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Catalina Ferrera

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Beschreibung

Die in Barcelona lebende Autorin Catalina Ferrera mit ihrem zweiten hinreißend atmosphärischen Barcelona-Krimi für den Berliner Ex-Kommissar Karl Lindberg und seinen katalanischen Schwager Comisario Alex Diaz von der Mossos d`Esquadra. Mit sicherem Gespür für kriminalistische Spannungsbögen sowie liebevollem Blick auf die Eigenheiten und Zwistigkeiten der Katalanen und Spanier führt Catalina Ferrera den Leser in ihrem zweiten Barcelona-Krimi nicht nur durch die faszinierende Hauptstadt Kataloniens, sondern auch auf Barcelonas riesigen Friedhof, den Cementiri de montjuïc. Denn was treibt ein erzkonservativer Politiker nachts auf dem Cementiri de montjuïc - einem Friedhof, so groß wie eine ganze Stadt, der in den dunklen Stunden Schauplatz illegaler Partys und allerhand anderer unziemlicher Vergnügungen ist? Und, wichtiger noch: Wer hat den Mann dort ermordet? Als eine weitere – unbeerdigte – Leiche auf dem Friedhof auftaucht, geht im abergläubischen Barcelona schnell die Angst um. Comisario Alex Diaz und sein Schwager Karl Lindberg, gerade offiziell zum Sergent der katalanischen Polizei ernannt, haben alle Hände voll zu tun, den »Teufel« selbst dingfest zu machen. Ein Mord und ein ausgetüftelter Kriminalfall in der "Stadt der Toten", Spanien-Atmosphäre, Humor und Charme - das sind die Ingredienzien, die bei einem Urlaubs-Krimi, einem Länder-Krimi, nicht fehlen dürfen. Alle Bände der Barcelona-Krimis von Catalina Ferrera rund um das spanisch-deutsche Ermittler-Duo Alex Diaz und Karl Lindberg auf einen Blick: • »Spanische Delikatessen« • »Spanischer Totentanz« • »Spanischer Feuerlauf« • »Spanisches Blutgeld«

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Catalina Ferrera

SpanischerTotentanz

Ein Barcelona-Krimi

Knaur e-books

Über dieses Buch

Die in Barcelona lebende Autorin Catalina Ferrera mit ihrem zweiten hinreißend atmosphärischen Barcelona-Krimi für den Berliner Ex-Kommissar Karl Lindberg und seinen katalanischen Schwager Comisario Alex Diaz von der Mossos d`Esquadra. Mit sicherem Gespür für kriminalistische Spannungsbögen sowie liebevollem Blick auf die Eigenheiten und Zwistigkeiten der Katalanen und Spanier führt Catalina Ferrera den Leser in ihrem zweiten Barcelona-Krimi nicht nur durch die faszinierende Hauptstadt Kataloniens, sondern auch auf Barcelonas riesigen Friedhof, den Cementiri de montjuïc.

Denn was treibt ein erzkonservativer Politiker nachts auf dem Cementiri de montjuïc – einem Friedhof, so groß wie eine ganze Stadt, der in den dunklen Stunden Schauplatz illegaler Partys und allerhand anderer unziemlicher Vergnügungen ist? Und, wichtiger noch: Wer hat den Mann dort ermordet?

Als eine weitere – unbeerdigte – Leiche auf dem Friedhof auftaucht, geht im abergläubischen Barcelona schnell die Angst um. Comisario Alex Diaz und sein Schwager Karl Lindberg, gerade offiziell zum Sergent der katalanischen Polizei ernannt, haben alle Hände voll zu tun, den »Teufel« selbst dingfest zu machen.

Ein Mord und ein ausgetüftelter Kriminalfall in der »Stadt der Toten«, Spanien-Atmosphäre, Humor und Charme – das sind die Ingredienzien, die bei einem Urlaubs-Krimi, einem Länder-Krimi, nicht fehlen dürfen.

Inhaltsübersicht

Prolog1234567891011121314151617181920212223242526Spanier trauern andersKleines WörterbuchRezepteAjoblancoAioli und TapenadeTumbetEnsaladilla Rusa (russischer Salat)Leseprobe »Spanisches Blutgeld«
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Prolog

Dunkelheit lag über dem Cementiri de Montjuïc, als er endlich zurückkam. Trotz der späten Stunde ging er mit sicheren Schritten die breite Carrer de Sant Salvador entlang, das Licht des Vollmonds wurde von den hellen Gräbern zurückgeworfen, die die breiten Hauptwege des Friedhofs säumten. Bis zu acht Stockwerke ragten diese letzten Behausungen der Menschen empor; Privatsphäre war ein Luxus, den sich auch nach dem Tod nur wenige leisten konnten. Die Leute waren daran gewöhnt. In Barcelona war man eigentlich nie allein.

Und er war auch keineswegs der Einzige, der sich zu dieser späten Stunde noch in der Nekropole herumtrieb, das war ihm durchaus bewusst. Jeden Abend kamen junge Leute in Feierlaune über die Santa Eulalia auf den Friedhof, um sich zwischen den Gräbern zu betrinken, sich ein wenig zu gruseln oder sich gegenseitig zu Mutproben anzustacheln. Die heutige Nacht war keine Ausnahme, er schätzte sogar, dass es gerade bei Vollmond in der Stadt der Toten besonders lebendig wurde. Wie zur Bestätigung hörte er das Knattern einer Vespa, die sich eine der steilen Straßen zum Friedhof hinaufquälte. Weiter entfernt ertönte hysterisches Gelächter.

Die Sant Salvador schraubte sich immer höher, doch er geriet nicht außer Atem. Gegen elf Uhr war er nach einem Abendessen mit Freunden von Poble Sec aus aufgebrochen und den ganzen Weg bis zum Friedhof hinaufgestiegen, um dann wie üblich an der Nordostseite über die Mauer zu klettern. Für ihn überhaupt kein Problem – er war gut in Form. Auf der Carrer de Sant Jaume hielt er kurz inne, um das Bild, das sich ihm bot, in sich aufzunehmen und eine Zigarette zu rauchen. Das machte er immer so. Hier stand er an einem der höchsten Punkte des Friedhofes. Die Gräber, Gruften und Kapellen konnte er nur als Ansammlung starrer Schatten wahrnehmen, was jenseits des Friedhofes lag, leuchtete jedoch dafür umso heller: die Autobahn und dahinter der Containerhafen. Im künstlichen Licht riesiger Scheinwerfer wurden die Schiffe beladen oder gelöscht. Bunte Metallcontainer wurden aufeinandergestapelt, und ein bisschen wirkte es, als wollten sie den Friedhof imitieren. Man stapelte Schiffscontainer, man stapelte Urnen – und in der Stadt schliefen die Leute. In übereinandergestapelten Wohnungen, die sich zu Gebäuden mit bis zu siebenundzwanzig Stockwerken türmten. Manche schliefen sogar in Stockbetten. Anders war diese Masse an Menschen auf so kleinen Raum wohl kaum zu verstauen.

Barcelona hatte enge Grenzen, und von dort, wo er stand, konnte er sie sehr gut sehen. An drei Seiten stieß die Stadt an Berge, die sie bereits emporkroch, von einer Seite hielt der Ozean, der schwarz glitzernd hinter dem Containerhafen lag, die Stadt in Schach. Barcelona konnte nur in Richtung Himmel streben.

Er hasste die Stadt schon, solange er denken konnte. Viele Jahre hatte er in anderen Städten verbracht, in Madrid und Valencia, sogar im Ausland, aber sein Herz war ein verdammter Bumerang. Es zog ihn immer wieder hierher zurück. Wie ein Kreisel, der aus dem Gleichgewicht geraten war, taumelte er zu allen Seiten, kehrte aber doch immer wieder ins Zentrum seines Daseins zurück. Er konnte nicht fortgehen; genauso wenig, wie er hierbleiben konnte. Weder kam er zum Stehen, noch fiel er um. Seit Jahren ging das schon so. So sehr hatte er gehofft, jetzt endlich Ruhe zu finden, sich endgültig von Barcelona lösen zu können. Er könnte längst weg sein. Und doch war er immer noch hier. In dieser Stadt, und schon wieder auf dem Friedhof. Weil, so musste er sich wahrscheinlich eingestehen, Hass die einzige Spielart der Liebe war, die er kannte. Hass band ihn an diesen Ort und gab ihm ein Gefühl von Bestimmung und Schicksal.

Vorsichtig drückte er seine Zigarette an der Schuhsohle aus und verstaute die Kippe in einer flachen Metalldose, die vorher Hustenbonbons enthalten hatte und die er zu diesem Zweck am Morgen in die Innentasche seines Sakkos gesteckt hatte. Dann lehnte er sich mit verschränkten Armen gegen den Stamm der großen Zeder, unter der er stand, und atmete tief durch. Wie immer roch es nach Nadelbäumen und Sauerklee, nach dem wilden Rosmarin, der überall am Hang des Montjuïc zu finden war, sowie schwach nach den Abgasen der nahen Autobahn. Doch er roch noch etwas anderes: den Tod. Niemand sprach darüber, und doch wussten alle, dass der spezielle Geruch des Friedhofs von den Toten selbst kam. Über 150 000 Urnen befanden sich auf dem Cementiri, und täglich kamen ein paar dazu. So viele verbrannte Menschen rochen nach etwas, auch wenn man sie noch so sorgsam einmauerte. Wenn der Wind von Westen kam, zog der Geruch sogar bis in die Gassen der Altstadt.

Er rieb sich mit der flachen Hand übers Gesicht und verfluchte sein sentimentales Herz. Es würde ihm noch das Genick brechen. Natürlich sollte er nicht hier sein, sondern zu Hause in seinem Bett liegen. Er sollte einfach gehen und nie wieder zurückkommen. Doch er konnte nicht.

Ein letztes Mal, sagte er sich. Nur noch heute Nacht.

Dann setzte er den Weg fort, bis zu der Gruft, die er schon vor Wochen für sein Vorhaben ausgewählt hatte. Es war eine schöne Gruft. Nicht schön genug, um eine Touristenattraktion zu sein, aber auch nicht schäbig oder unscheinbar. Wie die meisten hier erinnerte sie an eine Kirche. Man hätte sie mit ihren zwei Türmchen und dem spitz zulaufenden Eingangstor für eine kleine Kapelle halten können. Da sie Ende des 19. Jahrhunderts gebaut worden war, erfüllte sie gleich drei wichtige Kriterien: Sie wurde nicht mehr besucht, sie verfügte über ein Untergeschoss, und ihr Schloss ließ sich mit einem verbogenen Kaffeelöffel öffnen.

Als er ebendiesen aus der Tasche seines Sakkos nestelte, schoss ihm durch den Kopf, wie absurd er aussehen musste. Ein gut aussehender, elegant gekleideter Mann im schwarzen Anzug mit nagelneuen Nike-Turnschuhen an den Füßen, der mitten in der Nacht auf dem Cementiri de Montjuïc stand, um sich zum wiederholten Mal gewaltsam Zugang zu einer verlassenen Gruft zu verschaffen. Mit einem Kaffeelöffel, den er in einer Filiale von El Fornet hatte mitgehen lassen. Und warum das alles?

Wenn er das nur so genau wüsste.

Weil er den Verstand verloren hatte? Weil er nicht anders konnte? Weil er Vergebung suchte, oder Verdammnis? Weil er ein Perverser war, ein armes, krankes Arschloch?

Vermutlich von allem etwas und nichts davon.

Vorsichtig schob er den verbogenen Löffelstiel in das Türschloss und drehte ihn nach rechts. Er hatte das schon so oft gemacht, dass es sehr viel schneller ging als beim ersten Mal. Schon nach wenigen Augenblicken spürte er den Widerstand und hörte kurz darauf, wie sich das Schloss mit einem Klicken öffnete.

Nur noch heute, versprach er sich, während er sich durch die schwarze Metalltür in die Gruft duckte. Nur noch dieses eine Mal.

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1

Karl war sicher, dass dieser Tag niemals enden würde. Die Zeit dehnte sich wie Kaugummi und verklebte in der Hitze des Spätsommers jede Zelle seines Daseins. Als hätte sich ein fettes kleines Männlein auf die Zeiger seiner Armbanduhr gesetzt. Für den Kommissar fühlte es sich an, als wären Jahre vergangen, seit er heute Morgen das Haus verlassen hatte.

Dabei war es eigentlich ein Freudentag – nach drei Monaten Fortbildung und einem scheinbar endlosen Papierkrieg mit seiner alten Dienststelle in Berlin-Pankow war er heute Morgen offiziell als Mitglied der Mossos d’Esquadra, der katalanischen Polizei, vereidigt worden. Karl Lindberg war der erste Nichtkatalane, der in den Dienst der Mossos aufgenommen wurde, und er würde wohl auch der Letzte bleiben. Das jedenfalls hatte Maria Arbol, die Polizeichefin der Ciutat Vella, mehr als einmal betont. Und Karl zweifelte nicht daran, dass sie damit ausnahmsweise einmal recht hatte.

Es waren ja auch besondere Umstände gewesen, die Karl an diesen Punkt seines Lebens geführt hatten. Er hatte seinem Schwager Alex bei der Aufklärung eines delikaten Falles geholfen und diesen Einsatz beinahe mit dem Leben bezahlt. Vor rund vier Monaten war in einem Delikatessengeschäft in El Born ein Schinken gefunden worden, der sich als Teil eines Toten entpuppt hatte. Der Fall hatte unter dem Namen »Schinkenmord« schnell für Furore gesorgt und sowohl Karl als auch seinem Schwager zu zweifelhafter Berühmtheit verholfen. Nach der Klärung des Falles hatte sich Alex in den Kopf gesetzt, weiterhin mit Karl zusammenzuarbeiten, und er hatte schließlich auch bekommen, was er wollte.

Alex hatte einen besonders guten Stand beim Polizeipräsidenten Garcia de Torres, weil er über dessen homosexuelle Neigungen Stillschweigen bewahrte. Nur deshalb hatte de Torres Karl angeboten, Mitglied der Mossos zu werden. Eine absolute Ausnahmesituation, die sich so wohl nicht noch einmal wiederholen würde.

Grundsätzlich war Karl sehr glücklich über diese Entwicklung, da er seinen Beruf schmerzlich vermisst hatte, seit er vor nunmehr knapp einem Jahr mit seiner Familie nach Barcelona gekommen war. Seiner Frau zuliebe hatte er die Stelle bei der Mordkommission Berlin aufgegeben, damit Alba die gut laufende Familienapotheke auf den Ramblas übernehmen und sich besser um ihre Eltern kümmern konnte. Unterm Strich war also alles wunderbar.

Was Karl weniger glücklich machte, war jedoch die Beachtung, die ihm am heutigen Tag zuteilwurde. Er hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, doch als erster Ausländer bei der katalanischen Polizei kam er um die ungeteilte Aufmerksamkeit sämtlicher Kollegen nicht herum. Schon seit Anfang der Woche war er Gesprächsthema Nummer eins in der Comisaría, und Karl wusste genau, dass einige Mossos mit seiner Vereidigung ganz und gar nicht einverstanden waren. Was allerdings auch am katastrophalen Ruf seines Schwagers liegen könnte. So oder so konnte Karl es den Kollegen nicht verdenken; schließlich hatten sie die gesamte Ausbildung ordnungsgemäß absolviert. Er selbst wäre sicher ebenfalls misstrauisch gewesen. Die Ablehnung seitens einiger Mossos bereitete ihm schon seit Wochen Bauchschmerzen. Er konnte nur hoffen, dass sie ihn mit der Zeit akzeptieren würden. Zwischendurch hatte Karl sogar daran gedacht, das großzügige Angebot des Polizeipräsidenten auszuschlagen. Doch das hatte er nicht übers Herz gebracht, schließlich wollte er verhindern, dass auf seinem Grabstein stand: »Er hat sich zu Tode gelangweilt.«

Immerhin: Die sechs Personen, die gerade mit ihm am Tisch saßen, freuten sich aufrichtig über seine Vereidigung. Er selbst hatte ja gehofft, hinterher einfach nach Hause gehen, die unbequeme Uniform ablegen und mit seiner Familie essen zu können, doch da hatte er die Rechnung ohne Marla, die Assistentin der Mordkommission, gemacht. Die hatte nämlich einen Tisch im Flax and Kale reserviert, einem der angesagtesten Restaurants von Raval – jenem Teil der Altstadt, in dem sich die Comisaría befand und der zu großen Teilen alles andere als schick war. Eigentlich haftete dem Multikulti-Stadtteil, der von Handy- und Dönerläden dominiert wurde, noch immer der Ruf des Problemviertels an. Doch die moderne Einrichtung, die Loungemusik und die teuer aussehenden Massivholztische rund um ihn herum sprachen eine ganz andere Sprache. Alles hier drin erinnerte Karl eher an Berlin-Mitte, um den Alexanderplatz und die Alte Schönhauser Straße herum, als beispielsweise an Kreuzberg oder Neukölln, jene Berliner Stadtteile, mit denen der Raval von anderen gern verglichen wurde.

Karl konnte dem Laden jedenfalls nichts abgewinnen. Es gab nur Gemüse- und Fischgerichte sowie sündhaft teure Säfte, die wirkten, als kämen sie direkt aus einem Ernährungslabor der Zukunft. Außerdem Kellner mit Headsets, und wenn man zur Toilette wollte, musste man erst einen gläsernen Aufzug benutzen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie – wenn es denn schon ein gemeinsames »Essen zur Feier des Tages« sein musste – einfach ein paar Tapas im Rincón del Artista bestellt, dem unscheinbaren Restaurant unweit der Comisaría, wo sie auch sonst zu Mittag aßen. Das Rincón war ein ziemlich heruntergekommener Schuppen, das musste Karl zugeben, aber es gefiel ihm dort.

Ihm war bewusst, dass das Flax and Kale, oberflächlich betrachtet, viel besser zu ihm passte. Wenn er nicht gerade in einer zu engen Uniform steckte, trug Karl am liebsten maßgeschneiderte Leinenanzüge und dazu passende Strohhüte, worüber nicht wenige Menschen sich regelmäßig lustig machten. Doch von seiner Kleidung einmal abgesehen, fühlte er sich wohler, wenn es weniger schick zuging. Aber Marla hatte ihm eine besondere Freude machen wollen, also beschwerte er sich nicht. Schließlich konnte er nicht erwarten, dass seine Kollegen die Widersprüche seiner Persönlichkeit verstanden. Die meiste Zeit verstand er sie ja selbst nicht.

Außer Marla waren die junge Kriminaltechnikerin Luisa Ramirez sowie die Mossos Olivia Nadal, Jorge Moix, Victor Gomez und Samuel Rodriguez mit von der Partie. Der Einzige, der fehlte, war Alex. Er hatte sich den ganzen Vormittag noch nicht blicken lassen, was Karl einigermaßen verdross. Sie sollten ein Team sein, da war es doch nicht zu viel verlangt, bei der Vereidigung des Partners aufzutauchen. Dass er sich tatsächlich bereit erklärt hatte, auf Dauer mit seinem Schwager zusammenzuarbeiten, ließ Karl in manchen Momenten über sich selbst staunen. Nach wie vor fragte er sich, wo er da hineingeraten war. Alba hingegen genoss es, dass ihr Mann und ihr Bruder jetzt besser miteinander auskamen. Früher war es kaum möglich gewesen, die beiden gleichzeitig in einen Raum zu stecken. Heute war Alex regelmäßiger Gast beim gemeinsamen Abendessen, und da Rafa, der Freund ihres Sohnes Oliver, auch noch in der Wohnung unter dem Dach wohnte, wurde es regelmäßig eng am Tisch.

Allein das wunderbare Tumbet, ein mallorquinisches Gemüsegericht, das Karl am Vorabend zubereitet hatte, hätte für Alex Grund genug sein müssen, heute Morgen ausnahmsweise einmal pünktlich aus dem Bett zu kommen.

»Jetzt guck doch nicht so griesgrämig, Karl!«, sagte Marla mit einem leichten Lächeln. Karl hatte sie nicht zum ersten Mal in Verdacht, seine Gedanken lesen zu können. Maria Pilar Sanchez hatte die Angewohnheit, Dinge zu bemerken, die anderen verborgen blieben. Allein dieser Umstand hätte ausgereicht, aus der schönen, dunkelblonden Frau mit den traurigen Augen eine gute Polizistin zu machen, doch das Leben hatte es nicht gut mit ihr gemeint. Seit ihr Bruder wegen Mordes an ihrem Vater auf der Flucht war, blieb Marla die Polizeilaufbahn versperrt, was sie nicht davon abhielt, Karl und Alex mit ihrem messerscharfen Verstand zur Seite zu stehen. Im Augenblick wäre es Karl allerdings lieber gewesen, wenn sie ebendiesen Verstand nicht dazu benutzen würde, seinen Gemütszustand zu analysieren.

»Ich finde nur, Alex könnte langsam mal auftauchen«, grummelte er, und Marlas Lächeln wurde zu einem wissenden Grinsen. Sie griff nach dem Glas Cava, das vor ihr auf dem Tisch stand.

»Sind wir dir etwa nicht gut genug?«, fragte sie neckisch und zog eine ihrer perfekt geschwungenen Augenbrauen in die Höhe.

Karl seufzte. »Doch, natürlich. Ich finde es nur ausgesprochen unhöflich, bei der Vereidigung eines Team- und Familienmitgliedes mit Abwesenheit zu glänzen.«

Aus dem Augenwinkel sah er Nadal ebenfalls grinsen. »Ach, komm schon, Flieger«, stieg Luisa in das Gespräch ein, wobei sie mit voller Absicht Karls ungeliebten Spitznamen benutzte, den sich Alex für ihn ausgedacht hatte. Karl schnaubte, und Luisa gelang es gerade noch, ihr Grinsen hinter dem Cavaglas verschwinden zu lassen.

Marla streckte die Hand aus und tätschelte seinen Arm. »Du kennst ihn doch. Er kommt bestimmt gleich.«

Ja, Karl kannte seinen Schwager allerdings.

»Außerdem geht es heute nicht um Alexander Diaz und seine amourösen Abenteuer«, meldete Nadal sich zu Wort, »sondern um unseren Überflieger Karl Lindberg. Den ersten und letzten Desconegut der ehrenwerten Mossos d’Esquadra!« Sie hob ihr Glas, und alle, die um den runden Tisch saßen, taten es ihr gleich.

Nicht schon wieder, dachte Karl, doch auch er erhob sein Glas. Auch, weil Nadal so ein heiliger Ernst ins Gesicht geschrieben stand, dass er es nicht übers Herz brachte, herumzunörgeln. Er hasste das alles, aber sie taten es für ihn. Und Spanier waren einfach nicht gut darin, eine Gelegenheit zum Feiern auszulassen.

Karl nahm noch einen Schluck und merkte, dass er dringend etwas zu essen brauchte. Der Cava stieg ihm allmählich zu Kopf. Vor der Vereidigung am Morgen hatte er nichts heruntergebracht, und er hatte schon ein paar Gläser getrunken. Eine Gelegenheit zum Feiern war in Barcelona nun einmal auch eine Gelegenheit für Cava. Der Schaumwein, der rund um die Stadt an den steilen Hängen des Penedès angebaut wurde, gehörte hier einfach dazu.

»Die Lasagne?«, fragte eine freundliche Stimme hinter seinem Rücken, und Karl atmete erleichtert aus. »Für mich!«, sagte er fröhlich und neigte den Oberkörper leicht zur Seite, damit der Kellner Platz hatte. Schon bei dem Gedanken an ein großes Stück herzhafte Lasagne lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Er konnte es kaum erwarten und steckte sich voller Vorfreude die große Stoffserviette in den Kragen, um die neue Uniform nicht mit geschmolzenem Käse zu beschmutzen. Doch als der Kellner den Arm zurückzog und Karls Blick zum ersten Mal auf den Teller fiel, verging der kurze Anflug von guter Laune wieder. Er hatte keine Ahnung, was genau das Gemenge aus Zucchinischeiben und Rucola auf seinem Teller darstellen sollte, aber eine Lasagne war das sicher nicht.

»Hat einer von euch den Salat hier bestellt?«, fragte er in die Runde, und Marlas Mundwinkel zuckten.

»Das ist kein Salat«, sagte der Kellner, der gerade eine riesige Platte mit Tacos, Guacamole und einer würzig riechenden Füllung vor Rodriguez abstellte, der beim Anblick des Tellers selig zu grinsen begann.

Karl deutete auf seinen Teller. »Und was um alles in der Welt soll das sonst sein?«

Der Kellner lächelte immer noch, doch seine Lippen wirkten dabei seltsam festgetackert.

»Das ist unsere sehr beliebte Rohkostlasagne. Mit Zucchinistreifen, einer Soße aus frischen und getrockneten Tomaten, Babyspinat und Frischkäse aus Cashew- und Macadamianüssen!«

Bitte, was? Käse aus Nüssen? Karl war bewusst, dass er den Kellner anstarrte, auch weil er Luisa neben sich leise kichern hörte, doch er konnte nicht anders. Bis zu diesem Augenblick hätte er nicht im Traum daran geglaubt, dass jemand eine eiskalte Lasagne aus gottverdammten Zucchinischeiben für eine gute Idee halten könnte. Und er hatte sich so auf geschmolzenen Käse gefreut.

»Ich hatte mich schon gewundert, dass du die Lasagne genommen hast«, meinte Luisa vergnügt. Offensichtlich hatte sie beschlossen, mit dem Finger ordentlich in seiner Wunde herumzubohren. »Immerhin stand doch dick und fett ›Rohkost‹ darüber.«

Himmel, hatten sich denn hier alle gegen ihn verschworen? Wenn Karl an Rohkost dachte, kamen ihm Apfelstücke und Möhrensticks in den Kopf, wie Alba sie nach Olis Geburt geknabbert hatte, bis sie wieder in ihre alten Hosen passte. Aber doch nicht das hier!

Der Kellner hatte Luisas Bemerkung zum Anlass genommen, Karl ungefragt Cava nachzuschenken und sich anschließend aus dem Staub zu machen.

Resigniert ließ Karl die Schultern hängen. Ein Blick in die Runde genügte, um zu wissen, dass die anderen wesentlich besser davongekommen waren. Auf Marlas Teller dampfte sogar ein Berg Nudeln mit gebratenen Pilzen vor sich hin. Sie fing Karls traurigen Blick auf und zog die Brauen hoch.

»Wir hätten besser auf ihn achtgeben müssen, Luisa«, sagte sie lächelnd und schob ihren Teller in die Mitte des Tisches. »Was haltet ihr davon, wenn wir alles teilen? Compartimos todo, verdad?«

Die anderen nickten und schoben ihre Teller bereitwillig in Richtung Tischmitte, nur Rodriguez sah seinen Tacos mit eindeutiger Wehmut hinterher. Karl lächelte dankbar und wurde wieder einmal daran erinnert, warum er die Spanier so mochte. In Deutschland hätten ihn seine Kollegen ganz sicher auf seinem Lasagnensalat sitzen lassen. Grinsend hob er seine Gabel und reckte sich in Richtung des Tacos-Teller.

»Warum zum Teufel gehst du nicht an dein Handy?!«, schrie eine vertraute Stimme quer durch das Restaurant, und er zuckte zusammen. Karl drehte sich um und sah seinen Schwager mit wirren Haaren und düsterer Miene auf ihren Tisch zustapfen. Die anderen Restaurantgäste wandten sich neugierig und leicht irritiert nach ihnen um. Wunderbar. Noch mehr Aufmerksamkeit.

»Die Frage lautet doch eher: Warum warst du nicht bei meiner Vereidigung?«, gab er patzig zurück.

Sichtlich um Fassung bemüht, fuhr sich Alex durch die Haare. Er wirkte aufgeregt, war regelrecht fahrig. Die dunklen Ringe unter seinen Augen zeugten davon, dass er sich wieder einmal die Nacht um die Ohren geschlagen hatte. Manchmal dachte Karl, dass wohl nichts und niemand auf der Welt seinen Schwager dazu bringen konnte, erwachsen zu werden.

»Ich war schon auf dem Weg, Flieger. Aber die Cap hat mich abgefangen, um mich auf einen neuen Fall anzusetzen. Wir haben einen Toten.«

Karl ließ die Gabel sinken.

»Was?«

»Einen Toten!«, wiederholte Alex und ließ den Blick über den üppig gedeckten Tisch schweifen. »Das wüsstest du schon längst, wenn du an dein Telefon gegangen wärst und ich dich nicht im halben Viertel hätte suchen müssen. Aber der Herr Kommissar hat sich lieber fürstlich feiern lassen.«

Stirnrunzelnd zog Karl sein Handy aus einer der unzähligen Taschen seiner Uniform. Tatsächlich musste er feststellen, dass Alex geschlagene zwölf Mal versucht hatte, ihn zu erreichen.

»Entschuldige«, sagte er etwas kleinlaut. »Ich hatte das Ding während der Vereidigung stumm gestellt und danach vergessen.«

Alex schüttelte den Kopf. »Du und Handys, Flieger. Wenn du so weitermachst, sorge ich dafür, dass dir Alba im Schlaf eine Fußfessel anlegt!«

Karl lachte. »Das würde sie nicht wagen.«

»Dann schleppe ich dich eben zu meinem Freund Cristobal. Er ist Tierarzt und wird dich sicher liebend gern für mich chippen.«

Karl schnaubte und verzog bei der Vorstellung, jemand könnte ihm mit einer großen Spritze einen Peilsender unter die Haut jagen, angewidert das Gesicht. Schon bei dem kleinen Malteserrüden seiner Schwiegermutter hatte er den Anblick der dicken Kanüle kaum ertragen können. Er fühlte, wie Alex an seinem Ärmel zog.

»Komm, wir müssen jetzt wirklich los.«

Karl musterte den reich gedeckten Tisch mit traurigem Blick. Jetzt, wo sie für ihn unerreichbar wurde, kam ihm die Rohkostlasagne gar nicht mehr so unappetitlich vor.

Mit einem Seufzen zupfte er sich die Serviette aus dem Kragen, erhob sich vom Stuhl und schwankte dabei ein wenig.

Alex nahm seinen Arm und stützte ihn, während er mit der zweiten Hand blitzschnell nach Karls Cavaglas griff und es in einem Zug austrank.

»Hey!«, protestierte Karl, und Alex bedachte ihn mit einem belustigten Blick.

»Schmerzensgeld für die Rennerei, Flieger.« Er zog Karl am Ärmel hinter sich her. »Venga! Wenn wir nicht bald am Fundort auftauchen, bekommt die Arbol wieder einen von ihren Anfällen.« Alex wandte sich an das restliche Team: »Und ihr beeilt euch besser auch ein bisschen. Wir brauchen euch sicher gleich!«

Karl winkte den anderen zu und ließ sich von seinem Schwager mitziehen.

»Wo müssen wir eigentlich hin?«, fragte er, während sie mit schnellen Schritten auf ihren Dienstwagen zugingen, der in einem abenteuerlichen Winkel halb auf dem Bordstein vor dem Restaurant parkte.

»Auf den Friedhof«, gab Alex zurück.

Karls Augenbrauen schossen in die Höhe. »Sag mal, Alex, willst du mich verarschen?«

Alex schloss den Wagen auf und sah ihn mit gespielter Entrüstung über das Dach hinweg an.

»Aber Karl, was denkst du denn von mir?«

Karl ließ sich schwer schnaufend in den Beifahrersitz fallen. Die enge Uniform schnürte ihm schon den ganzen Tag die Luft ab. »Glaub mir«, gab er zurück. »Das willst du nicht wirklich wissen.«

Alex warf Karl einen langen Blick zu, den dieser nicht deuten konnte, der ihm aber Unbehagen bereitete. Dann war der Moment vorbei, und Alex schaute auf die Straße. Er lachte leise, aber es klang hohl in Karls Ohren. »Wie recht du doch hast, Cuñado.«

[home]

2

Der Cementiri de Montjuïc war mit den Friedhöfen, die Karl aus Deutschland und Irland kannte, nicht zu vergleichen. Das hier war kein Gottesacker, aus dem schlichte Grabsteine wie einzelne Zähne herausragten und sorgsam begrenzte Beete den Angehörigen vorgaben, wo sie sich zum Trauern hinstellen durften. Barcelonas Stadtfriedhof war selbst eine Stadt, mit Straßen und Gräbern, so groß wie Häuser. Keine kleinen Brunnen oder Wasserstellen, keine grünen Leihgießkannen, keine Bänke, auf die man sich setzen konnte, um eine Weile über den Verstorbenen nachzudenken, dessen Grab man gepflegt hatte. Er war eher wie eine Trabantenstadt, in die man sich nur zum Schlafen zurückzog. Es lohnte sich nicht, hier zu verweilen. Jedenfalls nicht, wenn man nicht musste. Allein die Ausmaße dieses Friedhofs kamen Karl regelrecht surreal vor.

Deshalb hatte der Cementiri ja sogar eine eigene Buslinie. Was auch gut so war. Denn die stadtabgewandte Seite des Hausbergs Montjuïc war nur von der Autobahn aus gut zu erreichen. Es gab zwar noch ein paar kleinere Eingangstore, die man über den Montjuïc selbst erreichen konnte, doch um dorthin zu gelangen, musste man eine ganze Weile zu Fuß gehen. Und das war etwas, was die meisten Stadtbewohner lieber vermieden. Was Karl ihnen kaum verdenken konnte, vor allem bei der momentanen Hitze.

Von Barcelona aus war der riesige Friedhof nicht zu sehen, als wollten die lebenslustigen Spanier nicht daran erinnert werden, wohin ihr Weg sie unweigerlich führen würde. Dafür sah man den Cementiri besonders gut aus der Luft.

Die Totenhäuser, die Karl immer ein wenig an das Märkische Viertel in Berlin erinnerten, waren oft das Erste, woran sein Blick haften blieb, wenn er in einem Flugzeug saß, das zur Landung auf dem Flughafen El Prat ansetzte. Zu seinem großen Glück war das in letzter Zeit nur noch selten notwendig – Karl hatte unglaubliche Flugangst. Ein weiterer Grund, weshalb er den Spitznamen Flieger nicht sonderlich gern hörte. Sein Namensvetter Charles Lindbergh mochte das Fliegen geschätzt haben; sich dem gewaltigen Friedhof mit dem Auto zu nähern, war Karl Lindberg jedoch bedeutend lieber.

Zwar war er mittlerweile an den Anblick der Totenstadt gewöhnt, doch wie jedes Mal schaute er neugierig aus dem Fenster, als hätte er den Cementiri noch nie gesehen. Karl fand, dass die Toten hier eine spektakuläre Aussicht hatten. Die einzelnen Grabnischen sahen aus wie Fenster, die entweder auf die Stadt oder das Meer hinausgingen. Zwischen den großen Grabmauern ragten kunstvolle Familiengräber verschiedener Stilrichtungen auf. Es war deutlich zu sehen, dass die Familien versuchten, sich selbst im Tod noch gegenseitig zu übertrumpfen. Das war es, was Karl am meisten faszinierte: die schiere Bauwut der reichen Clans im Bestreben, das beste, schönste und natürlich teuerste Grab zu errichten. Riesige Engelsfiguren, Kreuze, Kuppeln und Türmchen ragten wie Fingerzeige in den Himmel, als wollten sie sagen: »Da entlang, Freunde.« Manche der steinernen Figuren wirkten friedlich, verschlafen und romantisch, andere hingegen konnte Karl kaum ansehen, ohne dass ihm ein Schauer den Rücken hinunterlief. Schmerzverzerrte Gesichter, Trauernde, die ihre Tränen zu verbergen suchten, indem sie die Hände vors Gesicht schlugen. Geister aus Stein. An manchen Ecken freute sich der Tod in Form des grinsenden Sensenmannes sichtlich über Nachschub. Karl verstand nicht, wie man seine letzte Ruhestätte mit gruseligen Gerippen und Sensenmännern verzieren konnte, wusste aber aus den drei Semestern Kunstgeschichte, die er studiert hatte, dass derlei früher sehr in Mode gewesen war. In einer Zeit, in der der Tod ein ganz normaler Teil des menschlichen Alltags gewesen war.

Sie fuhren die Hauptstraße hinauf und nahmen dann eine der kleineren Abzweigungen in Richtung Westen, wobei Alex immer wieder auf die Notizen schaute, die er von Maria Arbol zur Lage des Fundortes erhalten hatte. Zwar zogen sich Straßen durch den Friedhof, die verschiedene Namen trugen, doch die Gräber hatten keine Adressen, die man in ein Navigationsgerät hätte tippen können.

»Hast du eine Ahnung, was genau uns erwartet?«, fragte Karl irgendwann, und Alex schüttelte den Kopf.

»Die Cap war sehr sparsam mit ihren Informationen. Sie hat mich nur wissen lassen, dass es einen Toten gibt und dass wir uns die Sache mal ansehen sollen.« Er warf Karl einen bedeutungsschwangeren Blick zu. »Ich wette, sie glaubt an einen Irrtum oder einen Scherz. Sonst hätte sie jemand anderen geschickt.«

»Oder sie wollte mir den Tag meiner Vereidigung versauen.« Alex grinste. »Oder das.«

Maria Arbol, die Cap de la Unitat und somit Alex’ und Karls direkte Vorgesetzte, war nicht gerade begeistert davon, dass Garcia de Torres Alex zum Sergent für Kapitalverbrechen ernannt hatte. Sie ließ keine Gelegenheit aus, ihn daran zu erinnern, dass er in ihren Augen absolut unfähig war. Karl hingegen hielt sie für wahnsinnig, weil er sich bereit erklärt hatte, mit seinem Schwager zusammenzuarbeiten. Einzig die Tatsache, dass sie ihren ersten gemeinsamen Fall mit so viel Einsatz gelöst hatten, nahm ihr etwas den Wind aus den Segeln. Und Karls beachtliche Karriere bei der Berliner Polizei trug auch ein wenig dazu bei, dass sie ihn wenigstens ernst nahm.

Alex gähnte zum wiederholten Male so herzhaft, dass Karl unwillkürlich mitgähnte.

»Du liebe Zeit, was hast du denn die ganze Nacht getrieben, Alex? Warst du auf einer Party?«

Alex lachte kopfschüttelnd. »Eher das Gegenteil. Ich war gestern Abend noch spät in der Facultat de Medicina.«

Karl zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Ach ja? Was hattest du denn da zu suchen?«

Alex’ Ohrmuscheln liefen augenblicklich rot an. »Nichts weiter«, antwortete er ausweichend, und Karl beschloss, es dabei zu belassen. Vorerst. Dabei wusste er ganz genau, was Alex in die medizinische Fakultät geführt hatte. Sein Schwager war schon seit einer ganzen Weile in die strenge Rechtsmedizinerin Chi Yung verknallt, die dort forschte und lehrte. Nun fiel ihm auch auf, dass Alex ein wenig ordentlicher gekleidet war als sonst. Anstelle der üblichen Festivalshirts und zerrissenen Jeans trug sein Schwager ein dunkles Hemd über einer schwarzen Stoffhose. Karl verschwendete keine Zeit mit der Illusion, Alex könnte sich vielleicht ihm zuliebe heute schick gemacht haben. Eher würde die Hölle zufrieren. Nein, Alex versuchte, Chi zu beeindrucken. Die Frage war nur, ob ein gebügeltes Hemd da ausreichen würde. Nun, der Mensch wuchs ja bekanntlich mit seinen Aufgaben.

Nach einer Weile sahen sie ein Fahrzeug der Mossos am linken Straßenrand stehen. Alex ließ Karl aussteigen und parkte dann dicht dahinter. So nahe an der Mauer, dass Karl die Felgen des Seat bedrohlich knirschen hörte. Alex war nicht gut darin, mit Dingen sorgfältig umzugehen, da bildete der Dienstwagen keine Ausnahme. Neben seinem katastrophalen Musikgeschmack war das eine weitere Familienkrankheit. Karl hatte es aufgegeben, Alba zu fragen, woher die ständig neuen Dellen und Kratzer in ihrem Auto kamen. Sie merkte nicht einmal, wenn sie gegen irgendetwas fuhr. Und es war ihr auch egal.

Karl stützte die Hände auf die Hüften und blickte sich um. Hier, am äußersten Westzipfel des Friedhofs, standen ausschließlich Familiengräber, allerdings waren es weniger pompöse oder kunstvolle Bauwerke. Die verschiedenen Touristenrouten, die den Friedhof durchzogen, führten hier nicht vorbei. In dieser Ecke fand man sogar ein paar »normale« Grabsteine, beziehungsweise Gräber, die mit Steinplatten verschlossen waren. Ein wenig sah es hier aus wie im Hinterhof eines Steinmetzes, weil die Ordnung und Struktur, die sich ansonsten durch das ganze Gelände zog, an diesem westlichen Ende vollkommen außer Kraft gesetzt war. Als hätte man einfach keine Lust mehr gehabt, sie bis zum Schluss durchzuziehen. Schmale Trampelpfade schlängelten sich zwischen den Monumenten hindurch, die ohne großen Plan platziert zu sein schienen. Zwischen einem riesigen Engel, der einen verhüllten Toten auf dem Schoß hielt, und einer neogotischen kleinen Gruftkapelle blitzte rot-weiß gestreiftes Polizei-Flatterband hervor.

»Dahinten ist es«, sagte Karl und deutete in Richtung des Bandes.

Alex runzelte die Stirn. »Ich hasse Friedhöfe«, knurrte er.

»Wieso denn das?«, fragte Karl überrascht, und Alex warf ihm einen ungläubigen Blick zu.

»Ist das dein Ernst?«

»Ja, sicher«, erwiderte Karl. »Ich mag Friedhöfe. Das sind meistens ruhige, sehr schöne Orte. Und jeder Grabstein, jedes Monument erzählt die Geschichte eines Lebens.«

Alex schnaubte. »Eines Lebens, das zu Ende ist, meinst du wohl. Ich möchte jedenfalls nicht ständig daran erinnert werden, wie ich einmal enden werde.«

Karl lachte. »Junge, dann hättest du nicht zur Mordkommission gehen sollen. Außerdem drängt sich dann auch die Frage auf, warum du so gern in der Rechtsmedizin abhängst.«

Alex lachte. »Du weißt genau, dass das sehr viel mehr mit den lebenden Exemplaren vor Ort zu tun hat als mit den toten.«

»Streng genommen mit nur einem lebenden Exemplar«, bemerkte Karl grinsend, und Alex verdrehte die Augen.

»Ist ja gut, du Klugscheißer. Ein lebendes Exemplar. Aber wenn du so auf Tote stehst, lasse ich dir gern den Vortritt«, sagte er und deutete in Richtung des Flatterbandes. »Heute ist ja quasi dein erster Tag. Sieh es als Privileg.«

Karl schüttelte den Kopf, ging aber trotzdem voraus. Er wollte das hier so schnell wie möglich hinter sich bringen, nicht zuletzt, weil er in der Uniform der Mossos schwitzte wie ein Verrückter. Wer hatte nur darauf kommen können, dass tiefes Dunkelblau eine passende Farbe für die Polizei in Katalonien sein konnte? Ein Berufssadist? Außerdem war der Stoff sehr fest und klebte an der Haut wie ein Stück Pappkarton, und er traute sich nicht, die ebenfalls dunkle Mütze abzunehmen, weil er genau wusste, wie schnell er sich dank seiner hellroten, dünnen Haare die Kopfhaut verbrannte. Halbiren waren einfach nicht für sonnige Gefilde gemacht. Karl sehnte sich nach einem seiner hellen, luftigen Leinenanzüge. Hoffentlich lohnte sich dieser Ausflug wenigstens, und sie hatten sich nicht auf den Weg hierher gemacht, weil jemand beim Anblick von ein paar alten Gebeinen die Nerven verloren hatte. Natürlich war es eigentlich nicht richtig, auf eine Leiche zu hoffen, aber manchmal passierte es in diesem Beruf eben, dass man moralische Grundsätze vergaß.

Die jungen Beamten, die das abgesperrte Familiengrab bewachten, sahen nicht halb so durchgeschwitzt aus wie Karl, wie er missmutig feststellte. Kein Wunder, es waren ja auch Streifenpolizisten, die ihren Dienst in hellblauen Kurzarmhemden und ohne Krawatte versehen durften. Alle drei musterten Karl und Alex neugierig. Sie sahen aus, als wäre ihre Vereidigung nur unwesentlich länger her als Karls eigene. Die drei warteten nicht nur auf ihre vorgesetzten Kollegen, sondern auch darauf, dass sich der Bartwuchs endlich einstellte.

»Buenas!«, grüßte Karl, und die drei Polizisten nickten. Etwas abseits des Grabes, das wie viele andere an eine kleine Kapelle erinnerte, saß ein älteres Pärchen auf einer Steinmauer. An der farbenfrohen Sportkleidung und den modellgleichen Rucksäcken waren sie sofort als Touristen zu erkennen.

»Buenas, Jungs!«, sagte nun auch Alex und blickte sich suchend nach allen Seiten um. Karl konnte sich denken, warum: Weit und breit war keine Leiche zu sehen. Ein merkwürdiges Déjà-vu-Gefühl breitete sich in ihm aus.

»Wo ist denn der Tote?«

Einer der drei jungen Männer deutete hinter sich auf das Grab.

»Er liegt da drin!«

Karl zog die Brauen hoch. Das war nun doch eine Überraschung. Er hatte mit einer Leiche zwischen den Grabsteinen gerechnet. Immerhin war der Friedhof nicht der schlechteste Ort für konspirative Treffen aller Art, die aus dem Ruder laufen konnten.

»Ihr meint, er liegt in der Gruft?«, fragte Alex, und die drei nickten eifrig.

Alex trat an die jüngeren Kollegen heran und schaute streng von einem zum anderen. »Jetzt mal im Ernst: Wenn das hier ein Scherz ist, dann schwöre ich …« Alle drei schüttelten heftig den Kopf. »Nein, Sergent«, sagte der Größte. »Kein Scherz. Da drin liegt tatsächlich eine Leiche.«

Alex stöhnte. »Dass in einer Gruft Leichen liegen, versteht sich ja wohl von selbst.«

Der junge Bursche fing an zu stottern. »So … so meine ich das nicht, Sergent. Also… ich meine …«

Karl verkniff sich ein Grinsen. Die drei waren eindeutig nicht die drei hellsten Peseten im Brunnen. Er beschloss, sich die Sache lieber selbst anzusehen.

Also hob er das Flatterband, duckte sich darunter hindurch und trat auf das kleine Gebäude zu.

Die schmale Eisentür, durch die man in die Gruft gelangte, war verschlossen, doch zwischen den Gitterstäben hindurch konnte man einen kleinen Altar mit zwei Urnen sowie links und rechts zwei große Steinsärge erkennen. Alles erschien normal. Ein altes Grab von reichen Leuten, die vor rund hundert Jahren das Zeitliche gesegnet hatten. Eine frische Leiche jedoch konnte Karl noch immer nicht entdecken.

Alex war neben ihn getreten und spähte ebenfalls zwischen den Gitterstäben hindurch. »Wo?«, rief er den Kollegen zu.

»Hinten rechts führt eine Treppe nach unten«, kam die Antwort zurück. Karl kramte sein Smartphone hervor, schaltete die Taschenlampenfunktion ein und leuchtete in die rechte hintere Ecke. Tatsächlich. Im schwachen Schein der Lampe konnte man nicht nur eine schmale Steintreppe entdecken, die nach unten führte. Am Fuß der Treppe war jetzt auch ein entblößtes Bein mit einem Männerschuh zu erkennen. Das weiße Fleisch leuchtete gespenstisch in der Dunkelheit. Dort unten lag tatsächlich jemand.

»Was zur Hölle hat eine Leiche in einer abgeschlossenen Gruft zu suchen?«, murmelte Alex, und Karl dachte im Stillen dasselbe. Der einsame Fuß, der in einem dunkel glänzenden Lederschuh steckte, wirkte seltsam fehl am Platz. Wie das verlorene Bein einer Schaufensterpuppe.

»Um das herauszufinden, müssen wir erst mal da reinkommen«, bemerkte Karl und betrachtete das Schloss. Es war sicherlich so alt wie die Gruft selbst. Ein Schloss für einen großen, alten Schlüssel.

Alex trat einen Schritt zurück und betrachtete die Inschrift mit dem Familiennamen, die über der Tür angebracht war.

»De la Pedrera«, las er vor. Dann wandte er sich an die Streifenpolizisten.

»Habt ihr schon Kontakt zu der Familie aufgenommen?«

Der offenbar jüngste der drei Polizisten zuckte die Schultern. »Wir haben mit dem Friedhofswärter gesprochen. Diese Gruft wird von niemandem mehr gepflegt. Die ganze Familie ist verstorben beziehungsweise ins Ausland gezogen.«

»Hat der Friedhofswärter keinen Schlüssel?«

Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Er hat nur die Schlüssel der Gruften, für deren Pflege er bezahlt wird. Es gibt niemanden, den wir fragen können.«

»Mist«, murmelte Alex. »Jetzt müssen wir den Schlüsseldienst rufen; das dauert doch ewig, bis die hier draußen sind.«

»Ist es überhaupt Hausfriedensbruch, wenn wir in ein Grab einsteigen?«, überlegte Karl laut. Tatsächlich war der Friedhof selbst ja öffentliches Gelände. Und von einer Störung der Privatsphäre konnte in diesem Fall wohl auch kaum die Rede sein.

Auch Alex zuckte ratlos die Schultern. »Keine Ahnung.«

»Ich glaube nicht.« Karl griff in eine Tasche seiner Uniform und zog sein Taschenmesser hervor. Das Messer war seit nunmehr fünfzehn Jahren sein treuer Begleiter im Dienst. Er warf Alex einen fragenden Blick zu.

»Kriegst du das hin?«, fragte dieser erstaunt, und Karl konnte sich ein selbstzufriedenes Grinsen nicht verkneifen. »Natürlich kriege ich das hin. Soll ich? Es ist streng genommen nicht ganz korrekt.«

»Der Himmel steh uns bei, das Ende der Welt ist nahe!«, flüsterte Alex amüsiert. »Karl Lindberg ist drauf und dran, etwas zu tun, das nicht ganz korrekt ist.«

Karl warf seinem Schwager einen säuerlichen Blick zu. »So spießig, wie du immer glaubst, bin ich überhaupt nicht.«

Alex schmunzelte, und ein schelmisches Funkeln trat in seine Augen. »Dann beweise es. Ich sage nichts, wenn du nichts sagst.« Karl nickte und klappte die größte Klinge seines Messers auf. Mit diesem alten Taschenmesser seines Vaters hatte er schon unzählige Türen geöffnet und Siegel gebrochen, wenn es einmal schneller gehen musste. Natürlich hatten sie rein theoretisch Zeit, zu warten, bis jemand vom Schlüsseldienst kam, aber sie drangen hier ja nicht in eine Privatwohnung ein. Die Toten hatten sicher nichts dagegen, dass Karl die Dinge ein wenig beschleunigte. Wenn er noch länger mit dieser dunklen Uniform in der Sonne stehen musste, würde er zerfließen.

Erneut betrachtete er das Schloss. Er musste vorsichtig sein, um keine eventuellen Spuren zu kontaminieren oder Fingerabdrücke zu verwischen. Nichts lag ihm ferner, als sich an seinem ersten Tag zum Gespött zu machen.

»Hast du Handschuhe?«, fragte er Alex, doch der schüttelte nur den Kopf.

»Mierda.« Karl dachte eine Weile nach, dann öffnete er kurzentschlossen den Krawattenknoten, zog die Krawatte aus dem Kragen und öffnete den obersten Knopf. Sofort wehte ihm ein lauer Wind um den Hals, und er fühlte sich etwas besser.

Karl wickelte sich die Krawatte um die Finger, während Alex sich zu den Streifenpolizisten gesellte und ein Gespräch mit ihnen begann. Bestimmt wollte er sichergehen, dass sie niemandem diesen »Einbruch« meldeten.

»Ist das der Alemany?«, hörte er gleich einen der drei raunen, während er die Klinge des Messers in das alte Schloss schob.

»Genau der«, antwortete Alex, und Karl konnte den amüsierten Unterton in der Stimme seines Schwagers hören.

»Was tut er denn da?«, fragte ein anderer.

»Er versucht, die Tür zu öffnen«, gab Alex seelenruhig zurück.

»Aber die ist doch abgeschlossen. Wir müssen den Schlüsseldienst rufen. Und wir müssen uns eine Verfügung für die Öffnung besorgen.«

»Die Tür ist nicht abgeschlossen«, entgegnete Alex. »Sie klemmt nur.«

»Sie klemmt?«

»Ja, sie klemmt.«

»Aber wir haben tüchtig daran gerüttelt«, empörte sich nun der Dritte, während Karl zum wiederholten Mal mit der Messerklinge abrutschte. Er musste sich konzentrieren, sonst würde er sich noch einen Finger abschneiden. Doch es fiel ihm schwer, nicht hinzuhören.

»Wenn ich euch sage, dass die Tür klemmt, dann klemmt die Tür. Ist das klar?« Alex’ Stimme hatte einen scharfen Tonfall angenommen, und Karl hoffte, dass die drei Streifenpolizisten nun begriffen.

»Jawohl, Sergent«, antworteten sie dann auch gleich wie aus einem Mund. So blöd waren sie wohl doch nicht.

»Der Alemany ist ganz schön blass für die Jahreszeit«, bemerkte einer von ihnen, und Karl schnaubte.

»Der Alemany hört übrigens jedes Wort, das ihr sagt«, rief er zu ihnen hinüber und genoss das verdutzte Schweigen, das auf seine Bemerkung folgte. Der Alemany sprach doch tatsächlich Catalán.

Karl hatte die Wartezeit auf die Papiere aus Deutschland damit überbrückt, endlich bei einem richtigen Lehrer Katalanischunterricht zu nehmen. Seine früheren Versuche, die Sprache bei seiner alten Nachbarin Doña Clara zu lernen, waren kläglich gescheitert. Doch mit dem Angebot von Garcia de Torres war Karl nicht mehr darum herumgekommen. Darüber hinaus war er es leid, seine Kollegen nicht richtig verstehen zu können. Trotz seiner Befürchtungen, er könne zu alt sein, um eine neue Sprache zu lernen, machte er erstaunlich schnell Fortschritte.

Die jungen Kollegen jedenfalls wirkten aufrichtig erstaunt.

»Verzeihung, Sergent«, murmelten sie, und Karl nickte knapp. Er konnte sich jetzt nicht mit ihnen befassen, denn die Messerklinge hatte sich endlich im Schloss verhakt. Wenn er diesen Widerstand brechen konnte, dann …

Das Schloss klickte, und die Tür öffnete sich geräuschlos einen Spaltbreit. Auffallend geräuschlos.

Karl runzelte die Stirn. So eine alte Eisentür müsste eigentlich gewaltig quietschen. Er nahm die Scharniere in Augenschein. Dort, wo sich Stift und eiserne Öse trafen, schimmerte es schwach. Obwohl diese alte Gruft von keinem mehr gepflegt wurde, hatte sich ganz offensichtlich jemand die Zeit genommen, die Scharniere zu ölen, damit die Tür nicht quietschte. Karls Herz klopfte schneller. Seine Intuition übernahm das Ruder, ein Bauchgefühl sagte ihm, dass sie es hier mit einem Verbrechen zu tun hatten. Schnell machte er mit seiner Handykamera ein Foto von den Scharnieren.

Er drehte sich um und sah zu Alex und den jüngeren Kollegen hinüber.

»Ruft Guardiola und seine Leute. Wir brauchen die Spurensicherung! Und Chi brauchen wir auch«, sagte er, und Alex runzelte die Stirn.

»Ist das nicht ein bisschen voreilig?«

Karl schüttelte den Kopf. »Ist es nicht. Vertrau mir.«

Vorsichtig stieß er die Tür auf und betrat die Gruft, während Alex den Auftrag, die Kriminaltechnik sowie die Rechtsmedizin zu alarmieren, an die jüngeren Kollegen weitergab.

»Sagt ihnen, sie sollen starke Scheinwerfer mitbringen!«, rief Karl, während er sich im oberen Stockwerk der Gruft umsah.

Ihm fiel nichts auf, was er nicht schon durch die Scheibe gesehen hatte, allerdings schlug ihm ein bekannter Geruch entgegen. Süß und schwer und unvergleichlich. Es gab Menschen, die behaupteten, der Duft einer aufgeblühten Lilie sei so ähnlich wie dieser Geruch, doch Karl konnte das nicht bestätigen. Der Tod und die Lilie teilten sich ein paar süße Duftnoten, doch für Karl war es eindeutig, dass hier keine Blumen blühten, sondern die sprichwörtliche Leiche im Keller lag.

Alex zwängte sich durch die schmale Tür herein.

»Gott, was riecht denn hier so?«, fragte er, und Karl lächelte leicht.

»Du bist doch derjenige, der sich in seiner Freizeit im Sektionssaal rumdrückt. Eigentlich müsstest du diesen Geruch gut kennen.«

Alex schob mit verlegener Miene die Hände in die Hosentaschen.

»Ich bin einer von denen, die sich Minzöl unter die Nase reiben, bevor sie da reingehen.«

»Das solltest du Chi nicht hören lassen. Meiner Erfahrung nach finden Rechtsmediziner so ein Klischeeverhalten besonders lächerlich.« Karl schüttelte lachend den Kopf. »Präg dir diesen Geruch gut ein, Alex. Er wird dir während deiner Karriere noch oft nützlich sein. Nur der Tod riecht wie der Tod.«

Karl klopfte seinem Schwager aufmunternd auf die Schulter. Dann ging er zu der schmalen Steintreppe und leuchtete hinab. Jetzt war das Bein sehr deutlich zu erkennen.

Karl betrachtete die schmale Stiege nachdenklich. Sie war schon sehr alt, an den Seitenwänden hatten sich jahrzehntelang Moos und Getier breitgemacht.

»Wir sollten seitwärts runtergehen«, meinte er. »Damit wir mit unseren Schultern keine Spuren verwischen. Und immer auf die Mitte der Stufen treten. Spuren befinden sich meist direkt an der Stufenkante.«

»Außerdem sind unsere Fußabdrücke so von denen des Täters gut zu unterscheiden«, fügte Alex hinzu.

»Genauso ist es. Auch wenn wir noch längst nicht wissen, ob es sich um einen Mord handelt.«

Karl drehte seinen Körper um neunzig Grad und begann, Stufe für Stufe in die untere Gruft hinabzusteigen. Für einen Mann seiner Körpergröße kein einfaches Unterfangen, er maß beinahe zwei Meter. Wenigstens war er zum ersten Mal an diesem Tag dankbar, die Uniform zu tragen. Seinen Anzug hätte er sich in dieser Gruft nur ungern versaut.

In der unteren Gruft angelangt, musste Karl umständlich über die große Männerleiche steigen, die bäuchlings auf dem Boden lag.

Der Geruch war im Untergeschoss wesentlich stärker als oben, was vielleicht auch daran lag, dass es hier unten kein Fenster gab.

Der schmale Raum wies keinerlei Zierrat auf. Nur die beiden dicken Bodenplatten wiesen darauf hin, dass hier zwei Menschen begraben lagen. Wahrscheinlich hatten die Kinder und andere Nachkommen oben ihre letzte Ruhestätte gefunden, während hier unten der Patriarch und seine Gattin lagen. Und nun auch noch ein Fremder, der jetzt im Licht zweier Handy-Taschenlampen gut zu erkennen war.

Der Tote war groß und wuchtig. Sein Körper steckte, soweit Karl das beurteilen konnte, in teurer Kleidung, die Schuhe schienen handgefertigt zu sein. Der von dunklen Locken bedeckte Kopf war zur Seite geneigt, sodass Karl dem Mann ins Gesicht sehen konnte, wenn er in die Hocke ging, was jedoch kein Vergnügen war. Die Verwesung war schon recht weit vorangeschritten; der gesamte Leichnam war verfärbt und aufgebläht. Allerdings konnte man dennoch sehen, dass der Tote kein Kostverächter gewesen war. Allein der Hosenumfang sprach eine eindeutige Sprache. Zum Glück war es im unteren Stockwerk der Gruft deutlich kühler als oben, sonst hätte der Leichnam einen noch unangenehmeren Anblick geboten.

»Wer auch immer er ist«, stellte Karl fest, »er liegt nicht erst seit gestern hier.«

Hinter sich hörte er Alex sehr flach atmen. »Sieh zu, dass du nicht umkippst, Alex. Die Luft hier unten ist nicht giftig.«

»Aber widerlich!«

»Jetzt reiß dich zusammen und komm hier rüber. Es ist leichter, wenn man sich nicht dagegen wehrt.« Alex riss sich tatsächlich zusammen und hockte sich neben seinen Schwager. Gemeinsam betrachteten sie das Gesicht des Mannes, das bereits deutlich von der Verwesung gezeichnet war. Wie alle Toten, die schon eine Weile verstorben waren, ähnelte dieser hier einer dicken Kröte.

»Scheiße, Karl«, sagte Alex nach einer Weile halblaut. »Ich glaube, ich weiß, wer das ist.«

Karl sah seinen Schwager überrascht an. Seiner Meinung nach war niemand in der Lage, eine Leiche in diesem Stadium zu identifizieren. »Wie bitte?«

Alex fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht wie jemand, der vollkommen übernächtigt ist oder Kopfschmerzen hat.

»Schaust du dir nie die Nachrichten an, Karl?«

Karl zuckte die Schultern. »Doch, sicher. CNN, BBC, die Tagesschau …«, zählte er auf, doch Alex schüttelte den Kopf. »Du bist jetzt ein Mosso, also solltest du dringend anfangen, die Lokalnachrichten zu schauen.«

Karl verzog das Gesicht. »Die sind allesamt schlimmer als die Regenbogenpresse.«

»Mag sein. Aber wenn du in den letzten zwei Wochen wenigstens einmal Nachrichten gesehen hättest, wüsstest du, wen wir hier vor uns haben.« Karl runzelte die Stirn. Es war nicht so, dass er vollkommen blind durch die Gegend lief und sich überhaupt nicht über die Dinge informierte, die in Spanien und Katalonien abliefen, aber in letzter Zeit war er mit dem Katalanischunterricht und seiner Familie so beschäftigt gewesen, dass er wenig mitbekommen hatte. Und doch klingelte etwas in seinem Unterbewusstsein. Schlagzeilen der Zeitungen El Periódico und La Vanguardia schossen ihm durch den Kopf, und mit einem Mal fiel der Groschen. Karl schnappte nach Luft.

»Du meinst, das hier ist Fernando Bunyol?«

Alex nickte mit grimmiger Miene. »Ganz sicher bin ich natürlich nicht, aber ich würde einiges drauf wetten. Größe, Statur, Kleidung und Haare.« Alex deutete auf die rechte Hand des Toten. »Und Bunyol hat immer genau so einen Siegelring getragen.«

Karl gab den Namen des Politikers in die Suchmaschine seines Handybrowsers ein und klickte auf die Bildersuche. Tatsächlich fand er schon nach kurzer Zeit ein Foto, auf dem der wuchtige Siegelring an Bunyols rechtem kleinem Finger gut zu sehen war. Sowohl die Form als auch der ungewöhnliche Sitz des Ringes ließen wenig Raum für Zweifel. Entweder der Tote war Fernando Bunyol, oder er sollte so aussehen. So oder so war die Sache delikat. Karl stieß einen Pfiff aus, als er einen neueren Artikel überflog. Fernando Bunyol, Vorsitzender der erzkonservativen Partei TyF, war vor rund zwei Wochen verschwunden. Karl hatte sich nicht weiter für den Klatsch und Tratsch interessiert, den sein Verschwinden ausgelöst hatte, vornehmlich, weil er dem Mann niemals etwas hatte abgewinnen können.

Als hätte Alex seine Gedanken gelesen, begann er zu fluchen. »Puta madre!«, brüllte er so laut, dass es von den Wänden widerhallte.

»Alex!«, ermahnte Karl seinen Schwager. »Wir sind hier immer noch auf einem Friedhof. Also reiß dich zusammen.«

»Entschuldige.« Alex machte ein verlegenes Gesicht. »Aber müssen ausgerechnet wir immer die Arschlöcher abkriegen?«

Karl lachte. »Du wirst bald feststellen, dass Arschlöcher viel eher dazu neigen, durch Fremdeinwirkung dahinzuscheiden, als nette Menschen.«

»Meinst du, er wurde umgebracht?«

Karl zuckte die Schultern. »Das kann man jetzt noch nicht sagen. Vielleicht hat er sich auch das Leben genommen, aber wieso hätte er sich dafür eine fremde, verlassene Gruft aussuchen sollen?«

»Vielleicht war er gläubig und wollte sichergehen, dass er in geweihter Erde landet?«, schlug Alex vor.

»Könnte sein.«

»Wenn er nicht in die Hölle wollte, hätte er sich allerdings zu Lebzeiten anders verhalten sollen.« Ein Ausdruck vollkommener Ablehnung machte sich auf Alex’ Gesicht breit.

Karl konnte es ihm nicht verdenken. Das Verschwinden von Fernando Bunyol war der einzige Gefallen, den dieser Mann Barcelona jemals getan hatte. Vor allem unter den weniger wohlhabenden Bürgern der Stadt hatte sich der feiste Bunyol mit seinen teuren Bauprojekten und seiner deutlichen Abneigung gegen die ärmlicheren Stadtteile keine Freunde gemacht.

»Mein Gott, die Arbol tickt aus!«, stöhnte Alex, und Karl konnte ihm kaum widersprechen. Die Cap de la Unitat – ihre direkte Vorgesetzte – konnte mit Presserummel nicht besonders gut umgehen. Wenn sie erfuhr, dass es sich bei dem Toten wahrscheinlich um den verschwundenen Politiker handelte, würde sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Nerven verlieren. Auf die Litanei, die sie zu hören bekommen würden, hatte Karl jetzt schon keine Lust.

»Vielleicht entzieht sie uns den Fall ja wieder.« Alex klang hoffnungsvoll.

Karl war sich da nicht so sicher. »Glaube ich kaum. Immerhin hätte sie so die perfekte Ausrede, wenn die Mossos den Fall in den Sand setzen. Wir zwei sind ihre persönlichen Sündenböcke.« Er schüttelte den Kopf. »Ich schätze eher, sie packt die Gelegenheit beim Schopfe, um uns in regelmäßigen Abständen anzubrüllen und im Ernstfall alle Schuld von sich zu weisen.«

Alex schnaubte. »Du hast eine beängstigend gute Menschenkenntnis, Flieger. Weißt du das?« Noch immer den Blick auf die Leiche gerichtet, fügte er hinzu: »Ich wünschte, der Kerl wäre einfach nicht wieder aufgetaucht. Vom Erdboden verschluckt.«

»Wer immer das hier zu verantworten hat, hat jedenfalls genau dasselbe gehofft«, murmelte Karl.

Alex deutete auf die blaue Zunge, die dem Mann aus dem Mund quoll.

»Ist er erstickt?«

Karls Blick wanderte zum Hals des Mannes, um den eine Seidenkrawatte geschlungen war. Sie wirkte in der Tat ziemlich eng. Aber er hatte in seinen Jahren bei der Berliner Kripo gelernt, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.

»Die Zunge könnte auch post mortem hervorgequollen sein, so was passiert recht oft. Aber ja, er könnte natürlich auch erstickt sein.«

»Das muss Chi entscheiden«, sagte Alex und stand auf, wobei seine Knie laut knackend protestierten. »Ich muss jetzt erst mal eine rauchen. Kommst du mit?«

Karl erhob sich ebenfalls, wobei er aufpassen musste, sich den Kopf nicht an der niedrigen Decke zu stoßen. »Ich komme gleich nach.«

»Warte doch, bis Guardiola mit den Scheinwerfern kommt.«

Karl schüttelte den Kopf. »Wenn die Stampede erst mal hier ist, kann ich meinen eigenen Kopf nicht richtig denken hören. Geh ruhig rauf, ich bin gleich da.«

Alex zuckte die Achseln und stieg im Krebsgang die Treppe hinauf. Etwas am Anblick seines Schwagers rührte Karl; wie Alex sich bemühte, nichts anzufassen, sich möglichst klein zu machen. Keine Spuren zu verwischen, keine Fehler zu machen. Wenn Alex ihn seltener zur Weißglut bringen würde, könnte Karl ihn richtig gernhaben.

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3

Karl nutzte den Augenblick der Stille, um ein wenig mit dem Toten allein zu sein. Das machte er immer, wenn er Gelegenheit dazu hatte, was selten genug vorkam, da meistens die Spurensicherung bereits am Werk war, wenn die Kriminalpolizei eintraf. Die verschlossene Tür hatte ihnen ein wenig Zeit verschafft, die Karl zu nutzen gedachte.

Dabei war es keineswegs so, dass er gern mit einem toten Menschen allein war, ganz im Gegenteil. Ihn gruselte die Gegenwart einer Leiche genauso wie andere Menschen. Dass er sich in einer düsteren Gruft auf einem Friedhof befand, half auch nicht unbedingt. Aber Karl hatte mit den Jahren die Erfahrung gemacht, dass er besser denken konnte, wenn ihm niemand dazwischenquatschte. Und dass er, genau wie Marla, ziemlich gut darin war, Details zu entdecken, die andere übersahen.

Zuerst schloss er die Augen und schnupperte. Der Geruch des Todes war dominant in dem engen Raum, und natürlich roch es auch nach Keller, nach Erde und feuchten Wänden sowie ganz schwach nach den Pflanzen des Mittelmeeres, die dort oben überall zwischen den Gräbern wuchsen. Herber Piniengeruch und der zarte Duft von Blauregen fanden den Weg in Karls Nase. Und schließlich ein Geruch, der ihm wieder deutlich vertrauter war, seitdem er mit Alex zusammenarbeitete: kalter Zigarettenrauch. Doch den könnte auch sein Schwager mitgebracht haben.

Er öffnete die Augen wieder und schaute sich aufmerksam um, ließ das Licht seiner Handy-Taschenlampe langsam durch den Raum kreisen, der bis auf den Leichnam und ihn selbst vollkommen leer war. Doch das konnte täuschen.

Zunächst überprüfte Karl die Decke des Raumes, doch dort war bis auf eine beachtliche Menge Spinnenweben nichts zu entdecken, also begann er, vorsichtig den Boden abzusuchen. In der linken Ecke des Raumes, schräg gegenüber der Treppe sah er etwas, das ihn innehalten ließ: Vier kreisrunde Flecken, die ein Quadrat bildeten. Es sah aus, als hätte hier ein Stuhl gestanden. Karl machte ein paar Fotos. Die Spuren mussten neuer sein, sonst hätten Staub und Schmutz sie schon längst zugedeckt. Er drehte sich einmal um die eigene Achse und fand seine Vermutung bestätigt: Von diesem Punkt aus hatte man einen perfekten Blick auf den toten Señor Bunyol. Karl rieb sich das Kinn. Es sah so aus, als hätte jemand hier auf einem Stuhl gesessen und den Toten betrachtet. Natürlich könnte der Stuhl auch vor Bunyols Tod in der Ecke gestanden haben, doch das glaubte Karl nicht. Bei dem Dreck, der hier herrschte, wären die Abdrücke längst nicht mehr zu sehen.

Natürlich könnte es auch sein, dass Bunyol selbst den Stuhl benutzt hatte, doch wer hätte ihn dann wegschaffen sollen, ohne die Leiche zu melden? Möglich war außerdem, dass Bunyol gefoltert worden war. Dass der Täter dem Politiker etwas hatte entlocken wollen und sich zwischendurch auf den Stuhl gesetzt hatte, um mit dem Opfer zu sprechen. All das gehörte allerdings ins Reich der Spekulation. Wenn Chi den Toten untersucht hatte, würden sie mehr wissen.

Gewissenhaft nahm Karl den Rest der linken Ecke in Augenschein und fand noch einen weiteren Hinweis: einen schwarzen Fleck an der Wand links neben den Abdrücken der Stuhlbeine. Er beugte sich vor und roch daran. Kein Zweifel: Hier hatte jemand seine Zigarette ausgedrückt. Leider war derjenige nicht so unvorsichtig gewesen, die Kippe einfach fallen zu lassen. Doch auch diese Tatsache verriet Karl einiges über den Raucher. Das Bild eines Mannes, der rauchend auf einem Stuhl saß und einen Toten oder Sterbenden beobachtete, formte sich in seinem Kopf. Eines Mannes, der vorsichtig und darauf bedacht war, keine Spuren zu hinterlassen. Der alte Scharniere ölte, um beim Betreten der Gruft kein Geräusch zu machen. Jemand, der bei seinem Treiben nicht beobachtet werden wollte. Der seine Tat wahrscheinlich akribisch geplant und ausgeführt hatte. Intelligent und überlegt. Zwar war es eigentlich noch viel zu früh, um derartige Schlüsse zu ziehen, doch Karl verfügte über ein sehr sicheres Bauchgefühl, wenn es um solche Dinge ging. Hier waren zu viele Seltsamkeiten an einem Ort versammelt, um von einer natürlichen Todesursache auszugehen. Sollte Chi tatsächlich Gift im Blut des Toten vorfinden, oder sogar einen Schlüssel zur Gruft in dessen Hosentasche, konnte Karl seine Karriere getrost an den Nagel hängen.

Er fotografierte auch den schwarzen Fleck und kramte sein Notizbuch hervor, um eine Skizze des Raumes anzufertigen.

Im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen hielt Karl nichts davon, Notizen in seinem Smartphone abzuspeichern. Und in dieser Situation zeigte sich wieder einmal, wie recht er mit seinen Vorbehalten hatte. Erstens brauchte er das Licht des Telefons, um zeichnen zu können – dazu musste er es allerdings in den Mund nehmen –, und zweitens konnte man auf dem Handy keine Skizzen anfertigen. Jedenfalls nicht auf seinem.

Als Karl sich vergewissert hatte, dass er jeden Winkel des Raumes überprüft hatte, stieg er wieder hinauf und gesellte sich zu den anderen.

Es stellte sich heraus, dass das Ehepaar mit den farblich aufeinander abgestimmten Windjacken den Toten entdeckt hatte. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass sie aus Polen stammten und exzellent Deutsch sprachen, sodass Karl ihre Aussagen an Ort und Stelle aufnehmen und sie gleich danach entlassen konnte. Es war schon schlimm genug, dass sie in ihrem Kurzurlaub auf eine Leiche gestoßen waren, da wollte er sie nicht auch noch allzu lange aufhalten.