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Zwanzig Jahre sind vergangen, seit die Husnocks von einem Wesen mit gottähnlichen Fähigkeiten ohne Vorwarnung ausgelöscht wurden. Ihre zurückgebliebenen Welten und Schiffe – intakt, aber verlassen – strotzen nur so vor zerstörerischem Potenzial. Nun hat die Entdeckung eines kulturellen Forschungsteams der Föderation die Aufmerksamkeit mehrerer skrupelloser Fraktionen geweckt. Von Schwarzmarktschmugglern zu fremdartigen Militärkräften scheint jede aggressive Macht im Quadranten Interesse an der tödlichen Technik der Husnock zu haben. Alles, was noch zwischen der Galaxis und denjenigen steht, die gekommen sind, um die grausamsten Geheimnisse der Husnock zu plündern, sind Admiral William Riker, Captain Christine Vale und die Besatzung des Raumschiffs Titan.
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Seitenzahl: 407
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KRIEGSGLÜCK
DAVID MACK
BASED UPON STAR TREK ANDSTAR TREK: THE NEXT GENERATION®CREATED BY GENE RODDENBERRY
Ins Deutsche übertragen vonStephanie Pannen
Für die Friedensstifter
Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – TITAN: KRIEGSGLÜCKwird herausgegeben von Cross Cult, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.
Herausgeber: Andreas Mergenthaler; Übersetzung: Stephanie Pannen;verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust;Korrektorat: André Piotrowski; Satz: Rowan Rüster; Cover Artwork: Adam „Mojo“ Lebowitz;Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohořelice. Printed in the EU.
Titel der Originalausgabe: STAR TREK – TITAN: FORTUNE OF WAR
German translation copyright © 2020 by Cross Cult.
Original English language edition copyright © 2020 by CBS Studios Inc. All rights reserved.
™ & © 2020 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All rights reserved.
This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.
Print ISBN 978-3-96658-071-7 (August 2020) · E-Book ISBN 978-3-96658-072-4 (August 2020)
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HISTORISCHE ANMERKUNG
FEBRUAR 2366
KAPITEL 1
SEPTEMBER 2386
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
OKTOBER 2386
KAPITEL 30
DANKSAGUNGEN
Die Ereignisse dieser Geschichte finden Ende 2386 statt, zwanzig Jahre nachdem die U.S.S. Enterprise 1701-D einen Notruf von Delta Rana IV erhielt (STAR TREK – THE NEXT GENERATION»Die Überlebenden auf Rana-Vier«) und ein paar Monate nach der verhängnisvollen Mission der Titan, den Dinac zu helfen (STAR TREK – TITAN»Aus der Dunkelheit«).
Und Blut in Strömen wallt,vergebens – stets vergebens,denn Krieg ist Mutter ihres Strebens.
– John Davidson »War Song« Vers 7 (1899)
Jahr drei der U.S.S. Enterprise-D-Mission
Die Welt war in Ordnung. Alles war so, wie es sein sollte: Die Schwachen buckelten vor den Starken, der Abschaum der niederen Kasten wusste, wo er hingehörte.
Als der königliche Schatzmeister Te-Mazow von seinem privaten Shuttle zur Regierungshalle im Herzen der Hauptstadt geführt wurde, fühlte er sich wie ein Herr der Schöpfung. Auf dem Boulevard vor der Hauptstadt breiteten seine Untergebenen ihre Tentakel weit aus und pressten ihren Körper auf das heiße Pflaster. Te-Mazow schwebte seines Amtes entsprechend auf seiner Antigrav-Sänfte über sie hinweg, sodass seine eigenen Tentakel nicht mit dem schmutzigen Boden in Berührung kamen und seine verwundbaren Körperteile hinter der juwelenbesetzten Plattform verborgen waren, während er die Sänfte von seinem Transporter weglenkte.
Seine sechs Wachen beeilten sich, mit seinem schwebenden Gefährt Schritt zu halten. Jeder von ihnen bewegte sich auf vier seiner sieben Gliedmaßen und nutzte seinen hinteren Tentakel, um das Gleichgewicht zu bewahren. In ihren vorderen Extremitäten, deren Enden sich in drei bewegliche Endglieder aufteilten, hielten sie Waffen, um ihre tödliche Autorität allen zu demonstrieren, die Augen im Kopf hatten.
Te-Mazow liebte es zuzusehen, wie sich der Pöbel vor ihm niederwarf. Es erinnerte ihn daran, wie weit er es in der Welt gebracht hatte, wie viele Rivalen er besiegt, wie viel Macht er angehäuft hatte. Dies war der Lauf der Dinge, das Wesen des Lebens. Luxus war den Starken, den Grausamen, den Schnellen vorbehalten. Für die weniger Glücklichen hatte er kein Mitleid übrig. Wenn sie wollen, was ich habe, müssen sie so hart arbeiten wie ich. Es fällt niemandem in den Schoß. Er verspürte großen Stolz und Genugtuung, als seine Wachen zwei junge Kriecher aus dem Weg seiner Sänfte traten, während er den Aufstieg zum königlichen Palast begann. Zur Seite, ihr Narren!
Das derzeitige Regime hatte in den vergangenen zwanzig Zyklen ein Dutzend Welten erobert und kolonialisiert, und die Zukunft versprach noch viel lukrativer zu werden. Die Grenze des Husnock-Raums näherte sich allmählich dem Randbesitz einer klassisch schwachen Organisation namens Vereinigte Föderation der Planeten. Die Föderation, wie ihre Bürger sie der Kürze halber oft nannten, war reif für eine Eroberung durch die Husnock. Ihre Welten waren leichte Beute, ihre Bewohner ängstliches Vieh. Jede Kultur, die so viel Zeit darauf verwandte, neue Wege zu finden, um die Schwachen zu verhätscheln und die Ängstlichen zu beschützen, hatte in der großen Dunkelheit der Galaxis nichts verloren.
Erforschung war das Vorrecht der Mutigen.
Und noch viel wichtiger, es war profitabel – und im Husnock-Sternkönigreich war es Te-Mazow, der den Reichtum kontrollierte. Ausgaben für neue Kolonien? Für neue Raumschiffe und Raumstationen? Für Krieg? All das musste von Te-Mazow geprüft und genehmigt werden. Der König und seine Berater mochten die Politik bestimmen, doch Te-Mazow verfügte über eine einzigartige Macht: Er sagte ihnen, wofür sie die finanziellen Mittel hatten oder nicht hatten. Er sagte ihnen, welche Kriege sie sich leisten konnten.
Die Macht hatte weitere Vorteile mit sich gebracht. Wie die große Mehrheit seiner Gleichgestellten war Te-Mazow verpaart und sein Besitz nach seinem Tod für eine Aufteilung unter seinen registrierten Nachkommen vorgemerkt worden. Das hatte ihn jedoch nicht davon abgehalten, beträchtliche Summen seines persönlichen Reichtums zur Seite zu legen und vor seinen rechtmäßigen Erben zu verstecken, um zweit- und drittrangige Partner und Nachfahren zu unterhalten. Er schämte sich nicht für diese Taten. Wenn er an die verarmten Massen dachte, die sich nicht einmal saubere Meeresgrundstücke leisten konnten, um gesunde Nachkommen zu zeugen, betrachtete er es als seine Pflicht, ihren Anteil an der Erhaltung der Husnock-Spezies zu übernehmen.
Te-Mazow war eben ein wahrer Patriot.
Im Inneren des königlichen Palasts waren die Ehrerbietungen noch befriedigender. Jeder, vom Bittsteller über den königlichen Hofstaat bis zu seinen loyalen Offizieren, warf sich flach auf den polierten Boden, als Te-Mazow auf dem Weg zu seinem Büro an ihm vorbeigeleitet wurde. Er wusste, dass er sich schon bald, noch bevor der Tag vorüber war, ebenfalls erniedrigen müssen würde, doch der Stachel dieses Wissens wurde durch die Tatsache gemildert, dass sich Te-Mazow nur vor dem König und seinen Nachkommen verneigen musste. In einer Kultur mit mehr als fünfzig Milliarden Individuen standen insgesamt nicht mehr als fünfzig über ihm. Das war eine Einschränkung seiner Größe, die er akzeptieren konnte.
Als sich seine Sänfte näherte, wartete vor seinem Büro eine Schlange Bittsteller. Während er eintrat, gewährte er keinem von ihnen die Ehre seiner Aufmerksamkeit.
Die heutige Schlange war die längste, die er seit langer Zeit gesehen hatte. Sie würden mit ihren elenden Bitten um Hilfe, um Forschungsgelder, um Almosen aus dem Reichtum, den Bessere als sie angesammelt hatten, zu viel seiner Zeit verschlingen. Er verabscheute sie. Dennoch mochten einige nachvollziehbar darlegen, wie seine Unterstützung ihrer Bemühungen dem Königreich nutzen, zu seinem Vorteil gereichen, seinen Ruf verbessern und seine Macht vergrößern würde. Jenen gewährte er königliche Darlehen. Dem Rest stellte er Gebühren in Rechnung, weil sie seine kostbare Zeit verschwendet hatten.
Es versprach ein höchst einträglicher Tag zu werden.
Am Eingang seines Büros prallte er gegen eine unsichtbare Wand aus Schmerz.
Ein entsetzliches Brennen erfasste Te-Mazows ganzen Körper. Es entsprang tief in seinem kugelrunden Kopf, ein Feuer, entfacht im Kern seines Wesens, das Speerspitzen der Qual bis in seine Hülle schickte. Seine Herzen rasten. Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung.
»Helft mir!«, versuchte er zu sagen, doch seine Worte waren undeutlich.
Um ihn herum brachen seine Wachen zusammen und schlugen mit ihren Tentakeln wild um sich. Entlang des langen goldenen Korridors lagen all seine Bittsteller zuckend am Boden, aus ihren aufgerissenen Mündern tropfte Schaum und dunkelblaues Blut. Was für ein Grauen ging hier vor sich? Waren sie verraten worden? Hatte sich nach einem Millennium stabiler Herrschaft ein anderer Clan gegen die Vo-Kesur erhoben?
Der Schmerz wurde immer schlimmer. Jeder Gedanke in Te-Mazows Kopf verschrumpelte wie Haut in Lava. Gepeinigte Laute drangen aus seinem schnabelförmigen Mund, doch sie verloren sich in der Kakofonie aus Schreien, die durch den königlichen Palast hallten. Es war so beschämend, hier zusammen mit dem Pöbel zu liegen, als würden sie es verdienen, wie Gleichgestellte an seiner Seite zu sterben.
Sein Schmerz und Grauen verdoppelten sich – dann ging sein Körper in Flammen auf, genau wie jene aller anderen Husnock, die er sehen konnte.
Te-Mazows Welt stand in Flammen.
Es gab vor dem Feuer kein Entkommen.
In jeder Stadt der Husnock-Heimatwelt und auf jedem Planeten, den die Husnock jemals besiedelt hatten, in jedem von Husnock bemannten Raumschiff und jeder ihrer Raumstationen ging jedes einzelne Mitglied ihrer Spezies spontan in Flammen auf und verbrannte durch ein Feuer unbekannter Ursache.
Dann kam die Stimme, älter als der Tod oder die Zeit selbst. Ihre Worte waren die letzten, die jeder Husnock hörte, während er von seinem persönlichen Inferno verzehrt wurde:
»Für Rishon.«
Ein mentales Bild folgte jedem Husnock ins Grab: eine Welt namens Delta Rana IV, zerstört durch eines ihrer Raumschiffe … ein Weibchen einer fremden Spezies, das im Feuer von Husnock-Waffen verging … dann das Gesicht eines Douwd, eines Wesens aus purer Energie, einer eigentlich friedlichen Kreatur, durch Wut und Trauer zu einem Rachefeldzug nie zuvor da gewesenen Ausmaßes gegen die Husnock getrieben.
In einem einzigen Augenblick verwandelten die Flammen fünfzig Milliarden Lebensformen in Asche. Der Himmel von zwei Dutzend Husnock-Welten füllte sich mit schmierigem schwarzen Rauch … doch es war niemand mehr da, um es zu bezeugen oder sich zu freuen. Die Opfer der Husnock waren lange vor ihnen ausgelöscht worden. Nun hüllte sie alle das große Schweigen ein. Die Mächtigen waren gefallen …
Und der Kosmos bemerkte es nicht oder es war ihm egal.
Es war ein Geisterplanet. Zumindest fühlte es sich für Doktor Maxwell Theron so an. Allem Anschein nach war es vor der Katastrophe ein Kolonieplanet gewesen. Es gab nur eine große Stadt auf der Oberfläche. Vereinzelte Trabantensiedlungen verteilten sich in der Umgebung, wobei die nächstgelegene am besten ausgebaut und die entfernteste am primitivsten war.
Ein Detail, das alle Husnock-Bereiche gemeinsam hatten, war der Eindruck, plötzlich und ohne Vorwarnung entvölkert worden zu sein. Persönliche Transportmittel aller Art waren abgestürzt und hatten Trümmer über die Straßen, die Landschaft und an den Küsten entlang verteilt. Elegant geschwungene Gebäude ragten ausgebrannt in den Himmel. In den Randgebieten lagen Reaktoren und Raumhäfen kalt und verlassen da. In Wohnstätten und öffentlichen Räumen waren zurückgelassene Besitztümer den Elementen überlassen worden.
Die Natur hatte damit begonnen, sich den Raum von den ausgelöschten Husnock zurückzuerobern. Ranken, Moos und Gräser schmückten die Fassaden leerer Gebäude und hüllten die verbogenen Hüllen zerstörter Fahrzeuge ein. Risse durchzogen einst makellose Boulevards. Aus ihnen reckten sich Blumen und Pilze der Sonne entgegen. Die Widerstandsfähigkeit der einheimischen Flora erfüllte Theron mit Hoffnung. Aus Tod und Zerstörung entstanden Erneuerung und Wiedergeburt. Es ließ ihn über die Vergänglichkeit des Lebens nachdenken, über die Schönheit des Chaos und die Torheit zu erwarten, dass die Ordnung etwas anderes wäre als eine vorübergehende Unterbrechung der Entropie.
Ganz schön tiefsinnige Gedanken für einen so schönen Morgen, rügte er sich selbst und trank einen Schluck heißen Tee aus seinem überschwappsicheren Becher, während er das Lager der Expedition durchquerte. Sein xenoarchäologisches Team hatte auf beiden Uferseiten des zentralen Stadtaquädukts sein Basislager aufgeschlagen. Obwohl anfangs recht klein, war es schnell gewachsen. Es waren ein paar Hundert Leute hier, alle unterstanden Therons Leitung. Nur ein paar waren xenokulturelle Experten wie er selbst. Die Gruppe umfasste Xenolinguisten, Ingenieure und Biologen verschiedener Fachgebiete, Architekten und Computerexperten, ganz zu schweigen vom medizinischen Personal und von den Köchen, Piloten, Fahrern und Mechanikern, die sie unterstützten.
Sie hatten sich hier vor ein paar Jahren eingerichtet, nur wenige Monate nachdem ein Langstreckenaufklärungsschiff diese Welt entdeckt hatte. Zwanzig Jahre zuvor hatte die Sternenflotte ihre geheime Suche nach den Überresten der Husnock-Zivilisation begonnen, kurz nach Captain Jean-Luc Picards Bericht über die Mission des Raumschiffs Enterprise NCC-1701-D nach Delta Rana IV. Die Crew der Enterprise hatte die Planetenoberfläche nach einem Notruf zerstört vorgefunden, mit der Ausnahme eines kleinen Stück Lands um ein makellos aussehendes Haus, das von einem älteren Paar bewohnt wurde. Es hatte sich herausgestellt, dass die Frau eine vom Mann erschaffene Illusion war. Dieser wiederum hatte sich als ein Douwd entpuppt – ein Energiewesen, das zugegeben hatte, die Husnock in einem Moment der Rache ausgelöscht zu haben.
So hatte die geheime Suche der Sternenflotte nach Spuren der Husnock begonnen, die der Douwd als eine Spezies von abscheulicher Intelligenz beschrieben hatte.
Die Suche hatte sich als länger und schwieriger erwiesen, als irgendjemand erwartet hatte. Die Föderation hatte vor dem Angriff der Husnock auf Delta Rana IV keine Aufzeichnungen über sie gehabt und nach ihrer Auslöschung war ihre Zivilisation verstummt und erstarrt, was sie für die meisten Langstreckensuchmethoden praktisch unsichtbar gemacht hatte. Hinzu kam, dass der Dominion-Krieg und die Borg-Invasion die Erforschung der angrenzenden Sektoren des Alpha-Quadranten unterbrochen hatten.
Es hatte siebzehn Jahre gedauert, bis die Sternenflotte diese isolierte Husnock-Koloniewelt am Rand des Perseusarms entdeckt hatte. Ihr eingetragener Name lautete FGC-779852c und Theron würde nicht zulassen, dass seine Kollegen vom Daystrom-Institut oder der vulkanischen Akademie der Wissenschaften ihr einen neuen Namen gaben. Er war entschlossen, die Bezeichnung der Husnock für den Planeten herauszufinden, denn er wurde von der Vorstellung verfolgt, dass diese namenlose Welt ein anonymes Grab für jene darstellte, die hier gestorben waren.
Theron war fast am Essenszelt angekommen, als ihn Doktor Kilaris einholte. Er nickte der Vulkanierin höflich zu. »Guten Morgen, Doktor! Wollen Sie auch frühstücken?«
»Ich habe bereits gegessen.« Sie reichte ihm ein Padd. »Meinem Team und mir ist ein Durchbruch gelungen.«
Wie die meisten Vulkanier neigte auch Kilaris nicht zu Übertreibungen. Theron blieb stehen und sah sie an. »Welcher Art?« Sie nickte in Richtung des Padds. Er überflog die einleitende Zusammenfassung. Sie hatten einen Kodex gefunden, der eine unvollständige Husnock-Übersetzung eines Texts aus einer fremden Sprache enthielt. Auch wenn die Husnock-Sprache weiterhin unverständlich war, schien die andere Sprache der Föderation bereits bekannt zu sein. »Sind Sie sich sicher?«
»Ich habe gewartet, bis drei meiner Teammitglieder unabhängig voneinander die Ergebnisse bestätigt hatten. Bei dem Text, den wir gefunden haben, scheint es sich um einen antiken Dialekt der Tkon zu handeln. Das deutet darauf hin, dass die Husnock zu irgendeinem Zeitpunkt Kontakt mit einer Spezies hatten, deren Sprache durch die Tkon beeinflusst wurde.«
Die Belege schienen stimmig zu sein. Theron bekam Herzklopfen. »Das ist eine wertvolle Entdeckung, Doktor. Wie viel Tkon-Text haben Sie gefunden und wie viel davon war auf Husnock übersetzt?«
»Das ursprüngliche Werk scheint umfangreich zu sein. Es sollte uns befähigen, eine Übersetzungsmatrix für die geschriebene Husnock-Sprache zu erstellen.«
»Unser eigener Stein von Rosetta! Ausgezeichnet. Gleich nach dem Frühstück werde ich Daystrom und die Akademie informieren.« Sein Magen begann zu knurren, also bedeutete er ihr, ihm ins Essenszelt zu folgen. »Und was ist mit der gesprochenen Sprache? Irgendwelche Hinweise an dieser Front?«
Kilaris schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Wir warten noch darauf, dass die Ingenieure die Datenformate der Husnock entschlüsseln.« Sie folgte ihm die Ausgabeschlange entlang und sah zu, wie er sich ein Tablett und einen Teller nahm, den er mit Rührei und einem warmen Brötchen füllte. »Haben wir schon Husnock-DNA gefunden?«
»Nicht das geringste bisschen. Welcher Art die Douwd-Apokalypse auch war, sie war gründlich.« Er setzte sich mit Kilaris an einen Tisch und sie sah zu, wie er frühstückte. Zwischen zwei Bissen fragte er: »Benötigt Ihr Team etwas, um die Übersetzung zu beschleunigen?«
»Ein Prioritätszugang zum Hauptcomputer wäre äußerst hilfreich.«
»Natürlich.« Er schlang einen weiteren Bissen Rührei hinunter. Nach dem Schlucken bemerkte er, dass sie ihn immer noch ansah. »Gibt es sonst noch etwas, Doktor?«
»Mein Team und ich werden heute Abend lange an der neuen Übersetzungsmatrix arbeiten.« Sie zog ihre elegant geschwungenen Augenbrauen hoch. »Soll ich heute in dein Zelt kommen? Oder wirst du in meinem auf mich warten?«
Theron sah in Kilaris’ dunkelbraune Augen und bemühte sich, ein Grinsen zu unterdrücken. »In meins.«
Sie nickte, stand auf und verließ das Essenszelt.
Er sah er ihr nach und gestattete sich ein Lächeln.
Ich glaube, das wird eine ziemlich gute Woche.
In der großen Raumstation war Geld zu holen. So viel wusste Cherbegrod. Warum sonst lag sie so weit entfernt von anderen Planeten, versteckt in den Tiefen des Alls. Warum war sie so dunkel? Warum gab es Fallen an den Luftschleusen?
Die Schöpfer der Raumstation mussten ihre Fallen für gerissen gehalten haben. Gut versteckt. Aber nicht für Pakleds. Außenweltler lachten über die Pakleds. Nannten sie langsam. Aber Pakleds waren schlau. Und sie kannten sich mit Fallen aus. Wie man sie machte, wie man sie fand, wie man sie unschädlich machte.
Auf der Weltraumstation gab es viele Fallen.
Für die Messinstrumente der Gomjar, Cherbegrods Bergungsschlepper, waren die Fallen unsichtbar. Doch Cherbegrod war kein Dummkopf. Er schickte seinen Ingenieur Eberleg hinaus, um die Luftschleuse der Raumstation zu inspizieren, bevor er die Gomjar andocken ließ. Das war schlau. Bomben und Tricks und Fallstricke. Einige, um der Gomjar zu schaden, andere, um ihn und seine Leute zu verletzen. Überall Fallen.
Cherbegrod und sein Stellvertreter Haripog sahen über Eberlegs Schulter. Der Ingenieur nahm ein empfindliches System mit seinen Fingern auseinander, die auch ohne die schweren Handschuhe des Raumanzugs schon dick waren.
Der Erste Offizier wurde ungeduldig. Seine Stimme knackte über die Sprechanlage in Cherbegrods Raumanzug. »Wann ist die Tür auf?«
»Bald«, sagte Eberleg auf dem gleichen Sprechkanal. Er klopfte mit einem Werkzeug gegen die Luftschleuse. »Bald.« Dann entfernte er ein weiteres unheimlich aussehendes Ding aus einem Spalt der Schleuse. »Jetzt.«
Die Tür öffnete sich.
Auf der anderen Seite war es dunkel. Cherbegrod schlug Haripog auf den Arm. »Mach Licht.«
Haripog fummelte an seinem Lichtstab herum und schaltete ihn ein. Dann richtete er den Strahl ins Innere der Raumstation. Drinnen war es geräumig und die Decke war so hoch, dass der Lichtstrahl nicht hinaufreichte. Die drei Anführer der Gomjar trotteten nah beieinander hinein.
Regale und Staufächer erstreckten sich in langen Reihen, so weit das Auge reichte. Alles voller unheimlicher Dinge. Bomben. Raketen. Metallformen, die er nicht benennen konnte, von denen er aber vermutete, dass sie bumm machen würden, wenn jemand fest genug auf sie einschlug.
Große mechanische Arme hingen von Maschinen an der Decke, bewegten sich aber nicht. Frachtheber und -schlepper waren zwischen den Regalen explodierender Dinger geparkt und daneben lagen Antigrav-Paletten, entweder abgeschaltet oder ohne Energie.
Eberleg sah zu Cherbegrod und Haripog. »Wohin jetzt?«
Cherbegrod deutete auf die Steuerkonsole eines großen Fusionsreaktors am Ende des Mittelgangs. »Dahin.« Er ging darauf zu und seine Männer folgten ihm. Es war ein langer Weg. Als sie die große Maschine erreicht hatten, berührte Cherbegrod die Steuerkonsole. Ein paar Lichter blinkten auf und erloschen wieder. Er sah zu Eberleg und deutete auf die Konsole. »Du kannst das ganz machen? Damit es wieder geht?«
»Ich werde es versuchen«, sagte Eberleg. »Das sind komische Zeichen.«
Während der Ingenieur die Hülle der Reaktorsteuerung auseinandernahm, bemerkte Cherbegrod, dass Haripog die großen Waffentürme ehrfürchtig anstarrte. Der Erste Offizier deutete auf ein paar der geparkten Frachtheber. »Keine Sitze.« Dann zeigte er auf die großen Roboterarme. »Keine Handsteuerung.« Er sah Cherbegrod an. »Der Frachtraum läuft von allein. Das ist gut.«
»Ja. Weniger Arbeit für uns.« Er deutete auf eine breite, offene Passage am Ende des Raums. »Hier lang.«
Sie gingen gemeinsam in den nächsten Bereich der Raumstation, der vom Frachtraum durch eine dicke Wand abgetrennt war. Auf der anderen Seite war eine Fabrik. Es war ein Labyrinth aus ineinander verschlungenen Förderbändern, Roboterarmen in allen möglichen Größen und glänzenden Maschinen. Alles lag still. Auf dem Laufband befanden sich Kriegswaffen. Diejenigen, die näher am Frachtraum standen, wirkten fast einsatzbereit. Je weiter man die Produktionslinie entlangging, desto unfertiger wurden die Sprengköpfe.
Haripog nickte. »Keine Arbeitsstationen. Keine Arbeiter. Die Fabrik läuft von allein.«
»Und jetzt gehört die Fabrik uns.« Cherbegrod grinste, als er sich vorstellte, wie reich sie alle sein würden, wenn sie diese tödlichen Spielzeuge an den Höchstbietenden verkauften. »Eberleg soll Energie machen. Dann lassen wir die Fabrik laufen – und niemand wird mehr über uns Pakleds lachen.«
Es war der unangenehmste Teil von Dalit Sarais wöchentlicher Routine und stets der Tiefpunkt des Tages, an dem er anstand: der obligatorische Bericht an ihren Führungsoffizier. Vor ihrer Stationierung als XO auf der Titan hatte sie das Protokoll nicht gehasst. Während sie im Außeneinsatz für den Geheimdienst der Sternenflotte tätig gewesen war, hatte die Kontaktaufnahme eine Reihe wichtiger Funktionen erfüllt, vor allem um stets auf dem Laufenden zu sein über aufkommende Bedrohungen und sich verändernde Situationen. Nun lief der Informationsfluss strikt in eine Richtung – von ihr zu der Person, die sie an der sprichwörtlichen kurzen Leine hielt. Und das konnte nur zu Unmut führen.
Sarai überprüfte, ob sie die Tür zu ihrem Quartier abgeschlossen hatte. Sie konnte nicht riskieren, in den nächsten paar Minuten gestört zu werden. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass sie ungestört war, holte sie zwei Objekte aus einem Versteck hinter der Wartungsplatte ihrer Waschgelegenheit. Das erste war klein und oval. Es ähnelte den Kommunikatoren früherer Zeiten, natürlich ohne das vertraute Sternenflottenlogo. Ein ungeübter Betrachter hätte es für eine unauffällige Brosche halten können. Bei dem zweiten Objekt handelte es sich um einen schlichten Metallstab mit einem einfachen Display an der Seite.
Ihr jahrelanges Training als Agentin ließ Sarai ihr Quartier mit dem Stab durchsuchen. Der kompakte Scanner konnte jedoch keine verborgenen Abhörgeräte aufspüren. Sie stellte ihn ab, legte ihn wieder weg und tippte dann eine wohlvertraute Sequenz in das bronzefarbene Oval ein. Das handflächengroße, abhörsichere Komm-Gerät vibrierte kurz in ihrer Hand. Das bedeutete, dass sich das Gerät mit dem sicheren Computernetzwerk der Titan verband, wobei es die Anmeldedaten eines gewöhnlichen Padds oder Trikorders imitierte. Innerhalb von Sekunden deaktivierte es das automatische Mikrofonsystem ihres Quartiers und stellte eine verschlüsselte Verbindung zur Subraumtransceiverphalanx des Raumschiffs her.
Dann vibrierte es zweimal schnell hintereinander. Nun war sein geheimer Kanal offen. Sarai tippte eine weitere Sequenz in das Gerät ein, um seinen verschlüsselten Kanal auf den Computerbildschirm ihres Schreibtischs umzuleiten. »Aktiv. Bereit.«
Auf dem Schirm erschien das strenge Gesicht einer grauhaarigen Frau: Sarais Vorgesetzte, Admiral Marta Batanides, Leiterin des Sternenflottengeheimdiensts. »Bericht!«
»Admiral Riker überstrapaziert weiterhin die Ressourcen unserer Eskortschiffe.«
»Details, bitte.«
»Seit letzter Woche hat Admiral Riker die Canterbury, die Ajax und die Wasp in Richtungen geschickt, die sie meiner Meinung nach zu weit auseinander bringen, um im Falle einer Krise der Titan oder einander taktische Unterstützung bieten zu können.«
Batanides dachte darüber nach. »Was ist mit Captain Vale? Hat sie das in ihrem Logbuch vermerkt?«
»Negativ. Ich habe ihr gegenüber meine Bedenken unter vier Augen geäußert, doch sie hat sie mit der Begründung zurückgewiesen, dass es mir nicht zustünde, den Admiral in taktischen Entscheidungen zu hinterfragen.«
»Da stimme ich dem Captain zur Abwechslung mal zu. Aber Ihre Bedenken sind zur Kenntnis genommen, Commander … Haben Sie sonst noch etwas von Interesse über Captain Vale zu berichten?«
Sarai zögerte, ihre Beobachtungen über ihren kommandierenden Offizier zu teilen, aber sie wusste, dass Batanides nicht an das Sprichwort »Keine Neuigkeiten sind gute Neuigkeiten« glaubte. »Sie hat in den letzten sieben Tagen bei zwei Gelegenheiten eine fragwürdige Bereitschaft demonstriert, Riker ihre Befehle hinterfragen zu lassen. Keiner der Vorfälle hatte jedoch eine bedeutsame Auswirkung auf die Missionsergebnisse.«
»Die Auswirkungen auf die Besatzungsmoral machen mir mehr Sorge.« Batanides’ Gesichtsausdruck wurde milder. »Sie sind nun seit acht Monaten an Bord der Titan. Wie haben Sie sich eingelebt?«
»Das Vertrauen des Captains in mich bleibt verhalten und ich vermute, dass der Admiral meine vorgeschriebene Anwesenheit immer noch kritisch sieht. Was den Rest der Mannschaft angeht …« Sie fragte sich, ob sie erwähnen sollte, dass sie von einigen Kollegen aufgrund ihres distanzierten Benehmens immer noch als »Eiskönigin« bezeichnet wurde, doch sie entschied sich dagegen. Stattdessen log sie. »Sie erkennen meine Autorität an.«
»Selbst der Chefingenieur? Ra-Havreii? Er hat den Ruf eines Nonkonformisten.«
Die Erwähnung von Ra-Havreii verärgerte Sarai. »Sobald ich ihm zu verstehen gegeben hatte, dass ich, nur weil ich ebenfalls Efrosianerin bin, keine Verpflichtung sehe, seine sexuellen Frustrationen zu mildern, hat sich unsere Arbeitsbeziehung enorm verbessert.« Sie verschwieg lieber, dass sie ihn geohrfeigt hatte. Zweimal.
»Und das bringt uns zu Troi. Ich sehe es weiterhin kritisch, dass sie neben Riker dient. Hat ihre Anwesenheit die Effektivität von Riker oder Vale in irgendeiner Weise beeinträchtigt?«
Sarai war versucht, Troi anzuschwärzen, hauptsächlich deshalb, weil die empathischen Fähigkeiten der Halbbetazoidin sie nervös machten, doch Sarais Anstand gewann die Oberhand. »Ich habe keinen Hinweis darauf gesehen.«
»Dann sehen Sie genauer hin.«
Die Herzlosigkeit und der Zynismus von Batanides’ Befehl verärgerten Sarai, doch es stand ihr nicht zu, sich zu beschweren. Zwei Jahre zuvor hatte sie während der Bashir-Andor-Krise Übergangspräsident Ishan Anjar hinter dem Rücken des Admirals wichtige Informationen zugespielt – ein riskanter politischer Zug, der nach hinten losgegangen war, als Anjars kriminelle Vergangenheit ans Tageslicht kam. Er war in Ungnade gefallen, genau wie jeder, der mit seiner Kandidatur für die Präsidentschaft der Föderation zu tun gehabt hatte, einschließlich Sarai. Ihr war klar, dass sie wahrscheinlich in irgendeinem Sackgassenjob in einem Munitionsdepot auf Luna feststecken würde, wenn Batanides sie nicht als Maulwurf auf der Titan rekrutiert hätte.
Doch das bedeutete nicht, dass sie bereit war, Verfehlungen zu erfinden, um die obsessive Vendetta ihrer Vorgesetzten gegen Admiral Riker und die Führungsoffiziere der Titan zu befriedigen.
»Sollte mir in Ausübung meiner Pflicht etwas Verdächtiges auffallen, werde ich es wie befohlen melden.« Insgeheim freute sie sich zu sehen, wie Batanides vor Zorn über ihren passiv-aggressiven Trotz schäumte. Um dem unangenehmen Gespräch zu entkommen, fügte Sarai hinzu: »In zehn Minuten beginnt meine Schicht auf der Brücke. Gibt es sonst noch etwas?«
»Ich erwarte Ihren nächsten Bericht in fünf Tagen.« Admiral Batanides schloss den sicheren Kanal.
Sarai gab die Deaktivierungssequenz in ihr sicheres Komm-Gerät ein, dann deponierte sie es zusammen mit dem Scanstab wieder in seinem Versteck und setzte die Wartungsplatte wieder ein. Sie überprüfte ihr Spiegelbild: Ihre dunklen Haare waren zu einem den Vorschriften entsprechenden Pferdeschwanz gebunden und ihre nach oben geschwungenen Augenbrauen sahen noch immer elegant und wohlgeformt aus. Schließlich holte sie tief Luft, atmete die Anspannung von ihrem Gespräch mit Batanides aus und verbannte damit jegliche Spur von Emotion aus ihren kantigen Gesichtszügen.
Nachdem ihre Maske der Distanziertheit wieder saß, verließ sie ihr Quartier, um einen neuen Tag als Spion im Dienst des Sternenflottengeheimdiensts an Bord des Raumschiffs Titan zu beginnen.
Ranul Kerus Meinung nach gab es kein größeres Geschenk, als an einem neuen Tag zu erwachen.
Sein Weckalarm – sanftes Vogelgezwitscher – erklang um 0615. Erfrischt nach einem perfekten Schlaf öffnete Keru die Augen und sah, dass ihn sein Liebhaber Bowan Radowski von der anderen Seite des Betts anschaute.
»Morgen!«, sagte Keru.
Bowan lächelte. »Hey!«
Es gab um diese frühe Uhrzeit nichts zu besprechen. Es fühlte sich für Keru einfach gut an zu wissen, dass Bowan da war und in diesem Moment den gleichen Raum mit ihm teilte.
Keru rollte sich aus dem Bett und betrat den Wohnbereich ihres gemeinsamen Quartiers – eine kürzliche Veränderung ihrer Lebensverhältnisse, die vom Captain genehmigt und mit freudiger Effizienz vom Quartiermeister umgesetzt worden war. Nachdem sich Keru ein paar Minuten lang gestreckt hatte, um wach zu werden, begann er mit seinem üblichen morgendlichen Training. Laut Chronometer war Donnerstag, also war heute Yoga dran. Jeder Wochentag hatte seinen eigenen Trainingsplan. Am Tag zuvor war es ein flotter Lauf in einer Holodecksimulation der verlorenen Strände von Risa gewesen, am nächsten Tag würden es Aikido-Übungen sein.
Irgendwo zwischen dem Sonnengruß und der Kriegerpose spürte Keru, wie sich seine Sehnen entspannten. Schweißtropfen rollten ihm von der Brust, kitzelten seine Kehle und verschwanden in seinem Bart, während er eine einhändige Baumpose machte. Dieser Handstand war ihm erst nach jahrelanger Übung gelungen und es fiel ihm immer noch schwer, die Pose zu halten. Es war fast eine Erleichterung, als es an der Zeit war, in die Sayanasana-Skorpionpose zu gehen, in der er seinen in die Höhe gestreckten Körper auf den Ellbogen balancierte, die Beine eingeschlagen, während seine Füße auf seinen Kopf zeigten.
Dann fühlte er sich mutig genug, um den Verletzten Pfau zu versuchen – und umzufallen. Eines Tages werde ich das hinbekommen. Er rollte sich in die Ruhehaltung, um sein Training abzuschließen und seine Gedanken zur Ruhe kommen zu lassen. Es sah einfach aus – ruhig auf dem Rücken liegen, sich nicht bewegen und still sein. Doch die wahre Herausforderung war der eigene unruhige Geist. Heute zumindest lösten sich Kerus Gedanken im Strom seines Atems auf. Er war hier und jetzt mit sich im Reinen.
Leise Schritte auf dem Teppichboden holten ihn aus seiner Meditation. Bowan schritt über ihn hinweg und fragte ihn auf dem Weg zum Replikator: »Bereit fürs Frühstück?«
»Absolut. Aber es muss schnell gehen. Ich muss vor meiner Schicht noch duschen.«
»Schnell ist gut. Gesund ist besser.« Er aktivierte den Replikator. »Eiweißomelette mit Schweizer Käse, Frühlingszwiebeln und Brokkoli. Pumpernickelbagel, getoastet und gebuttert. Irish Breakfast Tea, heiß.« Als seine Mahlzeit mit einem Aufblitzen von Farbe und einem melodischen Klang Gestalt annahm, fragte er Keru: »Und für dich?«
»Zwei ktarianische Eier, pochiert, auf gedämpftem vulkanischem Seegras. Eine halbe terranische Pink Grapefruit. Raktajino, ungesüßt. Und, weil ich nicht immer perfekt sein kann, ein zibalianisches Blätterteigteilchen.«
Bowan nahm das Tablett mit seinem Frühstück aus dem Ausgabefach, dann wiederholte er Kerus Bestellung. Während er sein Essen zum Tisch brachte, tupfte sich Keru mit einem Handtuch den Schweiß von Gesicht und Armen. Sie aßen ihr Frühstück und plauderten, während Bowan die morgendlichen Nachrichten auf seinem Padd überflog. Als sie fertig waren, warf Keru einen Blick auf das Chronometer und sprang auf. »Ich bin spät dran!«
Er stürmte durch ihr Schlafzimmer und unter die Schalldusche. Auch wenn er es hasste, sich beim Duschen hetzen zu müssen, hasste er es doch mehr, auch nur eine Minute zu spät für eine Schicht auf der Brücke zu sein. In unter neunzig Sekunden war er sauber, zog sich panisch an und erstarrte, als ihm klar wurde, dass etwas fehlte.
»Mein Kommunikator!« Er drehte sich erst in die eine, dann in die andere Richtung. »Hast du meinen …?«
Bowan stand in der Tür des Schlafzimmers und hielt Kerus Kommunikator zwischen zwei Fingern. »Den hast du im Wohnzimmer liegen lassen. Mal wieder.«
Keru schnappte sich den Kommunikator aus der Hand seines Lebensgefährten und gab ihm auf dem Weg zur Tür einen Kuss. »Was würde ich ohne dich machen, Bo?« Über seine Schulter rief er noch: »Bis heute Abend!« Dann war er im Korridor und lief zum nächsten Turbolift.
Jeder, der auf seinem Weg zum Lift an ihm vorbeikam, lächelte ihn an. Er fragte sich, ob sie etwas wussten, das ihm entgangen war. Dann sah er im Vorbeigehen sein Spiegelbild in einer Komm-Konsole und ihm wurde klar, dass ihn alle anlächelten, weil er selbst wie ein Idiot von einem Ohr zum anderen grinste.
Das Glück war an diesem Morgen auf seiner Seite. Die Turbolifttüren standen offen, als er ankam, und er konnte hineinschlüpfen, kurz bevor sie sich schlossen. Er nickte Lieutenant Karen McCreedy von der Technik zu. »Guten Morgen!« Dann sagte er an den Computer gewandt: »Brücke.« Die Bewegung war kaum spürbar, als der Lift aufwärts beschleunigte.
Als Führungsoffizier auf dem Weg zur Brücke hatte sein Ziel Priorität vor dem von McCreedy. So war es auf allen Schiffen der Sternenflotte üblich, doch diesmal fühlte er sich verpflichtet, den Lieutenant verlegen anzusehen und »Entschuldigung« zu murmeln.
Sie schüttelte den Kopf. »Kein Problem, Sir.«
Die Türen öffneten sich mit einem Zischen und Keru betrat die Brücke der Titan. Er erreichte die Sicherheits- und die taktische Konsole, die während der Nachtschicht von Commander Tuvok bemannt worden war. Der Vulkanier nahm Kerus Ankunft mit einem höflichen Nicken zur Kenntnis. »Alle Decks vermelden Sicherheit. Schiffsstatus normal. Keine feindlichen Kontakte innerhalb der Sensorreichweite.«
»Verstanden. Ich löse Sie ab, Commander.«
»Sie haben die Station.« Tuvok trat einen Schritt zurück und übergab Keru die Konsole genau eine Minute vor dem offiziellen Beginn der Alpha-Schicht. Wie üblich hielt er sich danach nicht mehr lange auf der Brücke auf. Er ging geradewegs zum Turbolift, der sich vor ihm öffnete und mehrere Passagiere ausspuckte, einschließlich Commander Sarai, der Pilotin Lieutenant Commander Aili Lavena und dem seit Kurzem der Brücke als Ingenieur zugewiesenen Lieutenant Torvig Bu-Kar-Nguv.
Torvig tanzte an seinen Posten, der sich an einer hinteren Konsole in der Nähe von Keru befand, und setzte sich. Der junge Choblik sah aus wie eine Mischung aus einem flugunfähigen Vogel und einem zweibeinigen Waldtier, mit einem Greifschwanz, der in einem Set agiler robotischer Finger endete, und sein Körper war mit kybernetischen Verbesserungen einschließlich zweier bionischer Arme ausgestattet.
Ein paar Minuten später bemerkte Keru aus dem Augenwinkel, dass ihn Torvig neugierig ansah. Er erwiderte den Blick des Ingenieurs. »Was ist los, Tor?«
»Ich wollte Sie gerade das Gleiche fragen, Ranul.«
»Warum?«
»Sie haben gesummt.«
Das überraschte den Trill-Sicherheitschef. »Ich habe was?«
»Gesummt. Ziemlich laut.« Er wurde entschuldigend. »Ich wollte Sie nicht unterbrechen. Es klang ziemlich fröhlich.«
Ein kurzer Blick in die Runde bestätigte Keru, dass ihn andere Offiziere in der Nähe ebenfalls neugierig musterten, einschließlich Ensign Peya Fell, der neuen Wissenschaftsoffizierin der Alpha-Schicht. Fell lächelte amüsiert, bevor sie den Blick senkte, und Keru fragte sich, was die junge Deltanerin wohl von ihm dachte.
Bevor er sich für seinen unbewussten Ausrutscher schämen konnte, fragte ihn Torvig: »Fühlen Sie sich heute Morgen wirklich so überschwänglich? Oder ist es eine Überkompensation?« Er vollführte das Äquivalent seiner Spezies zu einem Schulterzucken. »Manchmal fällt es mir schwer, die Emotionen von Humanoiden zu deuten.«
Keru lächelte und entschied, seine gute Stimmung zu genießen.
»Was soll ich sagen, Tor? Das Leben ist schön.«
»Das Leben ist ätzend.« Doktor Xin Ra-Havreii schritt an einer Reihe nervöser Ingenieure entlang, die in der Mitte des Hauptmaschinenraums an ihren Konsolen standen. »Und Ihre schlampige Arbeit ist der Grund dafür.« Er deutete im Vorbeigehen auf einen Schirm nach dem anderen. »Meldok, Ihr Intermixverhältnis weicht um null Komma null zwei ab … Crandall, die Verzerrungsresonanz der Steuerbordwarpspule sollte nie über null Komma null drei Millicochrane hinausgehen, ich sehe null Komma null fünf … Verdammt noch mal, Rossini, ich will keine Beimengungen im Strom der Bussardkollektoren, die über null Komma null fünf Millionstel hinausgehen … Tabyr, reinigen Sie die EPS-Leitungen, bis …«
»Die Spezifikationen für die Bussardkollektoren besagen, dass das System Beimengungen von Konzentrationen bis null Komma zwei fünf Millionstel herausfiltern kann«, unterbrach Rossini.
Ra-Havreii drehte sich wieder zu Ensign Paolo Rossini um. Er baute sich vor dem drahtigen jungen Mann auf und starrte ihn streng an. »Bitte entschuldigen Sie, Ensign. Ich hätte schwören können, dass ich gerade von einem Junioringenieur über die Spezifikationen belehrt wurde. Als wäre nicht ich es, der die Spezifikationen für dieses Schiff geschrieben hätte. War das eben eine akustische Halluzination, Ensign?«
Rossini ging in Habachtstellung. »Nein, Sir.«
»Sie haben mich also über die Spezifikationen belehrt?« Ra-Havreii lehnte sich nah genug heran, dass seine dramatischen, äußerst buschigen Augenbrauen Rossinis Gesicht kitzelten, während er ihn weiter rügte. »Sie sind jünger als einige meiner Narben, Ensign, also will ich Sie in ein kleines Geheimnis einweihen. Raumschiffdesigner erarbeiten eine Unmenge empfohlener Spezifikationen für ihre Schöpfung. Bei den meisten davon handelt es sich um pure Schätzungen, basierend auf Simulationen und Kurzstreckentestflügen. Niemand weiß wirklich, wie ein System funktioniert, bis es in der Praxis eingesetzt wird. Und jedes Raumschiff ist anders. Nach ein paar Jahren im Dienst und einigen Nachbesserungen entwickelt jedes Schiff seine persönlichen Eigenarten. Ein guter Ingenieur lernt, diese Macken zu respektieren. Unerfahrene Ingenieure«, er senkte seine Stimme zu einem bedrohlichen Knurren, »zitieren Spezifikationen aus dem Handbuch. Habe ich mich klar genug ausgedrückt, Mister?«
»Aye, Sir.«
Ra-Havreii deutete auf Rossinis Konsole. »Zurück an die Arbeit!«
Er ging die Reihe weiter entlang. Niemand sonst wagte es, ihm zu widersprechen … bis er die letzte Station erreicht hatte, die Hauptstatusanzeige. Während der meisten Schichten bemannte er diesen Posten am liebsten selbst. Doch seit der letzten Überholung der Titan – die nötig geworden war, nachdem das Schiff Anfang des Jahres im Kampf gegen die Solanae Schäden davongetragen hatte – waren auf Befehl des Sternenflottenkommandos zwei erfahrene Ingenieursoffiziere in seine Abteilung versetzt worden. Lieutenant Commander Aluno, eine zurückhaltende Catullanerin, hatte sich freiwillig für die Nachtschicht gemeldet. Dadurch hatte Ra-Havreii sie praktisch nicht mehr gesehen, seit sie an Bord gekommen war.
Wenn er doch über Lieutenant Commander Szevich Dalkaya nur das Gleiche sagen könnte! Der junge und fachlich hervorragende Zibalianer verkörperte alles, was Ra-Havreii an Untergebenen nicht leiden konnte. Zu allem Übel war Dalkaya auch noch ziemlich ehrgeizig und trat immer so arrogant auf, dass Ra-Havreii ihm am liebsten die Tätowierungen aus dem Gesicht geohrfeigt hätte.
Dalkaya stand mit verschränkten Armen vor der Hauptsystemanzeige und zog verächtlich eine Augenbraue in die Höhe. »Wenn Sie nicht wollen, dass Ihnen Ihre Sandsäcke Paroli bieten, sollten Sie vielleicht lieber auf dem Holodeck trainieren.«
»Jetzt weiß ich, warum Ihre Spezies allgemein als unhöflich gilt.«
»Unhöflich? Wohl eher brutal ehrlich.« Dalkaya warf einen Blick zu Rossini, dann zurück zu Ra-Havreii. »Er hat recht, wissen Sie? Die Spezifikationen …«
»Ich kenne die Spezifikationen«, blaffte Ra-Havreii.
»Dann sollten Sie sie aktualisieren, anstatt von uns zu erwarten, dass wir Ihre Gedanken lesen.«
Ra-Havreii runzelte die Stirn und tat so, als müsste er etwas an der Hauptsystemanzeige korrigieren. »Ich werde darüber nachdenken.«
Dalkaya schien sich von der angeblichen Beschäftigung des Chefingenieurs nicht täuschen zu lassen. »Und wenn Sie schon dabei sind, lassen Sie Ihren Frust doch bitte auch woanders ab.«
»Wie bitte?« Er drehte sich um und sah den Zibalianer vernichtend an. »Muss ich Sie daran erinnern, dass Sie mit Ihrem vorgesetzten Offizier sprechen?«
Dalkaya verzog abfällig das Gesicht. »Na klar, lassen Sie nur Ihren Rang raushängen. Wie läuft das denn so für Sie? Soweit ich sehen kann, verspannt sich jeder Ingenieur an Bord, wenn er Sie nur sieht. Super für die Moral an Bord!«
»Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich ein Perfektionist bin, wenn es um dieses Schiff geht.«
»Mit einem Perfektionisten könnten sie umgehen. Aber Sie sind außerdem ein Kontrollfreak und ein herablassender Mistkerl. Und das ist für die meisten ein bisschen zu viel. Auch für mich.«
Ra-Havreii warf sich in die Brust. »Wollen Sie runter von diesem Schiff? Sie müssen nur fragen.«
»Keineswegs. Ich mag dieses Schiff und ich mag seine Offiziere und Mannschaft.« Dann musterte er Ra-Havreii missbilligend. »Anwesende ausgenommen.«
Ra-Havreiis Puls begann zu rasen und seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Dalkaya, Ihnen ist hoffentlich klar, dass ich Sie für diese Aufmüpfigkeit vor ein Militärgericht bringen kann.«
Der Zibalianer wirkte ungerührt. »Wenn Sie dieses Fass wirklich aufmachen wollen, nur zu. Sie haben in letzter Zeit so viele Leute angepisst, dass es auf diesem Schiff wohl kaum noch einen Offizier gibt, der mich auf Ihr Wort allein hin verurteilen würde.«
»Ach wirklich? Und wen soll ich angeblich verärgert haben?«
Dalkaya deutete mit einer ausladenden Geste auf seine anwesenden Kollegen. »Alle, die Sie kennen. Sie werden es Ihnen nicht ins Gesicht sagen, aber alle beginnen, Sie dafür zu hassen, dass Sie sich in ihre Arbeit einmischen und ihnen Ratschläge erteilen, die sie weder wollen noch brauchen.«
»Und ich soll glauben, dass niemand von denen etwas sagen würde? Dass allein Sie den Mut haben, mir die Wahrheit ins Gesicht zu sagen?«
Die Reaktion war ein bescheidenes Schulterzucken. »Glauben Sie, was Sie wollen. Aber diese Leute haben Sie nur deshalb noch nicht aus einer Luftschleuse geworfen, weil sie wissen wollen, wen Sie als Ihren Stellvertreter empfehlen.«
Das überraschte Ra-Havreii. Er hatte nicht gewusst, dass seine Ingenieure darüber Bescheid wussten, dass ihn Commander Sarai seit Monaten bedrängte, einen Stellvertreter zu ernennen, um im Fall eines Notfalls eine klare Befehlskette zu haben. Er hatte sich Zeit gelassen, hauptsächlich um Sarai heimzuzahlen, dass sie ihn abgewiesen hatte, doch er hatte es damit begründet, dass keiner der »Dilettanten« unter seiner Aufsicht einen solchen Titel verdiente.
Doch offensichtlich hatte es sich herumgesprochen.
Er tat so, als wäre das unwichtig. »Ich werde mich entscheiden, wenn ich so weit bin.«
»Tja, an Ihrer Stelle würde ich nicht mehr so lange damit warten. Je länger es dauert, desto größer wird ihr Unmut. Und falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten, man macht sich auf diesem Schiff keine neuen Freunde, indem man sich wie ein aufgeblasener Idiot aufführt.«
Und die wenigen, die ich hatte, ziehen sich jeden Tag mehr zurück, gestand er sich innerlich ein. »Sonst noch was?«
»Ja. Kommen Sie endlich über Melora Pazlar hinweg. Sie hat Schluss gemacht. Kommen Sie damit klar, vorzugsweise in Ihrer Freizeit.«
Ra-Havreii packte Dalkaya an seiner Uniform. »Das geht zu weit, Mister!«
Ein freches Grinsen. »Ich versuche nur zu helfen. Aber wenn Sie mich nicht innerhalb der nächsten fünf Sekunden loslassen, wird für Doktor Ree nicht genug von Ihnen übrig sein, um Sie wieder zusammenzuflicken – Sir.«
Vielleicht bluffte er nur. Es klang für Ra-Havreii nach gespielter Tapferkeit. Aber er wusste genug über Zibalianer, um zu wissen, dass er sich nicht mit einem prügeln wollte. Besonders nicht, während ein Dutzend anderer Ingenieure gespannt zusah.
Er ließ Dalkaya los. »Sie sind bis auf Weiteres Ihres Postens enthoben und stehen unter Quartiersarrest.«
»Was immer Sie sagen, Boss.« Dalkaya glättete die Vorderseite seiner Uniform und ging trotzig zum nächsten Turbolift. »Was immer Sie sagen.«
Ra-Havreii sah dem Zibalianer nach, dann blaffte er die anderen Ingenieure an: »Was? Zurück an die Arbeit!« Alle senkten den Blick und wandten sich wieder ihren Pflichten zu.
Der Chefingenieur stand nun allein vor der Hauptsystemanzeige, doch er konnte nur grübeln. Er verabscheute Dalkaya. Nicht nur weil der Mistkerl mit allem recht hatte, was er über Ra-Havreii gesagt hatte, sondern weil er ihn nun mit ziemlicher Sicherheit – vorausgesetzt, er leistete sich keinen schweren Fehler bei der Arbeit oder es gäbe einen öffentlichen Mord an einem Würdenträger der Föderation – zu seinem Stellvertreter ernennen müssen würde.
Das Leben ist ätzend.
»Legen Sie es auf die Komm-Konsole«, sagte Admiral William Riker. »Ich will die ganze Tabelle sehen.«
Auf der anderen Seite von Rikers Schreibtisch hielt sein Adjutant Lieutenant Ssura ein Padd fest in seinen Pfoten. Als der caitianische Lieutenant die Stirn runzelte, zuckten seine Schnurrhaare mit. »Ich glaube, wir haben jetzt keine Zeit für eine vollständige Beurteilung, Sir.«
»Unsinn. Auf den Schirm.« Riker lehnte sich zurück, während Ssura die neuesten Missionsschwerpunkte des Sternenflottenkommandos an das große Komm-Display an der Wand sandte. Es war eine gewaltige Tabelle, auf der Ziele nach ihrer Art in Reihen sortiert und in Spalten Schiffen zugeordnet waren. Zusätzlich zu den der Titan zugewiesenen Aufgaben, die als Rikers Flaggschiff und mobiler Kommandoposten fungierte, zeigte die Tabelle, welche Aufgaben die Einsatzplanung des Sternenflottenkommandos den anderen Schiffen unter Rikers Kommando als Teil der Alpha-Quadrant-Grenzerforschungsgruppe oder kurz AQGEG zugewiesen hatte.
Mithilfe der Benutzeroberfläche seines Schreibtischs markierte Riker mehrere Punkte der Tabelle. »Warum wurden der Canterbury so viele Planetenuntersuchungen zugewiesen?«
»Wahrscheinlich wegen der kürzlichen Überholung ihrer Sensoren«, antwortete Ssura.
»Meinetwegen, aber dadurch werden sie immer wieder durch den Carinaarm pendeln müssen. Entwerfen Sie einen neuen Plan, der sie auf einem konstanten Auswärtskurs hält, und weisen Sie die restlichen Untersuchungen der Wasp und der Ajax zu.«
Ssura, der niemals widersprach oder sich beschwerte, nickte nur. »Der Plan wird morgen früh zu Beginn der Alpha-Schicht für Sie bereit sein, Sir.«
»Gut.« Riker markierte eine Handvoll weiterer Punkte auf der Tabelle. »Lese ich das richtig, Ssura? Erforschung von Gasanomalien zwischen den galaktischen Armen?«
Sein Flügeladjutant lehnte sich näher an die Komm-Konsole heran. »Soweit ich sehen kann, Sir.«
»Gilt so was heutzutage im Hauptquartier als Witz? Mein Flaggschiff damit zu beauftragen, Gasanomalien zu untersuchen, während die Canterbury wahrscheinlich auf eine Erstkontaktmission geschickt wird?«
Ssura, der zu spüren schien, dass die rhetorische Frage eine Falle war, dachte lange über seine Antwort nach. »Ich nehme an, dass ich die beiden Aufträge vertauschen soll, Admiral?«
»Eine hervorragende Idee, Lieutenant. Machen Sie das.«
Ssura notierte sich den Befehl auf seinem Padd, dann warf er einen Blick auf das Chronometer. »Sechzig Sekunden, Sir.«
Riker sprang von seinem Platz auf. »Nur noch eine Minute? Warum haben Sie mir das nicht früher gesagt?«
»Ich habe es ja versucht, Sir, aber …«
»Beeilung!« Bei seinem Sprint zur Tür rannte er seinen überarbeiteten Flügeladjutanten fast um. Auch wenn er vermutete, dass Ssura direkt hinter ihm war, konnte Riker es nicht mit Sicherheit sagen, weil die pelzigen Pfoten des Caitianers auf dem mit Teppichboden ausgelegten Deck der Titan vollkommen lautlos waren.
Es war lange her, dass Riker hatte laufen müssen, und als er durch die Korridore der Titan eilte, stellte er mit Bedauern fest, dass er sein Alter langsam spürte – hauptsächlich in den Knien, aber auch in der Hüfte. Ich muss Ree mal darum bitten, einen Blick darauf zu werfen, dachte er.
Er lief eine breite Spiralrampe hinunter, die ein paar Decks der Untertassensektion miteinander verband. Die Rampe war kein Sternenflottenstandard, doch eine Reihe von Spezies, die an Bord der Titan dienten, darunter viele Nichthumanoide, machten sie zu einer Notwendigkeit.
»Platz machen bitte!«, rief Riker den Junioroffizieren und Unteroffizieren vor sich zu, damit er schnell vorbeikam. Es war ein Vorrecht, das er nur selten in Anspruch nahm, weil er fand, dass es effektiver war, wenn er es sich für wahre Notfälle wie diesen hier aufsparte. Nicht immer gleich die Pferde scheu machen, rief er sich ins Gedächtnis.
Am unteren Ende der Rampe wich Riker nur knapp einem Zusammenstoß mit der Computerspezialistin K’chak’!’op aus, einer Pak’shree, deren Größe und Aussehen – sie erinnerte Riker an einen riesigen vieräugigen Käfer, dem Tentakel aus beiden Seiten des Kopfs ragten – ihn stets leicht zusammenzucken ließen. »Tut mir leid!« Er wartete nicht lang genug, um sich die Übersetzung ihrer wütenden Klickgeräusche anzuhören.
Ein paar Türen von seinem Ziel entfernt, blieb Riker stehen und atmete tief durch. Er glättete gerade die Vorderseite seiner Uniform, als Lieutenant Ssura neben ihm zum Stehen kam. »Zeit?«
»Fünfzehn Sekunden, Sir.«
Nachdem Riker eine ruhige Haltung angenommen hatte, betrat er den Schulraum der Titan. Auf der anderen Seite hatten sich mehrere Besatzungsmitglieder versammelt, deren Kinder in der Schiffsschule von Commander Tuvoks Ehefrau T’Pel, einer Zivilistin, angemeldet waren. Die Vulkanierin stand direkt an der Tür und begrüßte Riker, als er eintrat. »Willkommen, Captain! Ihre Frau hält vorne für Sie einen Platz frei.«
»Danke, T’Pel.«
Ganz gleich wie sehr Riker versuchte, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, war es ihm einfach unmöglich, sich auf der Titan zu bewegen, besonders in Umgebungen wie dieser hier, ohne in den Mittelpunkt zu geraten, wenn auch nur kurz. Er lächelte den anderen Eltern zu, während er durch den Mittelgang in die erste Reihe ging. Dort setzte er sich auf einen Klappstuhl neben Commander Deanna Troi, diplomatischer Offizier der Titan und Leiterin des Counselorstabs.
Sie warf einen nachdrücklichen Blick auf ihr Chronometer. »Du bist ganz schön spät dran.«
»Unsinn«, sagte Riker. »Mich hätten nicht mal wilde Targs fernhalten können.«
Die Beleuchtung wurde gedimmt und ein warmer Suchscheinwerfer erhellte die kleine Bühne. Aus unsichtbaren Lautsprechern drang klassische Musik und erfüllte den Raum, während eine Truppe kleiner Gestalten in Strumpfhose und Tutu über die Bühne stolzierte und hüpfte. Ihre Anmut und Unschuld waren bezaubernd.
Doch Riker achtete nur auf ein einziges Kind: seine Tochter Tasha, die Pirouetten drehte und zeigte, was sie in ihrem Ballettkurs gelernt hatte. Sie ist erst fünfeinhalb und doch bereits das Unglaublichste, was ich jemals gesehen habe, staunte er.
Deanna ergriff seine Hand. So wie er hatte auch sie Tränen der Rührung in den Augen, während ihre Tochter wie eine Fee zu der traumhaften Melodie über die Bühne schwebte.
Will Riker liebte es, ein Sternenflottenoffizier zu sein, und er liebte es, die Galaxis zu erforschen. Aber wenn es eine einzige Sache gab, die er mit Sicherheit wusste, dann, dass er seine Frau und seine Tochter mehr liebte.
Es gab fünf Wörter, von denen Brunt niemals gedacht hätte, dass er sie jemals unironisch aussprechen würde: Es geht nicht ums Latinum. Wenn es eine einzige Sache gab, die jeder Ferengi von klein auf verstand, dann die fundamentale Wahrheit, dass es im Leben und im Universum immer ums Latinum ging. Doch sosehr er auch versuchte, die Zahlen schönzurechnen, er konnte die Umstände und Ausgaben, die seine neueste Unternehmung verursachte, keineswegs mit dem Profit allein rechtfertigen.
Brunt beugte sich über die Steuerung seines Schiffs, der Net Gain, und starrte auf die Sensoranzeige, doch seine Gedanken irrten durch die Ödnis der Selbstzweifel. Einst hatte er zu den gefürchtetsten Liquidatoren der Ferengi-Handelsbehörde gehört. Doch in den letzten Jahren hatte er sich von den finanziellen Rückschlägen eines gescheiterten Waffendeals erholen müssen, sich aber schließlich an die Spitze der Ferengi-Gesellschaft zurückgekämpft. Nun war er eine reiche und respektierte Persönlichkeit auf Ferenginar, ein stolzes Magnus-Plus-Mitglied des Ferengi-Unternehmerclubs.
Warum also lungere ich hier am Rand des Universums im Dunkeln zwischen den Sternen rum? Eigentlich hatte er seine raumfahrenden Tage doch längst hinter sich gelassen. Und doch war er hier auf seinem Privatschiff, auf der Suche nach Konflikt und Gefahr, anstatt den Luxus seines Büros zu genießen, eine Slug-o-Cola zu schlürfen und seine Profite zu zählen, nur unterbrochen von Oo-mox-Sitzungen mit den besten Gefährtinnen, die man mit Latinum kaufen konnte. Ihm war klar, dass er anderen Ferengi seine Entscheidung niemals würde erklären können.
Es ging hierbei nicht ums Geschäft, sondern um etwas Persönliches.
Auf der Sensoranzeige erschienen neue Daten. Das Versorgungsschiff der Föderation, das er verfolgte, hatte seine Richtung geändert und die Geschwindigkeit erhöht. Er passte die Einstellungen seines Schiffs an, um die Net Gain