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»Sommer: für ein paar Tage der Zeitgenosse der Rosen sein; atmen, was um ihre aufgeblühten Seelen schwebt.« In zahllosen Gedichten und Texten besingt Rainer Maria Rilke den Sommer: Er schreibt von der erotischen Spannung, die sich an einem heißen Sommertag zwischen zwei Menschen aufbauen kann, beschwört prächtige Sternennächte und mondbeschimmerte Wege im sommerlichen Garten, erfreut sich an einem ländlichen Garten mit seinen »zusammengezimmerten Apfelbäumen« oder an einem wilden Rosenbusch, der dem Wanderer entgegenduftet.
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Seitenzahl: 113
»Sommer: für ein paar Tage der Zeitgenosse der Rosen sein; atmen, was um ihre aufgeblühten Seelen schwebt.«
Rainer Maria Rilke war ein genauer Beobachter der ihn umgebenden Natur. In zahllosen Gedichten, Prosatexten und Briefen besingt Rainer Maria Rilke den Sommer: Er schreibt von der erotischen Spannung, die sich an einem heißen Sommertag zwischen zwei Menschen aufbauen kann, beschwört prächtige Sternennächte und mondbeschimmerte Wege im sommerlichen Garten, erfreut sich an einem ländlichen Garten mit seinen »zusammengezimmerten Apfelbäumen« oder an einem wilden Rosenbusch, der dem Wanderer entgegenduftet.
Rainer Maria Rilke
SOMMER
Umschlagabbildung: akg-images
eBook Insel Verlag Berlin 2012
© Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2007
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Hinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des Bandes
… Und vor sich, den Sommer.
Nicht nur die Morgen alle des Sommers –, nicht nur
wie sie sich wandeln in Tag und strahlen vor Anfang.
Nicht nur die Tage, die zart sind um Blumen, und oben,
um die gestalteten Bäume, stark und gewaltig.
Nicht nur die Andacht dieser entfalteten Kräfte,
nicht nur die Wege, nicht nur die Wiesen im Abend,
nicht nur, nach spätem Gewitter, das atmende Klarsein,
nicht nur der nahende Schlaf und ein Ahnen, abends …
sondern die Nächte! Sondern die hohen, des Sommers,
Nächte, sondern die Sterne, die Sterne der Erde.
O einst tot sein und sie wissen unendlich,
alle die Sterne: denn wie, wie, wie sie vergessen!
…
Werke I (Siebente Duineser Elegie), 709f.
Denn was hier sich begiebt ist, weiß Gott, seit drei, vier Tagen kein Frühling mehr, ist dichter, junger Sommer. Die Hiacynthen in meinem kleinen Beet, die lange gezögert haben, reißen ihre Blütenaugen auf wie einer, den ein Wecker aufhämmert, und stehen schon ganz lang und aufrecht da. Die Ulmen und Eichen bei meinem Hause sind voll, der Judasbaum blüht ab und alle seine Blätter sind über Nacht fertig; und ein Syringenbaum, der vor drei Tagen erst seine Trauben ausstreckte, ist schon im Welken und Verbrennen. Die Nächte sind kaum mehr kühl und der geschäftige Lärm der Frösche ist ihre Stimme. Die Eulen rufen seltener und die Nachtigall hat noch immer nicht begonnen. Ob sie nun noch singen wird, da es Sommer ist?
Sommer in Rom. Das ist eine neue Noth. Ich glaubte ihn noch fern und sehnte mich danach, jetzt, wenn meine Mutter wieder abgereist sein wird, noch ein bis zwei nicht zu drückende Arbeitsmonate zu haben. Und ich hoffe noch immer, daß das möglich ist, daß es doch noch wieder Frühling wird nach ein paar Probe-Sommertagen.
Andreas-Salomé (15. 4. 1904), 147
Schon bricht das Glück, verhalten viel zu lang,höher hervor und überfüllt die Wiese;der Sommer fühlt schon, der sich streckt, der Riese,im alten Nußbaum seiner Jugend Drang.
Die leichten Blüten waren bald verstreut,das ernstre Grün tritt handelnd in die Bäume,und, rund um sie, wie wölbten sich die Räume,und wieviel morgen war von heut zu heut.
Werke II, 163f.
Paris hat schon den Sommer angefangen: so geschlossen und voll sehen schon die Gärten aus. Und ich freue mich, alles zu sehen, und man kann kaum sagen, daß es ein Wiedersehen ist: so neu und ganz sind wieder die Anforderungen, die alles an einen stellt.
Vollmoeller(11. 5. 1908), 32
– Vergaßest du's von einem Jahr zum neuen,wie Rosen duften? Wirst du's jetzt behalten?– Ach wer hält Düfte, wo doch selbst Gestaltenan uns verfließen, während sie uns freuen.
Ich bin! So rufts vom Willigen und Nahen.Ich bin! antwortet ihm aus uns ein Schrein,doch als wir dann an uns vorbeigeschahenwo war der Seiende? Wo war das Sein?
Nur Götter sind. Durch ihre Spiegel ziehnwir vor dem Hintergrund von Tier und Pflanze
Werke II, 476
Wie steht er da vor den Verdunkelungendes Regenabends, jung und rein;in seinen Ranken schenkend ausgeschwungenund doch versunken in sein Rose-sein;
die flachen Blüten, da und dort schon offenjegliche ungewollt und ungepflegt:so, von sich selbst unendlich übertroffenund unbeschreiblich aus sich selbst erregt,
ruft er dem Wandrer, der in abendlicherNachdenklichkeit den Weg vorüberkommt:Oh sieh mich stehn, sieh her, was bin ich sicherund unbeschützt und habe was mir frommt.
Werke II, 164f.
Été: être pour quelques joursle contemporain des roses;respirer ce qui flotte autourde leurs âmes écloses.
Faire de chacune qui se meurtune confidente,et survivre à cette sœuren d'autres roses absente.
[Sommer: für ein paar Tage der Zeitgenosse der Rosen sein; atmen, was um ihre aufgeblühten Seelen schwebt.
Aus jeder, die dahinstirbt, eine Vertraute machen und diese abwesende Schwester in anderen Rosen überleben.]
Gedichte in französischer Sprache, 120f.
Wo ist zu diesem Innenein Außen? Auf welches Wehlegt man solches Linnen?Welche Himmel spiegeln sich drinnenin dem Binnenseedieser offenen Rosen,dieser sorglosen, sieh:wie sie lose im Losenliegen, als könnte nieeine zitternde Hand sie verschütten.Sie können sich selber kaumhalten; viele ließensich überfüllen und fließenüber von Innenraumin die Tage, die immervoller und voller sich schließen,bis der ganze Sommer ein Zimmerwird, ein Zimmer in einem Traum.
Werke I, 622f.
Zornige sahst du flackern, sahst zwei KnabenZu einem Etwas sich zusammenballen,das Haß war und sich auf der Erde wälztewie ein von Bienen überfallnes Tier;Schauspieler, aufgetürmte Übertreiber,rasende Pferde, die zusammenbrachen,den Blick wegwerfend, bläkend das Gebißals schälte sich der Schädel aus dem Maule.
Nun aber weißt du, wie sich das vergißt:denn vor dir steht die volle Rosenschale,die unvergeßlich ist und angefülltmit jenem Äußersten von Sein und Neigen,Hinhalten, Niemals-Gebenkönnen, Dastehn,das unser sein mag: Äußerstes auch uns.
Lautloses Leben, Aufgehn ohne Ende,Raum-brauchen ohne Raum von jenem Raumzu nehmen, den die Dinge rings verringern,fast nicht Umrissen-sein wie Ausgespartesund lauter Inneres, viel seltsam Zartesund Sich-bescheinendes – bis an den Rand:ist irgend etwas uns bekannt wie dies?
Und dann wie dies: daß ein Gefühl entsteht,weil Blütenblätter Blütenblätter rühren?Und dies: daß eins sich aufschlägt wie ein Lid,und drunter liegen lauter Augenlider,geschlossene, als ob sie, zehnfach schlafend,zu dämpfen hätten eines Innern Sehkraft.Und dies vor allem: daß durch diese Blätterdas Licht hindurch muß. Aus den tausend Himmelnfiltern sie langsam jenen Tropfen Dunkel,in dessen Feuerschein das wirre Bündelder Staubgefäße sich erregt und aufbäumt.
Und die Bewegung in den Rosen, sieh:Gebärden von so kleinem Ausschlagswinkel,daß sie unsichtbar blieben, liefen ihreStrahlen nicht auseinander in das Weltall.
Sieh jene weiße, die sich selig aufschlugund dasteht in den großen offnen Blätternwie eine Venus aufrecht in der Muschel;und die errötende, die wie verwirrtnach einer kühlen sich hinüberwendet,und wie die kühle fühllos sich zurückzieht,und wie die kalte steht, in sich gehüllt,unter den offenen, die alles abtun.Und was sie abtun, wie das leicht und schwer,wie es ein Mantel, eine Last, ein Flügelund eine Maske sein kann, je nach dem,und wie sie's abtun: wie vor dem Geliebten.
Was können sie nicht sein: war jene gelbe,die hohl und offen daliegt, nicht die Schalevon einer Frucht, darin dasselbe Gelb,gesammelter, orangeröter, Saft war?Und wars für diese schon zu viel, das Aufgehn,weil an der Luft ihr namenloses Rosaden bittern Nachgeschmack des Lila annahm?Und die batistene, ist sie kein Kleid,in dem noch zart und atemwarm das Hemd steckt,mit dem zugleich es abgeworfen wurdeim Morgenschatten an dem alten Waldbad?Und diese hier, opalnes Porzellan,zerbrechlich, eine flache Chinatasseund angefüllt mit kleinen hellen Faltern, –und jene da, die nichts enthält als sich.
Und sind nicht alle so, nur sich enthaltend,wenn Sich-enthalten heißt: die Welt da draußenund Wind und Regen und Geduld des Frühlingsund Schuld und Unruh und vermummtes Schicksalund Dunkelheit der abendlichen Erdebis auf der Wolken Wandel, Flucht und Anflug,bis auf den vagen Einfluß ferner Sternein eine Hand voll Innres zu verwandeln.
Nun liegt es sorglos in den offnen Rosen.
Werke I, 552-554
Rose, du thronende, denen im Altertumewarst du ein Kelch mit einfachem Rand.Uns aber bist du die volle zahllose Blume,der unerschöpfliche Gegenstand.
In deinem Reichtum scheinst du wie Kleidung um Kleidung um einen Leib aus nichts als Glanz;aber dein einzelnes Blatt ist zugleich die Vermeidungund die Verleugnung jedes Gewands.
Seit Jahrhunderten ruft uns dein Duftseine süßesten Namen herüber;plötzlich liegt er wie Ruhm in der Luft.
Dennoch, wir wissen ihn nicht zu nennen, wir raten …Und Erinnerung geht zu ihm über,die wir von rufbaren Stunden erbaten.
Werke I, 754
Wer nahm das Rosa an? Wer wußte auch,daß es sich sammelte in diesen Dolden?Wie Dinge unter Gold, die sich entgolden,entröten sie sich sanft, wie im Gebrauch.
Daß sie für solches Rosa nichts verlangen.Bleibt es für sie und lächelt aus der Luft?Sind Engel da, es zärtlich zu empfangen,wenn es vergeht, großmütig wie ein Duft?
Oder vielleicht auch geben sie es preis,damit es nie erführe vom Verblühn.Doch unter diesem Rosa hat ein Grüngehorcht, das jetzt verwelkt und alles weiß.
Werke I, 633f.
So wie das letzte Grün in Farbentiegelnsind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,hinter den Blütendolden, die ein Blaunicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.
Sie spiegeln es verweint und ungenau,als wollten sie es wiederum verlieren,und wie in alten blauen Briefpapierenist Gelb in ihnen, Violett und Grau;
Verwaschnes wie an einer Kinderschürze,Nichtmehrgetragnes, dem nichts mehr geschieht:wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.
Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuenin einer von den Dolden, und man siehtein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.
Werke I, 519
Die Kunst, in einer Blume, in einem Baumzweig, einer Birke oder einem Mädchen, das sich sehnt, den ganzen Frühling zu geben, alle Fülle und den Überfluß der Tage und Nächte, – diese Kunst hat keiner so wie Heinrich Vogeler gekonnt. Seine Mappe »An den Frühling« ist viel zu wenig bekannt geworden. Einzelne Blätter derselben gehören zu den schönsten Offenbarungen seines Werkes. Und hier zeigt es sich auch, weshalb seine Frühlingserfahrung so intim und tief, so wenig allgemein ist. Es ist nicht das weite Land, darin er wohnt, bei dem er den Lenz gelernt hat; es ist ein enger Garten, von dem er alles weiß, sein Garten, seine stille, blühende und wachsende Wirklichkeit, in der alles von seiner Hand gesetzt und gelenkt ist und nichts geschieht, was seiner entbehren könnte. Die kleinste Blume, die da entstand, hat er zur Taufe gehalten und jeder Rose hat er die Mauer hinaufgeholfen zu dem Platze, wo sie lächeln und leben wollte. Die Bäume, die draußen in der Heide stehen, sind ihm fremd wie die Menschen, die draußen wohnen; aber seiner Bäume Kindheit hat er Tag für Tag überwacht und hat teilgenommen an ihnen wie an Brüdern. Darum liebt er die großen Winde dieses Landes, weil sie sich wie Hände an seine Bäume legen und das, was er geplant hat, bilden und biegen in den bewegten Nächten des Frühlings, wenn die Stämme, steigender Säfte voll, wie Fontänen stehen im Sturme. Und der weite Himmel ist ihm lieb, weil er seiner kleinen Blumen Licht und Regen ist und der Glanz auf den Blättern seiner Bäume und in den Fenstern des weißen Hauses, das mitten im Garten steht. Er ist der Gärtner dieses Gartens, wie man der Freund einer Frau ist: leise geht er auf seine Wünsche ein, die er selbst erweckt hat, und sie tragen ihn weiter, indem er sie erfüllt. Was er ihm im Herbste vertraut, kommt ihm neu im Frühling entgegen, und was er in den Frühling legt, bleibt nicht so, wächst, wächst in den Sommer hinein, hat ein Leben für sich und seinen eigenen Tod in den tödlichen Tagen des Herbstes. So lebt er sein Leben in den Garten hinein, und dort scheint es sich auf hundert Dinge zu verteilen und auf tausend Arten weiterzuwachsen. In diesen Garten schreibt er seine Gefühle und Stimmungen wie in ein Buch; aber das Buch liegt in den Händen der Natur, die wie ein großer Dichter die flüchtigsten seiner Einfälle gebraucht, um sie auf eine unerwartete Weise auszuführen. So hat er einen Baum gepflanzt oder eine Laube geflochten um des Frühlings willen; und er hat den Baum