu dürfen.
»Schieß los, Freundchen«, sagte Van Heerden.
»Danke, Sir. Lieutenant, ich habe mit einem von denen gesprochen, die heute Morgen die Kinder vernommen haben. Möchten Sie hören, was er sagt?«
»Welcher ist es denn, Sergeant?«, fragte Kramer.
»Agrippa Ngidi, Sir.«
»He, Dicker! Hierher, Mann – aber zackig!«, brüllte Van Heerden. »Besser, wenn Ihr Boy dolmetscht; der hier ist nicht zu gebrauchen.«
Der größere der beiden kam herbeigelaufen und sprang in Habtachtstellung, sodass Zondi seinem Vorschlaghammergruß ausweichen musste.
»Sör!«, brüllte Ngidi, der Stammesnarben auf seinen Pausbacken trug.
»Auf gehts, Sergeant Zondi.«
Während sich das melodische Zulu in Afrikaans verwandelte, wurde Strydom immer unruhiger, aber Kramer war entschlossen, sich alles anzuhören, was der Mann zu sagen hatte. Ngidi war kurz vor acht mit Sergeant Arnot eingetroffen und war angewiesen worden, sich mit den Kindern der Farmarbeiter zu befassen, die den Toten gefunden hatten. Diese Kinder kamen jeden Morgen in aller Frühe zum Picknickplatz, um nachzusehen, ob vielleicht etwas Essbares in der Mülltonne zu finden war, und warteten dann hoffnungsvoll auf Motorisierte, die zum Frühstück anhielten, um ihnen Abfälle abzubetteln. Die Leiche hatte sie tödlich erschreckt, und nur der Rauch vom Feuer eines Wohnmobilfahrers hatte sie zurückgelockt. Zu dem Zeitpunkt war die Leiche von den Tischen aus noch nicht bemerkt worden, da sie von dem Baum verdeckt wurde und der Morgen ziemlich dunstig war. Nachdem die Kinder den Weißen gezeigt hatten, was einer der Ihren sich angetan hatte, sahen sie zu, wie die Familie zusammenpackte und abfuhr. Unschlüssig, ob sie den Schinken, der unberührt auf den Steinen rings um das Feuer lag, nun essen durften oder nicht, waren die meisten von ihnen dageblieben, um zu sehen, was als Nächstes passieren würde.
»Hat er die Kinder gefragt, ob sie den Wagen des Toten schon einmal hier gesehen haben?«, unterbrach Kramer. »Oder ob ihnen irgendein anderes Fahrzeug bekannt vorkam?«
Auf diese Frage hin legte sich Ngidis Stirn in besorgte Falten, dann flüsterte er eine Entschuldigung.
»Er sagt, er hätte nur Befehl gehabt, sicherzustellen, dass die Kinder nichts aus der Kleidung des Toten oder dem Auto gestohlen hatten, das nicht abgeschlossen worden war.«
»Und dann?«
»Er hatte Anweisung, die Kinder fortzujagen. Sein Vorgesetzter wartete hier auf seine Rückkehr, und das wars. Daraufhin kehrten sie nach Doringboom zurück.«
Kramer sinnierte.
»Du kannst dich jetzt dünnemachen, Dicker«, sagte Van Heerden zu Ngidi. »Aber sieh zu, dass du mit dem Bandmaß fertig bist, wenn ich komme, denn der Boss hat noch eine Menge zu tun.«
»Nein, frag ihn erst noch, wo die Kids wohnen, Zondi.«
»Die sind auf und davon«, erklärte Van Heerden, »und meines Wissens führt keine Straße auch nur annähernd dorthin. Sind mindestens fünf Kilometer.«
»Lieutenant, Ngidi kann mir den Pfad zeigen, den sie sich gebahnt haben.«
»Gut. Dann unterhalte dich mal gründlich mit ihnen. Vielleicht kannst du hinterher mit dem Constable fahren, sonst gabeln wir dich auf dem Rückweg auf. Okay?«
»Okay, Sir.«
»Entschuldigen Sie«, schaltete sich Strydom ein, »aber wollen Sie ihn wirklich auf einen so …«
»Der faule Kerl braucht Bewegung«, sagte Kramer, schon auf dem Weg zu seinem Wagen.
Zondi hätte auch ohne die Hilfe des Doringboomer Tölpels den richtigen Pfad gewählt: Es war ganz augenscheinlich ein Pfad, wie ihn Kinder hinterlassen. Das Buschland war nie so flach und nichtssagend, wie es sich von der Straße her ausnahm, und die Füße von Erwachsenen, die Tag für Tag durch dasselbe trockene Grasland trotteten, würden sich den Weg des geringsten Widerstandes suchen. Ein Blecheimer mit vier Gallonen Flusswasser auf dem Kopf war erheblich leichter bergauf zu tragen, wenn man im Zickzack hochging, und über Felsen zu klettern war ermüdend, wenn man schwer beladen war. Während also ein von Erwachsenen ausgetretener Pfad in Windungen, Kehren und Kurven verlaufen wäre, war der Pfad, dem er folgte, vollkommen geradlinig. Direkt und kompromisslos wie der Hunger, der kleine, nackte, vom Frost gefühllose Füße jeden Morgen dort entlanghüpfen ließ.
Er fluchte über die Kinder, weil sie ihren Pfad so schnurgerade angelegt hatten. Natürlich hielt ihn nichts davon ab, sich einen weniger anstrengenden Weg zu suchen, außer sein Stolz. In den letzten drei Monaten hatte Zondi viel über den Stolz gelernt, vor allem, wie viel Kraft man dafür brauchte.
Aber er konnte auch ohne Scham schwach sein. Zum Beispiel, wenn er sich allen möglichen Unsinn auszumalen gestattete wie gerade eben. Der Dieb Erasmus, sagte sein Verstand, hatte eine Ratte und nicht etwa eine Kugel durch die Wagentür in sein Bein gefeuert. Diese Ratte war im Krankenhaus aus Versehen in ihn eingenäht worden, und jetzt saß sie dort im Fleisch und im Dunkeln in der Falle und bekam immer mehr Angst. Blieb sie ungestört, verhielt sie sich still, und dann spürte er nur ein Brennen, wenn sie Wasser ließ. Doch kaum tat er einen einzigen Schritt, brachte der Ruck die Ratte aus der Fassung und zwang sie, sich zu winden, zu beißen und am Knochen zu nagen, bis er stehen blieb. O ja, eine schlaue Ratte, dieser wahnsinnige, bohrende Schmerz in seinem Schenkel.
Zondi humpelte weiter.
Dann blieb er abrupt stehen, weil ihm bewusst wurde, was für ein Dummkopf er war. Das konnte also der Stolz einem Mann antun! Er konnte ihn dazu verführen, blindlings zu handeln, und so hatte er über den Befehl des Lieutenants nicht weiter nachgedacht. Viel mehr war er viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, dem Doktor zu beweisen, was für ein zäher kleiner Kaffer er doch war.