Spirit Animals, Band 9: Die Erde bebt - Victoria Schwab - E-Book

Spirit Animals, Band 9: Die Erde bebt E-Book

Victoria Schwab

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Beschreibung

Band 9 des spannenden Tierfantasy-Abenteuers! Eine uralte, böse Macht ist erwacht und droht, das Band zwischen den Menschen und ihren Seelentieren zu zerstören. Conor, Abeke, Meilin und Rollan müssen sie unbedingt aufhalten! Ihr Weg führt sie in ein Höhlenlabyrinth, durch das man zum Immerbaum gelangt - vorausgesetzt, man verirrt sich nicht oder erzürnt die Wächterin des Baumes: eine riesige Spinne, die tief unter der Erde in ihrem gigantischen Netz lauert ... Entdecke die Welt der "Spirit Animals": Band 1: Der Feind erwacht Band 2: Die Jagd beginnt Band 3: Das Böse erhebt sich Band 4: Das Eis bricht Band 5: Die Maske fällt Band 6: Die Stunde schlägt Band 7: Der Zauber befreit Band 8: Das Dunkle kehrt zurück Band 9: Die Erde bebt Band 10: Der Sturm naht

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2018Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2018 Ravensburger Verlag GmbHOriginaltitel: Spirit Animals – Fall of the Beasts. Broken GroundCopyright © 2015 Scholastic Inc. All rights reserved. Published by arrangement with Scholastic Inc., 557 Broadway, New York, NY 10012, USA.SCHOLASTIC, SPIRITANIMALS and associated logos are trademarks and/or registered trademarks of Scholastic Inc.Übersetzung: Friedrich PflügerUmschlag: Keirsten Geise unter Verwendung einer Illustration von Angelo RinaldiVorsatzkarte und Vignetten: Wahed KhakdanAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473-47903-0www.ravensburger.de

SCHATTEN IN DER NACHT

Wolken türmten sich am Himmel und verdeckten Mond und Sterne.

Es gab in dieser Nacht keinen Grund, nach oben zu blicken.

Andernfalls hätte jemand in Stetriol vielleicht die Schatten bemerkt, die über die Dächer huschten oder wie Wasserspeier auf den Giebeln saßen. Jemand hätte vielleicht den jungen Mann gesehen, der wie eine Wetterfahne auf einem Dachfirst stand, das Gesicht hinter einer blassen Hörnermaske verborgen, während sein dunkler Umhang im Wind flatterte. Aber alle Augen waren nach unten gerichtet, auf Bücher und Kochstellen, Mahlzeiten, Herdfeuer und Getränke, und niemand nahm Notiz.

Die Gestalt richtete sich auf und lief geschmeidig über den First des Schindeldachs, wodurch sich der Umhang hinter ihm bauschte. In der farblosen Nacht sah dieser Umhang schwarz aus, aber wenn die Gestalt stehen blieb und von den Straßen und Höfen der Schein der Lampen heraufflackerte, dann leuchtete das Gewebe rot.

Das unter ihm ausgebreitete Stetriol war belebt wie lange nicht. Die Stadt pulsierte geradezu, und dieser Puls schlug im Gleichklang mit seinem Herzen, seinen Schritten.

Ungeachtet der Straßen, die tief unter ihm lagen, bewegte er sich mit tierischer Anmut über die Dächer von Läden und Häusern bis zu dem einen, das er gesucht hatte. Dort lehnte er sich an den Kamin, ging dann in die Hocke, wobei kurz Licht auf die Hörner seiner Maske fiel, bevor sie mit dem Rest von ihm im Schatten verschwanden.

Unten im Hof, am Rand eines Brunnens, saß ein Mädchen; sein langes weißblondes Haar türmte sich wie eine gewundene Krone auf seinem Kopf. Nachdenklich ließ es die Beine ins flache Wasser baumeln, auf dem sich ein großer Schwan treiben ließ. Seine Federn schimmerten so weiß wie Sonnenlicht, das auf frisch gefallenem Schnee glitzert. Beim Anblick des Tiers wurden die Augen des jungen Mannes – keine menschlichen Augen, sondern quer geschlitzt wie bei einem Widder – hinter der Hörnermaske ganz groß. Wie verzaubert beugte er sich in einem kaum möglichen Winkel nach vorn, während der Schwan anmutig über die Wasserfläche glitt.

Die Gerüchte waren also wahr.

Ninani war nach Stetriol gekommen.

Das Haar des Mädchens und die Federn des Schwans bildeten Inseln aus blassem, hellem Licht im gedämpften Grün, Blau und Schattengrau des Hofes. Das Mädchen hatte ein Buch aufgeschlagen und las dem Schwan vor; seine Stimme klang weich und sanft, aber im leisen Gurgeln des Wassers um seine Beine waren seine Worte oben auf dem Dach nicht zu verstehen.

Der Mann nahm eine blitzartige Bewegung wahr: Über der gegenüberliegenden Hofmauer erschien eine andere Gestalt in einem Umhang. Vor dem Schieferdach zeichnete sich die Schnauze einer Kojotenmaske ab. Die hundeähnliche Gestalt verlagerte ihr Gewicht. Am Boden war sie kaum aufzuhalten, aber hier in der Höhe fühlte sie sich offensichtlich nicht wohl.

Geheul, begrüßte der Erste den Neuankömmling mit dem Handzeichen für dessen Namen.

Treu, signalisierte der Mann mit der Kojotenmaske zurück.

Eine dritte Gestalt im Umhang sprang rechts von Geheul aus dem Dunkeln. In die Maske, die ihr Gesicht verdeckte, war ein katzenhaftes Lächeln geschnitzt, und ihre Bewegungen waren so geschmeidig, dass Geheul ihr Kommen gar nicht bemerkt hatte.

Schatten.

Sie deutete ein beiläufiges Hallo an, ging in die Hocke und hielt sich mit funkelnden Fingernägeln, scharf und gekrümmt wie die Krallen einer Katze, am Dach fest.

Die drei ragten wie steinerne Statuen über dem Hof auf und umringten das lesende Mädchen und sein Seelentier – beide ahnungslos. Geheul änderte zum zweiten Mal seine Körperhaltung.

Was nun?, signalisierte Schatten mit träge durch die Luft tanzenden Fingern.

Der junge Mann mit der gehörnten Maske – den sie Treu nannten – kniff die Augen zusammen und gab seinen Befehl: Sendet eine Nachricht an König.

Schatten fuhr sich zur Antwort mit dem Finger um den Kopf. Das Zeichen für Hörner war dasselbe wie das für Krone. So hatten sie ihn eigentlich nennen wollen: Krone. Immerhin war er der Stellvertreter von König. Ihm war dabei aber nicht wohl gewesen – er war dem Anführer so unverbrüchlich ergeben, dass er sich stattdessen für Treu entschieden hatte – wie in „königstreu“.

Er quittierte Schattens Hänselei mit einer abfälligen Handbewegung.

Das Mädchen im Hof verstummte und wollte gerade die Seite umblättern, als ihm das Buch aus den Händen glitt. Es griff danach, doch das Buch sprang ihm vom Knie und fiel platschend in den Brunnen.

Der Schwan sträubte das Gefieder und schlug mit den Flügeln.

„Hoppla“, flüsterte das Mädchen und fischte das durchgeweichte Buch aus dem Wasser. Es hielt es an einer Ecke hoch und seufzte, als das Wasser von den Seiten heruntertropfte. „Erzähl bloß Vater nichts.“

Das Mädchen legte das Buch zur Seite; es landete mit einem satten Schmatzen auf dem Brunnenrand.

In diesem Augenblick änderte Geheul zum dritten Mal seinen Stand – und rutschte aus.

Unter seinem Stiefel löste sich eine Schiefertafel und glitt scheppernd vom Dachfirst herab. Geheul konnte sich gerade noch am nächsten Kamin festhalten, doch für die Schindel war es zu spät. Immer schneller schoss sie auf die Dachkante zu. Treu zuckte zusammen, drückte sich an den Kamin und machte sich auf den Lärm gefasst; Schatten jedoch spannte anmutig den Körper, schnellte nach vorn und schnappte die Steinplatte mit einem ihrer klauenartigen Fingernägel gerade noch rechtzeitig, bevor sie in den Hof hinunterstürzte.

Kleine Mörtelbrocken tanzten leise wie Regen übers Dach und weiter über die Kante.

Die Gestalten in ihren Umhängen hielten den Atem an.

Der Schwan unten im Becken verharrte reglos.

Das Mädchen blickte nach oben, aber über den Laternen war alles dunkel. „Was war das?“, fragte es leise. Beide reckten die Hälse nach oben. Das Mädchen spähte angestrengt, als könnte es beinahe den Umriss einer Gestalt, die Silhouette einer Maske, ausmachen.

„Tasha!“, wurde aus dem Haus gerufen. Das Mädchen wandte die Aufmerksamkeit wieder dem Brunnen und dem Haus dahinter zu.

„Muss wohl ein Vogel gewesen sein“, sagte das Mädchen. „Oder eine Maus. Oder der Wind.“ Es schwang seine Beine aus dem Wasser und zog die Finger durch die glasige Oberfläche.

„Auf, Ninani“, sagte es fröhlich.

Der Schwan hob die Flügel und flatterte kurz, als wollte er sich in die Lüfte erheben, verschwand dann aber mit einem Lichtblitz. Im selben Moment erschien sein Bild, schwarz wie Tinte, auf der hellen Haut des Mädchens – ein Schwan, der sich vom Handgelenk bis zum Ellbogen hinaufzog. Dann trottete das Mädchen nach drinnen und hinterließ eine Spur von nassen Tapsen auf den Steinfliesen.

Tasha. So hieß sie also.

Sie war kaum fort, als sich Schatten katzengleich auf dem Dach aufrichtete. Ihre üblicherweise grünen Augen waren schwarz und die Pupillen im Halbdunkel nicht zu sehen, als sie Geheul mit ihrem Blick förmlich erdolchte. Sie sah aus, als würde sie ihm die losgetretene Schieferplatte gleich an den Kopf schleudern.

„Idiot“, zischte sie laut.

„Es sind nicht alle fürs Fassadenklettern geboren“, knurrte er zurück.

„Schluss jetzt“, befahl Treu mit leiser, ruhiger Stimme. Geheul und Schatten holten beide Luft, als wollten sie etwas entgegnen, doch Treu hob warnend die Hand.

Da war ein Geräusch, wie von nackten Füßen auf Stein.

Einen Augenblick später kam Tasha wieder in den Hof geeilt und holte das Buch, das sie am Brunnenrand hatte liegen lassen. Auf halbem Weg blieb sie mit dem Fuß an einer Matte hängen und stolperte; sie fing sich aber wieder und hob das durchnässte Buch auf. Sie drückte die Buchdeckel zusammen, um noch mehr Wasser herauszupressen, und wandte sich wieder zum Haus um.

Und blieb stehen.

Zögernd warf sie einen Blick hinauf zu den Dächern und zum Nachthimmel.

„Tasha!“ Wieder wurde sie gerufen.

Das Mädchen drehte sich um und ging zurück nach drinnen.

Als im Hof wieder für einige Augenblicke Stille eingekehrt war, gab Treu mit der Hand lautlos das Zeichen zum Aufbruch. Schatten lehnte die Schiefertafel gegen einen Kamin und verschwand dann gemeinsam mit Geheul in der Dunkelheit. Treu sah den beiden mit seinen scharfen, geschlitzten Goldaugen nach, blickte dann wieder in den Hof, wo die nassen Fußabdrücke allmählich verschwanden.

Tasha.

Jetzt wussten sie, wo sie war.

Und vor allem, wo Ninani war.

Sie würden wiederkommen.

Mit diesem Gedanken machte auch Treu kehrt und folgte den anderen in die Schatten der Nacht.

AUGEN IM DUNKELN

Ihre Schatten tanzten im Schein der Fackel.

Sie liefen durch die Tunnel unter der Welt und warfen dabei eine Prozession geisterhaft verzerrter Silhouetten an die Höhlenwände. Conor versuchte, sich eher auf die Menschen als ihre monströsen Schatten zu konzentrieren, doch zog es seinen Blick immer wieder an die Felswände, wo verformte Versionen der Gefährten bedrohlich zuckend voranzogen. Meilin, Takoda und Xanthe waren dort nichts als spinnendürre Gestalten; Briggans geduckter Schatten dagegen schien nur aus Ohren und Schwanz zu bestehen.

Kovo machte ihm von allen am meisten Angst.

Der Schatten des Affen reckte sich drohend und mit gebleckten Zähnen über den anderen in die Höhe. Im bedrohlichen, flackernden Licht bildete sich Conor sogar ein, die roten Augen im verzerrten Schatten des Untiers zu sehen.

Conor schluckte und presste die Augen zu, um das, was wirklich war, von dem zu trennen, was er Fieber und Erschöpfung zuschreiben musste. In dem Bild vor seinen Augen vermischte sich beides immer mehr. Die Konturen waren nicht klar, und wenn er den Blick nicht schärfte, dann konnten seine Albträume nur allzu leicht in die Wirklichkeit der dunklen Gänge entwischen, die sie umgaben.

„Und du weißt ganz sicher, wohin wir gehen?“, fragte Meilin – die echte Meilin aus Fleisch und Blut und purer Entschlossenheit und nicht ihr Schatten – von weiter vorn. Sie fasste die Fackel und richtete den Lichtschein auf die blassrosafarbenen Augen des anderen Mädchens, das die Gruppe durch das Wirrwarr der unterirdischen Gänge führte.

„Ganz sicher“, antwortete Xanthe.

„Wie kannst du dir so sicher sein?“, murmelte Meilin. „Es sieht doch alles gleich aus!“

„Für dich vielleicht …“, sagte Xanthe nur und strich mit ihrer zarten Hand über die Felswand.

Auch Conor fand, dass alles gleich aussah. Ab und zu spürte er, dass der Boden ein wenig abfiel, dass es eine Spur wärmer oder kälter wurde oder ein seltsamer Luftstrom sie traf, als wäre es der Atem eines schlafenden Untiers. Ansonsten kamen ihm die verschlungenen Tunnels von Sadre alle gleich vor – eine endlose Reihe von Höhlen, Tunneln und Hohlräumen. Außerdem hatte er den Eindruck, sie bewegten sich im Kreis. In Spiralen.

Wie konnte Xanthe nur wissen, wohin sie gingen? Und doch schien es so zu sein.

Sie gelangten im Tunnel an eine Art Kreuzung. Auch diese drei Wege, einer geradeaus und zwei, die seitlich abzweigten, sahen identisch aus. Xanthe gab mit erhobener Hand Zeichen zum Anhalten, während sie selbst bis in die Mitte der Kreuzung weiterging. Sie rückte das Bündel auf ihrem Rücken zurecht, ging in die Knie, legte die Hände flach auf den Steinboden und schloss die Augen. Conor fragte sich, ob sie wohl lauschte, tastete oder schnupperte – vielleicht spürte sie ja auch mit einem anderen Sinn, den er gar nicht besaß. Wie auch immer – als sie nach einigen Sekunden die Augen aufschlug und sich wieder aufrichtete, deutete sie auf den linken Tunnel.

„Hier geht’s weiter“, sagte sie und marschierte voran, ohne einen Blick zurück zu werfen.

Kovo und Meilin gaben gleichzeitig einen zweifelnden Laut von sich, halb seufzend, halb stöhnend, und warfen sich dann finstere Blicke zu. Takoda kicherte und selbst Conor brachte ein Lächeln zustande. Es war nicht das erste Mal, dass sich die beiden gleich verhielten. Meilin mochte mit der Pandadame Jhi das Sinnbild der Gelassenheit gerufen haben, aber wenn sie wollte, konnte sie ebenso dickköpfig sein wie der Affe.

Meilin stapfte Xanthe hinterher und Takoda und Kovo reihten sich hinter ihr ein.

Sie waren nur kurz stehen geblieben, aber Conor fühlte sich mit einem Mal so träge und unbeteiligt, dass er kaum wieder in Bewegung kam.

Als die anderen schon in den Tunnel abgebogen waren und er immer noch dastand, stupste ihn Briggan mit der Schnauze aufmunternd in den Oberschenkel. Die kleine Geste genügte, um seine Beine wieder in Schwung zu bekommen.

„Danke“, flüsterte er müde und fuhr dem Wolf mit der Hand durchs Nackenfell. Briggan lehnte sich sachte gegen sein Bein – gerade so, dass Conor nicht das Gleichgewicht verlor, sondern spürte, dass er sich auf ihn stützen konnte.

„Mit Magie hat das nichts zu tun“, erklärte Xanthe gerade, als Conor wieder aufschloss.

„Aber wie machst du es dann?“, fragte Meilin. „Wie weißt du, wo es weitergeht?“

„Ich lausche auf die Gänge“, antwortete Xanthe, als würde das alles erklären.