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401 AD: Artaxerxes, der König Persiens, herrscht über ein Reich, das sich von der Ägäis bis nach Nordindien erstreckt. Er bestimmt über Leben und Tod. Sein Befehl kennt keinen Widerspruch. 50 Millionen Menschen sind ihm Untertan. Doch sein Bruder Kyros lehnt sich auf. Mit einem Heer von griechischen Söldnern und Spartanern zieht er gegen das Reich des Artaxerxes. Die Schlacht zwischen Sparta und Persien beginnt ...
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Seitenzahl: 686
Das Buch
»Als Kyros aufsaß, fragte er sich, ob irgendeiner Sparta jemals so gut verstehen könnte, wie er es tat. Solche Männer Griechenlands hatten bei Marathon das Heer von Dareios dem Großen zerschlagen. Es waren Spartiaten gewesen, die griechische Soldaten in den Schlachten bei den Thermopylen, bei Plataiai und bei Mykale gegen den Perserkönig Xerxes anführten. Persien hatte fast dreißig Völker unterworfen, war aber von Griechenland zur Umkehr gezwungen worden – und von den Kriegern, die rote Umhänge trugen.
Diese dunklen Zeiten lagen in weit entfernter Vergangenheit, wenngleich die Erinnerung an sie höchst lebendig war. Kyros schaute zur Seite, als seine Männer sich in perfekter Doppelreihe formierten, bereit für sein Kommando. Spartaner hatten schließlich die Macht Athens brechen und über ganz Griechenland herrschen wollen, doch sie kämpften für ihn, weil er sie dafür entlohnte – und weil er genau verstand, welchen Begriff von Ehre sie hegten. Es gab keine edleren Krieger auf Erden!«
Der Autor
Conn Iggulden, geboren 1971, ist einer der erfolgreichsten Autoren historischer Stoffe. Iggulden lehrte Englisch an der University of London, bevor er sich dem Schreiben zuwandte. Neben seinen Romanen stürmte er auch mit dem Sachbuch »Dangerous Book for Boys« die Bestsellerlisten. Iggulden lebt mit seiner Familie in Hertfordshire, England.
Lieferbare Titel
Die Rosenkriege:
Sturmvogel (1), Das Bündnis (2), Drei Könige (3), Bruderschlacht (4)
CONN IGGULDEN
SPARTA
Roman
Aus dem Englischenvon Sven-Eric Wehmeyer
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
Die englische Originalausgabe
The Falcon of Sparta
erschien 2018 bei Michael Joseph, part of thePenguin Random House group of companies.
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Vollständige deutsche Erstausgabe 01/2020
Copyright © 2018 by Conn Iggulden
Copyright © 2019 by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Barbara Häusler
Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock
Satz: Schaber Datentechnik, Austria
ISBN: 978-3-641-24371-5V001
www.heyne.de
Für meinen Sohn Cameron,der mich nach Sparta begleitete.
Im Jahre 401 vor Christus herrschte der Perserkönig über ein Reich, das sich von der Ägäis bis Nordindien erstreckte. Die Zahl seiner Untertanen betrug mindestens fünfzig Millionen – und seine Heere waren gewaltig.
Mit vereinten Kräften an Land und auf See waren nur Sparta und Athen je in der Lage, sie zurückzudrängen.
In der Hitze Babylons rissen die Stare ihre Schnäbel auf und zeigten ihre schwarzen Zungen. Wer jenseits der gigantischen Stadtmauern die Äcker bestellte, litt unter der niederdrückenden Sonne.
Als der Große König in der Mitte der Straße entlangschritt, lag ein feuchter Schimmer auf seiner Haut, und sein Sohn hätte nicht sagen können, ob er von Öl oder Schweiß herrührte. Der Bart seines Vaters glänzte in dichten schwarzen Locken, ein ebenso unverkennbares Merkmal wie der Duft nach Rosen oder der lange und mit einem Panzer aus miteinander verbundenen und einander überlappenden Metallplättchen versehene Mantel, der ihn einhüllte.
Die Luft roch nach heißem Stein und Zypressen, die wie Speerspitzen gen Himmel ragten. Die umliegenden Straßen waren von ihren Anwohnern geräumt worden. Kein einziges Kind, keine einzige alte Frau war zurückgeblieben, nicht einmal ein Huhn, das im Staub hätte scharren können, während die Reichssoldaten ihrem König den Weg frei machten. Die Stille lastete so schwer, dass der Junge den Gesang der Vögel hören konnte.
Die Straße von Ningal war mit weichen Palmenzweigen ausgelegt worden, sie bildeten einen dichten Teppich und waren noch immer grün. Keinerlei Moder- und Fäulnisdünste sollten ihre Unterredung stören oder den Älteren von seiner Unterweisung ablenken. Sein Ziel bestand in nichts weniger als darin, das Überleben seines Hauses zu gewährleisten, und er hatte weder Kurtisanen noch Spionen gestattet, sich nahe genug bei ihnen aufzuhalten, um mithören zu können. Seine Hauptmänner glaubten, eine königliche Laune hätte sie an jenem Morgen weit vor Sonnenaufgang ausgeschickt, um die Stadtviertel auf beiden Seiten der Straße zu räumen. Die Wahrheit war jedoch, dass gewisse Worte nicht zufällig mitgehört werden sollten. Dem König war bewusst, wie viele Lauscher sich an seinem Hof tummelten. Es gab einfach zu viele kleine Satrapien, zu viele Königreiche, deren Kronen er unter seinen Sandalen zermalmt hatte. Neunzig Herrscher und Fürsten zahlten ihren Spionen den Sold allein fürs Lauschen, während tausend Höflinge sich um die besten Plätze und Posten rangelten. Das schlichte Vergnügen, ganz allein mit seinem Sohn umherzugehen, wie jeder einfache Schafhirte es vermochte, hatte sich in einen Luxus verwandelt, dessen Kostbarkeit dem Besitz funkelnder Rubine in nichts nachstand, genauso wertvoll wie die »Bogenschützen« genannten dicken Goldmünzen, welche das Abbild von König Dareios quer durch das Großreich trugen.
Während sie dahinschritten, warf der kleine Junge seinem Vater verstohlene Seitenblicke zu, voller Bewunderung und vollkommenem Vertrauen. Der junge Artaxerxes passte seinen Gang dem des Königs an, was allerdings ab und an einen zusätzlichen halben Schritt erforderlich machte, einen Hüpfer, um mithalten zu können. Dareios schien es nicht zu bemerken, doch Artaxerxes wusste, dass seinem Vater nur sehr wenig entging. Das Geheimnis seiner langen Regentschaft lag in seiner Weisheit. Wäre der kleine Junge jemals nach seiner Meinung gefragt worden, hätte er gesagt, dass sich sein Vater noch nie geirrt hatte.
An Verhandlungstagen saß der König über seine mächtigsten Lords zu Gericht, über Männer, deren Heere Zehntausende von Kämpfern stark waren, die Länder aus Jade und Elfenbein regierten, so weit entfernt wie der Mond. Dareios pflegte dabei einfach zuzuhören und sich mit der Hand durch den Bart zu streichen, was einen leichten Glanz auf seinen Fingern hinterließ. Er rieb dann Daumen und Zeigefinger aneinander oder nahm sich eine Weintraube aus einer goldenen Schale, die ein zu seinen Füßen kniender Sklave hielt. Auf diese Weise durchdrang Dareios das jeweilige Problem bis in seinen Kern, während seine Berater noch damit beschäftigt waren, abzuwägen und Argumente auszutauschen. Artaxerxes wünschte sich dieses außergewöhnliche Verständnis ebenfalls, weshalb er aufmerksam zuhörte und schnell lernte.
Die Stille, die über der Stadt lag, war von der Art, wie nur Tausende von Soldaten mit an Kehlen gedrückten Dolchklingen sie erzeugen konnten. Die Feldherren des Königs wussten, dass sein Zorn über sie käme, wenn sie ihn störten – und so spazierten Vater und Sohn dahin, als wären sie die beiden letzten lebenden Menschen auf der Welt, in Staub und Wärme und der untergehenden Sonne, die ihnen nach der Hitze des Tages Linderung verschaffte.
»Babylon war einst das Herz eines Großreiches, eines sehr mächtigen«, sagte König Dareios. Seine Stimme klang sanft, eher wie die eines Lehrmeisters als die eines Kriegers.
Sein Sohn schaute mit strahlenden Augen zu ihm auf.
»Aber Persien ist mächtiger«, erwiderte Artaxerxes.
Sein Vater lächelte über seinen Stolz.
»Natürlich! In jeder Hinsicht. Persien ist ein Dutzend Mal größer, als das alte Babylon je sein wollte und konnte. Ein Leben reicht nicht aus, um die Grenzen meines Reiches abzugehen – nicht einmal zwei oder drei Leben. Doch das wurde mir nicht in den Schoß gelegt, mein Junge. Als mein Vater getötet wurde, fiel die Krone meinem Bruder zu. Er nahm sie an sich, noch bevor die Tränen auf seinen Wangen getrocknet waren – und herrschte nur einen Monat lang, bevor man ihn ermordete.«
»Und Ihr habt Rache genommen an dem, der ihn umbrachte«, sagte Artaxerxes, weil er seinem Vater gefallen wollte.
Der König blieb stehen und wandte das Gesicht mit geschlossenen Augen der Sonne zu, um ein deutlicheres Bild seiner Erinnerungen zu gewinnen.
»Das tat ich. Als an jenem Tag die Sonne aufging, waren wir zu dritt, drei Brüder. Am Abend gab es nur noch mich allein. Ich war von oben bis unten blutbespritzt – aber ich war König.«
Dareios holte tief Luft, und sein sich hebender Brustkorb ließ die Metallplatten seines Mantels über der darunterliegenden feinen Seide leise klirren. Sein Sohn reckte sich, ihn bewusst nachahmend. Artaxerxes war weder klar, warum sein Vater ihn an diesem Tag an seine Seite beordert hatte, noch kannte er den Grund, warum sogar die berühmte Leibwache der Unsterblichen nirgendwo in Sicht war. Es hieß, sein Vater vertraue niemandem, und dennoch ging er hier allein mit seinem ältesten Sohn und Erben. Mit seinen vierzehn Jahren ließ dies Artaxerxes vor Stolz und Glückseligkeit förmlich schweben.
»Ein König braucht mehr als einen Sohn«, fuhr sein Vater fort. »Der Tod kommt allzu rasch, wie ein Wüstenwind, der ohne warnendes Vorzeichen plötzlich aufkommt. Er kann als strauchelndes Pferd oder ihr eigentliches Ziel verfehlende Messerklinge die Klaue nach einem ausstrecken. Er kann durch Gift oder Verrat kommen, durch verdorbenes Fleisch, durch Fieber oder von Dschinns aus den Lüften. In einer solchen Welt stellt ein König mit nur einem einzigen Sohn nicht nur eine Herausforderung der Götter dar, sondern auch all seiner Feinde und Widersacher.«
Dareios schritt voran und verschränkte dabei die Hände hinter dem Rücken. Der Junge hatte erhebliche Mühe mitzuhalten. Als Artaxerxes wieder aufgeschlossen hatte, sprach sein Vater weiter.
»Sollte dieser Erstgeborene, dieser mehr als alles geliebte Junge jedoch lange genug überleben, um zum Mann zu reifen, beginnt ein anderes Spiel. Hat er Brüder, so sind sie – so wichtig sie ihm in den Jahren zuvor auch gewesen sein mochten – die einzigen Menschen auf Erden, die ihm alles nehmen können.«
»Kyros?«, entfuhr es Artaxerxes. Entgegen seiner Vorsicht, entgegen der Ehrfurcht vor seinem Vater ließ die Vorstellung, sein kleiner Bruder könnte jemals sein Feind sein, seine Augen vor Belustigung funkeln. »Vater, Kyros würde mir niemals etwas antun.«
Sein Vater fuhr abrupt herum. Die Schutzplatten seines schweren Mantels hoben sich wie der Panzer eines Käfers, der zum Flug ansetzt.
»Du bist mein Sohn und Thronfolger. Sollte man dir das Leben nehmen, wird Kyros König sein. Das ist seine … Bestimmung.« Der König ließ sich auf ein Knie nieder und umschloss die Hände des Jungen mit seinen. »Du wirst meine Krone tragen, das verspreche ich dir. Kyros jedoch … ist ein geborener Krieger. Obwohl er erst dreizehn Jahre alt ist, reitet er so gut wie meine eigene Leibwache. Hast du gesehen, wie sie zu ihm aufsehen? Erst letzten Monat trugen sie ihn auf ihren Schultern durch den Hof des Palastes, nachdem der Pfeil seines Bogens einen Vogel im Flug getroffen hatte.« Wieder holte der König tief Luft, er wollte, dass Artaxerxes verstand. »Mein Sohn, ich liebe euch beide, aber wenn ich auf meinem letzten Lager ruhe, wenn das Großreich still und in Trauer daliegt, an jenem letzten Tag werde ich ihn heimrufen – und du wirst ihn töten müssen. Denn solltest du ihn am Leben lassen, wird er gewiss dich töten.«
Artaxerxes bemerkte, wie Tränen in die Augen seines Vaters traten und dort glitzerten. Eine derartige Gefühlsaufwallung sah er zum allerersten Mal, und sie erschütterte ihn.
»Ich glaube, Ihr irrt Euch, Vater, doch ich werde das, was Ihr gesagt habt, im Gedächtnis behalten.«
Der König erhob sich mit klirrendem Mantel. Sein Gesicht hatte sich gerötet, wobei schwer zu sagen war, ob aus Groll oder irgendeiner anderen Gemütsregung.
»Dann behalte auch Folgendes im Sinn«, sagte er barsch. »Ich habe mir beträchtliche Mühe gegeben, dir klarzumachen, dass dies unter uns bleiben muss. Sollte Kyros auch nur ein einziges Wort aus deinem Mund darüber erfahren, schneidest du dir damit selbst die Kehle durch. Natürlich nicht heute oder in diesem Jahr, wenn ihr zusammen lacht und spielt. Er wird dir seine Treue und Gefolgschaft geloben, und ich zweifle nicht daran, dass er dies von ganzem Herzen meint. Dann wird ein Tag kommen, an dem ihr in Streit geratet oder an dem er erkennt, dass er nur ein Prinz ist und ihm die Macht, nach der er verlangt, auf immer verwehrt ist. An diesem Tag wird er zu dir kommen und sich den Thron nehmen. Und falls ich an diesem Tag noch lebe, falls er danach zu mir kommt und vielleicht sogar dein Blut an seinen Händen klebt … sogar dann werde ich ihn in die Arme schließen, denn es wird keinen weiteren Sohn mehr für mich geben. Begreifst du, Artaxerxes?«
»Ja«, gab sein Sohn zurück, dessen eigener Zorn nun anschwoll. »Doch wenn Eure Bewunderung für Kyros so groß ist, Vater, warum bringt Ihr mich dann nicht gleich hier auf der Straße um und überlasst ihm den Thron?« Bevor sein Vater antworten konnte, sprach Artaxerxes weiter. »Weil Ihr keine weiteren Söhne habt und Eure Nachfolge auf dem Spiel stünde. Seid Ihr wirklich so kaltherzig? Es kümmert Euch nicht, wer von uns König ist?«
»Wenn es mich nicht kümmern würde, hätte ich keine halbe Stadt räumen lassen, um unter vier Augen mit dir zu reden. Siehst du Kyros hier irgendwo? Du, mein tapferer Junge, bist das Kind, das wir ersehnten. Ich hege keinerlei Zweifel an deinem Verstand und deiner Weisheit, Artaxerxes. In deinen Adern fließt mein Blut, und du wirst einen großen König abgeben.«
Dareios streckte die Hand aus und legte sie seinem Sohn auf die Wange.
»Ich sah meinen Vater als gebrochenen Mann, als er aus Griechenland heimkehrte. König Xerxes hatte die Spartaner in der Schlacht bei den Thermopylen besiegt, doch dann wurden seine Armeen bei Plataiai geschlagen. Genau wie sein Vater zehn Jahre zuvor bei Marathon vernichtet wurde. Nun, nie wieder! Das schwor ich, als ich König wurde. In Griechenland ist genug von unserem Blut geflossen, genug für ein ganzes Jahrtausend. Statt Krieg zu führen, wurde unter meiner Herrschaft der Frieden erhalten – und sie brachte uns Gärten und Wein und Gold und außergewöhnliches Wissen. Vieles, was zu anderen Zeiten als Hexerei gegolten hätte, ist uns heutzutage selbstverständlich. Mit dir werden wir weiter voranschreiten – zum prächtigsten Großreich, das die Welt je gesehen hat. Wenn du es bist. Wenn die Götter Kyros auf diesen Thron setzen, wird er erneut Krieg führen, das steht für mich außer Frage. Er hat zu viel von meinem Vater, zu viel von dessen Vater.«
»Ich kann kämpfen, wisst Ihr«, sagte Artaxerxes getroffen. »Ich weiß, dass Ihr es mir nicht zutraut, aber ich kann es.«
Der König lachte und gab ihm einen Klaps auf den Rücken. Er liebte seinen Sohn zu sehr, um ihn durch Widerspruch zu verletzen.
»Natürlich. Kämpfen kann allerdings jeder gewöhnliche Leibwächter eines Geldverleihers. Du hingegen bist ein Prinz, Artaxerxes! Du wirst ein König sein. Also brauchst du mehr als ein schnell aufgesetztes Lächeln und ein noch schneller gezogenes Schwert. Was du brauchst, ist eine andere Art von Stärke. Die Lektionen beginnen heute. Du bist nicht zu jung dafür.«
Der König schaute sich auf der leeren Straße um. Kein einziges Gesicht lugte aus irgendeinem Fenster.
»Denke daran. Am Tag deiner Krönung musst du einen Strich ziehen. Bis dahin rate ich dir, von deinen Lehrern zu lernen, zu reiten und dich der Genüsse zu erfreuen, die Frauen, Jünglinge und Rotwein dir bieten. Sprich zu niemandem von diesem Tag. Hast du mich verstanden?«
»Ja, Vater«, sagte Artaxerxes.
Seine ernste Miene ließ den König lächeln, und seine gesamte Haltung und sein Gebaren änderten sich. Er streckte den Arm aus und zerzauste seinem Sohn das Haar.
»Ich bin tausendfach gesegnet.«
Die Stadt schmiegte sich geschützt an den Berg wie ein Kind in den Schoß der Mutter. Bevor Kyros die Stufen zum großen Plateau erklomm, entschied er, seine Leibgarde zum Fluss zu führen. Die Spartaner ließen ihre Rüstungen und Waffen am Ufer zurück, stürmten ins Wasser und wuschen sich vergnügt vierhundert Meilen Staub und Schweiß von den Leibern.
Der Prinz lächelte von der Höhe seines Schlachtrosses zu ihnen hinab, amüsiert darüber, wie sie herumplanschten und sich mit den Fingern durch die nassen Haare und Bärte fuhren. Der Marsch gen Osten hatte seine Männer ausgelaugt und dürr wie Jagdhunde gemacht, ihre Haut dunkler werden und ihre Sehnen- und Muskelstränge straff hervortreten lassen. Sie waren nicht ins Stocken geraten, obwohl einige von ihnen blutige Fußspuren auf ihrem Weg hinterlassen hatten.
»Herr, wollt Ihr Euch es nicht doch anders überlegen?«, fragte Tissaphernes leise.
Kyros sah seinen alten Freund und Lehrmeister flüchtig an. Tissaphernes ritt einen kastanienfarbenen Wallach aus edelster persischer Blutlinie. Das Tier schnaubte und warf den Kopf hin und her. Der Edelmann zog ein verdrießliches Gesicht und hielt seinen starren Blick auf die Spartaner gerichtet.
»Soll ich die Stufen etwa allein emporsteigen?«, erwiderte Kyros. »Soll ich etwa wie ein Bettler heimkehren? Wer bin ich, wenn nicht der Sohn meines Vaters und ein Prinz? Dies sind meine Wachen. Sie sind die Besten.«
Tissaphernes’ Mund arbeitete, als quälte ihn ein kranker Zahn. Prinz Kyros war über zwanzig Jahre alt und nicht mehr jung und töricht. Der Lehrmeister hatte seine Bedenken unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, und trotzdem befanden sie sich jetzt am Ufer des Pulvar, in der Gesellschaft von Spartiaten, die wie wilde Gäule im Wasser herumpflügten. Der Prinz hatte einen alten Feind mitten ins persische Reich geführt. Der Gedanke ließ Tissaphernes’ Miene noch tiefer verfinstern. Er hatte griechische Weltkarten eingesehen, die kaum etwas vom Großreich des Ostens wussten. Er verspürte keinerlei Verlangen danach, den Spartanern dabei zu helfen, die Lücke der genauen Lage von Persepolis zu füllen, geschweige denn die der königlichen Grabmäler entlang des Flusses, welche nur einen halben Tagesmarsch entfernt waren.
»Hoheit, so mancher könnte es als Kränkung empfinden, eben jene Männer herzubringen, denen sich Eure Ahnen gegenübersahen, die sie an Land und zu Wasser bekämpften. Spartaner! Bei allen Göttern! Hier, mitten im Herzen der Welt! Wäre Euer Vater jünger an Jahren und gut bei …«
»Er würde mich beglückwünschen, Tissaphernes«, blaffte Kyros, des Klangs seiner eigenen Stimme überdrüssig. »Diese Männer sind an meiner Seite marschiert. Weder zauderten sie, noch baten sie um Rast. Sie sind mir treu ergeben.«
»Treu ergeben sind sie Gold und Silber«, fluchte Tissaphernes im Flüsterton.
Kyros presste den Kiefer zusammen, sodass die Muskeln hervortraten.
»Sie besitzen nichts. Sogar ihre Waffen gehörten ursprünglich ihren Vätern und Onkeln oder wurden ihnen als Lohn für Tapferkeit überreicht. Schluss jetzt damit. Kein weiteres Wort mehr, alter Löwe.«
Demütig neigte Tissaphernes den Kopf als Zeichen, dass er die Zurechtweisung akzeptierte.
Die Griechen hatten ihr Bad rasch hinter sich gebracht, kamen eilig aus dem Wasser gelaufen und stellten sich ans Ufer, um in der Abendsonne zu trocknen. Der Anblick so zahlreicher nackter Männer ließ die einheimischen Wäscherinnen in Gejohle und Pfiffe ausbrechen. Ein oder zwei der Krieger lächelten zur Erwiderung, während sich andere mit Dehnübungen lockerten. Für Gelächter und seichte Unterhaltungen waren sie nicht geschaffen.
Kyros, noch immer wegen des Verhaltens seines Gefährten verärgert, saß unvermittelt ab, entledigte sich seines Helms, seiner Tunika, seines gepanzerten Übermantels, seiner Beinkleider und seines Umhangs und zog dann seine Sandalen aus, alles in einem einzigen eleganten Fluss sparsamer Bewegungen. Körperliche Blöße war nichts, worum sich der Prinz Gedanken machte, und er spazierte gemächlichen Schrittes ins Wasser, wobei er Anaxis, den Hauptmann der Spartaner, der ihn vom Ufer aus beobachtete, mit einem knappen Nicken bedachte.
Der Anblick eines jungen Mannes, der seinen Bart gelockt wie ein Perser trug und auf seinem Umhang einen Helm mit goldenen Federn zurückgelassen hatte, brachte die Stimmen der Waschfrauen zum Verstummen. Sie mochten seinen Namen nicht kennen, doch sie wagten es nicht, ihm etwas zuzurufen. Kyros säuberte sich im Wasser mit bedächtiger Sorgfalt, beinahe so, als wäre es eine rituelle Handlung, die Reinigung von mehr als nur Schweiß und dem Geruch von Pferden. Die Spartiaten am Ufer erwiesen ihren Respekt, indem sie schwiegen. Immerhin war der Prinz nach Hause zurückgekehrt, um seinen Vater zu betrauern.
Die Nachricht hatte Kyros vierzehn Tage zuvor erreicht, und um rechtzeitig anzukommen, hatte er die Spartaner beinahe bis über die Grenzen ihrer Belastbarkeit hinaus angetrieben. Die Pferde hatte der Prinz bei Tavernen entlang des großen Königsweges wechseln lassen oder sie querfeldein durch mit Weizen und Gerste bestelltes Ackergebiet laufen lassen, und doch war es ihnen gelungen, Schritt zu halten und Tag um Tag an seiner Seite zu marschieren, als wäre nichts dabei. Sie waren außergewöhnlich, und er empfand Stolz über ihre roten Umhänge und die Reaktionen anderer Menschen, wenn diese herausfanden, wer sie waren. Ihren Ruf hatten sie sich redlich verdient, immer und immer wieder.
An jenem Ort, als die Kühle des Abends sich auf sie zu legen begann, fasste sich Kyros ein Herz. Die Atmosphäre in der Innenstadt von Persepolis schien gedämpft, allerdings nicht als Folge einer allgemeinen Agonie des Grams. Die Straßen wurden weder von Soldaten gesäumt, noch waren sie mit Trauertüchern verhängt, unter denen Schalen mit Sandelholz brannten. Doch bevor er nicht die Tore des Plateaus hoch über der Stadt passiert hatte, konnte er nicht sicher sein, dass der alte Mann noch am Leben war. Bei diesem Gedanken wandte er sich um und sah zum Berg hinauf, den sein Vater und Großvater buchstäblich erneuert hatten, und weiter bis zur imperialen Ebene, die aus dieser Entfernung nur eine schmale Linie aus Grün und Grau war. Wilde Falken zogen darüber in der warmen Luft träge ihre Kreise und hielten nach fetten Tauben in den Obstbäumen Ausschau. Dieser königliche Freisitz umfasste Paläste, Kasernen, Theater und Büchereien. Der Pavillon seines Vaters befand sich im Zentrum des üppigen Gartens, den sie ein »Paradies« nannten, das geheime grüne Herz eines Großreiches.
Niedrig gewachsene Büsche, deren Wurzelwerk zu glatten Holzskulpturen freigespült war, schmiegten sich ans Flussufer. Weiße Jasminblüten prangten stolz über hängenden Weinreben und schwängerten die Luft mit ihrem Wohlgeruch. Der Prinz, der mit geschlossenen Augen bis zur Taille im Wasser stand, atmete tief ein. Er war zu Hause.
Die Spartaner trockneten zügig, indem sie sich mit ihren Umhängen abrieben und mit den Fingern durch die Haare fuhren, trotz der Sonne kühl erfrischt. Auch der Prinz fühlte sich erquickt und belebt und kleidete sich ebenso sorgfältig wieder an, wie er sich ausgezogen hatte. Er schnallte den Panzermantel über seiner Tunika fest und legte außerdem spartanische Schienbeinschützer aus Bronze an, die ihm perfekt angepasst worden waren, sodass sich die Muskeln und die Rundungen seiner Kniescheiben in dem polierten Metall abgezeichnet hatten. Die Beinschienen waren für jene, die zu Fuß mit Schilden unterwegs waren, von größerem Nutzen als für jene, die zu Pferd saßen, aber Kyros gefiel es, seinen Männern auf diese Art die Ehre zu erweisen. Tissaphernes hielt das Ganze für eine affektierte fremdländische Unsitte und dementsprechend natürlich für unter seiner Würde.
Wäre nicht sein im Sterben liegender Vater der Grund für seine Heimkehr gewesen, hätte es Kyros belustigt, wie die Stadtbewohner sich zusammenrotteten, um einen Blick auf die Fremden zu erhaschen. Händler vom Obstmarkt waren herübergeschlendert, während ihre besoldeten Bewacher mit düsteren Mienen die stummen Beobachter gaben. Die Griechen mit den roten Umhängen waren sogar hierzulande berühmt, obwohl zwischen Persepolis und dem Eurotastal ganze Staaten und ein gutes Stück offenes Meer lagen – drei Monate und eine Welt voneinander entfernt. Zu den legendären Umhängen trugen die Spartaner ihre eigenen Bronze-Beinschienen, welche beide Beine vom Knöchel bis zum Knie bedeckten. Auch wenn sie einen Prinzen nach Hause eskortierten, waren sie in voller Ausrüstung in jedem Augenblick zum kriegerischen Kampf gerüstet.
Ihre Schilde hatten sie zu akkuraten Haufen gestapelt, bevor sie ins Wasser gesprungen waren. Sie ließen sie unbewacht, als hielten sie es für absolut unvorstellbar, irgendein anderer Mensch könne sie bestehlen. Jeder Schild war auf der Innenseite mit dem Namen seines Trägers markiert, während ein einzelnes Zeichen dem Feind zeigte, wo in Griechenland Sparta lag – das Lambda, der erste Buchstabe der Region Lakedaimon, was wiederum der offizielle Name des spartanischen Staates war. Und jeder Schild war glänzend poliert und wurde gepflegt und umsorgt wie ein geliebtes Wesen.
Als Kyros aufsaß, fragte er sich, ob irgendeiner der Gaffer Sparta jemals so gut verstehen könnte, wie er es tat. Für die Mütter, die ihre Kinder auf die fremden Krieger aufmerksam machten, waren es genau diejenigen, welche die persischen Unsterblichen wieder und wieder gedemütigt hatten und dadurch zur Legende wurden. Solche Männer Griechenlands hatten bei Marathon das Heer von Dareios dem Großen zerschlagen. Es waren Spartiaten gewesen, die griechische Soldaten in den Schlachten bei den Thermopylen, bei Plataiai und bei Mykale gegen den Perserkönig Xerxes anführten. Persien hatte fast dreißig Völker unterworfen, war aber von Griechenland zur Umkehr gezwungen worden – und von den Kriegern, die rote Umhänge trugen.
Diese dunklen Zeiten lagen in weit entfernter Vergangenheit, wenngleich die Erinnerung an sie höchst lebendig war. Kyros schaute zur Seite, als seine Männer sich in perfekter Doppelreihe formierten, bereit für sein Kommando. Spartaner hatten schließlich die Macht Athens brechen und über ganz Griechenland herrschen wollen, doch sie kämpften für ihn, weil er sie dafür entlohnte – und weil er genau verstand, welchen Begriff von Ehre sie hegten. Die von ihm gezahlten Silber- und Goldstücke wurden in die Heimat geschickt, um Tempel, Kasernen und Waffenkammern zu bauen. Nichts von dem, was sie verdienten, floss in ihre eigenen Taschen, und er bewunderte sie mehr als alle anderen Menschen – mit Ausnahme von seinem Vater und seinem Bruder.
»Komm schon, alter Löwe«, sagte er zu Tissaphernes. »Ich habe es schon lange genug hinausgezögert. Ich darf davor nicht schwach werden, obwohl ich kaum glauben mag, dass es sich nicht um einen Fehler handelt, nicht einmal jetzt. Mein Vater ist zu stark, als dass er je sterben könnte, nicht wahr?«
Er lächelte, doch sein Kummer war offenkundig. Zur Antwort streckte Tissaphernes den Arm aus und ergriff seine Schulter, die Trost spendende Geste eines alten Mannes gegenüber einem Jüngeren.
»Vor dreißig Jahren, bevor Ihr geboren wart, war ich der Diener Eures Vaters. Damals lag die ganze Welt in seiner Hand. Aber selbst für Könige ist die Zeit im Licht der Sonne nur kurz bemessen. Es trifft uns alle irgendwann, mögen Eure Philosophen-Freunde auch sogar das infrage stellen, woran ich kaum zweifle.«
»Ich wünschte, du hättest genug Griechisch gelernt, um sie zu verstehen.«
Tissaphernes gab ein verächtliches Geräusch von sich.
»Es ist die Sprache von Schafhirten. Was kümmert mich das Geschwätz von Sklaven? Ich bin Perser.«
Er sprach bewusst unbefangen in Hörweite der Spartaner, die allerdings nicht erkennen ließen, ob sie seine Worte verstanden hatten. Kyros sah zu ihrem befehlshabenden Offizier hinüber, jenem, der Anaxis hieß. Anaxis beherrschte beide Sprachen fließend, weshalb ihm nichts entgangen war, doch er hatte Tissaphernes längst als persischen Windbeutel abgeschrieben. Einen winzigen Moment lang erwiderte Anaxis Kyros’ Blick und zwinkerte ihm zu.
Tissaphernes bemerkte, wie die Miene des Prinzen sich aufhellte. Er fuhr im Sattel herum, um den Grund für diesen Stimmungswandel in Erfahrung zu bringen und den zu identifizieren, der es gewagt hatte, seine Würde zu verspotten. Doch das Einzige, was er sah, war die neuerliche Abmarschbereitschaft der Spartaner, und er schüttelte den Kopf und brummte etwas über Bauern und Fremde.
Auf langen Märschen trugen die Spartiaten ihre Schilde für gewöhnlich auf dem Rücken. Obwohl ihnen keine unmittelbare Gefahr drohte, gab Kyros den Befehl, sich in Paradeformation aufzustellen. Beim Marsch durch eine von drei Hauptstädten des persischen Imperiums sollten die Kämpfer die Scheiben aus Bronze und Holz am linken Arm tragen, während sie in der rechten Hand lange und einsatzbereite Speere hielten. An ihrer Hüfte baumelten Kurzschwerter, und die Kopis, die berüchtigte Hiebwaffe mit der sichelförmigen Klinge, hing ihnen im Kreuz. Diese schweren Krummschwerter waren furchterregende Dinger und wurden von den Feinden der Spartaner für grob unsportlich gehalten. Für derartige Beschwerden hatten Letztere nur Gelächter übrig.
Die bronzenen Helme auf ihren Köpfen bedeckten ihre Bärte ebenso wie die dicken Haarflechten, die ihnen bis auf die Schultern hingen. Die Helme verbargen sowohl Erschöpfung als auch menschliche Schwäche und hinterließen die kalte Anmutung von Statuen. Ihre im Schatten liegenden Gesichtszüge waren lediglich einer der Gründe dafür, warum sie derart gefürchtet wurden. Ihr Ruf verdankte sich mehr. Dass sie die Waffen und Schilde ihrer Väter und Großväter trugen, war nach wie vor noch bedeutsamer.
Nachdem sie den Fluss hinter sich gelassen hatten, lenkten Kyros und Tissaphernes ihre Pferde durch die Straßen. Die Menge vor ihnen teilte sich, um ihnen Platz zu machen. Eine unheimliche Stille senkte sich herab, auf die Stadtmenschen wie auf die Männer, welche die Stadt durchschritten.
»Ich bin nach wie vor der Ansicht, Ihr hättet Eure Söldner zurücklassen sollen, Hoheit«, wisperte Tissaphernes. »Was wird Euer Bruder sagen, wenn er sieht, dass Griechen gegenüber Persern bevorzugt wurden?«
»Ich bin ein Prinz und habe den Oberbefehl über die Heere meines Vaters. Wenn mein Bruder überhaupt irgendetwas sagt, dann, dass mein Rang und meine Würde unserem Haus zur Ehre gereichen. Die Spartaner sind die Besten auf der ganzen Welt. Wer sonst hätte in diesen letzten Wochen mit uns den Frieden wahren können? Siehst du irgendwelche Unsterblichen hier? Meine Diener? Einer meiner Sklaven starb auf dem Weg, weil er an meiner Seite verharren wollte. Der Rest ist hinter uns zurückgefallen. Nein, diese Männer haben sich ihren Platz an meiner Seite dadurch verdient, indem sie an meiner Seite blieben.«
Wie zur Zustimmung neigte Tissaphernes den Kopf, obwohl er in Wahrheit wütend war. Kyros behandelte die Spartaner wie echte Menschen, nicht wie die tollwütigen Hunde, die sie waren. Der persische General wusste, ohne sich umzuwenden, dass einige von ihnen ihn beobachteten, während sie dahinmarschierten. Sie trauten niemandem, der ihrem Meister nahestand, genauso wie treue Köter, die drohend knurrten und geiferten. Immerhin würde es nicht mehr lange dauern. Die beiden Reiter führten die Spartiaten hügelaufwärts. Sie folgten dem Weg zu den gewaltigen Stufen, die sie höher hinaufbringen würden, zum Plateau des Perserkönigs.
Die Stufen der großen Treppe waren breit und flach gehauen worden, um es dem König zu gestatten, auf dem Pferderücken zu verbleiben, wenn er von einer Jagd zurückkehrte. Kyros und Tissaphernes ritten mit ihren Pferden voran, und die Spartiaten folgten ihnen in klirrenden Reihen hinauf. Kyros spürte die Augen der seinem Vater ergebenen Unsterblichen auf sich ruhen, als er sich dem schmalen Tor der Außenmauer näherte. Sein Vater hatte die Schatzkammern ganzer Völker in sein Plateau investiert, sowohl dafür, den Schnitt in der Flanke des Berges zu vertiefen als auch für all den verschwenderischen Luxus, der sich in dessen Innerem verbarg. Es war der Garten eines Großreiches, darüber hinaus jedoch auch eine Festung, die durchgehend von zweitausend Männern bewacht wurde.
Die allerletzte Stufe endete vor der Pforte, weshalb es für einen feindlichen Angreifer keinen Raum gab, sich zu sammeln und anzugreifen. Kyros spürte die leichte Veränderung, als persische Soldaten die Sonne über ihren Häuptern verdunkelten und auf seine Mannschaft herabblickten – insbesondere auf die Spartiaten auf den Stufen unter ihm, jeder einzelne von ihnen vor vier Waffen starrend. Kyros, golden erleuchtet von der untergehenden Sonne, setzte eine ausdruckslose Miene auf und blickte die Mauern empor.
»Ich bin Prinz Kyros, Sohn des Königs Dareios, Bruder von Prinz Artaxerxes, Befehlshaber der Armeen von Persien. Beim Namen meines Vaters, öffnet dieses Tor, damit ich ihn sehen kann.«
Sie ließen Kyros einige Pulsschläge länger stehen, als er erwartet hatte, weshalb sich sein Gesicht zu verfärben begann. Sein anschwellender Zorn legte sich, als er vernahm, wie Ketten und Riegel entfernt wurden, das Tor aufschwang und den Blick auf einen lang gestreckten Hof dahinter preisgab. Er schluckte, fest entschlossen, keinerlei Furcht zu zeigen. In dieser Hinsicht erwiesen sich er und seine Spartiaten als ebenbürtig und gut zueinanderpassend.
Kyros und Tissaphernes saßen nicht ab, sondern ritten in den sonnenbestrahlten Innenhof. Das Licht wurde zu dieser Stunde bereits milder und verdunkelte sich langsam zur Sommerabenddämmerung. Kyros war bewusst, dass er endlich zu Hause war, dass er sich entspannen und darauf freuen sollte, seinen Vater zu treffen. Er hatte keine klare Vorstellung davon, wie der alte Mann auf sein Erscheinen reagierte, und genauso wenig wusste er, mit welchen Gefühlen er selbst dem Großen König gegenübertreten würde. Angesichts des ihm bevorstehenden Verlustes war er verunsichert. Nicht einmal die Kraft sämtlicher Waffen, die es in der Welt gab, konnte seinen Vater vor dem Ende bewahren, wenn dessen Stunde geschlagen hatte. Diese Hilflosigkeit war es, die Kyros erschauern ließ – nicht der blutgetränkte Mordboden, den er soeben betreten hatte.
Die Verteidigung des Plateaus bestand nicht allein aus den auf den Außenwällen postierten Männern, sondern auch in den trichterartigen Zugängen, durch welche Angreifer hindurch mussten. Wenn es ihnen irgendwie gelungen war, über die Stufen und durch die Tore zu stürmen, waren diese Durchgänge zur Festung voneinander durch eine Mauer getrennt. Feindliche Kräfte konnten sich nicht vereinen, bevor sie zwei lange und schmale Höfe passiert hatten, die unter freiem Himmel lagen.
Kyros und Tissaphernes zögerten keinen Augenblick und trabten hindurch, bis zum Ende des Mordbodens. Fünfzig Reihen von je sechs Spartiaten folgten in perfekter Aufstellung. Die Griffenden der Speere drückten sich ins staubige Erdreich, als sie vor einem noch gewaltigeren Tor zum Stillstand kamen.
Das äußere Tor hinter ihnen war bereits geschlossen und verriegelt. An einem Ort festgehalten zu werden, der kaum ein Bewegungsmanöver ihrerseits gestattete, trieb mehr als einem Spartaner ein Runzeln auf die Stirn. Der gesamte Hof war rundum von zwei Mann hohen Steinmauern gesäumt. Ihr Zweck war nicht klar ersichtlich, und der Spartaner-Hauptmann Anaxis umklammerte seinen Speer fester. Er spürte das feindselige Starren der persischen Wachen, die es eher gewohnt waren, in ihren hübsch aufpolierten Rüstungen eine gute Figur zu machen, als tatsächlich zu kämpfen.
Ganz vorne tauschten Kyros und Tissaphernes einen schnellen Blick und stiegen ab. Anaxis hätte den Hals verrenken müssen, um zu sehen, wer da zu ihrem Empfang herausgekommen war, da ihm die Pferde die Sicht auf das Gespräch verstellten. Doch er tat nichts dergleichen. Es war seine Pflicht, Kyros zu beschützen, und vielleicht auch den fetten, älteren Kerl. Aber es waren keine Befehle gegeben worden, in Alarmbereitschaft zu bleiben oder nach Gefahren Ausschau zu halten. Anaxis wusste, dass er sich in der Hochburg uralter Feinde befand, er war jedoch außerdem die persönliche Leibwache eines ihrer Prinzen, eines Mannes, dessen aufrichtige und ungezierte Art ihm einiges an Bewunderung abnötigte. Für einen Perser war der Prinz jedenfalls sehr ordentlich geraten. Wenn es um seinen Vater ging, hatte Kyros keine Spur von Ängstlichkeit, Zaudern oder ähnliche Schwächen, sondern ausschließlich Besorgnis gezeigt. Und doch sah sich Anaxis in diesem Moment gezwungen, seinen Blick die sie umgebenden, stufenförmig angeordneten Steinmauern emporwandern zu lassen. Sie erinnerten ihn an die langen Sitzplatzreihen der Ränge eines athenischen Freilufttheaters. Ihm war bekannt, dass die Perser halbwegs ordentliche Bogenschützen waren. Der Gedanke, aus der Höhe beobachtet zu werden, gefiel dem Spartiaten ganz und gar nicht – noch dazu an diesem Ort.
Seine Züge, verborgen im Schatten seines Helmes, ließen nichts von dem erkennen, was in ihm vorging. Anaxis stand wie ein aus Bronze gegossenes Standbild da, während vor ihm Kyros und Tissaphernes mit gedämpften Stimmen sprachen. Dennoch war Anaxis erleichtert, als eines der Pferde sich bewegte und ihm die Sicht auf den Prinzen freigab.
Kyros wandte sich den Spartanern in seinem Rücken zu. Seine Miene wirkte ernst und entschlossen.
»Mein Bruder hat mir die Anweisung erteilt, die königlichen Gärten ohne Wachen zu betreten«, sagte er. Kyros schien weitersprechen zu wollen, schüttelte dann jedoch den Kopf. Es war kaum als Zeichen zu deuten, aber Anaxis spürte, wie sich sein Herz zusammenkrampfte.
»Vielleicht hätte Euer Bruder nichts dagegen, wenn ich Euch begleite«, sagte Anaxis.
Kyros lächelte ihn an.
»Sollte es zu einem Verrat kommen, macht ein Mann mehr keinen Unterschied, mein Freund.«
»Ich mache immer einen Unterschied«, erwiderte Anaxis in ernstem Ton.
»Das ist wahr, aber ich muss auf die Ehre meines Bruders vertrauen. Er ist der Thronfolger, und ich habe ihm keinerlei Anlass gegeben, an mir zu zweifeln.«
»Wir werden hier warten, bis Ihr zurückkehrt«, sagte Anaxis und sank auf ein Knie nieder. Er sprach es wie einen Eid, und Kyros neigte den Kopf, bevor er den Mann wieder auf beide Beine zog.
»Ich danke dir. Deine Dienste gereichen mir wahrlich zur Ehre.«
Kyros drehte sich um und sah, wie Tissaphernes mit verächtlicher Miene eine Geste in Richtung des Tores machte, das tiefer ins königliche Plateau hineinführte. Jenseits des lang gestreckten Hofes lagen die ersten Gartenanlagen. Den Boden, auf dem sie wuchsen, hatte man von den Ebenen heraufgeschafft, und sie wurden von eintausend Sklaven gepflegt. Es waren dort Bäume gepflanzt worden, die schattige Alleen bildeten und in deren Kronen winzige Äffchen auf der Jagd nach Vögeln von Ast zu Ast sprangen. Die Luft war vom intensiven Duft üppigen Grüns und Jasmins erfüllt.
Kyros ignorierte den kleinen Truchsess, der zu seiner Begrüßung gekommen war, da er sich noch nicht sicher war, ob der Status des Mannes eine Beleidigung darstellte oder nicht. Sein Bruder Artaxerxes würde natürlich nicht von der Seite seines Vaters weichen. Es musste nichts bedeuten, dass er einen reinen Knecht geschickt hatte, um Kyros durch die Gärten zu begleiten.
Tissaphernes schien die Last der Strapazen, Sorgen und Anspannungen ihres langen Marsches hierher abzustreifen, während er entspannt, erhobenen Hauptes und mit durchgestrecktem Kreuz voranmarschierte. Er sog die ihm so vertrauten Wohlgerüche ein und erweckte beinahe den Eindruck, ein Stück zu wachsen. Kyros kannte ihn seit seiner Geburt und hatte ihn den allergrößten Teil seines Lebens als Mentor und väterlichen Freund erlebt. Nichtsdestotrotz hätten ihre Anschauungen kaum unterschiedlicher sein können. Kyros liebte die Menschen, anders konnte man es nicht beschreiben. Menschen waren seine Leidenschaft, und er sammelte Freundschaften wie andere Männer Goldmünzen. Tissaphernes hingegen konnte im Vergleich zum Prinzen seine Abneigung gegenüber Menschenmengen und verschwitzten Soldaten kaum verbergen.
Eine Stunde lang gingen sie über Pfade, die so verschlungen waren, dass ein Fremder sich auf ihnen wahrscheinlich ein Dutzend Mal verirrt hätte. Kyros kannte sie alle aus Kindertagen und folgte dem Truchsess, ohne ihrem Weg besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Der väterliche Pavillon lag auf der anderen Seite des Plateaus, umgeben von Palmen und Sklaven, die allesamt auf seine letzten Atemzüge warteten. Kyros spürte, wie sich seine Kehle zusammenzog, während er weiterlief und auf die wehklagenden Stimmen der Frauen seines Vaters lauschte.
Anaxis hob ruckartig den Kopf, als oberhalb von ihnen die erste Sandalensohle über Stein scharrte. Die Spartiaten hatten, ganz nach dem Vorbild ihres Anführers, etwa eine Stunde lang reglos und schweigend verharrt. Ein unterdrückter Fluch entfuhr Anaxis, als er den Trupp persischer Soldaten herauseilen und zu beiden Seiten Aufstellung nehmen sah. Sie trugen kunstvoll verzierten schwarzen Harnisch sowie Bögen, in die kostbare Edelsteine eingefasst waren, wie die Wachen in einem Theaterstück oder vielleicht vor der Tür eines Bordells. In seinen Augen hatten sie etwas von Kindern, die in der Schatzkammer eines Königs Amok gelaufen waren.
Der Hauptmann der Perser trug einen schwarz-weißen Federschmuck, der im Wind zuckte und weitaus größer war als alles, was Anaxis aus seiner Heimat bekannt war. Die Haut des Mannes glänzte vor Öl, und an seinen Fingern funkelten Juwelen. Er führte keinen Bogen bei sich, sondern nur ein Kurzschwert in goldener Scheide, die allein eine komplette Kleinstadt wert gewesen sein musste. Bei diesem Gedanken runzelte Anaxis die Stirn. Hier war wertvolles Beutegut zu holen. Solche Dinge musste man unbedingt im Kopf behalten.
»Schilde bereit«, sprach Anaxis mit klarer Stimme.
Viele der Männer hatten ihre Schilde über die Schulter gehängt oder an ihre Beine gelehnt. Sie nahmen sie wieder auf, vom gleichen grimmigen Widerwillen erfüllt wie ihr Anführer. Keiner von ihnen fühlte sich wohl dabei, von Bogenschützen in höher gelegener Position umzingelt zu sein, während sie selbst unmittelbar darunter dicht zusammengedrängt in einer Todesfalle festsaßen.
Anaxis betrachtete die Steinwälle mit neuen Augen. Jetzt bemerkte er, wie glatt sie waren. Über seinem Kopf gingen jeweils drei Reihen persischer Bogenschützen links und rechts in Stellung. Ihre Anzahl entsprach in etwa der jener Männer, die ihnen von unten finstere Blicke zuwarfen.
Der gefiederte Hauptmann näherte sich ihnen über einen schmalen Pfad, der an einer Ecke herabführte. Als er stehen blieb, ragte die Hälfte seiner Sandale über den Rand des Felsens, sodass Anaxis die mit Nägeln beschlagene Sohle sehen konnte. Eine Weile rührte sich niemand. Selbst die Luft schien zu stehen, kein noch so leiser Hauch brachte Linderung. Seit dem Aufbruch von Kyros und Tissaphernes waren die Schatten weiter vorangekrochen, doch das Abendlicht schien unverändert. Trotz der milden Wärme spürte Anaxis, wie sich sein Hodensack zusammenzog. Die Männer, die auf die Spartaner hinabsahen, lächelten, während sie an ihren Waffen herumhantierten. Sie hatten Sehnen auf ihre Bogen gespannt, wie er feststellte. Obwohl sie die zeremonielle Rüstung des Königshofes angelegt hatten, waren sie für ein Gemetzel aufgestellt. Er kratzte sich den Bart.
»Was meinst du, wie schwierig es wäre, auf diesen Felsvorsprung zu gelangen?«, fragte er seinen Freund Cinnis. Für gewöhnlich war Cinnis ein massiger Mann, mit vollem Recht stolz auf seine Stärke. Vierzehn Tage Fußweg auf sandigen Straßen hatten ihn hagerer und mürrischer werden lassen. Er zuckte die Achseln.
»Wenn zwei Mann einen Schild waagerecht halten, ungefähr so …«, er demonstrierte es mit seinem eigenen, »könnte ein dritter mit Leichtigkeit hinaufgehoben werden. Glaubst du, dass sie angreifen werden?«
»Allerdings«, gab Anaxis zurück. Er erhob die Stimme, damit der Rest ihn hören konnte, da er davon ausging, dass von den Leuten über ihnen niemand auch nur ein einziges Wort Griechisch verstand. »Irgendwer hat offenbar entschieden, uns niederzustrecken. Also gut. Macht euch bereit, die Schilde über den Kopf zu heben. Steht in Dreierreihen. Unternehmt nichts, solange wir nicht angegriffen werden, aber wenn der Angriff erfolgt, will ich, dass Männer zu ihnen hinaufkatapultiert werden. Dieser Ort gefällt mir. Ich denke, wir sollten ihn einnehmen und halten, bis Prinz Kyros zurückkehrt.«
»Oder uns bis zum Fluss durchkämpfen und abhauen«, raunte Cinnis.
Anaxis schüttelte den Kopf, wie sein Freund erwartet hatte. Anaxis hatte sein Wort gegeben. Würde Kyros wiederkommen und feststellen, dass er seinen Posten verlassen hatte, könnte er eine solche Schande keinesfalls ertragen. Cinnis krümmte in anschwellendem Zorn die Schultern, als er sah, wie die ersten Bogen sich spannten.
Über ihren Köpfen holte der persische Hauptmann tief Luft, um einen Befehl zu bellen. Cinnis streckte seinen Schild vor, dessen gegenüberliegender Rand unverzüglich von einer anderen Hand gepackt wurde. Sein Blick kreuzte den von Anaxis, und ihre Augen glühten vor Wut über diesen schändlichen Verrat.
Der gefiederte Hauptmann schrie gellend auf, jetzt spannten sich alle Bogen vollends, und mit einem Geräusch wie von einer Unzahl schlagender Flügel traf sie die erste Welle von Pfeilen. Als sie aufgeschlagen hatten, sprang Anaxis zusammen mit einem Dutzend anderer Männer die gesamte Breite des Hofes entlang auf die Schilde. Jeder Krieger wurde emporgeschleudert und krachte in überraschte Bogenschützen. Anaxis schlug mit seinem Speer und der grausamen Kopis im Anschlag mitten zwischen ihnen auf und lachte angesichts ihrer panischen Angst.
Auf einem breiten Pfad zwischen Limettenbäumen verharrte Kyros. Tissaphernes ging einige Schritte weiter, bevor er an die Seite seines Herrn zurückkehrte.
»Was ist los?«, fragte der Ältere.
»Ich dachte … Ach, ich bin eine lange Zeit von zu Hause weg gewesen. Es waren Vogelschreie oder die Totenklagen der Sklaven. Das Großreich trauert, alter Löwe. Mein Herz weint in meiner Brust, und ich glaubte, es gehört zu haben. Mein Vater hat sich diese Welt um ihn geschaffen. Allein diese Stätte! Es kommt einem Wunder gleich, so hoch über der Ebene zu stehen, diese Brise zu spüren und mit den Farben und Schatten dieser Bäume vertraut zu sein – bevor man sich entsinnt, dass dieses Plateau zur Gänze aus den Flanken eines Berges geschnitten wurde. Könige vollbringen so vieles mehr als andere Menschen, wenn sie einer Vision folgen.«
»Euer Vater war seit jeher ein Mann des Willens«, antwortete Tissaphernes. »Obwohl er nicht immer richtig lag, fällte er seine Entscheidung und handelte dann danach. Für die meisten Männer wäre ein derartiger Akt anstrengend und ermüdend, wohingegen Euer Vater mit jedem neuen Jahr, das verstrich, immer stärker und sicherer wurde.«
»Und mit immer weniger Skrupeln und Zweifeln.«
»Skrupel und Zweifel sind etwas für Kinder und Alte. Heutzutage sind unsere Wahlmöglichkeiten zu zahlreich, da ist es schwerer, sie auf eine einzelne Handlung zu reduzieren. Wir Männer in den besten Jahren sondern die schwachen Möglichkeiten aus und greifen stattdessen nach dem Schwert, dem Scheit oder der Frau.«
Kyros’ Blick streifte den Mann, den er sein ganzes Leben lang gekannt hatte, und er sah einen Mann, der sich in Erinnerungen verlor.
»Du warst natürlich dabei, als er König wurde«, sagte Kyros trocken.
Tissaphernes schaute für einen Augenblick zum abendlichen Himmel empor.
»Ihr macht Euch über mich lustig. Ja, ich habe es Euch bereits ein Dutzend Male erzählt, aber sogar damals sah ich Großmut in ihm. Sein Bruder war König – und Euer Vater nahm dies hin und schwor seinen Treueeid. Er warf sich zu Boden, und alle Männer wussten, dass er sich an seinen Schwur halten würde.«
»Die Geschichte ist mir bekannt«, sagte Kyros, mit einem Mal sehr müde. Tissaphernes fuhr fort, als hätte er es nicht gehört.
»Ein anderer Bruder war jedoch weitaus weniger edlen Geistes. Nein, Prinz Sogdianos war unfähig, Ehre über das eigene Verlangen nach Herrschaft zu stellen. Nur sechs Wochen nach jener Krönung schlich sich Sogdianos mit einem Kupferdolch ins königliche Schlafgemach. Als die Sonne aufging, trat er vor den Hofstaat, obschon rot verschmiert von Königsblut, obschon er Spuren und Schlieren auf der Erde hinterließ, als wäre er stolz darauf. Er teilte allen mit, dass er nun König war, und keine einzige Stimme erhob sich im Widerspruch. In diesem Moment löste sich Euer Vater aus der Menge und trat vor.«
»Ich weiß, alter Löwe. Er war dem ersten Bruder treu ergeben, nahm aber Rache am zweiten. Der Hof applaudierte seinem Mut und begrüßte seinen Anspruch. Er gewann den Thron für sich.«
»Er liebte sie beide, doch er war ein Mann von eiserner Loyalität«, erwiderte Tissaphernes mit einem Nicken.
»Ganz so wie ich.«
»Ganz so wie Ihr«, bekräftigte Tissaphernes unverzüglich. »Mir scheint, Ihr habt das Herz Eures Vaters. Wenngleich seine Toleranz den Griechen gegenüber deutlich geringer ausfiel.«
»Ich habe mir ihre Ergebenheit hart erkämpft.«
»Ihr habt Euch ihre Ergebenheit erkauft«, schnaubte Tissaphernes.
»Nein. Du kennst sie nicht. Alles Gold auf der Welt würde nicht ausreichen, die Dienste von Spartiaten zu erkaufen, falls sie entscheiden, sich ihnen zu verweigern.«
Tissaphernes gab ein zischendes Geräusch von sich.
»Kyros, mein lieber Junge, es gibt genug Gold auf der Welt, um alles zu kaufen.«
Der Jüngere schüttelte den Kopf, doch inzwischen hatten beide den großen Pavillon zwischen den Bäumen ausgemacht. Wachleute beobachteten sie vom Wegesrand aus, und die Aussicht, in Kürze auf einen sterbenden König zu treffen, ließ sie in Schweigen verfallen.
Kyros spürte, wie sich etwas in ihm entkrampfte, als sein Bruder Artaxerxes heraustrat, um ihn zu begrüßen. Sie lagen nur ein Jahr auseinander und waren doch so verschieden, wie es gerade noch möglich ist, wenn man vom selben Fleisch und Blut ist. Artaxerxes war seit jeher der Gelehrte. Unter den strengen Augen ihres Vaters hatten beide zusammen trainiert, aber es war Artaxerxes gewesen, der über seinen eigenen Speer gestolpert war. Kyros war derjenige gewesen, der mit den Waffenmeistern getanzt hatte und mit jauchzenden Freudenschreien wie ein Wildlachs zwischen ihnen herumgesprungen war. Der jüngere Bruder hatte die dunklen Blicke und den Groll, die ihm entgegenschlugen, zunächst gar nicht verstanden. Auch als Kyros alt genug war, um die Feindseligkeit seines Bruders zu begreifen, hatte er sich keine Sorgen darüber gemacht. Kyros wusste, dass er in eine Königsfamilie hineingeboren worden war, und genauso wusste er, dass er niemals König sein würde. All die Befähigungen, die er sich angeeignet hatte, warfen lediglich ein wenig Ruhm auf den Thron ihres Vaters zurück. Auch dann, als der König Kyros auserkoren hatte, die Heere zu befehligen und seinen Sohn bei den größten und berühmtesten Feldherren in die Lehre schickte, bedeutete dies für den jungen Prinzen lediglich, dass dies seinen Nutzen und seinen Wert für seinen Vater steigern würde.
Artaxerxes war durch die Erfolge seines Bruders und seinen eigenen Ehrgeiz angestachelt worden. Er hatte weiter an der Verfeinerung seiner Schwertkampfkunst gearbeitet, was nicht nur die breiten Schultern belegten, sondern auch die feste Umarmung zeigte, in die er seinen Bruder schloss, bevor er ihn auf beide Wangen und die Lippen küsste. Artaxerxes hielt Kyros’ Kopf zwischen beiden Händen, und der feuchte Schimmer in den Augen des älteren Prinzen ließ auch dem Jüngeren die Tränen in die Augen steigen. Furcht überrollte Kyros, sodass seine Worte nur ein raues Flüstern waren.
»Ist er …?« Kyros konnte nicht weitersprechen. Die Frage, ob sein Vater noch am Leben sei, hieß anzudeuten, dass er tot sein könnte. Ebenso gut hätte er fragen können, ob die Berge eingestürzt oder die Flüsse ausgetrocknet wären.
»Nein, aber es geht jetzt eindeutig zu Ende. Er hat nach dir verlangt, Bruder. Ich dachte, du würdest nie mehr kommen.«
»Dann tritt zur Seite. Lass mich ihn sehen«, forderte Kyros und schaute seinem Bruder über die Schulter.
»In deinem jetzigen Zustand? Deine Kleidung ist voller Schweißflecke. Willst du ihn beleidigen?«
»Dann bring mir neue Kleider, wenn dich das stört! Ich habe mich im Fluss gewaschen und bin sauber. Nun, Bruder, will ich eintreten. Lass mich nicht ein weiteres Mal darum bitten müssen.«
Ein eiserner, kalter Unterton hatte sich in die Stimme des jüngeren Prinzen geschlichen. Artaxerxes zögerte, trat schließlich einen Schritt zurück und wies einladend auf den offenen Zugang. Kyros ging hindurch, ohne sich umzusehen, was Tissaphernes tat.
Der Pavillon war gewaltig und erstreckte sich von der Eingangspforte aus über Hunderte von Schritten hinweg in sämtliche Richtungen. Im Inneren gab es Schwimmbecken und Gärten, Speisesäle und unzählige der persönlichen Sklaven seines Vaters, welche ihn pflegten und umsorgten. Schweigende junge Männer in hübschen und reinlichen Tuniken boten an, ihm den Mantel abzunehmen, bevor er einen Fuß über die Türschwelle gesetzt hatte. Dennoch blieb er nicht stehen. Er war wieder ein kleiner Junge, der seinem Vater entgegenrannte.
Hinter ihm stand Artaxerxes am Eingang des riesigen Pavillons und bot dem sich nähernden Tissaphernes die Hand. Der Ältere sank auf die Knie und legte sich dann vor seinem Prinzen flach auf den Bauch. Der Erbfolger des Großreiches half Tissaphernes wieder auf die Beine und beugte dabei den Kopf, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.
»Hat er seine Stimme gegen den Thron erhoben, gegen mich?«
Tissaphernes schüttelte den Kopf.
»Kein einziges Wort, Hoheit. Ich schwöre es bei der Ehre meiner Familie.«
Artaxeres wurde still, während er nachdachte.
»Du warst der Freund meines Vaters. Du bist dem König deiner jungen Jahre treu ergeben gewesen. Wirst du auch mir treu ergeben sein?«
Als Antwort ließ sich Tissaphernes abermals auf Knie und Bauch sinken. Er presste seine Stirn und die Lippen gegen den Boden. Er verharrte so und wartete, bis Artaxerxes ihm sanft über die Wange strich und ihm so die Erlaubnis gab, sich zu erheben. Seine Haut war von kleinen Steinchen gezeichnet, die an seinem Schweiß klebten.
»Meine treue Ergebenheit gilt Eurer Familie, Hoheit«, sagte Tissaphernes, »dem Throne Persiens, der Blutlinie von Dareios dem Großen über Xerxes bis zu Eurem Vater – und schließlich zu Euch. Ich bin treu bis zum Tod und darüber hinaus. Ruft im Jenseits nach mir, und ich werde zu Euch eilen.«
Artaxerxes nickte zufrieden. Er wurde der ihm entgegengebrachten Achtung, gar Vergötterung niemals müde. Die Bereitschaft, ihre Ehre in seine Obhut zu geben, war das Wichtigste, was er von seinen Männern erwartete.
»Und mein Bruder? Ihn kennst du ebenso gut, schon sein ganzes Leben lang.«
Zum ersten Mal zögerte Tissaphernes.
»Kyros ist der Verehrung wert, Hoheit. Ich liebe ihn so, wie ich meine eigenen Söhne liebe. Dennoch wird er nicht das Imperium erben, in dessen ruhmreicher Größe wir gedeihen. Darauf kommt es an, viel mehr als auf mein Leben oder seines.«
Artaxerxes entspannte sich ein wenig, ergriffen von dem, was er vernommen hatte.
»So tritt denn ein, alter Freund. Nimm ein Bad und kleide dich in frische Seide. Mein Vater verbringt den größten Teil seiner Tage jetzt schlafend, aber er wird wissen wollen, dass du endlich gekommen bist. Ich glaubte bereits, du kämst zu spät. Ich bin dankbar dafür, dass dies nicht der Fall ist.«
»Euer Bruder … hat eine dreihundert Mann starke Leibwache mitgebracht«, sagte Tissaphernes. »Männer von Sparta und außergewöhnliche Krieger.«
Artaxerxes’ Blick verfinsterte sich, als er den Pfad entlang zurückschaute, über den Tissaphernes gekommen war.
»Ich weiß, dass er sie bewundert.«
»Mir kam zu Ohren, die legendären Geschichten über sie seien stark übertrieben, Hoheit. Mir scheint, dass … dies nicht der Wahrheit entspricht. Sie sind außerordentlich befähigt. Euer Bruder bestand darauf, sie an seiner Seite herzuführen, trotz der Schwierigkeiten, die dies nach sich ziehen könnte.« Er stockte, wählte sorgsam seine weiteren Worte und ließ seine Bedenken in ihnen mitschwingen, als er sie aussprach.
»Eure Hoheit, ich würde es ihnen nicht erlauben, frei in unserem Land umherzustreifen.«
Mit einem schmalen Lächeln verpasste Artaxerxes ihm einen Klaps auf die Schulter.
»Das werden sie nicht. Dafür habe ich gesorgt.«
Anaxis lief quer über die unterste Stufe, und sein Wegbegleiter war der Tod. Der Spartiat zog den Kopf ein und hielt sich geduckt, doch seine Beine waren kräftig, und er bewegte sich in vollkommener Balance. Angesichts des Verrates sprühten seine Augen vor wildem Furor, sodass er wie ein Todesengel unter die Perser kam, die fortfuhren, in höchstmöglicher Frequenz ihre Pfeile in die Reihen des Feindes zu schicken. In den ersten Sekunden stieß Anaxis ein Dutzend Männer über die Kante der Felsplatte, da er wusste, dass die anderen dort unten sie rascher töten würden, als er selbst es vermochte. Sein Speer blieb in der Achselhöhle eines Fallenden stecken, wurde seinem Griff entrissen und mit hinabgezogen. Dem nächsten entsetzten Perser, der seinen Vernichtungspfad kreuzte, präsentierte der spartanische Hauptmann mit breitem Grinsen die Klinge seiner Kopis, auf Augenhöhe, nachdem er sie in geradezu unmenschlicher Behändigkeit nach einem Gegner auf der nächsthöher gelegenen Stufe geschwungen hatte. Einen von oben geführten Hieb parierte Anaxis souverän und ließ die Wucht des Schlages in die Abwehr der unmittelbar darauffolgenden Attacke fließen. Einem weiteren Mann, welcher dem verrückten Spartaner, der auf einmal durch die Luft in ihre Mitte gesprungen war, einen Pfeil in den Leib zu jagen versuchte, spaltete er den Knöchel. In solchen Augenblicken verspürte Anaxis keinerlei Panik oder gar Todesangst, höchstens ein gewisses Bedauern. Ihm war bewusst, dass er an diesem Tag sein letztes Gefecht kämpfte, und das versetzte ihn in eine vollkommene innere Ruhe. Die Perser hatten sich ein Massaker gewünscht – und sie bekamen eines, obwohl sie es nicht ganz so sehr genießen würden, wie sie erwartet hatten.
Unten im Hof stemmten die Griechen ihre Schilde über die Köpfe und standen wie festgenagelt am Fleck, keines Manövers fähig. Dutzende von ihnen hatten ihre Speere geworfen oder deren Spitzen in die Waden der Bogenschützen gerammt. Leichen in dunklen Tüchern bildeten dicke Schichten auf dem Erdboden, unter ihnen auch einige wenige reglose Spartiaten. Die griechischen Krieger standen in dicht gedrängten Einheiten zusammen. Die Ränder ihrer Schilde überlappten sich, und sie lugten durch die schmalen Ritzen dazwischen, befanden sich jedoch nicht in Kauerstellung. Die flüchtigen Blicke, die Anaxis auffangen konnte, zeigten ihm, dass Cinnis seine Leute hinsichtlich Geschlossenheit und Kampfmoral bestens im Griff hatte, während er fortwährend neue Vorgaben rief.
Anaxis konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er den Kerl vor sich, einen wütend fauchenden Bogenträger mit Rauschebart und breiten Schultern, durch ein Täuschungsmanöver aus dem Gleichgewicht zu bringen versuchte. Der Hieb, dem der Mann durch eine hektische Seitwärtsbewegung auswich, kam gar nicht, und exakt im Augenblick höchster taumelnder Schwäche sah er sich von Anaxis blitzschnell am Ärmel gepackt, wurde über die Felskante gerissen und krachte auf die Spartiaten darunter. Diese stießen daraufhin wütende Flüche aus und forderten von Anaxis, gefälligst besser achtzugeben. Die Antwort des Hauptmannes bestand in einem Kichern, während er sich hackend und schlitzend den Weg durch seine Feinde bahnte, ein Fontänen aus Blut und persischen Panzerschuppen um sich versprühender Derwisch.
Inzwischen waren so viele Bogenschützen in den lang gestreckten Hof hinabgestürzt, dass einige Griechen damit begonnen hatten, ihre Waffen und Köcher einzusammeln. Die meisten hatten als kleine Jungen bei der Jagd auf diese Weise Hasen geschossen und konnten Ziele wie die Perser kaum verfehlen, welche keine Schilde trugen und lediglich zwei Manneslängen weit entfernt von ihnen standen. Sechs oder acht von ihnen fingen an, die langen Pfeile zurückzusenden. Die Perser gerieten gehörig ins Wanken, als sie von ihren eigenen Waffen attackiert wurden, und wichen in wirren Knäueln aus Leibern panisch zurück, statt das Gemetzel in Reih und Glied fortzusetzen.
Anaxis versammelte drei seiner Männer an seiner Seite. Von unten hatte man Schilde heraufgeworfen, und es war eine Erleichterung, hinter ihnen zu stehen, als Pfeil um Pfeil in goldene Bronze und Holz einschlug. Sie waren allesamt verwundet, wie Anaxis bemerkte. Zweien ragten die schwarzen Stümpfe von Pfeilen aus der Brust, die sie dort abgebrochen hatten. Sie zeigten keinerlei Anzeichen von Schmerz, obwohl sie schwer nach Atem rangen und ihr Blut zu Boden tropfte, während ihre Kräfte allmählich nachließen. Bei einem der Männer schimmerte ein weißer Rippenknochen durch das Fleisch. Als Anaxis auf die Stelle deutete, zuckte er mit den Schultern.
»Ich lasse es mir danach verbinden«, sagte er.
»Ich werde dir die Wunde vernähen«, gab Anaxis zurück. »Vergiss das nicht. Siehe bloß zu, dass Cinnis sich davon fernhält.«
»Das behalte ich im Kopf«, sagte der Mann. Sie waren alte Freunde und hatten es nicht nötig, mehr zu sagen.
Anaxis grunzte gequält, als ein Pfeil zwischen den Schilden hindurch in seine Flanke schoss und sich direkt in die dort hervortretenden Muskelstränge bohrte. Er konnte die Federn sehen, wagte es aber nicht, ihn herauszuziehen. Die Verletzung ließ eine Welle der Übelkeit über ihn hinwegschwappen, sodass für einen Augenblick alles verschwamm.
»Es wäre mir lieb, wenn sie sich an uns erinnern würden«, sagte Anaxis. »Sobald ihr euch ausgeruht habt, meine ich.«
»Ich dachte, Ihr ruht Euch aus«, erwiderte einer der Spartiaten ungehalten.
Anaxis grinste. Die Schneide seiner Kopis sägte sich widerstandslos durch den schwarzen Schaft des Pfeils. Er ächzte, als sich etwas in seinem Innern drehte.
Durch ihren hektischen Rückzug hatten die Bogenschützen einen gewissen Abstand zwischen sich und ihre Gegner gebracht, der ihnen gut zupasskam. Sie versuchten mit aller Macht zu verhindern, dass die wenigen Spartaner, denen es gelungen war, die Stufen zu erklimmen, ihnen näher zu Leibe rückten und weitere heraufkletterten oder -sprangen, um sich mit ihren Waffenbrüdern zu vereinen.
Anaxis und die anderen stürmten mit erhobenen Schilden auf sie zu. Der Pfeilhagel der Perser brach auch dann nicht ab, als der kleine Trupp von Spartanern unter lautem Heulen vorstieß und sich abermals direkt in ihre Mitte stürzte. Die Schilde wurden zu Nahkampfwaffen, deren Kanten für jemanden, der im Umgang mit ihnen geübt war, ebenso nützlich war wie ein Speer. In den persischen Reihen brach Panik aus, und sie wichen in kopfloser Furcht zurück. Unten im Hof stimmten die Spartiaten, die noch am Leben waren, den Päan an, die Schlachthymne des Todes.
Anaxis schaffte es bis zur obersten Stufe, bevor ihm seine Kopis schließlich aus der Hand geschlagen wurde. Er sah lange Schlangen frischer persischer Krieger aus Türen zu beiden Seiten eilen, ein schier endloser Strom von ihnen, bewaffnet mit Bögen oder Schwertern und Speeren. Speere taugten besser zum Töten derjenigen, die der Falle nicht entkommen konnten, dachte er. So hätte auch sein Befehl gelautet, wäre er der persische Hauptmann gewesen. Ein Gemetzel mit Pfeil und Bogen stellte eine Beleidigung dar, und zwischen Männern gab es keinen Bedarf an solchen Belanglosigkeiten. Er fühlte, wie sein Sehvermögen nachließ, und bot seine Seele Hades und Hermes dar. Es würde eine Freude sein, König Leonidas zu treffen, der bei den Thermopylen gekämpft hatte. Der Mann hatte nicht gerade wenig Erfahrung gesammelt, was persischen Verrat anging. Anaxis hoffte darauf, an ebendiesem Abend gemeinsam mit ihm einen Becher guten Rotweins leeren zu können, vorausgesetzt, er schaffte es, rechtzeitig den Fluss zu überqueren.
Im Hof sah Cinnis jene Männer, die man die Stufen emporgeschleudert hatte, einen nach dem anderen fallen, und mit ihnen schwanden die letzten Hoffnungen. Die Speere waren weg, alle Köcher waren leer, obgleich überall zwischen den Toten zerbrochene Schäfte lagen.
Den persischen Bogenschützen war ihr höhnisches Grinsen vergangen. Viele Männer in schwarzen Gewändern lagen leblos im Hof, und das Blut von noch mehr Männern befleckte die Treppenstufen zu beiden Seiten. Dennoch hatte sich die Zahl der Spartaner halbiert und die beste Möglichkeit zum Ausbruch in Nichts aufgelöst. Ein oder zwei versuchten nach wie vor, ihre Mitstreiter in die Höhe zu wuchten, aber die Bogenschützen wussten, dass sie leichtes Spiel hatten. Sie konzentrierten ihre Schüsse auf jeden entsprechenden Versuch, sodass die Männer von Pfeilen durchbohrt wieder zurückfielen.
Cinnis brüllte Befehle, die Waffen der Toten aufzuheben und sie zu werfen. Die Spartiaten, vom Dauerbeschuss der Pfeile auf die Knie gezwungen, taten mit umsichtiger Zielstrebigkeit wie ihnen geheißen. Die Kopis durchschnitten kräftig pfeifend die Luft, ebenso die Kurzschwerter. Ein oder zwei Schilde wirbelten in die Richtung, aus der das Pfeifen erklang, und die Männer, die davon erwischt wurden, sackten krachend zu Boden. Einige stürzten in die Grube unter ihnen und wurden im Nu in Stücke gehackt, obwohl sich der Dauerregen von Pfeilen noch verstärkte.