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Die Kunst, wie man sich nicht entschuldigt, ist ein hehres Gut. Politiker, Manager, Kirchenvertreter und viele andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens beherrschen diese Kunst in Perfektion. Korruption bei der Maskenbeschaffung? Nie passiert. Nicht genug Impfstoff? Tut uns leid, lässt sich aber nicht ändern. Milliarden mit der geplanten Autobahnmaut versenkt? Nicht meine Schuld. Was soll die ganze Aufregung? Mit einem Augenzwinkern und viel Humor vereint Mario Herger in "Sorry, not sorry!" kompakt alle Tricks und Taktiken der Nicht-Entschuldigung. Herausgekommen sind 48 Kunstgriffe, sich selbst und das eigene Versagen in einem besseren Licht dastehen zu lassen. Lernen Sie von den Besten und werden auch Sie ein Meister darin, sich nicht zu entschuldigen.
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Seitenzahl: 167
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DR. MARIO HERGER
Die Kunst, wie man sich nicht entschuldigt
Copyright 2021:
© Börsenmedien AG, Kulmbach
Gestaltung Cover: Johanna Wack
Gestaltung und Satz: Daniela Dittrich
Vorlektorat: Diane Kieselbach
Korrektorat: Claus Rosenkranz
Druck: CPI books GmbH, Leck, Germany
ISBN 978-3-86470-783-4
eISBN 978-3-86470-784-1
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Für Gabriel, Darian und Sebastian.And for May Kou.
Einleitung
Kunstgriffe der Nicht-Entschuldigung
Kategorie I – Nichts ist passiert
Kategorie II – Es ist etwas passiert
Kategorie III – Keine Ahnung, was die Aufregung soll
Kategorie IV – Kontrafaktische Taktiken
Kunstgriffe, um den Spieß umzudrehen
Kategorie I – Vorwürfe
Kategorie II – Verbesserung
Kategorie III – Tatsachen
Conclusio
Eine entschuldigte Tradition
’tschuldigung, bevor Sie gehen, es gäbe noch eine Danksagung
Literatur und Referenzen
„Man gebe mir sechs Zeilen, geschrieben von dem redlichsten Menschen, und ich werde darin etwas finden, um ihn aufhängen zu lassen.“
Kardinal Richelieu
Dieses Buch nimmt man nicht so einfach in die Hand. Dazu muss mindestens einer von drei Gründen vorliegen. Entweder hat man Mist gebaut und sucht nach Rat, wie dieser beseitigt werden kann. Oder man kennt jemanden, der Mist gebaut hat, und möchte verstehen, wieso der Mist so stinkt. Oder das Buch wurde einem von jemandem geschenkt, der dezent oder weniger dezent darauf hinweisen will, dass Mist gebaut worden ist. Doch woher kommt nun eigentlich der Mist? Und vom wem? War da nicht was? Vielleicht dieses? Oder jenes? Kann doch gar nicht sein …
Wer kennt das nicht? Mittendrin bei wichtiger Arbeit oder in einer hitzigen Diskussion mit engstirnigen Kontrahenten entfährt einem ein Kommentar, der die Bedeutung des eigenen Handelns und die geistige Unterbelichtung der Umgebung betont. Wie können die anderen nur so verbohrt sein? Wieso glauben manche, auf ihre Meinung lege irgendjemand wert? Furzt da etwa gerade ein Mammut oder spricht da wirklich ein Untergebener und stört mich, das Genie? Und wer ist das überhaupt? Ein Kunde mit Ansprüchen? Ein Wähler mit Forderungen? Eine Schäfchenherde, die meine Auslegung von Gottes Worten in Zweifel zieht?
Als wäre beruflich nicht schon Stress genug, lastet auch noch der Druck der privaten Beziehung(en) auf einem. Wer versteht nicht, dass ein gelegentliches Aufbrausen reinigende Wirkung haben kann? Dass dieses wieder Ruhe und Harmonie in die natürliche Ordnung bringt? Es gibt immerhin Wichtiges zu tun. Die Delle ins Universum machen, zum Beispiel. Und wo gehobelt wird, fallen Späne. Mit anderen Worten: Wo viel Licht, da ist auch viel Schatten. Doch entschuldigt sich etwa die Sonne für den Schatten? Eben!
Nur wer nichts macht, macht keine Fehler. Entschuldigung, aber das ist so.
Der Duden definiert „entschuldigen“ als wegen eines fehlerhaften Verhaltens den davon Betroffenen um Nachsicht, Verständnis, Verzeihung bitten. Eine Entschuldigung umfasst somit eine Begründung, Rechtfertigung für einen Fehler, ein Versäumnis; Nachsicht, Verständnis für jemandes fehlerhaftes Verhalten.
Das englische Wort „apology“ kam Mitte des 16. Jahrhunderts auf und wurde zur Bezeichnung einer formellen Verteidigung gegen eine Anschuldigung verwendet. Das Wort wiederum kommt über das Spätlateinische aus dem Griechischen „apologia“ und beschreibt „eine Rede zur eigenen Verteidigung“.1
Ein enger Verwandter der Entschuldigung ist das Bedauern, bei dem etwas als unerfreulich oder schade empfunden wird. Man empfindet dabei Mitgefühl oder Mitleid mit jemandem.
Öffentliche Entschuldigungen sind so rar, dass, wenn sie einmal passieren, sie das Feuilleton aus der Ruhe bringen und die Aufmerksamkeit des Landes auf sich ziehen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel verursachte solch ein kleines Beben, als sie nach einem Rückzieher für einen geplanten weiteren Corona-Lockdown zu Ostern 2021 nicht nur die Verantwortung für die Fehlentscheidung übernahm, sondern sich dafür sogar entschuldigte.2
[…] Um es klipp und klar zu sagen: Die Idee eines Oster-Shutdowns war mit bester Absicht entworfen worden, denn wir müssen es unbedingt schaffen, die dritte Welle der Pandemie zu bremsen und umzukehren. Dennoch war die Idee der sogenannten Osterruhe ein Fehler. Sie hatte ihre guten Gründe, war aber in der Kürze der Zeit nicht gut genug umsetzbar, wenn sie überhaupt jemals so umsetzbar ist, dass Aufwand und Nutzen in einem halbwegs vernünftigen Verhältnis stehen.
[…] Und auch um ein Zweites klipp und klar zu sagen: Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler, denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung. Qua Amt ist das so, also auch für die am Montag getroffene Entscheidung zur sogenannten Osterruhe.
[…] Und es ist mir wichtig, das auch hier zu sagen: Ein Fehler muss als Fehler benannt werden und vor allem muss er korrigiert werden und wenn möglich hat das noch rechtzeitig zu geschehen.
Gleichwohl weiß ich natürlich, dass dieser gesamte Vorgang zusätzliche Verunsicherung auslöst. Das bedauere ich zutiefst und dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung. Diese zusätzliche Verunsicherung bedauere ich umso mehr, als wir uns, dabei bleibt es leider, mitten in der durch die Mutation ausgelösten dritten Welle der Pandemie befinden.
So ungewöhnlich war eine öffentliche Entschuldigung eines Politikers, und nicht nur irgendeines, sondern der Bundeskanzlerin, dass das Feuilleton sich mit grandiosen Worten überschlug. „Historische Erklärung“, schnaufte atemlos die Süddeutsche Zeitung. „Das gab es noch nie“, räsonierte Die Zeit.3 Nicht alle waren so einfältig wie die Kolumnisten dieser Blätter. Messerscharf erkannte der Tagesspiegel, dass sich Merkel nicht nur für den „falschen Fehler“ entschuldigt hatte, sondern dass es sich auch um ein „durchsichtiges politisches Manöver“ gehandelt habe.4 Der Spiegel bekrittelte und bewunderte zugleich Merkels Entschuldigung als „störrische Tapferkeit“. Störrisch wie bei einem Esel.5 Doch eine Entschuldigung birgt immer ein Risiko. Das Echo der Mikrofone war noch nicht verstummt, als schon die ersten Rücktrittsforderungen laut wurden.6
Schon andere deutsche Titanen erkannten ganz genau, wie Zögern und Zaudern, Rückzieher und Entschuldigungen die wirklichen Probleme erst eigentlich schaffen. Friedrich der Große postulierte seine Philosophie:
Seien Sie fest in Ihren Entschlüssen! […] Wägen Sie das Für und Wider vorher ab: Aber wenn Ihr Wille einmal erklärt ist, so gehen Sie um alles in der Welt nicht mehr davon ab.
Diese Tradition setzte die DDR mit dem Mantra „Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs’ noch Esel auf“ fort. Und Erich Honecker hatte recht. Nicht Ochse und Esel taten es, sondern letztendlich ein gegängeltes Volk, dessen Politiker sich niemals entschuldigen mussten, auch wenn die Fehler noch so offensichtlich und folgenreich waren.
Dabei haben politische Entschuldigungen eine lange Tradition. Das Institute for the Study of Human Rights (ISHR) der Columbia University pflegt eine ausführliche Liste politischer Entschuldigungen, von Staatenlenkern bei anderen Staaten, Bevölkerungsteilen oder Einzelpersonen.7 Die älteste der aktuell 755 aufgezählten Entschuldigungen stammt aus dem Jahr 1077. Es ist der „Gang nach Canossa“. Drei Tage lang kniete Heinrich IV. barfuß und im Büßerhemd im Schnee vor den Toren der Burg Canossa, um den Machtkampf mit Papst Gregor VII. beizulegen und den Kirchenbann aufzuheben. Etwas übertrieben, aber es waren andere Zeiten.
In dieser Liste der Entschuldigungen findet man historisch distanzierte Vergebungsversuche. Nicht die eigentlichen Schuldigen, sondern deren Nachfolger, und das teilweise erst Hunderte Jahre später, gestanden eine Schuld ein. Willy Brandts Kniefall in Warschau war eine Geste für das Fehlverhalten unserer Vorfahren. Papst Johannes Paul II. entschuldigte sich mickrige 359 Jahre später für den Hausarrest bei Galileo Galilei, den das jetzt aber nicht mehr juckt.
Die Notwendigkeit, sich entschuldigen zu müssen, ist, wie wir bereits bemerkt haben, keine Erfindung der Neuzeit oder gar der westlichen Welt. Schon Trunkenbolde im alten China hatten nach einer durchzechten Nacht einiges zu bereuen, auch wenn man sich nicht immer erinnern konnte, wen man wie beleidigt hatte. Wie bequem war es da, wenn die Tavernen entlang der Seidenstraße gleich Vorlagen mit Entschuldigungsfloskeln zum Kauf anboten, die man nur abschreiben, den Namen des Beleidigten einsetzen und dann unterschreiben musste. Solche Vorlagen wurde in der kleinen Oasenstadt Dunhuang in der Provinz Gansu ausgegraben. Das dortige „Amt für Umgangsformen“ stellte diese Entschuldigungen aus und den beleidigten Gastgebern auch direkt zu. Sie fanden vor allem bei den lokalen Beamten und Durchreisenden reißenden Absatz, die scheinbar regelmäßig über die Stränge geschlagen haben mussten.8
Abbildung 1: Entschuldigungsvorlage aus Dunhuang, 856 A. D.
Wie klingt solch eine Entschuldigung? Der abgebildete Text aus dem Jahr 856 A. D. sagt Folgendes:
Gestern, nachdem ich zu viel getrunken hatte, war ich so berauscht, dass ich alle Grenzen überschritt; aber keine der unhöflichen und groben Ausdrücke, die ich benutzte, habe ich in einem bewussten Zustand geäußert. Am nächsten Morgen, nachdem ich andere über das Thema sprechen hörte, wurde mir klar, was geschehen war, woraufhin ich von Verwirrung überwältigt und bereit war, vor Scham in die Erde zu sinken.
Abbildung 2: Gesamte Rolle einer Entschuldigungsvorlage aus Dunhuang, 856 A. D.
Vor Scham in die Erde versunken ist vermutlich niemand. Wer hätte denn sonst die Vorlagen ausfüllen sollen? Eine ganze Rolle mit Entschuldigungen für unterschiedliche Situationen wurde entdeckt und die Länge deutet auf viele Grobheiten im Suff und damit eine erhebliche Entschuldigungsnotwendigkeit hin.
Entschuldigungen können eine Kultur definieren und keine hat das mehr formalisiert als Japan. Gleich 20 Formen der Entschuldigung listet die BBC auf.9 Dies wurzelt im Verlangen der Gesellschaft nach Harmonie. Es ist unbedingt zu vermeiden, dass man den anderen zu einer Belastung – meiwaku () – wird. Und das lässt sich nie wirklich vermeiden, die Welt ist darauf ausgelegt, dass wir zur Nervensäge werden. Vom häufig angewandten sumimasen (), das verwendet wird, wenn wir in der U-Bahn an jemand vorbei oder die Aufmerksamkeit des Kellners erhaschen wollen, über das eher formale mōshiwake nai (), das man im Umgang mit Kunden oder Geschäftspartnern verwendet und was eigentlich darauf hinweist, dass es keine Entschuldigung dafür gibt, bis hin zum im Familien- und Freundeskreis verwendeten, sehr informellen gomen’nasai () reichen die Entschuldigungen.10 Speziell bei sehr formellen Entschuldigungen, denen ein großes Verschulden vorangeht, sind tiefe Verbeugungen in aller Öffentlichkeit angebracht. Das Sahnehäubchen stellt ein tränenüberströmtes Gesicht dar. Übertreiben darf man es allerdings auch in Japan nicht. Ein japanischer Politiker, der Steuergelder für fast 200 Ausflüge mit einer jungen Dame in einen Thermalkurort verwendet hatte, fiel seinen Landsleuten durch wirres Gefasel und übertriebenes Schluchzen während seiner dreistündigen Entschuldigungspressekonferenz unangenehm auf.11
Man erkennt sofort, dass Entschuldigungen in anderen Kulturen körperliche Herausforderungen darstellen können. Nicht jedem in der westlichen Welt gelingt es so einfach, eine tiefe Verbeugung zu machen, ohne ins Schnaufen zu kommen oder überhaupt über den vorgelagerten Wanst hinweg die eigenen Füße zu sehen, speziell wenn die eigenen Verfehlungen auf überzogenen Spesenabrechnungen von 3-Sterne-Restaurants basieren.
Aber lassen wir lieber die ferne Vergangenheit und fremde Kulturen mit ihren merkwürdig anmutenden Entschuldigungsritualen hinter uns. Was zählt, ist das Hier und Jetzt und wie wir solch demütigende Szenen vermeiden können. Nein, natürlich nicht, indem wir uns erst gar nichts zuschulden kommen lassen. Ha, wer kommt denn auf solche Ideen? Journalisten etwa? Wir wollen uns nun ausführlich damit beschäftigen, wie wir uns nachträglich herauswinden können.
Irgendwie ist es schon frustrierend, dass gerade jene, in deren Abwesenheit wir ordentlich über sie herziehen, so wenig zu ihrer Entschuldigung zu sagen haben.
Ernst Ferstl
Es gibt zwei beneidenswerte Kategorien von Menschen, die die Kunst der Nicht-Entschuldigung auf die Spitze getrieben haben: Beamte und Kabarettisten. Erstere haben einen unfairen Vorteil. Sie brauchen sich nicht entschuldigen, weil Kraft ihres Amtes jede ihrer Handlungen berechtigt ist. Auch die ungerechten.
Deutsche Polizeibeamte, die einen schwarzen Lehrer in seiner eigenen Schule mit vorgehaltener Dienstwaffe anhalten, weil eine Passantin ihn für einen Einbrecher gehalten und die Polizei verständigt hatte, müssen sich nicht entschuldigen.12 Auch wenn sich der Hamburger Lehrer Philip Oprong Spenner schon etwas unwohl fühlte, als er mehrere Pistolen auf sich gerichtet sah. Es dauerte 38 Minuten, bis er das Misstrauen der Amtshandelnden zwar nicht beseitigen, aber doch verringern konnte – und bis sie ihm glaubten, dass er wirklich Lehrer ist. An dieser Schule. Wer kann schon ahnen, dass es Lehrer mit dunkler Hautfarbe gibt? In Deutschland noch dazu! Da war aber etwas, was Lehrer Spenner erst später bewusst wurde: Er ist nie in den Genuss einer Entschuldigung wegen des offensichtlichen Missverständnisses gekommen. Laut Polizei besteht dazu auch keine Notwendigkeit. Eine Amtshandlung auf Verdacht ist genauso zulässig wie eine ohne Verdacht.
In den USA sind solche Amtshandlungen gang und gäbe. Die Polizei rückt dort beim kleinsten Verdacht eines Drogengeschäfts mit der ganzen Kavallerie an, sprengt die Tür auf, dringt in ein Haus ein und fesselt angetroffene Bewohner, ob bekleidet oder nicht, an Heizkörper, um dann die Unterkunft in Ruhe nach Drogen durchsuchen zu können. Und wir raten richtig: Sollte man irrtümlich in das falsche Haus eingedrungen sein, ist keine Entschuldigung notwendig – und die Polizei übernimmt auch keine Kosten für entstandene Schäden. Die eingedrückte Tür und die verwüstete Wohnung werden nicht mit Steuermitteln repariert. Dem Steuerzahler gegenüber steht die Polizei schließlich in der Verantwortung!13
Die Hamburger Polizei zeigte sich übrigens generös. Als bürgernahe Behörde gab es zwei Monate nach dem Vorfall – und sicherlich nicht aufgrund eines kritischen Berichts in der Hamburger Morgenpost – bei Lehrer Spenner einen Anruf des Polizeichefs, der sich entschuldigte. Eine nette Geste, die zeigt, dass auch Beamte für ihre Bürger schon einmal die Extrameile gehen.14 Dabei müssen wir den Beamten schon zugutehalten, dass ein Lehrer, der an einem Sonntag(!) in der Schule anzutreffen ist, höchst verdächtig wirkt.
Nicht jeder von uns befindet sich in der glücklichen Lage, eine schon per Definition „entschuldigungsbefreite“ Amtshandlung vornehmen zu dürfen. Kabarettisten, Satiriker und sonstige Spaßvögel beispielsweise stehen am anderen Ende des Spektrums. Der Kern ihrer Existenz ist, etwas auszusprechen, wofür sich der Rest der Menschen ständig zu entschuldigen hätte. Kabarettisten aber kommen ungeschoren davon, zumindest in diesem Leben.
Verstorbene erfahren vom heiligen Petrus, dass sie für jede Lüge und Beleidigung, die sie in ihrem Leben geäußert haben, noch einen Nadelstich erhalten werden, bevor sie in den Himmel Einlass finden. Die erste Sünderin tritt vor und Petrus fragt sie: „Schwester, was war dein Beruf?“
„Heiliger Petrus, ich diente auf Erden unserem Herrn als Nonne …“
„Dann gibt es einen Nadelstich für dich, Schwester“, sagt Petrus und schickt sie weiter. Der nächste Sünder tritt vor.
„Bruder, was war dein Beruf?“, fragt ihn Petrus.
„Ich war Kabarettist“, antwortet dieser.
Petrus wendet sich nach hinten und ruft: „Bringt die Nähmaschine!“
Zu den zwei Kategorien von Menschen stößt neuerdings immer häufiger die Kategorie Unternehmer hinzu. Diese haben in ihrer kapitalistischen Profitgier die unangenehme Tendenz, anderen gelegentlich Schaden zuzufügen. Eine kleine Ölverschmutzung hier, eine Schummeleinrichtung dort, ein Bestechungsskandal da oder eine Firmenparty mit bezahlten Prostituierten im Geheimen. Unverständlich dann eigentlich, dass die Geschädigten Schadenersatz oder irregeführte Kunden Entschuldigungen einfordern, wo doch alles nur zum Rundlaufen der Wirtschaft geschehen war. Ein deutsches Unternehmen spielte da ganz vorne mit und sah sich 2016 gezwungen, eine Entschuldigung in Form einer ganzseitigen Anzeige zu veröffentlichen:15
Wir wissen, dass es um mehr geht als nur die Umrüstung von Motoren.
Es gibt nichts Wichtigeres für eine Marke als Vertrauen. Vertrauen kann man nicht durch Schnelligkeit herstellen. Sondern durch Gründlichkeit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit. Durch all das, was Sie zu Recht von Volkswagen erwarten.
Wir haben gründlich gearbeitet. Und können jetzt sagen, was wir gern eher gesagt hätten:
Wir haben bereits erfolgreich mit der Umrüstung der betroffenen Dieselmotoren, Baureihe EA 189, begonnen.
In enger Absprache mit den zuständigen Behörden haben wir zuverlässige und erprobte technische Lösungen entwickelt. Die EA 189-Dieselmotoren mit 1,2 und 2,0 Litern Hubraum bekommen ein Software-Update. Bei den 1,6-Liter-Motoren wird zusätzlich ein sogenannter Strömungsgleichrichter im Luftansaugtrakt eingesetzt – dafür ist kein Eingriff in den Motor notwendig. Die reine Arbeitszeit für diese Maßnahmen beträgt deutlich weniger als eine Stunde. Die Kosten für die Umrüstung übernehmen selbstverständlich wir.
Die ersten Umrüstungen haben bereits begonnen – mit dem Resultat, dass keine Veränderung der Leistungsdaten, der Geräuschemissionen, der Steuereinstufung oder der Verbrauchswerte bei der vorgeschriebenen NEFZ-Messung festzustellen waren. Dieses Ziel verfolgen wir bei allen weiteren Umrüstungen natürlich ebenfalls.
Wir bitten um Verständnis, dass sich nicht alle Fahrzeuge zur gleichen Zeit Umrüsten lassen, sondern dass wir schrittweise vorgehen müssen. Natürlich sind die Fahrzeuge auch ohne die oben genannten Maßnahmen technisch sicher und fahrbereit.
Wir wissen, dass es mit der reinen Umrüstung der Motoren nicht getan ist. Wir wollen Ihr Vertrauen zurückgewinnen. Und daran arbeiten wir rund um die Uhr. Gründlich, ehrlich, zuverlässig.
Volkswagen
Was wie eine „Mea culpa“ klingt, ist nur der Wolf im Schafspelz. An keiner Stelle im Text steht das Wörtchen Entschuldigung. Auch wird keinerlei Bedauern ausgedrückt oder das eigene Verhalten beschrieben. Ganz im Gegenteil: Liest man den Text oberflächlich, erhält man den Eindruck, es mit einem ganz tollen und verantwortungsvollen Unternehmen zu tun zu haben, das „gründlich“ arbeitet, „erfolgreich“ umrüstet und „in enger Absprache mit den Behörden“ an Lösungen – für das Wohl der Menschheit vermutlich – werkelt. Alles das, was man von einem deutschen Unternehmen erwartet: gründlich, ehrlich, zuverlässig. Und damit man dem Unternehmen vertrauen kann, hat es auch der Herr – oder ist es die Frau? – Volkswagen unterschrieben.
Eine Entschuldigung in einem ähnlichen Ton gab es von Herrn oder Frau ERGO. Wir erinnern uns vielleicht, dass der deutsche Versicherer in die Schlagzeilen geriet, weil er unter anderem seinen Mitarbeitern eine Sexparty mit – so wird kolportiert – 20 Prostituierten in Budapest gesponsert hatte, während er gleichzeitig Kunden bei Renten- und Lebensversicherungen „kreativ“ beraten und abgezockt hatte. Der Skandal wurde 2011 öffentlich. Dabei war man doch eigentlich nur geschäftstüchtig gewesen. Eine öffentliche Abbitte in Form einer in Tageszeitungen geschalteten Anzeige musste her.16
Wenn Menschen Fehler machen, entschuldigen sie sich.
Wenn Unternehmen Fehler machen, unternehmen sie etwas dagegen.
Darum tun wir beides.
In den vergangenen Wochen tauchten immer wieder Meldungen auf, die unterschiedliche Vorwürfe gegen ERGO zum Thema hatten. Mal ging es um eine Incentive-Reise nach Budapest im Jahr 2007, mal um seltsam anmutende Trinkspiele, mal um fehlerhafte Angaben auf Riester-Formularen 2005, mal um mutmaßliche Beratungsfehler.
Wir arbeiten intensiv an der Aufklärung all dieser Vorwürfe.
Wir ergreifen weitreichende Maßnahmen, um solche Fehler in der Zukunft auszuschließen.
Wir werden Nachteile ausgleichen, die unseren Kunden möglicherweise entstanden sind.
Und wir haben zusätzlich eine externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beauftragt, die entsprechenden Sachverhalte umfassend zu untersuchen und zu beurteilen.
PricewaterhouseCoopers wird mit maximaler Neutralität und Objektivität die erhobenen Vorwürfe prüfen.
Wenn etwas nicht gut ist, werden wir darüber berichten. Und es dann besser machen.
„Versichern heißt verstehen“ ist für ERGO mehr als ein Werbeslogan. Wir sind angetreten, das Thema Versicherung besser, verständlicher und kundenfreundlicher zu machen.
Daran ändern auch Fehler in der Vergangenheit nichts.
Im Gegenteil: Diese Vorgänge spornen uns an, den begonnenen Veränderungsprozess konsequent fortzusetzen.
Dazu sind wir den Menschen, die uns vertrauen, verpflichtet.
ERGO
Coole große Worte als Einleitung. Das sind Sätze mit Aphorismenqualität, die sich Grundschüler ins Poesiealbum schreiben werden. Es tauchten Meldungen wie Fabelwesen aus dem Sumpf auf: Die „Incentive-Reise nach Budapest“ war eigentlich die hässliche Sexparty von notgeilen Mitarbeitern mit Prostituierten. „Wenn etwas nicht gut ist, werden wir darüber berichten“, aber wir entscheiden, ob etwas nicht gut ist, und es war ja eigentlich gut, dass so etwas passiert ist, denn „[d]iese Vorgänge spornen uns an“ („Vorgänge“: siehe hässliche Sexpartys, Abzocke). Herrn oder Frau ERGO sind den Menschen, die ihnen vertrauen, verpflichtet. Sind vermutlich ohnehin nicht mehr viele gewesen.
Schon immer ausgenommen von der Pflicht zur Entschuldigung war die Kirche. Ja, der Papst postuliert sich sogar als unfehlbar. Wie praktisch! Aber auch die Gläubigen kamen in den Genuss mittels einer einfachen Beichte. Deines Nächsten Weib begehrt? Kein Problem: In den Beichtstuhl. Deines Nächsten Weib nicht nur begehrt, sondern den Geschlechtsakt auch vollzogen? Na und? Drei Rosenkränze. Den eifersüchtigen Ehemann dann abgemurkst? Bedauerlich! Zahle einen großzügigen Ablass an die Kirche. Einem Ministranten unter den Talar gegriffen? Glückwunsch! Ab in den angenehmen Lebensabend in einem ruhigen Kloster.
Diesen Luxus genießen die Normalsterblichen unter uns nicht. Deshalb werden wir gelegentlich zu Entschuldigungen aufgefordert. Lästig, aber das ist so.
Warum bloß tut man sich so etwas Unnötiges wie eine Entschuldigung an? Oder vielmehr: Wieso fordern Leute eine ein? Sehen wir uns das ganz unvoreingenommen und ohne Vorurteile mit offenem Mindset an.
Die Autoren von „When Sorry Isn’t Enough“, die Psychologin Jennifer Thomas und der Betreuer Gary Chapman, behaupten, dass eine Entschuldigung zu Vergebung und Versöhnung führt.17