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Elisabeth und Lukas, Zwillinge und ihre Eltern verbringen die Ferien direkt am Meer auf der Halbinsel Sitonia/Chalkidiki, Griechenland.. Lukas will griechische Mädchen aufreißen, Elisabeth Jungen vernaschen. Ihre heimlichen Träume werden nur zum Teil erfüllt. Schon als man in Thessaloniki landet, ist Lukas verwirrt. Noch nie fand er einen jungen Mann so sympathisch wie den zwanzigjährigen Simon, der im Flugzeug neben ihm saß.Unerfahrenheit und Neugier bestimmen die nächsten Tage der Geschwister und verheißen großes Glück. Elisabeth lernt den aufdringlichen Wassili kennen, Lukas gerät in das erste Abenteuer mit dem griechischen Hirtenjungen Nikos. Was ihn beschämt, aber doch wie eine Sucht treiben wird.Es kommt alles anders als erhofft. Auch wenn Lukas in seiner Geburtstagsnacht zum achtzehnten Lebensjahr ein Mega-Sexerlebnis voller Leidenschaft und Begierde hat, und danach seine Homosexualität akzeptiert, beschwört der kommende Tag Katastrophen herauf. Alle, Erwachsene und Jugendliche, werden in sie verstrickt. Blinde Lust, Verlogenheit, Hass, Intoleranz sowie Rachsucht sind ihre wirkungsvollen Begleiter. Lukas will daher zu Nikos, seiner neuen Liebe, fliehen, und gerät in ein verheerendes Unwetter. Auf dem Weg zum Griechen wird er beinahe von Geröllmassen begraben.Als nun noch ein Erdbeben die Provinz erschüttert, scheint für ihn alles verloren. Kann er sich selbst aus dem Grab befreien? Wird man ihn noch rechtzeitig finden können? Nur wer ihn sucht, wäre dazu in der Lage. Wird es Simon sein?
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Seitenzahl: 358
Veröffentlichungsjahr: 2010
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Kai Steiner
Himmelstürmer Verlag
eBookMedia.biz
Copyright © Himmelstürmer Verlag
www.himmelstuermer.de
Originalausgabe, Frühjahr 2009
Coverfoto: (c) Jack Slomovits/ www.jackps.com
Umschlaggestaltung: Olaf Welling, www.olafwelling.de
978-3-940818-70-6 ePub
978-3-940818-71-3 PDF
978-3-940818-73-7 PRC
Hergestellt mit IGP:FLIP von Infogrid Pacific Pte. Ltd.
Das Modell auf dem Coverfoto steht in keinen Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches und der Inhalt des Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Modells aus.
Der gemeinste der Menschen ist,
wer keine Entschuldigung annimmt,
keine Sünde deckt
und
keinen Fehler vergibt.
ARABISCHES SPRICHWORT
Für meine Freunde Wolf, Ines und Wolfgang, Matthias und Frank, Renate und Eberhard, Birgit und Arne, Libby und Christian, Andreas, Teresa.
Lukas
Ich heiße Lukas. Meine Zwillingsschwester ist auf den Namen Elisabeth getauft. Namen aus der Bibel. Wir sind Christen.
Aber meine Familie ist väterlicherseits palästinensischer Abstammung. Meine Großeltern, die jetzt in Damaskus leben, hatten einen Bauernhof in der Nähe von Massada. Das ist auf den Golanhöhen. Mein Vater heißt Hannibal, meine Mutter Teresa. Sie ist Deutsche. Unser Nachname lautet Abbas, wie der Palästinenserpräsident. Wir sind nicht mit ihm verwandt.
Warum ich das erzähle? Weil ihr von vornherein wissen sollt, was ich für ein Typ bin. Und wenn ihr findet, dass ich ein Langweiler bin, ein Saftsack, weg mit dem Buch! Daher die Warnung!
Ich bin beschnitten. Obwohl wir Deutsche sind. Ich kenne niemand, der das auch ist. Bei deutschen Christen ist die Beschneidung äußerst selten.
Ich habe meinen Dad gefragt, warum gerade ich? Er sagte:
„Weil deine Großeltern Palästinenser sind.“
„Was hat das mit mir zu tun?“, fragte ich ihn verständnislos.
Er antwortete, man müsse Traditionen bewahren. Ja, so drückte er sich aus. Verstand ich nicht.
„Was soll das?“, gab ich zur Antwort.
„Und weil du im Leben Spaß haben sollst.“
„Womit?“, fragte ich.
„Kommt später. Außerdem lernt man deshalb Geduld!“
„Wie bitte?“
Mein Vater redete ziemlich bescheuert.
Und noch etwas: Wir wohnen in Hamburg, Barmbek-Süd, genau gesagt in der Mozartstraße. Das ist so 'n Raver, der Musik gemacht hat. Nicht in der Band. Das gab 's früher noch nicht. Hat auch selbst komponiert. Die Straßen um uns herum heißen: Gluckstraße, Beethovenstraße, Schubertweg, Mendelssohngasse.
Wären wir in die Mendelssohngasse gezogen, ich hätte Scheiße geschrieen. Wer soll sich denn so 'n langen Namen merken? Ich jedenfalls nicht. Mein Alter sagt immer, in der Kürze liegt die Würze.
Mozart hat schon geklimpert, als er noch in Windeln steckte, ich meine, Klavier gespielt und so, sagte mein Dad. Er hat sich auch gleich eine CD gekauft, als wir hier vor vier Jahren einzogen.
Er bekam einen Job bei Still. Die bauen Gabelstapler. Mein Alter ist Ingenieur. Ihr werdet ihn noch erleben. Er gibt uns Jungen immer recht. Irgendwie. Er ist ein Macho. Ich mag ihn.
Meine Mum ist streng. Mein Vater sagt zu ihr immer: Kleiner Dackel. Komisch. Meine Schwester vermutet, weil sie immer hinter uns her ist.
Das haben Hunde so an sich.
Mann, ich weiß das nicht, ist mir auch egal. Solange sie nicht herumzetert.
Aber sie ist verdammt hübsch. Viele Männer drehen sich nach ihr um. Sie wackelt mit dem Po wie ein Pudding. Das sieht ätzend aus.
Ich bin sechzehn Jahre. Leider habe ich ein Milchgesicht. Ich bin übrigens Spätentwickler, sagen alle.
Ich habe mit Elisabeth vereinbart, dass wir immer sagen, dass wir fünfzehn sind. Warum werdet ihr fragen? Das ist leicht erklärt. Dann macht uns niemand an. Man wird Angst haben wegen des Jugendschutzgesetzes. Wir haben gleich zu Anfang der Ferien Geburtstag. Ihr
wisst nicht, was ich damit ausdrücken will? Mir fällt es auch richtig schwer, das zu erklären. Wenn sich gleich jemand an uns heranmacht oder wir uns in ihn verlieben, dann können wir dessen Ernsthaftigkeit prüfen. Wie?, fragt ihr? Man muss nicht am ersten Tag ins Bett. Wer bis zum Geburtstag warten kann, meint es mit der Liebe ehrlich. Wer abhaut, wird uns nie geliebt haben.
Elisabeth und ich haben lange darüber diskutiert.
Andererseits können wir uns nehmen, was wir wollen, wenn wir meinen, dass wir es wollen. Der Gedanke bringt mich zum Grinsen, denn bisher hat sich bei mir nichts ereignet, was in diese Richtung geht. Ihr fragt in welche? Denkt doch nach! Es gibt zwar Norden, Osten, Süden und Westen, aber Sex gibt's überall.
Kapiert?
Ich wäre gern größer. Daniel hat 's besser. Er ist ein Meter achtzig. Das ist ein Upstyler in unserer Klasse. Er ist neidisch auf mein Haar, totale Krause, meine Haut ist dunkler als die der Deutschen.
Unser Geburtstag fällt ins Sternbild Jungfrau. Jedes Mal, wenn wir das sagen, lacht man uns aus. Die Leute haben keine Ahnung, oder?
Meine Schwester Elisabeth ist toll.
Lest weiter, dann werdet ihr sie kennen lernen.
Sie ist keine dumme Ziege, eher ein Luder.
So, das soll genügen, nun wisst ihr, was Sache ist.
Und wenn ihr das Buch noch nicht in den Müll oder aus dem Fenster geworfen habt, wenn ihr auch nicht die Absicht habt, es in die Ecke zu schmeißen, eurem ärgsten Feind unterzujubeln, dann könntet ihr 'ne ganze Menge erfahren.
Auch über Wassily. Ein Temperamentsbolzen, einundzwanzig, Jet-Ski-Trainer für Wasserflitzer, Scooter genannt. Bei dem waren wir auf Urlaub. Auf einem der drei Finger Griechenlands.
Finger?
Ja, so nennt man die drei Halbinseln.
Holt euch 'n Atlas, und macht euch schlau. ihr werdet bestimmt geil, wenn ihr erfahrt, was da los ist. Absolute Aufrisszone. Fliegt in den Herbstferien hin. Die Stadt heißt Nikiti.
Ich finde Griechenland voll cool.
Also im Norden Griechenlands in der Nähe von Thessaloniki. Da ist der Flughafen. Fast am Meer; die Halbinsel, die ihr ansteuern müsst, heißt Sitonia. Liegt in der Mitte. Und da habe ich das erlebt, was ich für euch aufgeschrieben habe. Aber bitte nicht mit meinem Alten reden, schon gar nicht mit Mum.
Und Elisabeth wird verrückt, wenn ihr sie ansprecht. Lasst das lieber.
Schluss mit meinem Gedröhne. Rein ins Leben!
1
Mein Alter ist heute ein Kotzbrocken.
Wollte unbedingt hierher, Koffer vorher einchecken. Das könne man abends vor einem Flug.
Er hatte recht.
Die Schalter seien leer und die Abfertigung dauere Sekunden, laberte er uns voll, „und hinterher ins Mac.“
Gute Idee.
Ich fuhr mit. Wir mussten hinten im Wagen sitzen. Ziemlich uncool. Meine Schwester hatte keine Lust, mitzukommen.
Mein Vater sagte, dass die Leute vom Flughafen auch mal gute Ideen haben. Tolle Plätze seien sicher. Wenn die anderen morgens anstehen und genervt warten, gehen wir grinsend an ihnen vorbei. Und dann nehmen wir direkt im Warteraum vorm Eingang zur Gangway Platz. Sind die ersten im Flieger, das sei immer zu bevorzugen.
Komisch, wie er sich ausdrückte.
Die wenigsten Urlauber machen von diesem Angebot Gebrauch, ergänzte er, und wir haben keinen Stress.
Denkste.
Als wir ankommen, drei Schlangen. Mann, keine echten. Nein, Menschen. Wie bei uns täglich im Edeka-Markt, wo meine Mum ab und zu auf Kassiererin macht. Sie ließ uns wissen, dass das nötig sei, weil wir Kinder so teuer sind. Ich frage mich immer, womit denn, wo wir nicht mal 'nen eignen Fernseher im Zimmer haben.
Ich zähl mal schnell durch.
Genau neunundzwanzig Personen vor uns.
Keinen Stress?
Mehr als das!
Mein Vater blickt ziemlich blöd aus der Wäsche. Seinen Fehler gibt er nicht zu. Ich haue mit dem linken Fuß gegen die Gepäckkarre.
„Wohlerzogen!“, keift eine Oma. Wenn Blicke töten könnten ...
Meine Mum glotzt so sauer zurück, dass die Oma zusammenzuckt und sich den Leuten vor ihr zuwendet.
Darauf mache ich einen Dreher um die eigene Achse.
Im Augenblick sind wir die Letzten der mittleren Reihe, in der wir uns angestellt haben.
Was mir auffällt ist dies: Vor uns eine Frau im lila Radfahreroutfit, ätzend, sag ich euch, zu ihren Füßen einen Rucksack, gestreift, völlig verrückt, und ein ledernes Boardcase - so heißen die Dinger, glaube ich - knallrot, das man im Flieger unter den Vordersitz schieben kann, hat mir der Alte erklärt.
Ich finde ihr Gummi total geil. Bestimmt Neopren.
Liegt ganz eng an.
„Wir wechseln zum Nachbarschalter“, lässt meine Mutter ab.
Die Frau ist absolut top.
Ich sehe mich noch einmal um. Nichts Vergleichbares sonst hier.
Mein Vater schüttelt den Kopf, bewegt seinen linken Zeigefinger rauf und runter, zeigt auf den Platz, auf dem wir sind, nach dem Motto: wir bleiben hier!
Meine Mutter rümpft die Nase.
Ich lasse meinen Dad nicht aus den Augen. Ich hatte schon früher bemerkt, dass er jedem steilen Zahn hinterher starrt. Ist mir nicht ganz geheuer, meine Alte ist nämlich nicht zu verachten. Hat einen Knackarsch. Das hat neulich Felix auch gesagt, ein Freund von Elisabeth. Eine Klasse höher.
Hannibal, so nenne ich meinen Erzeuger manchmal in Gedanken, aber nur, wenn er mir sympathisch ist, blinzelt die Frau von unten herauf an. Hangelt sich zu den Äpfeln hoch. Hampelt irgendwie auf der Stelle hin und her. Grinst. Mir ist, als wenn er sie auch voll abgedreht findet, was meine Mutter mit Argwohn beobachtet.
Mir ist 's gleich, wie sich die Leute zurechtmachen. Ich kann mir nichts dafür kaufen, und außerdem finde ich es cool, wenn man andere aufmischt. Das tut sie. Alle drehen sich nach ihr um. Abneigung in den Pupillen, Entsetzen, Unverständnis.
Wie alt sie wohl ist? Dreißig?
Links und rechts von uns rücken die Menschen weiter.
Bei uns passiert nichts. Ich sehe, dass die Attika-Kuh hinter unserem Schalter neue Rollen in den Drucker stecken will und den Schlitz nicht findet. Vorn wird uns später mitgeteilt, dass es sich um Gepäckstreifen handelt. Vollkommen nebensächlich. Wer will das schon wissen?
Eine Nachteule, die uns bedient!
Wir müssen warten, weil sie immer noch nicht mit ihrer Fummelei fertig ist. Die Leute in den anderen Schlangen sind schon viel weiter vorn.
Meine Mutter will jetzt mit dem Gepäck in die rechte Schlange, macht schon Anstalten, den Koffer zur Seite zu drücken.
„Du bleibst hier!“, herrscht sie mein Alter an.
„Da geht's schneller!“, murrt sie, kuscht dann und schiebt den Koffer zurück.
„Papa hat recht, das passiert da auch!“
„Misch du dich nicht ein, hörst du?“, geifert Dad zurück, der nie Geduld hat.
„Redeverbot? Fehlanzeige!“, antworte ich sauer.
Ja, ich fühl mich angebaggert.
Da reden sie immer, und reden, und reden, jeder solle seine Meinung sagen, und wenn 's soweit ist, dann ...?
„Das wird ja immer schöner!“, schreit mein Vater ungehalten. Will mir eine Ohrfeige verpassen, aber ich springe mit einem Satz nach vorn und genau gegen die Frau. Die fällt auf ihren roten Schminkkoffer, so heißt das Ding auch, glaube ich. Schreit entsetzt, aber wohl nur, weil das so überraschend kam.
Ein Malheur.
Das Ding kippt um, der Druckknopf am Verschluss gibt nach und der Deckel klappt hoch. Etliches rollt nach draußen.
Ach du Scheiße.
Was hatte sie bloß alles verstaut?
Jeder glotzt, und meine Mum grinst schadenfroh. Man kann das direkt erkennen. Ich jedenfalls.
Farbstifte kullern in die Gegend, dazwischen ein Lippenstift, ein Deo hat schon längst die Menschen nebenan erreicht, ein Buch fällt raus, Schlüssel, die an einem roten Herz hängen, rutschen zur Seite. Ein kleiner schwarzer Kasten springt auf, Schminkfarben suchen das Weite. Ich sehe so etwas wie eine mächtig dicke Zigarre, erkenne noch nicht, worum es sich handelt, vorn verdickt. Batterien trudeln in die andere Schlange. Ich schließe sekundenlang die Augen.
Plötzlich geht mir ein Licht auf.
Die Reeperbahn.
Carola, Fedor und ich hatten uns gerade eine Coca an der Tankstelle reingezogen. Nähe Davidswache.
Alles Aldi.
Dann sind wir weitermarschiert, Carola zwischen uns, wir waren eingehakt.
Carola zwang uns, vor einem Schaufenster stehen zu bleiben.
Fedor und mir blieb die Spucke im Hals stecken. Wir kamen aus dem Staunen gar nicht heraus. Ja, richtig gestaunt haben wir.
Was da ausgestellt war, hatte ich noch nie in der Pupille. Solche Dinger - wie aus ihrem Koffer - en masse. Große, kleine, dicke, dünne, rosa, rot, braun, schwarz, einige hatten sogar zwei Kugeln unten.
„Sind Massagestäbe!“, flüsterte Carola uns zu. Wieso diese Geheimnistuerei? Um uns herum war kein Mensch.
„Heißen auch Dildos!“
Was die alles weiß!
„Sollen Eier sein!“
Wir verstanden und feixten. Woher kennt Carola so was?
Manche hingen an Strippen von der Decke, einige waren in einen Zweig gehängt, die übrigen lagen oder standen neben Puppen und Gesichtern mit offenen Mündern herum. Eine Sonnenblende nahm uns die Sicht ins Innere des Ladens.
Schade.
Dennoch, den Eindruck vergisst man nicht.
Ich mache zwei Schritte zur Seite, beuge mich nach unten, greife zu, fasst sich wie Hartgummi an, hebe es blitzschnell auf, ohne es anzusehen. Ich tue so, als ob es mir unbekannt ist. Sehe allerdings verstohlen in alle Richtungen. Man weiß nie, was Leute denken.
Erwachsene sind ziemlich gerissen.
Sie quatschen über Überfälle von Jugendlichen, von jungen ausländischen Tätern, von verdorbenen zwölfjährigen Mädchen, von versauten Jungen, die nur abhängen, von moslemischen Studenten, denen Al Kaida das Hirn aus dem Kopf geblasen hat - gerade jetzt läuft eine Kampagne gegen minderjährige, ausländische Kriminelle - und das soll wahrscheinlich aus ihrer beschissenen Welt ablenken.
Ich bin Jugendlicher, und wahrscheinlich traut man mir einiges zu, so wie ich aussehe.
Natürlich kennen die meisten Dildos. Ich möchte nicht wissen, wer sie sich reinschiebt.
Massagestab, dass ich nicht lache.
Bestimmt heucheln alle. Große Empörung in der Schnauze. Fake bis zum geht nicht mehr.
Ich richte mich auf, wobei ich mit der linken Hand kurz über die Oberfläche streife. Als ob da Adern durchlaufen, so fühlt er sich an. Außerdem rundherum kleine Erhebungen.
Noppen.
Verflucht echt, denke ich. Allerdings kalt.
Wenn meiner steht, ist er heiß.
Ich denke an Carola. Was die wohl gesagt hätte, wäre sie hier. Ob sie so 'n Apparat schon berührt hat?
Mann, was soll die Frage? Wahrscheinlich hätte sie wie ich gelacht.
Nicht so meine Alte.
Diese brüllt (aber zu spät):
„Lass das ekelhafte Monstrum liegen. Eine Schweinerei, so was mit sich herum zu schleppen.“
„Wieso?“, frage ich und versuche, eine ahnungslose Miene zu machen, die meine Oma immer hat, wenn im Film irgendwo Sex mit ungewöhnlichen Stellungen abläuft.
Sieh einer an, denke ich. Mum ist gar nicht so doof, wie sie oft tut.
Die Frau lächelt mir freundlich zu, als sie den Helfer in meiner Hand sieht.
„Gentleman, was?“
Ein Mann von drüben gibt ihr drei Batterien.
Meine Mutter reißt mich zurück und will mögliche Gespräche unterbinden.
Ich bleibe standhaft. Ich mag diese Frau. Ich sage:
„Hier, ihr Massagegerät!“
Sie nimmt es behutsam an sich, streichelt der Länge nach über die Außenhaut und bugsiert es vorsichtig in ihr wieder aufgerichtetes Boardcase.
„Alles klar?“, wird sie von einem bescheuerten Typ gefragt. Wo kommt der denn her?
Geile Fetzen, die er trägt, eine gestreifte Weste, bis zum Bauchnabel, darunter ein weißes Unterhemd, ärmellos, das über den Hosenbund reicht, Shorts, die bis zu den Knien hängen, und total abgefuckt einen Ledergürtel auf der Hüfte mit Stahlnägeln, dessen Ende vorn runter hängt, ich dachte, es wäre sein Schwanz. Na ja, irren ist menschlich. Außerdem daran befestigt eine silberne Kette, die aus der Hosentasche kommt. Bis weit in die Stirn ein schwarzes Netzband, idiotisch schön.
Mir gefällt er total. So 'n Kumpel hätte ich gern. Allerdings ist er ein paar Jahre älter als ich.
Nanu, gerade, als ich mich bücke, um mein Schuhband zuzuknoten, fährt seine Hand irgendwie über meinen Hintern. Mensch, ich sag euch, das ging mir durch und durch. Ich richte mich auf und blicke ihn voll entsetzt an. Er lacht nur.
„Mein Sohn ist nie da, wenn man ihn braucht!“, redet sie den jungen Mann an.
Aha, denke ich, der ist ja genau so verrückt wie seine Mutter.
Mum sieht mich entgeistert an. Was wird sie gedacht haben?
Ich bin nur höflich, oder? Ich meine, mit der Frau.
Ihre Erziehung!
Egal.
Mein Vater blickte bei der ganzen Aktion stur nach vorn. Sich bloß keine Blöße geben.
Die Menschen hatten sich wieder beruhigt.
Man kommt langsam voran. Wir sind endlich ganz vorn. Die Uhr in der Charterhalle zeigt an, wie lange wir hier schon die Zeit vertan haben: Siebzig Minuten.
Mistuhr!
Ich zücke mein Handy. Elisabeth quakt sofort los. Ich würde sie stören, gerade jetzt. Warum bloß? Ich lasse mich nicht aus der Ruhe bringen. Murmele ins Mikrofon, was hier abgelaufen ist.
Ihr Lachen ist ansteckend. Ich lache mit.
Mum sieht mich wütend an.
Ich mache Schluss.
Mein Vater mault mit uns, seine Frau sagt nichts mehr, und wird es vorläufig auch nicht tun.
Damit habe ich null problemo. Im Gegenteil.
Morgen ist Freitag.
Endlich sind wir dran. Wir bekommen die Sitze A, B, C und D in der zwölften Reihe.
2
Ich bin zu Hause geblieben. Was soll ich am Flughafen rumstehen? Hier ist es krass hip. Liege auf dem Sofa und zappe durch die Programme. Endlich mal nicht das Gequatsche meiner Alten.
„Habt ihr nichts aufbekommen? Solltest du dir nicht mal die Bücher vorknöpfen?“
Gestern haben wir Ferien gekriegt. Sechs Wochen.
Was da noch in der Schule los war! Alle waren hinterher genervt. Da sagte doch unser Vorturner, eine Pfeifnudel, mehr nicht, jeder solle erzählen, wohin es die Familie treibt. Gott sei Dank bekommen wir in der elften Klasse Frau Dr. Bogenhals. Die soll Klasse sein.
... wohin es die Familie treibt ... So einen Schwachsinn rauszukotzen.
Unsere Tische waren längst leergeräumt. Wir hatten Bücher und Hefte, Federhalter und Textliner in die Aktentaschen gestopft. Von Unterricht keine Rede mehr.
Überall standen Flaschen auf der Platte.
Währenddessen sülzte uns der Lehrer von Malta voll.
Wir schrieen, raunten, zischten, flöteten, sprachen dazwischen. Am letzten Tag war alles erlaubt.
„Oh.“
„Ah.“
„So.“
„Mhm, ach ja?“
„Nicht doch!“
Hörte sich wie Zuhören an.
Keine Rede davon.
Wir wollten ihn auf die Palme bringen, was nicht gelang.
Dann fragte er, wohin wir wollen und zeigte auf Tim. Die Antwort kam kurz und knapp:
„Mallorca!“
Mallorca ... Mir kamen die Tränen. Reinste Prolo-Insel. Saufen und Ballermann.
Der Finger des Klassenlehrers zielte auf Teresa.
„Und?“
„Polen.“
Da kommen ihre Eltern her, ließ sie uns wissen.
Ich kann mir was Besseres vorstellen.
„Und du, Robert?“
Robert sagte, dass er auf Sylt malochen werde. Im Edelrestaurant, wie's sich gehört, bei Gosch.
Blödmann, dachte ich. Ferien sind zum Faulenzen da. Aber der hat sowieso nur Mäuse im Kopf. Und Matratzen. Na, ja, meinetwegen.
Carola fliegt nach Lissabon. Für mich keine Alternative. Was will man da, wo der Atlantik kalt wie eine Hundeschnauze ist? Von Fedor wusste ich schon, dass er mit seinen Geschwistern nach Schweden geht, Yngsjö heißt das Kaff. Kennt zwar kein Mensch, Fedor meint aber, dass der Strand absolut spitze sei.
Ich bin mir nicht sicher. Die Ostsee kann mir gestohlen bleiben. Jedenfalls sollen da etliche Quallen herumschwimmen. Die verpesten die Luft am Strand, wenn sie angespült eingehen. Und einige von ihnen brennen auf der Haut.
Igittigitt.
Endlich kam Charlotte dran. Wichtigtuerin. Sieht sich als was Besonderes an. Diese dumme Kuh. Sie hat einen festen Freund. Der soll Wolgadeutscher sein.
Was soll 's.
Sie fliegt mit ihm nach Paris. Ohne Eltern. Dass diese das genehmigen. Na, ja. Ausgerechnet in eine stickige Großstadt, und die soll in den Sommerferien beschissen leer und langweilig sein.
„Und der Schönling?“, kreischte Daniel dazwischen.
Daniel ist ein Arsch. Er meinte natürlich meinen Bruder. Die beiden hassen sich. Er geifert wie ein Schwuler. Warum, weiß der Kuckuck? Sich vorm Lehrer interessant machen? Jedenfalls lachen alle, als Daniel den Satz von sich gibt, und starrten Lukas an. Er da vorn auch. Mies, was?
Daniel redet auch nicht mit mir, lässt mich links liegen.
Er sieht total gut aus, hat 'ne volle Mähne, Sportler. Topzensuren. Andere Mädchen sind scharf auf ihn. Ich nicht.
Er mobbt meinen Bruder.
Aber der soll sich selbst wehren.
Außerdem hänseln ihn die meisten Jungen direkt und offen, weil er klein ist, sie nennen ihn alle unser Hambüchen, Fabian Hambüchen, lästern über seine abstehenden Ohren.
Hässlichkeit verkauft sich eben schlecht.
Nun ärgerte ich mich. Unser Klassenlehrer unternahm nichts, lachte aus vollem Halse - aus dem er sowieso stank - obwohl Schönling wirklich fies ist. Jeder weiß, dass Lukas weit davon entfernt ist. Aber er ist ein verdammt netter Fuzzi.
„Ich fliege mit Clarissa nach Kapstadt, wenn ihr überhaupt wisst, wo das liegt“, antwortete mein Bruder, und das hörte sich ziemlich selbstbewusst an. Ihn störte sein Aussehen nicht.
„Angeber. Clarissa, deine Oma?“
„Mein Onkel!“
„Wow, unser Adonis hat ...“
Es läutete. Herr Kühne wünschte schöne Ferien und ab ging die Post. Wir stürmten aus dem Klassenzimmer, unten warteten bereits einige Ellies mit ihren bis zum letzten Hohlraum voll gepackten Autos. Idiotisch, am ersten Ferientag schon abzuhauen.
Sollen sie!
Eigentlich wollte ich hier bleiben, aber meine Fraktion hat mich voll gelabert und mir die Tage in Griechenland schmackhaft gemacht. Die Aussichten auf Wasserskilernen oder Scooterreiten haben mich umgestimmt. Allerdings habe ich eher an einheimische Jungen gedacht. Griechen sind doch total fett.
Unser Hotel heißt Aphroditi.
Da soll ständig die Sau rausgelassen werden.
Wir haben all inclusive gebucht, Sport und so, Spiele, Aufführungen, Wettkämpfe, Tanzen, Essen und Trinken. Total irre. Für Jetski muss extra geblecht werden.
Männer umsonst! Geil ...
Ich hab sie schon im Kopf.
Braungebrannt, dunkle Haare, gelbe Badeshorts, weiße Zähne, immer ein Grinsen zwischen den Backen und einen Höcker in der Hose. Wenn solche nackten Körper in strahlender Sonne aus dem Meer stolzieren, und das tun sie, das Wasser auf ihrer Haut abperlt, packt mich Sehnsucht nach ihrer Liebe. Einmal über ihren Rücken streicheln, mit der flachen Hand über die winzigen Haare auf der Brust fahren, himmlisch.
Ich muss lachen.
Sie werden älter als unsere Jungen in der Klasse sein. Ich bevorzuge Fünfundzwanzigjährige. Sie haben mehr Raffinesse. Hamid ist achtzehn. Vielleicht versteht ihr, was ich meine.
Armer Lukas. Griechische Mädchen sollen nicht an sich ran lassen. Mittelalter zum Quadrat.
Geht mir am Arsch vorbei.
Hamid ist mein Freund, nicht ein richtiger, den man ständig um sich haben will, aber manchmal.
Er ist absolut gegen Griechenland.
Was seien schon Griechen, ließ er mich wissen.
Türken seien echt super. Mit allem! Temperament, Körper und Hirn. Alles habe seine Größe und Stärke.
Alanya sei ultimativ. Einfach ätzend. Da hätten seine Großeltern noch eine Gärtnerei.
Er wird gleich hier sein.
Ich werde ihn gar nicht empfangen, obwohl ich ihn heute Nachmittag eingeladen habe in weiser Voraussicht, dass die Wohnung sturmfrei wird.
Carola hat gesagt, dass man Jungen kurz halten müsse. Man solle sie schmoren lassen. Die kommen wieder, je abweisender man ist.
Das werde ich heute prüfen.
Hamid ist sonst ein fetziger Typ. Zwar im Kreis seinesgleichen zu laut und aufdringlich, mir frisst er aus der Hand.
Er gehört zu den Sanften.
Ich hatte ihn auf Fedors Party kennen gelernt. Es war nicht gleich die große Liebe, nicht jemand, den man für immer haben möchte, dem man sein Leben anvertraut, verursachte kein sofortiges Herzflimmern. Er qualmte gerade und stopfte mir die Zigarette in den Mund. Mein erster Zug. Nicht schlecht. Zwar musste ich anfangs husten, aber als wir die Bude verließen, hatte ich mich bereits an den Rauch gewöhnt.
Obendrein hat er mich nach Hause mitgenommen.
Auch das war für mich das erste Mal.
Alles ging viel zu schnell. Ich hatte nicht viel davon. Nur Schmerzen. Was ist schon an Sex dran? , dachte ich.
Darauf meinte ich, dass es eine Nacht ohne Morgen sei, ein One-Night-Stand, Erlebnisse, die an jeder Ecke warten. Dennoch war meine Neugierde geweckt.
Und so kam es.
Hamid gibt mir eine gewisse Sicherheit. Wenn wir zusammen sind, macht mich keiner an. Ich mag ihn, ja, das stimmt. Und als ich seine Fähigkeit erkannte, heikle Situationen herunter zu spielen, ja sie zu ignorieren, wie er es bei meinen Ellies machte, verliebte ich mich sogar ein bisschen in ihn. Aber wirklich nur ein bisschen.
Er kennt keine Probleme.
Jedenfalls lässt er mich diese nicht spüren.
Allerdings fände ich es aufregender, würde er mal explodieren und seinen Macho rauskehren, den er auf dem Schulhof lautstark praktiziert. Meine Eltern lehnen ihn ab, was ihn nicht stört.
„Deine Ellis? Sie können mich mal ...“, meint er arrogant. „Motzkekse, darauf verzichte ich.“
Darüber habe ich mich anfänglich aufgeregt. So von Mum und Dad zu reden, zumal mein Vater ein echter Palästinenser ist. Und irgendwie gehören diese doch zu Arabern, oder? Sind doch Nachbarn der Türkei. Aber mein Alter hat sofort gemeckert, als er den Jungen sah.
„Einen Türken?“, zischte er mir empört zu. Seine Zornesadern auf der Stirn schwollen an wie der Kamm eines Hahnes, wenn Gefahr droht.
Ich glaube, Palästinenser und Türken haben immer gegeneinander gestanden. Ich habe keine Vorurteile. Wirklich nicht. Nur gegen Afghanen. Da weiß man nicht ...
„Ja“, entgegnete ich aus Trotz.
Und ich schob nach, um ihn herauszufordern:
„Er hat einen krummen Säbel und stinkt durchdringend nach Knoblauch!“
Man sähe ihm an, dass er Macho sei, meint mein Dad, und als er den großen Affenhänger machte, und das Motorrad beinahe umkippte, grinste mein Alter nur verächtlich.
Seitdem darf Hamid nicht mehr zu uns kommen.
Heute hätte ich Gelegenheit.
Aber keine Lust!
Ob er mit dem Motorrad kommt? Was ist, wenn ich mit ihm in die Disko fahre? Nein, die Leute um uns herum würden meinen Eltern unterjubeln, was sich abgespielt hätte, und dann gäb 's Krach. Einen Abend vorm Urlaub, das sollte man vermeiden.
Ich nehme mir mein Apple iPod Foto vor. Das Beste früher. Ich muss nachdenken, das ist schon die fünfte Generation. Ich kann Musik hören und gleichzeitig Bilder sehen. Bushido ist mein absoluter Antörner. Ich bin heiß auf ihn. Seine Texte: traumhaft. Ich höre gerade den Arschficksong. Geil.
Wenn meine Eltern das wüssten ...
Jetzt: „Mit dem Schwanz in der Hand.“
Ich denke an Hamid, dessen Gesicht mir vertraut und dessen Körper mir bekannt ist. Beides mag ich. Und er hatte mir seinen Schwanz in die Hand gedrückt, aber wie!
Zuerst wusste ich nicht, was ich damit anfangen sollte ...
Das Tollste, was ich bisher kennen gelernt habe. Im Nu war aus dem Hänschen ein super Hans. Wenn ihr wüsstet ...
Ich lasse euch einfach an meinen Gefühlen teilhaben. Manche von euch werden vielleicht daraus lernen. Glaubt mir: Im Bett rummachen ist great. Man muss nur das erste Mal überleben.
Ich liebe Hamid nur nicht! Mein kleines Problem.
Wie muss es erst sein, wenn man mit jemand bedingungslos kuscheln kann? Sollte ich ihn finden, mein Gott, der Himmel stände mir offen.
Hamid ist der einzige Junge, den ich näher kenne. Ihr begreift, nicht wahr?
Mein Handy klingelt. So ein Mist. Wer kann das sein?
Es ist Lukas.
3
Ich erkenne mich nicht wieder.
Diese Frau, dieses Vollweib, das so provokant angezogen ist, so verworfen lächeln kann, ein so hübsches Gesicht hat und über so ausgewogene Kurven verfügt, hat 's mir angetan. Mir ist selbstverständlich klar, dass ich damit meine Frau verrate, irgendwie hintergehe, aber ein Flirt macht sie nicht gleich zur Witwe und auch nicht zur Nebenfrau. Es macht einfach Spaß, in meinem Alter zu flirten oder scharfgemacht zu werden. Und das ist passiert.
Wie sie es genossen hat, als ich ihr Blicke zuwarf und meine Pupillen die Nähte des engen Neoprenanzugs entlang eilten. Sie muss dies gespürt haben. Hoffentlich hat Lukas nicht auf meine Hose geschielt.
Der Junge ist ja weiter als ich dachte. Er hat sie auch mit Blicken aufgefressen. Dass er den Massagestab aufhob, das muss für meine Frau ein Schock gewesen sein. Lukas kann mich nicht täuschen, er kennt Dildos.
Doch woher?
Jugendliche sind heute bereits mit zwölf Jahren reif, der Geist dagegen hinkt hinterher. Aber man kann sicher sein: es holt auf.
Bestimmt reden sie täglich miteinander in der Schule über Sex. Das hatten wir auch so gehalten.
Ich liebe meinen Sohn. Und jetzt noch mehr.
Er wird ein Weiberheld.
Zwar finde ich sein Interesse an Frauen dieses Schlages verfrüht, aber besser, als wenn er sich allem versagt oder vielleicht sogar nach Männern schielt. Eine katastrophale Vorstellung.
Mein Vater hatte mich schon früh in die Welt der Dichter eingeführt. Besonders in diejenigen, die die Liebe preisen. Sein wichtigstes Sprichwort lautete:
Entblättere eine Blüte und atme den Duft des Kelches, du wirst den einzigen Weg gehen, den Allah für uns vorgesehen hat.
Ich muss schmunzeln.
Wie anders war unser Leben unter Palästinensern. Meine Mutter beherrschte das Haus, erzog uns Kinder. Mein Vater besorgte die Landwirtschaft. Meine Schwestern wurden verheiratet, und vorher kamen sie nicht mit Jungen oder Männern in Berührung.
Sex?
Nichts da.
In der Ehe, ja, und da nach allen Regeln der Kunst.
Plötzlich habe ich Elisabeth im Kopf. Ich sehe diesen aufdringlichen Türken vor mir, Hamid, und mir wird klar, was die beiden treiben, wenn sie sich treffen. Ich kann 's nicht ändern, denn über Verbote lacht meine Tochter nur, aber ich verbiete ihm, zu uns zu kommen. Einen Türken ... Ich hasse ihn. Überhaupt sind Türken Feinde unseres Volkes ...
Meine Frau ermahnt mich, als ich mich umsehe, ob dieses Mordsweib noch hier ist.
„Komm, wir haben alles!“
Wir verlassen die Charterhalle, im Schlepptau Lukas. Ich bemerke sehr wohl, dass seine Augen durch das Gebäude flitzen. Auf der Suche ...
Ich sehe mir die Tickets an und lasse sie in der Tasche verschwinden.
Morgen früh gibt 's Terz.
Meine Frau wird sie zurückgeben wollen, in jedem Fall tauschen oder sie fliegt nicht mit. Aber nicht wegen meines Ausrutschers - aus ihrer Sicht - sondern wegen des Abflugtages morgen, Freitag, und der zwölften Reihe. Sie lehnt alle Plätze in der Nähe von 13 ab. Sie meint, dass man hier besonders gefährdet sei. Auch wenn in allen Flugzeugen diese Reihe gar nicht vorgesehen ist. Sie meint, die Umgebung genüge. Dummer Aberglaube.
Dennoch liebe ich sie. Anders als zu Anfang unserer Beziehung, aber irgendwie finde ich, dass sie eine tolle Frau ist.
Es war Liebe auf den ersten Blick. So, wie man sich eine Begegnung wünscht. Ich war Gastarbeiter, sie Sekretärin bei meinem ersten Arbeitgeber: Siemens.
Im Sommer ist es leicht, die Schönheit des Körpers zu zeigen, die hübsche Bluse, der kurze Rock, die nackten Beine geben Vieles preis, und es ist an den Bewegungen auszumachen, wie geschmeidig man ist und wie elegant.
Anders im Winter.
Bei ihr nicht.
Trotz des Mantels, den sie noch anhatte, als ich das Büro betrat, trotz der Jeans, die ihre Beine verhüllten und trotz der Mütze, die ihre Haare bedeckte, habe ich ihre Eleganz bemerkt und die Frische ihres Wesens erahnt.
Mein Blick heute in der Schlange auf die Frau vor uns ist nach einer so langen Ehe Ausdruck eines Abschleifprozesses. Das wird mir jeder bestätigen, der schon viele Jahre in einer Zweierbeziehung lebt. Ich habe doch auch nichts Verbotenes getan, und wenn meine Frau eifersüchtig war, ist dies nur ein gutes Zeichen.
Bei diesen Überlegungen kommen wir dort an, wo wir das Auto abgestellt hatten.
Der Platz ist leer.
Mein Gott.
Mir fällt das Schild direkt an der Straße in die Augen:
Halteverbot.
Was nun?
Meine Frau schimpft wie ein Rohrspatz, sie habe mich vorher darauf aufmerksam gemacht, aber was sie sage, höre sowieso keiner. Hinter uns fährt ein Abschleppwagen vorbei, wieder hat man einen Täter bestraft und transportiert dessen Wagen ab. Ich laufe hinterher und erreiche das Führerhaus, weil es einen Stau gibt.
Meine Frage schießt förmlich aus mir heraus, und sie kommt aggressiv, so aufgeregt bin ich. Der Fahrer grinst schäbig und lässt uns in einem unverschämten Ton wissen, dass wir uns in der Polizeiwache des Flughafens zu melden haben, man würde uns dort weiterhelfen. Unglaublich, wie man behandelt wird, zumal es ziemlich spät ist und ein falsch parkendes Auto niemand stört.
Wir kommen spät nachts in Barmbek an, nachdem ich unser Auto eine geschlagene Stunde später eingelöst hatte. Man wollte mich auf der Polizei noch belehren, ich hörte einfach nicht zu. Als ob ich blöd wäre. Man füllte Formulare aus, stutzte über meinen Geburtsort, drehte meinen Personalausweis nach allen Seiten, wahrscheinlich, um eine Fälschung zu entlarven, lief mit ihm in andere Räume, zeigte ihn herum und legte ihn mindestens viermal auf die Durchleuchtungsplatte. Pech gehabt. Er ist echt.
An meiner deutschen Identifikation gibt es nichts zu rütteln.
Was sich uns vor dem Haus bot, in dem unsere Wohnung im ersten Stock ist, ließ uns die Luft anhalten.
4
Das mit den Dildos, was Lukas abließ, ein einziger Hammer. Unsere Mum muss ausgeflippt sein. Sie ist in diesen Dingen sehr eng. Ich weiß nicht warum. Ich hätte mir gewünscht, mal mit ihr über Hamid zu quatschen, auch Rat zu holen. Das musste ich mir schnell abschminken. Als ich von ihm zu erzählen begann, sagte sie, dass ich dafür noch zu jung sei, sie wünsche es einfach nicht.
Basta.
Sie ist nicht in der Lage, Sex beim Namen zu nennen. Ich kann nicht verstehen, wieso sie Bumsen nicht ganz locker sieht. Ist doch Teil des Lebens. Bei ihr auch. Jungen und Mädchen, Frauen und Männer, die gehören zusammen.
Lukas hat sich prima verhalten.
Der Frau, vielleicht sogar eine Nutte, das Ding ohne Wenn und Aber zurückzugeben, mutig vor den Ellies.
Was ist denn dabei?
Wie viele Frauen haben keinen Kerl? Ein Dildo schafft Abhilfe. Einsame Männer besorgen sich Puppen. Habe ich im Bravo gelesen. Ob Männer auch manchmal einen solchen Zauberstab benutzen?
Aber wie, wo, wann?
Vielleicht kann Hamid mit seinen Freunden auf der Reeperbahn einen Stab mitgehen lassen. Die klauen sowieso überall. Auf einen weiteren Diebstahl kommt es nicht mehr an.
Oder?
Man muss so etwas ausprobieren. Als Massagegerät, versteht sich von selbst. Dann lässt sich mitreden. Ich male mir alles gerade aus und kriege das große Grinsen.
Weg damit.
Bloß sich nicht noch vorstellen, wie 's weiter geht.
Ich blicke auf die Uhr.
Hamid müsste gleich hier sein.
Ich knipse das Licht aus und bleibe hinter der Gardine stehen. Ganz still. Meinen iPod schalte ich aus.
Manchmal sind die Eingangstüren offen und man kommt ohne zu klingeln ins Treppenhaus. Die Mütter schließen nicht ab, damit ihre Plärren nicht dauernd reingelassen werden müssen. Gören haben meist keine Ausdauer.
Ich habe Leute schon oft am Eingang zu den Wohnungen horchen gesehen.
Hamid würde das genau so machen. Der flippt doch ganz leicht aus.
Das ist nicht nur seine Neugierde.
Bei ihm eher Eifersucht.
Wenn er mich mal mit Fedor sieht oder mit Ludger - die sind in meiner Klasse - dann läuft er schon rot an. Er will mich allein haben. Niemand sollte mir zu nahe treten, wünscht er. Tut man auch gar nicht, denn keiner will seine Wut spüren. Das heißt nämlich, eine verabreicht bekommen; Hamid ist im Judoverein und verdammt schnell.
Jeder in der Schule weiß ein Lied davon zu singen. Zuerst blökt er los, dann wird er handgreiflich.
Wie gesagt, auf dem Schulhof hat er immer die volle Schnauze.
Ich blicke die Straße hinunter. Sie fällt nach rechts ab, und Hamid kommt meist von links.
Da sehe ich ein Motorrad. Es rollt den Hügel hinunter, der Motor ist abgestellt. Dieser Scheißkerl! Mein Türke. Auch das Licht ist ausgeschaltet. Drei Häuser vor uns stoppen seine Füße den Lauf, er steigt mit einem Schwung ab und bockt die Vorderräder auf.
Schwerelos.
Na ja, er ist oft genug in der Muckibude.
Warum Hamid die Häuserfront entlang schleicht, weiß ich nicht. Inzwischen ist er an unserer Haustür. Ich höre es läuten. Einmal, zweimal, dreimal. Ich reagiere nicht.
Nochmaliges Läuten. Dann ist mir, als ob es in der Wohnung über uns klingelt. Auch da keine Reaktion. Meist schläft die Alte da oben schon um neun Uhr.
Jetzt höre ich, dass er ruft. Nein, schreit: „He, Elisabeth!“
Idiot.
Plötzlich steht ein anderer Junge neben ihm. Den Haaren nach zu urteilen, auch ein Türke. Wahrscheinlich sein Bruder.
Der hat ein Eisenrohr in der Hand.
Was soll das?
Hamid springt wie ein Rindvieh mit einer Rakete im Arsch im Kreis herum. Er lässt sich das Rohr reichen. Ich sehe, wie er damit auf den Gepäckträger eines Fahrrads einschlägt, als wolle er dieses dafür bestrafen, dass er nicht nach oben kann. Es ist am Kellergitter angekettet.
Ist er denn verrückt geworden?
Ich bekomme richtig Angst.
Es ist das zweite Mal, dass er in meiner Gegenwart was total Dämliches macht.
Damals hatte er seinen alten Köter am Tor des Ohlsdorfer Friedhofs angebunden und nicht wieder abgeholt. „Der ist sowieso bald kille!“, hatte er gemeint. Sollten meine Ellies recht behalten, dass er ein Schläger ist? Was ist, wenn ich ihm endgültig den Laufpass gebe? Wird er dann gewalttätig?
Draußen ist sonst kein Mensch zu sehen. Wenn er weiter Lärm macht, wird es Zoff geben.
Die beiden Jungen rollen eine Abfalltonne vor die drei Stufen zur Eingangstür. Mit Getöse lassen sie diese los. Der ganze Mist ergießt sich von oben nach unten. Jetzt holen sie die gelbe Tonne.
Ach du lieber Gott. Soll ich runterrufen? Nein, das verschlimmert die Sache nur.
„Du hast selbst Schuld, dumme Zicke!“, schreit mein Freund hoch.
Mit einem Krach werfen sie auch diese Tonne zu Boden, reißen den Deckel auf, drücken ihn zur Seite, so dass er abbricht. Oben muss ein Fenster aufgerissen worden sein. Ich erkenne das an der Stimme der über uns wohnenden Frau. Sie kreischt nach unten:
„Seid ihr noch zu retten? Ich hole die Polizei!“
„Halt dein Maul, alte Votze!“, grölt der zweite Junge ihr entgegen. Ich höre währenddessen, dass andere Fenster geöffnet werden.
Wie es unten aussieht, kann ich nicht mehr genau sehen. Als ob der Dreck direkt im Eingang liegt.
Hamid und der andere rennen, was das Zeug hält, zum Motorrad. Springen beide gleichzeitig auf, Hamid vorn, und donnern ohne Licht davon.
Eine Sauerei.
5
Ob die scharfe Puppe morgen im Flugzeug in meiner Nähe sitzt? Wen sie wohl mehr anmachen wird, mich oder Hannibal? Blödmann, sage ich mir, ich mit meinem Milchgesicht. Und was wird mit ihrem Sohn sein, wird der mitfliegen? Mein Gott, was für ein geiler Cheater, mir an den Hintern zu grapschen. Fand ich aber nicht schlimm.
Ich habe die Augen geschlossen, weil es beinahe schon 23 Uhr ist und außerdem, weil ich nicht mit den Alten labern will. So lassen sie mich wenigstens in Ruhe.
Sieh einer an, Hannibal ist noch super munter.
Seine Hose war ganz schön ausgebeult. Bestimmt. Ich hab 's gesehen.
Die Frau hatte sich aber auch vor ihm platziert, ihm den Arsch entgegengestreckt, und unten in der Tasche gewühlt. Das sah voll scharf aus.
Hannibal hat sicher bemerkt, was mit mir los war, denn er hat mich angestarrt.
Was wohl in Vätern vor sich geht, bei deren Söhnen es das erste Mal richtig in der Hose juckt, wenn sie Titten sehen? Sind sie eifersüchtig? Warum hat er nie mit mir geredet?
Fedor hat mir erzählt, dass ihn seine Ellies aufklären wollten.
Was für ein Umstand!
Er musste sich ins Herrenzimmer setzen, dann wurde Wein aufgetischt, und auf los ging 's los. Aber nicht so richtig. Sie dönerten ihn total voll vom Penis und von der Vagina.
Keiner von uns spuckt so 'n Mist aus.
Er habe gar nicht zugehört, meinte Fedor.
Hannibal ist in Ordnung, allerdings auch manchmal ein Arschloch. Wenn er von seiner Familie erzählt, ist er total Wonne. Schade, dass wir seine Heimat nicht besuchen dürfen. Die Gegend sei abgeriegelt, behauptet er. Die Israelis hätten die Golanhöhen besetzt, damit sie nicht angegriffen werden können.
Ich bin mir sicher, dass wir da noch mal hinkommen. Ich werde irgendwann drauf drängen. Meine Hautfarbe ist hellbraun, daher gehe ich bestimmt als Palästinenser durch, und meine Haare sind voller Locken, schwarz wie Hannibals.
Endlich sind wir in der Mozartstraße.
Mein Gott, was ist das?
Welche Schweine haben das gemacht? Ich sehe, dass unsere Müllcontainer ausgekippt sind. Mir schwant was. Das geht nämlich nicht von allein, und selbst eine Böe könnte die schweren Wagen nicht umfegen.
Mein Alter springt aus dem Wagen. Der Abfall haut ihn um.
„Säue!“, grölt er. Ich renne hinterher. Der Geruch ist bestialisch. Ich halte mir die Nase zu.
Fucking. Maden im Fleisch, aus verwirbelter Wäsche kriecht eine Ratte. Zwei Präser nebeneinander, voll, liegen direkt an der Schwelle. Dass diese bloß nicht meine Mum sieht. Die flippt aus! Überall nur Geficke. Ob einer von Hamid stammt? Verfaultes Gemüse, gebrauchte Kackstreifen, Frauenbinden, Büchsen, Behälter, Dosen, Flaschen, Bänder, Tücher, ein Schuh, Kochlöffel, Bürsten. Plastikbeutel. Ein Scheiß!
Dann stand das ganze Haus unten.
Herr Podbielski gestikulierte mit den Pfoten, als sei er auf der Bühne, er nennt sich nämlich Schauspieler, nur niemand weiß wo, Familie Reingold, wenn das keine Asozialen sind, die Wohngemeinschaft aus dem vierten Stock, Studenten, nennen sich FL4.
Was das heißt, wollt ihr wissen? Ich habe nachgefragt. Ein ganz Rassiger, größer als ich, rote Haare, auf der Brust 'ne Matte, die nicht von schlechten Eltern ist, griente mich an, und prustete heraus: „Fick langsam.“ Dabei schielte er mich von oben herab an, als wollte er 's mit mir versuchen.
Hätte ich ihm einen Wink gegeben ... Aber mit einem von der Uni? Darauf habe ich keinen Bock.
Nachher labert der mich noch mit so 'nem Mist voll wie unser Deutschlehrer mit seiner philosophischen Kacke.
„Los“, sagt mein Vater, „die Container aufrichten.“
Dann rief er den Leuten zu, dass er von oben Gummihandschuhe hole, gleich mehrere Paare, und forderte die andern auf, Müllschippen zu suchen.
Er springt über den Haufen direkt auf einen Präser, mein Gott, das Zeug muss noch warm sein, so spritzt es nach allen Seiten. Meine Mutter stelzt hinterher, bekommt das Sperma an die Beine. Die hat vielleicht gejault.
Sie verschwindet in der Wohnung.
„Elisabeth?“
Keine Antwort. Ich bekomme Angst. Hat Hamid sie etwa entführt?
Wir eilen in ihr Zimmer, da liegt sie wie tot. Zusammengekuschelt unter ihrer Decke.
Meine Mutter sagt, dass Elisabeth bestimmt nichts mitbekommen habe, als sie ihre Tochter so unschuldig im Bett sieht, ich denke vielmehr an ihr Rumlöffeln. Elisabeth ist doch nicht von gestern!
Da bin ich mir ganz sicher.
Und tatsächlich, meine Mum irrt.
Muss man ihr die Wahrheit aufzwingen? Nein. Sie macht sich was vor und glaubt es schließlich selbst.
Ich weiß es besser.
Elisabeth blinzelt mir zu, als Mum das Zimmer verlässt.
Super Schwester.
Ich mag sie sehr.
Ihr fragt, ob es gleichgültig ist, mit wem sie poppt? Nein, natürlich nicht. Er muss mir gefallen. Alles andere ist ihr Ding.
„Hamid!“, zischt sie mir ins Ohr.
„Ich dachte es mir!“