Sohn der Hamas - Mosab Hassan Yousef - E-Book

Sohn der Hamas E-Book

Mosab Hassan Yousef

4,8

Beschreibung

Er wurde Zeuge von elender Armut, Machtmissbrauch, Folter und Tod bevor er 21 Jahre alt war: Mosab Hassan Yousef, der älteste Sohn eines Gründungsmitglieds der Hamas. Verhandlungen zwischen Führungspersönlichkeiten des Nahen Ostens sorgten weltweit für Schlagzeilen. Er hat sie hinter den Kulissen miterlebt. Er bewegte sich in den höchsten Ebenen der Hamas und nahm an der Intifada teil. Man sperrte ihn in Israels am meisten gefürchtetes Gefängnis. Gefährliche Entscheidungen verschafften ihm Zugang zu außerordentlichen Geheimnissen. Sie sorgten dafür, dass ihn die Menschen, die er liebt, heute als Verräter betrachten. In seinem Buch deckt der Sohn der Hamas Begebenheiten und Vorgänge auf, von denen bis heute außer ihm nur eine Handvoll Menschen weiß ... Stand: 4. Auflage 2010

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Mosab Hassan Yousef

mit Ron Brackin

Sohn der Hamas

Mein Leben als Terrorist

MOSAB HASSAN YOUSEF

mit Ron Brackin

Sohn der Hamas

Mein Leben als Terrorist

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4. Auflage 2010

Bestell-Nr. 395.223

ISBN 978-3-7751-5223-5 (lieferbare Buchausgabe)

ISBN 978-3-7751-7025-3 (E-Book)

Datenkonvertierung E-Book:

Fischer, Knoblauch & Co. Medienproduktionsgesellschaft mbH, 80801 München

© Copyright der Originalausgabe 2010 by Mosab Hassan Yousef

Published by Tyndale House Publishers, Inc., USA.

Originally published in English under the title: Son of Hamas

All rights reserved. This Licensed Work is published with permission.

Author and cover photo copyright © 2009 by Tyndale House Publishers, Inc.

All Rights Reserved.

© Copyright der deutschen Ausgabe 2010 by

SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-haenssler.de

E-Mail: [email protected]

Übersetzung: Doris C. Leisering

Israelkarte: Timo Roller, www.morija.de

Umschlaggestaltung: OHA Werbeagentur GmbH, Grabs, Schweiz;

www.oha-werbeagentur.ch

Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © Copyright der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 by

SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

Weiter wurden verwendet: Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus im

SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 58452 Witten.

Die Weblinks wurden bei Redaktionsschluss der 1. Auflage überprüft. Zwischenzeitliche Änderungen vorbehalten.

Widmung

Für meinen geliebten Vater und meine auseinandergerissene Familie.

Für die Opfer des palästinensisch-israelischen Konflikts.

Für jedes Menschenleben, das der Herr gerettet hat.

Meiner Familie.

Ich bin sehr stolz auf Euch! Nur mein Gott allein kann verstehen, was Ihr durchgemacht habt. Ich weiß: Das, was ich getan habe, hat Euch eine weitere tiefe Wunde zugefügt, die in diesem Leben vielleicht nicht heilen wird, und vielleicht werdet Ihr für immer mit dieser Schande leben müssen.

Ich hätte ein Held werden und mein Volk stolz auf mich machen können. Ich weiß, welche Art Held mein Volk gern gehabt hätte: einen Kämpfer, der sein Leben und seine Familie seiner Nation zu Füßen legt. Selbst nach meinem Tod hätten zukünftige Generationen meine Geschichte noch erzählt und wären ewig stolz auf mich gewesen – doch in Wirklichkeit wäre ich kein großer Held gewesen.

Stattdessen wurde ich in den Augen meines Volkes zum Verräter. Früher wart Ihr sehr stolz auf mich, jetzt bin ich Eure Schande. Früher war ich der Thronfolger, jetzt bin ich ein Fremder in einem fremden Land, der gegen Einsamkeit und Dunkelheit als seine Feinde kämpft.

Ich weiß, Ihr betrachtet mich als Verräter. Bitte versteht, dass ich nicht Euch verraten habe, sondern Euer Verständnis von Heldentum. Erst dann, wenn die Nationen des Nahen Ostens – Juden und Araber gleichermaßen – etwas von dem zu verstehen beginnen, was ich jetzt verstehe, wird es Frieden geben. Und wenn mein Herr abgelehnt wurde, weil er die Welt vor der Strafe der Hölle gerettet hat, dann macht es auch mir nichts aus, abgelehnt zu werden!

Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird. Aber ich weiß, dass ich keine Angst habe. Und jetzt möchte ich Euch etwas weitergeben, das mir bisher geholfen hat zu überleben: Alle Schuld und Schande, die ich all die Jahre getragen habe, ist ein geringer Preis für die Rettung eines – vielleicht auch nur eines einzigen – unschuldigen Menschenlebens.

Wie viele Menschen wissen zu schätzen, was ich getan habe? Nicht sehr viele. Aber das ist in Ordnung. Ich glaube an das, was ich getan habe. Ich glaube noch immer. Das ist der einzige Motor, der mich auf meiner langen Reise in Bewegung hält. Jeder Tropfen unschuldigen Bluts, der gerettet wurde, gibt mir Hoffnung und Stärke, den Weg bis zum letzten Tag weiterzugehen.

Ich habe bezahlt. Ihr habt bezahlt. Und dennoch fordern Krieg und Frieden immer noch einen hohen Preis. Gott sei mit uns allen und gebe uns, was wir brauchen, um diese schwere Last zu tragen.

In Liebe,

Euer Sohn

Ein Wort vom Autor

Zeit ist etwas Fortlaufendes – ein Faden, der sich zwischen Geburt und Tod spannt.

Ereignisse ähneln allerdings eher einem persischen Teppich – Tausende wunderbar farbiger Fäden, die zu komplexen Mustern und Bildern verwoben sind. Jeder Versuch, Ereignisse in eine rein chronologische Reihenfolge zu bringen, ist so, als würde man die einzelnen Fäden aus dem Teppich ziehen und sie aneinanderreihen. Das wäre vielleicht einfacher, doch das Muster ginge verloren.

Die Ereignisse in diesem Buch folgen meiner Erinnerung, sofern sie mich nicht im Stich lässt. Sie wurden aus dem Mahlstrom meines Lebens in den palästinensischen Gebieten in Israel ausgesiebt und so, wie sie sich ereigneten, miteinander verwoben – nacheinander und gleichzeitig.

Um Ihnen einige Anhaltspunkte zu liefern und einen Überblick über die arabischen Namen und Begriffe zu verschaffen, habe ich im Anhang eine kurze chronologische Übersicht angefügt sowie Worterklärungen und eine Liste der beteiligten Personen.

Aus Sicherheitsgründen habe ich beim Erzählen absichtlich viele Details über sensible Operationen des israelischen Geheimdienstes Schin Beth ausgelassen. Die Informationen, die in diesem Buch enthalten sind, stellen keine Gefahr für den weltweiten Kampf gegen den Terror dar, in dem Israel eine führende Rolle spielt.

Und schließlich ist Sohn der Hamas, wie auch der Nahe Osten selbst, eine Fortsetzungsgeschichte. Deswegen möchte ich Sie einladen, sich mit meinem Blog www.sonofhamas.com auf dem Laufenden zu halten. Dort schreibe ich meine Gedanken zu wichtigen Entwicklungen in der Region auf, aber auch neue Berichte über das, was Gott mit diesem Buch und in meiner Familie tut und wohin er mich führt.

MHY

Vorwort

Frieden im Nahen Osten ist seit mehr als fünf Jahrzehnten der Heilige Gral von Diplomaten, Premierministern und Präsidenten. Jede neue Figur auf der Weltbühne meint, er oder sie könnte derjenige sein, der den arabisch-israelischen Konflikt löst. Und jeder von ihnen versagt ebenso kläglich und vollständig wie diejenigen vor ihm.

Tatsache ist, dass nur wenige Bewohner der westlichen Welt die komplexen Zusammenhänge des Nahen Ostens und seiner Bevölkerung umfassend verstehen können. Doch ich kann es – weil ich das Vorrecht einer ausgesprochen einzigartigen Perspektive habe. Ich bin ein Sohn jener Region der Welt – und jenes Konflikts. Ich bin ein Kind des Islam und der Sohn eines als Terroristen angeklagten Mannes. Und ich bin auch ein Mann, der Jesus Christus nachfolgt.

Noch bevor ich einundzwanzig Jahre alt wurde, sah und erlebte ich Dinge, die niemand je sehen und erleben sollte: bittere Armut, Machtmissbrauch, Folter und Tod. Ich habe Verhandlungen zwischen den Führern des Nahen Ostens, die weltweit für Schlagzeilen sorgen, hinter den Kulissen miterlebt. Ich genoss das Vertrauen der höchsten Führungsebene der Hamas, und ich nahm an der sogenannten Intifada teil. Ich wurde in den Tiefen von Israels meistgefürchteter Strafanstalt gefangen gehalten. Und wie Sie sehen werden, traf ich Entscheidungen, die mich in den Augen von Menschen, die ich sehr liebe, zum Verräter machten.

Meine ungewöhnliche Reise hat mich an dunkle Orte geführt und mir Zugang zu außerordentlichen Geheimnissen verschafft. Auf den Seiten dieses Buches erzähle ich endlich von einigen dieser lang gehüteten Geheimnisse. Dabei lege ich Ereignisse und Vorgänge offen, die bisher nur einer Handvoll Personen bekannt sind.

Die Enthüllung dieser Tatsachen wird wahrscheinlich Teile des Nahen Ostens erschüttern. Doch hoffe ich, dass sie viele Familien der Opfer tröstet und sie bei der Trauerarbeit unterstützt.

In Amerika, wo ich heute lebe, begegnen mir viele Fragen über den arabisch-israelischen Konflikt, doch nur wenige Antworten und noch weniger fundierte Informationen. Ich höre Fragen wie zum Beispiel:

•  »Warum können die Menschen im Nahen Osten einfach nicht miteinander auskommen?«

•  »Wer ist im Recht – die Israelis oder die Palästinenser?«

•  »Wem gehört das Land wirklich? Warum siedeln die Palästinenser nicht einfach in andere arabische Länder über?«

•  »Warum gibt Israel nicht das Land und die Grundstücke zurück, die es 1967 im Sechs-Tage-Krieg erobert hat?«

•  »Warum leben so viele Palästinenser immer noch in Flüchtlingslagern? Warum haben sie nicht ihren eigenen Staat?«

•  »Warum hassen die Palästinenser Israel so sehr?«

•  »Wie kann Israel sich vor Selbstmordanschlägen und den vielen Raketenangriffen schützen?«

Das sind alles gute Fragen. Doch keine davon berührt den eigentlichen Streitpunkt, das zugrunde liegende Problem. Der heutige Konflikt reicht zurück bis zu der Feindseligkeit zwischen Sara und Hagar, die im ersten Buch der Bibel beschrieben wird. Um die politischen und kulturellen Realitäten zu verstehen, muss man allerdings nicht viel weiter zurückblicken als bis zu den Nachwehen des Ersten Weltkriegs.

Nach Kriegsende fielen die palästinensischen Gebiete, die jahrhundertelange Heimat der Palästinenser, unter das Mandat Großbritanniens. Und die britische Regierung hatte eine ungewöhnliche Vorstellung für die Zukunft der Region, die sie in der Balfour-Deklaration von 1917 darlegte: »Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina.«

Ermutigt von der britischen Regierung, überfluteten Hunderttausende jüdische Einwohner, hauptsächlich aus Osteuropa, die palästinensischen Gebiete. Zusammenstöße zwischen Arabern und Juden waren unvermeidlich.

Israel wurde im Jahr 1948 ein unabhängiger Staat. Die Palästinensergebiete blieben allerdings genau das, was sie waren – nicht souveränes Gebiet. Ohne Verfassung, die wenigstens ein gewisses Maß an Ordnung garantiert hätte, wurde das religiöse Gesetz zur höchsten Autorität. Und wenn jeder das Gesetz so auslegen und ausüben kann, wie er es für richtig hält, folgt daraus Chaos. Für die restliche Welt ist der Nahostkonflikt einfach ein Tauziehen um ein kleines Stück Land. Doch das eigentliche Problem ist, dass noch keiner das eigentliche Problem verstanden hat. Und demzufolge behandeln die Unterhändler von Camp David und Oslo weiterhin selbstsicher einen Herzpatienten – mit Gipsverband und Schiene.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich schreibe dieses Buch nicht, weil ich meine, ich wäre klüger oder weiser als die großen Denker unserer Zeit. Das bin ich nicht. Aber ich glaube, dass Gott mir einen einzigartigen Blickwinkel geschenkt hat, indem er mich auf mehrere Seiten eines scheinbar unlösbaren Konflikts gestellt hat. Mein Leben ist so zerstückelt wie dieser verrückte kleine Landstrich am Mittelmeer, von manchen als Israel bezeichnet, von anderen als Palästina oder als besetzte Gebiete.

Mein Ziel ist es, auf den folgenden Seiten die Darstellung einiger grundlegender Ereignisse zu korrigieren, einige Geheimnisse aufzudecken und, wenn alles gut geht, Ihnen die Hoffnung zu vermitteln, dass das Unmögliche möglich ist.

Gefangen

1996

Vorsichtig lenkte ich meinen kleinen weißen Subaru durch eine unübersichtliche Kurve. Es war auf einer jener engen Straßen, die auf die Landstraße außerhalb der Stadt Ramallah im Westjordanland führen. Ich bremste leicht ab und näherte mich langsam einem der unzähligen Kontrollpunkte, welche die Straßen von und nach Jerusalem säumen.

»Motor abstellen! Anhalten!«, rief jemand in gebrochenem Arabisch.

Ohne Vorwarnung sprangen sechs israelische Soldaten aus dem Gebüsch und versperrten mir den Weg. Jeder von ihnen trug ein Maschinengewehr, und jedes dieser Gewehre war direkt auf meinen Kopf gerichtet.

Panik stieg in mir auf. Ich hielt an und warf den Autoschlüssel durch das offene Fenster.

»Aussteigen! Aussteigen!«

Gleich darauf riss einer der Männer die Wagentür auf und warf mich auf den staubigen Boden. Ich hatte kaum Zeit, die Arme über den Kopf zu bringen, bevor die Tritte begannen. Ich versuchte zwar, mein Gesicht zu schützen, doch die schweren Stiefel der Soldaten fanden rasch andere Ziele: Rippen, Nieren, Rücken, Nacken, Schädel.

Zwei der Männer zerrten mich hoch und schleppten mich zum Kontrollpunkt, wo sie mich hinter einer Betonbarrikade auf die Knie zwangen. Die Hände wurden mir hinter dem Rücken mit Kabelbinder viel zu stramm gefesselt. Jemand verpasste mir eine Augenbinde und stieß mich in einen Jeep hinten auf den Boden. Meine Angst vermischte sich mit Wut, als ich mich fragte, wohin sie mich brachten und wie lange ich dort bleiben würde. Ich war kaum 18 Jahre alt und stand wenige Wochen vor meinen Abschlussprüfungen in der Schule. Was würde mit mir passieren?

Nach einer eher kurzen Fahrt hielt der Jeep an. Ein Soldat zog mich heraus und nahm mir die Augenbinde ab. Ich blinzelte in das helle Sonnenlicht und stellte fest, dass wir in Ofer waren. Ofer ist ein israelischer Militärstützpunkt und eine der größten und sichersten Militäranlagen im Westjordanland.

Auf dem Weg zum Hauptgebäude passierten wir mehrere Panzer unter Tarnplanen. Diese monströsen Hügel hatten mich immer fasziniert, wenn ich sie draußen gesehen hatte. Sie sahen aus wie riesige, übergroße Felsblöcke.

Im Hauptgebäude wurden wir von einem Arzt empfangen, der mich rasch einmal von Kopf bis Fuß untersuchte. Offenbar sollte er bestätigen, dass meine gesundheitliche Verfassung gut genug für ein Verhör war. Ich hatte die Musterung wohl bestanden, denn wenige Minuten später wurden mir Handschellen und Augenbinde wieder angelegt, und ich wurde zurück in den Jeep verfrachtet.

Ich versuchte meinen Körper so zu drehen, dass er in den kleinen Raum passte, der normalerweise für Beine und Füße der Wageninsassen gedacht war. Ein muskelbepackter Soldat stemmte seinen Stiefel auf meine Hüfte und drückte mir die Mündung seines M16-Sturmgewehrs auf die Brust. Der Gestank von heißen Abgasen zog sich über den Boden des Fahrzeugs und schnürte mir den Hals zu. Immer wenn ich versuchte, meine eingezwängte Stellung zu verändern, rammte mir der Soldat den Gewehrlauf tiefer in den Brustkorb.

Ohne Vorwarnung schoss ein stechender Schmerz durch meinen Körper. Jeder Muskel verkrampfte sich, bis hinunter in meine Zehen. Mir war, als würde eine Rakete in meinem Schädel explodieren. Der Schlag war vom Vordersitz aus gekommen, und mir wurde klar, dass einer der Soldaten mir wohl mit dem Gewehrkolben einen Schlag gegen den Kopf verpasst hatte. Bevor ich mich schützen konnte, schlug er wieder zu, nur dieses Mal noch härter und aufs Auge. Ich versuchte mich wegzudrehen, aber der Soldat, der mich als Fußschemel benutzte, zerrte mich hoch.

»Keine Bewegung oder ich erschieße dich!«, schnauzte er.

Aber ich konnte nicht anders. Jedes Mal, wenn sein Kamerad mich schlug, zuckte ich unwillkürlich zurück.

Unter der rauen Augenbinde begann mein Auge zuzuschwellen, und mein Gesicht fühlte sich taub an. In meinen Beinen spürte ich keinen Blutfluss mehr. Mein Atem ging flach und stoßweise. Noch nie hatte ich solche Schmerzen gehabt. Doch schlimmer noch als die körperlichen Schmerzen war das Entsetzen, etwas Erbarmungslosem, Rohem und Unmenschlichem hilflos ausgeliefert zu sein. Meine Gedanken rasten. Ich versuchte zu verstehen, welche Motive meine Peiniger hatten. Ich verstand, dass man aus Hass, Wut, Rache oder sogar aus einer Notwendigkeit heraus kämpfen und töten konnte. Aber ich hatte diesen Soldaten nichts getan. Ich hatte mich nicht gewehrt. Ich hatte alles getan, was man mir gesagt hatte. Ich war keine Bedrohung für sie. Ich war gefesselt, hatte die Augen verbunden und war unbewaffnet. Was ging in diesen Leuten vor, dass sie ein solches Vergnügen daran hatten, mich zu verletzen? Selbst die niedersten Tiere töten aus einem bestimmten Grund und nicht nur aus Spaß.

Ich dachte daran, was meine Mutter wohl fühlen würde, wenn sie erfuhr, dass ich verhaftet worden war. Da mein Vater bereits in einem israelischen Gefängnis saß, war ich der Mann in der Familie. Würde ich Monate oder sogar Jahre im Gefängnis festgehalten werden wie er? Und wenn ja: Wie würde meine Mutter zurechtkommen, wenn ich auch noch weg war? Ich begann zu verstehen, wie mein Vater sich fühlte – in Sorge um seine Familie und bedrückt von dem Wissen, dass wir uns um ihn sorgten. Tränen schossen mir in die Augen, als ich mir das Gesicht meiner Mutter vorstellte.

Ich fragte mich auch, ob all die Jahre an der Oberschule jetzt umsonst waren. Wenn ich tatsächlich auf dem Weg in ein israelisches Gefängnis war, würde ich die Abschlussprüfungen nächsten Monat verpassen. Ein Sturzbach von Fragen und Schreien tobte in meinem Kopf, während mich ein Schlag nach dem anderen traf: Warum tut ihr mir das an? Was habe ich denn getan? Ich bin kein Terrorist! Ich bin noch ein halbes Kind. Warum verprügelt ihr mich so brutal?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mehrmals das Bewusstsein verlor, aber jedes Mal, wenn ich wieder zu mir kam, waren die Soldaten immer noch da und schlugen auf mich ein. Ich konnte den Schlägen nicht ausweichen. Ich konnte nur schreien. Ich spürte, wie es mir sauer im Hals aufstieg. Ich würgte und übergab mich heftig.

Während es wieder dunkel um mich wurde, spürte ich eine tiefe Traurigkeit, bevor ich das Bewusstsein verlor. War es das Ende? Würde ich sterben, bevor mein Leben überhaupt richtig begonnen hatte?

Die Leiter des Glaubens

1955 bis 1977

Mein Name ist Mosab Hassan Yousef.

Ich bin der älteste Sohn von Scheich Hassan Yousef, einem der sieben Gründer der Hamas. Ich wurde im Westjordanland in einem Dorf in der Nähe von Ramallah geboren und ich gehöre zu einer der religiösesten islamischen Familien im Nahen Osten.

Meine Geschichte beginnt mit meinem Großvater, Scheich Yousef Dawud, der die oberste religiöse Autorität – der Imam – des Dorfes al-Janiya war. Das liegt in der Gegend Israels, die in der Bibel unter die Bezeichnung »Judäa und Samarien« fällt. Ich liebte meinen Großvater heiß und innig. Sein weicher, weißer Bart kitzelte an meiner Wange, wenn er mich umarmte. Ich konnte stundenlang sitzen und ihm zuhören, wenn seine melodische Stimme mit dem adhan – dem islamischen Gebetsruf – zum Gebet rief. Und dazu hatte ich reichlich Gelegenheit, da Muslime fünfmal am Tag zum Gebet gerufen werden. Den adhan und Texte aus dem Koran gut zu rezitieren, ist nicht einfach, aber bei meinem Großvater klang es immer zauberhaft.

Als ich noch ein kleiner Junge war, störten mich einige Gebetsrufer so sehr, dass ich mir am liebsten die Ohren zugestopft hätte. Aber mein Großvater war ein leidenschaftlicher Mann und mit seinem Ruf führte er die Zuhörer tief in die Bedeutung des adhan ein. Er glaubte selbst jedes Wort, das er vortrug.

Etwa vierhundert Menschen lebten damals in al-Janiya, als es unter jordanischer Herrschaft und israelischer Besatzung stand. Doch die Einwohner dieses kleinen, ländlichen Dorfes hatten nur wenig Sinn für Politik. Malerisch in den sanft geschwungenen Hügeln einige Kilometer nordwestlich von Ramallah gelegen, war al-Janiya ein sehr friedlicher und schöner Ort. Die Sonnenuntergänge dort tauchten alles in rosafarbenes und violettes Licht. Die Luft war sauber und klar, und von vielen Hügeln konnte man bis zum Mittelmeer sehen.

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