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Krankenschwestern zum Verlieben: Der Jugendroman „Willkommen in der Chaos-Klinik“ von Erfolgsautorin Beatrix Mannel jetzt als eBook bei jumpbooks. Lilly ist angehende Krankenschwester – aber ihren ersten Tag an der neuen Schule hat sie sich wirklich anders vorgestellt: Ihre Mitbewohnerin nervt, ihr Zimmer ist eine winzige Zelle und dann blamiert sie sich auch noch vor versammelter Mannschaft mit einer peinlichen Tanzeinlage. Und auch im Krankenhaus geht so einiges schief. In all diesem Chaos scheint der süße Pflegeschüler Jonas der einzige Lichtblick zu sein … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „S.O.S. – Schwestern für alle Fälle: Willkommen in der Chaos-Klinik“. Der erste Roman der Jugendbuchserie für Leserinnen ab 12 Jahren von Erfolgsautorin Beatrix Mannel. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 202
Über dieses Buch:
Lilly ist angehende Krankenschwester – aber ihren ersten Tag an der neuen Schule hat sie sich wirklich anders vorgestellt: Ihre Mitbewohnerin nervt, ihr Zimmer ist eine winzige Zelle und dann blamiert sie sich auch noch vor versammelter Mannschaft mit einer peinlichen Tanzeinlage. Und auch im Krankenhaus geht so einiges schief. In all diesem Chaos scheint der süße Pflegeschüler Jonas der einzige Lichtblick zu sein …
Über die Autorin:
Beatrix Mannel studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München und arbeitete dann zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Danach begann sie – auch unter ihrem Pseudonym Beatrix Gurian – Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu schreiben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem gründete sie gemeinsam mit einer Kollegin 2015 die Münchner Schreibakademie.
Zur Reihe S.O.S – Schwestern für alle Fälle gehören die folgenden Bände:
Willkommen in der Chaos-KlinikEin Oberarzt macht ZickenFlunkern, Flirts und LiebesfieberRettender Engel hilflos verliebtPrinzen, Popstars, Wohnheimpartys
Mehr Informationen auch auf der Website der Autorin: www.beatrix-mannel.de
www.münchner-schreibakademie.de/
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eBook-Neuausgabe April 2016
Dieses Buch erschien bereits 2004 unter dem Titel Help! Die Krankenhausserie. Willkommen bei den Chaosschwestern bei Loewe Verlag GmbH, Bindlach
Copyright © der Originalausgabe 2004 Loewe Verlag GmbH, Bindlach
Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München
Copyright © 2016 jumpbooks. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs
Titelbildabbildung: ©Minerva Studio - Fotolia.com
E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-96053-113-5
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Beatrix Mannel
S.O.S – Schwestern für alle FälleWillkommen in der Chaos-Klinik
Roman
jumpbooks
Ich habe es geschafft. Ich stehe mitten in Frankfurt, in dieser Riesenstadt, vor einem rosabraunen Hochhaus mit sieben Stockwerken, die aneinander kleben wie monströse Bienenwaben aus Beton. Über dem Eingang thront ein gewelltes Plastikdach, auf dem schon kleine Blätterhaufen kleben. Dabei hat der Herbst gerade erst angefangen.
An der gläsernen Eingangstür befindet sich ein Metallschild: Schwesternwohnheim der Nordendklinik. Darunter steht in unordentlichen Klebebuchstaben: und provisorisches Studentenwohnheim der Johann-Wolfgang-Goethe- Universität Frankfurt.
Ich drücke fest gegen die Tür, zerre meinen Koffer zum Aufzug und suche den schlecht kopierten Zettel in meiner Tasche, der mir zeigen soll, wie ich zu meinem Zimmer im dritten Stock komme.
Ah, da ist er ja, völlig zerknittert. Leider kann ich kaum etwas erkennen. Was auch daran liegt, dass es hier mitten am Tag ziemlich schummrig ist. Es riecht unangenehm stark nach künstlich frischer Landhausbrise und ganz schwach nach Hundekacke. Die Wände sind mit Sprüchen besprüht, die alle schon mal das Motto einer Hippie-Retroparty meiner Eltern waren: Make love not war oder Ami go home.
Als ich auf den Aufzugknopf drücke, rumpelt es plötzlich laut durch die Eingangshalle. Dann bleibt der Aufzug irgendwo weiter oben stehen. Schließlich – ich habe mir schon überlegt, die Treppe zu nehmen – kommt er doch noch mit einem Rums unten an. Die Türen gehen erstaunlich geräuschlos auf und geben den Blick auf das winzige Innenleben frei. Da passen höchstens zwei schlanke Personen rein, oder ich und mein großer, alter Koffer, an dem noch vom letzten Griechenlandurlaub ein Schild mit meinem unbeschreiblichen Namen baumelt: Eliza-Lolita Podeschwa.
Wenn man so heißt, und Eliza dabei wie Iiielaaisah ausgesprochen wird, muss man eigentlich Filmstar werden. »I thank god and all my family«, würde man dann am Höhepunkt seiner Karriere mit unterdrücktem Schluchzen ins Mikrofon hauchen, eine Glitzerträne zwischen die Augenwimpern zaubern und sehr bescheiden den goldenen Oscar entgegennehmen.
Meine Trophäen sind auch aus Metall, und sie liegen genauso gut in der Hand. Allerdings sind sie etwas größer und heißen ganz anders.
Die Rede ist von Bettpfannen. Denn ich möchte Krankenschwester werden. Und was meinen schrecklichen Namen angeht, ich heiße zwar Eliza-Lolita, werde aber zum Glück von den meisten Lilly genannt. Das passt viel besser zu mir als dieser schwülstige Bombasto-Doppelname.
Die Einzigen, die Lilly nicht mögen, sind meine Eltern. Lilly sei die entsetzlich prosaische Verniedlichung meines vollkommenen Namens, lässt Mama gern verlauten. Und ich habe noch Glück gehabt: Meinen Zwillingsbruder hätten sie allen Ernstes Clavigo-Orlando genannt. Aber von uns beiden bin nur ich lebend zur Welt gekommen, deshalb habe ich leider keine Geschwister und muss jedes Problem alleine mit meinen Eltern ausfechten ...
Der Aufzug hält äußerst unsanft mit einem Rumpeln an, und ich habe so ein Gefühl im Bauch wie manchmal im Traum. In diesem Traum falle ich vom Himmel Richtung Erde und möchte laut singen vor Freude, und gleichzeitig kriege ich den Mund nicht auf, weil ich solche Angst habe.
Wenn ich wach bin und Angst habe, singe ich, das hilft immer. Dann habe ich alles im Griff, außerdem singe ich wirklich gut. Sogar meine Eltern mussten zugeben, dass ich Talent habe! Meine Stimme klingt rauchig und verführerisch, so als wäre ich eine erfahrene Sexbombe und Kettenraucherin. Ich hätte schon längst bei einer von diesen Be-a-star-Aktionen mitgemacht, wenn ich nicht genau wüsste, wie lächerlich eine Riesenbohnenstange wie ich neben diesen Silicon-Valley-Modellen wirkt. Da nützen auch meine schwarzen Haare nichts, die mir bis zum Po gehen. Denn ich bin nicht nur elend lang und dünn, nein, was noch viel schlimmer ist, ich kann einfach nicht tanzen. Ich hab's versucht. Wirklich versucht. Aber ich kapiere einfach nicht, wie man locker mit den Hüften wackeln und dabei vor- und zurückgehen kann, während die Arme andersherum in der Luft wedeln und der Kopf auch noch zackig von rechts nach links fliegt. Mir wird schwindelig, ich vergesse den Liedtext und sehe original aus wie ein abgestürzter Storch. Krankenschwestern müssen zum Glück nicht tanzen ...
Wenn ich nur schon wüsste, was hinter diesen Aufzugtüren liegt. Ich komme mir vor wie Ali Baba, nachdem er Sesam, öffne dich! gesagt hat. Aufgeregt. Nervös. Aber ich bin keine Figur aus Tausendundeinernacht, sondern Lilly Podeschwa aus 1096 Nächten. So lange dauert nämlich meine Schwesternausbildung. Und so viele Nächte werde ich wohl auch mindestens in diesem Wohnheim zubringen.
Oder in diesem Aufzug, wenn die blöden Türen nicht endlich aufgehen. Ich beuge mich zu den Bedienungsknöpfen hinunter und drücke wahllos ein paar mit unverständlichen Symbolen. Durch den Aufzug geht ein Ruck, dann schieben sich die Türen endlich langsam auseinander.
Ich bin da!
Nur ein kleiner Schritt für meine Füße, aber ein großer für mich.
So sieht also mein neuer Lebensplanet aus! Ich trete in einen dunkelgrauen Gang mit Nadelfilzboden, in einen Schlauch aus würstchenbeigen Wänden und hellgrauen Türen.
Gleich neben dem Aufzug ist mein Zimmer mit der Nummer 333.
Als ich den Schlüssel ins Schloss stecken will, wird die Tür schon von innen aufgerissen. Dabei habe ich doch gar nicht Sesam, öffne dich! gesagt.
Vor mir steht ein Mädchen, das mit seinem blonden Wuschelkopf im ersten Moment so strahlend wirkt, als hätte es ein Stückchen Sonne verschluckt. Ich muss blinzeln, geblendet von dem Licht nach der grauen Dunkelheit im Flur.
»Du bist ja ... ähh ... riesengroß!«, sagt es deutlich überrumpelt und schaut mich von unten nach oben an, als wäre ich die missgestaltete Zwillingsschwester von King Kong.
Pech, dass der Wuschelkopf nicht »Hallo!« gesagt hat wie ein normaler Mensch. Ich mag es nicht, wie eine Riesin behandelt zu werden, nur weil ich 1,79 m groß und dünn bin! Wohlgemerkt 1,79 und nicht 1,80.
Das Mädchen lächelt. Ich glaube, es merkt, dass es etwas Falsches gesagt hat, aber das ist mir jetzt egal.
»Hi Gnom-Weibchen!«, gebe ich absichtlich gemein zurück und bin gespannt auf die Reaktion.
»Das Weibchen heißt Mascha!«, sagt sie und lächelt immer noch.
Nimmt sie vielleicht Beruhigungsmittel. Oder hat sie einfach nicht kapiert, was ich gesagt habe? Leider provoziert mich dieses Lächeln erst recht.
»Ist mir egal, wie du heißt. Was hast du eigentlich in meinem Zimmer zu suchen?«, frage ich und gebe mir alle Mühe, meinen Koffer demonstrativ Besitz ergreifend auf das Bett zu hieven. Aber dummerweise schaffe ich das nicht ganz, denn der Koffer ist wirklich sehr schwer. Er rutscht ab und landet auf meinem Fuß. »Ah!«, entfährt es mir, und statt des Koffers plumpse ich aufs Bett.
Maschas Lachen verschwindet sofort. »Oh, das sah nicht gut aus! Soll ich nachschauen, ob du dir etwas geprellt hast?«, fragt sie besorgt und beugt sich eifrig über meine Schnürsenkel.
Ich ziehe gerade noch rechtzeitig meinen Fuß weg. »Geht schon!«, brumme ich und komme mir in diesem Zimmer so falsch und überflüssig vor wie eine Weihnachtsdekoration an Ostern.
Mascha zeigt auf das geöffnete Fenster. »Ich habe auf dem Zimmerplan in der Küche deinen Namen gelesen und gesehen, dass du heute einziehst. Ich bin schon seit gestern hier und dachte, es würde dich freuen, wenn ich ein bisschen lüfte. Die Zimmer stinken ziemlich muffig, wenn lange keiner drin war ...« Jetzt lächelt sie nicht mehr, sondern grinst mich an. »Manchmal färbt das auch auf die Bewohner ab.«
Ich werfe einen Blick auf mein Zimmer. Zimmer? Wohl eher eine Zelle! Bis auf das Bett sehen die Möbel aus wie Armeerestbestände: ein verkratzter Holzstuhl, ein Schrank, der offensichtlich kein funktionsfähiges Schloss mehr hat, und vor dem Fenster steht ein Schreibtisch mit einer voll gekritzelten grünen Linoleumoberfläche.
»Komm, lass uns in der Küche etwas trinken«, schlägt Mascha vor. »Und wenn du willst, kann ich dir später gern dabei helfen, die Möbel in den Keller zu tragen. Ich weiß, wo man dort unten noch ein bisschen Platz findet.«
Ich habe keine Ahnung, warum, aber ich will nicht. Ich möchte erst mal alleine ankommen und dann selbst überlegen, was ich mache. Ich bin schließlich nicht zu Hause ausgezogen, damit gleich wieder andere bestimmen, was Lilly zu tun oder zu lassen hat. »Wieso das denn?«, protestiere ich also und ziehe leicht genervt eine Augenbraue hoch. »Die Möbel sind doch super. Warum sollte ich etwas davon in den Keller räumen?« Endlich hat mein blasierter Tonfall den richtigen Effekt.
Mascha gibt auf. Sie zuckt mit den Schultern. »Wie du willst! Iiilaaisah-Lolita«, sagt sie, zerdehnt meinen Namen zu einem klebrigen Wortbrei und verschwindet aus meinem Zimmer.
Ich atme tief aus. Habe überhaupt nicht gemerkt, dass ich die Luft angehalten habe.
Da geht die Tür noch einmal auf, und Mascha steckt ihren Wuschelkopf herein. »Falls du wissen willst, wie ich in dein Zimmer gekommen bin: Die Schlüssel passen eigentlich in jede Tür. Deshalb haben sich ein paar der Schwesternschülerinnen auch Sicherheitsschlösser eingebaut. – Ich bin in der Küche, falls du etwas brauchst.«
Ich brauche nichts. Oder doch? Vielleicht einen Tritt in den Allerwertesten. Wieso war ich so unfreundlich zu Mascha? Sie hat nur versucht, nett zu mir zu sein. Seit wann benehme ich mich so eklig? So etwas Schlimmes hat sie doch gar nicht zu mir gesagt. Schließlich bin ich wirklich groß. Na ja, vielleicht war es einfach die Überraschung, jemanden in meinem Zimmer vorzufinden. Oder bin ich neidisch, weil sie so hübsch und winzig ist, sich schon bestens auszukennen scheint und dann auch noch Recht hat?
Denn diese Möbel muffeln wirklich vor sich hin und verströmen eine so trostlose Aura, als stammten sie aus dem Zimmer eines erfolgreichen Selbstmörders.
Mein isländischer Mailfreund Halldór würde sagen: »Lilly, rede dir nicht so einen Schwachsinn ein! Möbel haben überhaupt keine Aura!«
Halldór reagiert sehr empfindlich auf das Thema Übersinnliches, weil seine Mutter in Island eine Art Elfenguru ist. Ich finde es an manchen Tagen eine schöne Vorstellung, dass es vielleicht wirklich Elfen gibt, auch wenn ich noch nie eine gesehen habe. An den anderen Tagen finde ich Elfen völligen Quatsch! Und heute ist ein »anderer Tag«. Außerdem hausen in diesen Möbeln höchstens noch die Überreste von ein paar vertrockneten Vampiren.
Ich setze mich probehalber an den Schreibtisch und suche den Telefon- und Internetanschluss. Wie schrecklich, wenn ich Halldór keine Mails mehr schicken könnte! Ich muss grinsen. Wenn die von der Waldorfschule wüssten, wie sehr der Mailfreund, den sie mir vermittelt haben, mich bei meiner Berufswahl unterstützt hat – und dabei, mit der Schule aufzuhören ... Seine weisen isländischen Antworten haben mich während der endlosen Krankenschwestern-Diskussionen mit meinen Eltern vor dem völligen Wahnsinn gerettet. Allein schon, wie sie reagiert haben, als ich ihnen zum ersten Mal angedeutet habe, welcher Beruf mir vorschwebt.
»Krankenschwester!«, hat Mama entsetzt aufgestöhnt, und Papa wurde aschfahl im Gesicht. So als hätte ich ihnen eröffnet, mein Traumjob wäre Callgirl oder ich sei schwanger. Wer weiß, vielleicht hätte sie das sogar weniger geschockt als das magische Wort Krankenschwester. Denn Mama ist Hals-Nasen-Ohrenärztin und Papa Orthopäde. Für mich hatten sich die beiden entweder eine Topkarriere als Kreativ-Direktorin einer Werbeagentur oder wenigstens einen Doktortitel vorgestellt.
Aber wieso sollte ich mir das antun? Es war schon schwer genug, auf der Waldorfschule den Realschulabschluss zu schaffen. Ich habe die Nase voll davon, immer nur Sachen zu lernen, die mich nicht die Bohne interessieren. Und das auch noch jahrelang! Ich möchte mit Menschen zusammen sein, nicht mit Büchern. Ich möchte Menschen helfen. Aber in den Arztaugen meiner Eltern sind Krankenschwestern bloß frustrierte Frauen, die viel lieber Ärztin geworden wären. Doch das hat mich nur noch mehr darin bestärkt, dass Krankenschwester genau das Richtige für mich ist. Und als sie gemerkt haben, wie ernst es mir ist, haben sie mich gehen lassen ...
Also, was mache ich denn jetzt? Erst mal auspacken? Und was soll mit den Möbeln passieren? Papa wäre bestimmt überglücklich, wenn ich ihn bitten würde, mir ein paar Möbel aus meinem alten Zimmer herzubringen. Schließlich glaubt er, dass Frankfurt nur ein anderes Wort für Sodom und Gomorrha ist und mich ins Verderben stürzen wird. Er wartet nur darauf, wie Superman persönlich herzufliegen, um seine Tochter zu retten.
Mich würde jetzt erst mal ein Kaffee retten, beim Kaffeetrinken kann ich immer gut nachdenken.
Ich trete auf den Gang. Vorhin kam er mir endlos vor, wie einer von diesen trostlosen Hotelfluren, die in Horrorfilmen immer eine wichtige Rolle spielen. In Wirklichkeit gehen nach meinem Zimmer nur noch sieben Türen ab, drei auf der linken und drei auf der rechten Seite. Am Ende des Gangs stoße ich geradeaus auf die letzte Tür. Dahinter höre ich Stimmen. Aha, da ist also die Küche.
Wow! Was für ein Unterschied zu der Klosterzelle, in der ich und wahrscheinlich auch alle anderen hausen!
Links verläuft eine große Fensterfront, von der aus man sogar den Main sehen kann. Rechts steht eine weiße Küchenzeile, die blitzblank ist und wie neu aussieht. Die Wände sind blau gestrichen, wodurch man sich ein bisschen wie in einem Aquarium vorkommt.
Vor dem Fenster sitzt auf einem roten Sofa Mascha zusammen mit zwei Typen an einem langen Tisch. Sie trinken Kaffee und lachen gerade aus vollem Halse.
Als ich hereinkomme, verstummen sie schlagartig und starren mich an.
Mascha lächelt mir zu, als wären wir beste Freundinnen. Und diesmal lächle ich reflexartig zurück. Wenigstens ein vertrautes Gesicht.
»Torsten hat gerade einen Witz erzählt«, sagt sie und deutet auf den älteren der beiden.
»Schade, dass ich den verpasst habe, er scheint ja ziemlich gut gewesen zu sein!«, meine ich.
»Du, das ist kein Problem, ich habe noch mehr auf Lager!«, grinst Torsten und setzt sich in Positur. Die anderen stöhnen zwar, aber mir ist klar, dass sie nicht wirklich genervt sind.
»Also«, fängt Torsten an, »sagt die eine blonde Krankenschwester zur anderen: ›Du, gestern hab ich den Schwangerschaftstest gemacht.‹ Antwortet die andere: ›Und, waren die Fragen sehr schwer?‹«
Ein paar vereinzelte Lacher schwirren durch die Küche. Ich bin viel zu aufgeregt, um richtig zuzuhören oder auch nur zu grinsen.
»Der hat ja soon Bart!«, stellt der jüngere Typ fest. Als er mit seiner Hand pantomimisch einen Bart andeutet, wölbt sich sein Bizeps gewaltig empor.
Torsten zuckt gelassen mit den Schultern. »Kommt aber immer wieder gut!«
»Apropos gut«, unterbricht ihn Mascha, »wir sind jetzt komplett auf unserem Flur. Das hier ist Eliza-Lolita. Sie ist gerade in 333 eingezogen. Ihr müsst sie ein bisschen aufheitern, ihr seht ja, sie ist ziemlich mieser Stimmung. Vielleicht hat sie Heimweh!«
Ich hätte doch besser schallend gelacht. Ich und Heimweh! So ein Quatsch! Ohne groß nachzudenken, gehe ich zu Mascha und lege meine Hand auf ihre Stirn.
Mascha bleibt regungslos sitzen und sieht mich wie die anderen überrascht an. Sie zuckt nicht mal zurück. »Was ist denn?«, fragt sie.
»Ich wollte nur mal fühlen, wie hoch das Fieber ist oder ob demnächst auch noch so'n kleines Vögelchen herauskommt und Kuckuck ruft! Heimweh? Schwachsinn! Und außerdem heiße ich Lilly!«
Leider findet meine komische Einlage keinen besonderen Anklang.
Der Einzige, der ein bisschen lächelt, ist der Bizeps-Typ. Er hat blonde strubbelige Haare und nicht besonders große, aber besonders blaue Augen. »Schade«, sagt er. »Dabei ist Lolita ein schöner Name. Hatte die Lolita im Film nicht auch so tolle Beine wie du?« Dabei schaut er bewundernd an mir herunter. »Ich bin übrigens Jonas.«
Sein Blick wirkt wie Öl in einem verklemmten Türschloss. Nicht, dass ich irgendwie verklemmt wäre, doch habe ich den Eindruck, dass es endlich anfängt, hier besser zu laufen.
»Ich finde, Lolita ist ein Horrorname«, erkläre ich ihm. Dann wende ich mich an alle. »Nennt mich deshalb bitte Lilly, okay?«
Ich setze mich lässig auf den Tisch und schlage die Beine übereinander. Es gefällt mir, wenn Jungen meine Beine bemerken. Die zeige ich auch sehr gerne, weil das von dem mickrig dünnen Rest ablenkt. Und damit man ordentlich was sieht, trage ich am liebsten extrem kurze Miniröcke, die – so behauptet jedenfalls mein Vater – verantwortlich für jede Menge Herzinfarkte sein müssen.
Mascha hat mir das mit dem Vogel nicht übel genommen und schlägt vor, dass wir etwas über uns erzählen sollen, zum Kennenlernen. Der jüngere Typ zieht die Stirn in Falten, aber der andere legt schon los.
»Okay, dann fange ich mal an. Ich bin Torsten und garantiert der Älteste hier«, sagt der, der den Witz erzählt hat. Beim Sprechen rutscht seine Brille vor auf die Nasenspitze, und er schiebt sie mit einer Hand immer wieder zurück auf die breite Nasenwurzel. »Das liegt daran, dass ich eigentlich schon einen Beruf habe. Ich bin – oder war – Versicherungsvertreter.«
»Was? Versicherungsvertreter? Ist ja widerlich!«, stellt der Jüngere fest. »Die drehen einem immer Versicherungen an, die man nicht braucht, und kassieren fette Provisionen!«
»Ganz genau so ist es!«, sagt Torsten bissig, »Und alle Versicherungsvertreter fahren Porsche und haben eine Villa auf Mallorca!«
Schnell schaltet sich Mascha ein. »Und wie bist du von den Provisionen zu den Pisspötten gekommen?«
Wir grinsen.
Torsten wird ernst. »Das erzähle ich euch ein anderes Mal. Aber Jonas lechzt bestimmt danach, uns mit seiner Lebensgeschichte zu erheitern.«
»Nöö!«, schmollt Mr Bizeps alias Jonas.
Schade, ich hätte gerne gewusst, wo er herkommt und ob er eine Freundin hat.
»Dann mache ich weiter«, schlägt Mascha vor.
Ich nutze die Gelegenheit, sie endlich richtig eingehend zu betrachten. Ihre olivgrüne Cargohose ist weit, aber nicht weit genug, um davon abzulenken, wie drall sie eigentlich ist. Dazu trägt sie über einem engen T-Shirt eine Art Mieder, das ihren vollen Busen ziemlich stark betont. Während sie spricht, bewegt sie die ganze Zeit den Anhänger einer goldenen Kette hin und her. Manchmal nimmt sie ihn auch in den Mund. Ich glaube, es ist ein Kreuz. Ziemlich kitschig. Na ja, und dazu diese blonden Löckchen. Sie sieht aus wie ein speckiger Engelalbtraum.
»Okay«, fängt sie an und verwuschelt mit der freien Hand ihre Haare, »ja, also ich bin Mascha ... und ähh solo ... und ich möchte Krankenschwester werden!«
»Das ist ja ein Ding! Deshalb bist du hier? Na, da wäre bestimmt keiner draufgekommen!«, fällt Jonas ein. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Okay, das war natürlich blöd, schließlich wollen wir alle Krankenschwestern werden«, gibt Mascha großzügig zu.
Torsten macht eine gezierte Handbewegung und sagt mit süßlicher Stimme zu Jonas: »Stimmt, vor allem Jonas und ich wollen gern Schwestern werden!«
Ich sehe Jonas an, dass er das nicht besonders komisch findet.
Mascha geht gar nicht darauf ein, sondern überlegt weiter. »Ja, was kann ich euch noch sagen? Ich habe vier Brüder und laufe gern Schlittschuh und kann nicht kochen. Jetzt du, Lilly.« Sie sieht mich erwartungsvoll an.
Ich sage gar nichts. In meinem Gehirn ist es plötzlich dunkel und leer.
Doch zum Glück plappert Mascha schon weiter. »Ach ja, Lilly, das weißt du ja noch nicht: Auf unserem Flur wohnen noch zwei andere Mädchen – Rügül und Eva. Und soll ich euch verraten, was Eva mir gestern erzählt hat?« Mascha macht eine Kunstpause, und ich merke verärgert, wie die beiden Jungen sich interessiert zu ihr nach vorn beugen. »Sie ist hier, weil sie den Mann fürs Leben kennen lernen will«, sagt sie mit gesenkter Stimme. »Am besten einen Arzt. Ist das nicht total schwachsinnig?«
Da sind Mascha und ich ausnahmsweise mal einer Meinung. Diese Eva hat ja wohl was an der Birne. Das weiß doch jeder, dass Liebe im Krankenhaus nur in Arztromanen klappt. Außerdem muss man eben warten, bis man den Richtigen trifft. So etwas kann man doch nicht erzwingen, oder? Ich jedenfalls nicht. Nach meinem Erlebnis mit Robert will ich auch gar keinen Freund mehr. Höchstens noch einen Mailfreund wie Halldór, der in sicherer Entfernung tausende von Kilometern weit weg hockt. Einen, der mir nicht wehtun kann. Aber das schafft sowieso keiner mehr. Ich habe mein Herz in einem Garten aus Stacheldraht versenkt. Und da soll es auch bleiben. Natürlich nur mein Herz. Küssen kann auch ohne Herz Spaß machen – glaube ich wenigstens. Und Jonas sieht gar nicht übel aus. Und er kann Komplimente machen ...
Nach diesem Auftritt wendet sich Mascha wieder zu mir. »Lilly, jetzt musst du uns etwas erzählen.«
Alle Augen ruhen auf mir. Noch bevor sich wieder dieses Nichts in meinem Gehirn ausbreiten kann, platze ich heraus: »Ich komme aus dem Odenwald und singe gern.« Doch bereits im nächsten Moment bereue ich meine Voreiligkeit, denn natürlich wollen sie jetzt, dass ich ihnen etwas vorsinge. Das sehe ich an ihren Blicken.
Und da kommt es auch schon. Jonas grinst mich an und fragt: »Was ist denn deine Spezialität? Volksmusik? Heimatmelodien aus dem Odenwald?«
Mascha und Torsten scheinen das ziemlich witzig zu finden.
Mist, aus der Nummer komme ich nicht mehr raus. Da bleibt nur noch eins: Ihnen wirklich etwas vorsingen. Und warum auch nicht, denke ich mir, schließlich hin ich wirklich gut. Ich räuspere mich. »Okay, aber nur, wenn ihr mitmacht.« Und dann singe ich einen alten Abba-Song.
Jonas nimmt zwei Teelöffel und trommelt im Rhythmus dazu auf den Holztisch, und Mascha klatscht im Takt.
Torsten scheint das mit dem Mitmachen falsch zu verstehen, stellt sich vor mich und fordert mich ganz altmodisch zum Tanzen auf. Wieso hat er denn nicht Mascha gefragt? Die könnte den Kopf in den Nacken legen und ihm bewundernd in die Augen schauen.
Aber er steht vor mir, der Witzbold! Die anderen beiden sehen uns an und warten, was passiert. Ob das eine Art Eingangstest ist, den sie sich für mich ausgedacht haben?
Wenn ich jetzt ablehne, bin ich für alle Zeiten als spielverderberische Zicke abgestempelt. Torsten hat sich mittlerweile vor mir auf die Knie geworfen. Oh Mann, das wird ja immer schlimmer! Aber was bleibt mir anderes übrig? – Okay, er hat sein Schicksal selbst herausgefordert.
Torsten legt seinen Arm um meine Taille, dann presst er mich an sich. Sein Mund könnte problemlos meinen Nabel küssen, und ich muss mich sehr gerade halten, damit mein Kinn nicht auf seinem schon etwas dünnen Haar landet. Kurzum, ich bin sicher, wir sehen aus wie zwei Vollidioten. Aber ihn scheint das nicht zu stören, auch nicht, dass ich andauernd auf seine Füße trete. Dabei trage ich schwere Boots zum Mini! Er schiebt und dreht uns beide herum, bis mir schwindlig wird.
Ich bin sicher, er ist ein wunderbarer Tänzer, aber ich habe keine Ahnung, wohin er will oder was ich tun soll.
Da, er lässt meine Hand mitten in einer Drehung los, und jetzt? Was soll ich machen? Spinnt der Mann? Ist er Sadist?
Ich stolpere gegen einen Stuhl, der mit lautem Gepolter umfällt, und ich stürze gleich hinterher. Mein Rock rutscht dabei so hoch, dass man meine Unterhose sehen kann, und meine Strümpfe kriegen eine Laufmasche.