Soldat auf Zeit - Der Nobelix - E-Book

Soldat auf Zeit E-Book

Der Nobelix

0,0

Beschreibung

Nobelix, ein durchschnittlicher Abiturient, wird 1999 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr einberufen. Obwohl er beinahe untauglich gemustert wird und alles andere als ein vorbildlicher Soldat ist, gelingt es ihm, sich als Soldat auf Zeit für 4 Jahre zu verpflichten. 4 Jahre, von denen er beinahe 2 Jahre im Ausland verbringt, halb Europa kennenlernt und sogar einem König die Hand schüttelt. 4 Jahre, in denen sich vieles ändert und in denen nicht nur Gutes passiert.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 265

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für all die, die ich während meiner Dienstzeit kennenlernen durfte.

Trotz allem war es eine tolle Zeit!

Danke an alle, die mich während der Entstehung unterstützt haben:

René und Easy dafür, dass sie sich alle diese Erinnerungen mindestens einmal angehört haben und einige davon teilen, Claudius, der mir beinahe "im Vorbeigehen" eine Plattform für eine Lesung angeboten hat, obwohl das Buch noch nicht gedruckt war, Ute, die die Geschichten als beinahe losen Papierstapel Korrektur gelesen hat, Detlef, für den kleinen Motivations-Kick zwischendurch, und Mimi, die von all dem lange nichts geahnt hat.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Musterung

Grundausbildung

Der Weg zum Zeitsoldat

Grüne Autos

Die Übung

Lehrvorführung und Gefechtsschießen

Die kürzeste Übung der Welt

Büroarbeit

Wachen wachen

Aus Delmenhorst in die weite Welt

Kölner Begegnungen

Sauerländer Naturgesetze

Die Sanitätsausbildung

Mit dem Auto durch das Sauerland

Der Flitzer-Blitzer

Der Apfelbaum

Krieg

Wachen machen

Wieder einmal Verwirrung

Ein langer Marsch

Die Auflösung

Strasbourg vom Auto entdecken

Zollfrei

Und wieder mal 'ne Übung

Wachen lachen

Da platzt mir gleich die Hose

Zu tief geflogen

Mehr Verkehr

Die Bahn kommt - die Frage ist nur: wann?

Die Kollegen

Die Einführung

Ein Arzt ist besser als kein Arzt?

Internationale Zusammenarbeit?

Das Ende

Vorwort

“Vor langer, langer Zeit in einem weit, weit entfernten Land...”

So oder so ähnlich beginnen Märchen, Sagen und andere Geschichten. Und so ungefähr wie ein Märchenonkel oder ein Geschichtenerzähler fühle ich mich jetzt auch. Gut, bei mir würde der erste Satz eher lauten: “Damals, als ich noch jung, unerfahren und gutaussehend war, war ich ein Soldat.” Heutzutage bin ich weder jung, noch unerfahren, noch gutaussehend, sondern höchstens noch “und”, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Heute, über 10 Jahre nach meinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst, sehe ich ganz anders auf meine Dienstzeit zurück. Mittlerweile überwiegen die schönen Momente und es ist auch schon vorgekommen, dass ich meine Entscheidung, mich als Zeitsoldat zu verpflichten, als die Beste und Wichtigste in meinem Leben sehe. Und obwohl in meinen Erinnerungen die guten und schönen Momente überwiegen, so gab und gibt es Situationen, die ich meinem schlimmsten Feind nicht wünschen möchte.

Die Musterung

Diese Erinnerungen beginnen im Jahr 1999. Denken wir kurz zurück an dieses letzte Jahr des “alten” Jahrtausends: es gab noch die D-Mark, die NATO wird nach Osten erweitert, gleichzeitig beginnen die Operationen in Jugoslawien, Johannes Rau wird Bundespräsident, Bill Clinton muss sich wegen seiner Blas-Affäre verantworten und ich bin dabei, meine Schullaufbahn zu einem (guten) Ende zu bringen.

Damals gab es allerdings noch etwas, das es heute nicht mehr gibt: die Wehrpflicht. Jeder Mann zwischen 18 und 26 war verpflichtet, entweder Dienst bei der Bundeswehr oder einen Ersatzdienst zu leisten. Ich war mir zu der Zeit nicht sicher, welchen der beiden Dienste ich leisten wollte und so entschied ich, mich erst einmal mustern zu lassen.

Zu der Zeit gab es in Bremen noch ein eigenes Kreiswehrersatzamt - die Behörde, die für die Musterungen und die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr zuständig war - und dorthin wurde ich eingeladen. An diesem Morgen ließ ich mich von meiner Mutter dort absetzen und spazierte gut gelaunt und ohne zu wissen, was mich erwarten würde, durch die Tür. Dort gingen dann Tests von Allgemeinwissen, Kombinationsgabe, Logik und anderem los. Eigentlich wurde alles geprüft und getestet, was man nur testen konnte.

Irgendwo muss ich relativ gut gewesen sein, denn ich erinnere mich schwach, dass ich noch zusätzliche Tests absolvieren durfte - oder musste: die Erkennung von morsezeichenähnlichen Tönen und Tonfolgen.

Dann kam die medizinische Untersuchung und der wirkliche Spaß begann. Ich hatte schon immer ein besonderes Verhältnis zu Ärzten: ich ging ihnen aus dem Weg, wann immer es ging. Und wenn es nicht anders ging, dann wurde ich gelegentlich ziemlich neugierig, was die Ärzte mit mir veranstalten wollten und warum. So war es auch an diesem Tag. Ich hatte gerade einige Kniebeugen, eine Blutdruckmessung und das Füllen eines Pappbechers auf dem Klo hinter mich gebracht, als der Doktor meinte, ich sollte meine Hosen herunterlassen und mich vorbeugen. Das fand ich reichlich komisch, denn ich trug ja nur noch Shorts. Also brummelte ich ihm ein “Nö” entgegen und setzte mich auf die Untersuchungsliege. Das dann folgende Gespräch ging ungefähr so:

Doktor: “Das muss aber, das steht so auf dem Untersuchungsplan.”

Ich: “Was haben sie denn überhaupt vor?”

Doktor: “Ja nu, Untersuchung halt.”

Ich: “Und was für eine?”

Doktor: “Nu machense schon. Da könnense sich eh nicht gegen wehren.”

Ich: “Und das sagt wer?”

Doktor: “Ich”

Ich: “Najaaaaa ...schauen sie sich doch einmal kurz an: 1,70m groß, nicht grad kräftig gebaut und genervt. Wollen sie mich zu der Untersuchung zwingen?”

Doktor: “Wenn es sein muss, ja.”

Ich: “Versuchen sie es doch mal - aber ich warne sie schon mal vor: ich werde mich wehren.”

Ab da war der Doktor nicht nur genervt, sondern gewaltig angepisst und wollte wissen, ob ich ihm drohen würde - etwas, was ich niemals tun würde. Nein, ich habe ihn gewarnt. Denn gegen meine 1,92m und knapp über 100 kg Kampfgewicht würde er es ziemlich schwer haben. Vor allem, wenn er nicht sagt, was er untersuchen möchte und wie er es untersuchen will. Am Ende hat der gute Doktor dann darauf verzichtet, mich weiter zu untersuchen, allerdings wurde ich beim abschließenden Beratungsgespräch dann noch einmal darauf angesprochen. Naja, wenn ich ehrlich bin, mir wurde vorgeworfen, ich hätte mit körperlicher Gewalt gedroht. Am Ende hat es der Doktor dann doch eingesehen, dass seine fehlende Auskunftsfreudigkeit ein kleines bisschen maßgeblich Schuld an der Auseinandersetzung gewesen ist. Aber nur ein kleines bisschen, denn er ist ja schließlich Arzt und er weiß, was er tut. Später zeigte sich dann aber, dass er nicht alleine in den Reihen der Bundeswehrärzte war.

Geballte Kompetenz.

Kurz darauf erhielt ich dann die Quittung: den Musterungsbescheid mit dem Ergebnis T7. Nun werden sich einige Menschen fragen, was das bedeutet. Ganz einfach: die Tauglichkeitsstufe 7, kurz T7, ist für Menschen gedacht, die zwar körperlich untauglich sind, aber nicht so untauglich, um sie einfach auszumustern. Bei mir lag es an einer damals noch recht kräftig ausgeprägten Hausstaub-Milben-Allergie mit Asthma. Ich wurde also einberufen, aber zu einer “Allgemeinen Militärischen Grundeinweisung” - fast so wie eine Grundausbildung, aber eben nicht ganz so. Die genauen Unterschiede sollte ich später genauer erfahren.

Grundausbildung

Die ganze Geschichte um die Musterung geriet erst einmal in Vergessenheit, gab es zu der Zeit doch deutlich wichtigeres. Die Abiturprüfungen standen nicht nur vor der Tür sondern schon im Hausflur und forderten meine volle Aufmerksamkeit. Dazu noch ein kurzer Urlaub mit einem Interrailticket und der Abiball mit der Zeugnisübergabe und meine Mitarbeit bei der Abizeitung (die fast schon die Ausmaße eines Jahrbuches annahm) und schon war die schöne Schulzeit vorüber - bis dann plötzlich ein Brief von der Bundeswehr eintraf, mit offiziell aussehendem Stempel, Wappen und allem Gedöns. Der Inhalt: Eine Einladung, mich am 4. Juli 1999 bei meiner neuen Heimat einzufinden.

So kam es also, dass ich mich an diesem besagten Tag noch recht früh am Morgen in der Kaserne “Kaff im Walde” einfand. Dort kam dann das, was vor mir schon tausende anderer junger Männer erlebt haben: die Einteilung in Einheiten und Stuben und die Einkleidung in die schicken, modernen und gut sitzenden Sportanzüge1 Ab diesem Tag gab es keine Individualität durch Kleidung mehr.

Die nächsten Tage waren vollgestopft mit Unterricht, dem Lernen der Dienstgradabzeichen und der Nationalhymne, medizinischen Untersuchungen und den ersten Sport-Einheiten. Der Zug2, dem ich zugeteilt wurde, bestand aus ungefähr 40 Rekruten, wie ich mit der Tauglichkeitsstufe 7 gemustert. Immerhin war ich schon mal nicht der Einzige, der körperlich nicht voll Leistungsfähig war. Ganz im Gegenteil, ich gehörte noch mit zu den fittesten. Auf meiner Stube waren vom Rückenpatienten, der mit 14 seinen ersten Bandscheibenvorfall hatte, bis zum ehemaligen Profifußballer, der nach Kreuzbandrissen an beiden Knien nie wieder Geld mit dem Sport verdienen konnte, untergebracht. Insgesamt war unser Zug eher der Underdog unter den Ausbildungseinheiten. Von den anderen Ausbildern und Rekruten belächelt (und manchmal sogar ausgelacht), hatten wir nicht gerade eine kleine Last zu tragen. Trotzdem - oder vielleicht auch gerade deswegen - wurden wir sehr schnell ein Team. Einer half dem anderen, ganz egal, worum es dabei ging. Und gerade, weil wir die Underdogs waren, hatten wir immer wieder Spaß daran, die anderen (körperlich topfitten) Rekruten in ihre Schranken zu weisen oder vorzuführen.

Da gab es zum Beispiel den Eingewöhnungsmarsch, ein “kleiner” Ausflug auf den örtlichen Übungsplatz. Während die anderen Züge schon früh am Morgen die Kaserne verließen, konnten wir uns noch ein halbwegs ausgiebiges Frühstück genehmigen und gingen so gut gestärkt auf den Marsch. Bei strahlendem Sonnenschein und etwa 25 Grad im Schatten ging es durch die Kaserne auf den staubtrockenen Übungsplatz. Nach einer Runde von ungefähr 6 Kilometern ging es dann wieder zurück in die Kaserne zu Unterricht und Sport.

In den folgenden Tagen und Wochen wechselten sich dann theoretischer Unterricht, Formaldienst, Sport, Ausflüge auf den Übungsplatz, Waffenausbildung und anderes ab - bis es dann eines Tages zum ersten Mal auf die Standortschießanlage ging. Dort sollten wir nach langer und ausgiebiger Ausbildung zum ersten Mal einen scharfen Schuss abgeben. Natürlich waren auch die “anderen” Ausbildungseinheiten des Standortes ebenfalls auf der Schießanlage, so dass wir zum ersten Mal direkt aufeinandertrafen und zeigen sollten, was wir können. Sehr zur Überraschung der Ausbilder zeigten wir, die “halbtoten”, deutlich bessere Schießergebnisse - und konnten so schon einmal deutlich punkten. Zum Leidwesen der anderen Rekruten wurde noch auf dem Schießplatz entschieden, dass die anderen Einheiten am Abend noch in den Genuss einer zusätzlichen Waffenausbildung kommen sollten, während wir unsere verdiente Feierabend-Gerstenkaltschale schlürfen konnten. Besonders gut erinnere ich mich an einen Unteroffizier, der auf meiner Schießbahn Aufsicht machte als ich schoss. Er sah, dass ich als Einziger mit links schoss und dabei auch noch gar nicht so schlecht traf. Nach dem Durchgang ließ er sich meine Waffe geben und fragte nach dem ermittelten Haltepunkt3. Ich antwortete wahrheitsgemäß mit “schießt Fleck, einfach die 10 aufsitzen lassen”. Er wollte das dann auch sofort ausprobieren und lud, legte an und schoss. Nach fünf Schuss kam die Trefferaufnahme und es wurden fünf Fahrkarten4 durchgesagt. Als die nächsten fünf Schuss kein besseres Ergebnis brachten, wurde ich zum Unteroffizier gerufen, der sich leicht auf den Arm genommen vorkam. Er hatte allerdings nicht bedacht, dass sich der Haltepunkt bei anderen Schützen durchaus ändern kann - besonders, wenn man mit der anderen Hand schießt.

Ein weiteres Highlight war die Rekrutenbesichtigung, eine 24-Stündige Übung und gleichzeitig eine Art Abschlussprüfung für die Rekruten. Eingerichtet hatten wir uns in zwei Übungshäusern auf dem örtlichen Übungsplatz. Ein Übungshaus, auch kurz ÜbHaus genannt, ist eine Art Rohbau - ohne jegliche Einrichtung, ohne Leitungen aber mit Dach. Mitten im Wald gelegen, hatten wir die beiden Häuser in guter, alter Westernmanier zum Fort ausgebaut. Die Fensteröffnungen waren durch Sandsäcke auf kleine Schießscharten verkleinert, die Zugangswege hatten wir mit Stolperdrähten und versteckten Ladungen5 gesichert und Waffen und Munition waren mehr als ausreichend vorhanden. Das Feindkommando bestand aus Ausbildern der anderen Einheiten und hatte sich entsprechend gut vorbereitet - die wollten uns ja immerhin mal so richtig zeigen, wo der Frosch die Locken hat und dass wir “halbtoten” eigentlich gar nichts bei der Bundeswehr zu suchen haben. Leider hatten sie nicht damit gerechnet, dass wir genau davon ausgegangen sind und uns entsprechend vorbereitet hatten (und darauf auch von unseren Ausbildern vorbereitet wurden). Der erste Angriff kam in der Abenddämmerung und blieb vor Schreck in den Stolperdrähten hängen. Wirklich jede versteckte Ladung wurde schon bei der Annäherung ausgelöst, so dass wir ziemlich genau wussten, wann und wo das Feindkommando zum ersten Mal auftauchen würde. Dementsprechend waren auch die Blicke des Feindkommandos, als sie in unsere grinsenden Gesichter und bösen Seiten6 unserer Gewehre sahen. Der zweite Angriff erfolgte dann gegen Mitternacht. Während sich bei uns so langsam Müdigkeit breitmachte, war das Feindkommando plötzlich direkt vor dem Haus. Sie stürmten durch die Zugänge hinein und drängten uns zurück in die obere Etage, wo wir uns - wie es geplant war - gesammelt haben, um die Angreifer wieder aus dem Haus herauszuwerfen. Leider wollten die aber nicht so einfach gehen, so dass wir zu ziemlich deutlichen Mitteln greifen mussten. Und so kam es, dass auf einmal so um die 20 Handgranaten durch das Treppenhaus purzelten und sich in der unteren Etage verteilten. Die Angreifer sahen und hörten die Granate und ergriffen die Flucht. Leider verschätzten sich einige in dieser Situation ein kleines Bisschen und verfehlten die Türen. Stattdessen wollten sie durch die mit Sandsäcken verbarrikadierten Fenster springen. Der erste Mann, der die Sandsäcke erreichte, blieb natürlich an ihnen hängen. Kurz darauf prallte ein zweiter Mann von hinten auf den ersten Springer und die Sandsäcke, die sich dieses geballten Ansturmes nicht erwehren konnten und so kippten beide Angreifer mitsamt der Sandsäcke im Zeitlupentempo nach draußen. Später haben wir erfahren, dass sich bei diesem Stunt keiner der beiden ernsthaft verletzt hat. Trotzdem mussten sie nach diversen Prellungen im Gesicht ihr Essen einige Tage aus der Schnabeltasse zu sich nehmen.

Am frühen Morgen erfolgte dann der dritte und letzte Angriff, an den ich mich nur aus Erzählungen erinnern kann. Das Letzte, das ich noch sicher weiß, ist, dass ich mich mit dem Gewehr in der Hand und dem Helm auf dem Kopf in eine Hausecke gelehnt hatte. Der Boden war einfach zu kalt und zu ungemütlich zum Ruhen7 und irgendwie geht das auch im Stehen. Am nächsten Morgen klopften mir dann alle auf die Schultern und meinten, dass ich ein großartiges Feuerwerk veranstaltet hätte und wohl beinahe alleine den Angriff zurückgeschlagen hätte. Das Problem dabei war: ich konnte mich an nichts erinnern. Das Einzige, das darauf hindeutete, war dass ich keine Munition mehr hatte und auch die letzten Handgranaten verschwunden waren. Beim Abschlussbier nach der Übung wurde ich dann aufgeklärt und erfuhr, was passiert war.

Die restlichen (unverletzten) Ausbilder hatten sich, wohl ziemlich wütend von den vorhergehenden Niederlagen, einen Fünftonner-GL8 organisiert und wollten mitsamt auf dem Dach montiertem Maschinengewehr direkt vor das Haus fahren. Da sie aber recht früh bemerkt wurden (was bei dem LKW kein Problem ist, ist er doch ziemlich laut), machten sie den Fehler, bis direkt an die Wand heran zu fahren. Das bedeutete zwar einen schlechten Schusswinkel für uns, brachte sie aber in eine überaus günstige Wurfweite für unsere Handgranaten, die dann auch prompt gut gezielt durch die Dachluke ins Fahrerhaus fielen. Damit war dann auch dieser Angriff beendet.

Unsere größte Stunde schlug allerdings beim feierlichen Gelöbnis der Rekruten. Schon früh am Morgen begannen die Vorbereitungen auf Flur und Stuben. Zum ersten Mal wurde der große Dienstanzug angelegt, Krawattenknoten wurden geübt und hinter verschlossenen Türen probten einzelne Gruppen noch einmal das Marschieren, kurzum: alles sollte perfekt sein.

Stattfinden sollte das Theater irgend im Nirgendwo, auf einem Acker zwischen Hannover, Celle und Nienburg. Nach dem Frühstück saßen wir auf Busse auf und wurden quer durch die norddeutsche Tiefebene gekarrt, bis wir irgendwo abseits aller Zivilisation direkt neben einem gigantischen Misthaufen parkten. Auf dem Acker waren bereits um die 400 Mann angetreten und schon am späten Vormittag brannte die Sonne so stark auf uns nieder, dass sich Sanitäter bereitmachten, die Kameraden einzusammeln, deren Kreislauf das nicht länger mitmachte. Auch aus unserem Bataillon klappten nach kurzer Zeit die ersten Rekruten zusammen, wurden nach hinten durchgereicht und weggetragen. Nur der Zug der “halbtoten” stand immer noch komplett, als der örtliche Dorfbürgermeister die Front abgeschritten hatte. Dass er dabei ein Tempo an den Tag legte, bei dem man ihm locker beide Schuhe hätte neu besohlen können - und wahrscheinlich dabei auch noch die Socken stopfen können - trug nicht unwesentlich zu weiteren Ausfällen durch die sommerlichen Temperaturen bei. Am Ende des Tages hatten wir nur einen einzigen Ausfall zu beklagen, was uns sogar eine Runde Freibier vom Chef einbrachte.

Leider gab es trotz der großartigen Kameradschaft und der vorbildlichen Ausbilder immer wieder Schattenseiten. Eines davon spielte sich auf der gegenüberliegenden Stube ab. Thomas wurde kurzfristig einige Tage vor seinem 26. Geburtstag einberufen. Der Vater von zwei Kindern, selbstständige Unternehmer und Einzelverdiener war auf Grund der ziemlich ungünstigen Situation bemüht, seine Kriegsdienstverweigerung durchzusetzen. Damit konnten eigentlich alle, sowohl Kameraden als auch Ausbilder gut leben und haben ihn dabei nach Kräften unterstützt, hatten wir doch alle Mitgefühl mit ihm und seiner Situation. Selbst Zugführer und Kompaniechef haben den Antrag unterstützt und dafür gesorgt, dass er noch während der Grundausbildung wieder entlassen werden konnte. Aber leider hatten nicht alle dieses Einsehen. Einer der Hilfsausbilder, gerade einmal 19 Jahre alt, noch kein volles Jahr Dienstzeit erreicht, aber Unteroffiziersanwärter und in Fachkreisen “der Brenner” genannt, baute sich eines Tages vor Thomas auf und schrie ihm die Worte “aus Ihnen werden wir noch einen richtigen Mann machen” ins Gesicht. Zwei Tage später hatten wir dann einen neuen Hilfsausbilder und Thomas konnte Bekleidung und Ausrüstung abgeben, denn dummerweise hatte der Gefreite (UA) “Brenner” diesen Spruch abgelassen, als der Zugführer direkt in der Tür stand. Dem Gefreiten (UA) “Brenner” brachte das eine sofortige Versetzung und noch einiges mehr ein, denn als ich den “Brenner” zufällig eines Tages bei einem Bier im Mannschaftsheim wiedertraf, war ich schon Hauptgefreiter und er immer noch Obergefreiter.

Ohne den Balken der Unteroffiziersanwärter.

Trotz dieser Stressmomente ging auch die Grundeinweisung eines Tages zu Ende und wir erhielten unsere Versetzungspapiere. Teilweise gab es zwar die üblichen Unstimmigkeiten, wer in welchen Standort versetzt wird, aber das berührte uns nur am Rande. Denn jetzt ging die Zeit als Soldat endlich richtig los.

1 Der erste Satz Kleidung, den ein Rekrut bekommt. Wird sowohl zum Sport getragen als auch bei der Krankmeldung im Sanitätsbereich.

2 militärische Einheit, eine Kompanie besteht aus mehreren Zügen

3 Haltepunkt: Der Punkt, auf den man auf der Zielscheibe zielt, um möglichst die Mitte zu treffen.

4 Fehlschuss, kein Treffer auf der Zielscheibe

5 Handgranaten oder andere Sprengmittel, die durch Drauftreten oder Stolperdrähte ausgelöst werden. Eigentlich kein Inhalt der Grundausbildung, aber unser Ausbilder (ein ehemaliger Panzerpionier) hat es uns trotzdem gezeigt

6 Gewehre und Pistolen haben eine gute und eine böse Seite, die gute Seite zeigt zum Schützen und die böse Seite dementsprechend vom Schützen weg.

7 Soldaten im Dienst schlafen nicht, sie ruhen bloß. Genau wie Feuerwehrleute und Rettungsdienstler.

8 LKW 5-to GL, ein geländegängiger MAN-LKW mit einer Ladekapazität von 5 Tonnen.

Der Weg zum Zeitsoldat

Während die Kameraden im Standort blieben und nur in andere Gebäude umzogen oder auch quer durch die Republik geschickt wurden, fiel mein Los auf Delmenhorst. Ich war nicht unbedingt glücklich darüber, denn meiner Erfahrung nach war Delmenhorst nicht gerade eine Weltstadt.

Trotzdem war Delmenhorst schon eine Stadt, auch wenn es eher durch seinen beinahe dörflichen Charakter geprägt war. Besonders zeigte sich das darin, dass es zwar eine Karstadt-Filiale in der Innenstadt gab, diese aber schon um 18 Uhr schloss. Kurz darauf wurden dann auch die Bürgersteige eingeklappt und Ruhe kehrte ein. Die einzigen Ausnahmen waren einige Girosbuden - die Vorläufer heutiger Dönertempel - und der örtliche Fastfood-Tempel mit der goldenen Möwe.

Ich hatte von Delmenhorst nun schon einiges gehört und miterlebt. Außer, dass mein Onkel hier residierte, allerdings nicht unbedingt viel Gutes. Gut, es gab zwar ein Spaßbad, aber das hatte da seine besten Zeiten schon hinter sich. Eine Geschichte aus der näheren Vergangenheit war mir allerdings gut in Erinnerung geblieben: Ein Jahr bevor ich einberufen wurde, gab es in der Region eines der da eher seltenen Hochwasser. Dabei traten zwar die größeren Flüsse wie Weser und Hunte an den kritischen Stellen nicht über die Ufer, aber da größere Wassermengen nicht abfließen konnten, schauten viele der kleineren Flüsse einfach mal über die Ufer hinaus. Delmenhorst, benannt nach seiner Lage an der Delme, war ebenfalls davon betroffen. Die innenstadtnahen Bereiche waren zwar gut unter Kontrolle zu halten, aber außerhalb der Stadt waren niedrig liegende Wiesen betroffen, die mehr oder weniger direkt an die militärischen Liegenschaften wie die drei Kasernen oder den Standortübungsplatz grenzten.

Wohl deswegen rückte beinahe die gesamte Kaserne mehr oder weniger pressewirksam zum Hochwassereinsatz aus. Leider zu wirksam, denn die Reporter verfolgten einen der Bataillonskommandeure mehr oder weniger auf Schritt und Tritt. Das wurde dem Oberstleutnant irgendwann zu dumm, denn die Pressevertreter standen dabei wohl mehr im Weg als sich sinnvoll zu betätigen. Da ein Bataillonskommandeur im Allgemeinen und dieser spezielle ganz besonders ein ziemlich praktisch veranlagter Mensch war, hatte er auch schnell eine Idee: Warum spannen wir diese hilfsbereiten im-Weg-Steher nicht einfach zur Arbeit ein?

Da sich die Pressevertreter von dieser Idee nicht nur wenig erfreut zeigten, sondern sich auch ein bisschen zu sehr zierten, selber Hand an die Sandsäcke zu legen, blieb dem Oberstleutnant nichts weiter übrig, als sie freundlich aber bestimmt aufzufordern, sich endlich am Befüllen der Sandsäcke zu beteiligen oder dahin zu verschwinden, wo keine Sonne scheint. Nun waren diese Pressevertreter zwar ziemlich schnell mit Sprech- und Schreibwerkzeug und sonstigem Equipment, aber nicht so richtig von der Idee der Mithilfe überzeugt und so blieben sie weiterhin augenscheinlich untätig in der Gegend stehen.

Als der Oberstleutnant das kurz darauf sah, ergriff er kurzerhand ein Sandsack-Befüll-und-Schanzgerät, klappbar, oliv - auf Deutsch auch einfach “Klappspaten” genannt - und bat freundlich um Mitwirkung. Anderenfalls würde er dieses multifunktional einsetzbare Gerät als Meinungsverstärker gegen das Presseequipment einsetzen.

Insgesamt nicht gerade sehr nett und vielleicht auch nicht gerade gesetzeskonform, aber höllisch effektiv!

In diesem Standort und unter diesem Oberstleutnant sollte ich also fortan Dienst tun. Genauer gesagt, ich sollte bei einer der Kompanien seines Instandsetzungsbataillons eingesetzt werden. Als was und in welcher Funktion, das sollte ich erst später erfahren. Ich fragte mich zwar, was ich dort sollte, denn ich war zu der Zeit alles andere als handwerklich begabt. Ändern konnte ich es aber nicht, und so harrte ich gespannt der Dinge, die da auf mich warteten. Nun wurden wir allerdings am Freitag erst so spät in Marsch gesetzt, dass ich bei meiner Ankunft in Delmenhorst niemanden mehr antreffen würde. Das hieß also erst einmal “Wegtreten ins Wochenende!” und ich machte mich mit Sack und Pack auf den Weg nach Hause.

Am Montag, pünktlich um 6:30 Uhr erschien ich dann im angegebenen Gebäude meiner neuen Einheit und wurde im Geschäftszimmer mit den Worten “Ah, da sind Sie ja endlich - der Spieß wartet schon auf Sie!” begrüßt. Solche Worte verheißen zunächst einmal selten etwas Gutes, besonders nicht als neu zuversetzter Soldat mit dem Dienstgrad “Schütze”. Ich war nicht nur der letzte Neuankömmling in der Einheit, ich war auch noch der Einzige, der einen weiteren Anreiseweg hatte. Alle anderen zuversetzten Soldaten kamen nämlich aus der standorteigenen Ausbildungskompanie, einen Block weiter. So wurde ich also noch vor dem Antreten und als Einziger im Dienstanzug ins Spießbüro verfrachtet, um mich dort zu melden. Kurze Zeit später kam der Spieß dann auch schon hinter seinem Schreibtisch hervor. Pfeife rauchend und so unmilitärisch auftretend, wie ich es niemals erwartet hätte, stand er vor mir und schrie erst einmal nach Kaffee. Als er endlich einen gefüllten Becher in der Hand hatte, eröffnete er mir, wo mein neuer Wirkungsbereich war, nämlich in seinem (mit Betonung) Geschäftszimmer. Dort sollte ich den anfallenden Papierkram erledigen und das Telefon bewachen - ein Job, der sich binnen kurzer Zeit als umfassender und interessanter herausstellte, als ich es erwartet hatte.

Von da an begann dann wieder einmal der Ernst des Lebens. Wieder einmal, denn diese oder ähnliche Worte hatte ich schon zu Schulbeginn, beim Wechsel in die 11. Klasse des Gymnasiums und nach dem Abitur mit auf den Weg bekommen. Von nun an gehörten Urlaubsanträge, Lehrgangsunterlagen, Krankmeldungen, Formulare aller Art und alles, was noch organisiert werden musste, zu meinen täglichen Aufgaben. Ein Posten, der durchaus Vorteile mit sich brachte, denn hier liefen alle Informationen aus den Zügen auf dem Weg zum Spieß und Chef zusammen und gleichzeitig war ich auch direkt an der Quelle der Informationen, die von “oben” kamen.

Kompaniechef, Kompaniefeldwebel (der Spieß) und Kompanietruppführer saßen ein bis drei Büros weiter, und alle Papiere auf dem Weg von und zu den Dreien liefen durch das Geschäftszimmer. Und während ich meiner täglichen Arbeit nachging, wurde ich nach drei Monaten zum Gefreiten befördert und nach weiteren drei Monaten zum Obergefreiten - und so langsam kam der Gedanke auf, was ich nach meinem nahenden Dienstzeitende machen würde. Einige Kameraden mit gleichem Dienstzeitende wollten studieren, wieder andere eine Ausbildung beginnen oder sich fortbilden. Nur ich wusste noch nicht so wirklich, was ich mit meinem Leben anfangen wollte oder sollte. Eigentlich hatte ich vor, in Bremen Maschinenbau zu studieren. Den Weg hatte ich ursprünglich schon während meiner Schulzeit so geplant und meine Eltern haben das entsprechend unterstützt. Als es dann aber so langsam in die Bewerbungsphase für das Wintersemester 2000/2001 ging, fühlte ich mich allerdings alles andere als bereit für ein Studium. Dazu kam noch, dass ich sowohl die Arbeit als auch das Dasein als Soldat ziemlich interessant fand und irgendwann kam der Gedanke auf, mich für längere Zeit zu verpflichten.

Ich überlegte einige Tage und Nächte und kam zu dem Entschluss, es einfach zu versuchen. Mehr als mich abzulehnen konnte ja nicht passieren. Ich ging also eines Morgens zum Spieß, und fragte, was ich in diesem Fall zu tun hätte - und innerhalb von Minuten lagen die Papiere vor mir. Nach nicht einmal einer Stunde war der Papierkrieg erledigt und es fehlte nur noch eine ärztliche Untersuchung, denn mit meiner Tauglichkeitsstufe (T7, wir erinnern uns) konnte ich definitiv kein Soldat auf Zeit werden. Also vereinbarte ich kurzerhand einen Termin beim Arzt für den nächsten Tag und trug diesem mein Anliegen vor.

Der Arzt, einer der vielen Vertreter des eigentlichen Standortarztes, legte sein Gesicht in Falten und erklärte mir, er könne mir da leider so nicht helfen. So ohne weiteres wüsste er nicht, wie es mich mustern sollte, aber im Bundeswehrkrankenhaus in Bad Zwischenahn könnte man mir da weiterhelfen. Er schrieb noch eine Überweisung und erklärte, dort sollte ich mich schon am nächsten Morgen vorstellen. Dazu bekam ich noch eine kurze Information, wann der Transport vor dem Sanitätsbereich abfahren würde, und schon war ich wieder entlassen.

Ich wurde also wieder beim Spieß vorstellig und informierte ihn über meine Abwesenheit am folgenden Tag. Leider sollte der Transport vom Sanitätsbereich nur zwei Mal fahren, früh am Morgen nach Bad Zwischenahn und am späten Nachmittag wieder zurück, und so stellte der Spieß mir seinen Dienstwagen zur Verfügung. Direkt nach dem Antreten machte ich mich also - noch in Flecktarn9 - mit dem guten, alten 107er, einem VW Transporter, auf den Weg. Noch auf der Autobahn überholte ich den vollbesetzten Transport unseres Sanitätsbereiches und hatte so vor meinem Termin noch genug Zeit, in Ruhe einen Kaffee zu trinken. Nach einem kurzen Vorgespräch wurde ich den üblichen Untersuchungen unterzogen und als die Sonne am Mittag beinahe senkrecht am Himmel stand, war ich frohen Mutes auf dem Weg zum Abschlussgespräch beim zuständigen Arzt. Dieser strahlte mich auch gleich freudig an und eröffnete mir kaum dass ich saß, ich könne schon am nächsten Tag meine Ausrüstung und Bekleidung abgeben, da er mich unbegrenzt für den Dienst untauglich erklären würde.

Ich stutzte. Das war zwar genau das, was alle, die zu einer erneuten Musterung antreten würden, gerne hören wollten, aber alles andere als ich wollte. Der Arzt bemerkte das auch ziemlich schnell und fragte, ob ich mich denn nicht freuen würde. Ich würde immerhin genau das bekommen, was ich haben wollte.

Ich erklärte ihm darauf mit ziemlich eindeutigen Worten, weswegen ich zur erneuten Musterung angetreten war und auf einmal schaute er ziemlich bedröppelt aus der Wäsche. Dann überlegte er kurz, nahm seinen Kugelschreiber und strich den gesamten Befund durch. Eine ganze Seite, handgeschrieben. Ganz unten auf dem Formular, unter die letzte Zeile schrieb er dann “Ausnahmeantrag befürwortet”, setzte sein Namenszeichen daneben und grinste mich breit an. Dann eröffnete er mir, dass ich - wenn ich einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung für den Stabsdienst stellen würde - sehr gerne eine entsprechende Tauglichkeitsstufe bekommen könnte. Ich müsste dies nur bei meinem Standortarzt vortragen.

Grinsend verließ ich das Büro und begab mich wieder ins Mannschaftsheim. Es war kurz nach Mittag und so langsam plagte mich ein kleines Hüngerchen. Der dort zufällig anwesende Fahrer unseres Sanitätsbereiches grinste mich vielsagend über seinen Kaffeebecher hinweg an und eröffnete mir, dass er erst zum Dienstschluss am Nachmittag zurückfahren würde. Allerdings verging ihm das Grinsen, als ich kurz mit dem Schlüssel “meines” Wagens winkte, mir ein riesiges Jägerschnitzel mit Pommes Frites bestellte und mich freudig den lukullischen Genüssen hingab.

Der weitere Lauf der Neumusterung war dann eher einfach: ich unterschrieb, dass ich nur im Büro arbeiten würde, der Arzt unterschrieb das ebenfalls und schon hatte ich meinen Stempel mit dem “T3” in der Tasche. Nur vier Wochen später wurde ich zum Soldaten auf Zeit ernannt und es blieb nur noch ein Problem: wie erkläre ich es meinen Eltern?

Lange hatte ich dieses Gespräch vor mir hergeschoben. Nicht, weil ich es nicht führen wollte oder nicht wusste, was ich sagen sollte, nein, vielmehr weil ich recht genau wusste, wie meine Eltern reagieren würden. Aus meiner Familie war bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand wirklich bei der Bundeswehr. Mein Vater hatte seinerzeit den Wehrdienst verweigert, mein Onkel hatte es geschickterweise geschafft, sich ziemlich effektiv herauszumogeln und beide Opas hatten den Krieg selber noch miterlebt. Dementsprechend negativ war die Grundstimmung gegenüber Militär und der Bundeswehr in der Familie. Dazu kam noch, dass mein Vater fest damit gerechnet hatte, dass ich pünktlich zum Wintersemester mein Studium an der Universität Bremen beginnen würde.

Eines Tages, ich hatte meine Ernennungsurkunde zum Soldaten auf Zeit schon erhalten, saßen wir recht gemütlich nach dem Essen im Wohnzimmer zusammen und wieder einmal kam das Gespräch auf die Zeit nach der Bundeswehr. Meine Eltern fragten, was denn jetzt mit dem Studium wäre - und dieses Mal antwortete ich kurzerhand, dass ich erst einmal nicht studieren würde. Stattdessen würde ich vorerst bei der Bundeswehr bleiben - und präsentierte meine Ernennungsurkunde.

Meine Mutter nahm diese Entscheidung ohne weiteres hin, aber mein Vater nicht. Er hielt mir vor, dass ich meine Zeit dort nur verschwenden würde und ich am Ende zwar älter aber nicht schlauer dort herauskommen würde. Als er nach einer ziemlich langen und hitzigen Diskussion merkte, dass ich mich nicht umstimmen lassen würde, wurde er nur noch stinkiger und sprach am Ende eine Woche lang nicht mehr mit mir. Irgendwann besserte sich aber seine Laune auch wieder und langsam kamen wir auch wieder gut miteinander aus.

Der tägliche Dienst in Delmenhorst erinnerte mehr an einen Tag im Büro und war im Großen und Ganzen ziemlich lustig. Selbst den eigentlich täglichen Sport konnte man ziemlich gut umgehen und sogar die Märsche waren eher ein spaßiges Ereignis als harte Arbeit. Manchmal nahmen es meine “Kollegen10” allerdings auch mit der Anwendung der Dienstvorschriften ganz genau. Viel zu genau, denn eines Tages kam ein ehemaliger Soldat unserer Kompanie, der zu der Zeit in der Drohnenbatterie im Gebäude gegenüber Dienst tat, zum Spieß, um eine Vorschrift auszuleihen. Da diese nicht nur in der Drohnenbatterie sondern auch in meiner Kompanie nicht vorhanden war, schickte mich der Spieß zur Post- und Vorschriftenstelle des Bataillons, um die Vorschrift dort zu entleihen. Dies sollte auf die Ausleihkarte des Spießes passieren.

Das wollte allerdings der Kamerad in der Vorschriftenstelle nicht, da er dazu die Unterschrift des Spießes brauchte. Dazu sollte der Spieß aber selber herüberkommen, und die Vorschrift gegen Unterschrift empfangen. Daran konnte nicht einmal ein Telefonat zwischen Spieß und Vorschriftenstelle nichts ändern. Irgendwann wurde mir diese Diskussion zu bunt und ich zog es vor, eine schnelle und für alle Seiten machbare Lösung herbeizuführen. Deswegen entschied ich, die Vorschrift selber auszuleihen, um diese dann gegen Materialausgabeliste weiterzugeben. Das wiederum passte den Kameraden in der Post- und Vorschriftenstelle nicht, so dass er und sein mittlerweile hinzugekommener Vorgesetzter ziemlich deutlich versuchten, mir das Vorhaben auszureden. Aber da auch ich ein ziemlicher Dickschädel war (und auch immer noch bin), blieb das natürlich erfolglos.