Spiritualität voll Leidenschaft - Wunibald Müller - E-Book

Spiritualität voll Leidenschaft E-Book

Wunibald Müller

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Beschreibung

Teresa von Ávila ist eine außergewöhnliche Frau. Gegen große Widerstände der offiziellen Kirche und einer dominanten Männerwelt macht sie sich stark für das innere Beten, bei dem die Freundschaft mit Gott im Mittelpunkt steht. Diese Auseinandersetzungen stärken ihre Resilienz und ihr Selbstbewusstsein als Frau. Sie ist eine Feministin avant la lettre. Als eine erfahrene Psychologin ist sie einfühlsam und spricht kundig von der Seele, von Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung. Aus eigener Erfahrung weiß sie um die Macht der Anima, die dafür sorgt, dass unser Leben farbig, abwechslungsreich und leidenschaftlich bleibt. Überzeugend spricht sie von ekstatischen Erfahrungen und der Lust an Gott und macht sich für eine ungezähmte, ursprüngliche und lebensfreudige Spiritualität stark. Sie kennt Humor und Leid und ist ein Beispiel dafür, dass Mystik entsteht, wo Sehnsucht und Verzweiflung sich paaren. Was diese einzigartige Frau uns heute zu sagen hat, teilt sie uns in einem fiktiven, mal ernsten, mal launigen, kurzweiligen Gespräch mit.

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Seitenzahl: 232

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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2025

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: Gian Lorenzo Bernini (1598–1680),

Die Verzückung der Heiligen Therese (1644/47),

Santa Maria della Vittoria, Cappella Cornaro, Rom

Satz: Barbara Herrmann, Freiburg

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN Print 978-3-451-39846-9

ISBN E-Book (E-Pub) 978-3-451-83846-0

Inhalt

Geleitwort von Sr. Katharina Ganz OSF

Hinführung

I Den Weg nach innen gehen

Das Paradies in uns entdecken

Der Weg in die Tiefe ist kein Spaziergang

Der Stimme der Sehnsucht folgen

Eine gute Balance zwischen außen und innen finden

Wir tragen die Wunder in uns, die wir außen suchen

Die verborgene Schönheit des Herzens entdecken

II Inneres Beten

Beten ist kein Leistungssport

Beten ist In-Beziehung-leben mit Jesus, der dein Freund ist

Inneres Beten findet immer statt und bedarf keines Lehrmeisters

Beim inneren Beten schweigt dein Verstand

Es bereitet dir Lust zu beten

Gott außerhalb von dir und in dir begegnen

Inneres Beten ist gelebte Beziehung

Inneres Beten ist Lieben

Gott lieben als den ganz Anderen und als Jesus, der Mensch ist wie wir

Beim inneren Beten wird das Paradies in mir konkret

III Die Mystikerin

Spüren, dass Gott da ist

Die Grenzen der spekulativen Theologie und die Chancen einer mystischen Theologie

Statt über Gott reden mit Gott reden

Klares, nüchtern selbstkritisches Denken und glutpersönliche Gotteserfahrung

Die Mystikerin, den Mystiker in uns entdecken

Gott schmecken

Lust auf Gott haben

Die Lust an gutem Essen und Trinken ist die gleiche Lust, die ich an Gott habe

Miteinander unser Leid ertragen und unser Kreuz tragen

Küssen ist Beten

Im Verlieben unserer Leidenschaft begegnen und unsere sinnliche Seite leben

Vom supermystischen Kuss und dem Geschenk der Menschwerdung als Kuss Gottes

IV Teresa in Ekstase

Vom Küssen zur Ekstase

Von der ruhigen und der wilden Ekstase

„Wenn das die himmlische Liebe ist, dann kenne ich sie auch!“

Berninis Teresa in Ekstase – das unpassendste Bildnis, das je in einer christlichen Kirche gestanden hat?

Was ich bei der Ekstase erlebe, ist vergleichbar mit dem, was Liebende erleben, wenn sie sexuell beisammen sind

Was ist da mystisch, was sexuell, was spirituell? Ich weiß es nicht.

Ekstase als Hingabe

Der eigentliche Maßstab ist die Liebe

Leidenschaft für Gott wird zur Leidenschaft für die Menschen

Was wirklich zählt, sind die guten Werke

Ekstase und Herzverwundung

Sexualität und Spiritualität

Die ekstatischen Triebkräfte des Christentums zurückgewinnen

Versöhnung von Spiritualität und Sexualität

Die Sexualität als Quelle unserer Spiritualität

V Die wilde, schwache, starke und lebensfrohe Frau

Mit Unterstützung unserer Anima unsere Farbenpracht voll zur Entfaltung bringen

Duende – Leben pur

Eine Frau der Kirche

Ich bin stark und feige

Am Ende war ich erfolgreich, es hätte aber auch anders ausgehen können

An alle Frauen in der Kirche: Lasst euch das nicht länger gefallen, steht auf, leistet Widerstand!

Niedergang und Aufbruch in den Klöstern

Die Feministin

Eine Frau, die etwas zu sagen hat

Eine Feministin avant la lettre

Humor haben

Wir sind keine Engel, sondern haben einen Leib

VI Die wilde Kirche

Spirituell musikalisch sein

Brauche ich die Kirche als Vermittlerin zwischen Gott und den Menschen?

„Die Welt ist Gottes so voll“

Spiritualität muss sich im Alltag, in der Tat, im Dasein für den Nächsten bewähren

„Allein Gott genügt“?

„Wie du auch jetzt da bist“

Schluss: In den Tanz des Lebens einschwingen

Anmerkungen

Literatur

Geleitwort

„Tu Deinem Leib etwas Gutes, damit Deine Seele Lust hat darin zu wohnen.“ Über diesen, Teresa von Ávila zugeschriebenen Ausspruch habe ich meine erste Predigt gehalten. Während meines Theologiestudiums in den 1990er Jahren fand der Homiletikkurs unter Anleitung einer Tutorin statt.

Zunächst suchten wir uns alle einen Spruch aus, dann assoziierten wir in der Seminargruppe frei zu den ausgewählten Sätzen. Zu dem Ausspruch von Teresa von Ávila fiel meinen Kommiliton:innen vieles ein, wie etwa ein leckeres Essen, ein gutes Glas Wein, ein Vollbad mit Kerzenschein oder ein Spaziergang mit allen Sinnen im Wald. Ein Mitstudent nannte noch: „einen gepflegten Orgasmus haben“. Mich überraschte damals die Selbstverständlichkeit, mit der er– ohne rot zu werden – über die Sexualität als Teil seiner Körperlichkeit und seines Wohlbefindens sprach.

Zuhause formulierten wir eine Kernbotschaft, brachten die Gedanken in eine logische Reihenfolge, suchten eine stimmige Einleitung und einen passenden Schluss. Als ich bei der Werktagsmesse meine Spruchpredigt hielt, nannte ich die meisten der oben aufgeführten Beispiele. Den Orgasmus ließ ich vorsichtshalber weg. Trotzdem konnte ich aus dem Augenwinkel beobachten, wie der Priester während meiner Ansprache von Minute zu Minute unruhiger auf seinem Sitz hin und her rutschte. Offensichtlich hatte ich mit dem Thema ein Tabu berührt: Es gehörte sich damals einfach nicht, im kirchlichen Kontext über Leiblichkeit, Sinnlichkeit oder gar über Sexualität zu reden.

Bis heute kreisen kirchliche Verkündigung und Auslegung der frohen Botschaft oft um Seelsorge, Gottes- und Nächstenliebe; die Selbstliebe und Leibsorge bleiben dagegen seltsam unterbelichtet. Erst recht gilt das im Hinblick auf Lust und Leidenschaft, die erotische Anziehung der Geschlechter oder das sexuelle Begehren.

Wer den Versuch macht, diese elementaren Bereiche menschlichen Lebens positiv als von Gott geschenkte Kräfte zu deuten, wagt sich auf schwieriges Terrain vor. Wunibald Müller scheut sich nicht, seit Jahrzehnten als Theologe, Psychotherapeut und Autor christliche Spiritualität und menschliche Sexualität ins Gespräch zu bringen. Er versteht sie nicht als Gegensätze, sondern als sich gegenseitig bereichernde Grundelemente gelingenden Lebens.

Mit dem vorliegenden Buch erschließt er das Denken, Glauben und Handeln Teresa von Ávilas als Quellen für eine ganzheitlich gelebte Spiritualität. Die Mystik, als erfahrungsbezogener Zugang zu Gott, ersetzt dabei nicht die Kirchlichkeit, sondern weitet sie und verhilft zu einer selbstbestimmten Standortbestimmung.

Somit ist „Spiritualität voll Leidenschaft“ eine wichtige und hilfreiche Lektüre für alle, die ihren christlichen Glauben heute mit Leben füllen möchten. Es ist ein Leitfaden zu einem erfüllten Leben, das sich ganz an Gott verschenkt und sich gleichzeitig rückhaltlos mit allen Fasern im Hier und Jetzt austobt.

Kloster Oberzell, 25. November 2024

Sr. Katharina Ganz OSF

Hinführung

Anselm Grün äußert in einem Gespräch mit Bruder David Steindl-Rast den Wunsch, eines Tages im Himmel die heilige Teresa von Ávila zu treffen. Ob die beiden dann sofort beginnen, über Mystik und die Seele zu reden, wenn sein Wunsch erfüllt wird? Ich bezweifle es. Ich stelle mir vor, wie Teresa ihn zunächst mit einem kritischen Blick, den Kopf etwas zur Seite geneigt, mustert und sagt: „Du bist also die Helene Fischer der Spiritualität, von der so viele schwärmen. Na, deine Haare, es sind ja sowieso nicht mehr so viele, könntest du mal schneiden. Oder bist du vielleicht ein bisschen eitel und willst deine Glatze verbergen? Ich mag dich so, wie du bist, und wenn du ein bisschen eitel bist und dazu stehen kannst, dann macht dich das noch sympathischer. Wir wissen beide, dass wir keine Heiligen sind, den Versuchungen und Sinnenfreuden des Lebens enthoben, und wir lassen uns auch nicht von anderen dazu machen. Geschenkt. Jetzt, lieber Anselm, gönnen wir uns erst einmal einen Willkommenstrunk in der besten Bar im Himmel. Dort wartet ein exquisiter spanischer Rotwein auf uns. Der schmeckt ganz anders als euer fränkischer saurer Klosterwein in Münsterschwarzach. Danach gibt es noch etwas Eis, extra für dich von mir zubereitet. Ich weiß, dass du das magst. Für mich gibt es Churros mit heißer Schokoladenmilch. Man gönnt sich ja sonst nichts.“

Ich begegne Teresa von Ávila nicht im Himmel. Sie hat sich für unser Gespräch eine Auszeit genommen und wir treffen uns im Karmelitinnenkloster Heilig Blut in Dachau, in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Konzentrationslager. Sr. Irmengard und ihre Mitschwestern, die ich durch viele Aufenthalte dort inzwischen gut kenne, haben uns eingeladen, ihre Gäste zu sein. Es gibt vieles, über das ich mit ihr reden möchte, zunächst als Theologe, Therapeut und geistlicher Begleiter, dann aber auch als einer, der sich ihr persönlich und ihrer Spiritualität sehr verbunden fühlt.

Mein Gespräch mit Teresa hat in meinen Gedanken und in meinem Herzen tatsächlich stattgefunden. Ich habe mir vorgestellt, wie sie mir gegenübersitzt und wir uns miteinander unterhalten. Ich habe dabei versucht, mich in sie hineinzuversetzen, sie zu verstehen, sie aus der Reserve zu locken. Einmal bin ich mehr der Psychotherapeut oder der Theologe. Dann wieder bin ich der neugierige Journalist oder einfach der Freund. Was mir Teresa von Ávila in unserem Gespräch erzählt, könnte sie so gesagt haben. Ich habe mich von ihren Schriften und von dem, was andere über sie geschrieben haben, inspirieren lassen.

Ansonsten habe ich mich jedoch darauf beschränkt, mir vorzustellen, dass sie mir gegenübersitzt, wir miteinander reden und ich versuche, mich in sie einzufühlen. Ich lasse mich auf sie ein, wie ich mich auch sonst auf eine Person einlasse, mit der ich ein Gespräch führe, wohlwollend, vorbehaltlos, interessiert und neugierig. Dabei traue ich dem, was mir einfällt oder vielleicht auch von ihr mir zufällt.

Es ist natürlich „meine“ Teresa von Ávila. Aber, wer weiß, vielleicht ist sie nicht weniger die echte Teresa als jene Teresa, die in historischen und theologischen Traktaten vorgestellt wird. Für mich ist sie bei unserem Gespräch jedenfalls aus den Zeilen, die sie selbst oder andere über sie geschrieben haben, herausgesprungen und lebendiger, greifbarer, sichtbarer geworden. Ich sehe sie vor mir, wie sie bequem im Sessel sitzt, ich rieche ihr dezentes Parfüm, ich freue mich an dem orangenen Schal, den sie sich um den Hals gehängt hat, ich schmecke sie – vom Schmecken wird später noch viel die Rede sein.

Jetzt liegt es an der Leserin, dem Leser, dass oder ob meine Teresa zu ihrer, seiner Teresa wird. Die Bücher von Teresa lesen sich oft wie Unterhaltungen, die sie mit der Leserin, dem Leser führt. So soll auch dieses Gespräch als kurzweilige Unterhaltung verstanden werden, bei der Sie gerne verweilen und sich davon inspirieren lassen. Ich habe viel von Teresa gelernt. Das Gespräch mit ihr hat mir große Freude bereitet, auch, weil es mir die Gelegenheit verschaffte, mich persönlich einzubringen und Themen, die mich beschäftigen, zusammen mit ihr zu betrachten.

Ich danke den Karmeliten P. Reinhard Körner und P. Ulrich Dobhan, von deren Schriften über Teresa von Ávila ich sehr profitiert habe. Sie mögen gnädig mit mir umgehen, wenn meine Teresa von Ávila sich manchmal unterscheiden mag von der Teresa, die sie durch ihre Beschäftigung mit ihr kennengelernt haben. Ich widme dieses Buch Sr. Irmengard Schuster OCD vom Kloster Heilig Blut in Dachau und Sr. Catarina Görgen OSB vom Kloster Engelthal, an denen Sr. Teresa von Ávila ihre Freude hätte. Clemens Carl vom Verlag Herder danke ich für die unkomplizierte und bereichernde Zusammenarbeit.

Wunibald Müller

I Den Weg nach innen gehen

Das Paradies in uns entdecken

Wunibald: Es freut mich ungemein, liebe Teresa, dich zu treffen, um mich mit dir auszutauschen. Du hast über die vergangenen Jahrhunderte unzähligen Menschen vieles gegeben und du hast uns auch heute noch viel zu sagen. Wir wissen dank deiner Bücher und der Schriften von Expertinnen und Experten, die sich intensiv mit dir befasst haben, einiges über dich und das, was dich beschäftigt hat. Manches davon habe ich gelesen und es hat mich auch inspiriert für unser Gespräch. Bei unserer Begegnung geht es mir darum, dich besser kennenzulernen und dazu beizutragen, dass andere dich besser kennenlernen. Auch will ich das, was du gerade auch uns heute zu sagen hast, neu aufleuchten lassen.

Teresa: Danke. Auch ich freue mich über unsere Begegnung. Sie gibt mir die Möglichkeit, mich wieder etwas intensiver damit zu beschäftigen, wie es inzwischen bei euch auf der Erde, in der Kirche, in den Klöstern aussieht. Auch finde ich es interessant, mich mit einem Psychotherapeuten, der zugleich Theologe ist, auseinanderzusetzen. Schauen wir mal, was wir uns zu sagen haben.

Wunibald: Ja, schauen wir mal. Wenn ich schon einmal die Gelegenheit habe, mit dir zu reden, will ich das auch dazu nutzen, um mich mit dir über einige persönliche Erfahrungen und Themen auseinanderzusetzen. Ansonsten will ich mich bei unserem Gespräch möglichst freimachen von allen vorgefassten Meinungen über dich und dem Dünkel, mit dem andere dich umgeben und damit entstellen. Ich will dir zuhören, die Zeit mit dir genießen und mich von dem, was ich von dir erfahre, und von unser Begegnung bereichern lassen.

Teresa: So gefällt es mir. Wir reden miteinander, tauschen uns aus, haben hoffentlich eine gute Zeit miteinander. Wir legen alle Ausschmückungen, wie Kirchenlehrerin, Heilige, Psychologe, auf die Seite, da sie oft unser wahres Ich und Selbst verdecken. Davon habe ich genug. Wir begegnen uns von Du zu Du. Das aber funktioniert nur auf Augenhöhe. Das heißt aber auch, dass du dich nicht außen vor halten kannst und dass es nicht nur um mich geht. Ich will auch dich näher kennenlernen und mich von dir bereichern lassen.

Wunibald: Da muss ich erst einmal durchschnaufen. Aber du hast recht. Ich will es versuchen. Also, fangen wir an und gehen gleich in medias res. In deinem Bestseller Die Seelenburg stellst du die kühne Behauptung auf, dass in uns etwas vorhanden ist, das verglichen mit dem, was außerhalb von uns existiert, kostbarer ist. Das glaubt dir doch kein Mensch.

Teresa: Klar, wenn du das noch nicht erfahren hast, denkst du: Was soll so ein Unfug? Ich habe es aber so erfahren und stelle deswegen diese kühne Behauptung, wie du es nennst, in den Raum und wiederhole sie: Glaub ja nicht, dass wir innen hohl sind. Ganz im Gegenteil. Dort erwartet dich, was du vergeblich außerhalb von dir suchst.

Wunibald: Du machst es richtig spannend. Was erwartet uns denn dort? Auf was darf ich mich gefasst machen, es zu erleben, wenn ich mich auf den Weg nach innen begebe? Was soll das sein, das kostbarer ist als das, was ich außerhalb von mir erlebe?

Teresa: Jetzt sei doch nicht so ungeduldig. Eigentlich sollte ich die Spannung noch etwas aufrechterhalten, um sie dadurch noch zu vergrößern und dich noch neugieriger zu machen. Aber ich will mal gnädig sein und dich nicht länger auf die Folter spannen. Ich will dir davon berichten. Vielleicht steigert das ja zusätzlich dein Interesse.

Wunibald: Jetzt mach schon. Du hast mich wirklich neugierig gemacht.

Teresa: Du musst dir dein Inneres – ich gebrauche dafür auch das Wort Seele – als eine Seelenburg vorstellen, die aus Diamanten oder klarem Kristall geschaffen ist. In ihr gibt es viele Gemächer, so wie auch der Himmel viele Wohnungen hat. Wenn du dich im Einklang mit dir befindest und in Berührung mit deiner Seele bist, erlebst du diesen Ort in dir als ein Paradies, in dem Gott Lust hat, sich aufzuhalten. Zuvor musst du aber den Weg nach innen gegangen sein. Du musst mit deinem Innenraum vertraut geworden sein.

Wunibald: Das klingt sehr verlockend, wenn ich dich so begeistert davon reden höre, und ich bekomme richtig Lust auf dieses Paradies in mir. Ich möchte gerne dahin gelangen. Doch zugleich stellen sich auch Zweifel ein, ob das wirklich so ist, wie du es so schön beschreibst. Ich frage mich: Was soll das, nach innen zu gehen, das Paradies in mir zu entdecken, angeblich nur in meinem Innersten zu finden, was ich außen vergeblich suche? Ist das nicht einfach esoterisches Wunschdenken? Da ist doch nichts. Ich kann mir das alles im Kopf ausdenken oder in meinen Fantasien vorstellen. Das ist es aber auch schon. Sosehr es mich auch juckt, mich aufzumachen und dieses Paradies zu erfahren – werde ich nicht am Schluss enttäuscht? Und genügt es nicht, wie es der Philosophen Douglas Adams nüchtern ausspricht, zu sehen, dass ein Garten schön ist, ohne dass man noch glauben müsste, dass Feen darin wohnen?1

Teresa: Es gefällt mir, wie du dich ereiferst. Daran merke ich, dass du die Sache ernst nimmst und du redlich damit umgehen willst. Ich nehme aber nichts von dem zurück, was ich erlebe und für richtig erachte.

Wunibald: In einem Scherzwort heißt es, die Vorstellung, dass es hinter der sinnlich erfahrbaren, natürlichen Welt eine „andere“ Welt gibt – und ich vermute, darauf spielst du an –, ist vergleichbar mit einem Blinden, der in einem stockdunklen Zimmer einen schwarzen Kater sucht, der gar nicht da ist.

Teresa: Das ist schön ausgedrückt. Aber, mein Freund, der Kater ist eben doch da. Solange du allerdings den Weg nach innen nicht antrittst, wirst du den Kater nicht sehen. Den wirst du erst entdecken, wenn du dich nicht damit begnügst, dir mit einer Hand voll Wasser das Gesicht zu waschen, sondern deine Zweifel und deine Zurückhaltung hinter dir lässt und ins Wasser springst.

Wunibald: O Gott, was bist du hartnäckig! Du bestehst darauf, dass uns nichts anderes übrigbleibt, als den Weg nach innen zu gehen, wollen wir mehr sehen?

Teresa: Wenn du die Feen und den Kater sehen willst, führt kein Weg daran vorbei. Sie sind da und ich habe sie gesehen. Deshalb werde ich nicht müde, davon zu erzählen und anderen Mut zu machen, sich auf den Weg nach innen einzulassen. Dabei bin ich mir bewusst, dass ich an Grenzen komme, andere davon zu überzeugen. Solange man das nicht selbst erfahren hat, kann man sich das nicht vorstellen. Ich kann daher deine Zweifel gut verstehen.

Wunibald: Wenn ich meine Zweifel überwinde und mich auf dein Wort hin aufmache, meine Seelenburg zu betreten, was muss ich da beachten? Ich gestehe, dass ich es trotz meiner Vorbehalte schon ein paar Mal versucht habe, dabei aber ständig das Gefühl hatte, wie gegen eine Wand zu rennen, die mir den Weg nach innen verschließt. Einmal, während eines Morgenspaziergangs, bei dem ich einen Sonnenaufgang erlebte, stellte ich mir so lebendig wie möglich vor, wie die Sonne auch in mir aufgeht. Ich wünschte mir dabei, dass die Kristalle und Diamanten, von denen du sprichst, in mir zu funkeln beginnen. Doch es blieb dunkel in mir.

Der Weg in die Tiefe ist kein Spaziergang

Teresa: Da befindest du dich in guter Gesellschaft. Was glaubst du, welchen Hindernissen ich ständig begegne, wenn ich mich aufmache, in mein Innerstes vorzudringen. Das ist kein Spaziergang. Das kann manchmal Schwerstarbeit bedeuten. Du darfst aber nicht aufgeben. Du musst darauf vertrauen und daran glauben, dass es dieses Paradies in dir gibt, und dir dabei vorstellen, dass es dir Lust bereitet, dich dort aufzuhalten. Wie es Gott Lust bereitet, dort zu verweilen.

Wunibald: Also gebe ich nicht auf und mache mich weiterhin auf den Weg nach innen, trotz meiner Zweifel und meines bisher vergeblichen Bemühens. In der Hoffnung, eines Tages in den Genuss des Paradieses zu kommen. Es tröstet mich, dass das auch für dich kein Kinderspiel ist.

Teresa: Lass dir Zeit dabei und erwarte nicht gleich alles. Es ist schon mal ein Fortschritt, dass du überhaupt daran glaubst, dass es die Seelenburg gibt und du bereit und willens bist, sie zu betreten. Gib dich zunächst mit kleinen Schritten zufrieden und koste diese Momente aus, in denen es dir gelingt, für eine Weile in ihr zu verweilen. Du bekommst dabei eine leise Ahnung davon, wie es sich anfühlt, wenn du dir vorstellst, in dein Inneres einzutauchen. Verändert sich da etwas in deinem Befinden? Stellt sich ein Vorgeschmack von dem ein, wie es schmecken könnte, wenn du im Paradies in dir angekommen bist? Das stachelt dich an weiterzugehen, um am Ende in den vollen Genuss des Paradieses zu kommen. Ich stelle mir manchmal meine Seele als einen Garten vor, in dem Gott spazieren geht. Vielleicht hilft dir das auch.

Wunibald: Das ist ein guter Tipp. Den werde ich befolgen und mir dabei vorstellen, dass ich beim Spaziergang im Garten meiner Seele Gott begegne.

Teresa: Das ist schon einmal ein guter Anfang. Wichtig ist auch, mein Freund, dass du dir den Weg nach innen nicht als eine Straße vorstellst, die geradlinig von A nach B führt. Du darfst nicht davon ausgehen, dass es, sobald du durch das Schlosstor getreten bist, zügig vorangeht. Du musst dir den Weg suchen. Das ist ein Hin und Her. Einmal kommst du weiter, dann fällst du wieder zurück. Es gibt Zeiten, in denen du schnell vorankommst, ein andermal geht es nicht weiter. Lass dich dadurch nicht verunsichern. Gib nicht auf und vergiss nicht: Umwege erhöhen die Ortskenntnisse.

Wunibald: Dazu kommt, dass ich bei meinem Gang nach innen ständig unterbrochen werde durch meinen Alltag. Tausend andere Dinge, die es zu erledigen gibt, Gedanken, Sorgen, die mich quälen und beschäftigen, lenken mich ab und halten mich davon ab.

Teresa: So ergeht es mir bis heute. Du siehst daran, dass es immer wieder ein neues Unterfangen ist, nach innen zu gehen. Du darfst nicht denken: Jetzt habe ich es ein für alle Mal geschafft und kann mich darauf ausruhen. So ist es nicht. Ich mag das überhaupt nicht, weiß aber nicht, wie ich mir da Abhilfe verschaffen kann. Auch Seine Majestät gibt mir da keinen guten Rat. Ich helfe mir manchmal mit Humor über diesen Frust hinweg.

Wunibald: Davon besitzt du eine gehörige Portion. Schon von Gott als von Seiner Majestät zu sprechen, zeigt, dass dir der Schalk im Nacken sitzt. Aber den braucht man offensichtlich, um nicht zu resignieren und mit einem Schuss Gelassenheit den Gang durch die Seelenburg stetig fortzusetzen.

Teresa: Unbedingt. Tröstlich ist, dass die Störung und Ablenkung von außen nur die Oberfläche berührt und ich ganz langsam, ohne dass ich es zunächst wahrnehme, trotzdem weiterkomme. Entscheidend ist mein guter Wille. Wenn ich mir das bewusst mache, lasse ich mich von den äußeren Ablenkungen nicht betrüben und dieses Mühlengeklapper ruhig weitergehen, während ich in mir mein Mehl weitermahle. Ich gehe seitdem gnädiger mit mir um, wenn ich abgelenkt werde.

Wunibald: Das klingt gut. Der Vergleich mit dem Mahlen gefällt mir. Ich heiße mit Nachnamen Müller und vielleicht waren meine Vorfahren Müller. Das kommt mir hoffentlich zugute, wenn ich versuche, trotz des äußeren Mühlengeklappers mein Mehl in mir weiterzumahlen. Noch bin ich nicht so weit. Doch hilft mir, inmitten meiner Beschäftigungen, bei der Arbeit, beim Einkaufen, beim Duschen …, für einige Momente innezuhalten und bewusst ein- und auszuatmen. „Heute mache ich mir eine Freude und besuche mich, hoffentlich bin ich zu Hause“, meint der Komiker Karl Valentin. Ich stelle mir vor, wie ich meinem Innenraum einen Besuch abstatte und dort für einen Augenblick verweile. Ich komme zur Ruhe und genieße die Stille und den Frieden, die ich dort erfahre.

Teresa: Mir geht es so, wenn ich auf die Felder, den Bach und die Blumen schaue. Ganz besonders fasziniert mich das Wasser. Ich kann es nicht lange genug betrachten. Das Betrachten, Bewundern, Staunen führt mich weg von dem, was ich gerade tue. Ich bin dann einfach da, bei mir, in mir, schaue, staune.

Wunibald: Ähnliches erfahre ich – und du siehst daran, dass ich Fortschritte mache –, wenn ich bei einem morgendlichen Spaziergang in die mich umgebende Natur mit ihren faszinierenden, anziehenden Farben und Gerüchen eintauche. Ich stelle mir vor, dass was ich außen erlebe, sich in mir widerspiegelt. Ich ziehe meine Schuhe und Socken aus, laufe über die kühle, nasse Wiese. Ich gehe Schritt für Schritt, verweile ganz im Augenblick und stimme das Taizé-Lied Meine Hoffnung und meine Freude an. Bin ich da dem Paradies in mir nahe, von dem du in deiner Seelenburg berichtest?

Teresa: Wenn du das erzählst, wollte ich am liebsten mit dir diesen Morgenspaziergang unternehmen. Stell dir vor, wie wir barfuß und singend über die vom Tau benetzte Wiese laufen. Bei diesem wunderschönen, gemeinsamen Erlebnis wird unser Innerstes tief berührt und ja, davon bin ich überzeugt, wir erahnen etwas von dem Paradies in uns. Also, das machen wir! Die Schwestern haben einen schönen Park. Ob sie sich wundern werden, wenn sie uns singen hören? Ich fordere sie einfach auf, mit uns zu singen. –

Wunibald: Das hat jetzt gutgetan. Wir konnten uns diese Unterbrechung gönnen. Doch wie verhält es sich mit den Menschen, unseren Verwandten, Freundinnen, Bekannten, Kollegen, die auf vielfältige Weise mit der äußeren Welt verflochten sind? Für viele von ihnen ist es nicht einfach, wenn nicht gar unmöglich, sich da herauszunehmen, weil sie in dieser Welt ihren Lebensunterhalt verdienen, Pflichten haben und Verantwortung übernehmen müssen.

Teresa: Das glaube ich, zumindest zunächst. Ich meine aber auch, dass wenigstens solche kleinen Unterbrechungen für sie möglich sind. Sie müssen das aber zuerst einmal wollen und einen Sinn darin sehen. Und da meine ich, dass sie sich auf Dauer nicht damit zufriedengeben, voll in ihrer Geschäftigkeit aufzugehen. Sie werden irgendwann an den Punkt kommen, an dem sie sich aus dem Gefängnis ihrer Geschäftigkeit befreien möchten.

Wunibald: Wenn du dich da nicht täuschst. Viele leiden zwar unter ihrer Betriebsamkeit, werden krank, brennen innerlich aus. Sie sehen aber nicht das Burgtor, um dein Bild von der Seelenburg aufzugreifen, durch das sie schreiten müssten, um die erwünschte Ruhe, Zufriedenheit, Entspannung und Erfüllung zu erleben. Sie fragen sich: Wo um alles in der Welt soll ich die Zeit hernehmen, um in meinen Innenraum, meine sogenannte Seelenburg einzutreten und mich dort aufzuhalten? Das ist doch purer Luxus, den sich die heilige Teresa und einige Privilegierte, die Zeit genug dafür haben, leisten können, aber nicht wir.

Teresa: Ja, sie haben recht. Es ist ein Luxus. Aber es ist ein Luxus, den sie sich gönnen sollten und der sich für sie lohnen wird. Denn sie werden in ihrer Geschäftigkeit nicht finden, was sie allein in ihrer Seelenburg finden werden: etwas, das kostbarer und schöner ist als alles, was ihnen im Außen beschert wird, eine Kraftquelle voll Glück, die für sie sprudelt, wenn sie den Durchbruch in ihren Innenraum schaffen und sich dort wenigstens immer wieder einmal aufhalten.

Der Stimme der Sehnsucht folgen

Wunibald: Es gibt jene, die das erkannt haben, es als Luxus, zugleich aber auch als Privileg betrachten und konsequent diesen Weg nach innen verfolgen. Sie wollen unbedingt ihre Seelenburg kennenlernen. Andere sehen sich nicht in der Lage, sich dafür Zeit zu nehmen, sich auf einen solchen Weg nach innen einzulassen. Oder sie sehen keinen Sinn darin. Es bedeutet ihnen nichts. Ihr Herz zieht es nicht dahin.

Teresa: Ich weiß nicht. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass sich irgendwann in ihnen die Sehnsucht danach meldet. Sie wollen den Schatz, den sie in der Seelenburg mit seinem Paradies in sich tragen, kennenlernen und für sich und ihr Leben nutzen. Sie werden sich aufmachen, um ihn zu finden und ihn für sich zu bergen. „Denn wo dein Schatz ist, dahin strebt dein Herz.“ (Matthäus 6,21)

Wunibald: Bist du dir sicher, dass das so sein wird? Augustinus, auf den du große Stücke hältst, hat gut tausend Jahre vor dir in seinen Bekenntnissen geschrieben: „Geschaffen hast du uns auf dich hin, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“ (1,1) Er hat vergeblich außen gesucht und schließlich in seinem Innern gefunden, was er suchte. Aber überzeugt das die, deren Herz unruhig ist? Ihr Herz zieht es zu den Menschen, die sie lieben. Bei ihnen finden sie die Ruhe, die Zufriedenheit, die Erfüllung, nach der sie sich sehnen. Oder sie möchten etwas Bestimmtes erreichen und setzen alles daran, dass ihnen das gelingt. Bei anderen hängt ihr Herz an Erfolg, Anerkennung, Reichtum. Es gäbe unzählige andere Beispiele. Aber dass es sie zu dem Paradies in ihnen hinzieht, wo Gott Lust hat zu verweilen? Ich weiß nicht.

Teresa: Vielleicht mache ich mir etwas vor. Es kann aber sein, dass ihre Sehnsucht nach Gott zugedeckt oder nahezu erstickt ist durch so vieles, was ihnen der Alltag abverlangt, so dass sie ihre Sehnsucht, wenn überhaupt, kaum mehr vernehmen. Es sei denn, dass sie konfrontiert werden mit einschneidenden oder schrecklichen Erfahrungen, wie dem Tod lieber Menschen oder einer unheilbaren Krankheit, und so mit ihrer Sehnsucht nach mehr in Berührung kommen.

Wunibald: Du meinst, sie haben dann das Gefühl, alles, was sie haben und erleben, trägt sie nicht mehr, und interessieren sich in dieser Situation, auf der Suche danach, was es jetzt helfen könnte, für ihre Seelenburg? Die Fettschicht, der Müll, die sie bisher daran gehindert haben, mit ihrer Seele in Kontakt zu kommen, werden als Hindernis erkannt und peu à peu beseitigt?

Teresa: