9,99 €
Der Monstertrupp geht in die zweite Runde Seit Mal, Lenna, Chug und Tok ihre Heimatstadt Cornucopia gerettet haben, sehnen sich die Freunde nach neuen Abenteuern. Doch die Erwachsenen bleiben vorsichtig und verbieten das Reisen. Als Tok mit den Trankvorräten der Stadt verschwindet, ist seinen Freunden sofort klar: Er ist kein Dieb, wie die Ältesten vermuten, sondern wurde entführt! Auf der Suche nach ihm treffen sie auf den Fiesling Jarro, der von den Kidnappern bei einem Kampf zurückgelassen wurde. Nur wenn sie mit ihrem alten Widersacher zusammenarbeiten, können sie den Monstertrupp wieder vereinen und ihren Freund aus dem Nether retten. Der 11. Roman der Erfolgsserie rund um das beliebteste Game unserer Zeit
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 385
Deutsche Erstausgabe © 2023 Schneiderbuch in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Alle Rechte für die deutschsprachige Ausgabe vorbehalten © 2022 Mojang AB. All Rights Reserved. Minecraft, the Minecraft logo, the Mojang Studios logo and the Creeper logo are trademarks of the Microsoft group of companies.
Originaltitel: »Mob Squad: Never say Nether« Erschienen bei Del Rey, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC, New York. Del Rey is a registered trademark and the Circle colophon is a trademark of Penguin Random House LLC.
»Der Monstertrupp: Ab in den Nether« ist ein fiktives Werk. Namen, Orte, Personen und Begebenheiten sind entweder der Fantasie der Autorin entsprungen oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen, tatsächlichen Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.
Covergestaltung: Achim Münster, Overath nach einem Entwurf von A. D. Eno E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck ISBN E-Book 9783505150975
www.schneiderbuch.de Facebook: facebook.de/schneiderbuch Instagram: @schneiderbuchverlag
Für Kinder, die wissen, wie es ist, gemobbt zu werden. Ich wurde auch gemobbt.
1.
CHUG
Okay, Folgendes solltest du über mich wissen: Ich heiße Chug, bin der beste Kämpfer dieser Gegend und habe die besten Freunde in der ganzen Oberwelt, von denen einer ein Schwein ist. Wir wohnen in einer Stadt namens Cornucopia, die früher von einer hohen, unüberwindbaren Mauer umgeben war. Unsere Vorfahren, die acht Gründer, haben sie vor Ewigkeiten von Hand gebaut, um uns ein sicheres Zuhause zu geben, und unsere Ältesten waren immer ziemlich streng, wenn es um die Einhaltung der Gründerregeln ging.
Vielleicht ein bisschen zu streng.
Über Generationen wusste hier niemand, was hinter der Mauer ist – außer Oma, der ältesten Stadtbewohnerin. Aber sie hat keinem davon erzählt, weil sie eine eigenwillige alte Kratzbürste ist. Aber dann kam ein Plagegeist angeflogen und hat unsere Felder vergiftet, und die Ältesten wollten alle Familien für immer von hier wegschicken. Da mussten meine Freunde und ich natürlich etwas unternehmen und machten uns auf die Suche nach einem Waldanwesen, um unsere Heimatstadt vor einem Haufen Illager und einem als Hexe verkleideten Rote-Bete-Bauern zu retten, und dabei stießen wir mit Banditen zusammen, die unsere Lamas geklaut und gedroht haben, uns in den Fluss zu …
Okay, das reicht, würde ich sagen. Das ist nämlich alles Schnee von gestern, und der ist langweilig, wenn du mich fragst. Im Moment musst du vor allem wissen, dass unsere ehemalige undurchdringliche Stadtmauer jetzt ein Loch hat und das Leben anders geworden ist … also, besser. Mein Bruder Tok und ich wohnen hinter der Mauer in Neu Cornucopia, wo er sein Riesenschlauhirn benutzt, um alle möglichen Gegenstände anzufertigen, und ich meine Riesenpersönlichkeit, um die Dinge in unserem Laden zu verkaufen. Wir haben ihn Stack-Eck genannt. Ich hatte erst ChugTokMarkt vorgeschlagen, aber Tok meinte, wenn man das ausspricht, klingt es, als würde man an einem Apfel ersticken, und da hat er wohl recht.
Es ist morgens, und das Bett meines Bruders ist verlassen. Tok steht immer vor mir auf. Er sagt, die frühmorgendliche Stille hilft ihm dabei, sich zu konzentrieren, wenn er sich neue Rezepturen für Werkzeug ausdenkt oder sich im Brauen übt. Ich glaube eher, er will allein sein, damit ich nicht durchdrehe, wenn er mal wieder etwas in Brand steckt. Er baut wirklich tolles Zeug, aber dabei geht auch einiges zu Bruch – manchmal mit lauten, hallenden Explosionen. Während ich so im Bett liege und die Decke mit den Zehen knete, weil ich mit den Gedanken schon beim Frühstück bin, schärfe ich meine Sinne, um auszuknobeln, woran Tok gerade arbeitet. Schlechte Gerüche weisen meistens auf Brauversuche hin, während Hammergeräusche auf Werkzeug und Rüstungen rückschließen lassen. Und dann wären da noch …
Rumms!
Ich springe aus dem Bett und renne zu Tok in die Werkstatt. Als ich die Tür aufreiße, stelle ich erleichtert fest, dass er draußen im Hof gearbeitet und das Dach zur Abwechslung nicht beschädigt hat.
»Schwarzpulver?«, frage ich.
»Schwarzpulver«, bestätigt er ein wenig benommen.
»Eine deiner Augenbrauen brutzelt, Bro.«
Er wischt sich darüber und schüttelt den Kopf. Graues Pulver umgibt sein schulterlanges schwarzes Haar wie eine Wolke.
»Bald hab ich’s«, versichert er mir. »Ich muss die Rezeptur nur noch ein bisschen anpassen.«
Das Problem ist, dass er eigentlich gar keine Rezepturen hat. Der Älteste Gabe ist der Einzige in der Stadt, der weiß, wie man Tränke braut, aber er weigert sich, Tok irgendetwas zu verraten. Ich trete näher, um den Braustand zu begutachten, aber von den Zutaten, mit denen er experimentiert hat, sind nur noch schwarze Flecken übrig. »Oder du könntest heute einfach ein paar schöne nicht explosive Spitzhacken herstellen. Oder Rüstungsteile. Die Leute lieben deine Rüstungen.«
Ein anklagendes Miauen von Toks Katzen Candor und Clarity hallt um die Ecke, wohin sie sich in weiser Voraussicht verkrochen hatten. Tok kniet sich hin und streckt die Arme aus, woraufhin sie sofort zu ihm eilen, um sich besorgt an ihn zu kuscheln. »Wir haben genug Rüstungen. Der Laden ist voll bestückt. Was uns fehlt, sind Tränke. Ich bin so nah dran! Der Älteste Gabe will mir weder seine Rezepturen noch irgendwelche Zutaten überlassen, und Omas Bücher kenne ich mittlerweile fast auswendig, aber es gibt immer noch so vieles, was ich nicht weiß. Ich habe alle Tränke studiert, die ich finden konnte, und versuche mich ständig an neuen Kombinationen, aber es ist, als würden mir ein paar wichtige Zutaten fehlen und … hmpf!«
»Du bist besessen, Bro«, sage ich leise und klopfe ihm auf die Schulter.
So war er schon immer. Bevor er durch Oma von Werkbänken erfuhr, hat er ständig versucht, Maschinen zu bauen, um Arbeitsschritte effizienter zu machen – zum Beispiel fürs Unkrautjäten auf den Kürbisfeldern unserer Eltern oder zum gefahrlosen Einsammeln der Eier besonders widerspenstiger Hühner. Aber irgendwas ging immer schief. Und jetzt, wo er das Herstellen gemeistert hat, braucht er offenbar etwas Neues, worüber er sich permanent den Kopf zerbrechen kann.
Er steht auf und betrachtet die in der Ferne aufragenden Berge. »Ich wünschte, wir könnten zurück in die Bibliothek des Waldanwesens und nachsehen, was dort in den Regalen steht. Dort gibt’s bestimmt viele Bücher über Tränke.«
»Die Ältesten haben uns befohlen, nicht wieder dorthin zu gehen«, erinnere ich ihn. »Sie haben zwar die Mauer geöffnet, weil sie endlich kapiert haben, dass die Leute ihre Freiheit brauchen, aber …«
»Sie meinen, wir sind zu jung«, beendet er meinen Satz. »Und dass es dort nicht sicher ist.«
Ich nicke. Es ist schon komisch … Früher war ich immer derjenige, der uns in Schwierigkeiten gebracht hat – entweder mit meiner großen Klappe oder weil ich mich mit einem Fiesling namens Jarro und seinen Kumpanen angelegt habe, die in der Stadt wohnen. Aber seit ich mich hier draußen eingelebt habe, hat sich das Blatt gewendet. Jetzt ist Tok der Wilde von uns, denn sobald er an seiner Werkbank oder dem Braustand steht, verfällt er in so etwas wie eine Trance und vergisst jegliche Sicherheitsvorkehrungen … vor allem Brandgefahr. Inzwischen erinnere ich unsere Eltern, die immer noch auf dem langweiligen Kürbishof wohnen, gern und oft daran, dass ich jetzt der verantwortungsbewusste Sohn bin, der bisher noch nichts in die Luft gejagt hat.
»Vielleicht könnten wir eine Erlaubnis für eine Expedition einholen«, schlägt Tok vor und kriegt schon wieder diesen irren Glanz in den Augen, der mich dazu verleitet, einen Helm aufsetzen und mich ducken zu wollen. »Jetzt, da Lenna mit der Zusammenstellung der Bibliothek beschäftigt ist, würde doch jeder von neuen Büchern profitieren.«
»Habe ich meinen Namen gehört?«
Wir sehen uns um, und ich grinse, als ich Lenna erblicke, die auf uns zukommt. Dicht hinter ihr laufen ihre Wölfin Mohn und unsere andere Freundin Mal. Lenna hat eichenbraune Haut und trägt das Haar in zwei Bauschen, die ihr vom Kopf abstehen. Früher musste sie immer die steingrauen Klamotten ihrer neun Geschwister auftragen, aber inzwischen wohnt sie nicht mehr bei ihrer strengen Familie und deren geliebter Mine. Sie ist bei Oma in die Lehre gegangen und kleidet sich jetzt in grellen Farben, die sich meistens beißen.
»Tok will zurück ins Waldanwesen und ein Buch über Tränke suchen«, erkläre ich.
Unsere andere Freundin Mal trägt ihr rotes Haar geflochten, hat massig Sommersprossen und ist so etwas wie unsere Anführerin. Außerdem ist sie Omas Ururenkelin. Die Hände in die Hüften gestemmt, mustert sie Tok von oben bis unten, wobei ihr die Rußflecke und die Kombination aus zerzausten Haaren und Schwarzpulver in der blau-schwarzen Frisur auffallen. »Wir sind sofort losgerannt, als wir die Explosion gehört haben. Ich nehme an, eure Nachbarn stehen gar nicht mehr auf, um nach euch zu sehen, oder?«
»Sagen wir einfach, wir berechnen ihnen nichts mehr für Reparaturen«, erwidert Tok verlegen. »Konnte man den Knall wirklich bis zur Kuhweide hören?«
Mal nickt. »Ich war gerade beim Melken.« Sie zeigt auf eine nasse Stelle im Haar. »Die Kuh und ich haben uns beide erschrocken. Klang nach einem größeren Knall als sonst.«
»Ich bin so kurz davor!« Tok fängt an, im Hof hin und her zu laufen, und Candor springt von seiner Schulter, um sich die Schwarzpulverüberreste aus dem orangefarbenen Fell zu lecken. »Ich meine, klar, der Älteste Gabe ist in der Lage, Heil- und Regenerationstränke zu brauen, aber ich will etwas völlig Neues erschaffen. Einen Trank, der uns feuerresistent macht.«
Mal und ich tauschen einen Blick. Sie ist meine beste Freundin, weshalb wir keine Worte brauchen, um unsere Gedanken zu kennen.
»Aber ist Feuer denn wirklich ein so großes Problem in dieser Gegend?«, hakt sie sanft nach.
Tok zieht den Kopf zwischen die Schultern. »Na ja, ich habe mal versehentlich die Werkstatt in Brand gesteckt, und dabei hat Candors Schwanz Feuer gefan…«
Ich tätschele ihm die Schulter. »Bro, das war ein Unfall. Sie hat dir verziehen, und ihre Schwanzspitze ist nachgewachsen und wieder so gut wie neu.« Als es passiert ist, hat mich die arme Katze kurz an eine Kerze erinnert, aber den Gedanken lasse ich lieber unausgesprochen. Tok liebt seine Katzen nämlich über alles.
»Ich könnte jedenfalls eine gute Expedition gebrauchen.« Mals Hand wandert zu ihrer Tasche, und sie holt die Diamantspitzhacke heraus, die ihre Urururgroßmutter gebaut hat – eine der Gründerinnen dieser Stadt und Omas Mutter. Ja, Oma ist wirklich alt. »Die neue Mine läuft gut, aber ich vermisse es …«
»Neues zu entdecken«, haucht Lenna. »Neue Orte, neue Tiere, neue Pflanzen. Der Duft einer frischen Brise …«
»Und Beute«, ergänzt Tok. »Truhen zu öffnen. Im Dorf zu handeln. Hexen-Zutaten zu sammeln. Und Bücher!«
»Monsterkämpfe.« Ich lasse den Blick in die Ferne schweifen. »Ich habe seit Wochen keinen einzigen Zombie mehr gesehen. Mein Schwertarm könnte wirklich ein wenig Übung gebrauchen.«
Mal legt mir einen Arm um den Nacken. »Schaufeln zu verkaufen, reicht dir also nicht?«
»Schaufeln!« Tok rollt mit den Augen. »Die kann auch der Alte Stu herstellen. Ich will neue Sachen machen. Zum Beispiel neue Tränke, die noch keiner kennt.« Seufzend betrachtet er die Berge. »Schon komisch. Früher haben wir hinter der Mauer gelebt. Wir waren glücklich, aber wollten mehr. Dann sind wir von hier weggegangen, haben unser Abenteuer erlebt, und nun wohnen wir jenseits der Mauer. Aber ich will immer noch mehr.«
Lenna sitzt auf dem Boden und streichelt Mohns weichen grauen Wolfsbauch. »Es ist, wie Oma sagt: Alle in Cornucopia stammen von Abenteurern ab. Ein paar von uns mag das ruhige Leben hier gefallen, aber wir sind eben anders.« Mohn schüttelt sich fröhlich, so als wäre sie auch ganz versessen auf ein Abenteuer. »Ich schlage vor, wir bitten sie, uns auf eine wichtige Mission im Waldanwesen zu schicken. Dort ist es jetzt einigermaßen sicher. Wir waren ja schon dort. Und Oma hat heute gute Laune. Oh, da fällt mir ein …« Sie greift in ihre verzauberte, fast bodenlose Tasche – ein hübscher Zaubertrick, den uns Oma beigebracht hat, damit wir massig Zeug mit uns herumschleppen können – und holt vier Kekse heraus. »Sie hat mir aufgetragen, euch die hier zu geben, und gemeint …« Sie sieht uns nacheinander an, senkt die Augenbrauen und fährt in einer Stimme fort, die wie Omas klingt: »Sag dem jungen Handwerker, er soll damit aufhören, schon vor dem Mittag Dinge in die Luft zu jagen. Wir Alten brauchen unseren Schönheitsschlaf.«
Nachdem wir die Kekse gegessen und Tok beim Aufräumen geholfen haben, folgen wir der Straße durch Neu Cornucopia und winken der Torwache zu, als wir durch die Maueröffnung die alte Stadt betreten. Toks Katzen trotten neben ihm her, Mohn läuft als Kundschafterin voraus, und mein Hausschwein Dingsbums bildet das grunzende Schlusslicht. Ich kraule ihm den Kopf, wo er es am liebsten hat, und wünschte, ich hätte ihm einen Keks aufgehoben. Wir laufen an Höfen und Feldern vorbei und schlängeln uns durch die geschäftigen Straßen des Stadtzentrums.
»Au!«, ruft Lenna.
Ich drehe mich um. Sie reibt sich mit schmerzverzerrter Miene den Hinterkopf. Sofort begebe ich mich in Kampfposition und zücke mein Schwert, denn natürlich habe ich immer eins in meiner verzauberten Tasche – sowohl zur Selbstverteidigung, falls ein Zombie auftaucht, als auch zu Demonstrationszwecken, falls ein potenzieller Kunde auftaucht. Tok und ich machen im Laden und im Zentrum ständig Tauschgeschäfte, weshalb ich immer massig Ware mit mir herumtrage. Neben mir steht Mal, die ihre Spitzhacke in der Hand hält. Tok hebt etwas vom Boden vor Lennas Füßen auf.
»Eine giftige Kartoffel?«, fragt er verwundert und hält sie hoch, um sie uns zu zeigen.
Gedämpftes Kichern dringt aus einer Gasse in der Nähe. Mal und ich nicken einander zu und laufen los. Natürlich sehen wir nur noch die Rücken von Jarro und seinen Handlangern Remy und Edd, die gerade um die Ecke verschwinden.
»Ich wünschte, er würde endlich erwachsen werden«, murmelt Mal.
»Er macht mich krank«, zische ich.
Ich stecke das Schwert weg, und wir kehren zu Tok und Lenna zurück. »Ihr wisst schon, wer«, informiere ich die beiden.
»Wir haben die Stadt gerettet – sogar sein Leben –, und er stellt uns immer noch nach.« Lenna schüttelt den Kopf. Früher war sie die Schwächste von uns, und alle in der Stadt hielten sie für eigenartig, aber inzwischen ist sie zur Expertin mit Pfeil und Bogen mutiert … obwohl sie sich im Moment eher auf Bücher konzentriert. Wenn Jarro wüsste, was sie wirklich draufhat, würde er es nicht mehr wagen, sie ständig aufs Korn zu nehmen.
Wahrscheinlich würde er sich dann wieder auf meinen Bruder stürzen.
»Ein Ozelot kann seine Flecken eben nicht abwaschen«, meint Tok weise.
Wir haben zwar noch nie einen gesehen, aber nach dem, was ich aus Omas Büchern weiß, kommen mir diese Dschungelkatzen ziemlich cool vor.
Jetzt, wo wir Jarros tollen Kartoffelstreich hinter uns gebracht haben, laufen wir weiter zu Omas Hütte. Jarros Mutter hat ihm verboten, das Stadtzentrum zu verlassen. Jeden Tag erklärt sie allen, die es hören wollen, dass es falsch war, die Mauer zu öffnen, und dass es jetzt viel weniger sicher ist. Uns kommt ihre Paranoia natürlich zugute, weil Jarro ständig in ihrer Nähe ist … was wiederum bedeutet, dass ich schon lange keinen Ärger mehr bekommen habe, weil ich ihm einen Nierenhieb verpasst habe. Trotzdem versucht er jedes Mal irgendwas, wenn wir durchs Zentrum gehen – irgendwelche Gemeinheiten aus dem Hinterhalt, die vor den Erwachsenen schwer zu beweisen sind. Wobei die eh keine große Hilfe sind. Das waren sie schon nicht, bevor wir die Stadt gerettet haben. Sie fürchten sich nämlich vor Jarros Mutter, vor allem, weil sie die einzigen Süßbeerenbüsche in ganz Cornucopia besitzt. Sogar Oma hat ein bisschen Angst vor ihr.
Als wir die Stadtmitte verlassen und den sorgfältig angepflanzten Wald betreten, der Omas Haus verbirgt, kann ich mich ein bisschen entspannen. Nachdem Lenna bei ihr in die Lehre ging und bei ihr einzog, hat Oma ein paar ihrer Neffen beauftragt, die Hütte um einen Raum zu erweitern. Kaum habe ich den sauberen Ziegelschornstein entdeckt, der aus den Wipfeln emporragt, rieche ich frisch gebackene Kekse. Dingsbums und ich rennen vor, und ich klopfe an.
»Verschwindet«, ruft Oma. »Hier ist schon besetzt.«
»Ich bin’s, Oma!«, antwortet Mal. »Die Ururenkelin, die du zumindest ein wenig leiden kannst.«
Die Tür öffnet sich, und Omas uraltes, von Falten übersätes Gesicht kommt zum Vorschein. »Du.« Sie zeigt auf Tok. »Keine Explosionen in meiner Hütte. Und du.« Sie zeigt auf mich, und mir bleibt fast das Herz stehen. »Maximal vier Kekse für dich und dein Schwein. Klar?«
»Ja, Oma«, antworten wir im Chor, und sie tritt beiseite, um uns hereinzulassen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht einmal meinen Namen kennt. Sie nennt mich nur »der Kräftige«.
Oma hält Mal die Wange hin, damit sie ihr einen Kuss aufdrücken kann, dann setzen wir uns auf unsere üblichen Plätze an den Tisch. Lenna wohnt jetzt hier, weshalb sie uns Gläser mit Milch serviert, während uns Oma die besten Kekse der Stadt vorsetzt.
»Ich vermute, das ist kein Höflichkeitsbesuch«, stellt Oma fest. »Kinder besuchen die Älteren nie ohne Grund.«
Mal macht sich gerade. »Wir wollen eine Expedition ins Waldanwesen machen. Wenn Tok die richtigen Bücher hätte, um mehr über Trankrezepturen zu lernen, wären seine Experimente nicht mehr so gefährlich. Und laut.«
»Und Lenna könnte mehr Bücher für die Stadtbibliothek beschaffen, an der ihr arbeitet«, fügt Tok hinzu, offensichtlich peinlich berührt von dem Gedanken, dass er irgendwem Ärger verursacht. «Du könntest uns eine Liste mit Dingen geben, die wir mitbringen sollen.«
Oma hebt eine buschige weiße Augenbraue und beäugt uns aufmerksam. »Was wollt ihr wirklich?«
»Etwas Wildes«, erwidert Lenna in diesem typisch verträumten Tonfall. »Es ist schön hier, aber zu zahm. Die Luft bewegt sich nicht. Sogar die Bienen langweilen sich.«
Hätte Lenna das zu ihrer Familie gesagt, hätten sie sie ausgelacht und Klapsen-Lenna genannt, und dann hätte sie sich unters Bett verkrochen, um dort allein zu weinen. Aber hier, mit uns und Oma, ergeben ihre Worte Sinn.
Manche Erwachsenen würden einfach automatisch Nein sagen, aber zu denen gehört Oma nicht. Ihre Lippen zucken, während sie nachdenklich an ihrem Keks knabbert. »Im Moment keine gute Idee«, sagt sie schließlich, und das Herz sackt mir in die Magengrube. »Nach der Maueröffnung haben die Ältesten einstimmig beschlossen, Reisen einzuschränken – besonders für Kinder. Das wisst ihr doch. Eure Eltern haben sich schreckliche Sorgen gemacht, und ein paar von euch – wer, weiß ich nicht mehr – sind sogar fast gestorben, als ihr die Stadt das letzte Mal verlassen habt. Aber ich schicke Stu einen Brief und frage ihn, ob ein paar der Erwachsenen Zeit für eine kleine Expedition haben. Wir können ihnen sagen, sie sollen nach Büchern über Tränke und Feuervorbeugung suchen.«
»Aber wir kennen den Weg zum Waldanwesen«, werfe ich hoffnungsvoll ein. »Wir wissen mehr über die Oberwelt als jeder sonst in der Stadt! Hast du die anderen mal mit Schwertern hantieren sehen? Ihre Arme sind wacklig wie Blumenstängel. Schwibbel, schwabbel. Die Monster werden Hackfleisch aus ihnen machen!«
Oma schnaubt belustigt. »Ja, habe ich. Peinlich ist das, vor allem, wenn sie mit mir verwandt sind. Aber die Sache ist die: Als ihr das letzte Mal aufgebrochen seid, schwebte die Stadt in Gefahr. Eure Reise war der letzte Strohhalm. Aber jetzt, wo alles friedlich ist, würden euch eure Eltern nie die Erlaubnis geben, wieder da rauszugehen.«
Ich gebe es nur ungern zu, aber sie hat recht. Wir alle wissen das. Unsere Eltern lieben ihr beschauliches, bequemes Leben auf dem Kürbishof. Sie haben Tok überhaupt nur erlaubt, seinen Laden außerhalb der Mauer aufzubauen, weil wir ihnen versprochen haben, jeden Tag zum Abendbrot nach Hause zu kommen. Mal ist auf dem Hof ihrer Eltern eine wichtige Arbeitskraft, und Oma braucht hier Lennas Hilfe. Anscheinend fällt keinem von uns ein gutes Argument ein, also macht sich Tok daran, all die Themen aufzulisten, über die er Bücher braucht. Dann gehen wir wieder in den Laden, Mal läuft zu ihrer Mine zurück, die sie im Hinterhof gegraben hat, und Lenna bleibt bei Oma.
Es ist ein schöner Tag, und das Geschäft läuft gut, aber wir sind beide niedergeschlagen. Tok hatte sich schon so darauf gefreut, die Bibliothek zu durchforsten, und ich hätte wirklich gern mal wieder mein Schwert benutzt, um ein paar Zombies und Diener zu erledigen. Beim Abendessen mit unseren Eltern sind wir untypisch schweigsam, aber offen gesagt haben sie uns so am liebsten. Es ist, als wäre in Tok ein Funke erloschen, und das passt mir überhaupt nicht.
Wir kuscheln uns gerade in unsere genau gleich aussehenden nebeneinanderstehenden Betten, und Toks Katzen rollen sich zu seinen Füßen ein, als ich endlich etwas sage: »Hey, Bro, tut mir leid, dass das mit der Expedition nichts wird. Aber vielleicht bringen dir die Erwachsenen ja ein paar Bücher mit, und dann kannst du einen Trank brauen, der den Ältesten Stu in ein Lama verwandelt.«
Tok muss es wirklich mies gehen, weil er nicht einmal lacht. Er antwortet nur: »Vielleicht.«
Ihm fällt es bestimmt schwer, seinen Kopf auszuschalten, aber ich schlafe sofort ein. Mein letzter Gedanke ist, dass ich ihm morgen früh sein Lieblingsfrühstück zubereiten werde, um ihn aufzumuntern.
Aber als ich aufwache, ist Toks Bett leer. Ich höre keine Explosionen. Er ist nicht in der Werkstatt. Und die Katzen laufen kläglich miauend draußen hin und her.
Mein Bruder ist verschwunden.
2.
MAL
Okay, Folgendes solltest du über mich wissen: Ich heiße Mal, wohne auf der Vieh-Ranch meiner Eltern, aber arbeite lieber in meiner Mine, liebe meine Freunde über alles und besitze das Herz einer Abenteurerin. Nach der gestrigen Unterhaltung über eine mögliche Mission, die uns zum Waldanwesen zurückbringen würde, kann ich nicht aufhören, davon zu träumen, wie es sich wohl anfühlt, durch das Stadttor in die große weite Oberwelt zu ziehen und ein neues Abenteuer zu beginnen.
Es stimmt zwar, dass ich inzwischen weniger Zeit mit den Kühen verbringe und öfter allein in der Mine unter der kleinen Koppel hinterm Haus bin, wo ich nach seltenen Erzen suche … Aber meine Eltern brauchen mich hier trotzdem. Letztes Mal, als ich fortgegangen bin, hat mich ein gefährlicher Trank beinahe umgebracht, also ist es kein Wunder, dass sie mich lieber in ihrer Nähe haben wollen.
Trotzdem muss ich immer auf die Berge starren, die mich an meine Lamas erinnern, und frage mich, was es da draußen noch alles gibt … und was ich verpasse. Die Ältesten haben die Stadt zwar endlich geöffnet, aber es gibt immer noch Regeln, und ich verspüre immer noch den altbekannten Druck, eine gute Tochter zu sein … und eine gute Kuhtreiberin.
Ich bin gerade dabei, Henrietta zu melken, als Chug mit schreckgeweiteten Augen in die Scheune poltert – kein typischer Anblick. Chug stellt sich selbst dem größten Fiesling der Stadt furchtlos in den Weg, hackt fluchend auf jeden Zombie ein, und auf unserem letzten Abenteuer hat er sogar ein paar Banditen die Stirn geboten, die unsere Beute und Lamas gestohlen und obendrein gedroht haben, ihm sein Hausschwein wegzunehmen. Kurz gesagt: Ihn so zu sehen, panisch und mit Tränen in den Augen, ist außergewöhnlich und erregt sofort meine Aufmerksamkeit.
»Chug, was ist los?«
»Tok …«, antwortet er atemlos. »Er ist weg.«
Sofort fängt es in meinem Kopf an zu arbeiten. »Vielleicht ist er in die Stadt, um Zutaten zu kaufen?«
»Die Läden sind alle noch geschlossen. Ich glaube, der Älteste Gabe ist noch nicht einmal aufgestanden. Ich habe bestimmt zehn Minuten an seine Tür geklopft. Seine Nachbarn sind jedenfalls jetzt wach.«
»Vielleicht ist er zu Oma, um in ihren Büchern nach irgendwelchen neuen Informationen zu suchen?«
Chugs Braue kräuselt sich. »Gute Idee. Lass uns zu ihr gehen.«
Ich lasse den Melkeimer am Scheunentor stehen und folge Chug die Straße hinunter, die ins Zentrum führt. Der Tag ist wolkig, und die Luft ist schwer – es sieht nach Regen aus. Als wir näher kommen, fallen mir ein paar Erwachsene auf, die wütend und verwirrt auf der Straße stehen, darunter auch unsere Stadtältesten. Der Älteste Gabe steht vor der offenen Tür seines Trankladens, den Gehstock mit der knorrigen Faust umklammert, und ruft: »Dieb! Dieb!«
»Ältester Gabe, was ist los?«, frage ich, als wir bei ihm ankommen. Ich weiß, mir wird er eher antworten als Chug, denn wenn er besorgt ist, hat mein bester Freund einen noch schlechteren Filter als ohnehin.
»Man hat mich bestohlen!«, kreischt der Älteste und fuchtelt mit dem Stock. »Jemand ist in den Laden eingebrochen und hat alles mitgenommen! Alle Tränke! All meine Zutaten! Das ist das Ende! Für uns alle! Die Stadt ist hilflos und verdammt!« Seine kleinen Knopfaugen verengen sich, als er Chug erblickt. »Übrigens, wo steckt eigentlich dein Bruder?«
Chugs Kinnlade klappt nach unten. »Beschuldigst du Tok etwa des Diebstahls?«
»Ich ziehe lediglich alle Möglichkeiten in Betracht. Also, wo ist er?«
Chug sackt in sich zusammen. »Weiß ich nicht. Als ich aufgewacht bin, war er weg.«
»Aha!«, quiekt Gabe aufgeregt. »Dann ist er also tatsächlich der Dieb!«
Oh-oh. Ich stelle mich vor Chug, ehe bei ihm der Autopilot anspringt und er einem unserer Anführer einen Fausthieb verpasst.
»Tok würde niemals stehlen«, beschwichtige ich mit erhobenen Händen. »Da kannst du jeden fragen. Er hat noch nie etwas gestohlen.«
»Es passt aber zusammen.« Gabe schüttelt den Kopf. »Die einzige Person in der Stadt, die mich ständig wegen Zutaten und Rezepturen anbettelt, verschwindet zufällig an dem Tag, als mein Laden überfallen wird? Also, wenn du mich fragst, gibt’s dafür nur eine Antwort.«
»Mir fällt noch eine andere ein«, knurrt Chug mit geballten Fäusten.
Ehe ich ihn von einer Dummheit abhalten muss, werden wir von einer unserer am wenigsten geliebten Personen unterbrochen: Jarros Mutter Dawna. Mit wehendem rosafarbenen Morgenmantel und Lockenwicklern im Haar prescht sie durchs Tor.
»Hilfe! Hilfe!«, kreischt sie und fuchtelt wild mit den Armen. »Ein Verbrechen ist geschehen!«
Sie läuft zum Ältesten unserer Ältesten, Stu, und als Gabe sich dazugesellen will, folgen wir ihm.
»Was ist passiert?«, hakt der Älteste Stu nach.
»Ich verlange zu wissen, was ihr gegen die Kriminalität in der Stadt zu unternehmen gedenkt.«
Die Sonne ist noch nicht einmal ganz aufgegangen, und Stu sieht schon erschöpft aus. Obwohl … so geht es eigentlich den meisten, die sich mit Dawna oder ihrem Sohn Jarro befassen müssen. »Bis heute gab es keine Kriminalität. Was ist denn passiert?«
Dawna holt tief Luft. »Als ich aufgestanden bin, waren all meine Süßbeerensträucher verschwunden. Alle! Und als ich Jarro fragen wollte, ob er irgendetwas gehört hat, war er auch fort!«
Mir entgeht nicht, dass sie zuerst die fehlenden Büsche und erst danach ihren vermissten Sohn erwähnt.
Die Ältesten Stu und Gabe wechseln einen Blick. »Wir haben also zwei vermisste Jungen sowie gestohlene Süßbeeren und Tränke.«
»Wer wird noch vermisst?«, kräht Dawna.
»Mein Bruder«, erwidert Chug.
Dawna sieht ihn an, als wäre er ein sprechendes Schwein. »Da haben wir’s doch! Ich wusste, das muss mit einem von euch schwarzen Schafen zu tun haben, die in der Stadt nichts als Ärger machen! Dieser kleine Pyromane hat meinen Sohn entführt und meine Beeren gestohlen! Ich verlange, dass man den da sofort ins Gefängnis steckt!«
Chug kann Dawna nicht ausstehen, und er hasst es, wenn man ihm die Schuld zuschiebt, wenn er nichts angestellt hat – aber noch mehr verabscheut er es, wenn Dawna oder sonst jemand uns als schwarze Schafe bezeichnet. Wir mögen anders sein und hin und wieder aus Versehen Ärger machen, aber keiner von uns ist böse.
»Mein Bruder hat nichts gestohlen! Noch nie! Das würde er niemals tun! Und wenn doch, würde er sich kaum ausgerechnet dein Scheusal von Sohn aussuchen, es sei denn, er will ihn den Wölfen zum Fraß vorwerfen!«
»Du wagst es!«, kreischt Dawna.
»Ja, allerdings! Und?«, kontert Chug.
Der Älteste Stu stellt sich zwischen die beiden, was ich ehrlich gesagt ziemlich mutig finde.
»Aber, aber. Diese Sache ist äußerst ungewöhnlich. Zuerst müssen wir die Nachricht weitergeben, damit alle Bewohner nach den vermissten Jungen suchen können. Sie verstecken sich bestimmt nur irgendwo …«
»Das hast du auch letztes Mal gedacht, als wir draußen im dunklen Wald gegen Zombies gekämpft haben, um eure Haut zu retten!«, bellt Chug anklagend.
Ich lege ihm die Hand auf den Mund, und der Älteste Stu nickt mir dankbar zu, ehe er fortfährt.
»Trotzdem müssen wir gezielt suchen – in den Gutshäusern, den Hühner- und Kuhställen … also eigentlich überall. In allen Gebäuden. In Cornucopia gibt es nur eine sehr begrenzte Anzahl von Versteckmöglichkeiten.«
Da hat er unrecht. Die Mauer ist jetzt offen und die Stadt damit nicht mehr eingesperrt. Aber das spreche ich nicht laut aus. Ich sage überhaupt nichts.
»Jemand muss meine Beeren finden! Und meinen Jungen!«, kreischt Dawna, weil sie seit mehreren Minuten keiner mehr beachtet hat, und das kann sie überhaupt nicht leiden. »Er ist so arglos …«
»Ha!«, bricht es trotz vorgehaltener Hand aus Chug hervor.
»Was ist los?« Lenna ist neben mir aufgetaucht, und Mohn springt um unsere Füße herum. »Oma hat mich Mehl holen geschickt, aber die Läden sind alle geschlossen.«
»Weil alle hier sind«, erkläre ich, die Hand immer noch vor Chugs Mund. »Tok und Jarro sind letzte Nacht verschwunden, und der Älteste Gabe und Dawna wurden bestohlen.«
Chug leckt mir über die Handfläche, und ich reiße sie angeekelt weg. »Wir müssen Tok finden«, stellt er klar und zieht eine Grimasse. »Igitt. Mal. Schon mal von Händewaschen gehört? Du schmeckst nach Kuhhintern.«
Eine Hand landet auf meiner Schulter. Es ist die vom Ältesten Stu. »Ihr Kinder solltet nach Hause gehen und euren Eltern sagen, was passiert ist. Sucht jeden Zentimeter eurer Höfe ab. So könnt ihr am besten helfen – indem ihr hierbleibt und tut, was man euch sagt.« Irgendwie sieht sein Gesicht noch strenger aus als sonst. »Und sagt euren Eltern, sie sollen alle Heiltränke, die sie haben, einschließen. Ohne die Tränke und Zutaten des Ältesten Gabe schweben wir alle in größter Gefahr. Wenn irgendjemandem etwas passiert …« Er schüttelt den Kopf. »Seid einfach besonders vorsichtig, ja? Vorerst wird weder auf Bäume geklettert noch auf Kühen geritten. Und keine Streiche!«
Chug will irgendetwas Scharfzüngiges erwidern, aber ich packe ihn am Arm und zerre ihn fort. »Ja, Ältester Stu. Machen wir«, rufe ich über die Schulter. Lenna folgt uns, und ich führe meine Freunde weg von Dawnas hysterischem Gekreische und den besorgten Mienen der Ältesten. Es fühlt sich komisch an, so ohne Tok – als würde einem Tisch ein Bein fehlen.
»Tok würde sich nicht mit Jarro verkriechen«, grollt Chug. »Wahrscheinlich hat eher Jarro ihn entführt. Vielleicht foltert er ihn! Er ist …«
»… viel zu dämlich, um auf solche Ideen zu kommen«, erinnere ich Chug. »Jarro war noch nie außerhalb der Stadtmauer. Er wäre überhaupt nicht in der Lage, euer Haus zu finden, geschweige denn, Tok aus seinem eigenen Bett zu entführen.«
»Außerdem hätten die Katzen Alarm geschlagen, wenn Jarro in der Nähe aufgetaucht wäre«, ergänzt Lenna. »Candor hasst ihn.«
»Und sieh dir Remy und Edd an.« Ich deute auf die beiden Jungs auf der anderen Straßenseite. »Jarros Kumpane sehen nicht so aus, als hätten sie uns einen tollen Streich gespielt –sie wirken eher besorgt.«
Das ist wahr. Sie sind auch nicht schlauer als Jarro und ziemlich schlechte Schauspieler. Eigentlich kennen sie nur eine Taktik: mobben und wegrennen. Aber im Moment schleichen sie ziellos umher, unsicher, was sie ohne ihren Anführer tun sollen.
Der Älteste Gabe wirft uns einen strengen Blick zu, weil wir immer noch in seiner Nähe sind, also fordere ich die anderen auf mitzukommen und gehe voran. »Lasst uns in Toks Werkstatt nach Hinweisen suchen.« Ich kenne Chug besser als sonst jemand und kann mir denken, dass er nicht gerade gründlich gesucht haben wird, ehe er zu mir gerannt kam. Er hat massig gute Eigenschaften – er ist loyal, witzig, ein toller Koch, ein talentierter Kämpfer und großartiger Freund –, aber er hat kein Auge fürs Detail.
Als wir in Neu Cornucopia eintreffen, sieht alles wie immer aus. Ein paar Familien haben hier draußen eigene Höfe aufgebaut – vor allem junge Leute, weil ihnen die Stadt innerhalb der Mauern zu eng wurde. Entlang der Hauptstraße liegen ein paar Geschäfte, darunter eine Bäckerei und ein Hofladen, aber keiner hier ist aufgebracht wie die Leute im Zentrum. Chug steckt Dingsbums zurück auf seine kleine Weide, und ich beuge mich über den Zaun, um das niedliche Schweinchen hinterm Ohr zu kraulen. »Okay, wir sind uns einig, dass Tok niemals einfach allein losziehen würde, ohne uns etwas zu sagen, richtig?« Chug und Lenna nicken nachdrücklich. »Also müssen wir herausfinden, was wirklich passiert ist. Dingsbums hat nicht gequiekt, und die Katzen waren auch ruhig, korrekt?«, frage ich Chug.
Er lässt den Kopf hängen. »Ich schlafe ziemlich tief und fest. Das weißt du doch.«
»Es ist nicht deine Schuld«, wirft Lenna ein. Sie greift durch den Zaun und zieht das buschige Grün einer Karotte aus dem Matsch. Es ist nicht das einzige Büschel. »Sieht aus, als hätte jemand Dingsbums gestern Abend abgelenkt.«
Chug läuft rot an. »WILLSTDUMIRETWASAGEN, DASSJEMANDDINGSBUMSZUMKOMPLIZENGEMACHTHAT?«, jault er.
Das Schwein grunzt pikiert, und Chug krault ihm den Rücken. »Es ist nicht deine Schuld«, säuselt er. »Die Karotten waren einfach zu lecker.«
Lenna tritt unter das Vordach, wo Tok meistens arbeitet, und stochert in der Erde. »Hier sind Gräten, um die Katzen abzulenken.« Besorgt sieht sie uns an. »Wer immer Tok mitgenommen hat, hatte einen guten Plan.«
Chug fällt auf die Knie und vergräbt das Gesicht in den Händen. »Ich kann nicht glauben, dass ich so etwas zugelassen habe. Ich hätte ihn beschützen müssen. Ich war doch hier – nur ein paar Meter entfernt! Wieso bin ich nicht aufgewacht? Er hat bestimmt schreckliche Angst und …«
Ich setze mich neben ihn und lehne mich bei ihm an. »Woher hättest du das wissen sollen? So etwas ist noch nie passiert.«
Chug sieht mich an, die Augen wild funkelnd. »Es ist trotzdem unsere Schuld. Die Mauer ist nur wegen uns geöffnet worden. Und wir wohnen jetzt draußen. Vorher kannten wir jeden in der Stadt. Aber jetzt … Jeder hätte sich hier reinschleichen und meinen Bruder entführen können.«
Lenna setzt sich auf die andere Seite, denn manchmal muss Chug auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. »Uns trifft keine Schuld. Nur diejenigen, die das Verbrechen begangen haben.« Toks Katzen gesellen sich zu uns, um Chugs Bein anzustupsen, und Mohn nähert sich vorsichtig, um ihm leise winselnd die Wange zu lecken.
Er seufzt und lehnt sich an mich. »Für meinen Kopf ergibt das vielleicht Sinn, aber mein Herz ist anderer Meinung.«
Er schnieft und schnauft, und Lenna und ich lehnen uns an ihn, während er weint. Chug ist ein harter Kerl, aber er hat auch ein großes Herz, und sein Bruder bedeutet ihm alles. Mir liegt Tok auch am Herzen, denn wir vier sind schon ewig befreundet. Ich bin zwar ein Einzelkind, aber für mich gehört Tok trotzdem zur Familie.
»Wir müssen ihn suchen«, stelle ich fest. »Die Erwachsenen werden in den Scheunen und unter Tischen nachsehen und irgendwann sagen, Kinder sind eben Kinder – so wie letztes Mal.«
»So wie immer«, seufzt Lenna.
»Das heißt, es liegt wieder mal an uns. Zwei Hinweise haben wir schon gefunden. Vielleicht gibt es noch mehr.« Ich stehe auf und ziehe auch Chug und Lenna auf die Füße. »Komm. Es bringt jetzt nichts, herumzusitzen und dir selbst leidzutun, Kumpel. Wir müssen etwas tun.«
Chug sieht sich in der Werkstatt um und atmet hörbar aus. »Du hast recht. Es ist besser, irgendetwas zu tun, als gar nichts. Sollen wir uns ausrüsten?«
»Wozu?«, hakt Lenna nach.
»Ich weiß auch nicht! Ich fühle mich einfach besser, wenn meine Taschen voller Waffen und Essen sind. Irgendwer hat sich meinen Bruder geholt, und ich will bereit sein, ihn zurückzubringen, selbst, wenn ich um ihn kämpfen muss.«
Jetzt, wo er ein Ziel vor Augen hat, betritt Chug zielstrebig das Haus, und wir folgen ihm. Er öffnet eine Truhe und holt die Rüstung aus Diamanten und Gold von unserer letzten Expedition sowie sein Schwert heraus.
»Chug, die Goldrüstung ist nutzlos«, sage ich.
»Ja, aber sie sieht supercool aus. Und wir haben nicht genug Diamantteile für alle.«
Als er einen Sattel herausholt, werfe ich ihm einen argwöhnischen Blick zu.
»Falls jemand verletzt wird und wieder auf Dingsbums reiten muss«, erklärt er. »Ich habe mit ihm geübt. Er kann jetzt sogar rückwärtslaufen.«
Er hält mir eine Spitzhacke hin, aber ich hole nur grinsend meine diamantene aus der Tasche. »Die hier liegt mir irgendwie am Herzen. Sie gibt mir das Gefühl, als wäre meine Urururgroßmutter bei mir, verstehst du?«
Lenna greift in ihre Tasche und holt zwei von Omas Keksen heraus. »Ein bisschen Nahrung habe ich, aber wir sollten mehr mitnehmen. Meine Bücher und den Bogen habe ich immer dabei.«
Kurz darauf haben wir Nahrung für uns und ein paar Kartoffeln für Dingsbums eingepackt, den Chug einfach nicht allein zurücklassen kann. Candor und Clarity schließen wir im Laden ein. Sie würden uns zwar Creeper vom Leib halten, aber Chug würde es sich nie verzeihen, wenn Toks Katzen wegen ihm etwas zustoßen würde. Rüstung und Waffen sind in unseren Taschen verborgen, denn wenn wir uns in der Nähe der Stadt in voller Abenteuerausrüstung sehen lassen, würden die Leute sofort zu den Ältesten laufen, die wiederum sofort die Mauer verschließen würden, um uns am Weggehen zu hindern. Aber als wir alles vorbereitet haben, stehen wir erst unschlüssig herum.
»In welche Richtung sollen wir gehen?«, will Chug wissen.
»Weg von der Mauer«, murmelt Lenna.
Ich nehme den Karottenrest, den sie auf Dingsbums’ Koppel gefunden hat, und halte ihn Mohn hin. »Meinst du, sie kann erschnuppern, wer die Karotte in der Hand hatte? Ist ihr Geruchssinn dafür gut genug?«
»Keine Ahnung. So etwas habe ich noch nie ausprobiert.« Lenna nimmt mir das grüne Büschel ab und reibt den Karottenstumpf an Mohns Nase. »Mohn, such die, die das zuletzt in der Hand hatten.«
Mohn leckt ihr die Hand und wackelt aufgeregt mit dem Hinterteil.
»Oh«, macht Lenna enttäuscht. »Ich bin die Letzte, die das angefasst hat.«
Hinter dem Haus der Jungs und der einzigen Straße von Neu Cornucopia erstreckt sich die Oberwelt so groß und weit und wild wie an dem Tag, als wir sie zum ersten Mal durch Omas geheimes Fenster erblickten. In der Ferne ragen Berge auf – zerklüftete graue Gipfel mit einer Schneedecke. Irgendwo in dieser Richtung gibt es ein Leuchtfeuer und ein Dorf, und dahinter einen Fluss und einen dunklen Wald. Seit unserer letzten gefahrvollen Reise sind wir nicht weiter als bis Neu Cornucopia gelaufen. Wir sind auf Nummer sicher gegangen und haben die Regeln der Ältesten befolgt, wie es unsere Eltern wollten.
Wir waren folgsam, haben all unsere Pflichten erledigt und sind unserer Arbeit nachgegangen.
Die ganze weite Welt liegt vor uns, und wir haben uns damit zufriedengegeben, sie anzustarren.
Bis jetzt.
Denn jetzt müssen wir wieder losziehen, Verbot hin oder her.
Als wir das letzte Mal losgezogen sind, haben wir unsere Heimatstadt gerettet.
Diesmal müssen wir unseren Freund retten.
»Ich würde sagen, wir sind so weit«, sagt Chug und öffnet das Gatter von Dingsbums’ Stall. Aufgeregt grunzend und tänzelnd kommt das Schwein heraus. »Du fühlst dich ein wenig eingesperrt, oder, Kumpel?« Wie beiläufig ergänzt er für Lenna und mich: »Er treibt sich gern auf Davs Kartoffelfeldern herum, deshalb muss ich ihn meistens einsperren.«
Wie auf Kommando quiekt Dingsbums und stürzt drauflos. Aber er hat es nicht auf die Kartoffeln abgesehen, die nebenan in einladend ordentlichen Reihen wachsen.
Stattdessen schnappt er sich etwas vom Boden und fängt an, fröhlich darauf herumzukauen.
»Hey, was hast du da?«, ruft Chug. »Frisst du etwa wieder Müll, du kleiner Schmutzfink?«
Er eilt zu seinem Schwein und versucht, ihm ins Maul zu sehen, aber Dingsbums schüttelt ihn ab und rennt weiter, um wieder etwas aus dem Boden zu holen.
»Was frisst er da?«, frage ich, als wir ihn eingeholt haben.
»Ich weiß nicht, aber sein Maul ist ganz rot und klebrig.« Chug keucht erschrocken auf. »Ob es Blut ist? Toks Blut? Dingsbums, bist du etwa ein blutrünstiges Monstrum? Ich meine, ich weiß, es gibt Menschen – urks –, die Schweine essen, aber nicht, dass Schweine auch Menschen fressen können.«
Aber Lenna kniet bereits am Boden und hebt einen rot getünchten Finger. »Das sind Süßbeeren«, stellt sie fest.
Wieder rennt Dingsbums los, den besorgten Chug auf den Fersen, und ich muss grinsen.
»Das ist eine Spur aus Dawnas gestohlenen Süßbeeren«, verkünde ich. »Ich wette, wer immer Tok entführt hat, hat sie fallen lassen.«
3.
LENNA
Okay, Folgendes solltest du über mich wissen: Ich heiße Lenna, arbeite als Lehrling für die älteste und kauzigste Person der ganzen Stadt, weil meine eigene Familie aus Langweilern besteht, die mich nicht verstehen, und gerade bin ich überglücklich, mich in ein Abenteuer zu stürzen, obwohl ich voller Süßbeerensaft und Schweinesabber bin. Mal wollte eigentlich Mohns feine Nase einsetzen, um die Entführer zu finden, aber wir haben die Superkräfte eines hungrigen Schweins in Kombination mit einer Spur aus vorzüglichen Beeren unterschätzt. Wir kommen kaum hinterher, so schnell rennt Dingsbums von einer zur nächsten Leckerei, und Chug ist halb erfreut und halb besorgt.
»Er wird sich noch den Magen verderben!«, klagt er.
»Dann nimm ihn an die Leine!«, schlägt Mal vor.
»Ach, ja«, murmelt er und durchsucht seine unmöglich tiefen Taschen. »Ich vergesse immer, dass es noch andere Dinge gibt als Tok und Dingsbums.« Als das Schwein an der nächsten Beere haltmacht, legt Chug ihm die Leine um. Es ist richtig lustig zuzusehen, wie der große, starke Chug von seinem aufgeregten Haustier durch die Gegend gezerrt wird.
Ich wäre gern noch bei Oma vorbeigegangen, um uns besser auszurüsten, aber das Stack-Eck ist auch kein übler Ort dafür. Unsere Taschen sind gut genug gefüllt, um uns der Oberwelt zu stellen. Und wir sind in Eile – Tok ist in Schwierigkeiten und befindet sich höchstwahrscheinlich am Ende der Süßbeerenspur.
Jetzt, wo die Mauer weit hinter uns liegt, zücke ich meinen Bogen – obwohl, eigentlich ist es Omas Bogen. Nur die Pfeile habe ich selbst hergestellt. Es ist schwer zu glauben, dass ich noch vor einer Weile keine Ahnung hatte, dass solche Waffen überhaupt existieren, und jetzt bin ich die beste Schützin der Stadt. Es fühlt sich gut an, den Bogen wieder in der Hand zu halten, und zwar nicht nur zum Üben, sondern aus gutem Grund. Bevor meine Freunde und ich auf unser erstes Abenteuer gingen, hatte ich einen Ruf als faule, durchgeknallte Tagträumerin, die ihre Hände kaum je zu etwas Nützlichem einsetzte und unter ihrem Bett anstatt darauf schlief. Meine Familienmitglieder waren nie besonders nett zu mir und ließen mich ständig wissen, wie eigenartig, nervtötend und nutzlos ich in ihren Augen war. Aber die Reise durch die Oberwelt hat mir gezeigt, was ich kann.
Ich bin eine gute Schützin, eine gute Freundin, habe eine Wölfin gezähmt und gegen Monster gekämpft.
Und seit ich bei Oma in der Lehre bin, habe ich mich weiterentwickelt. Ich habe ihre Bücher gelesen, ihre Lieder gesungen, ihren Geschichten gelauscht und alles Mögliche über Städte und Häfen und verborgene Unterwasserruinen gelernt. Ich habe gelernt, Pfeile herzustellen, die optimal fliegen, und wie es sich anfühlt, von jemandem gelobt zu werden, den du respektierst. Aber was für meine Freunde vielleicht am wichtigsten ist – ich kann Omas berühmte Kekse nachbacken.
Jetzt nehme ich aber erst einmal meinen Platz am Ende unserer Abenteurer-Karawane ein. Dort fühle ich mich am wohlsten – hinter meinen Freunden, wo ich ihnen am besten den Rücken decken und meine Sinne auf eventuelle Gefahren ausrichten kann. Der Tag ist dunkelgrau; die Wolken hängen tief, und die Luft ist so schwer, dass sie sich wie eine nasse Decke auf meine Haut legt. Mohn trottet neben mir her, glücklich, mit heraushängender Zunge und funkelnden Augen. Wenn sie in meiner Nähe ist, bin ich gelassener. Sie ist mir überallhin gefolgt – in Omas Hütte, im Wald und in der Stadt – aber ich merke sofort, dass auch meiner Wölfin das Reisen gefehlt hat. Hin und wieder rennt sie ins hohe Gras, um Jagd auf Kaninchen zu machen, aber sie hüpfen nur erschrocken davon. Keiner ihrer Versuche ist erfolgreich – vielleicht ist sie ein bisschen zu zahm geworden. Aber ich bin zuversichtlich, dass sie sich ihr Abendessen bald wieder selbst jagt und während unserer Mission ein bisschen wilder wird. Trotzdem weiß ich, dass sie meine Seite nie verlassen wird, denn wir sind jetzt ein Team.
Üblicherweise führt Mal unsere Truppe an, wenn wir auf Reisen sind, aber heute folgt sie Chug, der von seinem Schwein gezogen wird. Ich frage mich, ob ihr dieselben Dinge auffallen wie mir, nämlich dass der Weg, den wir eingeschlagen haben, verdächtig dem unserer letzten Quest ähnelt. Wir sind wieder unterwegs in die Berge, und wenn sich die Beerenspur weiter so fortsetzt, werden wir schon bald das Leuchtfeuer sehen, das unsere Gründer neben dem nächstgelegenen Dorf errichtet haben. Wir wissen, dass die Erwachsenen inzwischen mehrere Male dort waren, aber keiner von ihnen hat je eins von uns Kindern mitgenommen, obwohl wir genau wissen, wie man mit den eigenartigen Dörflern handelt. Sie sprechen unsere Sprache nicht, aber sind eindeutig intelligente Wesen, obwohl sie nur mit dem Wort »Hm« kommunizieren.
Donner grollt über unseren Köpfen, und der Himmel wird noch dunkler. Ich sehe mich um. Wir befinden uns auf einer Grasebene, wo es weder Bäume noch Gebäude gibt.
»Wollen wir anhalten und eine Unterkunft graben?«, frage ich.
»Auf keinen Fall!«, ruft Chug. »Jede Minute, die wir herumsitzen, ist Tok ein Stück weiter weg. Und wenn etwas anderes hier vorbeikommt und die Süßbeeren vor Dingsbums auffrisst, finden wir ihn vielleicht nie.«
Dingsbums zieht an der Leine, Chug und Mal folgen ihm. Sie sieht sich nervös um und greift in die Tasche, um ihre Diamantspitzhacke herauszuholen. Es ist gut zu wissen, dass ich nicht die Einzige bin, bei der diese Ebene ein mulmiges Gefühl auslöst. Bis auf die Kaninchen, die Mohn nicht fangen konnte, sind wir an keinen Kreaturen vorbeigekommen. Andererseits verkriecht sich jedes schlaue Tier, wenn ein Gewitter bevorsteht.
Zuerst regnet es nur mäßig, so als wäre sich das Wetter noch nicht sicher, was es will, doch dann fängt es an, wie aus Eimern zu schütten. Donner grollt, Blitze zucken vom Himmel und schlagen auf dem Gras vor uns ein.
»Wollt ihr wirklich keine Unterkunft bauen?«, brülle ich gegen das Rauschen des Regens, der mich nach Sekunden bis auf die Knochen durchnässt hat.
»Wir dürfen die Spur nicht verlieren!«, brüllt Chug zurück.
Mal sieht mich achselzuckend an, und ich erwidere die Geste. Wir wissen genau, dass wir Chug nicht umstimmen können – nicht, wenn er sich Sorgen um seinen Bruder macht. Für eine Weile wird der Regen unangenehm sein, aber irgendwann werden wir uns damit abfinden. Ich mag es zwar nicht, wenn mir kalt ist und ich nass werde, aber Tok liegt mir am Herzen, und ich weiß, ich werde mich nicht wie ich selbst fühlen, wenn wir ihn nicht finden.
Rumms!