Capri - amore mio - Kai Steiner - E-Book

Capri - amore mio E-Book

Kai Steiner

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Beschreibung

Kristoffs Auffassung vom Sex ist ziemlich eigenwillig. Er treibt es oft und viel. Aber immer muss es ein anderer Kerl sein. Mit jedem geht er nur einmal ins Bett. Bindungen lehnt er wegen der Verantwortung ab. In diesem Sommer sucht er die Stätte auf, an der man ihm den ersten und besten Sex beigebracht hat: nämlich auf Capri, einer Insel, die seit Kaiser Tiberius vor 2000 Jahren von Männern bevorzugt aufgesucht wird. Vierzehn Jahre sind seit Kristoffs letztem Besuch vergangen. Damals war er sechzehn Jahre. Als er ein zweites Mal nach Capri kommt, dieses Mal als junger Anwalt, stellt er mit Freuden fest, dass sich nichts verändert hat. Die Hotels sind dieselben, sie glänzen in prächtigen Farben, die Geschäfte sind moderner, aber wie eh und je teuer, die Straßen sind ebenso eng wie früher und die verspielten Parks, Nischen und Strände strahlen dieselbe Atmosphäre aus. Die knackigen Neapolitaner beherrschen immer noch die Badeanstalten, die verschwiegenen Plätze und Wege. Sie sind braungebrannt, athletisch und sportlich, und topgekleidet. Sie kommen früh morgens mit dem Tragflächenboot auf die Insel und verlassen diese meist abends wieder. Nur manchmal bleiben sie, wenn die Nächte lau sind. Dann beginnt ihr zweites Leben in der Via Krupp, in der Certosa, in der Nähe der Faraglioni und dem Faro. Im Hotel La Vega trifft Ulfert auf Bastian, ein Halbwüchsiger, sechzehn, der - wie er damals - völlig unerfahren ist. Der Junge übt auf ihn eine unerhörte Anziehungskraft aus, jedoch verbietet ihm sein Grundsatz, sofort engen Kontakt mit dem jungen Mann aufzunehmen. Er beschließt, Bastian am letzten Tag seines Aufenthalts zu verführen. Um sich des Jungen zu versichern, nähert er sich ihm häppchenweise, mit anderen Worten: er reizt ihn mit tausend Tricks. Dazwischen erlebt er Capri überall dort, wohin andere kaum gelangen, und er treibt es in der Funiculare ebenso wie im Beichtstuhl, in der Nähe der Mönchsgruften ebenso wie in der Badehöhle der römischen Kaiser. Selbst die blaue Grotte ist ihm nicht heilig. Der Abschiedsabend wird zum Höhepunkt. Kristoff verführt Bastian nach Strich und Faden, der selig in seinen Armen einschläft. Kristoff hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Er konnte nicht ahnen, dass die Eltern von Bastian den Aufenthalt um eine Woche verlängert haben. Wird er seinen Grundsatz unterlaufen und mit dem Jungen ein zweites und drittes Mal Sex haben? Wie wird sich Bastian verhalten und entwickeln? Beide werden noch eine Woche auf der Insel bleiben. Begegnungen sind unausweichlich.

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Seitenzahl: 395

Veröffentlichungsjahr: 2009

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Kai Steiner

Capri, amore mio

eBookMedia.biz

2. eBook Auflage April 2010

Copyright © Himmelstürmer Verlag

ISBN EPUB: 978-3-942441-24-7

Coverfoto: © http://www.jackny.com, Jack Slomovits

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg.

Inhalt

VorwortWunderbar – MeravigliosoDas erste Mal - La prima voltaIch will nicht - Non voglioWas für ein Pech - Che’ sfortunaEin Einbettzimmer - Una camera a un lettoAuf dem Umberto (I) Platz - In Piazza Umberto IGehen wir - AndiamoTschüs, Luigi - Ciao LuigiAuf der Straße - Per la stradaMir gefällt’s, nur jetzt noch nicht – Mi piacce, solamente non ancoraIm Restaurant - Al ristauranteEin Versuch - Un esperimentoEin Kuss bitte - Un bacio, per favoreStrand am Leuchtturm - Lido del faroWas möchte er? - Che cosa desidera?Weltuntergang - Fine del mondoDas Mädchen Marina - La ragazza MarinaWie geht es dir? - Come stai?Die Klippen - I FaraglioniKristoff, sei beruhigt - Kristoff, sta’ tranquilloDas Kloster - La CertosaKleine Küste - Marina PiccolaEin heiteres Instrumentalstück - Un DivertimentoAngstgeschrei - Grida di pauraEine Idee - Un’ ideaEin Besuch - Una visitaIm Krankenhaus - All’ ospitaleIch fühle mich unwohl - Mi sento maleBastian sagt nichts - Bastian non dice nienteElternliebe - Amore paternoEin besonderes Frühstück - Una colazione specialeEin schöner Rundblick - Una panorama bellaDas Haus von Malaparte - La casa MalaparteEin freundlicher junger Mann - Un ragazzo gentileIn der Stadt - In cittàHeftige Begierde - BramaEs gibt kein zurück me - o più indietroElternneugierde - Curiosità die genitoriDer Kruppsche Weg -  La Via KruppMorgens - Di mattinaVorwürfe - RimproveriArbeiter streiken - Lavoratori entrano in scioperoEin schamloses Fest - Una festa spudoratoSeine Mutter Sofia - Sua Mama SofiDas Restaurant Brunella - Il ristorante La BrunellaEin ausgeklügelter Plan - Uno progretto raffinatoLuisa, die Schwester von Luigi – Luisa, la sorella die LuigiMein Zimmer - La camera miaVilla Sankt Michele - Villa San MicheleErinnerungen - RicordiDie Geilheit eines Jünglings - La lascivia di uno ragazzoDie blaue Grotte - La Grotta AzzurraEin Anruf - Una telefonataFreunde - AmiciAuf Wiedersehen, Capri - Arrivederci CapriEin Jahr später

Töricht, wer den Sirenen sich naht, lauschend ihren Gesängen. Verloren dem Vaterland ist er für immer – nie wieder sieht er im festlichen Saale Gattin und Söhne.

Vorwort

Für Leseratten und Intere ‚Capri, amore mio’– Capri, meine Liebe.

Erwartet keine italienische Grammatik.

Das Buch ist alles andere. Werft über Bord, was ihr bisher von der winzigen Insel im Golf von Neapel wisst, nur nicht ihre Lage mit Weitblick auf den Vesuv und an seinem Fuß Pompeji. Verbannt das abgedroschene Lied Wenn auf Capri die Sonne im Meer versinkt aus dem Gedächtnis.

Ihr werdet überrascht sein, denn ihr habt ein Kleinod vor euch. Seine Berge sind ziemlich hoch, seine Täler eng und tief, die Felsen steil und schroff, die Vegetation abwechslungsreich, alles in allem: Faszination pur.

Capri, die Insel der Jugend!

Kaiser Tiberius nannte sie vor zweitausend Jahren so. Er musste es wissen! Er liebte sie. Das jedenfalls berichten Geschichtsschreiber.

Ich schließe mich seiner Aussage an.

Tiberius kam auf seine Kosten, ich übrigens auch. Und die Älteren?

Keine Panik: ebenfalls.

Die Jugend strömt im Sommerhalbjahr aus Neapel, Sorrent, Amalfi, Rom und manchmal Palermo auf Tragflächenbooten und kleinen Ausflugsdampfern hierher. Kaum im Hafen von Capri - Marina Grande - angelangt, zerstreuen sie sich in alle Winde. Ihre Ziele heißen: Marina Piccola, Lido del Faro, Spiaggia Tragara! Es sind die Strände der Insel. Und sie sind voller Überraschungen. Außerdem die Klippen der Via Krupp, die Badegrotten des Tiberius.

Süßes Nichtstun, Sonnenbaden, Schwimmen, Surfen und Angeben, das ist die Welt der jungen Leute, meistens junger Burschen. Und diese ist ansteckend. Sie selber sind wenig dezent, mäßig vulgär, mit kraftvollen Muskeln, sonnengebräunter Haut, rassig. Ihre Blicke nehmen fremde Körper ins Visier und oft genug wird man fündig. Manchmal sofort. Wofür?

Ihr wisst schon ...

Sicher ist dies: Jeder findet, worauf er Appetit hat.

Das Flüchtige hat Konjunktur.

Es gibt genügend Grotten, Höhlen, Büsche, Ecken, und wer’s nötig hat, wählt uneinsichtige Plätze am Wasser. Direkt hinter den Faraglioni oder anderen Felsen.

Man kann über Nacht bleiben. Die Temperaturen bleiben immer angenehm.

Wer nur Natur oder Kultur im Sinn hat, sozusagen zum Stressabbau, vielleicht sogar hinterher ...,  der ist nicht betrogen. Es gibt viel zu sehen, unter anderem die Villen Jovis, San Michele, Lysis, die Piazza Umberto I, Via Krupp, die Kirchen Santa Sofia (Anacapri), di San Constanzo, San Stefano (an der Piazza), die Certosa, die Faraglioni.

Und wer herkommt, um in Erinnerung einer illustren Gesellschaft zu parlieren, dem mögen Namen wie Schuppen von den Augen fallen: Roger Peyrefitte, Oscar Wilde, Graf Fersen, Ferdinand Alfred Krupp, Kaiser Wilhelm der I, Graham Green, Axel Munthe, Rainer Maria Rilke, Ludwig Tieck, Wilhelm von Gloeden, Lenin, Maxim Gorki, Kaiser Augustus, Karl Lagerfeld.

‚Tausend und eine Nacht’ stehen bevor. Man muss nur vom Festland aus zur Insel übersetzen. Und wer im Augenblick weder Zeit noch Geld hat, der blättere im Buch. Es lässt keine Wünsche offen.

Ein Capri-Fan.

Wunderbar – Meraviglioso

Es hat sich nichts verändert. Seit Jahren: Man strahlt, grinst, macht sich bemerkbar. Man ist wer. Man ist jung.

Mädchen und Jungen mit Sonnenbrillen, deren Gläser Wagenräder entsprechen. Knappe Hotpans die Mädchen, stramme Shorts die Jungen. Oben T-Shirts, mit und ohne Ärmel. Das männliche Geschlecht meist ohne. Es lässt seine Muskeln spielen, man trainiert sie sich täglich an. Irgendwo in dunklen Hafenschuppen Neapels, die man leicht mit Vespas erreicht. Wer was auf sich hält, turnt abends auf der Fläche. Fitnesszentren sind in.

Mädchen auf Highheels. Sie tippeln gefährlich auf ihren Stöckelschuhen. Ihr Hinterteil bewegt sich rhythmisch.

Capri ist eine Insel der Jugend, sie ist es seit alters her.

Es ist himmlisch warm. Schon morgens um acht Uhr.

Sie werden zu den ersten zählen, die ihre Klamotten in den Badehäuschen unterbringen und sich in die Liegestühle werfen. Deren Zahl ist begrenzt. Die Insel verfügt nur über wenige Badestrände.

Das Tragflächenboot von Neapel spuckt seine Reisenden wenig später auf Capri aus. Massen von Menschen strömen in Scharen die schmale Mole entlang zur Funicolare (Seilbahn/Zahnradbahn). Ab und zu glitzern durch die Menge grelle Hosen und Hemden in schreienden Farben.

Zigaretten glimmen auf. Man musste sich vierzig Minuten zusammennehmen. Im Schiff ist Rauchen verboten. Endlich ... jetzt kann man seinem Laster frönen. Lässig wird die Zigarette in den Mundwinkel geschoben. Reden mit Kippen macht männlich, sieht ätzend aus. Fünfzehnjährige werden zu Machos.

Italiener haben durchschnittlich mit vierzehn Jahren Sex. Wird behauptet. Der Kondomumsatz scheint das zu bestätigen.

Endlich an der Funicolare.

Sie ist zwar nicht erster Anziehungspunkt, aber aufregend. Eine Zahnradbahn mit drei Wagen ältester Herkunft.

Automatisch öffnen sich Türen zur Ausstiegsseite. Modernste Technik. Sind die Abteile leer, ist erst der Einstieg auf der anderen Seite des Bahnsteigs erlaubt.

Italiener sind herrlich unkompliziert.

Sie stoßen, drücken und schieben alles, was vor ihnen steht, in die Waggons und dabei lachen sie so unverschämt, als würde man auf diesen Gefallen gewartet haben. Hat man in gewisser Weise auch.

Heute sind die Abteile voller Studenten, denn ein Jahrhunderttag ist angebrochen, wie der Wetterbericht verkündete, in Deutschland spricht man vom Kaiserwetter. Die Hosen der Jungen sitzen noch strammer, die Shirts sind durchlöchert. Gekräuseltes quillt hervor, der Stolz italienischer Kerle.

Die Mädchen stehen dem um nichts nach. Ihrer Anatomie entsprechend. Bis zum Bauchnabel aufgeknöpfte Blusen, aus denen Halbmonde herausblinzeln. Abgerundete Schalen zum Reinbeißen.

Ich lande auf der anderen Seite des Abteils links in der Ecke, direkt an der Tür. Ich spüre an meinem Bauchnabel, dass es nicht weiter geht, gewahre vor mir einen Erste-Hilfe-Kasten. Meine rechte Schulter lehnt an der Seitenwand zum nächsten Abteil, das etwas tiefer liegt, mein Blick ist nach draußen gerichtet. Mein Körper ist festgezurrt, wenn man das sagen darf. Aber unter diesem Kasten haben meine Füße wenigstens Platz. Gegen meinen Rücken lehnt ein abgebrochener Fünfziger. Wenig einladend. Ich glaube fast blind. Rechts von mir ein junger Mann, dessen Ellbogen in meiner Taille ruht. Kein Staubkorn kann zu Boden fallen.

Ich drehe meinen Kopf nach rechts. Das Einzige, was ich drehen kann.

Der Bursche ist so groß wie ich, ungefähr, er hat Grübchen auf dem Kinn, sieht komisch aus, schwarzes Haar, trägt eine Brille. Kleine runde Gläser. Sie macht intelligent. Er trägt ein azurblaues Netzhemd, schmale Träger, tief ausgeschnitten, Vivien Westwoods Creation, herausfordernd. Seine Hose war auf der Messe in Mailand eine Sensation: Shirty Shorts genannt, schwarz, außen ein glänzendes Kunststoffgewebe, innen angeraut. Givenchy? Ich weiß es nicht.

Seine Augen verraten Humor. Er grient süffisant, an seiner Schulter lehnt ein alter Mann, daneben wohl dessen Frau. Beide blicken ängstlich nach unten. Sie stehen vor einem Koffer, den er argwöhnisch festhält. Man kann nie wissen!

Der junge Italiener starrt mich penetrant an. Was mich stört und aufregt zugleich.

Wahrscheinlich hat er’s auf mein Geld abgesehen. Mein Gott, wo habe ich mein Portemonnaie? Ich fühle es in der Hosentasche am Hintern. Die ist so eng, dass keine Hand hineingreifen kann. Das beruhigt.

Die Form seines Gesichts erinnert an eine römische, geglättete Amphore. Dieser Gedanke lässt mich schmunzeln.

So edel wird er nicht sein, geht’s mir durch den Kopf.

An der gegenüberliegenden Seite sitzen vier Figuren. Die einzigen Sitzplätze.

Es bimmelt draußen auf dem Bahnsteig erbärmlich! Eher ein Schnarren.

Ein Ruck geht durch die Waggons. Jetzt ein kräftiger Zug, dann ein Zittern der Scheiben, die Bahn löst sich aus der Verankerung.

Im selben Augenblick spüre ich unterm Erste-Hilfe-Kasten, wie ich an der Hose berührt werde. Ja, genau da, wo man unter vielen Menschen nichts erwarten kann. Zuerst glaube ich, dass das nichts zu bedeuten hat und führe es auf die Fülle des Abteils zurück. Dann plötzlich ein Streicheln an meinem Hosenschlitz, zwei Finger, die den Reißverschluss herunterziehen. Ich bin ohnmächtig, mich zu wehren. Stehe steif wie ein Brett. Ich blicke den jungen Mann mit großen Augen an. Sogar mit erstaunten. Drücke meine Knie eine Winzigkeit durch und auseinander. Woher weiß er ...?

Was wohl die Leute denken würden, sähen sie seine Machenschaften? Soll ich sie unterbinden? Ich habe Angst, entdeckt zu werden; meine Augenlider vibrieren, meine Oberschenkelmuskeln verhärten. Der Rücken des Alten wird durch Ruckeln der Waggons gegen meinen gerieben.

Mein Nachbar, ich schätze ihn auf zwanzig Jahre, dreht verschämt seinen Kopf zur Seite, zwinkert mir dabei zu, was mich verwirrt. Schon ist mein Schwanz draußen und steht. Mein Gott, gibt es so etwas? Ich fasse es nicht. Mit Daumen und Zeigefinger beginnt er seine Massage, sanft, meine Haut gleitet ölig über die Eichel auf den Schaft und zurück. Längst habe ich Sekret ausgestoßen, so erregt bin ich. Werden mich meine unsicheren Blicke verraten?

Dazwischen das Rütteln der Bahn, ein Knarren der Holzdielen und Decken. Alles hört sich wie im Paternoster an. Ich wage mich nicht zu bewegen. Immer noch stehe ich wie ein Flitzbogen da. Ich sehe die Zwischenstation vor mir, da, wo sich die Bahnen von unten und oben kreuzen, genau die Hälfte der Strecke. Mein Ständer streckt sich noch weiter hinaus. Der junge Mann nickt mir zu, offensichtlich erstaunt, was ich zu bieten habe. Sein Reiben wird heftiger. Es muss ihm Spaß machen, an mir herumzufummeln. Seine Miene verzieht sich zu einer schleimigen Grimasse. Ein Lustmolch, geht es mir durch den Kopf.

Wie ich, wenn ich ehrlich bin. Ein Zucken geht durch die Bahn, dann ein Zittern.

Nanu, die Wagen stehen. Sofort lässt er von mir ab. Alles glotzt nach draußen oder in die Luft. Man redet, gestikuliert, ängstliche Blicke.

Schon geht es weiter, mein Schwanz hat sofort wieder seine Position eingenommen. Mein Peiniger – bei diesem ungerechten Wort kann ich mir ein Grinsen nicht versagen -  presst sich an mich, sein Kopf liegt förmlich an meinem. Keine Lücke bleibt zwischen uns. Ich weiß, warum er sich so hinstellt.

Unten in meiner Prostata beginnt es zu rumoren. Das ist, wie wenn kleine Bläschen über meine Haut eilen. Ähnlich, wenn ich mich im Whirlpool tummle. Herrlich! Kaum hat das Spiel begonnen, da steht der Saft vorm Peniseingang.

Der Italiener wird brutal. Angst überfällt mich.

Wirklich Angst?

Mir macht’s Spaß. Entgegengesetzte Empfindungen ergänzen sich, wie mir scheint. Wunderbar. Oh, ich fühle, wie meine Eier in den sicheren Schutz der für sie vorgesehenen Höhlen gleiten. Es steigt, es kribbelt, Blasen scheinen unentwegt zu platzen.

Halt auf, schreit es in mir. Nein, weiter, weiter ...

Es gibt kein Zurück mehr.

Ich schließe die Augen, krümme meine Wirbelsäulen noch mehr, so dass der Mann von meiner Schulter empört abrutscht. Egal!

Meine Füße drücken auf den Boden, wie von selbst, da ... gleich ist sie da, die Explosion. Der junge Mann fühlt meine Erregung. Legt schlagartig seinen linken Arm um meine Schulter und greift mit der Hand von hinten an meinen Hals, stemmt sie gegen meine Erstarrung. Er kennt genau die Schliche, schießt es mir durchs Hirn.

Die Station ist in Sicht.

Mein Körper erzittert, ein Laut rutscht aus meinen aufeinander gepressten Lippen. Ich selbst höre mein eigenes Stöhnen. Ich nehme durch meine zusammengekniffenen Augenlider Menschen wahr, die sich nach mir umdrehen, Erschrecken in den Gesichtern. Mein Körper ist in Ekstase.

„Una colica!“ (eine Kolik), stößt jemand aus, Bewegung kommt in die Menge.

Der junge Italiener hebt beschützend beide Hände, womit er zum Ausdruck bringt, dass mein Anfall nur vorübergehend sein wird. Jeder in Italien kennt die Geste: Keine Gefahr.

„Va bene (in Ordnung)!“, ergänzt er, damit auch jeder sie begreift.

Das scheint zu beruhigen. Man wendet sich ab, fühlt, dass ich in sicherer Obhut bin. Freunde sind in solchen Augenblicken unentbehrlich!

Jetzt!

Jetzt spritze ich los, habe das Gefühl eines Widerstandes ... seine Hand, dann ein zweiter Schuss, ein dritter. Er drückt mit dem Einlaufen des Zuges meinen Penis in die Hose zurück, dann reißt er seine Arme hoch. Ich erkenne an seiner Hand letzte Tropfen meines Spermas, die er oben am Glas der Tür verschmiert. Der Rest läuft an der Scheibe entlang und tropft auf den Boden.

Alte Sau.

Niemand schaut hin. Alle sind mit dem Ausgang beschäftigt. Die Türen öffnen sich. Als man durchrutschen kann, ruft der junge Mann mir zu: „Quattro, piazetta!“, und lässt mich fassungslos zurück. Entsetzt greife ich vorn an meinen Hosenschlitz. Er ist noch offen. Hastig lege ich meine Hand davor.

Um vier Uhr auf der Piazza. Na, ob das was wird ...

Das erste Mal - La prima volta

Jetzt ist es auf der Piazza noch menschenleer. Die Leute, die aus der Funicolare kommen, zerstreuen sich in Windeseile. Sie wandern in alle Richtungen, und - genau genommen - sind es nur vier. Viele gehen zu Fuß in Richtung Marina Piccola, manche suchen die Kleinbusse auf, die sie zum Leuchtturm, zum Faro, bringen; oft nach Anacapri -dieselbe Richtung -zum Haus von Axel Munthe oder auf den Monte Solaro.

Die Busse zur Marina Piccola sind tagsüber gerammelt voll, junge Menschen, die kommen und gehen, ein Hin und Her, ein Folgen und verfolgt werden, ein Suchen und Finden, und irgendwo gibt es versteckte Grotten, Höhlen und Abseiten, zerfallene Häuser und unbewohnte Hütten, die einen kurzen Zwischenstopp erlauben, wo es dann passiert: Aufmerksam, oft zu hastig, aber kontrolliert.

Die Kondome unter den Sträuchern verraten, was sich abgespielt hat.

Ich blicke mich um. Die Cafés öffnen in wenigen Minuten. Ich setze mich auf die Treppe der Kirche S. Stefano gleich neben der Bank, die im ersten Stock liegt, schaue übers Wasser nach Neapel hinüber und träume.

Als wir damals hier Urlaub machten – ich war 17 Jahre - hatte ich zehn Tage verschlafen, nichts, auch gar nichts vom Treiben scharfer Männer und Frauen, Mädchen und Jungen, von Alten und Jungen mitbekommen.

Aber plötzlich zählte ich zu ihnen.

Ich wurde verführt.

Meine Bedenken waren von kurzer Dauer. Man wollte nichts weiter, als mich nehmen. Was ich gewähren ließ. Ohne Schutz! Heute unvorstellbar. Es war brutal, tierisch und wunderbar.

Ein Abenteuer, wie man es sich nicht sehnlicher wünscht.

Ich erinnere mich noch genau an die Uhrzeit.

Ich war schon morgens um sechs Uhr beim Jogging auf der Via Krupp1. Sie ist ein schmaler Pfad, eine in die Steilflanke des Monte Castiglione gesprengte Fußgängerserpentine von den Augustusgärten an der Bergspitze nach unten ans Meer. Kenner nennen sie den Faltenwurf.

Ich glaubte allein zu sein, die Luft war seidig und klar, die Temperatur angenehm, und die Vögel zwitscherten noch vor Vergnügen. Plötzlich zog man mich kurz hinter einer unübersichtlichen engen Kurve in eine Mauernische, uneinsehbar vom Weg, verdeckt durch eine ausladende Agave.

Ich leckte Blut.

Meine Turnhose lag im Nu auf der Erde, mein Körper am Bauchnabel über einen Ast gebeugt, nein, eher gezwungen, den Kopf nach unten gedrückt. Genau das hatte ich mir erträumt, -vorher erlebt in Filmen und im Fernsehen, die ich mir nachts heimlich ansah - von einem Kerl gebumst zu werden, den ich nicht kenne. Fremdheit, hatte ich gelesen, macht geiler,  und tatsächlich, meine Lust steigerte sich ins Unermessliche. Der fremde Schwanz im After, die wilden Stöße, ihr Abklingen und ihre Wiederholung, das Grunzen des Mannes, sein Hecheln und die Entladung, mein Gott, es war great.

Natürlich blieben wunde Stellen zurück, selbstverständlich war mein Oberkörper zerschrammt und mir tat der Hintern weh. Aber für diesen Fick hatte sich jeder  Schmerz gelohnt. Ich lief ins Hotel zurück, der Saft lief mir unterwegs aus dem Arsch die Beine herunter. Ich kam unentdeckt ins Foyer, eilte in mein Zimmer und duschte mich. Als ich zum Frühstück erschien, tat ich, als wäre nichts gewesen, doch meine kluge Mutter ahnte, dass etwas passiert sein müsste, sie wusste natürlich nicht was. Mein Strahlen verriet ihr ein Geheimnis.

Viel später wurde ich mir darüber bewusst, dass an diesem Morgen ein Grundstein gelegt worden ist, den ich bis heute beibehalten habe -nämlich Sex zu lieben, aber anonym, zwischendurch auf Parkplätzen, in Schonungen und Gärten, in Fahrzeugen, auf Bahnhöfen und Pissoirs zu suchen, ein Fremder zu bleiben und mit Unbekannten für Minuten Kontakt zu knüpfen. Sex ohne Verantwortung und in keinem Fall mit Bindungen, geschweige denn mit der Weitergabe von Telefonnummern und Namen.

Einmal und nicht wieder.

Ich weiß nicht, ob ich jemals einen Schwanz zweimal besessen hatte. Eigentlich hätte ich das bemerkt, denn das erste, was ich immer tue, ist, mir Form, Länge und Dicke einzuverleiben, zu verinnerlichen. Hände, Mund und Hintern erlauben eine genaue Registrierung. Nur so ist es möglich, seine Persönlichkeit unentdeckt zu lassen. Eine tief heruntergezogene Mütze und ständig anders gestylte Frisuren trugen bisher zu meiner bleibenden Anonymität bei.

Genau das ist der Aspekt, der mich wieder nach Capri geführt hat, und siehe da, gleich bei der Ankunft klappte er vorzüglich, allerdings will mich der Typ unbedingt wieder treffen.

Ich weiß nicht, ich weiß nicht ...

Soll ich meinen Grundsätzen untreu werden?

Endlich werden die Markisen ausgerollt, die Türen der Bars auseinandergeschoben, Tische und Stühle von den Seilen an ihren Beinen befreit. Ich setze mich ins Gran Café und bestelle einen Latte macchiato mit doppelten Espresso, schließlich muss ich mich nach der anstrengenden, schönen Bahnfahrt erholen.

Ob die Rückreisenden Spuren von mir entdeckt haben?

Ich bin aber wirklich eine Sau, mir im Abteil einen runterholen zu lassen -  sicher ist Sperma auf der Wand und dem Wagenboden gelandet - und dann abzuhauen. Wenn die Abteile wieder voller Menschen sind, wird irgendjemand voll geschmiert und jeder weiß, wie schwer das Zeug zu entfernen ist.

Von hier ist es zu meinem Hotel nicht weit. Ich habe dasselbe gewählt, das damals meine Ellies gefunden hatten. Ein Vier-Sterne-Hotel in bester Wohnlage, ruhig, in der Nähe des Klosters Certosa di San Giacomo, den Süden im Visier, Hotel LA VEGA, mit einem einzigartigen Swimmingpool und dem schönsten Blick aufs Meer, durch ein Piniental hindurch.

'Alle Räume verfügen über Balkons', heißt es im Prospekt, und das stimmt, bis auf Einzelzimmer zur Seite hin.

„Bon Giorno, Signore“, sagt ein Mädchen an der Rezeption.

„Kristoff Bergmann?“, fragt ein Mann neben ihr.

Man ist hier auf der Hut. Ein gutes Zeichen für den Service.

„Sì!“

Ich habe von vornherein ein Doppelzimmer gebucht. Wenn schon auf Capri, dann komfortabel! Wer hierher kommt und Geld sparen möchte, ist fehl am Ort. Alles ist aufregend und extrem teuer. Das Vergnügen aber kommt tausendfach zurück, jedenfalls hoffe ich das auch für dieses Mal, muss allerdings zugeben, dass mein Alter nicht mehr so aufreizend ist, meine Figur nachgelassen hat, mein Haarschopf dünner geworden ist und erste Falten mein Gesicht zeichnen. Dafür aber bin ich top gekleidet, modisch versteht sich, nicht elegant, aber sportlich. Sieht schon geil aus, hat mir neulich ein Junge gesagt, den ich vernascht habe. Ich stinke nicht vor Geld, aber ich bin tatsächlich verdammt wohlhabend.

Ein Anwalt lässt sich hoch bezahlen, wenn er gut ist. Das bin ich.

1 Via Krupp beschrieben in Sehnsucht nach Capri, Helge Classen, (S. 84 in der Printausgabe)

Ich will nicht - Non voglio

Mein Zimmer ist stattlich.

Die Koffer stehen bereits vor dem Doppelbett.

So ist es immer, wenn man Gast auf Capri ist, gebucht über Ischia-Reisen. Die Dinge sind bestens geregelt. Das erleichtert den Aufenthalt. Wirklich.

Ich ziehe die Veloursportieren zurück, die Schutz vor Hitze bieten sollen, dafür aber schwer, muffig und zu dunkel sind, öffne die Schiebetüren und lasse die seidene Mailuft der Frühe herein. Ein leichter Wind aus dem Tal trägt den Kieferngeruch der Pinien über den Balkon in meine Nase. Ich ziehe ihn genüsslich ein. Ich fand schon damals, dass den Capresischen Pinien ein besonders kräftiger Duft entströmt, der mich berauschte, und auch jetzt entfacht er in mir ein Wohlgefühl und Fantasievorstellungen. Vielleicht liegt das daran, dass ich unter einem solchen Baum voller Harz und Bienen einen italienischen Jungen verführte, Premiere sozusagen.

Ich war das erste Mal im Leben der Herr und er mein Diener.

Mein großer, halbrunder Balkon ist durch ein geschwungenes, verzinktes Gitter abgesichert. Es ist durch die Geranienkästen nicht zu übersehen. Ein Rundblick holt das Umfeld aus meinem Gedächtnis zurück. Ja, so habe ich alles in Erinnerung. Nichts hat sich verändert. Natürlich, die Bäume sind höher und ihre Zweige mächtiger geworden, und tatsächlich scheinen einige Dächer neue rote Ziegel bekommen zu haben.

Mich macht der Anblick glücklich.

Mein Blick geht jetzt über sie hinweg zum Swimmingpool. Noch zeigt sich kein Badegast, obwohl ein Teil der Liegestühle bereits den Sonnenstrahlen ausgesetzt ist. Das Ambiente um das Schwimmbecken und am noch nicht geöffneten Kiosk lässt keine Wünsche offen. Kennzeichen eines guten Hotels.

Nanu, da kommt ein Junge den Gartengang entlang, lässt seine Badetasche hin- und herschlenkern, schießt mal den linken, mal den rechten Latschen einige Meter nach vorn, schlüpft wieder hinein und beginnt das Spiel von vorn.

Übermut.

Ja, den hatte ich auch in seinem Alter.

Ich schätze ihn auf siebzehn oder achtzehn, und schon sehe ich mich in das Alter von ihm versetzt und nach Capri verschlagen.

Er scheint selbstbewusster zu sein, als ich es in seinem Alter war, denn er trägt ein durchsichtiges Hemd, eher Gaze, das seine Brustwarzen freigibt, schleicht selbstbewusst wie ein junger Leopard, was ich in keinem Fall war, hat muskulöse Arme, die mir noch fehlten, und – ich denke, ich sehe nicht recht – entledigt sich seiner Shorts mit einer stoischen Ruhe.

Da steht er nun, richtet sich in seiner ganzen Größe auf, tänzelt herausfordernd hin und her, hält ein und gleitet mit seinen Augen den makellosen Körper hinunter, spielt mit den Händen da herum, wo besser andere ihr Können praktizieren sollten, bückt sich -und mir wird ein knackiger, gebräunter Hintern vorgeführt, unbewusst selbstverständlich – greift in seine Badetasche, zerrt an Slips, die offensichtlich irgendwo festgehakt sind, und als er sie endlich in der Hand hat und sich wieder aufrichtet, ist Leben in seinen Schwanz gekommen. Schön gewachsen, wie ich das von hier oben erkennen kann. Hätte ich doch bloß schon den Koffer ausgepackt, ich hätte wenigstens mein Opernglas nutzen können.

Wie sich doch Jungen ähneln, ich war genauso, nur maßlos schüchtern.

Ein Ruf!

„Basti!“

Da erscheinen die Eltern auf der Fläche. Der Junge dreht sich abrupt um, steigt in den Slip, den er ausgebreitet auf die Fliesen gelegt hat, zerrt ihn links und rechts gleichzeitig hoch, spürt den Widerstand, reißt ihn mit Brachialgewalt über seinen Ständer und läuft seinen Ellies entgegen.

So hätte ich es auch gemacht, um den Alten jeden Blick zu verwehren, der mich verraten hätte.

Gott sei Dank hat er nicht mit bekommen, dass ich ihn beobachtete.

Wer weiß?

Als er die Alten erreicht, rufe ich mich zur Ordnung. Hier im Hotel, sage ich mir, spielt sich nichts ab, Enttarnung ist etwas, was ich nicht gebrauchen kann, sie geht in jedem Hotel rund, dafür sorgen Bedienstete, und außerdem verfluche ich Bindungen, die sich bei so einem jungen Mann - noch nicht trocken hinter den Ohren -leicht entwickeln. Soll ich etwa der Unglückliche sein? Einen Jungen am Hals haben, der mir keinen Freiraum lässt, mir die Luft zum Atmen nimmt?

Nein.

Anblicke: ja; Formen und Eleganz der Jugend genießen: ja; aber Tun? Nein, nein, nein.

Keine Intimitäten.

Nachdem ich meinen Koffer ausgepackt und die Sachen in Schränken, Schubladen und auf Konsolen verteilt habe, steige ich unter die Dusche. Weg mit den Spuren! Gucci Duschgel und Shampoo von Jil Sander, schließlich möchte ich den  Jungen da unten reizen. Den I-Punkt bildet ein Eau de Toilette, wieder von Gucci – herb, würzig männlich.

Dem Bengel werde ich’s zeigen!

Ich sehe schon den Weg durch die Rosenhecke vor mir, den ich stolzieren werde, ein bisschen gelangweilt, aber hellwach, hinter den Liegestühlen der Eltern vorbei, so dass ich ständig auf seinen Körper starren kann, der auf der anderen Seite des Pools allein liegt, eine einheimische Zeitung lässig unterm Arm, obwohl ich der italienischen Sprache beinahe unkundig bin, ein iPod sichtbar in den Bund geklemmt, eine runde Nickelbrille auf der Nase, eine unverschämte Armbanduhr von Michael Kors, die Haare leicht gestylt... ich weiß, was heiße Jungen in seinem Alter ersehnen. Wenn ich bei ihm angelangt sein werde, frage ich nach, ob neben ihm ein Platz frei sei. Eine unsinnige Frage, selbstverständlich, aber der erste Satz ist immer von ausschlaggebender Kontaktbedeutung.

Auch ich wünschte mir damals einen Typ, der zehn Jahre älter ist als ich es war – und ich sehe auch jetzt noch jung und drahtig aus, das ist nicht übertrieben, ehrlich - der mit einer scharfen Figur aufwartete, durch eine Riesenportion Selbstbewusstsein glänzte, hier und da ein Wort hinwarf, ständiges Lächeln andeutete und der trotzdem seine Pupillen nicht von mir ließ. Mein Tanga, den ich nur trug, wenn meine Eltern einen Ausflug machten, zog die Augen aller, Frauen und Männer, magisch an, auch stinknormaler Leute, denn erstens sind schöne Hintern für jeden reizvoll, zweitens sind Poritzen für manche die reinsten Magneten, weshalb ich des Öfteren um meinen Liegestuhl tippelte, und schließlich hatte ich meinen Schwanz und die Eier unverschämt drapiert. Man hätte meinen können, ich wäre ein durchtriebenes Luder, und doch steckte dahinter nur meine Unsicherheit, die ich zu verbergen suchte in der Hoffnung, dass man auf mich hereinfiel. Was nicht der Fall war. Im Gegenteil, im Hotel lehnten mich alle trotz ihrer verschämten Neugier ab.

Was für ein Pech - Che’ sfortuna

Das Bild der Terrasse ist farbenprächtig.

Viereckige, kleine Tische in azurblau, gelbweiß gestreifte Sonnenschirme, einige in türkis, auf den Teakholzliegen Bastmatten und überall kleine Abstellwägelchen mit zwei Etagen auf unterschiedlichen Ebenen.

Ein lustiges Bild, eine geschmackvolle Einrichtung, ein Klasse Hotel eben.

Ich bleibe am Ende der Rosenhecke stehen. Sie duftet betörend, stachelt mein Vorhaben an.

Basti entdecke ich sofort. Nimmt er mich auch wahr?

Natürlich!

Ich bin mir ganz sicher. Jungen sehen immer alles, wenn sie Sehnsucht haben. Und die hat er. Davon bin ich überzeugt. Wieso hätte er sich vorher sonst so hemmungslos nackt vor seinem Liegestuhl hingestellt, und wieso sollte er sich sonst von seinen Eltern getrennt hinlegen?

Meine schäbige Absicht hatte mich beim Auspacken meiner Sachen zum Nachdenken gezwungen. Ich sprach schon davon.

Meine anfänglichen Ideen zu meinem Aufzug fanden, als ich mich im Spiegel betrachtete, nicht meinen Beifall.

Ich änderte meine Pläne.

Provozierend soll das Outfit bleiben, aber noch herausfordernder als vorgesehen. Vielleicht macht ihn Männlichkeit an wie mich damals, als ich meine ersten Erlebnisse hatte. Keine Kopfbedeckung, die Haare aufgelockert mit Gel gehalten, eine knappe, rassige weiße Badehose, ein kurzer Bademantel aus glänzendem Material, irritierend bei Sonnenschein, lässig über die linke Schulter geworfen, sonst ein Hingucker, schlicht ausgedrückt.

Auffällig die Bewegungen: hier und da den Kopf zu den Blüten der Rosen neigen, das lässt einen Künstler vermuten; vorn am Terrasseneingang den Kopf in alle Richtungen langsam und hoch motiviert drehen, was den Genießer herauskehrt.

Und genau so gehe ich vor.

Ich lasse meine Blicke durchs Tal zum Meer hin wandern, von dort schaue ich lange nach oben zum Monte Solaro. Aber nicht, weil der Ausblick so himmlisch ist, ja, er ist es und ein bisschen stimmt ’s, nein, weil ich Basti dann beobachten kann. Das rechte Auge muss nur ein ganz klein wenig nach außen bewegt werden. Ein himmlischer Ausblick ... der Junge fällt drauf rein. Ich hab ’s geahnt. Er schaut in meine Richtung, muss offensichtlich erkannt haben, dass ich ihn ins Visier genommen habe und vertieft sich ängstlich wieder in seine Zeitschrift.

Ein Fall für mich.

Ich werfe mir meinen Bademantel über beide Schultern. Das Material glitzert in der Sonne.

Einen Abend, bevor er abreist, wird’s geschehen. Bis dahin lasse ich ihn zappeln. In den letzten Stunden seines Aufenthalts werde ich mir den Jungen vorknöpfen, ihn Mores lehren und mit fantastischen Eindrücken entlassen, die in ihm rumoren, die er sich sehnlich wiederholt wünscht.

Mein Vergnügen, meine Lust, und die ohne Verantwortung.

Adressen werden nicht ausgetauscht.

Sein Platz in der Nähe der Poolbar gefällt mir, neben ihm sind rechts und links die Liegen unbesetzt. Ein Stein fällt mir vom Herzen.

Auf seiner Ablage oben steht eine leere Flasche, darunter liegen Zeitschriften. Welches Getränk bevorzugt er? Darf er schon etwas Alkoholisches trinken? Mir wurde das nicht gestattet.

Außerdem ein iPod, wie ihn fast alle jungen Leute haben.

Die Eltern liegen auf der anderen Seite des Schwimmbeckens direkt am Gitter, das die Terrasse vom unteren Teil des Gartens trennt. Ich schreite vor ihnen vorbei: eine unausweichliche Änderung meines Planes. Fühle mich vor ihnen zwar lächerlich, aber Jungen mögen Überheblichkeit, und die trage ich zur Schau. Sehe mir seine Alten genau an. Man muss die Gefahren einschätzen, die man eventuell abwenden kann.

Sie hat Frau Aktuell in der Hand, er Sportbild. Na, ja ...

Ihr Badeanzug: ein schwarzes, einteiliges Modell. Lässt er auf ihre Einstellung schließen und auf den gesellschaftlichen Stand? Er schlabberige Shorts, Hawai-Look, mein Vater hatte solche.

Der Stern unter meinem Arm drückt mich. Auf die italienische Zeitung habe ich verzichtet. Nicht, weil ich die Sprache nur wenig beherrsche, sondern weil normales Papier ungeeignet ist, ein festes Journal zu verbergen.

Im Stern ist das Magazin Männer versteckt. Gute Fotos kann ich sofort und rechtzeitig aufschlagen, wenn es die Umstände erfordern. Vorher eingefügte Lesezeichen werden die beste Hilfe sein, die man in solchen Situationen braucht. Nicht erst langes Suchen, nein, gleich zeigen!

Eigentlich hätte ich das Wirtschaftsblatt Capital mitnehmen sollen, was meist Bewunderung hervorruft, aber man kann nicht alles zum selben Augenblick haben.

Ich komme an seinem Liegestuhl vorbei. Er sitzt breitbeinig da, wie sich das gehört, wenn ein Mann meines Schlages vorbeikommt. Was ich registriere, schafft mir Wohlbehagen. Ich öffne meinen Bademantel, für andere kaum erkennbar. Sein Kopf ist genau in Höhe meines Untergestells. Er muss es ansehen, ob er will oder nicht. Meinen Schwanz habe ich nach links gelegt. Er ist fleischig und deutlich sichtbar, der stramme Hautkontakt der Hose lässt keine Wünsche offen.

Warte Bürschchen, ich werde dich schon reizen!

Ich schließe kurz die Augen und stelle mir meine tastenden Hände vor. Sofort meldet sich mein Körper genau da, wo er es soll.

Verlegen blickt Basti in alle Richtungen. Klopft mit den Fingern auf die Lehnen, dreht sich zum Wägelchen und fummelt an den Ohr-stöpseln herum.

Ich weiß, Verlegenheit total ...

Das verstehe ich. Wie soll man auch auf einen Kerl reagieren, der vor einem mit einem Ständer steht? Und einem nicht zu kleinen.

Ich bücke mich etwas zu ihm.

„Ist die Liege hier noch frei?“ Diese Frage muss sein, so blöd sie sich auch anhört, weil er antworten muss.

„Sehn Sie doch selbst, oder?“ Kleine Giftnudel, denke ich, deine pampige Antwort verrät nur deine Unsicherheit, dein jetzt fehlendes Selbstbewusstsein. Warte nur ein Weilchen, du bekommst es, darauf kannst du dich verlassen!

Ich werfe meinen Bademantel auf die Rückseite des Liegestuhls und fläze mich auf seine Matte, die Beine über die Lehnen gelegt. Bastian wird sicher blind, wenn er sieht, was er sieht, denn ich habe eine volle Erektion

Kaum eingerichtet, öffne ich meine Illustrierte.

Nein, sage ich mir, lasse ihm ein paar Sekunden Zeit.

Sieh dich noch einmal um.

Das tue ich gegen meinen Willen nicht.

Ich will’s wissen!

Schon habe ich die Lesezeichen herausgezogen und das Magazin aufgeklappt. Mein Gott, da stehen die Gestalten in Wahnsinnsposen, einer zeigt mit seinem Arsch auf den Betrachter, der andere wirft ihm seinen Penis entgegen. Zwar nur mit halben Steifen, aber manchmal reicht auch dies. Dieses Mal lasse ich meine linke Iris zur entgegen gesetzten Seite des Tränenkanals gleiten: Bastis Hände zittern, seine Augenlider zucken, der Kopf springt zur Seite. Ist es mein Körper? Sind es die Fotos, die ihn anmachen?

Er ist aufgeregt, vielleicht durchgedreht, weiß nicht, was er tun soll ... nein ... doch ... er springt aus dem Stuhl, als sei er gestochen worden, und ohne sich nach links und rechts zu orientieren, ein Sprung ins kalte Wasser.

Ein Schreck überkommt mich. Der Pool ist noch nicht wärmer als 15 Grad, was ich von damals erinnere, mein Nachbar ist erhitzt. Was tun? Ich drücke mich auf den Holzlehnen hoch, gehe zum Rand des Schwimmbeckens, setze mich auf den Rand, benetzte Arme und Brust, schon bin ich drin.

Bastian ist nicht aufgetaucht.

Ich sehe ihn unter Wasser noch paddeln, die Kraft scheint nachzulassen. Ich packe seine Füße, drehe sein Körper und reiße den Kopf nach oben, greife unter seine Achsel und ziehe ihn über die Treppen nach draußen. Er atmet nicht. Im Nu war mir klar, zuviel Wasser geschluckt. Er ist ohnmächtig. Ich werfe mich auf ihn und presse mit beiden Händen seine Brust nach unten, Wasser spritzt aus seinem Mund. Jetzt beatmen. Ich höre von weitem Stimmen:

„Sie Schwein, meinen Sohn ...“

„Holen Sie einen Arzt!“, schreie ich. Der Mann verstand und verschwand.

Ihr Sohn kommt zu sich. Er hatte nur wenig Wasser geschluckt, allerdings genug, um beinahe ertrunken zu sein. Er sieht mich an. Ich pumpe noch einmal seinen Brustkorb. Er muss husten und spuckt den Saft aus.

Er lebt.

Sein Blick verrät Erstaunen. Nach einer Weile glaube ich so etwas wie ein Strahlen in den Augen zu erkennen. Sein Gesicht wirkt nun entspannt und unschuldig. Ja, diesen Jungen muss ich bumsen. Und er wird es zulassen.

Der Arzt ist da. Horcht Bastian ab. Gibt ihm zwei Nitrostöße, dann jagt er ihm eine Spritze in den Hintern.

Was für einen Po der Kerl hat! Einen, den Frauen und Männer lieben, den alle anfassen wollen, den man greifen kann, wo zupacken lohnt! Stramm und rund, ein Apfel ohne überflüssiges Gewebe und nicht zu ausladend. Ich weiß, dass ich ihn besitzen werde.

„Eine Stunde Ruhe, im Zimmer“, sagt er. Seine Mutter und er begleiten ihn ins Gebäude. Sein Vater kommt auf mich zu.

„Entschuldigung!“

„Schon gut!“

Ein Einbettzimmer - Una camera a un letto

Als ich auf die Uhr schaue, ist eine Stunde seit dem Vorfall mit Bastian vergangen. Ich hatte schon vorher mein Badezeug zusammengepackt und in die Badetasche befördert. Ich bin jetzt sozusagen reisefertig. Ich sehe die Eltern durch den Rosengang kommen und verlasse meine Liege und meinen Platz über einen anderen Ausgang, so kann ich ein Treffen mit ihnen umgehen. Ich habe keine Lust, mit ihnen zu reden. Ich kann mir vorstellen, dass sie mich einladen wollen, als Gutmachung gewissermaßen, und die kommt nicht in Frage oder nur, wenn es mir der Junge persönlich sagt.

Ich lande im Foyer und frage das nette Mädchen von vorhin, in welchem Zimmer der Junge liegt, und sie weiß sofort, um wen es sich handelt. Es hat sich also schnell herumgesprochen, dass ich rechtzeitig reagiert und geholfen habe.

Sein Zimmer liegt im dritten Stock. Ein Zufall, dass ich hier auch mein Quartier bezogen habe. Auf mein zurückhaltendes Klopfen höre ich:

„Herein!“

Wenn man jetzt mein Gesicht sehen würde. Es muss mich verraten. Ich schmunzle zufrieden, und das wirkt immer verdächtig. Sicher denkt Basti jetzt, dass seine Mutter zurückgekommen sei, Mütter haben so etwas an sich.

Vorsichtig öffne ich die Tür nur einen Spalt. Man muss die Neugierde anderer Menschen schüren, ausnutzen. Noch habe ich mich nicht zu erkennen gegeben.

Ich kann mir sogar vorstellen, dass er von mir träumt.

Entschuldigung, ich bin eitel, selbstbewusst geworden durch Männer, die mich wollten, selbstbewusster durch Erfolge, die ich im Beruf habe.

Dann stehe ich vor ihm. Erstaunen in seinen Blicken und seine Miene spiegelt Freude wieder, unverkennbar. Ich binde meinen Bademantel zusammen. Man muss nicht gleich mit allen Reserven aufwarten.

„Und?“, frage ich, „wie geht’s?“

Ein Honigkuchenpferd grinst mich an.

„Was soll schon sein?“, meint er mit fester Stimme. Sieh einer an, geht’s mir durchs Hirn, so schnell ist der Schock überwunden.

Er liegt unter einem Laken auf seinem Bett. Das ist breiter als das Einzelbett in meinem Zimmer für eine dritte Person, aber schmaler als ein Doppelbett.

Es wird ausreichen.

Ich habe das Gefühl, dass er nichts anhat.

Natürlich richte ich meine Augen sofort auf die Stelle, die für uns noch wichtig werden soll, und sie zeichnet sich durch das Gewebe hindurch ab, vergrößert sich, wächst zu einem kleinen Hügel heran, gleich wird’s ein Berg sein. Mir wird schon anders zumute.

Er ist tatsächlich scharf wie Nachbars Lumpi. Ich bin es auch. Soll ich die Gelegenheit beim Schopf ergreifen? Wieder muss ich innerlich lachen, und er wird’s aus meinem Gesicht ablesen. Seine zusammengekniffenen Augen, gerichtet auf die Landschaft seines Lakens, verraten Bastian bis in den letzten Winkel.

Schon will ich ins Bett springen ... Ich tue es nicht.

Aber ganz ungeschoren soll er auch nicht davon kommen. Ich hatte mir vorgenommen, ihn ständig zu reizen und möglichst stündlich mehr und mehr. Ich setze mich auf die Bettkante in Höhe seiner Schenkel, beuge mich über ihn, berühre kurz mit meinem Kinn seine Brust, richte mich sofort wieder auf - nicht zuviel des Guten! – streichle seinen Kopf und gehe mit den Fingern über seine Stirn.

„Ich bin froh“, sage ich, „dass ich hinterhergesprungen bin!“

„Ich auch!“, äußert er lächelnd und ein bisschen verklärt. Ich glaube, er sieht uns schon im Bett rangeln.

Das Zimmer ist klein, liegt an einem Treppenaufgang draußen, der offensichtlich zu Häusern ins Tal führt. Auf der anderen Seite die Wand des Hotels Vineta. Kein Mensch von drüben kann in dieses Zimmer schauen, offenbart mir mein Scharfblick. Was für ein Glück.

Liebe braucht Luft und Licht.

Eine meiner Überzeugungen.

Ein kurzer Blick an die Decke macht mich staunend. Da hängt tatsächlich ein Spiegel, ein Spion für eigene Belange. Genau über dem Bett. Welcher Casanova hat sich diesen anfertigen lassen? Oder war es gar eine Verführerin? Welcher der Mitarbeiter hat vergessen, ihn abzunehmen?

Wieso gerade in diesem Zimmer, in meinem fehlt er – und da gehört er doch eindeutig hin – der hilft, die richtigen Dinge im richtigen Augenblick zu tun. Mein Schwanz ist bei diesen Gedanken schon wieder oben, reibt empfindlich an der engen Badehose. Ich erhebe mich, tue so, als ob ich meinen Mantel zurecht ziehe, dabei öffne ich ihn vielmehr, greife einmal ins Gemächt so als ob ich die edlen Partien einsammle und schiele auf den Jungen, der meine Bewegungen mit gierigen Augen verfolgt. Er verschlingt mich förmlich.

Stell deine Wünsche noch zurück, mein Kleiner, wir schaffen es noch.

Gleich wird er’s mit mir treiben! Denkt Bastian, seinen Gesichtszügen nach zu urteilen. Wie recht hat er, denn meine Lust auf ihn ist phänomenal.

Der Junge richtet sich auf.

„Ich heiße Kristoff!“, sage ich und reiche ihm meine rechte Hand.

„Bastian!“ Und wieder dieses Lächeln, das mich umwirft. Es ist fröhlich, auffordernd und ein bisschen verschlagen.

Das Zimmer ist spartanisch, ausgestattet nur mit einem Bett, einem Nachttisch und einer Anrichte. An einer Wandseite steht noch ein Stuhl zur Kleiderablage. Hemden und Anzüge hängt man an Haken auf. Kein Bild und keine Sonne. Ich hasse Zimmer ohne ihre Strahlen, die optimistisch machen, auch lustig und sie sind in manchen Dingen, die passieren, ein hilfreicher und fröhlicher Begleiter. Die Sonne ist wahrer Bloßsteller, ein Enttarner. Kein Härchen bleibt unentdeckt, kein Fältchen kann sich verkrümeln. Darum liebe ich sie.

Am liebsten würde ich mich jetzt an ihn schmiegen, ihn streicheln, mit der Zunge über sein Gesicht fahren, seine Wimpern lecken, mit den Fingern über seinen Nasenrücken wandern ...

Ich schaue auf die Uhr. Es ist nach vier.

Herrgott, meine Verabredung!

Ich muss los.

Statt weiter zu träumen, raffe ich mich auf, eile zur Tür, da ruft Bastian hinterher:

„Kann ich mir den Stern ausleihen? Es ist ziemlich langweilig hier.“

Ich reiche ihn rüber!

Angebissen, denke ich und verschwinde.

Auf dem Umberto (I) Platz - In Piazza Umberto I

Ich bin inzwischen auf der Piazza angelangt. Winzig ist ihre Fläche, faszinierend sind ihre Cafés, hübsch ihre Markisen und Sonnenschirme, atemberaubend das Treiben. Sie ist Mittelpunkt der Insel. Weltbekannt.

Nirgendwo wird mehr getratscht und gelästert als hier. Inselbesucher, Urlauber und Einheimische müssen sie täglich überqueren, ob sie wollen oder nicht. Von hier führen alle Wege an jeden Ort dieses Kleinods.

Es ist Nachmittag.

Ich bin zur Verabredung zu spät.

Menschen wogen nach Norden und Süden, nach Westen und Osten, kaum ein Stein kann zur Erde fallen. Ich werde mitgerissen, dann geschoben, sehe mich wenig später in einer winkligen, engen Gasse wieder, die ich gar nicht aufsuchen wollte, finde in einer Rechtsbiegung einen Abzweig, der wiederum zur Piazza führt. Genauso machen es die Leute, sie passieren die vier Cafés der malerischen Stätte mehrere Male. Ihre Hoffnung, einen Sitzplatz zu finden. Ein trügerisches Unterfangen. Die, die an den kleinen Tischen und Korbstühlen Platz gefunden haben, bleiben. Denn wo kann man den Luxus besser beobachten als hier und wo lässt es sich über ihn besser auslassen als bei einem Cappuccino oder Latte macchiato, Campari oder Vino rosso? Natürlich gibt’s auch Eis, die Kugel drei Euro, versteht sich. Außerdem wird man selbst gesehen. Aufgetakelt telefoniert man lässig, möglichst gleichzeitig mit zwei Handys, genießt die gierigen Blicke der weniger Betuchten und nickt und winkt überlegen Bekannten zu. Dass die Jugend hier ihre Opfer findet, wer wollte das bestreiten? Und da es seit Jahrhunderten so gewesen sein soll, könnte der Platz Bände sprechen.

Ich recke meinen Hals. Vielleicht steckt meine Bekanntschaft irgendwo unter einer Markise. Nein, nichts ...

Ein Stau! Es geht nicht mehr voran. Verflucht ... 

Ich erinnere mich plötzlich an einen Fremdenführer, der uns auf einer Stadtbesichtigung die Geschichte der Insel erläuterte. Zum Zeitvertreib rufe ich mir weltbekannte Namen ins Gedächtnis zurück: Augustus, Tiberius, Caligula – pure Vergangenheit -, Graf Fersen, Roger Peyrefitte, Rainer Maria Rilke, Gerhardt Hauptmann, Maxim Gorki, Lenin, Oscar Wilde – fast noch Gegenwart.

Der Menschenpulk setzt sich in Bewegung.

Die Gegenwart ist wieder angesagt. Sie heißt, den Italiener suchen! Diesen Jüngling von der Funicolare.

Nichts.

Er ist nicht mehr da. Bestimmt nicht. Er hat sicher die Flinte ins Korn geworfen. So attraktiv bin ich nicht, so jung auch nicht, und dann noch warten? Nein, er wird das Weite gesucht haben.

Ein letzter Versuch. Vielleicht habe ich ihn übersehen.

Ich beschließe mich nochmals über den Platz schieben zu lassen, das Gässchen aufzusuchen, zurückzukommen und an den vorderen Reihen der Bistros vorbeizumarschieren.

Gleichzeitig befehle ich mir energisch, genauer hinzusehen, anders, scheint mir, kann ich mit mir selbst nicht umgehen.

Hat er nicht schwarzes Haar? Gekräuselt?

Mann, fast alle Südländer haben dunkle Haare! Außerdem Locken. Was hat er an? War es nicht etwas Hellblaues? Richtig, ein türkisfarbenes Unterhemd mit Fadenträgern.

Nirgendwo ein Kleidungsstück in dieser herausfordernden Farbe, weder im Café Tiberio, noch im Gran Café, in den beiden übrigen ebenso.

Geht da nicht jemand die breite Treppe zur Kirche hoch, dessen Hemdfarbe der von heute Morgen entspricht? Mein Herz jubelt ... Unsinn, es ist etwas anderes, was kaum jubeln kann, aber sich erregt. Ein untrügliches Zeichen, oder ...?

Kristoff, nimm dich zusammen!

Ich kann mich nicht aus dem Pulk lösen, so ein Ärger! Körper an Körper wälzt sich an den sitzenden Leuten vorbei. Ich höre Handys klingeln, Rufe der Kellner, Reden der Menschen, Schreien der Kinder und Winseln von Hunden.

Endlich erreiche ich die erste Stufe.

Schlängele mich durch die dahin gegossenen, fast liegenden Halbstarken, durch die beinahe aufeinander hockenden Jungen und Mädchen nach oben. Der Italiener ist weg.

Ich drehe mich im Kreis. Welche Richtung hat er eingeschlagen? Ach Gott ja, es gibt nur zwei. Rückwärts nach unten und vorwärts nach oben. Links von mir der Kirchturm, der mir immer schon mit seinem weißblaugelben Ziffernblatt imponiert hat, rechts das frühere Rathaus. Fast habe ich das Gefühl, dass die Kirche zu seinem Unterschlupf geworden ist, die Kirche San Stefano, denn so schnell kann man sich nicht entfernen.

Die hohe Tür mit der Klinke in Brusthöhe ist leicht zu öffnen. Als ich eintrete, beginnt ein Jugendchor auf der Empore piano zu singen. Das hört sich feierlich wie ein Halleluja an. Ob mir das gilt?

Ein abruptes Einhalten des Gesangs folgt unmittelbar. Man hört den Kantor schimpfen. Sonst Stille.

Ich blicke mich im Kirchenschiff um. Der Harfe spielende Engel auf einem Gemälde über dem Hochaltar lockt mir nur ein müdes Lächeln ab.

Wo hat sich mein ragazzo (junger Mann) versteckt?

In der Seitenkapelle rechts vom Altar nur zwei Grabmäler. Hat er sich hinter sie gehockt? Ich schleiche um sie herum. Fehlanzeige.

Ich beachte die Gnadenbilder mit den brennenden Kerzen davor nicht. Sie sind für mich uninteressant. Mich interessiert nur mein Opfer. Aber wo kann ich es finden?

Schon will ich die Kirche trotz der Ruhe, die sie ausstrahlt und der Gemütlichkeit, die sie umgibt, verlassen, da fällt mein Blick auf einen antiken, geschnitzten Beichtstuhl rechts am Ausgang in eine Ecke gepresst.

In seiner Mitte ein Vorhang vorn. Dahinter der Raum für den Beichtvater, beidseitig eine Gittertür, hinter der die Gläubigen ihre Sünden gestehen ...

Und während ich mich auf ihn zu bewege, bemerke ich, wie sich der rote Samt leicht öffnet. Ein Lächeln überzieht mein Gesicht. Hier also hat er sich versteckt! Was für eine kluge Wahl. Unerwartet stimmt der Chor von neuem an, leise von der Orgel begleitet.

Ein erhabenes Gefühl überkommt mich, dann plötzlich Furcht.

Wird uns Gott das Treffen unter seinem Schutz verzeihen? Ich wende mich noch einmal den singenden Knaben zu. Voller Konzentration haben sie ihre Augen auf die Handbewegungen des Chorleiters gerichtet. Sie werden mich nicht bemerkt haben.

Ich ziehe den Stoff sanft auseinander, hüpfe mit beiden Beinen in dieses winzige Verließ, und ziehe ihn schnell wieder zu.



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