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Die Lehren meines Lebens für meine Familie. Wie verhält man sich, wenn man plötzlich erfährt, dass man unheilbar krank ist? Wenn man mit Mitte 30 plötzlich weiß, dass man seine eigenen Kinder nicht aufwachsen sehen und die Enkelkinder nicht mehr kennenlernen wird? Sabine Niese leidet, wie der weltberühmte Physiker Stephen Hawking oder der 2007 verstorbene Künstler Jörg Immendorff, an Amyotropher Lateralsklerose. Das bedeutet, dass sie kontinuierlich Muskelsubstanz verliert – an den Extremitäten, aber auch am Sprech-, Kau- und Schluckapparat. Im weiteren Verlauf erfasst die Krankheit auch die Atemmuskulatur. Die meisten Menschen leben nach der Diagnose von amyotropher Lateralsklerose noch etwa drei bis fünf Jahre. Innerhalb kurzer Zeit hat sich das Leben von Sabine Niese radikal verändert. Die lebenslustige, aktive Frau ist zur Rollstuhlfahrerin geworden, die sich nun auf vollkommen neue Art mit ihrer Familie und ihrer Umwelt auseinandersetzen muss. Von aggressiven Mitbürgern, die jede Unterstützung im Alltag verweigern, über inkompetente und überforderte Ärzte bis hin zum drohenden finanziellen Kollaps, wenn die Krankenkasse dringend notwendige Anschaffungen nicht bezahlen will – die Liste der Herausforderungen ist lang. Dazu kommt die permanente Angst vor dem, was kommt, und die Tatsache, dass man den Kindern noch so viel sagen und mitgeben möchte, wofür die Zeit vielleicht nicht mehr reicht. Sabine Niese erzählt in ihrem bewegenden Tagebuch von ihren Ängsten, den Problemen, aber auch von ihren Wünschen und dem Willen, bis zum Ende ein erfülltes Leben zu leben und ihre Kraft, ihren Mut und ihren Humor weiterzugeben.
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Seitenzahl: 247
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Sabine Niese
Solange mein Herz für euch schlägt
Für Fragen und Anregungen:[email protected]
1. Auflage 2013
© 2013 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Palma Müller-Scherf, Berlin
Umschlaggestaltung: Sina Schneck, Kristin Hoffmann, München
Umschlagabbildung: © Ralph Baiker, Hamburg
E-Book Umsetzung: Georg Stadler, München
ISBN: 978-3-86415-375-4
© des Titels »Solange mein Herz für euch schlägt« (978-3-86882-422-3) 2012 by MVG Verlag, Münchner Verlagsgruppe GmbH, München Nähere Informationen unter: http://www.mvg-verlag.de
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
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Für Gabriel, Steffen und Christian
Ich liege hier und der Regen prasselt an meine Fenster. Eine Weile schaue ich zu, wie die Regentropfen an dem Glas hinunterkrabbeln.
Was ist eigentlich der Sinn von Regen? Natürlich ist er wichtig, denn ohne Regen würde alles fad aussehen und sich in Wüsten verwandeln. Nicht umsonst bedeutet Wasser auch Leben.
Es inspiriert mich, mit diesem einen glitzernden Regentropfen Freundschaft zu schließen. Ich beobachte, wie er an meiner Scheibe herunterkriecht und gleich in dem Gitter vor meinem Fenster verschwinden wird. Ich denke über sein Leben nach. Ich stelle mir vor, wie dieser Regentropfen aus seiner Wolkenmutter geboren wird. Und mit ihm unzählige Geschwister. Zusammen stürzen sie sich auf die Welt. Unten auf der Erde angekommen, will er sich mit seinen Geschwistern treffen, um gemeinsam eine Pfütze zu bilden. Dort werden sie dann warten, bis die Sonne erscheint, sie wohlig wärmt und sie schließlich verdampfen, als Nebel aufsteigen und so zu ihrer Mutterwolke zurückkehren.
Doch was ist nun mit diesem einen Regentropfen da an meiner Scheibe passiert? Er wurde vom Wind in eine andere Richtung gepeitscht, irrte durch die Luft und klatschte dann gegen die Scheibe meiner Balkontür. Am Ende wartet das Metallgitter auf ihn, er wird sich nicht mit seinen Geschwistern in einer Pfütze treffen. Er wird durch die Regenrinne gejagt und irgendwann im Boden versickern. Wenn er dann tief genug versickert ist und nach dieser angstvollen Reise endlich das Grundwasser erreicht, wird er vielleicht wieder Hoffnung schöpfen. Dann wird er mitgerissen zu einer Quelle, die in einen Fluss mündet. Erst dort wird er das Tageslicht wiedersehen. Er wird in den Himmel schauen und sich wünschen, bald wieder bei seiner Mutter zu sein. Irgendwann ist die Sonne stark genug, er kann verdampfen und als Nebel wieder aufsteigen, um wieder geboren zu werden.
Diese Geschichte hat ein gutes Ende.
Ich atme tief durch, denn ich bin dankbar, dass mein Freund, der Regentropfen, sein Happy End gefunden hat. Mein Blick fällt auf meinem Balkon, auf die Steinplatten. Auch dort schlägt gerade ein großer Regentropfen auf. Ich habe mich so in diese Geschichte hineingesteigert, dass ich am liebsten aufstehen würde, um nachzusehen, wie es diesem Regentropfen ergeht. Aber ich kann nicht aufstehen.
Mittlerweile bin ich nicht mehr in der Lage zu laufen, mein Kopf ist zu schwer, um ihn selbst zu halten, das Essen ist mühsam, ich verschlucke mich oft, meine Schultern versagen, meine Hände werden schwerfällig. Es gibt nicht mehr viele Optionen.
Ich kenne meine Diagnose seit etwa drei Jahren: amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS. Diese Krankheit möchte mein Leben bald beenden.
Ich habe mein Leben, das Leben, dieses neue Leben, betrachtet und kennengelernt. Ich habe neu abgewogen, was mir wichtig ist. Ich habe jetzt andere Prioritäten als vielleicht noch vor vier Jahren, dennoch bin ich immer noch eine Frau, Mutter und Ehefrau, die mit diesem neuen Leben, den Veränderungen, den immer kleiner werdenden Optionen zurechtkommen muss. Durch meine stark verkürzte Lebenszeit lerne ich nun Gefühle anders kennen, manchmal überrennen und überwältigen sie mich in einer ungeahnten Dimension. Erinnerungen sind nun Schätze von unbezahlbarem Wert. Und all das, was selbstverständlich war, ist es für mich nun nicht mehr.
Ich versuche jeden Tag das sonnige Leben, das mir durch meine Kinder und meine Familie und den Menschen, die mich begleiten, begegnet, mit meinem schwerfälligen Körper und der dunklen Regenwolke, die über uns schwebt, zu verbinden. Und an manchen Tagen entsteht daraus ein wunderschöner Regenbogen!
Seit fast drei Jahren schreibe ich Tagebuch, Briefe an mich und Gedichte, und so werde ich in diesem Buch immer wieder Zitate, Briefe und Gedichte einbringen, um von den Stationen und Gefühlen meines »neuen Lebens« mit der Krankheit zu erzählen. Ich hoffe, dass ich damit die Gefühle zu dir transportieren kann.
Dieses Buch ist für mich die Möglichkeit, etwas ganz Persönliches zu hinterlassen.
Hallo Prinzessin,
du schlägst die Augen auf und schon steht jemand bereit.
Dein Essen wird zubereitet, mundgerecht geschnitten und dir gereicht. Es wird sich danach erkundigt, wie es dir geht und was du heute tun möchtest. Jeder Wunsch wird dir buchstäblich von den Augen abgelesen.
Nachdem du gegessen und getrunken hast, folgt die Morgentoilette. Du wirst gewaschen, deine Haare werden gekämmt und frisiert. Deine Haut wird eingecremt und ein zartes Make-up wird dir aufgelegt.
In aller Ruhe kannst du entscheiden, was du anziehen möchtest. Und auch das Anziehen wird dir abgenommen.
Nun begibst du dich auf deinen Thron, nachdem man dir deine Krone aufgesetzt hat.
Wenn du dich dazu entschließt, hinauszugehen, folgt dir dein Hofstaat. Immer bemüht, dir deinen Weg so angenehm wie möglich zu gestalten. Der Weg wird dir durch Menschenansammlungen gebahnt, Unebenheiten im Asphalt werden vorausschauend erkannt, du wirst vor zu starker Sonne geschützt und bei Regen wird dir der Schirm gehalten.
Bist du müde, wird dir das Bett aufgeschlagen, das Kissen gelockert und du wirst sanft zu Bett gebracht.
Bevor du einschläfst, bedankst du dich, denn dein Hofstaat sind dein Mann und deine Familie, die dich liebevoll pflegen. Deine Sänfte ist ein elektrischer Rollstuhl und deine Krone ist ein am Rollstuhl befestigtes Stirnband, das deinen Kopf oben hält. Deine Wünsche werden dir tatsächlich von den Augen abgelesen, und zwar von deinem Sprachcomputer.
Stehen gelassen
da stehe ich nun, stehen gelassen vom Glück
denn es ließ mich hier allein zurück
Angst, Armut, Abschiedsschmerz
Glas, geknallt, gebrochenes Herz
Verlust, Verdruss, verlieren
Sommer, Schein, trotz Wärme frieren
nichts, niemand, Nutzlosigkeit
Fremde, Folter, keiner, der mich befreit
Berg, Blockade, bewegungslos
dunkel, Dunst, Dämonen riesengroß
zerkleinert, zerknüllt, zerrissen
Wirrwarr, Wollknäuel, den Weg nicht mehr wissen
mutlos, matt, mitgenommen
knirschen, kippen, alle Träume zerronnen
Pulle Bier, Pralinen, Konfekt
Tiefschlaf, träumen, Hoffnung, die mich sanft erweckt.
Meine große Hoffnung war, dass es eine behandelbare, heilbare Krankheit ist. Wie konnte das nur passieren?, fragte ich mich. Habe ich das etwa gewollt? Ich wollte nur eines, wieder gesund werden. Wozu gibt es Krankenhäuser und Ärzte? Ich fühlte mich wie in einem Film. Irgendjemand hatte den Koffer am Bahnhof vertauscht. Diese Szene bekam ich nicht aus meinem Kopf: Da bleibt plötzlich ein Mann im Trenchcoat neben mir stehen, er stellt seinen Koffer ab, der genau so aussieht wie meiner, schaut einmal nach links, dann nach rechts, nimmt statt seinem nun meinen Koffer und verschwindet. Ich greife nach dem Koffer, ohne bemerkt zu haben, dass er vertauscht wurde, steige in den Zug des Lebens und denke auch noch, ich wüsste, welche Haltestelle als nächste kommt. Ich mache mir keine Sorgen, denn mit meiner Fahrkarte, die im Koffer ist, werde ich mein Ziel schon erreichen. Doch wie das Leben so spielt, werde ich kontrolliert. Ich soll meine Fahrkarte vorzeigen. Aber ich scheitere an dem Zahlenschloss des Koffers. Und so werde ich mit einem Mal aus dem Zug des Lebens geschmissen. Ich stehe an einer unbekannten Station, während mein bisheriges Leben wie ein D-Zug im Nichts verschwindet.
Mit »Nichts« meine ich wirklich das Nichts.
Nach Monaten ohne Diagnose, aber auch nicht mehr in der Lage, mein Geschäft weiterzuführen, waren wir pleite. Jörg, mein Mann, konnte die Banken ein paar Wochen hinhalten, aber das reichte natürlich nicht. Wir verloren unser Haus, mussten unsere Lebensversicherung kündigen und konnten schon bald nicht mal mehr die wichtigsten Rechnungen bezahlen. Nicht nur, dass ich durch die Krankheit immer schwächer wurde, wir waren auch seelisch durch die ganze Situation und Ungewissheit extrem belastet. Der materielle Verlust war das eine, aber sich der Sache überhaupt nicht gewachsen zu fühlen, total überfordert zu sein, das andere. Die Fragen, wie es finanziell, aber auch gesundheitlich und mit unserem Leben überhaupt weitergehen sollte, nagten furchtbar an uns. Alles war so fürchterlich. Die Sorge um unsere Kinder ließ alle anderen Sorgen noch größer erscheinen. Was sollte man ihnen sagen und wann? Sie merkten ja längst, dass wir uns gar nichts mehr leisten konnten, die kleinste Kleinigkeit nicht mehr drin war und auch, dass mit ihrer Mutter irgendetwas nicht stimmte. Wie erklärt man Kindern, dass man finanziell und gesundheitlich am Ende ist?
Wir wurden wirklich aus der Bahn geworfen. Da standen wir nun auf einem uns völlig unbekannten Bahnhof in einer uns fremden Welt, in der nichts mehr so war wie zuvor. Alles war anders, und es fühlte sich an wie eine Art Zwischenwelt.
Gefühlsmäßig stand ich auf einer Hängebrücke. Hinter mir mein gewohntes Leben. Belastbar, gesund, mit Zukunftsplänen. Vor mir Nebel, Verwirrung, Unsicherheiten und Ängste. Unter mir der Abgrund. Jede Bewegung, jeder Gedanke brachte die Brücke zum Wanken. Wir mussten alles loslassen, um wenigstens uns und die Kinder davor zu bewahren, nicht auch in den Abgrund zu stürzen. Alles Vertraute, alles, was wir hatten, was wir kannten, was uns Sicherheit gegeben hatte, rauschte an uns vorbei in den Abgrund, um mit einem riesigen Knall irgendwo tief unten zu zerschellen. Unsere Pläne, unser Haus, unsere gemeinsame Zukunft, meine Gesundheit, alles futsch. Verzweifelt sahen wir hilflos den Trümmern unseres Lebens hinterher. Wie bei einem Erdbeben stieg eine riesige Staubwolke auf, die uns einhüllte und noch mehr Sorgen verursachte. Wir konnten kaum atmen, die Wolke hinterließ einen bitteren, trockenen Geschmack im Mund. Wir klammerten uns aneinander und an den vertauschten Koffer, denn der war so gut wie das Einzige, was wir noch hatten.
Am 30. April 2009 wurde das Zahlenschloss des Koffers geknackt, die Diagnose verkündet. Falscher Koffer, falscher Zug, falsches Leben, es hörte nicht auf.
Aus dem Befund:
»(…) in der Flair und der t2w zeigen sich abnorme strichförmige, seitengleiche Signalsteigerungen am hinteren Schenkel der Capsula interna und in den Crus cerebri bds (…) (…) eindeutige gliöse Veränderungen entlang der Pyramidenbahn bds (…)«
Dies soll nach Literaturangaben pathogonomisch für eine ALS sein!
» (…) anhand der Anamnese, der elektrophysiologischen Befunde mit Denervationszeichen und Spontanaktivitäten in verschiedenen Muskelgruppen und Schädigungszeichen des 2. und fraglich auch des 1. Motoneurons, bestätigte sich der v. a. eine systemische degenerative Motoneuronenerkrankung / ALS (…) In Zusammenschau der klinischen und elektrophysiologischen Befunde begannen wir mit einer medikamentösen Therapie mit Riluzol (…) Bezüglich der chronisch-degenerativen Erkrankung und der daraus resultierenden Belastung im alltäglichen Leben wurde der Sozialdienst eingeschaltet und mit der Patientin über das weitere Vorgehen gesprochen. In einem ausführlichen Abschlussgespräch im Beisein der Eltern wurde über den Schweregrad der Erkrankung gesprochen.«
Wahrscheinlich sollte ich an dieser Stelle nun so etwas schreiben wie: Wir waren total geschockt und konnten es nicht fassen, haben zusammen geweint und uns gefragt, wie es weitergeht …
Ich glaube, meine Eltern waren wirklich geschockt und tieftraurig. Aber ich? Ich war eigentlich gar nichts. Immer noch dachte ich, das ist eine Verwechslung, das wird sich demnächst aufklären. Über wen sprechen die eigentlich?
Nur eines ist bei mir angekommen: »Frau Niese, genießen Sie jeden Tag und machen Sie es sich so schön wie möglich!«
Damals ahnte ich noch nicht, wie oft ich später schmerzlich an diese Empfehlung denken würde. Vielleicht habe ich mir diesen Satz auch einfach gemerkt, weil er das Positivste war, was in diesem Gespräch gesagt wurde. Alles andere war zwar auch irgendwo in meinem Kopf, aber es war wie bei den Matheformeln früher in der Schule, ich konnte es einfach nicht verstehen. Wahrscheinlich hatte ich so was wie »Diagnosesthenie«. Selbst wenn man dann irgendwann was kapiert, kapiert man den Weg dahin nicht wirklich und das Grundsätzliche daran erst recht nicht. So erging es mir auf jeden Fall.
Der Weg dahin … war erst schleichend und dann auf einmal rasend schnell. Im Nachhinein betrachtet hätte es mir viel früher auffallen müssen, dass ich irgendwann auf meine hochhackigen Schuhe verzichtete. Ich tat das gar nicht bewusst. Obwohl ich mich schon gelegentlich über Schmerzen in der Wade beklagt hatte. Dennoch war das für mich kein wirklicher Grund zur Sorge gewesen. Irgendwann hatte ich auch abends im Bett bemerkt, dass an manchen Stellen meine Muskeln zuckten, aber Gedanken habe ich mir auch darüber nicht weiter gemacht. Meiner Meinung nach durften Muskeln nach einem 13-Stunden-Tag zucken, wenn sie sich endlich im Bett entspannten. Nachdenklich wurde ich erst, als mich eine Kundin ansprach, der aufgefallen war, dass ich leicht humpelte, mein Bein, ihrer Beobachtung nach, etwas nachzog. Dazu kam eine Schwäche in meinem rechten Arm. Arbeiten, für die ich sonst zwei Stunden brauchte, dauerten nun vier bis fünf Stunden. Kleine, genaue Dinge konnte ich nur mit höchster Konzentration verrichten, da ich einen beachtlichen Tatter in der rechten Hand entwickelt hatte. Die Spaziergänge mit den Hunden wurden kontinuierlich kürzer und Treppen wurden bald zu einem kaum zu überwindenden Hindernis. Ich fühlte mich kraftlos und erschöpft.
Aber so eine Diagnose? Auf so etwas war ich ganz und gar nicht vorbereitet. In meiner Welt ging man zum Arzt, um wieder gesund zu werden.
Ich verstand diese Diagnose nicht nur nicht, dieser Datenfluss legte mein Gehirn regelrecht lahm. Ähnlich wie bei der Schockstarre von Tieren reagierte mein Gehirn auf diese Informationen damit, sich erst mal tot zu stellen.
Heute kann ich mich nur noch an Bruchteile meines damaligen Krankenhausaufenthaltes erinnern, als die Diagnose gestellt wurde. Ich erinnere mich noch an die Namen der Ärzte. Daran, dass ich das Gefühl hatte, ab dem dritten Tag eine Sonderstellung zu genießen. Alle waren sehr nett zu mir, nahmen sich viel Zeit für mich.
Ich kann mich noch an die Elektromyografie-Untersuchung erinnern. In alle möglichen Stellen meines Körpers wurden Nadeln gesteckt. Es tat nicht weh, aber es war auch nicht besonders angenehm. Mehrere Ärzte waren anwesend und beratschlagten über die Ergebnisse aus den verschiedenen Einstichstellen. Mir sagte das alles nichts und ich fragte mich, wie man mit so einer Untersuchung wegweisende Erkenntnisse gewinnen wollte. Zum Schluss erkundigte ich mich, ob sie nun irgendetwas herausbekommen hätten. Der Chefarzt konnte mir auf jeden Fall bestätigen, dass ich nicht psychisch krank sei. Na bitte, dachte ich, sag ich doch!
Ich fragte, ob ich nun endlich Medikamente bekäme, damit es mir bald wieder besser ginge. Falls nicht, dann würde ich doch lieber die psychische Variante nehmen … hahaha. Der Arzt fand das überhaupt nicht lustig, ich im Nachhinein allerdings auch nicht. Ich glaube, als der Arzt etwas unsicher auf den Boden schaute und mir dann sagte, dass es sich so schnell nicht beheben ließe, wurde ich das erste Mal misstrauisch. Aber hey, das Wetter war, obwohl wir April hatten, bestens, und mein Mann wollte schon da sein, um mich zu besuchen. Also schnell weg mit den doofen Gedanken.
Innerlich war ich beunruhigt. Ich hatte das sichere Gefühl, dass sich hier etwas nicht so entwickelte, wie ich mir das vorgestellt hatte. Aber mir langte es schon, dass ich nun völlig verunsichert war, da musste ich ja jetzt nicht auch noch meinen Mann mit belasten. Noch war rein gar nichts amtlich. Kein Arzt ist zu mir gekommen und hat offiziell die Diagnose verkündet. Noch war alles offen. Ich bin schon so oft im Leben mit einem blauen Auge davongekommen, warum dieses Mal nicht? Sonst konnte ich es kaum erwarten, alle Leute mit einer Neuigkeit verrückt zu machen, aber diesmal wollte und konnte ich es nicht. Etwas in Gedanken zu haben, ist etwas ganz anderes, als es auszusprechen. Ich wollte auf keinen Fall die Erste sein, die aussprach, was alle befürchteten, sozusagen »den Teufel an die Wand malen«. So blieb es in mir. Verkapselt in dem ganzen Gefühlschaos war es kaum zu spüren.
Diesen Moment mit meinem Mann vor der Diagnose wollte ich unbedingt genießen, diesen Kaffee in der Krankenhauskantine, dieses Stück Kuchen, dieses Gespräch. Ich traute mich kaum, nach den Kindern zu fragen. Wenn ich jetzt auch noch hören würde, dass sie mich vermissten … Ich hatte Angst zu fragen, was es Neues gäbe, denn seit ich krank geworden war, kamen nur noch schlechte Nachrichten und Botschaften, furchtbare Briefe von irgendwelchen Ämtern, einer Bank oder von sonst wem. Ich war ein Fass, bei dem nur noch ein Tropfen fehlte, um es zum Überlaufen zu bringen.
Ich wusste, wenn ich es nicht schaffte, den Nachmittag mit Jörg zu genießen, würde ich zusammenbrechen und weinen. Dann würde diese verkapselte Angst und Verzweiflung mit herausgeschwemmt werden und alles würde aus mir herausbrechen. Ich wollte meinen Mann und meine Familie nicht damit konfrontieren, denn selbst wenn ich stark bleiben könnte, müsste ich erkennen, wie tragisch alles ist, wenn ich meinen traurigen und verzweifelten Mann sehen würde. Ich wollte nicht, dass er kopflos die Autobahn nach Hause fuhr und den Kindern nicht berichten konnte, dass es mir ganz gut ginge. Solange noch die Hoffnung bestand, dass alles gut werden würde, wollte ich die Welt der anderen auf keinen Fall noch mehr durcheinanderbringen, als dies schon geschehen war. Vielleicht würde ich ihn abends anrufen, wenn die Kinder bereits schliefen, und ihm von der Untersuchung berichten. Alles etwas verharmlosen, obwohl ein Teil von mir selbst kaum mehr an ein gutes Ende glaubte. Etwas witzeln, alles etwas ins Lächerliche ziehen, um dann aufzulegen und alleine deprimiert zu sein.
Auf dem Gang wartete bereits mein Mann. Ich weiß noch genau, was er anhatte, aber nicht mehr, worüber wir geredet haben.
Die Ärzte, die bei mir die Diagnose stellten, rieten mir, auf jeden Fall zuzunehmen. Sie erklärten, dass ich vielleicht bald nicht mehr kauen und schlucken könnte und es dann sehr wichtig sei, genügend Gewicht zu haben. Im ersten Moment dachte ich: »Hä, genügend Gewicht? Ich wiege 53 Kilo, das langt ja wohl.« Ich meine, es ist ja nicht so, dass ich nach drei Kindern immer noch über das Schlank-Gen verfüge. Ich war stolz darauf, trotzdem schlank zu sein, und wollte zu dem Zeitpunkt mein Gewicht auf keinen Fall verändern. Ich krabbelte also abends in mein Krankenhausbett unter die raschelnde Decke und dachte: Die spinnen ja wohl, jetzt soll ich auch noch zunehmen!
Das Gespräch zeigte jedoch Wirkung, denn am nächsten Morgen erwachte ich mit einem unbändigen Hunger und dem großen Bedürfnis, ausgiebig zu frühstücken. Und so gönnte ich mir ein dekadentes Krankenhausfrühstück. Immerhin auf ärztlichen Rat. So ganz ohne schlechtes Gewissen. Ich aß später auch brav meine Mittagsportion auf, die mir diesmal kleiner vorkam, und orderte bei meinen Eltern lauter leckere Sachen. Also auf zu neuen Ufern, schlemmen, was das Zeug hält, und als Ausrede: die Ärzte. Wow, ein ganz neues Lebens- und Genussgefühl.
Innerhalb eines Jahres mit hemmungslosem Essen und ohne Sport schaffte ich es tatsächlich, 30 Kilo zuzunehmen. Ich habe mich von meinen Klamotten Größe 34 getrennt und die Liebe zum Essen entdeckt.
Heute Morgen habe ich meinen Schrank aussortiert. Ich hatte doch noch ein paar Relikte aus der Vergangenheit aufbewahrt, aber ich habe eingesehen, dass die meinen Schrank nur unübersichtlich machen, also habe ich diese Sachen und noch gleich ein paar, die ich sowieso nicht mehr anziehe, aussortiert. Es kam doch eine ganze Menge zusammen. Und weil ich gerade dabei war, habe ich dann auch noch meine Fächer beschriftet. So findet dann jeder leichter das, was ich brauche oder möchte …
Vor der Erkrankung habe ich mir Gedanken darüber gemacht, welche Schuhe am besten zu meinem Outfit passen und welche Handtasche ich nehme, nun ist wichtig, dass alles bequem ist und ich mit kurzen Anweisungen sagen kann, was ich haben möchte. Ach, was habe ich meine diversen Schuhe und Handtaschen geliebt – am liebsten hätte ich ihnen Kosenamen gegeben. Wie unwichtig so etwas werden kann. Manchmal denke ich daran, was aus mir geworden ist, was so eine Krankheit aus einem machen kann …
Mittlerweile habe ich schon wieder zehn Kilo abgenommen und die Liebe zum Essen ist nicht mehr ganz so groß. Zwar schmeckt mir immer noch vieles sehr gut, aber es ist wohl ähnlich wie in einer anstrengend gewordenen Beziehung. Man möchte jede Minute miteinander verbringen und jeden Moment genießen, aber es gelingt einfach nicht mehr. Es wird einem doch zu viel und irgendwann überwiegt der Missmut. Ungefähr so ergeht es mir jetzt mit dem geliebten Essen. Ich esse wirklich gern, aber vieles ist nun so anstrengend zu kauen, und ich verschlucke mich oft. So verliere ich langsam die Lust am Essen, wie mancher vielleicht die Lust am Partner.
Jetzt erst, im Rückblick, fällt mir auf, dass ich die Tragweite damals wirklich nicht begriffen habe. Ich habe zwar funktioniert, also die Anweisungen und Ratschläge der Ärzte ernst genommen, aber bei mir angekommen, was los war, ist es nicht wirklich. Ansonsten wäre mir doch klar gewesen, was mich erwartete. Allein der Hinweis, bald eventuell nicht mehr kauen und schlucken zu können, den ich aufnahm, ohne emotionale Reaktion! Arzt sagt: »Essen«, also esse ich.
Mein Ego war da dann doch etwas wacher, oder sollte ich besser sagen: in Alarmbereitschaft? Wenigstens hat es angemessen reagiert, wie ein Ego eben so reagiert: Was? Noch mehr essen? Ich bin dick genug! Was soll das denn nun?
Ähnlich verhielt es sich bei den Beratungsgesprächen mit dem Sozialdienst. Mein Ego meldete sich vehement: Hey Sabine, lass dir nichts einreden. Rente?! Ha, dass ich nicht lache. Behindert? Quatsch!
War es am Ende mein Ego, das verhinderte, dass die Informationen bei mir ankamen? Quetschte sich dieser dicke, kleine, sich selbst sehr wichtig nehmende Mann namens Ego, beflügelt von seiner schier unendlichen Selbstverliebtheit, in den Zugang zwischen Datenerfassung und Datenverarbeitung meines Gehirns?
Was blieb ihm aber auch anderes übrig? Er hatte verstanden, worum es hier ging. Hier war definitiv auch seine Existenz, seine Lebensaufgabe bedroht.
Betreff: Ihre Störungsmeldung
Kennzeichen: Niese/Sabine/Leben/Gesundheit
Bitte vergewissern Sie sich, dass folgende Schritte korrekt durchgeführt wurden:
Vorbereitung: Überzeugen Sie sich, dass Ihr Körper eingeschaltet und auf den Gesundheits-Wiedergabekanal eingestellt ist. Schalten Sie den Gesundheitskanal an und wählen Sie ein beliebiges Programm mit Ausnahme von »ALS«, »amyotrophe Lateralsklerose« und Motoneuronenerkrankung.
Starten Sie den automatischen Suchlauf. Wählen Sie dann ein Programm wie zum Beispiel Gesundheit, Wohlbefinden oder Gesundheitswiederherstellung. Drücken Sie nach beendeter Einspeicherung aller gewünschten Programme die Taste »Tuner Preset« zweimal.
Abstimmverfahren für direkte Kanaleingabe
Wenn die Programmplätze bekannt sind, auf denen die gewünschten Sender empfangen werden, können Sie diese anhand des folgenden Verfahrens einspeichern:
Halten Sie die Taste »Tuner Preset« länger als 2 Sekunden gedrückt. Wählen Sie einen Programmplatz mit den Tasten »+« und »-«.
Geben Sie den Programmnamen mithilfe Ihrer Gedanken ein.
Drücken Sie die Taste »Next« und wiederholen Sie die Schritte 1 bis 3 für jeden einzelnen Programmplatz.
Drücken Sie anschließend die Taste »Tuner Preset« zweimal!
Feinabstimmung:
Halten Sie die Taste »Tuner Preset« länger als 2 Sekunden gedrückt.
Drücken Sie die Taste »Feinabstimmung«.
Drücken Sie die Tasten »<« und »>«, bis das Programm optimal eingestellt ist.
Die Anzeige der Symptome erlischt, sobald das Programm optimal eingestellt ist. Drücken Sie abschließend die Taste »Tuner Preset«.
Sollten die genannten Probleme dennoch bestehen bleiben, wenden Sie sich bitte an einen Kundendienst in Ihrer Nähe.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Service-Team
Endlich, eines Morgens, etwa eine Woche nach der Entlassung, war der Datenstau im Gehirn abgetragen und ich erahnte einen Bruchteil von dem, was da auf mich zukam. Ich konnte mich nun endlich dem Inhalt des fremden Koffers zuwenden. Da saß ich dann auf meiner Bettkante und betrachtete, was mir das Schicksal im Trenchcoat überlassen hatte. Oh mein Gott, das war ganz und gar nicht meins … das ist mindestens eine Nummer zu groß für mich, stellte ich entsetzt fest.
Mein Gehirn erwachte wieder zu neuem Leben und ich merkte, wie meine Gedanken umherstreiften wie eine eingesperrte Löwin. Ich wollte mich auf keinen Fall damit zufriedengeben und darauf warten, bis mir jemand ein Stück angegammeltes Fleisch hinwarf. Ich musste was tun. Und so wurde ich zur Löwenmutter. Na gut, jede Mutter ist wahrscheinlich irgendwie eine Löwenmami, damals aber wurde ich dazu bestimmt, noch grün wie Hulk. Also, da war sie nun, die grüne Löwenmutti. Wild entschlossen, nicht verwundet in der Steppe liegen zu bleiben, sondern auf Angriff zu gehen. Nur: Wen sollte ich angreifen, wenn sich so spontan kein Opfer bot? Ich wollte nicht mein Leben zerpflücken mit: hätte, könnte und wenn. Denn wie ich zu sagen pflegte: Hätte meine Tante Eier, wäre sie mein Onkel.
Aber braucht man ein Opfer, um auf Angriff zu gehen? Und überhaupt, war ich nicht das Opfer und wollte mich durch Angriff irgendwie selbst befreien? Ich wollte meinen Koffer zurückhaben! Ernüchtert stellte ich schnell fest, dass ich weder die Kraft hatte, eine Löwenmutter zu sein, noch den Angriff zu starten. Ich war wohl eher eine Ertrinkende, die auf den Rettungsring hoffte. Gut! Also mal schauen: Wer könnte mir einen zuwerfen? Im Moment war kein Held in Sicht, also immer schön weiterstrampeln, die Augen offen halten und nur nicht aufgeben. Einen ganzen Tag schaffte ich das, dann war mir klar: Auch das war keine Lösung. Es stehen ja nicht überall die Helden am Strand.
Aber manche, wie ich an diesem Tag feststellte, stehen dafür im Telefonbuch.
Ich brauchte eine Art Kundenservice. Anrufen, Problem schildern und dann wird einem Step by Step erklärt, was zu tun ist. Und sollte es so nicht klappen, schicken sie einen Außendienstmitarbeiter vorbei.
Im Krankenhaus hatte ich bereits eine Beratung vom Sozialdienst erhalten. Aber wer soll sich unter diesen Umständen irgendetwas merken können? Es wurde über Rente, Pflegestufe und Schwerbehinderung gesprochen. Diese Themen schob ich aber erst mal ganz weit weg von mir. Also, so schlimm steht es ja noch nicht um mich! Hallo, ich bin Mitte dreißig. Und so prallte diese Beratung fruchtlos an mir ab.
Nun aber brauchte ich dringend eine Beratung, nur wo konnte ich hingehen? So, erst mal überlegen. Ich hatte überhaupt keine Lust, zu irgendeinem Amt zu gehen. Und da kam mir die Kirche in den Sinn. Wenn die mir nicht helfen, wer dann sonst? Ich blätterte im Telefonbuch und entschied mich für die Diakoniestation. Schwups, und ich hatte einen Beratungstermin. Ich war vorsichtig überrascht. Sollte es tatsächlich Hilfe geben?
Zwei Tage später machten wir uns mit dem vertauschten Koffer auf dem Weg zur Beratungsstelle. Nach dem Gespräch war uns klar: Dies wird kein Walt-Disney-Märchen, aber man kann eventuell Schadensbegrenzung betreiben und einiges regeln. Ausgestattet mit einem Plan für das weitere Vorgehen, mit weiteren Adressen, Telefonnummern und mit neuem Mut verließen wir die Diakoniestation.
Bis heute ist der nette Berater dort einer meiner persönlichen »Retter«. Er hat mir zwar nicht den Rettungsring zugeworfen, aber ich hatte das Gefühl, dass er ein Stück mit mir in diesem kalten Wasser geschwommen ist, mir gut zugeredet hat, mir das Ufer gezeigt hat. Gut, das Ufer konnte ich nicht wirklich sehen, aber ich hatte an diesem Tag, nach diesem ersten Gespräch in der Beratungsstelle, das Gefühl, irgendwo am Horizont das Leuchtturmfeuer zu erahnen.
Unser nächster Gang führte uns zum Integrationsamt, vielmehr kam die freundliche Frau zu uns. Wir erhielten sehr viele Informationen, aber das Beste war, dass sie ein Gutachten über die Wohnung verfasste, in der wir lebten, und uns so einen raschen Umzug ermöglichte. Nun haben wir ein schönes Haus im gleichen Ort, alles, was ich brauche, ist im Untergeschoss und für mich gut zu erreichen. Wir haben einen kleinen Garten und eine Terrasse. Nur die Kinderzimmer der beiden Großen sind oben, aber ich glaube, das finden die gar nicht so schlimm. So sehe ich wenigstens ihre Unordnung nicht.
Die Frau vom Integrationsamt schickte auch ihre Kolleginnen zu uns. Es kam zum Beispiel eine Mitarbeiterin, die uns die verschiedenen Pflegestufen erklärte und mit uns sozusagen »übte«. Das hat uns sehr geholfen und brachte für uns einen großen Aha-Effekt. Vorher hatten wir noch nie darüber nachgedacht, wie oft ich eigentlich am Tag aufs Klo muss …
Eine Mitarbeiterin war auch dabei, als der MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) zu uns kam. Das hat uns sehr beruhigt, denn ich hatte viele erschreckende Beiträge über Begutachtungen des MDK im Internet gelesen. Aber es war dann gar nicht schlimm. Der Herr vom MDK war auch sehr nett und stufte mich in die Pflegestufe 2 ein. Tja, sollte ich mich darüber freuen?
Im ersten Moment freute ich mich. Wieder eine Hürde genommen. Doch wirklich toll ist so eine Begutachtung nicht. Es geht ja nicht darum, wie gut du etwas kannst, und du bist ja auch nicht bei den Topmodels und es hagelt Komplimente. Nein, es wird festgestellt, was du nicht mehr kannst. Und mal ehrlich, wer lässt sich das schon gerne sagen, und noch viel schlimmer, wer erzählt so was schon, um etwas zu bekommen? Nun war meine Welt nicht nur völlig aus den Fugen geraten, sie stand auch noch Kopf. Meine Belohnung für die ganzen Defizite war also Pflegestufe 2.