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Keine Gesetze. Kein Gewissen. Keine Gnade. Der nervenaufreibende neue Star-Trek-Thriller von David Mack – ein direkter Nachfolger der New York Times-Bestseller-Reihe "Star Trek – The Fall"! Unmoralisch, in Verschwiegenheit gehüllt und niemandem gegenüber Rechenschaft schuldig – Sektion 31 ist eine geheimnisumwitterte verdeckt operierende Abteilung der Sternenflotte. Eine skrupellose Gruppe von Unbekannten, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Föderation um jeden Preis zu schützen. Doktor Julian Bashir hat seine Karriere für eine Möglichkeit geopfert, Sektion 31 zu infiltrieren und von innen heraus zu zerstören. Nun wird um seine Hilfe gebeten, die Breen davon abzuhalten, eine gefährliche neue Technologie aus dem Spiegeluniversum zu stehlen – eine, mit der sie die Kontrolle über die Galaxis erlangen könnten. Diese Mission kann Bashir nicht ausschlagen – aber ist es wirklich die Möglichkeit, auf die er gewartet hat? Oder ist es eine Falle, aus der er selbst mit seinem genetisch verbesserten Verstand keinen Ausweg finden wird?
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Seitenzahl: 410
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VERLEUGNET
DAVID MACK
Based onStar Trekcreated by Gene RoddenberryandStar Trek: Deep Space Ninecreated by Rick Berman & Michael Piller
Ins Deutsche übertragen vonChristian Humberg
Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – SEKTION 31: VERLEUGNET
wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.
Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Christian Humberg;
verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Kerstin Feuersänger und Gisela Schell; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: Tim Bradstreet;
Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.
Titel der Originalausgabe: STAR TREK – SECTION 31: DISAVOWED
German translation copyright © 2016 by Amigo Grafik GbR.
Original English language edition copyright © 2014 by CBS Studios Inc. All rights reserved.
™ & © 2016 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All Rights Reserved.
This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.
Print ISBN 978-3-95981-172-9 (Dezember 2016) · E-Book ISBN 978-3-95981-261-0 (Dezember 2016)
WWW.CROSS-CULT.DE · WWW.STARTREKROMANE.DE · WWW.STARTREK.COM
Ira Steven Behr gewidmet, der Sektion 31 ersann,sowie Bradley Thompson & David Weddle,die ihr Leben einhauchten.
HISTORISCHE ANMERKUNG
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
DANKSAGUNG
ÜBER DEN AUTOR
Diese Geschichte spielt im Januar 2386. Wenige Monate zuvor begnadigte die neue Föderationspräsidentin Kellessar th’Tarash den Arzt Julian Bashir für seine Taten, die das andorianische Volk vor dem Aussterben bewahrten (STAR TREK – THE FALL Buch III: »Auf verlorenem Posten«). Die Ereignisse im Paralleluniversum folgen etwa sieben Jahre auf die Gründung des Galaktischen Commonwealth durch ehemalige Mitglieder der letztlich siegreichen Terranischen Rebellion.
Getäuscht ist der, der sich für klüger hält als die anderen.
– François de La Rochefoucauld,Maximen und Reflexionen
Alles, was Thot Tran noch von der Erlösung trennte, waren unerwiderte Liebe und der Rand des Universums.
Seine wissenschaftliche Karriere hatte in jüngsten Jahren eine Niederlage nach der anderen einstecken müssen. Trotz schwerer Rückschläge hatte er seinen Posten als Direktor der Abteilung für Besondere Forschung, eines der höchsten Ämter in der Breen-Konföderation, noch immer inne, doch eine weitere Schlappe, das hatte Konföderationsanführer Domo Pran mehr als deutlich gemacht, wäre sein sicheres Ende. Trans gesamte Karriere hing seitdem also davon ab, dass es ihm gelang, eine wahnwitzige Hypothese zu beweisen, bevor Pran die Geduld verlor.
Als wäre das nicht schon übel genug, lag seine einzige Hoffnung auf Erfolg im exzentrischen Genie einer seiner Tzenkethi-Mitarbeiterinnen: Choska Ves Fel-AA. Die humanoide Fremdweltlerin war von eigenartiger Schönheit, grazil und silberhäutig. Choska hatte kupferfarbene Locken, die über ihre eleganten Schultern flossen, und die Iris ihrer eiförmigen Augen glänzte wie Gold. Bei ihrer ersten Begegnung hatte Tran ihre Hand geschüttelt und sogar durch seinen Uniformhandschuh ein elektrisches Kribbeln verspürt. Tzenkethi hatten diese Wirkung, davor war er gewarnt worden – jedoch nicht vor dem Nervenkitzel, den der Kontakt ihm schenkte. Jeder einzelne Aspekt von Choskas Wesen verstand zu entzücken. Ihre Stimme war so melodisch wie ein Glockenspiel, das zu falschen Tönen schlicht unfähig war. Ihre Bewegungen kündeten von personifizierter Grazie. Selbst ihre abwegigsten und extremsten Thesen besaßen eigenartige Eleganz.
Trans Leben und Karriere hingen an einem dünnen Faden, doch er konnte an nichts anderes denken als an diese Fremde, in die er sich verliebt hatte und die ihn doch niemals lieben würde.
Natürlich hatte er Grenzen gesetzt. Als Choska vorgeschlagen hatte, ihr gemeinsames Labor auf der Station Ikkuna in eine Schwerkraftenklave zu verwandeln, sodass alle Oberflächen – die Wände, die Decke und der Fußboden – gleichermaßen betreten und genutzt werden konnten, hatte Projektleiter Tran sein Vetorecht geltend gemacht. Die Breen hatten Ikkuna gebaut, die Breen betrieben die dicht an der Konföderationsgrenze liegende Station; es wäre zeit- und auch generell sehr aufwändig geworden, den Wänden und der Decke die gleiche Funktion wie dem Boden zuzuweisen. Tran schämte sich beinahe, überhaupt kurz über den Vorschlag nachgedacht zu haben.
Seitdem war Choskas ohnehin schon undeutbare Fassade noch undurchdringlicher geworden, immun gegen seine fragenden, suchenden, hoffenden Blicke. Die einzigen Worte, die sie überhaupt noch wechselten, fielen im nüchtern-kalten Ton der Laborarbeit.
»Der Generator läuft bei maximaler Energie«, sagte Choska, ohne von der Hauptkonsole aufzuschauen. »Membrandurchstoß in etwa zwanzig Sekunden.«
»Verstanden. Auf mein Kommando die Energie des Schwellenstabilisators erhöhen.«
Die betörende Tzenkethi-Physikerin nahm die entsprechenden Einstellungen vor. »Bereit.«
Ihr gemeinsames Projekt litt an so vielen Unwägbarkeiten, dass Tran nicht wusste, ob sein Vorschlag überhaupt einen Praxistest überstand. Ihm blieb allein die Hoffnung auf das Potenzial, das er in den Entwürfen der Tzenkethi gesehen hatte. Ob der Generator, der künstliche Wurmlöcher erzeugte, diese Hoffnung verdiente, musste sich nun zeigen.
Durchaus möglich, dass alles ein Reinfall wurde. Erst kürzlich hatte die Konföderation sich vergebens bemüht, ein Raumschiff mit Wurmlochantrieb, das aus einem Paralleluniversum stammte, aus dem Raum der Föderation zu bergen. Tran war dabei federführend gewesen, und die misslungene Mission hatte Milliarden an Sakto gefordert, ganz zu schweigen von den vielen Toten und all den Jahren der Forschung und Entwicklung. Ihr Scheitern belastete Tran noch immer. Er war überzeugt gewesen, der neue Domo Pran werde ihn töten, als Exempel für andere.
Stattdessen hatte Pran ihm gewährt, seinen Posten als Leiter der speziellen Forschungsabteilung zu behalten. Er hatte Tran sogar ein stattliches Budget gegeben, damit dieser sein Projekt einer Passage ins andere Universum weiterverfolgen konnte. Tran hatte es Pran vorgeschlagen – damit all die Investitionen, die in die Bergung des Wurmlochschiffs geflossen waren, nicht gänzlich vergebens blieben. Denn dieses Schiff, das ahnte Tran, stammte aus jener parallelen Dimension, der nahen Quantenwirklichkeit, die seiner eigenen so sehr ähnelte. Es gab ganze Jahrzehnte voller Forschungsergebnisse, die die Theorie paralleler Universen unterstützten, und doch hielten die meisten Breen-Wissenschaftler nichts von ihr. Benachbarte Wirklichkeiten, so meinten sie, könnten unmöglich in stabilen Konfigurationen existieren.
Tran wollte sie eines Besseren belehren. Und wenn es ihn den letzten Rest seiner Glaubwürdigkeit kostete.
Deshalb brauchte er den von den Tzenkethi entwickelten Generator für künstliche Wurmlöcher. Als dieser vor einigen Jahren entstanden war, hatte er die Erwartungen noch nicht erfüllt. Erst dank der Subraumgeometrie des bereits existierenden bajoranischen Wurmlochs hatte er funktioniert, und seine Resultate waren entsetzlich anfällig für Sabotage und Attacken gewesen. Dennoch hatte er einen gewaltigen wissenschaftlichen Durchbruch bedeutet – und Tran beabsichtigte nun, nach Kräften von ihm zu profitieren.
Er schaltete den Hauptmonitor der Konsole auf Außensicht und zoomte die Projektionszone des Generators näher heran. »Phasenwechsel initiieren. Beginnen Sie bei null Komma null drei, dann langsam erhöhen.«
»Verstanden.« Choska gab weitere Befehle ein. Sie hielt erst inne, als ein Alarm unter ihren Fingerkuppen aufleuchtete. »Wir registrieren schwere gravimetrische Störungen.«
»Das war zu erwarten. Erhöhen Sie den Phasenwechsel weiter. Ich stabilisiere den Übergang.« Auf dem Display schien ein Teil des Raumes zu wabern. Subsonische Vibrationen ließen das Deck unter Trans Sohlen erbeben. Das stete Zittern, das vom Antimateriegenerator der Ikkuna-Station ausging, fuhr ihm bis ins Mark, eine Manifestation seiner eigenen Anspannung. »Wir haben’s fast. Halten Sie sich bereit, das Aufklärungsschiff zu starten.«
Choska blieb ganz nüchtern. »Späher Eins ist startklar.«
Dann geschah es. Trans Prognosen wurden wahr, jede Einzelne von ihnen.
Draußen vor der Ikkuna entstand ein Riss in der Raumzeit, in der unsichtbaren Barriere zwischen den Quantenrealitäten, in der Haut des Universums selbst. Seine rauen Kanten leuchteten mit einer Energie, die jedes Maß und jede Definition sprengte. Die ungleichmäßige Öffnung wuchs und wuchs; sie präsentierte einen zweiten Kosmos, in dem die gleichen Sterne leuchteten und der dennoch unverkennbar fremd war.
Der Breen-Wissenschaftler sah auf sein Sensorendisplay. »Die Quantensignatur entspricht der des auf Tirana III entdeckten Schiffes. Das ist definitiv das Universum, aus dem es stammte. Starten Sie den Aufklärer.«
»Ist gestartet. Er überquert soeben die Schwelle.«
Tran wusste, dass sein tränenfeuchter, hoffnungsvoller Blick hinter seinem Helm verborgen blieb, jener identitätsraubenden schnauzenhaften Uniform der Breen. Und falls ihm die Stimme zitterte, würde sein Helmvocoder diesen emotionalen Ausbruch ohnehin in bedeutungslose Maschinensprache umwandeln. Wie sollte ich mich Choska je öffnen, wenn ich doch Gefangener meines eigenen Fleisches bin? Wie soll ich ihr zeigen, dass ich mehr als ein Rädchen in der Maschinerie der Konföderation darstelle, wenn ich ihr nicht einmal meinen wahren Namen enthüllen darf?
Seine trüben Gedanken wurden jäh unterbrochen, als sich der Riss ohne Vorwarnung zusammenzog und den Aufklärer in eine Wolke aus Funken schlagenden Trümmern verwandelte. Tran rief sich die Sensorlogbücher auf und machte seiner Frustration Luft. »Was ist passiert?«, fuhr er Choska an.
»Wie von mir befürchtet, ist der Übergang zwischen den Quantenuniversen äußerst instabil. Nach den Sensormessungen vom Moment des Zusammenbruchs zu urteilen, wage ich zu vermuten, dass die Energieemissionen unseres Spähers das Wurmloch destabilisiert haben.«
»Ein Glück, dass er unbemannt war.«
»Ja, das war eine kluge Vorsichtsmaßnahme von Ihnen, Thot Tran.« Choska korrigierte einige Einstellungen auf ihrer Seite der Masterkonsole. »Es wird einige Tage dauern, die Daten zu analysieren und einen Plan zu entwickeln, wie wir Schiffe, die den Quantenriss durchfliegen, entsprechend abschirmen können.«
Tran wusste keinen höflichen Weg, ihr zu erklären, dass dazu vielleicht keine Zeit blieb. Domo Pran lechzte nach Resultaten – und er hatte sehr deutlich gemacht, wie er auf ein Ausbleiben derselben zu reagieren gedachte: mit härtesten Bestrafungen. »Tun Sie, was immer Sie können, um Ihre Analyse zu beschleunigen, Doktor. Je früher wir diese Phase des Projektes beenden, desto besser.«
»Ich werde mein Bestes geben.« Sie lud sich die Sensordaten auf ein Padd und verließ das Kontrollzentrum. Vermutlich wollte sie die Werte in der Abgeschiedenheit ihres Büros studieren.
Tran sah ihr nach. Auch er musste den gescheiterten Aufklärungsflug analysieren, doch alles, woran er denken konnte, war, wie gern er mit Choska durch diesen Riss geflogen wäre und all den Ärger – die verfluchte Konföderation, den Typhon-Pakt und die Tzenkethi-Koalition – für immer hinter sich gelassen hätte.
Wenige Orte hatten Julian Bashir mehr verblüfft als das Innere des Laenishul. Das weitläufige, mehrstöckige Restaurant lag gut hundert Meter unter dem sturmumtosten Meeresspiegel von Andors östlichem La’Vor-Meer. Eine Kuppel aus transparentem Aluminium, am obersten Punkt stolze vierzig Meter hoch, schützte es vor den Elementen, und eine externe Schicht lichtverstärkender Kristalle erhellte ringsum das Dunkel und gewährte Einblicke in das Ozeanreich.
Laenishuls Fußböden bestanden aus demselben durchsichtigen Metall, wodurch die Gäste auch den Abgrund unterhalb des Restaurants in Augenschein nehmen konnten. Bioluminiszente Algen und andere selbst leuchtende Lebensformen schenkten dem tiefen Spalt von unten her ihr Licht. Hier, in der luftdurchfluteten Kuppeloase, schwebten kleine Kugeln über den einzelnen Tischen und verströmten sanfte Helligkeit. Schwach leuchtende Linien in den Böden kennzeichneten die Wege zu den einzelnen Tischen, den Treppen und Fahrstühlen, der Küche, den Büros und den Waschräumen.
Man erreichte das Lokal nur mittels eines Turbolifts, der oberhalb des Wasserspiegels startete. Bei ruhigem Wetter war der Zustieg relativ simpel; Shuttles und andere kleine Transporter erreichten die Meeresstation mühelos und brachten Waren und Gäste. Während der ungemütlicheren Jahreszeiten der Region verzichtete die Plattform allerdings auf die Turbolift-Nabelschnur zum Restaurant, fungierte stattdessen als Relaisstation für Transportersignale und half Hauptstadt und orbitalen Schiffen so gleichermaßen bei der Verkehrskoordination.
Ein Detail an Laenishul wirkte ironisch auf Bashir. Das Unterwasserbistro wurde zum Teil vom Neuen Imperialen Andorianischen Aquarium finanziert, daher suchte man auf seiner Karte vergebens nach Fisch oder Meeresfrüchten. Nicht einmal replizierte Versionen dieser besonderen Kost zählten zum Angebot.
Bashir ließ die Speisekarte sinken und sah zu seiner geliebten Partnerin Sarina Douglas, mit der er den Tisch teilte. »Kommt es dir komisch vor, dass ich plötzlich Heißhunger auf Sashimi habe?«
»Kein bisschen.« Die schlanke, blonde Enddreißigerin sah nicht von ihrer Karte auf. »Männer wollen doch immer das, was sie nicht bekommen.«
Er nahm ihre Spitze sportlich. »Das«, erwiderte er neckend, »ist wohl eher ein generell menschlicher Makel.«
Nun schenkte sie ihm einen tadelnden Blick. »Ernsthaft? Glaubst du wirklich, du kannst meinen Sexismus mit Rassismus übertrumpfen? Ich bin entsetzt, Julian. Entsetzt!« Dann widmete sie sich wieder der Karte. »Normalerweise würde ich das Filet Mignon nehmen, aber ich habe auf diesem Planeten noch kein Lokal gefunden, das eins richtig gemacht hätte.« Sie hob eine ihrer elegant geschwungenen Brauen. »Was bekommst du denn?«
»Eine Art Midlife-Crisis, vermute ich.«
»Na, bestell dir auf jeden Fall einen Salat dazu. Das hilft der Verdauung.«
Bashir wollte ihr Bonmot mit einem eigenen quittieren, schluckte seine Erwiderung aber hinunter, als er den andorianischen Oberkellner einen neuen Gast zu ihrem Tisch geleiten sah. Schnell schaute er zu Sarina und bedeutete ihr mit einem subtilen Zucken seines Kinns, nach rechts zu blicken.
Sie kam der Aufforderung nach – gerade lange genug, um die modisch gekleidete Frau mit der blassen Haut und dem dunklen Haar zu erkennen. Ozla Graniv war preisgekrönte Journalistin für das Newsmagazin Seeker der Trill. Sie sah aus wie Anfang vierzig, doch Bashir hatte in ihrer Vita gelesen, dass sie die Fünfzig schon passiert hatte. Ihr Kinn und ihre Wangenknochen waren perfekt, ihre Brauen dick, und hinter ihrem strengen Blick brannte das Feuer eines wachen Intellekts. Graniv dankte dem Oberkellner stumm und entließ ihn mit einem Nicken. Kaum hatte er sich umgedreht, setzte sich die Journalistin zu Bashir und Sarina und erwiderte deren fragende Blicke mit einem Lächeln.
»Danke, dass Sie diesem Treffen zugestimmt haben. Wie ich höre, geben Sie seit Ihrer Rückkehr ins zivile Leben eigentlich keine Interviews.« Sie nickte in Richtung der Speisekarte in Bashirs Hand. »Was bekommen Sie?«
»Zweifel.«
»Verstehe.« Sie strich sich eine abtrünnige Haarsträhne hinter das rechte Ohr, wobei die charakteristischen blassbraunen Flecken ihrer Spezies sichtbar wurden. Diese verliefen an ihrer Schläfe entlang, am Ohr vorbei und den Hals hinab bis in den Kragen. »Sie brauchen es nur zu sagen«, wandte sie sich dann wieder an Bashir, merklich sanfter als zuvor, »und ich gehe.«
Er wollte ihr Angebot schon annehmen und sich verabschieden, da legte Sarina ihre Hand auf die seine und sah ihn beruhigend an. »Ist schon in Ordnung, Julian.«
Bashir entspannte sich ein wenig. »Also gut«, sagte er und nickte. »Legen wir los.«
»Vielen Dank.« Graniv zog ein kleines Aufnahmegerät aus der Tasche, schaltete es ein und stellte es auf den Tisch. »Fürs Protokoll: Hier ist Ozla Graniv. Ich interviewe Doktor Julian Bashir auf Andor. Heute ist der siebte Januar 2386. Es freut mich, Sie zu sehen, Doktor.«
»Gleichfalls.«
Sie legte die Unterarme auf den Tisch und beugte sich vor. »Falls es Ihre Nerven beruhigt – ich bin nicht hier, damit Sie mir wiederkäuen, was Sie auf Bajor und Andor unternehmen mussten, um die andorianische Fruchtbarkeitskrise zu beenden. Das ist längst alles aktenkundig – dank der erhellenden, wenn auch in Teilen nicht öffentlichen Mitschrift Ihres Gerichtsverfahrens bei der Sternenflotte.«
»Freut mich zu hören. Dennoch muss ich Sie gleich korrigieren: Die retrovirale Gentherapie, die ich dem andorianischen Volk überbringen konnte, war, genau genommen, nicht meine Schöpfung. Der Großteil der Forschung geht auf Professor Marthrossi zh’Thiin und Thirishar ch’Thane zurück – weit vor meinen eigenen Anstrengungen. Die Arbeiten waren sogar zu neunundneunzig Komma fünf Prozent erledigt, bevor man mich um meine Mithilfe bat. Außerdem genoss ich die Unterstützung mehrerer bekannter Wissenschaftler und Mediziner, und die gesamte Mission wäre gescheitert, hätte es nicht den Heldenmut des zivilen Piloten Emerson Harris gegeben, der sein Leben opferte, damit ich und das Heilmittel Andor erreichen konnten.«
Sarina räusperte sich leise. »So viel zum Wiederkäuen.«
Graniv ignorierte sie und setzte das Interview fort. »Doktor, mich interessiert vielmehr Ihr Leben nach dem Prozess. Die Föderationsregierung wollte die Bedeutung der Begnadigung herunterspielen, die Präsidentin zh’Tarash Ihnen gewährte. Dennoch wurden einige Strippen gezogen, damit Ihre Entlassung aus der Sternenflotte keine unehrenhafte blieb. Verraten Sie mir …«
»Entschuldigung?« Eine junge andorianische shen war hinter Graniv an den Tisch herangetreten. »Tut mir leid, Sie zu unterbrechen, aber ich wollte Ihnen nur kurz danken, Doktor.« Sie umfasste Bashirs linke Hand mit beiden Händen, hob sie an und küsste ihn auf die Fingerspitzen. »Mein Name lautet Jessala sh’Lero. Dank Ihres Wunders erwarten meine Bündnisgruppe und ich unser erstes Kind.«
»Gern geschehen.« Bashir versuchte, die Hand zurückzuziehen, doch die shen packte fester zu.
»Mögen Uzaveh der Unendliche und die Sternenmutter alle Tage Ihres Lebens über Sie wachen.«
Er zog erneut – härter als er eigentlich wollte – und befreite sich endlich. »Nett von Ihnen.«
Die überdrehte shen gab noch immer Segnungen und Dankesbekundungen von sich, als der Oberkellner und zwei Bedienungen herbeieilten und sie aus dem Gastraum zum Turbolift führten. Graniv sah ihr mit zynischem Amüsement im Blick nach. »Passiert so etwas öfters?«
»Nicht zu oft.« Bashir zuckte mit den Schultern. »Nur zehn, zwölf Mal am Tag. Und auch nur, wenn ich den Fehler begehe, das Haus zu verlassen.« Er nippte an seinem Altair-Wasser. »Wo waren wir?«
»Ich wollte gerade fragen, wie Ihr Leben seit der Begnadigung aussieht, aber ich glaube, ich sah soeben alles, was ich wissen muss.«
Bashir und Sarina wechselten einen müden, wissenden Blick. »Nicht alles«, erwiderte Sarina dann an seiner Stelle. »Für jeden Andorianer, der Julians Hand küssen möchte, gibt es mehrere, die ihm gern den Schädel einschlagen würden, weil er die Reinheit des andorianischen Genoms zerstört hat.«
Diese Enthüllung überraschte Graniv. Sie sah zu Bashir. »Ist das wahr?«
»Wie würde mein alter Kumpel Vic Fontaine jetzt sagen? ›Andor ist’n kompliziertes Publikum.‹«
Die Journalistin nickte und wandte sich dann an Sarina. »Soweit ich weiß, haben Sie die Sternenflotte nach Doktor Bashirs Prozess ebenfalls verlassen.«
»Das ist korrekt«, antwortete Sarina, klang dabei aber sehr defensiv.
»Welchen Posten bekleideten Sie vor Ihrem Rückzug?«
»Ich war Sicherheitschefin auf der Raumstation Deep Space 9.«
»Also arbeiteten Sie dort nicht als Agentin für den Sternenflottengeheimdienst?«
Sarinas Pokerface war stärker als Granivs bohrender Blick. »Nein.«
»Waren Sie jemals für diesen tätig?«
»Kein Kommentar«, antwortete Sarina gelassen.
»Wie steht es um Ihre momentane Beschäftigung? Ist es richtig, dass Sie inzwischen dem andorianischen Büro der Föderationssicherheit angehören?«
Ein dünnes Lächeln erschien auf Sarinas Gesicht. Bashir wusste, dass es nicht von Belustigung kündete, sondern eine Warnung war. Schnell legte er die Speisekarte beiseite, schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Verzeihen Sie uns, Ms. Graniv, aber wir haben noch einen Termin. Vielleicht könnten wir dies zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen?«
Graniv erhob sich, just als Sarina und Bashir aufbrechen wollten, und trat dem Arzt in den Weg. »Ich habe nur noch eine letzte Frage, Doktor. Vermissen Sie Ihr Leben in der Sternenflotte?«
Abermals vermochte er die Leere nicht zu verheimlichen, die er empfand, wann immer er an all das dachte, was er hatte aufgeben müssen, um das Richtige zu tun. Bashir schob Sarina an Graniv vorbei und beantwortete deren Frage in leisem, bitterem Ton. »Mehr als Sie sich vorstellen können.«
Die hintere Luke des Kommandodecks öffnete sich mit sanftem Zischen, und der Geehrte Ältere namens Taran’atar sah über die Schulter. Eris, die ihm vorgesetzte Vorta, war eingetreten, und der Jem’Hadar grüßte sie mit einem Nicken. »Wir fliegen wieder unterlichtschnell und nähern uns dem Idran-Wurmloch.«
Die Kommandantin mit den violetten Augen blieb an seiner Seite stehen. Sie konnten kaum unterschiedlicher sein: Er war groß und muskulös, und seine dicke graue Haut war überzogen mit chitinhaften Dornen – genetisches Erbe, das wohl einmal der Verteidigung gedient hatte. Sie war von schlanker Statur, hatte weiche, helle Haut und rabenschwarze Locken. Lange Ohren zierten ihre Schläfen und zogen sich bis zum Kiefer.
Verglichen mit einem Jem’Hadar mochte Eris hilflos wirken, doch Taran’atar wusste es besser. Er hatte ihre telekinetischen Kräfte gesehen – ein seltenes, besonderes Geschenk der Gründer – und kannte ihre zerstörerische Wirkung auf ahnungslose Gegner. Doch ihre wahre Stärke lag in ihrer autoritativen Aura. Sie war eine Vorta; das bedeutete, dass sie die Tagesrationen an Ketracel-White überwachte, die bordweit ausgegeben wurden. So sicherte sie sich den Gehorsam ihrer Legion aus Jem’Hadar-Soldaten. Taran’atar brauchte das White selbst nicht – dank einer genetischen Anomalie, die noch seltener war als Eris’ psionische Talente –, nahm es aber Tag für Tag dankbar an, um seinen Soldaten ein Vorbild zu sein.
Denn so war es richtig. So entsprach es dem Willen der Gründer.
Eris zog ihr holografisches Okular in Position. »Ist unsere Eskorte eingetroffen?«
»Ja. Alle Begleitschiffe sind in Position und warten auf die finalen Befehle.« Er berührte sein eigenes Headset und spielte seine taktische Anzeige auch auf Eris’ Gerät.
Ein leichtes Lächeln erhellte ihre Züge. »Gut gemacht, Erster.« Sie studierte den Missionsplan. »Schlachtkreuzer 815 fliegt in vorderster Position, wenn unsere Flotte ins Wurmloch zieht. Schlachtkreuzer 674 und 918 flankieren Trägerschiff 181. Wir folgen dem Träger. Die Angreifer 319 und 560 verteidigen uns. Der Rest der Kampfgruppe soll uns in Standardformation nachfolgen.«
Taran’atar begutachtete die strategischen Anweisungen der Kommandantin in der visuellen Darstellung seines Okulars. »Ich bitte um Erlaubnis, eine Empfehlung zu äußern.«
»Gewährt.«
»Schlachtschiff 432 und seine Eskorte sollten zurückbleiben und unsere Seite des Wurmlochs sichern.«
Eris runzelte die Stirn. »Aus welchem Grund?«
»Die Langstreckensensoren künden von Kampfgruppen der Aszendenten in benachbarten Sektoren.«
Die unerfreulichen Nachrichten ließen sie das Gesicht verziehen. »Besteht Grund zur Annahme, dass sie uns entdeckt haben?«
»Noch nicht. Da unsere Flotte nun aber versammelt ist, riskieren wir, unsere Präsenz zu verraten.«
»Wir können nicht zulassen«, flüsterte sie grimmig, »dass die Aszendenten das Wurmloch finden. Nicht, solange unsere Mission auf der anderen Seite noch läuft.«
»Schlachtschiff 432 und seine Kampfgruppe können in einem Patrouillenmuster fliegen. So verheimlichen wir die Koordinaten des Wurmlochs, wenn der Rest unserer Flotte gen Alpha-Quadrant reist. Falls die Gruppe den Aszendenten begegnet, dann jedenfalls nicht vor dem Wurmloch selbst.«
Sein Rat gefiel Eris. »Also dann. Sorgen Sie dafür.«
»Wie Sie befehlen.« Er trat an eine nahe Konsole, ergänzte den Flugplan entsprechend und übertrug ihn an die übrigen Schiffe der Flotte. Wenige Momente später trafen die Bestätigungen ein. Taran’atar wandte sich wieder an Eris. »Die Befehle wurden bestätigt.«
»Danke, Erster. Ich lasse Sie wissen, dass wir so weit sind.« Eris trat nach hinten, um ungestört mit der wichtigsten Passagierin des Schiffes reden zu können: der Gründerin.
In den zweiunddreißig Jahren seines Lebens hatte Taran’atar – den diese zum ältesten aller Jem’Hadar machten; jedenfalls nach seiner Kenntnis – noch nie einen Gründer gesehen. In unzähligen militärischen Kampagnen und Jahrzehnten der Raumerkundung waren nur Jem’Hadar und Vorta-Kommandanten seine Begleiter gewesen. Auf über eintausend Welten war er Hunderten von intelligenten Spezies begegnet und hatte geholfen, sie unter die Kontrolle des Dominion und seiner zurückgezogen lebenden, gottgleichen Herren zu bringen. Doch bis vor wenigen Tagen hatte er nie Grund zur Annahme gehabt, jemals auch nur im selben Sternensystem, geschweige denn auf demselben Raumschiff wie einer von ihnen zu sein. Das Leben eines Gründers zu beschützen, war eine heilige Aufgabe, und sie erfüllte ihn mit einem Stolz, wie er ihn seit Jahrzehnten nicht verspürt hatte – nicht seit seiner lange zurückliegenden Beförderung zum Ersten.
Er schaltete sein holografisches Okular auf Außensicht. Die anderen Schiffe der Flotte zogen raubtiergleich ihre Kreise, passierten einander beinahe anmutig und manövrierten sich in die ihnen zugewiesenen Positionen für die Reise durch das Wurmloch und in den Alpha-Quadranten. Der Sprung über mehr als sechzigtausend Lichtjahre würde sie in eine ferne und weitestgehend unerforschte Region der Galaxis führen. Bislang hatte sich nur Schlachtschiff 774, Eris’ und Taran’atars Schiff, auf jene andere Seite der Subraumanomalie vorgewagt. Jahrelang war es das einzige gewesen, das Daten über den weit entfernten Quadranten gesammelt hatte. Für diese Mühen waren Eris und Taran’atar mit der Ehre beauftragt worden, einen Gründer dorthin zu eskortieren – auf einer, wie alles andeutete, historischen Mission.
Eris kehrte an seine Seite zurück. »Sie kommt.«
Taran’atar hob die Stimme. »Achtung!« Die Besatzung sah von ihren Anzeigen auf und zu ihm, die Rücken gerade, die Arme eng an den Seiten, die Köpfe stolz erhoben. Einen Moment später glitt die hintere Luke auf. Eine Humanoide trat ein. Ihre Miene war sanft und ohne nennenswerte Merkmale. Das einzig Auffällige waren ihre tief liegenden Augen, die schmalen Lippen und die hohe Stirn. Flachsblondes, eng anliegendes Haar umrahmte ihr Gesicht. Einzig der Kopf und die Hände waren unbekleidet. Vom Hals abwärts trug sie schmucklos-beige Kleidung, darunter schlichte Schuhe.
Eris trat vor, um die fremdartige Frau zu begrüßen. Die Vorta schloss die Augen und neigte den Kopf, als sie sprach. »Ihr Erscheinen ehrt uns, Gründerin.«
Taran’atar hingegen riss die Augen auf. Das ist also ein Gründer. Sein ganzes Leben hatte er sich gefragt, wie es wohl wäre, einem Gott ins Angesicht zu blicken. Und nun stand sie vor ihm und verwirrte ihn. Die Gründerin wirkte seltsam blass, mehr wie der Versuch eines Humanoiden als ein echter. Doch instinktiv spürte er, dass sie war, was Eris behauptete. Wäre da nicht seine genetische Programmierung gewesen, die ihn zwang, allzeit wachsam zu sein, er hätte sich ebenfalls vor ihr verbeugt.
Die Gründerin nahm sich ein Headset, zog es auf und das Okular in Position. »Ist alles vorbereitet?«
Eris hielt den Kopf gesenkt, hob den Blick aber ein klein wenig. »Ja, Gründerin«, antwortete sie ihrer göttlichen Anführerin. »Der Geehrte Ältere Taran’atar hat sich um die Details gekümmert.«
Ein zufriedenes Nicken. »Exzellent.« Die Gründerin klappte ihr Okular nach oben und sah zu Taran’atar, wodurch sie Eris den Rücken zuwandte. »Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen, Erster.«
Er blieb stumm. Sie hatte ihm keine Frage gestellt und ihm auch nicht erlaubt, zu sprechen. Stramm stand er da und ließ sich nicht anmerken, dass ihm so war, als bohre sich der Blick der Gründerin bis in die dunkelsten Winkel seines Wesens hinein.
Sie sah kurz über die Schulter zu Eris, dann wieder zu ihm. »Ich habe Sie genau beobachtet, seit Sie vor knapp fünf Jahren dieses Wurmloch entdeckt haben. Ihre Arbeit hat die Voraussetzung geschaffen für das, wie ich vermute, nächste grandiose Kapitel in der Geschichte des Dominion. Und doch frage ich mich, Taran’atar: Sind Sie bereit, die Rolle einzunehmen, die mir für Sie vorschwebt?«
»Ich lebe, um den Gründern in allen Dingen zu dienen.«
Ihr Seufzen kündete von Enttäuschung. »Daran hege ich keinerlei Zweifel.«
Taran’atar wusste nicht, was er sonst hätte erwidern können. Diese Wahrheit war von Geburt an in ihm, mit ihr würde er auch sterben. Sie war unauslöschlich.
Die Gründerin kehrte zu Eris zurück. »Es ist Zeit.«
Eris nickte Taran’atar zu, der prompt knappe Befehle an seine Männer verteilte und die Flotte in Bewegung setzte. Durch sein Okular sah er das Wurmloch in der Leere des Alls erblühen, ein wirbelnder Strudel aus blauem Feuer und weißem Licht. Als schließlich alle in Position waren, öffnete er via Headset einen Subraumkanal an den Rest der Flotte.
»An alle Schiffe, hier spricht Schlachtschiff 774. Wir fliegen ins Wurmloch.«
Auf der Enterprise herrschte angespannte Atmosphäre. Captain Jean-Luc Picard konnte die Nervosität seiner Besatzung regelrecht spüren, als er aus seinem Quartier und gen Turbolift ging. In den vergangenen Wochen war das nahezu greifbare Gefühl bevorstehenden Unheils immer größer geworden, und Picard bedurfte nicht der Hilfe seiner emphatisch talentierten, halb betazoidischen Sicherheitschefin Deanna Troi, um den Grund dafür zu kennen. Es gab etwas, das alle an Bord unruhig werden ließ, einen Quell unendlich scheinender Gerüchte.
Das Dominion.
Nichts macht Leute ängstlicher als eine Prise Unbekanntes. Er mühte sich nach Kräften, nicht ebenfalls den Zweifeln und Sorgen nachzugeben, die ihn plagten. Die Besatzung braucht mich als Vorbild. Jetzt mehr denn je. Dies war nur eine der vielen Lehren, die Picard in den neun Jahren zuteilgeworden waren, die er nun schon Kommandant der Enterprise war. Auf Missionen, die mal Forschungs- und mal den Zweck des Friedenserhalts erfüllt hatten. Und alles, was dazwischen lag.
Die Turbolifttür glitt auf, und er trat ein. Troi stand bereits in der Kabine. Das dunkle Haar hatte sie zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden. Sie lächelte. »Guten Morgen, Jean-Luc.«
»Deanna.« Er hatte lange versucht, ihr wenigstens an Bord das »Captain« anzugewöhnen, doch die alten Gewohnheiten, die sich in den Jahren vor ihrer beider Rekrutierung durch Memory Omega zwischen ihnen entwickelt hatten, blieben hartnäckig vorhanden. Einzig auf der Brücke sprach sie ihn inzwischen mit seinem Rang an. Das war nur ein kleiner Sieg, aber ein Leben voller willkürlicher Grausamkeiten und bitterer Verluste hatte Picard gelehrt, auch die kleinen Erfolge zu schätzen.
Troi warf ihm einen vielsagenden Seitenblick zu. »Die Besatzung weiß, dass etwas los ist.«
»Ach ja? Und woher, bitte schön, weiß sie das?«
Die Miene der zierlich wirkenden Sicherheitschefin wurde ernst. »Allem Anschein nach hat unser Erster Offizier die Ingenieurabteilung die Nacht durcharbeiten und vom Antrieb bis zur Müllentsorgung alles generalüberholen lassen. Dadurch entstand wohl der Eindruck, wir flögen in Gefahrengebiet.«
Picard war sprachlos. Commander K’Ehleyr war eine hervorragende Offizierin. Seit knapp einem Jahrzehnt diente er Seite an Seite mit der Halbklingonin und betrachtete sie inzwischen als unentbehrlich. Ihre berufliche Leidenschaft war ihm ein willkommener Gegensatz zu seiner eher intellektuellen Kommandoführung. Ihr unerbittlicher Hang zur Perfektion – die sie von sich und der Besatzung erwartete – konnte mitunter aber auch Schaden anrichten. Picard hatte gehofft, diesmal wäre es nicht so.
Die Turbolifttür öffnete sich zischend, dann hörte er das leise Gemurmel und die sanften Computerklänge, die auf der Brücke der Enterprise fast Standard waren. K’Ehleyr bemerkte Picards und Trois Eintreffen. Sofort erhob sich die groß gewachsene Frau aus dem Kommandosessel. »Guten Morgen, Sir. Wir haben das bajoranische System um 0720 erreicht. Aktuell halten wir Position in etwa einer Million Kilometern Entfernung zum Denorios-Gürtel.«
Picard nahm auf seinem Sessel Platz. »Irgendwelche Reaktionen vom Wurmloch?«
»Noch nicht, Sir. Wir bleiben wachsam.«
An den vorderen Stationen arbeitete die reguläre Alpha-Schicht: der tellaritische Ops-Offizier Lieutenant Trag chim Pog und die vulkanische Steuerfrau Lieutenant Tolaris. Hinter Picard löste Troi soeben Ensign th’Fesh ab, einen jungen andorianischen thaan, der während der nächtlichen Gamma-Schichten die Sicherheits- und Taktikkonsole bemannte. Troi besah sich die Anzeigen auf ihrer Konsole und gab einige Befehle ein. »Captain«, sagte sie dann. »Es liegt ein Bericht für Sie vor. Von Memory Omega.«
»Auf meine Konsole.« Kaum hatte er den Befehl ausgesprochen, erschien die Nachricht auch schon auf dem winzigen Touchscreen neben seinem Sessel. Er aktivierte den biometrischen Sicherheitsscan, der binnen weniger Nanosekunden sein genetisches Profil, seinen Retinascan, den Stimmabdruck und die Quantensignatur überprüfte. Kaum hatte der Prozess begonnen, war er auch schon beendet, und die verschlüsselte Botschaft, die von den geheimen Wohltätern des Galaktischen Commonwealth stammte, erschien auf seinem Schirm.
Picard las und schloss sie schnell wieder.
»Schlechte Nachrichten?«, fragte K’Ehleyr, die in seinem Gesicht zu lesen wusste.
»Sagen wir einfach, sie sind nicht sonderlich aufbauend.« Er senkte die Stimme. »Fünfzehn Schiffe stehen bereit, uns zu unterstützen, falls das hier übel ausgeht.«
»In dem Fall reichen fünfzehn Stück nicht mal, um die Blutung zu stillen.«
»Glauben Sie mir, Nummer Eins – dieser Tatsache bin ich mir äußerst bewusst.«
Pogs Konsole ließ ein Alarmsignal hören. Der Tellarit mit dem gelben Fell drehte sich zu Picard und K’Ehleyr um, mit großen pechschwarzen Augen unter furchtvoll erhobenen Brauen. »Tetrionanstieg innerhalb des Denorios-Gürtels. Ich glaube, das Wurmloch ist …« Der Hauptmonitor beendete den Satz für ihn. Ein gleißend heller Wirbel aus Licht und ionisierter Gase erschien auf dem Bildschirm, ein Riss in der Raumzeit öffnete sich, aus kaltem Feuer und Kräften, die Picard nicht ansatzweise erahnen konnte.
Aus dem Wurmloch zog eine Flotte von Jem’Hadar-Schiffen hervor. In Kampfformation flog sie Bajor entgegen – und der Enterprise.
Es beginnt.
Picard wusste, dass die Blicke des gesamten Commonwealth – und dem Rest des Alpha-Quadranten – auf diesem Moment ruhten. Er wartete ab und fragte sich, welche Gestalt die Zukunft nun annehmen mochte. Dann atmete er tief ein und wappnete sich für das Unausweichliche, stand auf, zog die Vorderseite seiner schwarzen Uniform glatt und zwang sich zu einem Gesichtsausdruck, der an Mut erinnern mochte.
»Lieutenant Commander Troi … Grußfrequenzen öffnen.«
Schweben war Frieden. Unter der Wasseroberfläche seines beheizten Außenpools näherte sich Bashir dem Ende seiner neunten Fünfzehn-Meter-Tauchrunde in Folge. Er hatte aus sportlichen Gründen damit angefangen, des kardiovaskulären Nutzens wegen; inzwischen genoss er diese nächtlichen Schwimmübungen allerdings primär wegen ihrer Stille. In seiner wässrigen Zuflucht war das Licht gedämpft, waren Geräusche rar, und die gesamte Welt dort oben verschwamm zu impressionistischen Klecksen. Näher vermochte er einer Flucht nicht zu kommen, ohne sich selbst aus der Welt zu nehmen.
Dass diese Pausen nur temporär und nicht von Dauer waren, machte sie umso wertvoller. Bashirs Bekanntheitsgrad – in den meisten Regionen Andors war er berühmt, nahezu überall sonst berüchtigt – nagte an seiner Privatsphäre. Er konnte aktuell gar nicht in Vergessenheit geraten. Ihm blieb nur die Hoffnung, dass die üblicherweise mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne gesegnete Öffentlichkeit bald eine andere Sau durchs Dorf treiben möge und ihm, wenn er nur lange genug still blieb, gestattete, im Nebel des Gestrigen zu verschwinden.
Seine ausgestreckte Hand fand die Wand des Schwimmbeckens. Er tauchte noch nicht auf, sondern drehte sich, fest entschlossen zu einer weiteren, letzten Bahn.
Einhundertfünfzig Meter Tauchstrecke waren eine echte Leistung für einen Menschen, wenn auch nicht unmöglich. Schon vor Jahrhunderten, vor der Genesis der aufgewerteten Menschen, hatte der irdische Rekord bei 186 Metern gelegen. Ein paar Männer des vierundzwanzigsten Jahrhunderts hatten ihn auf 219 Meter ausgeweitet. Bashir machte sich keine Illusionen, was seine eigenen athletischen Fähigkeiten betraf. Mit vierundvierzig war er noch immer in der Blüte seiner Jahre, doch er wusste genau, dass er nicht mehr als 160 Meter schaffte. Mehrere Beinahe-Tode unter Wasser hatten ihm die Lust am Flirt mit dem Sensenmann, wie ein jüngerer Mann sie empfinden mochte, gehörig ausgetrieben.
Das Ende des Pools kam schimmernd in Sicht. Durch den wässrigen Schleier glich es fast einer Fata Morgana, doch seine gläsernen Kacheln waren glatt und kühl, als er sie mit der Hand berührte. Bashir ließ den Rest Atem aus seiner Lunge und krönte sein Auftauchen mit blubbernden Blasen.
Sein Gesicht traf auf frische Nachtluft. Es war Hochsommer in Sheras, an der Westküste des La’Vor-Meeres. Dennoch verleitete das eisige andorianische Klima ihn dazu, einen alten menschlichen Aphorismus umzuformulieren: Der kälteste Winter meines Lebens war ein Sommer auf Andor. Keuchend sandte er ein Atemwölkchen gen Himmel, dann erst gestattete er sich den dringend nötigen Luftzug und wischte sich das chlorhaltige Wasser aus den Augen. Und sah den Mann, der vor ihm am Beckenrand stand.
Bashir erkannte den ungebetenen Gast sofort. »Cole.«
»Sie schmeicheln mir, Doktor. Nach all der Zeit war ich unsicher, ob Sie sich noch erinnern.«
Der Mensch mittleren Alters sah noch aus wie am Tag ihrer ersten Begegnung, neun Jahre zuvor. Er war mittelgroß und von durchschnittlicher Statur. Kurzes dunkles Haar umrahmte sein durchaus attraktives Gesicht. Seine Augen glänzten wie Kristalle, und sein Kinn war glatt rasiert. Wie seine Kollegen aus der berüchtigten Geheimorganisation Sektion 31 war auch er in eine schwarze, ledrige Uniform gekleidet.
Alles an Cole, vom Haarschnitt bis hin zur aggressiv anmutenden Körperhaltung, weckte die Vorsicht in Bashir. Entsprechend skeptisch beäugte er den älteren Mann nun. »Meiner Erinnerung nach verpassten Sie mir bei unserem ersten Aufeinandertreffen eine psychotropische Droge. Welchen Trick haben Sie heute Abend auf Lager? Ist etwas in dem Wasser, in dem ich schwimme?«
»Das wäre wohl kaum stilvoll. Ich hoffe, wir sind über derlei Taktiken hinaus, finden Sie nicht auch?«
Bashir stemmte sich auf den hölzernen Rand des Pools und nickte in Richtung seines Handtuchs, das auf einem Stuhl hinter Cole wartete. »Wären Sie so nett?«
Cole reichte es ihm. »Sie sehen gut aus.«
Bashir trocknete sich ab. »Was wollen Sie?«
»Bitte, Doktor. Es besteht kein Grund, schroff zu werden.«
»Ach, nein? Als wir einander zuletzt sahen, schickten Sie mich auf Menschenjagd in die Badlands, wo ich einen Ihrer Fehler beheben musste. Diese ›simple Mission‹ wurde, so mich die Erinnerung nicht trügt, zu einem Blutbad. Lassen Sie mich ganz offen sein, Mister Cole: Ihre Anwesenheit weckt in mir nicht gerade angenehme Bilder.«
Die anklagenden Worte zauberten ein schmales, peinlich berührtes Lächeln auf Coles Züge. »Touché.«
Bashir nahm den grauen Bademantel aus dicker Baumwolle vom Haken an der Bruchsteinmauer, die den Pool umgab. »Es ist spät. Tun Sie uns beiden einen Gefallen und kommen Sie zur Sache.«
Der Agent verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie Sie wünschen. Es ist eine Situation entstanden, auf die die Organisation wahrscheinlich wird reagieren müssen. In Anbetracht der besonderen Details halte ich Sie für extrem geeignet, uns zu helfen.«
»Kein Interesse.« Bashir verknotete den Bademantelgürtel.
»Sie kennen die Details doch noch gar nicht.«
»Muss ich auch nicht. Ich war schon vor neun Jahren gegen alles, was Ihre Organisation repräsentiert, und ich finde sie – und Sie, Cole – heute noch genauso abstoßend.«
Ein humorfreies Grinsen verriet Coles wachsenden Zorn. »Welcher Aspekt unseres Auftrags stößt Sie ab? Dass wir die Leben Unschuldiger retten? Dass wir die Föderation verteidigen?«
»Ihr eklatanter Mangel an Überwachung widert mich an. Sie handeln ohne jegliche juristische Autorität, ohne Kontrolle, ohne moralische oder humanitäre Regeln. Sie sind das Krebsgeschwür der Föderation, und ich würde Sie nur zu gern operativ entfernen.«
Cole zuckte mit den Schultern. »Es stimmt wohl, was man so sagt: Man kann’s nie allen recht machen.«
Bashir trat einen Schritt auf ihn zu, blieb aber stehen, als der Agent die verschränkten Arme löste und sinken ließ. Subtile Veränderungen wie diese kommunizierten sehr deutlich, dass Cole bereit war, sich zu verteidigen – und sich im Nahkampf als vermutlich gnadenloser Gegner erwies. Bashir ahnte, wie wenig er diesem ausgebildeten Killer würde entgegensetzen können, und wich gerade weit genug zurück, um nicht bedrohlich zu wirken. »Scherzen Sie ruhig. Ich finde Sie jedenfalls kein bisschen lustig.«
»Ich bin nicht lustig, Doktor, sondern effizient. Im Gegensatz zu Ihnen, seit Sie sich von der Sternenflotte ausbooten ließen.« Cole drehte den Kopf und sah abfällig auf die luxuriöse Residenz, die Bashir sich mit Sarina teilte. »Erzählen Sie mir doch nicht, das hier sei Ihre Vorstellung eines bedeutsamen Lebens!«
»Wenn Sie’s wirklich wissen möchten: Ich plane die Eröffnung einer Praxis hier auf Andor.«
Der Agent lachte schnaubend auf. »Schon klar.«
»Was soll das denn heißen?«
»Dass Sie ja auch nirgends sonst hinkönnen. Soweit ich weiß, ist Andor der einzige Planet, der Ihnen heute noch gestattet, zu praktizieren.« Er hob die Hand, um Bashirs Gegenwehr im Keim zu ersticken. »Mir ist bewusst, dass das Föderationsgesetz auch andere Mitgliedswelten zwingt, Sie als Mediziner anzuerkennen – mit allem Drum und Dran. Doch ohne eine entsprechende, von der VFP ausgestellte Lizenz müssten Sie sich auf jeder Welt von Neuem dem Examen stellen, bevor Sie heilen dürften. Klingt ziemlich aufwändig.«
Wütende Risse erschienen in Bashirs sorgsam errichteter Maske der Gleichgültigkeit. »Wenn Sie nichts anderes als Beleidigungen bieten können, lassen Sie sich bitte nicht aufhalten.«
»Ich bin auf keinen Streit mit Ihnen aus, Doktor. Ich sage bloß, dass ich verstehe, wie … unbefriedigend die momentanen Umstände für Sie sein müssen. Sie haben Ihr gesamtes erwachsenes Leben in der Sternenflotte oder, in Vorbereitung ihrer medizinischen Karriere, an deren Akademie verbracht. Und doch hat die Admiralität Sie kürzlich von sich gestoßen – nur weil Sie sie ein wenig bloßgestellt haben, indem Sie taten, wozu ihr selbst der Mut fehlte. Sie haben Ihr Leben dem Dienst an anderen gewidmet, Doktor, der Föderation und ihren Idealen. Wollen Sie wirklich den Rest Ihrer Tage als externer Beobachter verbringen? Weil die Sternenflotte Sie dazu zwingt? Kommen Sie zu uns, und Sie können nach wie vor der Föderation dienen. Wo, wann und wie sie Sie am Dringendsten braucht.«
Ein paar Wärmelampen führten vom Pool zur Terrassentür der kleinen Villa in den Bergen. Bashir schritt in ihrem Licht dahin und drehte sich erst an der Tür kopfschüttelnd um. »Mir ist klar, was Sie gerade versuchen. Aber es wird nicht funktionieren. Mein verletzter Stolz wiegt weitaus weniger als meine Prinzipien – ganz egal, wie patriotisch Sie Ihre Argumente klingen lassen.«
»Was, wenn ich Ihnen sage, dass die Breen nach einem Weg in das parallele Universum suchen? Dorthin, wo Sie 2370 schon mit Ihrer Freundin Kira Nerys waren?«
Die Nachricht weckte Bashirs Aufmerksamkeit. »Warum sollten die Breen das wollen?«
»Um fortschrittliche Technik zu stehlen. Die Terranische Rebellion, die Sie mit angezettelt haben, gewann vor einigen Jahren ihre Revolution – mit der Hilfe einiger uns recht ähnlicher Personen. Zu ihrem Unglück trägt sie seitdem eine Zielscheibe auf dem Rücken, und die Breen legen soeben an.«
Ein beunruhigendes Szenario, und doch wusste Bashir, dass er Sektion 31 nicht alles glauben durfte. »Wer beweist mir, dass Sie die Wahrheit sagen?«
»Ich habe keine Beweise in dem Sinn. Noch nicht. Im Moment arbeiten wir allein mit Thesen und Ahnungen.«
»Ich verstehe. Schall und Rauch, wie so oft. Das alte Lied.« Er trat auf die Terrassentür zu, die sich für ihn öffnete. Warme Luft wehte ihm aus dem Inneren der Villa entgegen. »Tut mir leid, aber ich verkaufe Ihnen meine Seele nicht wegen ein paar Thesen.«
Cole klang dennoch zuversichtlich. »Dann wären Sie dabei, wenn ich Ihnen Fakten präsentiere?«
Bashir blieb erneut stehen. »Das habe ich nicht gesagt.«
»Mussten Sie auch nicht.« Ein unheilvolles Lächeln zog über das faltige Gesicht des Agenten. »Ich melde mich wieder, Doktor. Gute Nacht.«
Grelles Licht umhüllte Cole von Kopf bis Fuß. Einen Moment lang flackerte und leuchtete er bunt auf, dann verschwand er wie ein Traum, den man beim Aufwachen vergaß.
Bashir sah auf die leere Stelle, die Coles interaktives Hologramm hinterlassen hatte. Er hatte schon lange mit einem Besuch von Sektion 31 gerechnet. Die einzige wirkliche Überraschung, die die Organisation ihm noch bereitet hatte, war die Wahl ihres Boten: Cole.
Bashir trat von der Tür weg, die sich prompt schloss, und sah sein Spiegelbild im Glas. Bis jetzt verläuft meine Unterwanderung der Sektion 31 genauso, wie Sarina und ich sie geplant haben. Kritisch betrachtete er den dunklen Umriss seines Abbilds. Das kann kein gutes Zeichen sein.
Sarina Douglas hatte geahnt, wer sie auf der Kathela-Falls-Brücke erwartete. Die lange, schmale Brücke hinter dem rauschenden Wasserfall war verlassen, abgesehen von der Vulkanierin. Sarina neigte nicht zu Höhenangst; dennoch vermied sie es nun, durch das transparente Aluminium hinunter zum gut drei Kilometer tiefer liegenden See zu blicken.
L’Haans Blick hing an dem Vorhang aus Wasser – selbst dann noch, als Sarina sie erreichte. Die Stimme der Sektion-31-Agentin war leidenschaftslos, und doch lag eine anklagende Schärfe darin. »Sie sagten, er werde kooperieren. Dass er offen für unser Angebot sein würde.«
»Wären Sie es gewesen, die ihn aus dem Gefängnis holten …«
»Das war keine Option.« L’Haans Kleopatra-Frisur blieb völlig adrett, als die Vulkanierin den Kopf drehte und in einer vogelähnlichen Pose schief legte. »Warum hat er unsere Einladung abgelehnt?«
»Soweit ich hörte, hat er es Ihrem Cole erklärt.«
»Mich interessieren seine naiven Gründe nicht. Ich will, dass Sie mir diesen Rückschlag erklären! Sie versicherten mir, er sei bereit für uns, sobald er die Sternenflotte verlasse. Was ist passiert?«
Sarina baute sich vor L’Haan auf. »Was passiert ist? Die Begnadigung ist passiert. Wir wollten ihn ansprechen, wenn er keine andere Option hat – keine Karriere und keine Heimat mehr. Keine Verbündeten in der Sternenflotte. Doch Sie ließen es zu, dass die Andorianer ihn aus dem Gefängnis holten. Dann gab zh’Tarash ihm eine weiße Weste, und von Andor bekam er eine neue Lizenz als Mediziner. Er braucht uns jetzt nicht mehr.«
»Demnach hatten Sie diese Entwicklungen nicht einkalkuliert?«
»Nein, so wenig wie Sie. Denn als wir das hier begannen, konnten wir beide nicht ahnen, dass der damalige Interimspräsident sich als Kriegsverbrecher mit gestohlener Identität erweisen würde. Oder dass sein Stabschef ins Gefängnis kommt. Oder dass Andor im Schnellverfahren zur Föderation zurückkehrt. Oder dass eine Andorianerin überraschend die Präsidentschaftswahl für sich entscheidet – und dem Mann eine Generalamnestie schenkt, der ihre Spezies vor dem Aussterben bewahrte.«
L’Haan wich einen Schritt zurück und sah wieder aufs Wasser. »So formuliert, ist der Paradigmenwechsel durchaus besser nachvollziehbar.« Ihr Zeigefinger trommelte auf das Brückengeländer. »Wir brauchen ihn für diese Mission.«
»Ich kann ihn in die Organisation bringen.«
»Wie?«
»Exakt wie Sie es vor vier Jahren vorhersagten. Bashirs Schlüssel ist sein Sinn für Romantik. Er liebt mich. Er würde alles für mich tun. Wenn ich ihn bitte, sich uns anzuschließen, wird er dem nachkommen.«
Der Vorschlag war ebenso kühn wie riskant. Sarina wusste, dass sie Julians Unterwanderung von Sektion 31 beschleunigen mussten. Doch sie musste auch sicherstellen, dass die Organisation ihre und Julians wahren Motive nicht erkannte.
Wie erwartet quittierte L’Haan den Vorschlag mit skeptischem Blick. »Halten Sie es für klug, Ihre Tarnung aufzugeben? Wenn Sie sich ihm als eine unserer Agentinnen offenbaren, sabotieren Sie vielleicht all unsere Bemühungen, ihn für uns zu gewinnen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Keine Chance. Ich weiß jetzt, wie ich ihn kontrollieren kann. Zuerst wird er sich aufregen, ja. Er wird sich weigern, protestieren. Vielleicht wird er mich sogar verraten wollen. Aber am Ende wird er erkennen, dass ich ihm wichtiger bin als sein Hass auf Sektion 31.«
Die Vulkanierin dachte nach, dann nickte sie. »Also gut. Aber es muss gelingen, Agentin Douglas. Falls er Sie an die Sternenflotte verrät, müssen wir Sie beide eliminieren.«
»Ich verstehe. Dazu wird es nicht kommen. Vertrauen Sie mir, ich kann Ihnen Bashir geben.«
»Wann?«
»Morgen um Mitternacht.«
»Sorgen Sie dafür.« Ohne ein Wort des Abschieds zog L’Haan sich in die eisigen Schatten zurück.
Sarina blieb allein auf der Brücke. Schweigend betrachtete sie das herabströmende Wasser und die neblige Gischt unter ihren Füßen. Laut andorianischen Sagen war Kathela Falls der Ort, an den unglückliche Liebende kamen, um sich das Leben zu nehmen. Das wusste sie, und mit einem Mal musste sie daran denken, welch desaströsen Kurs sie soeben für sich und Julian eingeschlagen hatte. Ob L’Haan überhaupt wusste, welche kulturelle Bedeutung der von ihr ausgewählte Treffpunkt besaß?
Tiefblau war das Wasser dort unten, wo der Strom auf den See traf. Sarina blickte hinunter und erkannte die bittere Wahrheit: Es gibt kein Zurück mehr. Wir sind schon jenseits der Klippe – und der einzig verbliebene Weg führt in die Tiefe.
Kersil Regon wartete am Ufer. In einigen Kilometern Entfernung ragte ein krummer Berg aus verbogenem Metall und Thermozement aus der Mitte des Sees – die traurigen Reste der einst so stolzen schwebenden Stadt namens Stratos. Daheim auf Cardassia Prime war Regon inmitten von Denkmälern aufgewachsen, die Siege und Erfolge feierten. Erst hier, auf der inzwischen verlassenen Protektoratswelt Ardana, hatte sie erstmals ein Monument des Scheiterns gesehen.
Sie war versucht, zu viel in das Schicksal der toten Metropole hineinzudeuten. Stratos war vor Jahren gefallen, wegen Renegaten aus der Terranischen Rebellion. Und dank ihrer poetischen Ader wollte Regon nun eine Metapher für das tragische Ende dieser Stadt finden, doch sie widerstand dem Drang. Die Stadt war zerstört, weil ihre inkompetente Mischlingskommandantin B’Elanna Torres zu töricht gewesen war, die Rebellion als Bedrohung zu erkennen. Zu schwach, sich ihrer zu erwehren.
Niemand rettet uns vor uns selbst, dachte Regon rührselig.
Dann hörte sie Schritte auf dem felsigen Grund hinter sich. Kort kam ihr entgegen. Der Klingone vom Imperialen Geheimdienst hatte die gleiche Funktion wie sie damals beim Obsidianischen Orden. Er trug zivile, schlichte Kleidung, genau wie sie.
Sie begrüßten einander, indem sie sich kurz an den Unterarmen hielten und umarmten. Dann grinste Kort und zeigte seine ungleichen Zähne. »Es ist viel zu lange her, liebe Regon.«
Sie nickte anerkennend. »Sie sehen gut aus, Kort.«
»Nur äußerlich, das versichere ich Ihnen.«
Aus der Nähe betrachtet, waren die Falten in Korts Antlitz tatsächlich tiefer geworden, als verstreichende Zeit allein erklärte. Sorge prägte seine kantigen Züge.
Trotz ihrer Neugierde wollte Regon nicht nachhaken. Stattdessen sah sie zum Gipfel des Schuttberges Stratos hinaus und führte die Unterhaltung hin zum Geschäftlichen. »Danke für Ihr Kommen. Es war gewiss nicht einfach für Sie, sich loszueisen.«
»Nicht schwerer als für Sie, schätze ich.« Er betrachtete die Umgebung mit enttäuschter Miene. »All das gehörte mal uns. Und jetzt? Jetzt sind wir hier Fremde.«
Seine scheinbar so unschuldige Wortwahl ließ sie stutzen. »Mit ›uns‹ meinen Sie wohl die Allianz – und nicht allein das Klingonische Reich.«
Er gab sich entrüstet. »Selbstverständlich.« Doch ein neckendes Lächeln verriet ihn. »Sie und ich mögen darüber streiten, welches Volk es verdiente, der dominierende Partner unserer Allianz zu sein, aber wir waren uns doch stets einig, dass wir gemeinsam stärker sind als allein.«
»Das ist wahr. Und genau deswegen habe ich Sie kontaktiert.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Ein kalter Wind wehte über das Wasser. »Seit dem Waffenstillstand tut Damar sein Möglichstes, um den Obsidianischen Orden auszulöschen, doch noch existieren viele seiner Anhänger. Und sie halten wenig von Damars Abmachung mit den Rebellen und ihrem neuen Commonwealth.«
Ein als Husten getarnter Lacher stieg aus Korts breitem Brustkorb auf. »Ich vermute, mit seiner Sympathie für den Oralianischen Weg macht er sich bei der alten Garde ebenfalls keine Freunde.«
»Ihr Talent zur Untertreibung ist bemerkenswert unklingonisch.«
»Das liegt an den Umständen. Regent Duras nervt den Hohen Rat und die Leitung der Verteidigungsstreitmacht schon lange mit seinem Gerede, uralte Ehrenkodizes zu reanimieren. Allem Anschein nach hat ihm nie jemand gesagt, dass Kahless bloß ein Name ist. Für ihn ist das beinahe ein magisches Totem.«
»Ich gestehe: Ihr Regent weckt gemischte Gefühle in mir. Einerseits verachte ich ihn, weil er sich den Rebellen annähert, indem er ihre Regierung anerkennt. Andererseits war er recht großzügig zu Cardassia in unserer Stunde der Not.«
Kort sammelte geräuschvoll Spucke in seinem Mund und rotzte sie dann auf den Boden zwischen sich und Regon. »Verflucht seien er und seine gönnerhafte Art. Die Starken sollten die Schwachen nicht verhätscheln.«