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Humorvoll und berührend: Kerstin Backman erzählt die Geschichte eines sensiblen jungen Mädchens, das ungeahnte Stärken entdeckt! Sofie hat es in der Schule nicht leicht: ständige Hänseleien durch Klassenkameraden und ihre angeschlagene Gesundheit bereiten ihr Probleme. Deshalb wird sie für ein Jahr auf den Bauernhof der Familie Ström geschickt, um sich zu erholen. Mit ihrer Gastfamilie, vor allem den beiden Kindern Krissan und Ingmar, freundet sich Sofie schnell an – anders sieht es jedoch bei den auf dem Hof lebenden Pferden aus. Vor allem die bissige Stute Sabrina jagt der scheuen Sofie ganz schön Furcht ein – wird sie es schaffen, ihre Angst zu überwinden? Eine inspirierende Buchreihe nicht nur für Pferdefreunde! Die schüchterne Sofie ist in der Schule eine Außenseiterin. Als sie auf den Bauernhof der Familie Ström geschickt wird, ändert sich jedoch ihr Leben: Sofie entdeckt nicht nur ihre Liebe zu Pferden, sondern findet auch zu Mut und neuem Selbstbewusstsein.
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Seitenzahl: 150
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Kerstin Backman
Übersezt von Ursula Isbel
Saga
Sofie und die Stute Sabrina
Übersezt von Ursula Isbel
Titel der Originalausgabe: Hästar är jättekul, Soffi!
Originalsprache: Schwedischen
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1981, 2021 Kerstin Backman und SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726941654
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
www.sagaegmont.com
Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Sofie war der einzige Fahrgast. Sie saß da, die Hände im Schoß verschränkt, und schwankte mit den Bewegungen des Schienenbusses hin und her.
Plötzlich wurde sie von dem unheimlichen Gefühl gepackt, daß alle anderen Lebewesen verschwunden waren, und daß sie weiterfahren mußte, bis die Gleise endeten . . . Und daß sie dann irgendwo am Ende der Welt war, wo niemand nach ihr fragte, und wo es vielleicht außer ihr keinen anderen Menschen mehr gab.
Die Tür wurde aufgerissen, und der Schaffner kam herein.
„Also“, sagte er freundlich, „wir halten ungefähr in zehn Minuten in Barkberg.“
„Vielen Dank“, erwiderte Sofie.
Sie verspürte plötzlich ein Flattern im Magen, als würde ein ganzer Schwarm Schmetterlinge darin herumfliegen. Was würde sie auf dem Birkenhof erwarten?
In diesem Augenblick bereute sie es zutiefst, daß sie fortgefahren war. Nichts konnte schlimmer sein als diese einsame Reise zu völlig fremden Menschen! Mit einem Gefühl der Panik dachte sie daran, daß sie nicht einmal wußte, wer sie am Bahnhof abholen würde.
Doch dann tauchte das Bild ihrer Schule vor ihren Augen auf, die Klassenkameraden, die sie nie in Ruhe ließen, sondern sie knufften, aufzogen und auslachten, sobald kein Lehrer in der Nähe war . . .
Nein – schlimmer als in der Schule konnte es einfach nicht werden! Wenn es nur ihren Eltern möglich gewesen wäre, mitzukommen! Sofies Vater hatte gerade erst eine schwere Krankheit überstanden. Nun wurde er langsam wieder gesund, doch Sofies Mutter mußte sich noch um ihn kümmern. Deshalb hatte Sofie allein fahren müssen.
Sofie holte einen kleinen Spiegel aus der Tasche und sah hinein. Ihre grauen Augen blickten so ängstlich, daß sie über sich selbst lachen mußte. Sofort sah das Spiegelbild viel besser aus. Die Zähne waren etwas schief, aber glänzend und weiß, und ihre langen blonden Haare hingen in weichen Wellen bis auf die Schultern. Nur schade, daß sie so blaß war!
„Na ja, ich könnte schlimmer aussehen!“ sagte sie laut vor sich hin, um sich etwas Mut zu machen. Dann sah sie sich rasch um. Nein, der Schaffner war wieder verschwunden. Keiner konnte sie hören.
Entschlossen steckte Sofie den Spiegel wieder in ihre Umhängetasche und begann ihre große Reisetasche unter dem Sitz hervorzuzerren. Sie war nicht leicht, und Sofie brauchte all ihre Kraft, um die Tasche den Gang entlangzuschleppen.
Glücklicherweise tauchte der Schaffner plötzlich wieder auf und half ihr. Er packte die Tasche fest an den beiden Griffen, hob sie auf die vordere Plattform und stellte sie direkt vor die Tür.
Der Schienenbus hatte seine Fahrt verlangsamt und blieb mit einem Ruck stehen. Der Schaffner öffnete die Tür. Dann hob er die schwere Reisetasche hinaus und trat zur Seite, damit Sofie aussteigen konnte.
„Viel Glück!“ Er nickte ihr zu.
Die Tür schloß sich, und der Schienenbus setzte sich wieder in Bewegung.
Für einen Augenblick vergaß Sofie die Schmetterlinge in ihrem Magen und die Angst vor der neuen Umgebung. Sie blieb einfach stehen und sah sich um. Der Kiesstreifen, auf dem sie stand, war schmal, und zwischen den Steinchen wuchsen Grasbüschel. Hinter ihr befand sich ein großer Holzlagerplatz, von dem ein starker Geruch nach frisch gesägtem Holz zu ihr herüberwehte. Sofie holte tief Atem. Was für ein wunderbarer Duft!
„Hallo!“ sagte plötzlich eine helle Stimme hinter ihr.
Da stand ein schmales, zierliches Mädchen und betrachtete sie aus etwas schräggestellten, kornblumenblauen Augen hinter Brillengläsern. Zerzauste, lange Haare hingen ihr ins Gesicht und über die Schultern, und ein unverkennbarer Geruch nach Pferden ging von ihren fleckigen Jeans und dem alles andere als sauberen Pullover aus.
„Hallo“, erwiderte Sofie und wollte das Mädchen fragen, wer es denn sei, schloß den Mund jedoch wieder und schwieg.
„Bist du Sofie? Wenn ja, dann soll ich dich abholen“, sagte das Mädchen. „Du hast sicher eine schwere Tasche. Da wird sich Max freuen. Er ist immer sehr stolz, wenn er seine Kraft beweisen kann.“
Sofie nickte nur und deutete auf die Reisetasche, während sie etwas verwirrt überlegte, wer Max sein mochte, und weshalb er sich über schwere Taschen freute.
Das Mädchen griff nach der Reisetasche, schaffte es jedoch nicht, sie auch nur ein Stück von der Stelle zu bewegen.
„Ich glaube, du mußt mir helfen“, sagte sie entschuldigend.
Sofie faßte nach dem Griff, und gemeinsam schafften sie es, die Tasche den Kiesstreifen entlangzuschleppen, durch eine schmale Eisenpforte, die offenbar verhindern sollte, daß leichtsinnige Leute auf die Bahngleise kamen, und dann wieder auf eine kleine Kiesfläche jenseits des eisernen Zaunes.
„Warte mal, ich hole Max!“ sagte das Mädchen, als sie die Tasche abgesetzt hatten. Und es verschwand hinter dem verfallenen Holzhaus, das als Wartehalle der kleinen Haltestelle diente.
Eine Minute später tauchte das Mädchen wieder auf, und wieder rang Sofie nach Luft – diesmal vor Überraschung und Entzücken. Das Mädchen führte nämlich ein struppiges, rundliches kleines Pony mit sich, das einen vierrädrigen Wagen hinter sich herzog.
Das Mädchen schien sich über Sofies Verwunderung zu freuen. Ein fröhliches Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
„Das ist Max!“ sagte sie zufrieden. „Max“, fuhr sie fort und wandte sich an das kräftige kleine Pferd, „das ist Sofie. Begrüß sie anständig!“
Das Pony betrachtete Sofie so eindringlich, daß diese fast glaubte, es wollte sie wirklich begrüßen.
Wieder drehte sich das Mädchen zu Sofie um. „Er hat’s bis jetzt noch nicht richtig gelernt“, erklärte sie entschuldigend, steckte die Hand in die Hosentasche und förderte ein Zuckerstück zutage. „Paß mal auf, Sofie, würdest du ein paarmal ganz deutlich ,Guten Tag‘ sagen?“
„Guten Tag!“ sagte Sofie langsam und deutlich, während sie sich fragte, was das Mädchen wohl vorhatte. „Guten Tag!“
Rasch steckte das Mädchen die Hand zwischen die Vorderbeine des Ponys. Das Pony senkte den Kopf und schnappte mit einer geschmeidigen Bewegung des Halses nach dem Zuckerstück zwischen seinen Beinen. Es machte wirklich den Eindruck, als ob es sich verbeugte!
Sofie wurde plötzlich bewußt, wie verschieden das Leben war, das sie und das fremde Mädchen bisher geführt haben mochten. Das Mädchen konnte nicht mehr als etwa zehn Jahre alt sein. Trotzdem ging es ganz selbstverständlich und gelassen mit einem Pferd um, ohne daß irgendein Erwachsener sich einmischte. Sofie selbst dagegen war schon dreizehn und hatte bis jetzt noch nie mit einem Pferd zu tun gehabt.
Plötzlich wurde sie so neugierig, daß sie ganz vergaß, scheu und aufgeregt zu sein.
„Wie heißt du?“ fragte sie.
„Kristina. Aber so nennt mich keiner – alle sagen Krissan zu mir. Komm jetzt. Wir müssen nach Hause, Mama wartet mit dem Essen. Hilft mir mit der Tasche!“
Gemeinsam schafften sie es, die Reisetasche in den Wagen zu heben; doch erst, nachdem Max sie beschnuppert und leicht in einen der Ledergriffe gebissen hatte. Sofie warf ihre Umhängetasche ebenfalls in den Wagen neben die Reisetasche.
„Du fährst natürlich auch mit im Wagen“, sagte Krissan.
„Setz dich hierher!“
Sie klopfte auf das Brett, das quer über dem Karren lag. Sie selbst war schon hinaufgeklettert. Und als Sofie ebenfalls Platz genommen hatte, klatschte Krissan leicht mit den Zügeln auf den runden Pferderücken. Das kleine Gefährt setzte sich in Bewegung.
„Kann Max denn das alles ziehen?“ fragte Sofie. Sie fand, daß das Pony schrecklich klein aussah.
Doch Krissan rümpfte nur die Nase.
„Er ist wahnsinnig stark!“ behauptete sie stolz. „Für ein Shetlandpony ist er auch ziemlich groß – hundertzehn Zentimeter!“
Hundertzehn Zentimeter? dachte Sofie verwirrt. Wo denn?
Doch sie sagte es nicht laut. Sie fürchtete, daß Krissan die Frage vielleicht dumm gefunden hätte.
Es wurde eine wunderbare Spazierfahrt. Sie holperten einen schmalen Waldweg entlang. Es duftete herrlich, und die Bäume leuchteten in klaren Herbstfarben. Die kleinen Pferdehufe verursachten gedämpfte, polternde Geräusche auf dem Pfad, und manchmal blies Max die Luft laut aus den Nüstern, schnaubte und warf den Kopf zurück.
Keines der beiden Mädchen sprach, doch es war ein zufriedenes Schweigen. Sie fühlten sich wohl; von Zeit zu Zeit sahen sie einander vorsichtig an und lächelten ein wenig. Das Lächeln wurde breiter und offener, und plötzlich saßen sie da und kicherten über nichts und niemand.
„Du, ich hatte ehrlich gesagt ein bißchen Bauchweh, als ich dich abholen sollte“, sagte Krissan plötzlich. „Das bekomme ich immer, wenn ich aufgeregt bin.“
Sofie starrte sie verdutzt an.
„Warst du aufgeregt?“ fragte sie. „Meinetwegen?“
„Mmm . . . Blödsinnig, was?“
„Ja, wirklich!“ sagte Sofie mit Nachdruck. „Und ich habe im Zug gesessen und wie ein Pudding gezittert! Ich mußte sogar sechs- oder siebenmal auf die Toilette, solche Angst hatte ich!“
Eigentlich hatte sie das nie verraten wollen. Doch Krissans Bekenntnis war so offenherzig und ehrlich, daß Sofies Antwort ganz von selbst kam.
Krissans Augen hinter den staubigen Brillengläsern begannen zu funkeln. Dann versetzte sie Sofie einen Rippenstoß, so daß die rücklings auf die Ladefläche fiel, und purzelte gleich selbst hinterher. Da lagen sie beide auf dem Rücken und lachten so, daß sie fast nicht mehr aufhören konnten.
Schließlich beruhigte Sofie sich wieder etwas und hob den Kopf, so daß sie Max’ Hinterteil sehen konnte, das vor ihnen rhythmisch auf und nieder schwankte.
„Wenn er nun in die falsche Richtung geht?“ sagte sie, noch immer mit einem Lachen in der Stimme.
„Keine Angst“, erwiderte Krissan. „Er bekommt bald sein Abendheu, dann geht er geradewegs nach Hause!“
Wieder verfielen sie in kameradschaftliches Schweigen. Sofie lachte in sich hinein. Als der Beschluß gefaßt worden war, daß sie auf den Birkenhof fahren sollte, hatte sie noch keine Fotos von dem Hof gesehen. Sie wußte nur, daß die Familie, die dort lebte, zwei Kinder und vier Pferde hatte. Natürlich hatte sie sich vorzustellen versucht, wie alles werden würde und zu welchen Menschen sie kam. Reich würden sie natürlich sein, und der Hof war sicher groß, hatte Sofie gedacht – vielleicht eine Art Gutshof. Sie hatte gedacht, daß sie von einer eleganten Frau mit teuren Kleidern und gepflegtem Haar abgeholt werden würde, ungefähr so, wie man sich die Bewohnerin eines Gutshofes vorstellt . . .
Doch die Wirklichkeit sah nun ganz anders aus, besonders aber dieses Mädchen, das bequem ausgestreckt neben Sofie auf der Ladefläche lag und nach Stall roch.
Vielleicht habe ich mir auch den Hof falsch vorgestellt, dachte Sofie. Womöglich ist es überhaupt kein Gutshof!
Gerade da schwankte der Wagen heftig, und die Mädchen setzten sich auf.
„Da ist der Kanal“, erklärte Krissan.
Sie deutete mit der Peitsche nach rechts, wo zwischen den Bäumen eine schmale Kanalrinne zu erkennen war, die in der Ferne hinter einem morschen Schleusentor verschwand. Auf dem Abhang über der Schleuse stand ein kleines rotes Haus. Die Fenster waren verschalt, und das Unkraut wuchs hoch um die gemütliche graue Vorlaube.
„Ist das nicht ein wunderbares kleines Haus?“ sagte Krissan begeistert. „Ich nenne es das Spukhaus. Dort hat früher mal der Schleusenwärter gewohnt.“
„Es liegt so schön, richtig märchenhaft“, erwiderte Sofie und verstummte. Die friedliche Stimmung um das verlassene Anwesen verzauberte sie richtig. Doch bald verschwand das kleine Haus hinter einem Walddickicht, und Sofie legte sich wieder zurück.
Wenige Minuten später hielt der Wagen mit einem Ruck an, und Krissan rief: „Jetzt sind wir zu Hause!“
Sofie setzte sich hastig auf, und da lag der Birkenhof vor ihr.
Zum zweitenmal an diesem Tag erlebte Sofie eine Überraschung. Ein Gutshof – hatte sie geglaubt! Vor ihr lag ein kleines rotes Haus mit weißen Fensterrahmen, und die grüne Tür stand weit offen. Auf einer Wiese neben dem Haus lagen ein Haufen alter Bretter und einige Plastikeimer, und dahinter erstreckte sich eine Lichtung mit Birken, die so schön war, daß es Sofie fast die Kehle zusammenschnürte. Kerzengerade, schneeweiße Stämme und luftige, hellgrüne Baumkronen zeichneten sich gegen den blauen Abendhimmel ab. Plötzlich begriff sie, woher der Hof seinen Namen hatte. Birkenhof –, kein Name konnte besser passen!
Doch Sofie kam nicht dazu, die Schönheit der Birkenwiese lange zu bewundern, denn Krissan war bereits aus dem Wagen auf den kiesbestreuten Vorplatz gesprungen und zerrte an der schweren Reisetasche.
„Warte, ich nehme sie schon!“ sagte Sofie hastig, denn sie wollte bei ihrer Ankunft auf dem Hof einen guten Eindruck machen.
An der Treppe stellten sie die Tasche ab und richteten sich auf.
„Jetzt muß ich Max in den Stall bringen und ihm Heu geben“, sagte Krissan. „Du kannst inzwischen hineingehen.“
Damit ließ sie Sofie ohne weiteres allein an der Treppe zurück und versetzte Max einen leichten Klaps, um ihn zu veranlassen, den Wagen weiterzuziehen. Als sie sich umdrehte und Sofie noch an der Treppe stehen sah, rief sie: „Geh nur einfach hinein! Mama ist in der Küche!“
Sofie machte drei zögernde Schritte die kleine Vortreppe hinauf, trat in eine winzige Halle und entdeckte, daß die einzige Tür in der Halle direkt in die Küche führte.
Sie trat über die Schwelle und blieb stehen. Niemand war in der Küche. Sofie sah sich neugierig um.
Das ist wirklich die unordentlichste Küche, die ich jemals gesehen habe! war ihr erster Gedanke. Mama wäre entsetzt, wenn sie das sehen könnte!
Es war eine richtige alte Bilderbuchküche, groß und geräumig und mit einer kleinen Speisekammer in der Ecke. Alle Schränke und Kommoden waren blau gestrichen, und auf einem großen eisernen Ofen stand ein schwarzer Topf, in dem es leise blubberte. Es roch wunderbar nach Fleischbrühe. Der große Küchentisch war mit buntem Porzellangeschirr gedeckt und sah richtig einladend aus. An der rechten Wand stand eine alte Holzbank, und darauf lagen in schönem Durcheinander ein kleiner Sattel, eine Reitgerte, eine Reitkappe, ein Paar zerrissene Socken, ein Napf, dessen Inhalt wie Hafergrütze aussah, eine seltsame Taschenlampe, eine vollgefüllte Plastiktüte, ein Knäuel Wolle, eine Kaffeetasse . . .
Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich. Als sie sich umdrehte, stand Krissans Mutter vor ihr.
„Willkommen bei uns, Sofie!“ sagte sie und umarmte das Mädchen herzlich. „Wenn du wüßtest, wie wir auf dich gewartet haben! Häng deine Jacke auf und komm herein!“
Ohne weitere Umstände ging Krissans Mutter an ihr vorbei in die Küche und überließ es Sofie, in der Halle einen Garderobenhaken zu finden. Das war gar nicht so einfach. An der Garderobe hingen nämlich bereits so viele Kleidungsstücke, daß es Sofie nur unter größten Schwierigkeiten gelang, ihre Jacke auch noch unterzubringen.
Als sie zum zweitenmal über die Türschwelle in die Küche trat, stand Krissans Mutter am Herd und rührte in dem schwarzen Topf. Sie war hochgewachsen, ziemlich schlank und dunkelhaarig und trug niedergetretene Pantoffeln mit einem Loch an jeder großen Zehe.
Ein etwas zerknittertes Herrenhemd und eine rote Hose vervollständigten ihre Kleidung. Sofie sah, daß der Hosenboden ziemlich abgescheuert war und leicht schlotterte.
Plötzlich wurde Sofie von einer furchtbaren Lachlust gepackt. Der Kontrast zwischen ihrem Phantasie-Gutshof und diesem kleinen Haus mit seiner nachlässig gekleideten Hausfrau war so groß, daß es ihr richtig komisch vorkam. Doch zum Glück begann Krissans Mutter zu reden, ehe Sofie losplatzte, so daß es ihr gelang, das Gekicher in letzter Sekunde zu unterdrücken.
„Ich heiße Margareta“, sagte Krissans Mutter. „Und so kannst du mich auch nennen. Oder vielleicht Maggie, ganz wie du willst . . . Deine Mutter hat mich immer Maggie genannt. Jetzt mußt du mir aber von ihr erzählen, Sofie! Vergiß nicht, daß wir über fünfzehn Jahre nichts voneinander gehört hatten, als sie mir schrieb! Ach, ich habe so gehofft, daß sie mit dir herkommen könnte! Aber sie hat angerufen und mir erzählt, wie es deinem Vater geht. Ich verstehe natürlich, daß sie sich um ihn kümmern muß.“
Maggie, wie Sofie Krissans Mutter nennen wollte, ging zur Haustür, legte die Hände wie einen Trichter vor den Mund und schrie so laut sie konnte: „Essen!“
Dann nahm sie den Suppentopf, stellte ihn mitten auf den Tisch und setzte sich Sofie gegenüber.
„Und jetzt erzähl!“ sagte sie.
Während sie auf den Rest der Familie warteten, beantwortete Sofie Maggies Fragen. Das Erzählen fiel ihr leicht. Maggie war so voller Interesse, daß Sofie sich richtig wohl fühlte.
Sie war noch mitten im Erzählen, als die Familienmitglieder nacheinander eintrafen.
Zuerst kam Krissan und plumpste auf einen Stuhl.
„Hände waschen!“ sagte Maggie energisch, und Krissan stand ohne Widerspruch auf und ging zum Waschbecken.
Als nächster erschien ein Junge, der ungefähr dreizehn oder vierzehn Jahre alt sein mochte. Er trat über die Schwelle, ging geradewegs zum Spülbecken und begann sich die Hände unter dem Wasserstrahl abzuseifen. Sofie dachte, er hätte sie nicht gesehen, aber nachdem er sich die Hände abgetrocknet hatte, kam er auf sie zu, streckte ihr die Hand hin und sah sie offen an.
„Ich heiße Ingmar“, sagte er. Sofie sah schnell zu ihm auf. Seine Stimme war ungewöhnlich dunkel und paßte gut zu dem festen Blick seiner blauen Augen.
Zuletzt kam der Hausherr, Sven. Er war groß und breitschultrig und hatte graue Strähnen im Haar. Sein Gesicht war sehr braungebrannt. Sein Händedruck war so kräftig, daß Sofie von der Begrüßung die Hand weh tat.
Es wurde eine fröhliche Abendmahlzeit. Alle redeten drauflos, und das Gespräch kreiste hauptsächlich um Pferde. Sofie beteiligte sich nur wenig daran, doch immer wieder wandte sich jemand mit einer Frage an sie, so daß sie auf ganz natürliche Weise ins Gespräch gezogen wurde. Und das Essen war wirklich gut. Während des Tages war Sofie zu aufgeregt gewesen, um etwas essen zu können, doch jetzt holte sie das Versäumte nach. Die Fleischsuppe schmeckte so gut, daß sie sich richtig wegen ihres Heißhungers schämte. Aber niemand schien es zu merken, und außerdem sah Sofie, daß alle mit größtem Appetit aßen.
„Wann stehst du für gewöhnlich morgens auf?“ fragte Maggie plötzlich, zu Sofie gewandt.
„Ja, das ist verschieden“, erwiderte Sofie. „Samstags und sonntags bleibe ich oft bis zehn oder elf Uhr morgens im Bett, aber wochentags stehe ich so gegen halb sieben auf.“
„Du kannst morgen natürlich liegenbleiben, so lange du willst, weil Samstag ist.“