Star Wars™ Phasma - Delilah S. Dawson - E-Book

Star Wars™ Phasma E-Book

Delilah S. Dawson

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Beschreibung

Es war einmal vor langer Zeit, in einer weit, weit entfernten Galaxis ...

Phasma, eine der klügsten und gnadenlosesten Sturmtruppen-Anführerinnen der Ersten Ordnung, genießt die Gunst ihrer Vorgesetzten, den Respekt ihrer Kollegen und die Angst ihrer Feinde. Doch trotz ihres Rufes ist sie genauso undurchsichtig wie ihr glänzender Chromhelm. Nun ist ausgerechnet einer ihrer erbittertsten Gegner fest entschlossen, hinter ihre tiefsten Abgründe zu kommen – und ein Geheimnis ans Licht zu bringen, das Phasma schonungslos und ohne Rücksicht auf Verluste zu verteidigen bereit ist ...

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Delilah S. Dawson

PHASMA

Deutsch von Andreas Kasprzak

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017

unter dem Titel »Star Wars™: Phasma«

bei Del Rey, an imprint of Random House,

a division of Penguin Random House LLC, New York.

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1. Auflage

Copyright der Originalausgabe

Copyright © 2017 by Lucasfilm Ltd. & ® or ™ where indicated.

All rights reserved.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2018 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Rainer Michael Rahn

Umschlaggestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft, nach einer Originalvorlage

Copyright © 2017 by Lucasfilm Ltd. & ™

Jacket Art: Larry Rostant

JF · Herstellung: sam

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN 978-3-641-22272-7V001

www.blanvalet.de

Für Craig, meinen wundervollen Ehemann.

Dass du mich 1997 im Star Wars-Online-Rollenspiel

mit diesen Noghri umgebracht hast, verzeihe ich dir.

Na ja, größtenteils zumindest.

Es war einmal vor langer Zeit

in einer weit, weit entfernten Galaxis …

1

IN DEN UNBEKANNTEN REGIONEN

Der Hyperraum hat etwas Tröstliches an sich. Er sieht immer gleich aus, egal, ob man vor Ärger davonläuft oder darauf zufliegt. Ruhig, schön, beruhigend – selbst für Spione mit hochsensiblen Informationen, für die viele Leute töten würden.

Während die Sterne vorbeiflitzen, lehnt Vi Moradi sich mit einem Seufzen auf ihrem Pilotensessel zurück und hebt eine Tasche vom Boden auf. Mehrere Wochen hat sie an diesem unförmigen Ding gearbeitet, wann immer sie gerade Zeit dafür fand: ein Pullover aus dicker, weicher Wolle. Er ist für ihren älteren Bruder, Baako, einen Würdenträger, der vor Kurzem ausgerechnet nach Pantora versetzt wurde. Sie ist nicht wirklich gut im Stricken, aber es entspannt sie, außerdem meinte Baako, dass sie nicht so viel herumflirten und ihre Zeit stattdessen auf produktivere Weise nützen sollte. Streng genommen hatte sie natürlich trotzdem mit ihren Kontaktpersonen »herumflirten« müssen, um diese begehrte, nicht »wirklich« illegale hippoglacierte Wolle in die Finger zu bekommen. Die Wärme und die strahlende azurblaue Farbe würden hoffentlich über all die fallen gelassenen Maschen hinwegtäuschen. Da sie ihre Zusammenarbeit mit dem Widerstand vor ihm verbergen muss, hält er sie noch immer für seine spitzbübische, unkonzentrierte, ungeschickte kleine Schwester.

Wenn er nur wüsste …

Ihr Komm blinkt, und als sie sieht, wer es ist, muss sie grinsen. Baako hat wirklich ein Talent dafür, sich genau dann zu melden, wenn sie nicht frei sprechen kann. Nicht nur weil sie gerade an den Ellbogen eines viel zu weiten Pullovers strickt, sondern auch, weil sie in offizieller »Flirt«-Mission unterwegs ist, von der er nichts halten würde und von der er nichts wissen darf. So sehr ihr ein ungezwungener Plausch auch das Herz erwärmen würde – vor allem nach dem kalten Schauder, den ihr der Auftrag über den Rücken gejagt hat –, der General erwartet ihre Meldung, und das geht vor.

»Tut mir leid, Bruderherz«, sagt sie und drückt den Knopf, um seinen Anruf an ihren Kommbeantworter umzuleiten. »Du kannst von deinem neuen Job erzählen und mir vorhalten, dass ich kein Ziel im Leben habe, wenn ich mit dieser Mission fertig bin und ich dir diesen Pullover schenke. Aber wehe, wir treffen uns nicht an einem zivilisierten, gemütlichen Ort. Ich habe genug von diesen unmöglichen Welten.«

Das Komm verstummt, und sie spürt einen Anflug von Schuldbewusstsein, weil sie ihn ignoriert. Die meisten Schiffe sind nicht mal in der Lage, Nachrichten über solche Distanzen zu empfangen oder zu senden, aber der Widerstand verfügt über einige beeindruckende Spielzeuge. Vi legt die Stiefel hoch und lehnt sich wieder auf ihrem Sitz zurück, dann konzentriert sie sich auf die unhandlichen, hölzernen Stricknadeln, die mehr an primitive Waffen erinnern als an elegante Werkzeuge.

»Es kommt ganz auf den Vorsatz an, Gege«, erklärt sie ihrem Astromech, U5-GG. »Besser ein grässlicher Pullover, der mit Liebe gestrickt wurde, als … ich weiß auch nicht. Was Leute ihrem einzigen lebenden Familienmitglied eben sonst schenken. Ein teures Chrono oder so. Ich werde das hier zu Ende bringen, auch wenn es nicht perfekt ist.« Sie schwenkt ihren Sessel herum und hält in die Höhe, was sie bislang zustande gebracht hat. »Was sagst du?«

Gege piept und summt zaghaft. Es klingt enttäuscht.

»Pass auf, sonst mach ich für dich auch einen. Einen Droiden-Pullover, der sich schön mit deiner Chassis-Farbe beißt.«

Die Einheit antwortet mit einem fröhlichen Zwitschern, dann dreht sie sich um, als wäre sie plötzlich vom Wirbeln des Hyperraums rings um sie fasziniert. Als der Widerstand ihr den Droiden zuwies, hatte Geges Chassis noch seine Standardlackierung – weiß und blau –, aber Vis hat ihren neuen Freund gelb und kupferfarben bemalt, damit er besser zu ihrem eigenen blassgelben Haar und ihrer sonnenverbrannten, braunen Haut passt.

Vi dreht sich wieder herum, strickt energisch weiter. Ihr Haar ist gegenwärtig kurzgeschoren; als sie das letzte Mal auf einer Fahndungsliste auftauchte, waren die langen, dunklen Locken viel zu auffällig, also hat sie sie sofort abgeschnitten und ins All geblasen. Der Rest ihres Körpers ist so drahtig und feingliedrig, dass der Widerstand Schwierigkeiten hatte, eine passende Uniform für sie zu finden. Was sie jetzt trägt, ist eine bunt zusammengewürfelte Mischung umgeänderter Kleidungsstücke, und zahlreiche Risse, aufgeraute Stellen und Flicken künden davon, wie abgetragen sie sind. Sogar die Sohlen ihrer Stiefel hängen in Fetzen. Vis aktueller Auftrag erforderte einiges an körperlicher Arbeit, und das an einem schrecklichen unangenehmen Ort, dementsprechend freut sie sich auf ein paar Tage Erholung auf D’Qar.

Der Hyperraum lullt sie ein, bis ihre Augen zufallen. Verstrickt in ein Netz aus dicker, weicher Wolle ist ihr ein kurzes Nickerchen vergönnt, bis Gege mit einem leisen Piepsen und Summen verkündet, dass sie ihr Ziel beinahe erreicht haben. Vi setzt sich auf und streckt sich, soweit das in dem Cockpit möglich ist. Sie wünschte, der Widerstand hätte ihr ein geräumigeres Schiff zur Verfügung gestellt, gleichzeitig weiß sie aber, dass man leichter unentdeckt bleibt, wenn man klein und unauffällig ist. Und das gilt nicht nur für Schiffe, wie sie aus eigener Erfahrung weiß. Sie fällt aus dem Hyperraum zurück und schwebt sanft mitten im Nirgendwo, genau wie geplant.

Mit einem tiefen Atemzug legt sie ihr Strickzeug beiseite, dann tippt sie einen langen Code in ihr Komm. Die Antwort kommt wie aus dem Blaster geschossen, und wie immer ist sie kryptisch. Klartext reden sie grundsätzlich erst, wenn Vi ihre Identität bestätigt hat.

»Verstanden.«

»Starling hier, mit einem Bericht für Generalin Organa.«

Eine vertraute Stimme meldet sich, warm, aber professionell. »Willkommen zurück, Starling. Was haben Sie für uns?«

»Ah, Generalin. Ich sehe, Sie haben sich nicht verändert. Das Geschäftliche zuerst.«

»Wenn die Galaxis auf dem Spiel steht, verzichte ich lieber auf die Formalitäten meiner Jugend. Ihren Bericht.« Vi kann Leias Schmunzeln hören, was sie ihr noch sympathischer macht. Kein Wunder, dass sie so gut miteinander auskommen.

»Ich habe endlich das fehlende Teil des Puzzles gefunden, auch wenn ich lange danach suchen musste. War kein angenehmer Ort.«

»Welcher Ort in den Unbekannten Regionen ist das schon? Sie haben also, was wir brauchen?«

Vi zuckt mit den Schultern. »Zu wissen, wie ein Monster ein Monster wurde, verrät einem nicht automatisch, wie man es vernichten kann.«

»Manchmal aber schon. Jede Waffe in unserem Arsenal hat einen Nutzen, Starling. Ich weiß, Ihr Urlaub ist längst überfällig, aber ich habe hier noch einen weiteren Satz Koordinaten, und Sie sind bereits im richtigen Winkel der Galaxis. Kann ich auf Sie zählen?«

Vi blickt auf die blaue Wolle hinab, die aus ihrer Tasche quillt. Sie hasst es, ihre gemeinsame Zeit mit Baako verschieben zu müssen. Sie sehen sich inzwischen nur noch schrecklich selten. »Natürlich, Generalin. Darum bin ich schließlich hier.«

»Ich übermittle Ihnen die Koordinaten.«

Auf ihrem Schirm berechnet Vi die beste Route zu diesem nächsten Zwischenstopp. Leia hat nicht gelogen – sie ist ziemlich nahe dran, und nur wenige Piloten haben die nötige Erfahrung und den nötigen Mumm, um diese düsteren Ecken mitten im Nirgendwo zu erforschen. Sie bestätigt die Route und überlässt Gege die Vorbereitungen für den Sprung.

»Ist ja gar nicht so übel. Ich sollte in null Komma nichts da sein.«

»Gut. Überprüfen Sie nur kurz das Gebiet. Wir haben Gerüchte über Schiffe der Ersten Ordnung in dieser Gegend gehört, und wir müssen herausfinden, ob da was dran ist. Falls sie irgendetwas entdecken, springen Sie sofort aus dem System. Wir haben bereits den Kontakt mit mehreren Piloten verloren.«

»Jede Wette, die waren nicht so schnell wie ich.«

Als Leia seufzt, kann man der Generalin ihr Alter anhören. »Es geht nicht notwendigerweise um Geschwindigkeit. Falls unsere Leute zurückkehren, können Sie sie ja zu einem Fünf-Säbel-Rennen herausfordern, falls Sie möchten. Ich stelle Ihnen sogar ein Schiff. Aber fürs Erste reicht ein kurzer Scan – und dann kommen Sie auf direktem Weg zurück. Ich brauche diese Berichte.«

»Aye-Aye, Generalin.« Vi salutiert. Schade, dass es keine visuelle Übertragung ist. »Ich springe gleich in den Hyperraum. Passen Sie auf sich auf, Generalin Organa.«

»Sie auch, Starling.«

Die Verbindung wird unterbrochen, und der Sternhüpfer beschleunigt auf Überlichtgeschwindigkeit. Es ist nur ein kurzer Flug, nicht lange genug, um sich zu entspannen, und Vi will auch nicht wieder das Strickzeug zur Hand nehmen. Dafür ist sie jetzt zu aufgekratzt. Wie lang hat sie schon nicht mehr geschlafen? Und schon fällt sie wieder aus dem Hyperraum zurück. Die langen Linien der Sterne ziehen sich wieder zu Stecknadelköpfen vor einem Meer aus Schwärze zusammen. Als Vis Augen sich an die Sichtverhältnisse gewöhnt haben, entfährt ihr ein Fluch. Hier draußen sollte es nichts geben, nur friedliche Dunkelheit und funkelnde Sterne. Doch leider ist da noch etwas anderes. Etwas großes anderes. Ein Sternzerstörer der Resurgent-Klasse. Leia hatte recht: Die Erste Ordnung ist hier, und zwar mit geballter Stärke. Noch ehe sie die Worte denken kann, tippen ihre Finger bereits die neuen Koordinaten ein.

»Komm schon, Gege«, murmelt sie. »Wie müssen von hier verschwinden. Ich hasse es, wenn die Generalin recht hat.«

So schnell sie auch reagiert, verwundert es Vi nicht, dass der Sternhüpfer plötzlich erbebt und sich in Bewegung setzt – nicht nach vorne, wie er es eigentlich sollte, sondern seitlich auf das Feindschiff zu. Welche neue Technologie diese Leute auch zusammengeschraubt haben, während sie sich hier versteckten, sie ist schnell, sie ist effektiv, und sie ist unerbittlich. Vi wendet jeden Trick an, der ihr einfällt, aber der Sternhüpfer bleibt in dem Traktorstrahl gefangen. Ihre Feuerkraft ist minimal, und sie weiß, der Sternzerstörer könnte sie mühelos in tausend Fetzen sprengen. Während Gege quiekt und hektisch loszwitschert, wägt Vi ihre Optionen ab.

»Ich weiß, ich weiß.« Sie codiert ihren Datenblock, deaktiviert ihn und wirf ihn dann über Bord; die Jacke mit dem Aufnäher des Widerstands wird ebenfalls in die Dunkelheit des Alls hinausgeblasen. Die Chance, dass sie zurückkehren und die Sachen wieder einsammeln kann, sind verschwindend gering, aber jedes kleine bisschen Hoffnung zählt. Schließlich greift sie in das kleine Staufach, zieht die alte schwarze Lederjacke hervor, die sie einem toten Kanjiklub-Mitglied abgenommen hat, und schlüpft hinein. Sie riecht nach Öl und Sand und Zuhause, und bei Vis letzter Mission hat sie ihr gute Dienste erwiesen. Während ihr Schiff weiter und weiter auf den Kreuzer zuschwebt, zückt sie einen kleinen Spiegel und nimmt die dunkelbraunen Kontaktlinsen aus ihren Augen, sodass darunter ihre echte bernsteinfarbene Regenbogenhaut zum Vorschein kommt. Das Haar, die Augen, die Kleider, die falschen Dokumente in ihrer Brusttasche … da sollte sie eigentlich niemand erkennen.

Als Gege alarmiert piepst, sinkt Vi wieder auf ihren Sessel und tippt sich an die Schläfe.

»Keine Sorge, Gege. Ich habe alles hier abgespeichert. Und sie werden mich nicht brechen.«

Der Droide gibt ihr mit einem Geräusch zu verstehen, dass die Chancen im Fall einer Enttarnung gegen sie stehen.

»Schon gut, Kleiner. Falls ich auffliege, wirst du es nicht mitbekommen.«

Vi dreht ihren Sessel herum, schiebt eine Codekarte in den Datenschlitz des Astromechs und löscht seinen Speicher.

Sie lümmelt nicht länger zurückgelehnt auf ihrem Sitz, sondern sitzt mit geradem Rücken da, die Hände auf den Armlehnen. Dies ist nicht das erste Mal, dass sie gefangen genommen wird, und sie muss sich mental vorbereiten. Jeder Muskel ist angespannt, ein Fuß tippt neben der Tasche mit dem nunmehr völlig vergessenen Strickzeug auf den Boden. Ihre Augen blitzen gefährlich, und ihre Lippen formen eine schmale Linie.

So oder so – Vi Moradi wird einen Weg finden zu überleben.

2

AN BORD DER ABSOLUTION

Der ramponierte Sternhüpfer gleitet in den Hangar der Absolution und setzt sanft auf dem Deck auf. Das Schiff ist klein, gerade groß genug für einen Piloten, einen Droiden, und einen Hyperantrieb, und im Bauch des Kriegsschiffes wirkt es so winzig wie ein Kinderspielzeug oder gar ein Insekt. Und genau so fühlt sich Vi – wie ein winziges, unbedeutendes Insekt, umgeben von viel größeren, viel gefährlicheren Raubtieren. Ihr wird kalt, und sie fragt sich, ob dieses sterile schwarz-weiße Deck das Letzte ist, was sie jemals sehen wird – ob sie sich in die Reihe der vermissten Piloten einreihen wird, die von der mysteriösen Ersten Ordnung verschlungen wurden.

Für den Fall, dass es ihr doch gelingt, den Widernissen zu trotzen und einen Ausweg aus dieser Situation zu finden, zählt sie alles, was sie sieht, und speichert es in Gedanken ab: Hunderte von TIE-Jägern, Truppentransporter, Speeder, sogar ein paar Läufer. Generalin Organa wird erfreut sein zu erfahren, mit welcher Feuerkraft sie es in diesem neuen Kampf zu tun bekommen wird. Man verrät Vi immer nur, was sie unbedingt wissen muss, um ihre Mission zu erfüllen, aber angesichts der Informationen, für die man sie bereits bezahlt hat, ist ziemlich offensichtlich, dass der Widerstand jedes bisschen Hilfe braucht, das er kriegen kann. Und wenn Vi an ihre hoffnungslosen Aussichten denkt, dann kann sie ebenfalls jedes bisschen Hilfe brauchen.

Sturmtruppen umzingeln ihren Sternhüpfer mit erhobenen Blastern, aber es ist ihr Anführer, der Vis Aufmerksamkeit auf sich zieht. Natürlich hat sie schon zuvor Truppler gesehen, aber nie so einen wie ihn. Seine grellrote Rüstung stellt eine seltsame Variation der normalen Sturmtruppen-Uniform dar, und im Gegensatz zu den anderen in ihrem klinischen Weiß verleiht die blutig-brutale Farbe ihm einen Hauch des Bedrohlichen. Ein Umhang aus blasterfestem Panzerstoff fällt von seiner Schulter, und neben ihm schwebt ein runder schwarzer Droide in der Luft. Aber selbst falls der Kerl genauso aussehen würde wie die anderen Soldaten – und selbst falls sie nicht wüsste, wer er ist –, würde sie sofort erkennen, dass sie jemand von Bedeutung vor sich hat. Ein normaler Frontsoldat könnte nie diese Art von Selbstbewusstsein und Konzentration ausstrahlen. Vi starrt ihn an, während einer seiner Männer die Luke des Schiffes öffnet und mit seinem Blaster auf ihre Brust zielt. Sie hat einen nervösen, aber trotzigen Gesichtsausdruck aufgesetzt, wie man ihn von einer Schmugglerin erwarten kann, die gerade von feindlichen Truppen aufgegriffen wurde.

»Aussteigen«, befiehlt der rote Sturmtruppler.

Sie zögert einen Moment, die Finger um die Armlehnen gekrallt, ehe sie schließlich aus dem Sternhüpfer klettert und auf das Deck des Sternzerstörers hinaustritt.

»Hände auf den Kopf.«

Sie kommt seiner Aufforderung nach … aber nur, um im Gegenzug ihn auf die Probe zu stellen.

»Was sollen Sie denn darstellen?«, fragt Vi. »Den großen, roten Knopf? Die Notfallbremse?«

Er ignoriert ihre spöttische Bemerkung und legt ihr Handschellen an. »Aus welchem Grund sind Sie in diesem Sektor?«

»Aus demselben Grund wie Sie. Ich genieße die Ruhe. Oder zumindest habe ich sie genossen. Hören Sie, ich bin eine freie Händlerin, meine Dokumente sind in Ordnung, ich habe mit niemandem Streit. Also, was sollen die Blaster?« Gege piepst alarmiert, und als Vi sich herumdreht, sieht sie zwei Sturmtruppler, die das Cockpit durchsuchen. »Und warum mischen diese Kerle meinen Droiden auf?« Einer der Truppler zerrt ihr Strickzeug aus der Tasche, und der halbe Pullover löst sich auf, als er mit seinen klobigen Handschuhen nach Waffen sucht. »He, Gefreiter Freundlich! Wissen Sie, wie lange ich dafür gebraucht habe? Sie können nicht einfach in jemandes persönlichem Besitz herumwühlen. Wer seid ihr Kerle überhaupt?«

»Ruhe«, sagt der Anführer.

»Ich habe Ihnen eine Frage gestellt. Wer seid ihr?«

Er macht einen Schritt nach vorne, und drückt Vi seinen Blaster in den Bauch. »Ich habe hier das Kommando. Und das bedeutet, dass ich hier die Fragen stelle.«

»Aber ist das Imperium nicht gefallen?«

Er lacht. »Wir sind nicht das Imperium – und das wissen Sie auch.«

»Sir«, ruft einer der Truppler aus dem Cockpit. »Wir haben die Logbücher. Sie hat zuletzt die Planeten Arkanis, Coruscant und Parnassos besucht.«

Erneut rammt sich der Blaster in ihren Bauch. Das gibt bestimmt einen blauen Fleck. Einer dieser drei Planeten muss ihn stutzig gemacht haben, aber welcher? Das dicht bevölkerte Coruscant kann es nicht gewesen sein. Bleiben noch Arkanis und Parnassos. Beide Welten bergen viele Geheimnisse der Ersten Ordnung, und beide haben sonst nicht viel zu bieten. Jetzt ist Vi sicher, dass man sie nicht gehen lassen wird. Zum Glück hat sie den Sternhüpfer erst zwei Sprünge nach D’Qar gekauft, also gibt es wenigstens einen Planeten, von dem diese Monster nicht erfahren werden. Aber so misstrauisch die Kerle jetzt auch sein mögen, Vi muss sich weiterhin normal verhalten, was in diesem Fall bedeutet: Sie muss streitlustig sein. Nur weil sie weiß, wer der rote Truppler ist, heißt das nicht, dass er auch weiß, wer sie ist.

»Was Sie hier tun, ist illegal«, ruft sie den Truppen zu, die den Sternhüpfer auseinandernehmen. »Das ist mein Schiff.«

»Jetzt nicht mehr. Sobald ihr das Schiff durchsucht habt, bringt den Droiden zur Demontage und kehrt dann auf eure Posten zurück«, befiehlt der Anführer seinen Soldaten. »Ich werde mich persönlich um das Verhör kümmern.«

»Persönlich, hm?«, kommentiert sie.

Er wirbelt sie herum und rammt ihr den Blaster in den Rücken – eine angenehme Abwechslung nach den Stößen in ihren Bauch. »Los. Ich weiß, dass Sie zum Widerstand gehören, Spionin Vi Moradi, und ich werde nicht zögern, Sie zu erschießen.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich bin nur eine einfache Händlerin, und das hier wird meinem Chef ganz sicher nicht gefallen.«

»Sie meinen wohl, Ihrer Chefin.«

Ihr Herz schlägt schwerer. Er weiß Bescheid. Fast kann sie seinen Finger am Abzug spüren. Wie gerne er jetzt abdrücken würde. Schweiß rinnt an Vis Rücken hinab, während sie ihn über die Schulter anblickt. Sie hatte gehofft, dass das hier nur eine willkürliche Kontrolle wäre, eine Schikane, wie sie so typisch für die Erste Ordnung ist. Sie sehen ein Schiff, wo keins sein sollte, also ziehen sie es rein und drangsalieren die Besatzung. Aber falls er ihren Namen kennt, falls er weiß, für wen sie arbeitet – was könnte er dann noch wissen?

Der rote Truppler blickt zum Kontrollraum hoch, und fast wirkt er nervös dabei. Als er Vi mit dem Blaster anstößt, setzt sie sich in Bewegung.

»Vorgesetzte können in der Tat ein Problem sein«, sagt er. »Und jetzt los.«

Vi wurde ausgebildet, sich jedes Detail einzuprägen, wenn es darauf ankommt, aber in dem Labyrinth von Biegungen und Kreuzungen im Bauch des riesigen Sternzerstörers kann sie nicht mehr folgen. Lange Korridore enden und überschneiden sich, Turbolifte führen nach oben und unten – es ist unmöglich, sich ihre Route zu merken. Bilder eines solchen Schiffes zu sehen ist eine Sache, aber die Ausmaße wirklich zu begreifen, das ist etwas völlig anderes. Der Mann in Rot führt sie zu einem weiteren Aufzug und stellt sich so vor die Kontrolltafel, dass Vi nicht sehen kann, auf welche Ebene sie fahren.

»Zu mir oder zu Ihnen?«, fragt sie. Vielleicht kann sie ihn so weit provozieren, dass er zur Seite tritt.

Doch der rote Sturmtruppler bleibt stumm. Sein Gewehr ist unablässig in irgendeinen weichen Teil ihres Körpers gepresst, und der runde Droide schwebt noch immer an seiner Seite.

Ihre Lederjacke verfügt über eingenähte Schutzplatten, aber einen tödlichen Schuss aus nächster Nähe können auch sie nicht abhalten. Nur wird er sie nicht erschießen, da ist Vi sicher. Mitspielen muss sie aber trotzdem. Als sie langsam beginnt, die Arme zu senken, klickt er mit der Zunge.

»Tsk. Hände auf den Kopf, Abschaum. Sie wissen, wie das läuft.«

Der Blaster drückt gegen ihre Niere, und ihre Arme schießen wieder in die Höhe. »Hören Sie, ich bin kein Abschaum. Ich weiß nicht, wofür Sie mich halten, aber ich bin wirklich nur eine Händlerin. Na schön, vielleicht schmuggle ich ab und an ein paar Kisten, aber wer tut das nicht? Außerdem verstoße ich damit doch nur gegen die Gesetze der Neuen Republik. Oder bin ich etwa in der Zeit zurückgereist? Sollte ich nicht in einer Zelle sitzen, damit irgendein leichenblasser Bürokrat mit einem lustigen Hut mir die Leviten liest?«

Die Lifttüren gleiten auf, und er stößt sie in einen Korridor hinaus, der geradezu aus einem Kerker stammen könnte. Weiter oben sind sie niemandem begegnet, was vermutlich daran liegt, dass der Truppler in Rot die strengen Dienstpläne genau kennt und sein Droide ihm den Weg freigeräumt hat. Aber hier unten … nun, hier unten ist augenscheinlich niemand. Außer vielleicht Leute, die Dinge tun, bei denen sie keine Zeugen haben wollen.

Die gedämpfte Beleuchtung flackert, und irgendwo tropft etwas von der Decke; vielleicht Kondenswasser aus dem Lüftungssystem. Sie müssen sich tief in den Eingeweiden des Sternzerstörers befinden, in einem Bereich, in dem der Zutritt ohne spezielle Autorisierung verboten ist. Und für Vi ist das ein schlechtes Zeichen. Sogar die Erste Ordnung hat Regeln, und der Truppler in Rot bricht sie gerade. Falls er sie hier tötet, kann er sich den lästigen Datenkram sparen; dann wäre sie einfach weiterer Ballast, der durch einen Müllschacht in die Verbrennungsanlage hinabbefördert wird.

Großartig. Der Widerstand weiß nur wenig über seinen neuen Feind, und die Neue Republik betrachtet die Erste Ordnung nicht als Bedrohung. Folglich konnte Vi niemand erklären, welchem Protokoll diese Leute im Normalfall folgen. Sie hat keine Ahnung, was sie erwartet. Natürlich wurde sie ausgebildet, um Verhören standzuhalten, aber wer weiß, welche Spielzeuge diesem Kerl in Rot zur Verfügung stehen. Ein Schauer rinnt über ihren Rücken. Vielleicht hat sie sich doch übernommen.

»Ich sehe, man hat sie im besten Teil des Schiffes untergebracht, Notbremse?«, sagt sie, weil sie immer zu plappern anfängt, wenn sie nervös ist. »Wirklich exklusiv. Gibt es hier auch Zimmerservice?«

Der Blaster drückt weiter gegen ihre Wirbelsäule. Der Kerl gibt ihr Anweisungen – hier rechts, hier links –, reagiert aber nicht auf ihre Sticheleien. Schließlich tippt er einen langen Code in ein Bedienfeld an der Wand ein, und eine Tür gleitet auf, wenn auch längst nicht so perfekt, wie man es auf einem offensichtlich neuen Schiff erwarten würde. In dem Raum dahinter ist es kälter als auf dem Gang, und es riecht nach Feuchtigkeit, Metall und – kein Grund, es zu leugnen – nach Blut. Der runde Droide huscht als Erster nach drinnen und schaltet die Kameras ab, eine nach der anderen. Vi bleibt an der Schwelle stehen, aber diesmal berührt der Sturmtruppler sie persönlich: Er schubst sie grob mit seiner behandschuhten Linken nach vorne, und sie stürzt auf die Knie. Als sie sich mit den Händen abstützt, krümmen sich ihre Finger um ein rostiges Bodengitter.

»Aufstehen.«

»Sie wissen wirklich, wie man eine Frau behandelt.«

Er packt ihren Jackenkragen und zerrt sie auf die Füße hoch, dann wirbelt er sie herum, sodass sie nach hinten gegen die Wand taumelt. Den Rücken gegen das kalte Metall gepresst, blickt sie sich um. Der Raum ist klein, vielleicht drei mal vier Meter, und es ist offensichtlich, dass er nur einem einzigen Zweck dient: Verhören. Na schön, vielleicht erfüllt er noch einen zweiten Zweck, wenn man Folter mitzählt. Oh, und einen dritten, denn Vi ist sicher, dass sie hier drinnen sterben wird, falls sie nicht mit Informationen über den Widerstand herausrückt. Dominiert wird der Raum von einem Verhörstuhl; der Rest der Einrichtung beschränkt sich auf einen schmucklosen Tisch und zwei klapprige Metallstühle – die bösen Jungs brauchen schließlich einen Platz, wo sie sich hinsetzen und an einer Tasse Kaff nippen können, während ihr Opfer ausblutet.

»Ich hoffe, das Bett ist frisch gemacht.«

Er schüttelt den Kopf, als wäre er enttäuscht, dann greift er nach den Aufschlägen ihrer Jacke und zerrt sie zum Verhörstuhl hinüber. Man nennt es zwar einen Stuhl, aber eigentlich ist es eher eine aufrecht stehende Liege, mit Metallklammern für Kopf, Brust und Handgelenke sowie einer Platte, auf der man steht. Als Teil ihrer Ausbildung hat Vi Dutzende Bilder solcher Folterinstrumente studiert, von Modellen aus den Tagen der imperialen Inquisitoren bis hin zu moderneren Einheiten, wie sie auch heute noch für die Hutten und andere Kriminelle hergestellt werden, die zu viel Geld haben und an Informationen herankommen wollen, ohne sich die schleimigen Hände schmutzig zu machen. Diese Einheit verfügt sogar über lebenserhaltende Systeme und eine Hirnsonde, wie Vi unglücklich feststellt. Das bedeutet, ihr Folterknecht kann theoretisch auf eine Befragung verzichten und gleich ihr Bewusstsein anzapfen. Sie wurde ausgebildet, Fäusten und Waffen zu trotzen, aber wie man einem direkten Angriff auf das Nervensystem standhält, das hat noch niemand herausgefunden. Zum ersten Mal überhaupt wandern ihre Gedanken zu dem Giftzahn hinten links in ihrem Kiefer, und sie fährt mit der Zunge über das Implantat, während der Truppler die metallenen Klammern um ihre Arme und ihren Oberkörper schließt.

Noch will sie nicht draufbeißen. Noch gibt es vielleicht einen anderen Ausweg. Falls sie überlebt, würde ihr Wissen den Widerstand einen großen Schritt weiterbringen. Leia könnte sich ein besseres Bild davon machen, gegen wen sie eigentlich kämpfen, und nicht nur, was ihre Truppenstärke und Technologie angeht, sondern auch ihre Einstellung. Aber das bedeutet, dass sie einen Weg finden muss, dieses Verhör geistig und körperlich intakt zu überstehen. Und das wiederum bedeutet, dass sie aufhören muss, nur an ihre eigene Notlage zu denken. Zeit, sich auf ihren Feind zu konzentrieren und herauszufinden, wie er tickt.

Zum Glück weiß sie mehr über ihn als er über sie.

Nachdem er sie festgeschnallt hat, überprüft er den Monitor, der ihre Biowerte anzeigt. Sein Finger tippt auf den Bildschirm.

»Ihr Herzschlag ist erhöht«, stellt er fest.

»Nun, wenn man an einen Folterstuhl gefesselt wird und in jemandes getrocknetem Blut steht, scheint mir das eine ziemlich natürliche Reaktion.«

»Sie verbergen etwas.«

»Wer nicht?«

Sein roter Helm legt sich schräg, nur eine Winzigkeit – in diesem Punkt gibt er ihr wohl recht. Während sie ihn beobachtet, geht er am Rand des Raumes entlang und überprüft noch einmal die Kameras, die sein Droide deaktiviert hat, außerdem nimmt er in Augenschein, was Vi für das Kommsystem hält. Der Droide hängt unheilvoll über seiner Schulter, und er bewegt sich langsam, als wolle er ganz sichergehen.

Das hier ist nicht offiziell genehmigt.

Der Kerl handelt auf eigene Faust.

Und er will nicht, dass jemand dabei zusieht.

Es wird keine Unterbrechungen geben, keine Galgenfrist.

Das ist nicht die Art, wie die Erste Ordnung normalerweise verfährt.

»Dann ist das hier also etwas Persönliches«, stellt Vi fest.

»Wir werden sehen. Es liegt ganz bei Ihnen; wir können das hier auf die einfache Art machen, oder auf die harte.«

Vi windet sich, um ihre Fesseln zu testen. »Die einfachste Methode wäre, mich gehen zu lassen. Sie können mich durchsuchen, so gründlich sie wollen, ich habe nichts Wertvolles bei mir. Sollen ihre Leute mein Schiff ruhig auseinanderschrauben und meinen Droiden zerlegen und meinen Pullover auftrennen – sie werden nichts finden. Sie können auch den ganzen Tag in meinem Gehirn herumstochern. Ich weiß nicht, für wen Sie mich halten, aber Sie irren sich. Ich bin nur eine harmlose Händlerin, die hier zufällig vorbeigeflogen ist.«

Er steht jetzt vor ihr, die Beine gespreizt, die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Blaster steckt im Holster an seiner Hüfte, rot und glänzend. Die Finger in dem roten Handschuh tippen gegen den Griff der Waffe – eine weitere Warnung. Hier drinnen gibt es nur sie beide und den Droiden. Da könnte alles Mögliche passieren.

»Sie sind Vi Moradi, Codename Starling, eine bekannte Spionin des Widerstands. Sie haben Informationen, die ich brauche.«

»Und Sie sind der große rote Knopf. Was passiert, falls ich ihnen gegen die Brust tippe? Geht dann irgendwo das Licht an? Oder explodiert etwas?«

»Sie leugnen es nicht?«

Wäre sie nicht gefesselt, würde sie mit den Schultern zucken. »Sie haben die Hand an der Foltermaschine. Sie bestimmen, was wahr ist und was nicht.«

»Sie waren auf Parnassos.«

Vi ist zu gut ausgebildet, um zu grinsen. »Na und? Was ist so besonders an Parnassos?«

Der Truppler mustert sie. »Nichts. Genau darum geht es. Jetzt sagen Sie mir, was Sie über Captain Phasma wissen.«

3

AN BORD DER ABSOLUTION

Vi Moradi beherrscht ihren Job, also legt sie nur den Kopf schräg und runzelt die Stirn.

»Wer?«

Ihr Folterknecht sagt nichts, was darauf hindeutet, dass er wütend ist; er tritt hinter sie und strafft ihre Fesseln. Anschließend schiebt er etwas über ihren Kopf, das ihre Ohren streift. Vi will gerade einen schnippischen Kommentar abgeben, da durchzuckt sie ein Stromschlag, und jedes Haar an ihrem Körper stellt sich auf. Anstatt nachzulassen, wandert der elektrische Stoß weiter ihre Wirbelsäule entlang; er brennt sich durch ihre Nerven, bis in ihre Finger- und Zehenspitzen. Vis Zähne pressen sich schmerzhaft zusammen, und es dauert einen langen Moment, ehe es ihr gelingt, ihre Kiefer voneinander zu lösen.

»Das ist nicht die stärkste Einstellung«, erklärt der Truppler, während er sich wieder vor sie stellt. »Eigentlich ist es noch eine der schwächeren. Lediglich ein Vorgeschmack, falls Sie so wollen.« Er hält eine Fernbedienung in der großen, behandschuhten Rechten. Vi kann die Kontrollen darauf nicht erkennen, aber eigentlich möchte sie das auch gar nicht. Schmerz ist leichter auszuhalten, wenn man nicht weiß, was als Nächstes kommt.

»Ja, es hat ein wenig gekitzelt.« Die Worte kommen undeutlich über ihre Lippen; ihr Kiefer ist noch immer verspannt.

Er erhöht die Spannung, und jeder Muskel in Vis Körper verkrampft. Es fühlt sich an, als würden ihre Knochen in Flammen stehen, und ihre Augen rollen in den Höhlen nach oben, wo sie ihre persönliche Galaxis aus explodierenden Sternen sieht, ganz anders als die gemütliche Sicherheit des Hyperraums.

Als der Stromstoß nachlässt, hebt Vi den Kopf, um den Truppler anzublicken. Dort, wo das Metallband auf ihrer Stirn aufliegt, fühlte ihre Haut sich verbrannt an. Ihr Kiefer zittert, so viel Anstrengung kostet es sie, die Zähne wieder auseinanderzubringen. Zunächst fühlt es sich seltsam an zu sprechen, und sie gewinnt nur allmählich die Kontrolle über ihre Zunge zurück.

»Ich weiß nichts. Über niemanden.«

Ihr Folterknecht sagt nichts. Er versetzt ihr nur einen weiteren Stromschlag, wobei er die Spannung noch ein wenig erhöht. Sie hat keine Ahnung, wie weit er den Strom aufdrehen kann oder wann ihr Körper bleibende Schäden davontragen wird. Die Elektrizität brennt sich durch ihren Körper, und alles, was sie tun kann, ist, es zu erdulden. Sterne, Hitze, Zittern, Schmerzen in ihrem Kiefer, Schmerzen hinter ihren Augen. Als sie wieder klar sehen kann, betrachtet sie den Truppler zwischen halb geschlossenen Wimpern hervor. Er wirkt ruhig, aber seinen Bewegungen haftet etwas Verzweifeltes an. Der Kerl scheint wenig Erfahrung mit dieser Art Folter zu haben; vielleicht hat er so etwas noch nie getan. Und sein Droide kann auch keine Verhöreinheit sein, andernfalls hätte er längst die Gehirnsonde eingesetzt.

Vi weiß, in den Tagen des Imperiums war das imperiale Sicherheitsbüro in der Lage, aus jedem Informationen herauskitzeln; man musste schon die Macht beherrschen, um ihren Methoden zu widerstehen. Aber dieser Kerl? Er hat keine Ahnung, was er eigentlich tut. Und das bedeutet, er könnte sie töten, ohne dass er es überhaupt merkt.

»Was wissen Sie über Captain Phasma?«, blafft er erneut. »Ich weiß, dass Sie auf Parnassos waren, und ich weiß, wer Sie geschickt hat. Ich weiß, dass Sie Informationen über Phasma sammeln sollten. Und jetzt werden Sie mir alles verraten, was Sie herausgefunden haben. Reden sie!«

Ja, als müsste er sie nur anbrüllen, um ihren Willen zu brechen. Aber zu einem Verhör gehören immer noch zwei.

Vi weiß jetzt, dass er sie durchschaut hat. Sie muss ihm etwas geben, andernfalls wird er sie brechen – und zwar schon sehr bald.

Er verpasst ihr zwei weitere Stromschläge, dann zieht er ihren herabhängenden Kopf an den Haaren nach oben. Sie spuckt Blut von ihrer aufgebissenen Zunge auf seine Stiefel, und starrt den Fleck auf dem makellosen Plastoid an. Die Stiefel entsprechen nicht wirklich dem Rotton des Blutes, auch wenn vermutlich Brendol Hux das gefallen hätte.

»Phasma«, grollt er. »Raus mit der Sprache, oder es wird noch viel schlimmer.«

Vi blickt durch einen roten Dunst zu ihm hoch. In ihrem Kopf ist alles durcheinandergewirbelt, es fühlt sich an, als wäre sie betrunken. Hat er die Gehirnsonde aktiviert, ohne dass sie es gemerkt hat? Oder ist gar keine moderne Technologie nötig? Sind es die intensiven Schmerzen, die sie plötzlich redselig machen

»Ich soll Ihnen von Phasma erzählen? Das können Sie haben. Wenn Sie wüssten, was ich für Geschichten über sie gehört habe!«

Ihr Folterknecht setzt sich auf einen der Stühle und verschränkt die Arme.

»Also gut, erzählen Sie mir eine dieser Geschichten, und dann sehen wir ja, wie es weitergeht.«

Vi lächelt schwach.

»Gerne. Eine Geschichte. Ich werde es Ihnen genau so erzählen, wie eine Frau namens Siv es mir erzählt hat. Mein Gehirn funktioniert im Moment vielleicht nicht richtig, aber ich habe ein gutes Gedächtnis. Deswegen bin ich auch so eine gute Spionin.«

Er legt die Fernbedienung auf den Tisch.

Und Vi beginnt zu erzählen.

4

ZWÖLF JAHRE ZUVOR AUF PARNASSOS

Die Geschichte beginnt mit einem Mädchen namens Siv. Sie gehörte zu einer Gruppe von ungefähr fünfzig Personen, die in einer Region von Parnassos zusammenlebten, welche sie das Scyre nannten. Die Scyre-Bewohner wussten zwar, dass ihr Planet einst dicht bevölkert und voll blühender Technik gewesen war, aber sie wussten auch, dass eine gewaltige Katastrophe die Welt heimgesucht und nahezu unbewohnbar gemacht hatte. Eingerahmt wurde das Scyre auf einer Seite von einem immer höher steigenden Meer und auf der anderen Seite von einem unbekannten Ödland voll gezackter Felsnadeln. Der einzige Boden, den Siv und ihr Volk kannten, war trockener Fels, und Nahrung und Wasser waren stets Mangelware. Meist aßen sie getrocknetes Meeresgemüse und Fleisch – salzige Kreaturen aus den Gezeitentümpeln, tote Wesen, die an die Felsküste gespült wurden, und gelegentlich auch kreischende Vögel, die ihre Nester und Eier geschickt versteckten. Hin und wieder trug das Meer ein Überbleibsel der Zivilisation an die zerklüfteten, schwarzen Klippen: einen alten Datenblock oder ein Stück Recycla-Netz. Natürlich horteten sie das alles, aber da sie keine Schrift mehr beherrschten, konnten sie nicht viel mehr tun, als zu hoffen, dass sie eines Tages zu dem Überfluss und dem Komfort zurückkehren würden, den ihre Vorfahren gekannt hatten.

Siv sagte, ihr liebster Ort wäre eine alte Höhle, die Nautilus, die einst trocken und sicher gewesen war, nun aber die meiste Zeit unter Wasser lag. Alle paar Tage, wenn die Flut zurückging, suchten die Scyre-Bewohner in dieser Höhle Erholung. Sie hielten Rituale ab und pflegten ihre zusammengetragene Sammlung aus defekter Technologie, Waffen und anderen Überresten der Vergangenheit, welche sie sorgfältig in geheimen Tunneln aufbewahrten. Die Nautilus war der Grund, warum die Scyre ihr Territorium so entschlossen verteidigten, wann immer die grausame See oder die benachbarten Banden gegen ihre Heimat vorrückten. In einer gefährlichen Welt bot die Nautilus ein Gefühl der Sicherheit. Doch dann, eines Nachts, geschah etwas Schreckliches.

Es begann mit einem Schrei, und Siv schreckte kampfbereit aus dem Schlaf hoch. Sie war damals noch jung, ungefähr sechzehn, aber bereits eine tödliche Kriegerin. Mit dem Messer in der Hand sprang sie auf die Füße und durchsuchte die Höhle nach einer Bedrohung, während ihre Augen sich noch an die Dunkelheit gewöhnten. Die gesamte Gruppe hatte friedlich auf ihren Paletten geschlafen, die um die Mitte der Höhle herum angeordnet waren. Dort brannte unter einem Loch in der Decke – das hoch zu den Klippen führte – ein Lagerfeuer. Da sie ein junges, gesundes Mitglied der Gruppe war, befand sich Sivs Schlafplatz weit vom Licht und der Wärme der Flammen entfernt, dennoch hatte sie keine Mühe, den Ursprung des Schreis zu finden.

Ihr Anführer, Egil, lag dicht neben dem Feuer und rang keuchend um Atem. Ein jüngerer Mann, Porr, stand über dem ergrauenden Krieger. Blut tropfte von seiner Klinge, und seine ebenfalls bewaffneten Freunde standen bedrohlich grinsend neben ihm.

»Egil ist tot«, rief Porr, bevor er sein Messer wegsteckte – eine krude Waffe, die einmal eine rostige Säge gewesen war. »Er war zu alt, um zu herrschen. Jeden Tag wurde er langsamer. Ich führe euch jetzt. Siv, bring die Detraxoren und entzieh ihm seine Essenz, damit er unser Volk auch im Tod beschützen kann.«

Siv sah erst auf die Tasche hinab, die sie stets bei sich trug, dann ließ sie den Blick durch die Höhle schweifen, um abzuschätzen, wie die anderen auf den Machtwechsel reagierten. Sie brauchte nur einen Moment, um die Situation einzuschätzen. Ihre Freunde schoben sich in Position, und sie wusste, dass sie ihnen mehr Zeit verschaffen musste.

»Egil ist nicht tot. Ich werde die Detraxoren nur benutzen, wenn es keine Hoffnung mehr gibt. Das weißt du doch.«

»Er wird gleich tot sein. Komm her und bereite sie vor. Oder, noch besser, zeig mir, wie man sie benutzt. Als neuer Anführer werde ich das Ritual übernehmen.«

Als sie das hörte, zückte Siv ihre zweite Klinge und nahm eine kauernde Haltung ein. Sie war weder groß noch muskulös, aber sie war als gute, schnelle Kämpferin bekannt, und sie konnte mit ihren beiden geschwungenen Sicheln umgehen, die aus alten, geschärften Landwirtschaftswerkzeugen bestanden. Das sorgsam gepflegte Metall blitzte im schwachen Licht des Feuers, und sie fletschte die Zähne.

»Das Detraxieren ist ein heiliges Ritual, das von meiner Mutter an mich weitergegeben wurde, wie ich es eines Tages an meine Tochter weitergeben werde«, erklärte sie Porr. »Du kannst die Maschinen nicht einfach benutzen, und das war’s dann. Man muss sie pflegen und ölen. Man muss die richtigen Gebete sprechen, während man die Essenz des Toten entzieht und die Orakelsalbe herstellt. Ohne die Detraxoren und ohne die Salbe, die unsere Haut schützt und unsere Wunden heilt, wird unsere gesamte Gruppe sterben. Ein guter Anführer versteht diese Dinge.«

Porr schnaubte und machte einen Schritt auf sie zu. Er war schon immer ein Tyrann gewesen, und Siv würde lieber sterben, als ihm die Detraxoren zu geben. Aber zum Glück kam es nicht so weit. Der Plan, dessen Anfänge sie zuvor gesehen hatte, geriet nun in Bewegung. Ein junger Mann namens Keldo meldete sich aus der Menge zu Wort.

»Porr, das ist nicht unser Weg. Den Anführer zu töten ist verboten, es sei denn, eine Herausforderung zum Zweikampf wird ausgesprochen und angenommen.«

Alle Köpfe drehten sich herum und richteten den Blick auf den Sprecher. Die meisten Mitglieder der Gruppe standen inzwischen, aber Keldo blieb sitzen. Er hatte als Kind den unteren Teil eines Beines verloren, aber er war zäh genug gewesen, um im Scyre zu überleben, und heute wurde er für seine weisen Ratschläge und seine schlauen Ideen geachtet.

Porr lachte hämisch. »Oh, du willst mich aufhalten?«

In der folgenden Stille füllte eine kräftige Stimme die Höhle, aber sie gehörte nicht Keldo.

»Ich werde dich aufhalten.«

Eine hochgewachsene Gestalt in voller Kampfrüstung trat vor den mordenden Usurpator.

Es war Keldos Schwester, Phasma.

Mit ihren mehr als zwei Metern Größe zog sie alle Blicke auf sich, außerdem trug sie ihre Kriegsmaske – ein rostrotes Schreckensbild aus gehärteter Robbenhaut, bemalt mit schwarzen Linien und umgeben von Federn und Fell. Über den Augenlöchern wölbte sich schützendes Drahtgeflecht, das sie aus einem Wrack geborgen hatte und das sie noch weniger wie einen Menschen aussehen ließ. Sie erinnerte mehr an ein Monster aus einem Albtraum. Die Spitzen ihrer Handschuhe und Stiefel waren zudem mit Kletterkrallen besetzt, wie man sie brauchte, um die Felsen und Gesteinsnadeln draußen zu erklimmen oder um rivalisierende Kriegsbanden zu bekämpfen. Und während sie so dastand, in Leder gehüllt war, mit ihrer Maske und ihren Krallen, trug der Mann ihr gegenüber nur sein Schlafgewand. Wenn man die beiden so sah, wirkte Porr schrecklich klein und schwach. Er hatte für sein Attentat ganz bewusst eine Nacht gewählt, in der Phasma draußen Wache hielt, aber er hatte einen fatalen Fehler begangen.

»Halt dich da raus, Phasma. Dein Bruder hat keinen Nutzen für die Gruppe, und das weißt du. Jetzt, wo ich herrsche, wirst du meine rechte Hand sein. Aber erst musst du vor mir knien.«

Phasma schüttelte den Kopf. »Du wirst nie über mich herrschen.«

In stummer Zustimmung trat eine Gruppe von Kriegern neben sie. Selbst in ihren Schlafgewändern wirkten sie absolut mörderisch. Diese jungen Kämpfer waren Phasma loyal ergeben, und sie waren alle bereit, auf ihren Befehl hin Vergeltung zu üben.

Siv gehörte ebenfalls zu ihnen. Die Detraxoren-Tasche hatte sie mit einem dankbaren Lächeln Keldo in die Hand gedrückt, wohl wissend, dass diese überlebenswichtigen Werkzeuge bei ihm sicher wären. Während sie nun in Position ging, schimmerte das Licht des Feuers auf ihrer dunklen Haut, und sie war froh, dass sie ihre langen Filzlocken mit einem Lederstreifen nach hinten gebunden hatte – so würde sie im Kampf beweglicher sein.

Am dichtesten neben Siv stand Torben, ein groß gewachsener Hüne mit brauner Mähne, buschigem Bart, sonnenverbrannter Haut und hellgrünen Augen. Er war von Natur aus gutmütig und lächelte selbst jetzt, während er seine mit Dornen besetzte Keule und seine gewaltige Axt in den Händen hielt, aber der größte Mann unter den Scyre war auch immer für einen Kampf zu haben. Neben ihm hatte sich sein bester Freund aufgebaut, Carr, ein langgliedriger, geistesgegenwärtiger Bursche mit goldener Haut, sonnengebleichtem Haar und Sommersprossen. Niemand im Scyre konnte zielgenauer Messer werfen, außerdem hatte er stets einen witzigen Spruch parat, doch im Moment wirkte er todernst. Carr hielt zwei Messer an den Klingenspitzen und suchte die Höhlen nach weiteren Gegnern ab, die sich gegen Phasma stellen wollten. Auf Sivs anderer Seite stand Gosta, ein agiles, flinkes Mädchen, das vorspringen, einem Feind den Bauch aufschlitzen und wieder außer Reichweite zurücktänzeln konnte, bevor ihr Opfer umkippte. Sie war stämmig, hatte mittelbraune Haut und lockiges schwarzes Haar, und war nur ein paar Jahre jünger als Phasma, die sie wie eine Fleisch gewordene Göttin verehrte.

»Ich kann es kaum erwarten, Porrs Kröten ein Messer in den Wanst zu rammen«, murmelte Gosta.

Sie war das einzige Mädchen ihres Alters, gerade erst eine Frau geworden, und Siv war aufgefallen, wie Porr und seine Freunde sie anstarrten. Eigentlich hätte Egil etwas dagegen unternehmen müssen. Aber zumindest in dem Punkt musste Siv Porr recht geben, ganz gleich, wie sehr sie ihn auch hasste: Egil war zu alt und schwach gewesen, um die Gruppe zu führen. Nicht dass er es verdient hatte so zu sterben – auf dem Boden der Nautilus zu verbluten und den Boden der Höhle noch weiter zu beflecken. Aber im Scyre wurden nur die wenigsten fünfunddreißig Jahre alt, und Egil musste inzwischen schon über vierzig sein. Er wurde langsam alt, und alle wussten es.

Die hilflosen Mitglieder der Gruppe zogen sich an die Wände der Höhle zurück und verschmolzen mit den Schatten. Auch das war Teil des Lebens im Scyre: Alle, die nicht zum Krieger taugten, fanden einen anderen Weg, die Gemeinschaft zu unterstützen, indem sie Nahrung, Wasser oder Kleidung suchten, und sie gingen aus dem Weg, wann immer es ums Kämpfen und Sterben ging. Nachdem ihre Krieger ihnen Platz gemacht hatten, begannen Porr und Phasma, einander zu umkreisen, die Waffen angriffsbereit erhoben. Porr schlug zuerst zu. Seine lange Klinge stach nach Phasma, während er in der anderen Hand einen Dolch hielt. Sie war größer und für einen Kampf gekleidet, aber Porr war älter, muskulöser und verzweifelter.

Phasma parierte den Hieb mit ihrem Speer – ein primitives Ding, ganz aus Metall, mit scharfgeschliffener Spitze. Siv hielt ein Auge auf den Kampf gerichtet, und eins auf Porrs Anhänger, die längst nicht so hart oder gut ausgebildet waren wie ihr Anführer. Phasma unterrichtete ihre Krieger persönlich, forderte sie in täglichen Übungskämpfen und brachte ihnen bei, jede Waffe zu benutzen und immer wachsam zu bleiben. Sie folgten ihr nicht, weil sie es verlangte, sondern weil sie ihr eigenes Gravitationsfeld hatte, eine Größe und Tapferkeit, die etwas in den Herzen der anderen berührte und sie anzog. Porr hingegen verlangte von seinen Gefolgsleuten vor allem Aufmerksamkeit und Schmeichelei. Dementsprechend hielten sie sich zurück und warteten auf ein Zeichen ihres Anführers, anstatt von sich aus in den Kampf einzugreifen und das Blatt zu Porrs Gunsten zu wenden.

Porr war schnell mit seinen Klingen, und auf einen Hieb mit der Rechten folgte sofort ein Rückhandschlag mit der Linken. Doch Phasma hatte jahrelang gemeinsam mit ihm unter Egil trainiert; sie kannte seine Bewegungen. Jedes Auge in der Nautilus-Höhle beobachtete gebannt, wie die Duellanten zuschlugen und parierten und ächzten. Das Leben auf Parnassos war hart, und die meisten Kämpfe fanden zwischen rivalisierenden Gruppen statt; dann mussten selbst jene, die keine Krieger waren, zur Waffe greifen, um ihr Land zu verteidigen. Es kam nur selten vor, dass man zwei Kämpfer im direkten Duell sah, und noch seltener war, dass es dabei für die Gruppe nicht um Leben und Tod ging. Siv fand es faszinierend zu beobachten, wie mühelos Phasma Porrs Attacken abwehrte. Schon bald erkannte sie, dass die Kriegerin ihren Gegner mühelos hätte vernichten können, aber aus irgendeinem Grund hielt sie sich zurück. Und dann sah Siv auch, warum.

Porr schrie und fiel zu Boden, aber es war nicht Phasmas Klinge, die ihn getroffen hatte, sondern Keldos. Während alle Porrs Gesicht, Phasmas Maske und die wirbelnden Klingen in ihren Händen angestarrt hatten, war Keldo mit seinem eigenen Messer über den Boden gekrochen. Er hatte die Sehnen an Porrs Knöcheln durchschnitten und dafür gesorgt, dass er den Rest seines Lebens humpeln würde.

Als Porr begriff, was geschehen war, hatte Keldo sich wieder außer Reichweite zurückgezogen, und Phasmas Speer zeigte auf seinen Hals.

»Du hast unser oberstes Gesetz gebrochen«, sagte Keldo. »Wir erheben die Waffe nicht gegen unsere eigenen Leute. Du musst bestraft werden. Du kannst den Scyre mit deinen Händen und deinem Gehirn helfen, wie ich es tue, oder du kannst deine Essenz für den Schutz der Gruppe geben. Die Entscheidung liegt bei dir.«

Porr atmete nun schwer, seine Augen waren groß und rund. Er versuchte aufzustehen, aber es gelang ihm nicht. »Kämpft für mich!«, schrie er seinen Kriegern zu. »Lasst sie nicht gewinnen!«

Aber Porrs Kröten fanden sich nun von Phasmas Anhängern eingekreist. Keiner von ihnen rührte einen Finger, um ihrem einstigen Freund zu helfen.

»Du hast Keldo gehört«, sagte Phasma. »Wähle.«

»Du kannst mich nicht zwingen«, stieß Porr hervor. Phasmas Krieger lachten, ein harscher Laut, der von den Wänden der Höhle zurückgeworfen wurde.

»Und ob sie dich zwingen kann, Freund«, rief Carr. »Aber es wird dir nicht gefallen.«

»Ich helfe«, stammelte Porr. »Nur … bitte, bring mich nicht um. Ruf den Heiler. Ich kann geheilt werden.«

Keldo schüttelte traurig den Kopf. Neben Porr war er der Einzige, der auf dem Boden lag, dennoch strahlte er Selbstsicherheit und Würde aus, während der Krieger zitterte und blutete und weinte. Er war nur ein Jahr älter als Phasma, aber Siv hatte schon lange gewusst, dass er einen großartigen Anführer abgeben würde.

»Wir akzeptieren deine Unterwerfung, aber du weißt selbst, dass solche Wunden niemals heilen«, erklärte Keldo. »Phasma und ich werden die Gruppe nun führen. Du musst einen eigenen Weg finden, den Scyre zu helfen. Jeder, der uns sonst noch herausfordern möchte, soll jetzt vortreten, und wir werden ihn gerecht und im Einklang mit unseren Regeln behandeln, genauso wie Porr.«

Nun, da Porr keine Bedrohung mehr darstellte, drehte Phasma sich zu den Bewohnern des Scyre herum, die vor den Wänden der Höhle standen. Obwohl sie ihre Maske trug, schien sie jedem von ihnen direkt in die Augen zu blicken, während sie ihren Speer aggressiv vorstreckte.

»Dann sind wir jetzt die neuen Scyre«, verkündete Keldo.

»Scyre, Scyre, Scyre!«, skandierte die Gruppe, anfangs noch ganz leise, aber dann immer lauter, bis es einem Donnergrollen glich.

Phasmas Aufmerksamkeit richtete sich auf ihre Krieger, und sie gab ihnen mit einem Nicken zu verstehen, dass sie zufrieden mit ihrer Leistung war.

»Siv, die Detraxoren«, murmelte sie.

Siv holte die Tasche von dort, wo Keldo sie deponiert hatte, und eilte zurück zu Egil. Selbst im Tod leistete jeder noch seinen Beitrag.

»Danke, dass du uns hilfst, Egil«, sagte sie. »Dein Heute schützt das Morgen unseres Stammes. Körper zu Körper, Staub zu Staub.«

Nachdem sie das Gebet gesprochen hatte, zog sie die Maschine aus der Tasche. Der Kolben, die Schläuche und das nadelgleiche Absaugrohr waren bereits mit einem frischen Ledersack versehen und bereit, Egils Körper die Nährstoffe zu entziehen, ohne die die Scyre krank und schwach werden würden. Siv benutzte diese Essenz, um daraus eine ölige Substanz herzustellen, genannt die Orakelsalbe, welche zahlreiche Aufgaben erfüllte. Insbesondere schützte sie vor Regen, Sonne und vielen Krankheiten, wenn man sie auf die Haut auftrug. Mit einer anderen Formel ließ sich aber auch ein Einreibemittel herstellen, welches half, Wunden zu heilen. Für Siv war der Prozess weder grausam noch brutal oder seltsam. Ihre Leute hatten keinen Gott, und das hier kam einer Religion am nächsten. Davon abgesehen würde sie eines Tages selbst an der Reihe sein, ihren Beitrag zu leisten. Und Egil brauchte die Nährstoffe nicht mehr; der ergrauende Anführer, zu dem sie aufgeblickt hatte, war während des Duells ausgeblutet.

Nachdem der Detraxor seine Aufgabe erfüllt hatte, stand sie vorsichtig auf und trug den vollen Lederbeutel zu der Stelle hinüber, wo Phasma stand und ihren Bruder mit einem Arm in die Höhe gezogen hatte. Siv reichte Keldo den Beutel mit einer Verbeugung, und er hielt ihn über seinen Kopf.

»Für die Scyre!«, rief er, und die anderen jubelten.

Die Scyre hatten neue Anführer. Sie mochten jung sein, aber sie waren stark.

Doch keiner in der Gruppe kannte Phasma wirklich. Jedenfalls noch nicht.

5

AN BORD DER ABSOLUTION

Vi leckt sich die trockenen Lippen und blickt ihren Folterknecht an. Wenn sie doch nur sein Gesicht sehen könnte. Natürlich erkennt sie auch so, dass er wütend ist: Er tippt mit der Ferse auf den Boden, und sein Körper ist so angespannt, als könnte er jeden Moment explodieren.

»Nicht, was Sie hören wollten, hm?«

Er schüttelt den Kopf. »Ich brauche nützliche Informationen. Niemanden interessiert, was mit Kindern auf irgendwelchen Hinterwäldlerplaneten geschieht, andernfalls wäre dieses Schiff jetzt leer.«

Es dauerte einen Moment, bis die Worte zu ihr durchdrangen. »Nützliche Informationen. Dann hatte ich also recht. Sie machen hier nicht nur Ihren Job, oder, Notbremse? Das ist was Persönliches. Wirklich persönlich. Haben Sie sich in Phasma verguckt?«

Er schnaubt und legt den Kopf schräg, als würde er kurz nachdenken. Anschließend nimmt er die Fernbedienung in die Hand und dreht den Regler noch weiter auf – so weit, dass ihr Rücken sich krümmt und ihre Fingernägel blutige Sichelmonde in ihre Handflächen bohren. Als es vorbei ist, sackt sie in sich zusammen; wären die Metallklammern nicht, würde sie auf den Boden sinken und schluchzen. Der Geruch von verbranntem Fleisch erfüllt den kleinen Raum und lässt ihren Magen rebellieren. Diesmal dauert es länger, bis sie sich erholt hat, und ihr Folterknecht sitzt währenddessen ruhig auf seinem Stuhl und beobachtet sie.

»Also gut, dann wohl das Gegenteil«, sagt sie schließlich. Sie muss sich räuspern; ihr Hals fühlt sich verkohlt an. »Hören Sie. Sie wollen etwas, ich will etwas, und wir sind hier ganz alleine. Also versuchen wir doch, zu einer Übereinkunft zu gelangen.«

Es kostet sie alle Kraft, den Kopf zu heben und ihm in die … nun, dorthin zu blicken, wo seine Augen sein sollten – in die schwarzen Abgründe seiner Helmlinsen, in denen sie nur die Reflexion ihres eigenen, flehenden Gesichtes sehen kann. Er nickt leicht, geradezu unmerklich, also fährt sie fort.

»Ich weiß alles, was Sie über Phasma wissen möchten.« Vi macht eine bedeutungsvolle Pause und spuckt erneut Blut auf den Boden. Kleine, schwarze Flecken sprenkeln den roten Fleck. Nicht gut. »Alles. Nehmen wir mal an, ich erzählte es Ihnen. Dann würde doch nichts dagegensprechen, dass Sie mich danach gehen lassen, oder, Notbremse?«

Der rote Truppler verschränkt die Arme vor der Brust und denkt darüber nach. Er braucht eine ganze Weile, sodass Vi Gelegenheit hat, ihren keuchenden Atem unter Kontrolle zu bekommen.

»Mein Name ist Cardinal«, sagt er schließlich, und sie muss sich zusammenreißen, um nicht zu grinsen. Sie wusste das natürlich schon, aber ihren Peiniger dazu zu bewegen, dass er etwas Persönliches preisgibt – das ist ein erster Riss im Damm. Falls sie lange genug am Leben bleibt und lange genug weiterredet, findet sie vielleicht eine Schwachstelle in seiner Rüstung. Oder eine Möglichkeit zur Flucht. Oder, besser noch, sie schafft es, ihn zu bekehren. Sie weiß, dass Cardinal normalerweise alles nach Vorschrift macht, aber sie weiß auch, dass ihm die Arbeit mit Kindern wichtig ist; er leitet ein Programm, das Waisenkinder zu Mördern ausbildet. Falls sie ihm verrät, was er über Phasma wissen will, bringt sie womöglich ein paar hässliche Details über die Erste Ordnung in Erfahrung. Aber zunächst einmal muss sie dieses kleine Tête-à-Tête am Laufen halten.

»Wie kommen Sie zu dem Spitznamen Cardinal?«, will sie wissen. »Der Rest der Eimerköpfe hat nur Dienstnummern.«

Er ignoriert die Frage. »Sie wollen eine Übereinkunft? Also gut. Sie erzählen mir alles, was Sie über Captain Phasma wissen. Jedes Detail. Geben Sie mir genug Material, um ihren Ruf in der Ersten Ordnung zu zerstören und sie vor ein Kriegsgericht zu stellen. Dann werde ich erwägen, Sie freizulassen. Aber falls mir nicht gefällt, was ich höre, kommen Sie hier nicht mehr lebend heraus, das sollten Sie wissen.« Der schwebende Droide piepst ein paarmal drängend, und Cardinal fügt hinzu: »Und Sie beeilen sich besser. Meine Geduld ist nicht endlos.«

»Sie müssen einen Zeitplan einhalten, hm?«

Er hebt eine Hand an seinen Helm. »Das geht Sie nichts an. Sie sollten sich besser darauf konzentrieren, mir zu sagen, was ich wissen will.«

Bislang hing Vi schlaff auf dem Verhörstuhl, aufrecht gehalten allein von den Klammern und Fesseln, aber jetzt schafft sie es, ihre Füße auf den Boden zu stemmen und sich aufzurichten. Sie ist deutlich kleiner als Cardinal, aber sie ist stark, und das soll er wissen.

»Falls Sie versprechen, mich gehen zu lassen, sage ich Ihnen alles, was Sie brauchen, um Phasma zu vernichten.«

Er nickt und streckt den Arm vor, als wollte er ihr die Hand schütteln, aber dann fällt ihm wieder ein, dass er sie an eine Folterbank gefesselt hat. Vielleicht kann sie ihn später überzeugen, dass sie harmlos ist und nichts Dummes tun wird, falls er sie losbindet. Cardinal lässt die Hand sinken.

»Einverstanden«, erklärt er. »Aber nur, falls ich die Informationen bekomme, die ich brauche. Also … erzählen Sie mir alles.«

Sie nickt und lacht leise. Er glaubt also, er hat die Kontrolle? Dann ist es Zeit, ihm zu zeigen, dass auch sie Forderungen stellen kann.

»Oh, keine Sorge, Sie sollen bekommen, was Sie wollen.« Sie neigt den Kopf und blickt zu ihm hoch. »Aber es würde helfen, falls ich Ihr Gesicht sehen könnte. Warum nehmen Sie nicht den Helm ab, jetzt, wo wir Freunde sind? Oder haben Sie Angst, ich könnte Sie nicht hübsch finden?«

Ihr harmloses Lächeln scheint ihn zu überzeugen – oder liegt es vielleicht nur daran, dass er sowieso vorhat, sie zu töten, sobald sie ihm alles erzählt hat? In dem Fall erwartet ihn eine Überraschung. Vi weiß nämlich auch ein paar interessante Dinge über ihn. Aber diesen Trumpf will sie fürs Erste noch in ihrem Ärmel lassen.

Nachdem er über ihre Aufforderung nachgedacht hat, überzeugt er sich noch einmal davon, dass die Tür verschlossen ist und die Kameras abgeschaltet sind. Anschließend kehrt er Vi den Rücken zu. Das Erste, was ihr auffällt, als er den roten Helm auf dem Tisch abstellt, ist sein schweißnasses, blauschwarzes, kurzgeschorenes Haar, dann dreht er sich zu ihr herum, und sie blickt in ein überraschend junges Gesicht. Er ist vielleicht vierzig, obwohl die Falten auf seiner Stirn und der distanzierte Ausdruck in seinen dunkelbraunen Augen darauf hindeuten, dass er bereits genug für ein ganzes Leben durchgestanden hat. Seine Haut ist golden, mit Sommersprossen und dunkleren Flecken, wie sie nach Jahren voller Sonnenbrände entstehen. Lachfalten säumen seine Mund- und Augenwinkel, aber jetzt gerade ist er weit von einem Lächeln entfernt.

ENDE DER LESEPROBE