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... wären da nicht all diese lästigen Kleinigkeiten! - Humorvolle Lektüre für Strand, Balkon und andere schöne Orte - Die besten Sommergeschichten der Bestsellerautorin Dora Heldt Das findet auch Bestsellerautorin Dora Heldt. Wären da nur nicht diese zahlreichen lästigen Kleinigkeiten: die blöde Flugangst, die fehlende Bikinifigur, die vollen Strände, die unpraktischen Reiseallergien und all die anderen Ärgernisse, die dem perfekten Sommer im Weg stehen. Doch wer lässt sich schon bei strahlendem Sonnenschein oder an einem lauen Sommerabend die Laune verderben. Das wäre ja noch schöner! »Autorin Dora Heldt macht mit ihren humorvollen Erzählungen Lust auf Sommer – und auf Urlaub auf dem heimischen Balkon.« Frau von Heute »Sie weiß, dass sie perfekte kurzweilige Lektüre für den Strand oder eine Bahnfahrt schreibt. Und recht hat sie.« Stern
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Seitenzahl: 163
Dora Heldt
Sommer. Jetzt!
Sonnige Geschichten
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Sie ist zu eng«, mit gequältem Blick schob Heinz zwei Finger in den Hosenbund und sah seine Frau anklagend an. »Ich kann gar nicht atmen.«
»Es ist deine beste Sommerhose, du hast sie erst im letzten Jahr gekauft. Wie viel hast du denn zugenommen?«
Ohne zu antworten hielt Heinz die Luft an und stellte sich seitlich vor den Spiegel. Langsam atmete er wieder aus. »Ich möchte meine braune Cordhose anziehen. Die sitzt einfach besser.«
Charlotte musterte ihren Mann und biss sich auf die Lippe. Heinz bekam seine üblichen drei Winterkilos nie auf Anhieb in die Sommergarderobe. Und war jedes Jahr frustriert, trotz der Freude über den baldigen Sommer. Sie stand von der Bettkante auf, von der aus sie die Modenschau ihres Mannes verfolgt hatte. »Es nützt nichts, mein Lieber«, sagte sie und verkniff sich ein Lächeln. »Die braune Cordhose ist schon bei den übrigen Wintersachen auf dem Dachboden. In vier Wochen ist Sommeranfang, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren und ich steige jetzt nicht hoch und suche deine alte Winterhose. Ab morgen machen wir Diät. Und vielleicht solltest du auch mal wieder über sportliche Betätigungen nachdenken. Wir wollen doch nicht mit Speckgürteln an den Strand. Ich gehe jetzt in den Garten, beeil dich mit dem Umziehen, den Strandkorb bekomme ich nicht allein aus dem Schuppen.«
Sie verschwand und Heinz sah ihr nach, bevor er kräftig ausatmete und sich mit Schwung aufs Bett fallen ließ. Der Hosenknopf sprang ab und rollte unter die Heizung.
Im Garten sah Charlotte sich zufrieden um. Die ersten Rosenknospen hatten sich schon geöffnet, es würde nicht mehr lange dauern, bis hier alles wieder so blühte und wuchs, dass sogar vorbeikommende Touristen bewundernd stehen blieben. Charlotte liebte den Sommer. Diesen Inselsommer. Natürlich war es hier auch während der anderen Monate schön, aber der Sommer war etwas ganz Besonderes. Die Sonne, das Licht, die Farben der Heckenrosen, des Strandginsters, der Hortensien, das blaue Wasser, der weiße Strand, die roten Sonnenuntergänge, die weißen Möwen im blauen Himmel. Aber bevor sie den Sommer genießen konnte, war noch einiges zu tun. Die Strandkörbe, Gartenstühle, Gartentische, Töpfe und Kübel mussten aus den Schuppen und ihrem Winterlager geholt, geschrubbt und an die richtigen Plätze gestellt werden, bevor ihre Schwägerin Inge und sie am nächsten Tag zur Gärtnerei fahren würden. Um dort jede Menge Margeriten, Geranien, fleißige Lieschen, Lobelien und was sie sonst noch so sahen, einzuladen.
Als sie gerade die Schuppentür an einem Sturmhaken befestigte, kam Heinz in seiner ältesten Jogginghose, die er etwas zu hoch gezogen hatte, heraus. Er sah sie freundlich an. »Ich wollte die hellen Sommersachen nicht gleich im Garten schmutzig machen. Ja, dann lass uns mal den Strandkorb rausschieben.«
Sie nickte und schob ihre Ärmel hoch. »Du vorn, ich hinten. Und wenn du dein Hemd über der Jogginghose tragen würdest, wäre es nicht ganz so schlimm. Und wenn du in dieser Hose auch noch Sport machen würdest, wäre es noch besser.«
»Wie lange brauchst du noch?« Inge ging neben Walter, der mit Inbrunst die Speichen seines Fahrrads abrieb, in die Hocke.
»Warum?« Stöhnend quälte sich ihr Mann hoch, bevor er ein Stück zurückhumpelte, um sein Werk zu bewundern. »Meine Gelenke müssten nach dem Winter auch mal geölt werden. Nur so nebenbei. Aber dieser Fahrradreiniger ist allererste Sahne, sieh dir das Rad an, wie neu, der ganze Winterdreck ist weg.«
»Schön, Walter«, etwas zerstreut sah Inge auf ihre Armbanduhr. »Ich müsste nämlich langsam los, Charlotte und ich wollen uns um elf Uhr vor der Gärtnerei treffen. Und jetzt ist es halb elf.«
»Ja, dann viel Spaß«, ohne den Blick vom Fahrrad zu lösen, nickte er. »Bis später.«
»Walter, du stehst mit den Rädern und dem Werkzeug mitten in der Auffahrt. Ich kann das Garagentor nicht aufmachen.
»Ach so. Ja.« Walter sah auf und blickte von ihr zu den beiden Fahrrädern. »Ich habe mit deinem noch gar nicht angefangen. Das dauert noch einen Moment. Ihr glaubt immer alle, dass man Fahrräder ruckzuck fertig macht. Was für eine Arbeit da drinsteckt, ist euch gar nicht klar. Das ist eine richtige Überholung.«
»Das verstehe ich, Walter. Aber könntest du die Räder nicht hinten im Garten herrichten? Da guckt dir auch nicht jeder Nachbar auf die Finger. Und ich kann mit dem Auto rausfahren.«
»Die können mir ruhig auf die Finger gucken«, sofort blickte er sich um, allerdings war gerade niemand zu sehen. »Die sollen ruhig sehen, welchen Aufwand man betreiben kann, um ein Fahrrad zu pflegen und für den Sommer fit zu machen. Gerade mit diesem neuen Reinigungsspray …«
»Walter.«
»Ja doch, ich mach ja schon. Du könntest dein Rad eben mal rüber schieben, ich habe nur zwei Hände.«
»Natürlich.«
Zehn Minuten später saß sie im Auto und war auf dem Weg zur Gärtnerei. Endlich Sommer, Tage, Wochen, Monate, die sie am Strand verbringen konnten: Schade nur, dass sie keine Enkelkinder hatten und ihre erwachsenen Kinder nicht mehr neben ihr Strandburgen bauten und durch die Wellen tobten. Aber man konnte nicht alles im Leben haben. Da hatte es ihre Freundin Helga besser, die hatte ein Enkelkind, auch wenn das nicht auf der Insel wohnte. Und auch nicht alle Ferien hier verbrachte. Vielleicht kam der Junge ja mal im Sommer, dann könnten sie zusammen mit Walter an den Strand gehen. Irgendwie gehörte das zum Sommer dazu. Das Geschreie und Gelächter von Kindern am Wasser.
Inge entdeckte ihre Schwägerin sofort, als sie auf den Parkplatz der Gärtnerei fuhr. Charlotte stand winkend in einer freien Lücke und sprang zur Seite, als Inge einparkte. »Guten Morgen«, rief sie fröhlich, nachdem sie die Fahrertür schwungvoll aufgerissen hatte. »Ich habe schon mal im Eingangsbereich gestöbert, es gibt ganz wunderbare Windlichter und Solarlampen. Ich seh die lauen Sommerabende im Garten schon vor mir.«
»Ich muss Walter noch daran erinnern, dass der Grill dringend überholt werden muss«, sagte Inge, statt einer Antwort. »Guten Morgen. Meinst du, dass man den Grillrost auch mit diesem Fahrradreiniger sauber bekommt? Speichen oder Rost, das dürfte doch keinen großen Unterschied machen?«
Charlotte und Inge waren seit fast fünfzig Jahren Schwägerinnen und verstanden sich blind. »Das müsste gehen. Heinz wollte den Reiniger gerne mal ausprobieren, bevor er ihn kauft, also lass deinem Bruder noch einen Rest übrig.«
»Natürlich«, sie gingen nebeneinander zu den Einkaufswagen und zogen einen aus der Reihe.
»Was mir gerade einfällt …«, Inge hob einen Margeritenbaum hoch, um ihn zu inspizieren. »Walter war wegen seiner Gelenkschmerzen bei Dr. Kruse. Und der hat ihm gesagt, er bräuchte keine neue Hüfte, was er bräuchte, sei Bewegung. Heinz hat doch über den Winter auch ganz schön zugelegt, dem könnte etwas Bewegung auch nicht schaden. Er soll Walter mal ein bisschen motivieren, auf mich hört er ja nicht. Ich schlage ihm dauernd vor, mal mit zum Nordic Walking zu kommen, aber das lehnt er ab. Er mache sich nicht zum Affen, hat er gesagt. Aber er muss endlich was tun«, sie hob die Achseln, »Fahrradfahren oder wandern, irgendetwas.«
»Ich kann Heinz das vorschlagen, aber ich bezweifle, dass Walter sich ohne Grund bewegt. Dein Mann braucht doch immer Aufgaben. Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit. Ich könnte ihn bitten, mit Heinz ab und an spazieren zu gehen, weil der dringend abnehmen muss. Nur wäre dann vermutlich Heinz beleidigt.«
»Wir müssen mal in Ruhe darüber nachdenken«, befand Inge und stellte den Margeritenbaum in den Einkaufswagen. »Uns fällt schon noch was ein. Aber irgendeine Form von Sport müssen sie machen. Wir haben Sommer und die Männer sind ungelenkig und zu dick. Das geht doch nicht.«
»Okay.« Die junge Frau, die im Schwimmbad vor ihr stand, überlegte einen Moment. »Ich glaube, ich habe Ihnen alles gezeigt – oder? Haben Sie noch Fragen?«
Lina schüttelte den Kopf. »Nein, im Moment nicht. Vielen Dank für die Einweisung, dann ziehe ich mich mal um.«
»Ja, rechts durch, wir sehen uns gleich draußen.«
Fünf Minuten später, mehr Zeit brauchte Lina nicht, um ihre Jeans gegen eine kurze Hose zu tauschen und das T-Shirt mit dem Schwimmbad-Logo überzuziehen, stand sie bereits am Tresen des Bistros.
Für Lina war dieser Job ein Glücksfall. Sechs Wochen Vertretung in der Insel-Therme als Aushilfe im Bistro. Und sie konnte bei ihrer ältesten Freundin Suse wohnen, die seit Jahren auf der Insel lebte und bei der Gemeinde arbeitete. Den Tipp hatte Lina von Suse bekommen, die sie nicht lange überreden musste. Sechs Wochen mit Suse, sechs Wochen Sylt. Für sechs Wochen hatte sie jetzt einen Vertrag, sechs Wochen, in denen Marcus aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen konnte, sodass bei ihrer Rückkehr nach Hamburg keine Spuren mehr von ihm zu finden wären. Sechs Wochen, in denen Linas Gedanken sich nicht mehr ausschließlich um diesen Idioten drehten, der sie seit Wochen betrogen und belogen hatte und die ganze Beziehung mit ihr vermutlich auch in den drei Jahren zuvor nicht so richtig ernst genommen hatte. Sechs Wochen, in denen sie überlegen konnte, wie es weiterging – was sie anschließend machen würde. Sie hatte in einem Hotel gearbeitet, das seinen Eltern gehörte. Dort hatte sie Marcus auch kennengelernt. Sofort nach dem Ende der Beziehung hatte sie gekündigt, sie wollte Marcus nicht mehr sehen, der als Koch in dem Hotel arbeitete. Sie erinnerte sich an die Erleichterung in den Augen ihrer Fast-Schwiegermutter, die sie ohnehin nie leiden konnte. Über das alles musste Lina jetzt nachdenken. Und wo ging das besser als auf einer Insel? Nach ihrem Abitur hatte Lina hier als Rettungsschwimmerin gearbeitet, sie hatte Suse kennengelernt, sich sogar in einen Rettungsschwimmerkollegen verliebt, einen wunderbaren Sommerflirt mit ihm gehabt. Es war der schönste Sommer ihres Lebens gewesen. Leider hatten sie sich danach aus den Augen verloren, es war eigentlich schade. Er war sehr süß gewesen. Vielleicht würde dieser Sommer ihre Seele wieder kitten.
Ihre neue Kollegin stand bereits am Becken und musterte sie anerkennend. »Meine Güte, haben Sie lange Beine. Und Sie wirken total durchtrainiert.«
Lina machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich heiße Lina, ich finde es seltsam, sich zu siezen, wenn beide kurze Hosen tragen.«
»Sandra«, die Kollegin lachte. »Also noch mal, herzlich willkommen. Aber im Ernst, was machst du für einen Sport? Und wie oft?«
»Ich schwimme«, Lina band sich die Haare mit einem Gummi zu einem Zopf zusammen, »seit Jahren. Ich muss schwimmen, wenn ich Probleme habe. Und im Moment schwimme ich jeden Tag. Das hilft.«
»Jeden Tag?« Beeindruckt hob Sandra die Augenbrauen. »Was ist passiert?«
»Mein Freund hatte eine andere, ich habe es herausgefunden, jetzt zieht er hoffentlich gerade aus meiner Wohnung aus. Das Hotel, in dem ich gearbeitet habe, gehört seinen Eltern, da musste ich natürlich kündigen. Ich brauche jetzt etwas Zeit, um nachzudenken, was ich nun machen will, und ich freue mich sehr über diesen Übergangsjob. Kann ich hier auch morgens schwimmen?«
»Natürlich«, Sandra nickte. »Ab sieben Uhr, wenn du willst. Dein Arbeitsbeginn ist um zehn Uhr, da kannst du ordentlich Bahnen ziehen.«
»Wunderbar«, Lina lächelte. »Was für ein Glücksgriff.«
»Ich glaube, den haben wir auch mit dir gemacht.« Sandra lächelte zurück. »Auf gute Zusammenarbeit. Und auf einen spannenden Sommer.«
Liebe Paulina,
du wunderst dich bestimmt, dass ich dir schreibe und nicht mehr bei dir vorbeikomme, aber ich bin jetzt schon bei meiner Oma auf Sylt und bleibe hier erst mal. Meine Mama ist nämlich mit dem Fahrrad gestürzt und liegt mit einem gebrochenen Arm und einem gebrochenen Bein im Krankenhaus. Für zwei Wochen, also genau die Zeit, in der ich zu ihr nach Berlin kommen wollte. Und weil mein Papa einen Auftrag in Wien hat, bin ich jetzt bei meiner Oma. Und danach fahre ich noch mit Papa nach Dänemark. Ans Meer. Und dann sind die Sommerferien vorbei. Und deswegen ist heute der zweitschlimmste Tag meines Lebens. Und ich habe überhaupt keine Idee, was ich machen soll, damit nicht gleich nach den Ferien der schlimmste Tag meines Lebens kommt. Das erzähle ich jetzt nur dir und du musst mir versprechen, dass du das auf keinen Fall jemandem erzählst. Ich habe nämlich gelogen, als Herr Braun im Sportunterricht gefragt hat, ob wir schwimmen können. Weil wir doch nach den Ferien einmal in der Woche in die neue Schwimmhalle gehen sollen. Alle können schwimmen, deshalb habe ich auch Ja gesagt. Aber ich kann das gar nicht. Und jetzt müssen wir unsere Schwimmabzeichen zeigen, ich habe aber kein einziges. Noch nicht mal das Seepferdchen. Ich war immer nur im Meer baden und da gehe ich nie ins Tiefe, sondern bleibe immer vorne, das fällt gar nicht auf. Papa denkt, dass ich mit Mama in Berlin im Schwimmkurs war, der ist aber damals ausgefallen, und Mama denkt, dass Papa den mit mir in Hamburg gemacht hat. Sie reden ja nicht so viel miteinander. Und ich habe immer weiter gelogen und jetzt bin ich schon zehn, kann immer noch nicht schwimmen und habe so Angst vorm tiefen Wasser. Liebe Paulina, du bist ja meine beste Freundin, was soll ich denn jetzt machen? Oma kann auch nicht schwimmen, ich habe sie schon gefragt. Wenn Herr Braun das Schwimmabzeichen sehen will oder meinen Papa fragt oder mich einfach ins Becken von der neuen Schwimmhalle schubst, dann muss ich sterben. Wenn dir was einfällt, dann schreib mir sofort. Ruf lieber nicht an, damit Oma nichts mitkriegt, die würde es bestimmt Papa erzählen, dann kommt raus, dass ich gelogen habe, und dann muss ich bestimmt sofort in einen Schwimmkurs. Im tiefen Becken. Also, bitte schreib zurück, erst mal viele Grüße von Timmi
»Herzlich willkommen zur Eröffnung der Erdbeerbowlensaison«, Helga öffnete die Haustür und strahlte Inge und Charlotte an. »Kommt gleich durch in den Garten, bei diesem schönen Wetter feiern wir den Saisonstart draußen.«
Inge und Charlotte folgten ihr und betrachteten entzückt den schön gedeckten Gartentisch, auf dem die Bowlengläser und ein Strauß mit Frühlingsblumen standen. Mittendrin prangte das Bowlengefäß, die roten Erdbeeren glänzten in der Sonne. »Was sieht das alles schön aus, Helga«, sagte Inge und setzte sich auf einen der blauen Gartenstühle. »Wo ist denn eigentlich dein Enkel?«
»Timmi ist im Haus und spielt an seinem Computer.« Helga klang etwas bedrückt. »Der Kleine ist so still, ich weiß gar nicht, was ich mit ihm machen soll. Sonst war er immer so gern hier, aber dieses Mal … Vielleicht ging ihm auch alles zu schnell, seine Ferien waren ja ganz anders geplant. Und es ist ja auch ein bisschen langweilig für ihn, er hat hier keine Freunde und in unserer Straße wohnen keine Kinder mehr. Nur mit mir alter Oma den ganzen Tag verbringen, ist für einen Zehnjährigen ja nun auch nicht das Gelbe vom Ei.«
»Helga«, Charlotte schnappte nach Luft, bevor sie sich empört setzte. »Du bist ja wohl nicht alt, du bist die Jüngste von uns. Was ist denn nun genau passiert, dass die Ferienpläne so plötzlich umgeworfen wurden? Das hast du in der Hektik letzte Woche gar nicht erzählt.«
Achselzuckend beugte sich Helga vor, um die Bowle in die Gläser zu füllen. »Was passiert ist? Tobias hat mich letzte Woche in heller Aufregung angerufen und gefragt, ob Timmi ganz spontan kommen könnte. Für zwei Wochen. Da habe ich natürlich Ja gesagt, er ist mein Enkel. Mein Sohn und seine Frau leben getrennt, er jetzt in Hamburg als Journalist und sie in Berlin als Pressereferentin eines großen Museums.« Sie presste die Lippen für einen Moment zusammen. »Meine Schwiegertochter ist ja immer schon ein bisschen, wie sagt man, kapriziös gewesen. Ich weiß nicht, warum die beiden überhaupt ein Kind wollten, sie hat sich nie viel um den Jungen gekümmert. Tobias hat seit Timmis Geburt viel von zuhause aus gearbeitet, er musste schon immer das Meiste im Haushalt machen, weil sie dazu keine Lust hatte. Als sie sich vor einem Jahr getrennt haben, ist sie nach Berlin gezogen, ohne Timmi, aber noch regelmäßig nach Hamburg gekommen, sogar ab und zu unter der Woche. Aber seit einiger Zeit hat sie einen Freund, und jetzt will sie, dass Timmi sie in Berlin besucht, damit sie nicht mehr nach Hamburg kommen muss. »Unmöglich«, unterbrach Charlotte ihren Redefluss. »Das ist ja wirklich unmöglich. Als Mutter.« Helga nickte zustimmend. »Finde ich auch. Jedenfalls sollte Timmi jetzt in den Ferien nach Berlin, weil Tobias ein Portrait über irgendjemand in Wien machen muss. Für seine Zeitung. Aber letzte Woche ist meine Schwiegertochter mit dem Fahrrad gestürzt und liegt jetzt im Krankenhaus. Und bevor sich der neue Freund um Timmi kümmert, hat mein Sohn ihn lieber zu mir gebracht.«
»Deine Schwiegertochter ist ja sehr seltsam«, Inge fand diese Konstellation offensichtlich genauso unmöglich. »Was ist das denn für eine Mutter?«
Helga winkte ab. »Timmi hängt natürlich an seiner Mama, das ist ja auch gut so. Aber trotzdem. Jedenfalls ist er jetzt hier und soll schöne Sommerferien haben. Ich muss mir was für den Jungen ausdenken, er wirkt so bedrückt, vermutlich ist das die ganze Situation zuhause, die ihn so traurig macht. Ich sollte mal mit ihm ins Schwimmbad oder an den Strand gehen, da würde er vielleicht auch andere Kinder kennenlernen, aber ehrlich gesagt habe ich ein bisschen Angst vor der Verantwortung. Ich kann nicht besonders gut schwimmen und als meine Kinder noch klein waren, war Hein ja immer mit dabei. Er war ein guter Schwimmer. Ich habe immer Angst gehabt, dass meinen Kindern was passiert und ich sie nicht retten kann. Und beim Enkelkind ist das nicht besser. Und ausgerechnet jetzt ist Onno auch nicht hier. Der kann ja gut schwimmen. Mir wird ganz übel bei dem Gedanken, was alles passieren kann.«
»Tja«, Inge nickte nachdenklich. »Das kann ich verstehen. Nur leider kann ich dich überhaupt nicht unterstützen, ich habe den Garten noch nicht fertig. Aber warte mal, apropos schwimmen, mir kommt da gerade eine ganz großartige Idee«, sie hob den Kopf und sah ihre Schwägerin mit großen Augen an. »Denkst du auch an das, an das ich gerade denke?«
Ein feines Lächeln erhellte Charlottes Gesicht, bevor sie langsam nickte. Dann wandte sie sich wieder an Helga. »Du, sag mal, es ist ja genug Erdbeerbowle da. Wollen wir Heinz und Walter anrufen, ob die auch Lust haben, ein Glas zu trinken? Auf den Sommeranfang? Und hol doch mal Timmi raus. Wir haben ihm auch was mitgebracht, hier, Schokolade, die mag er doch bestimmt.«
Eine halbe Stunde später waren zwei Fahrradklingeln zu hören, Timmi hob neugierig den Kopf und stellte sein Glas mit Apfelsaft vorsichtig auf den vollen Tisch.
»Sieh mal, Timmi, da kommen Heinz und Walter, das sind mit die besten Freunde von Opa Onno und mir. Die kennst du doch noch von Weihnachten, oder?«
Timmi nickte. »Walter hatte eine Weihnachtsmannmütze auf. Aber er hatte das Gedicht vergessen. Wann kommt Opa Onno denn wieder?«
Tröstend strich Helga ihrem Enkel über den Kopf. »Erst nächste Woche, er muss doch seiner Tochter Maren beim Umzug helfen.«
Onno hätte gewusst, wie man einen Zehnjährigen beschäftigen konnte, er hätte ihn mit zum Angeln und auf sein Segelboot genommen, an den Strand und zum Radfahren, Männer taten sich mit Jungs einfach leichter. Helga vermisste ihren Lebensgefährten sowieso, jetzt gerade noch mehr.
»Ja, wen haben wir denn da?« Begeistert ging Walter vor Timmi in die Hocke. »Das ist ja mein Freund von Weihnachten. Na, mein Junge, wie geht es dir? Hast du schöne Ferien bei Oma? Warst du schon am Strand?«
Tim lächelte höflich, schüttelte aber den Kopf. »Nein, noch nicht. Oma sagt, das Wasser ist noch zu kalt.«
»Das stimmt«, Walter knuffte Timmi spielerisch in die Seite, bevor er sich setzte. »Da musst du warten, bis Opa Onno wieder da ist, dann könnt ihr mit dem Boot am Strand entlangfahren.«