Sterbliche Götter – göttliche Menschen - Christian Gers-Uphaus - E-Book

Sterbliche Götter – göttliche Menschen E-Book

Christian Gers-Uphaus

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Beschreibung

Psalm 82 gilt als einer der "spektakulärsten Texte des Alten Testaments" (Erich Zenger). Der konkrete Anlass für die Beschäftigung mit ihm liegt in der Debatte um den Monotheismus, in der er eine zentrale Rolle spielt, verkündet er doch nichts geringeres als den Tod der anderen Götter. Die Studie zeigt drei verschiedene Verständnismodelle auf, die der Psalm im rahmen seiner Rezeption erfährt.

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Christian Gers-Uphaus

Sterbliche Götter – göttliche Menschen

Psalm 82 und seine frühchristlichen Deutungen

Mortal Gods – Divine Humans. Psalm 82 and Its Early Christian Reception

Psalm 82 is supposed to be one of the “most spectacular texts of the Old Testament” (Erich Zenger). The concrete reason for discussing it is the debate on monotheism in which it plays a major role, declaring nothing less than the death of the other gods. After clarifying its basics and backgrounds within the Old Testament, this study begins with an analysis of the Jewish reception of this Psalm in the Septuagint (LXX Psalm 81) and in the Dead Sea Scrolls (11QMelchisedek). Subsequently, it focuses on the Psalm’s early Christian reception. After treating its only clear reference in the New Testament (John 10), this study turns to selected early Christian authors, who are divided into two groups: Authors commenting on individual verses of Psalm 82 (like Justin, Irenaeus, Clemens; Tertullian, Cyprian, Novatian) and authors providing a whole commentary on it (like Eusebius, Theodoret; Jerome, Augustine). The study aims to show three different patterns of interpreting this Psalm within its reception: christological, anthropological, and eschatological.

© Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart 2019

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller

Satz: SatzWeise, Bad Wünnenberg

Druck: Sowa Sp. z.o.o., Warschau

Printed in Poland

www.bibelwerk.de

ISBN 978-3-460-03404-4

eISBN 978-3-460-51071-5

Denn der Mensch urteilt nach den Augen,Gott aber urteilt nach dem Herzen.

1 Sam 16,7

In Dankbarkeit meinen ElternAnnette und Bernardsowie dem Andenken meiner GroßmutterMagdalena (vulgo Leni)

SOKRATES: Wenn also ein Auge sich selbst schauen will, muß es in ein Auge schauen, und zwar in den Teil desselben, welchem die Tugend des Auges eigentlich innewohnt. Und dies ist doch die Pupille?

ALKIBIADES: So ist es.

SOKRATES: Muß nun etwa ebenso, lieber Alkibiades, auch die Seele, wenn sie sich selbst erkennen will, in eine Seele sehen? Und am meisten in den Teil derselben, welchem die Tugend der Seele innewohnt, die Weisheit, und in irgend etwas anderes, dem dieses ählich ist?

ALKIBIADES: So dünkt es mich wenigstens, o Sokrates.

Platon, Alkibiades I 132d–133c(nach der dt. Übers. v. F. Schleiermacher)

Vorwort

Vorliegende Studie ist eine überarbeitete Fassung meiner am 18. 02. 2011 unter dem Titel „Psalm 82 (LXX 81) und seine frühchristlichen Deutungen“ dem Fachbereich Katholische Theologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster vorgelegten Diplomarbeit im Studiengang Katholische Theologie.1 Das Literaturverzeichnis befindet sich auf dem Stand der Abgabe der Arbeit. Danach erschienene Beiträge konnten im Rahmen der Veröffentlichung nicht mehr eingearbeitet werden.

Dass diese Qualifikationsarbeit nun der Öffentlichkeit präsentiert werden kann, verdanke ich in erster Linie Herrn Professor Dr. Michael Theobald (Tübingen), der sie freundlicherweise für die Stuttgarter Bibelstudien akzeptiert hat. Ihm sowie seinem Mitherausgeber, Herrn Professor Dr. Christoph Dohmen (Regensburg), danke ich zudem für wertvolle Hinweise im Zuge der Aufnahme meiner Arbeit in diese von ihnen verantwortete renommierte Studienreihe, in der sie jetzt genau 50 Jahre nach der Untersuchung Hans-Winfried Jünglings (†) erscheint.2

Pflichtgemäßen akademischen Dank habe ich insbesondere Herrn Professor Dr. Dr. Alfons Fürst (Münster) abzustatten, der zur Betreuung meiner Diplomarbeit seinerzeit trotz eines auswärtigen Forschungsfreijahres bereit war. Ohne Umschweife hat er meinem anfänglichen Wunsch entsprochen, im Hinblick auf die gestellte Thematik eine Verbindung zwischen den beiden exegetischen Disziplinen sowie der Alten Kirchengeschichte herzustellen. Seine inhaltlichen Hinweise und Anregungen im Rahmen der Erstbegutachtung habe ich für die Publikation dankend aufgenommen. Dies gilt ferner für das von Frau Professorin Dr. Marie-Theres Wacker (ebd.) verantwortete Zweitgutachten.

Des Weiteren möchte ich Frau Professorin Dr. Karla Pollmann (Bristol) sowie Herrn Professor Dr. Folker Siegert (Münster) für ihre je kritische Lektüre des Manuskriptes und wertvollen Kommentare danken. Nicht zuletzt schulde ich an dieser Stelle auch Herrn Dr. Michael Hartmann (Lektorat Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH) sowie Herrn Dr. Jean Urban Andres (SatzWeise) einen Dank für ihre redaktionelle Betreuung im Zuge der Veröffentlichung.

Soweit nicht anders angegeben, stammen die Übersetzungen in dieser Studie von mir selbst. Auf ihren Charakter als Arbeitsübersetzungen sei an dieser Stelle noch einmal hingewiesen. Insofern möge man mir das ‚holprige‘ Deutsch bitte nachsehen – die sprachliche Nähe zum quellensprachigen Text war für mich ausschlaggebender. Für zahlreiche dieser Texte stehen ebenfalls Übersetzungen in der einschlägigen Literatur zur Verfügung. Es sei jedoch hier darauf verwiesen, dass im Anhang dieser Studie vollständige Übersetzungen der in Abschnitt 4.2.2 besprochenen Psalmenkommentare von Eusebius, Theodoret, Hieronymus und Augustinus zu Psalm 82 ins Deutsche enthalten sind.3 In diesem Zusammenhang richtet sich mein Dank insbesondere an Frau Dr. Annette Hüffmeier (Münster) für ihre Durchsicht der griechischen Übersetzungen sowie an Herrn Dr. Heiner Kampert (ebd.) für seine Hinweise zu den Übertragungen aus dem Lateinischen in Abschnitt 4.2. Beide waren insofern schon ursprünglich mit meiner Diplomarbeit ‚verbunden‘ gewesen, als ich während ihrer Anfertigung im Wintersemester 2010/11 durch sie auf die klassische Graecumsprüfung vor dem Regierungspräsidium in Münster vorbereitet wurde.

Ferner sei erwähnt, dass auf dem Publikationsserver miami der Universitäts- und Landesbibliothek Münster eine Tabelle hinterlegt ist, auf die im Verlaufe der Studie des Öfteren verwiesen wird. Es handelt sich dabei um eine Übersicht der Zitationsbelege von Psalm 82 in der frühchristlichen Literatur, die bereits in der Originalfassung der Diplomarbeit enthalten war.4 Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass ich Gedanken aus (dem alttestamentlichen) Kapitel 2 dieser Studie (insbesondere den dortigen Abschnitt 2.3) in einem sich im Druck befindenden Artikel für die Biblische Zeitschrift verarbeitet habe.5

Danken möchte ich schließlich an dieser Stelle ausdrücklich auch der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk für viel Inspiration, interessante Begegnungen und großzügige Förderung in meinem Erststudium. Bedanken möchte ich mich ebenso bei der Armin Schmitt Stiftung für biblische Textforschung (Regensburg), die diese Studie (als Diplomarbeit) am 18. 10. 2013 ausgezeichnet hat.6

Münster, am 12. 12. 2018

CHRISTIAN GERS-UPHAUS

1Ein textidentisches Exemplar dieser ursprünglich eingereichten Fassung kann in der Bibliothek des Bonner Franz Joseph Dölger-Instituts eingesehen werden. – Etwaige Korrekturen und Hinweise in der Sache werden erbeten an christian. [email protected].

2dato in den SBS zu Psalm 82 erschienen ist. – P. Jüngling verstarb leider am 04. 10. 2018.

3Für sämtliche dieser vier genannten Werke ist nach meiner Kenntnis bis heute keine deutsche Übersetzung in den gängigen patristischen Reihen verfügbar!

4URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:6-80289513333; DOI: https://doi.org/10.17879/80289504807.

5Vgl. BZ 63/1 (2019): „Gott als wahrer und Retter der Armen – Psalm 82 im Korpus der Asafpsalmen“. Dort habe ich den hier in Rede stehenden Psalm unter kanonischem Gesichtspunkt im Hinblick auf das Korpus der Asafpsalmen näher analysiert.

6Ich widme sie neben meinen Eltern meiner Großmutter, die in sehr marginaler Weise sogar daran beteiligt war (für die Details s. Fußnote 657 [Kap. 4]). Sie ist traurigerweise am 02. 01. 2017 verstorben. Zwei Dinge habe ich von diesem lieben Menschen, solange ich ihn erleben durfte, gelernt: Sei bescheiden und demütig, wenn es um Dich selbst geht; großzügig und unermüdlich aber im Einsatz für Andere!

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1Einführung

1.1Anlass der Studie: Die Debatte um den Monotheismus (I)

1.2Ziel der Studie: Schrifthermeneutik am Beispiel von Psalm 82

2Alttestamentliche Grundlagen und Hintergründe

2.1Monotheismusdebatte (II) – JHWH der einzige Gott

2.2Psalm 82 in seiner hebräischen Fassung

2.3Auslegungsfragen

2.4Aussage und Sitz im Leben

2.5Zwischenbilanz (i)

3Frühjüdische Verwendungen

3.1Septuaginta

3.1.1Psalm 82 in griechischer Übersetzung

3.1.2Vergleich mit der hebräischen Fassung

3.2Qumran

3.2.1Der Textbefund in 11QMelchisedek

3.2.2Psalm 82 im eschatologischen Kontext: als Engel

3.3Zwischenbilanz (ii)

4Frühchristliche Rezeptionen

4.1Das Johannesevangelium

4.1.1Psalm 82,6a in Johannes 10,34

4.1.2Zum Kontext: Der Blasphemievorwurf an Jesus

4.1.3Der Skopos des Psalmzitats

4.2Autoren der Alten Kirche

4.2.1Zitation einzelner Psalmverse

4.2.1.1Griechische Autoren

4.2.1.1.1Justin

4.2.1.1.2Irenaeus

4.2.1.1.3Clemens

4.2.1.2Lateinische Autoren

4.2.1.2.1Tertullian

4.2.1.2.2Cyprian

4.2.1.2.3Novatian

4.2.2Erhaltene Kommentare zum Psalm

4.2.2.1Griechische Autoren

4.2.2.1.1Eusebius

4.2.2.1.2Theodoret

4.2.2.2Lateinische Autoren

4.2.2.2.1Hieronymus

4.2.2.2.2Augustinus

4.3Zwischenbilanz (iii)

5Ertrag der Studie

5.1Monotheismusthematik

5.2Hermeneutischer Diskurs

5.3Dominierendes anthropologisches Verständnismodell

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Anhang

1Einführung

Psalm 821 ist einer der „spektakulärsten Texte des Alten Testaments“2. Diese Charakterisierung gibt treffend die Bedeutungsfülle wieder, die diesem Psalm bereits in der Hebräischen Bibel zu eigen ist, da hier – prima facie – unter anderem vom Tod von Göttern gesprochen wird und von dem Wunsch, dass ein bestimmter Gott die Erde regieren möge, so dass Gerechtigkeit (wieder)hergestellt werde. Welche Assoziationen ein biblischer Text bei seinem (sofern uns überhaupt bekannten) Primärleser oder -hörer hervorzurufen intendierte bzw. – de facto – weckte,3 ist wohl als ‚Gretchenfrage‘ historisch-kritisch arbeitender Exegese anzusehen. Deren Beantwortung wird jedoch immer mit einem gewissen Unsicherheitsmoment verbunden sein, da, wissenschaftstheoretisch gesprochen, die Bedingungen des eigenen Standpunkts sowie der eigenen Wahrnehmung nicht nur mitzubedenken sind, sondern sie auch niemals ausgeblendet werden können. So kann es nicht verwundern, dass Ps 82 erstens in seiner eigentlichen Bedeutung bislang nur unzureichend erkannt worden ist4 und dass er zweitens zu den umstrittensten Texten im Alten Testament gehört.5 Eine gewisse exegetische ‚Prominenz‘ dieses Psalms scheint somit außer Frage zu stehen.6

1.1Anlass der Studie: Die Debatte um den Monotheismus (I)

Darüber hinaus steht der zu untersuchende Psalm im Rahmen einer Thematik an ‚exponierter‘ Stelle, in deren Zusammenhang er heute sowohl von religions- als auch theologiegeschichtlicher Seite nicht selten bemüht wird: die Diskussion um den Monotheismus Israels, der seinerseits wiederum als Voraussetzung des christlichen Monotheismus zu gelten hat. Dabei gilt es grundsätzlich zu bedenken, dass es sich beim Monotheismus, den es von Formen des Henotheismus und der Monolatrie abzugrenzen gilt, um ein äußerst vielschichtiges Phänomen handelt, das im Kontext gesellschaftlicher Interaktionen keinesfalls mit schlichten Oppositionspaaren (wie Monotheismus ‚vs.‘ Polytheismus) hinreichend beschrieben werden kann – ein Sachverhalt, den es nicht nur für den christlichen7 Monotheismus in seiner Ausdifferenzierung gegenüber der paganen Umwelt8 zu konzedieren gilt, sondern der sich vielmehr ebenfalls auf den Monotheismus Israels9 übertragen lässt, der in Abschnitt 2.1 in der gebotenen Kürze Erwähnung finden soll.

Wirft man im Kontext dieses Monotheismusdiskurses, der den eigentlichen Anlass für die hier vorgenommene Beschäftigung mit Ps 82 darstellt, einen Blick auf die Verwendung dieses Psalms als Text,10 dann lässt sich konstatieren, dass er in nur sehr wenigen Fällen (vollständig) zitiert und analysiert wird.11 I. d. R. wird auf ihn lediglich verwiesen, wobei der Psalm für unterschiedliche Begründungszusammenhänge innerhalb der Monotheismusthematik beansprucht wird:

a)Im Sinne eines monarchischen Monotheismus wird Ps 82 als Beleg für ein JHWH untergeordnetes Götterpantheon angesehen,12 über das er Gericht hält.13 In diese Richtung lässt sich wohl auch diejenige Position einordnen, die hinsichtlich des Psalms von einer „Vorherrschaft Jahwes über andere Götter oder Gottwesen“14 spricht.

b)Sie ist wiederum deutlich von demjenigen Vorschlag zu unterscheiden, der u. a. aus Ps 82 „rein polytheistische Aussagen“15 ableiten möchte und ohnehin „das Alte Testament über weite Strecken hin [als; CGU] ein polytheistisches Buch“16 auffasst.

c)Demgegenüber heben detailliertere Untersuchungen zu Ps 82 seine „mythologisch-polytheistische Sprache“17 hervor. Der Psalm verarbeite somit Erfahrungen mit dem Polytheismus in Israel,18 habe dem polytheistischen System aber definitiv ein Ende gesetzt.19 Infolgedessen wird der Psalm nicht selten als „Dokument des exklusivistischen Gottesglaubens Israels“20 angesehen (gemeint ist damit die ausschließliche Bindung des Volkes Israel an den einen Gott JHWH), der gerade in nachexilischer Zeit „das ‚monotheistische‘ Proprium JHWHs im Kontext der altorientalischen Götterwelt“21 hervorhebe.

Insgesamt scheint sich Ps 82 folglich dem ohnehin „zu großkalibrige[n] Konzept ‚Monotheismus versus Polytheismus‘“22 gerade zu widersetzen,23 da er auch auf dessen Übergänge abhebt. Dieser Textcharakter ließe sich mittels eines Neologismus als ‚amphibolisch‘ bezeichnen.24 Zwar hat der kurze Überblick über die heutige Rezeption des Textes die Verortung von Ps 82 im Kontext (im weitesten Sinne) monotheistischer Debatten unterstrichen, zugleich aber hat sich gezeigt, dass es hinsichtlich der Erfassung des konkreten Verständnisses seine Verarbeitung unterschiedlicher Motive zu berücksichtigen gilt. In jedem Falle scheint es sich also nicht um einen rein monotheistischen Psalm zu handeln.25

1.2Ziel der Studie: Schrifthermeneutik am Beispiel von Psalm 82

Nachdem damit der Anlass für die Beschäftigung mit Ps 82 dargelegt ist, richtet sich der Blick auf den Skopos der vorliegenden Studie: Primär wird es im Folgenden um eine inhaltlich ausgerichtete Rezeptionsanalyse des Psalmtextes gehen,26 die sich zeitlich gesehen auf ‚antike‘ Wahrnehmungen beschränkt. Welche inhaltlichen Aspekte dabei fokussiert und welche hingegen eher marginal behandelt werden, sind Fragen, die nach inhaltlicher wie methodischer27 Klärung der Textgrundlage (Kap. 2) unter Berücksichtigung sowohl jüdischer28 (Kap. 3) als auch christlicher29 Auslegungen (Kap. 4) in dieser Arbeit eine Beantwortung erfahren sollen. Dabei soll es in Kapitel 2 weniger darum gehen, eine eigene Auslegung des hebräischen Psalmtextes vorzunehmen, als vielmehr die exegetischen Probleme, die der Text aufgibt, wahrzunehmen und zu beschreiben.

Eine Art der Auseinandersetzung mit alttestamentlichen Schriften bei frühchristlichen Autoren ist die sog. typologische Schriftauslegung, deren hermeneutischer Schlüssel der Glaube an Jesus Christus ist.30 Dieses Prinzip fand bei einem so zentralen Buch wie dem der Psalmen ebenfalls Anwendung. Gleichzeitig ist zu konzedieren, dass sich Schriftverwendung, Schriftgebrauch resp. Umgang mit Schrift31 schon in der Alten Kirche keinesfalls in der genannten Art erschöpfte.32 Inwieweit sich in diesem Zusammenhang dann ‚dominierende‘ Verständnismodelle aufzeigen lassen und ob die Auslegung, die der Psalm im Neuen Testament erfährt, Auswirkung auf die Schriftrezeption der hier ausgewählten Autoren hatte,33 wird ja gerade im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchen sein. Inwieweit kommen zudem explizite oder implizite ‚Verwebungen‘ mit der eingangs aufgeworfenen Monotheismusthematik vor? Eine Frage, die auch im Hinblick auf das Neue Testament – der ersten frühchristlichen Quelle, die Ps 82 zitiert34 – zu stellen sein wird. Dabei sollen die angedeuteten monotheistischen Anklänge des Psalms jedoch nicht als ‚Auslegungshorizont‘ für die zu untersuchenden frühchristlichen Rezeptionen fungieren.35 Es soll vielmehr nach ihrer Analyse im Rahmen der Schlussüberlegungen (Kap. 5) insgesamt danach gefragt werden, ob überhaupt (und wenn ja: auf welche Weise) ein monotheistisches Verständnis dieses Textes (bei den untersuchten Autoren) vorliegt oder ob die Rezeption des Psalms auch andere Themen in den Blick rücken konnte. Vor diesem Hintergrund ist das im vorherigen Absatz für Kapitel 2 beschriebene Vorgehen insofern gerechtfertigt, als auf diese Weise hinsichtlich der Deutemöglichkeiten und Deutungsperspektiven eine größtmögliche Vielschichtigkeit für Ps 82 in toto ermöglicht werden kann. Deren ‚Bandbreite‘ erlaubt es dann umso genauer, das Verhältnis von frühchristlicher Rezeption des Psalms und dem Bemühen historischkritischer Forschung um seinen ursprünglichen Sinn zu bestimmen.

1Sofern nicht abweichend vermerkt, bezieht sich „Ps 82“ nachstehend immer auf den 82. Psalm nach Zählung der Hebräischen Bibel (MT), was Psalm 81 nach Septuagintazählung („Ps 81LXX“) entspricht. Diese Notationsweise gilt entsprechend im Folgenden für sämtliche Psalmenangaben.

2HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 492.

3Dafür steht paradigmatisch die Frage nach dem Sitz im Leben der formgeschichtlichen Schule.

4Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 492. Angesichts der beinahe unüberblickbaren Fülle an Literatur im exegetischen Bereich – darauf wird in Kapitel 2 sowie in Abschnitt 4.1 einzugehen sein –, scheint dieser Sachverhalt m. E. quantitativ jedoch nicht zuzutreffen, ganz im Gegensatz zu den patristischen Beiträgen (vgl. Abschn. 4.2), deren Anzahl insbesondere für den deutschsprachigen Bereich überschaubar bleibt.

5Vgl. SCHARBERT, Literaturverzeichnis 190. Vgl. ferner das Urteil von JÜNGLING, Tod der Götter 11: „Verfolgt man die Erklärung des Psalms 82 in den während dieses Zeitraums [der vergangenen 100 Jahre; CGU] entstandenen Kommentaren, dann gewinnt man den Eindruck einer bemerkenswerten Konstanz … gegensätzlicher Auffassungen dieses Textes.“

6Vgl. auch LORETZ, Psalmstudien 251.

7Vgl. u. a. FÜRST, Christentum im Trend.

8Insbesondere die Debatte um einen paganen Monotheismus in der Spätantike erfreut sich seit jüngerer Zeit großer Beliebtheit (Bibliographie dazu bietet ders., Paganer und christlicher „Monotheismus“ 5 Anm. 3 f.). Es sei noch angemerkt, dass es wahrscheinlich auch ‚monotheismusinterne‘ Diskussionen zwischen Juden und Christen sowie möglicherweise Beeinflussungen der Vorstellungen der griechisch Gebildeten über ihren Götterhimmel durch den jüdischen Monotheismus gab. Zu diesem letzten Punkt vgl. HENGEL, Judentum und Hellenismus 473–486. Dass es bei jenen genannten ‚monotheismusinternen‘ Diskussionen mitunter zu ‚Verwerfungen‘ gekommen ist, zeigt sich insbesondere in der Debatte um die Christologie, die u. a. in Abschnitt 4.1 Thema sein wird.

9Konzis dargestellt in ZENGER, Monotheismus Israels 9–52. Die wohl gründlichste Studie dazu lieferte in der jüngsten Vergangenheit KEEL, Geschichte Jerusalems.

10Ich beschränke mich hierbei auf die bloße Wahrnehmung dieses Textes im Hinblick auf die benannte Thematik. Es sei angemerkt, dass Ps 82 auch im Kontext inhaltlich anders gelagerter Diskurse herangezogen wird. Exemplarisch sei hier auf die Diskussion um die Idee von der ‚Vergöttlichung‘ des Menschen verwiesen, in deren Zusammenhang insbesondere Ps 82,6 herangezogen wird. Vgl. u. a. MOSSER, Patristic Interpretations, NISPEL, Christian deification, RUSSELL, Doctrine of Deification.

11Abgesehen selbstverständlich von der Kommentarliteratur.

12Vgl. LANG, Monotheismus 838.

13Vgl. MÜLLER, Monotheismus 1461. Der richtende Aspekt wird bei LANG, ebd., nicht genannt.

14SCHMIDT, Monotheismus 241 (mit Verweis auf Ps 82 ebd. 245 Anm. 27).

15WEIPPERT, Synkretismus und Monotheismus 144.

16Ebd. 145.

17KEEL, Geschichte Jerusalems 867. ZENGER, Monotheismus Israels 52, spricht von „mythischen Farben“.

18Vgl. WACKER, Biblischer Monotheismus 81.

19Vgl. KEEL, Geschichte Jerusalems 867.

20WACKER, Biblischer Monotheismus 82.

21ZENGER, Monotheismus Israels 49.

22FÜRST, Paganer und christlicher „Monotheismus“ 24.

23Zur generellen Problematik dieser Kategorien im Hinblick auf die Interpretation biblischer Texte vgl. insbes. MOBERLY, How Appropriate is ‚Monotheism‘.

24Vgl. auch die Beiträge von SCHMID, Reste hebräischen Heidentums 107 („Dtn 32,8 f. und Ps 82 lassen sich weder mit dem einen noch mit dem anderen Label hinreichend befriedigend beschreiben. Wie zu zeigen sein wird, handelt es sich bei ihnen um zwar ‚polytheisierende‘, aber ‚monotheistische‘ Texte, die das Erbe des ‚Polytheismus‘ nicht einfach eliminieren, sondern erinnern und sogar in gewandelter Form – unter ‚monotheistischen‘ Bedingungen – wieder in Kraft setzen“) und ZENGER, Monotheismus Israels 52, der wie folgt zusammenfasst: „Aber der Gegensatz Monotheismus – Polytheismus ist nicht das eigentliche Problem dieses Psalms. Es geht nicht um ein quantitatives, sondern um ein qualitatives Problem. Es geht um das wahre Gott-Sein und um die wahre Religion.“ (Hervorhebungen im Original).

25Vgl. im Folgenden auch Anm. 269 (Kap. 2).

26Fragen zur generellen Methodik und Hermeneutik patristischer Exegese stehen hier infolgedessen nicht im Zentrum. Vgl. dazu u. a. GERBER, Exegese, PÉPIN, Hermeneutik, SIMONETTI, Esegesi Patristica.

27Vgl. dazu insbesondere Abschnitt 2.2.

28Das Dokument 11QMelchisedek (3.2) stellt damit – sieht man einmal von der griechischen Übersetzung des Psalms ab (3.1) – die einzige außerchristliche Rezeption des Psalms dar, der sich diese Studie im Rahmen eines eigenständigen Abschnitts widmen wird. Beiträge aus Targum und Midrasch können leider nicht oder nur marginal zur Sprache kommen.

29Wobei der Schwerpunkt deutlich auf den frühchristlichen Auslegungen (vgl. Abschn. 4.2) von Ps 82 liegen wird. Ob sich dabei analog zur oben angedeuteten exegetischen ebenfalls eine frühchristliche ‚Prominenz‘ des Psalms nachweisen lässt, wird zu untersuchen sein.

30Dieser Vorgang war keinesfalls konfliktfrei, wie SIMONETTI, Biblical Interpretation 9, schildert: „Here the early Church’s link with the Jewish tradition of the Old Testament comes into tension with the newness of the message which the Old Testament itself is used to confirm. The first Christians recognised in Jesus the Messiah … and … applied to Jesus the many Old Testament passages which were commonly understood … to be messianic. But the majority of the Jews did not accept this message, and the resulting debates became centred on these prophecies and their applicability to events in the life of Christ.“

31Zwischen diesen verschiedenen Bezeichnungen wird in dieser Studie nicht unterschieden.

32Dass der genannte typologische Ansatz ohnehin nicht dem Anspruch einer heutigen, gesamtbiblisch reflektierten Hermeneutik genügt, muss nicht eigens betont werden.

33So bspw. REEMTS, Schriftauslegung 15.

34Die Psalmen gehören dabei zu den Texten, die am häufigsten im Neuen Testament zitiert werden. Vgl. allgemein zur neutestamentlichen Rezeption des Alten Testaments HÜBNER, New Testament Interpretation, sowie speziell zur Psalmrezeption LÖNING, Funktion des Psalters.

35Zur Begründung der Autorenauswahl s. u. Abschnitt 4.2.

2Alttestamentliche Grundlagen und Hintergründe

In Abgrenzung und Ergänzung zu den einführenden Überlegungen zu Umgang und Rezeption von Ps 82 im Kontext der heutigen Monotheismusdebatte richtet der erste Abschnitt (2.1) den Fokus auf eine stärker inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Psalmtext vor dem Hintergrund der Debatte um den Monotheismus Israels. Die Überlegungen werden sich an dieser Stelle jedoch auf religionsgeschichtliche ‚Spuren‘, die zu Ps 82 führen, beschränken, um der nachfolgenden exegetischen Analyse nicht vorzugreifen. Ausgangspunkt der Analyse wird dann der Psalm in seiner hebräischen Fassung sein (2.2). Anhand der einschlägigen Kommentare und der Forschungsliteratur1 sollen die wesentlichen exegetischen Fragestellungen erörtert werden (2.3), die anschließend in einen Antwortversuch bezüglich der inhaltlichen Aussage des Psalms münden (2.4). Eine Zwischenbilanz (2.5) wird die Überlegungen dieses ersten inhaltlichen Kapitels abrunden.

2.1Monotheismusdebatte (II) – JHWH der einzige Gott

Wie (zeitlich gesehen später) im Falle des Christentums im Hinblick auf Interaktionen mit der spätantiken Welt2 hat man sich auch hinsichtlich des Volkes Israel in biblischer Zeit von der Vorstellung eines monolithisch-polytheistischen3paganen Umweltmilieus zu lösen, da diese Charakterisierung dem Sachverhalt nicht völlig gerecht wird. Gewisse Phänomene sind damit nämlich nicht hinreichend zu erfassen, wie z. B. ein in der altorientalischen Religionswelt nicht selten anzutreffendes Schema vom Aufsteigen eines bestimmten Gottes zum Vorsitz resp. an die Spitze des Götterpantheons (bspw. für Marduk im babylonischen und Baal im ugaritischen Pantheon belegt).4 Ps 82 arbeitet hier nach einer ersten Lektüre möglicherweise mit dieser Vorstellungswelt.5 Zudem muss man sich mit der Tatsache konfrontiert wissen, dass methodisch – im Unterschied bspw. zu späteren christlichen Gruppierungen – nicht bereits von einem elaborierten (einem theologisch reflektierten) Monotheismus für das Volk Israel ausgegangen werden kann (jedenfalls nicht für die vorexilische Zeit),6 der mit der Umwelt interagiert haben könnte.7

Die inzwischen aufgeworfenen Forschungsthesen zum biblischen Monotheismus haben fraglos einer gewissen Unübersichtlichkeit des Themas Vorschub geleistet. Insofern mag man auch durchaus von Monotheismusdebatten sprechen dürfen. Deren Komplexität abzubilden, ist im Folgenden jedoch nicht die Absicht. Vielmehr soll das Ziel darin bestehen, den Konsens dieser Debatten kurz zu umreißen: Dieser scheint nämlich darin zu bestehen, dass man in puncto biblischer Monotheismus auf jeden Fall mit einer (komplexen) Entwicklung im Rahmen der Verwebungen der Religion Israels mit seiner altorientalischen, religiösen Umwelt zu rechnen hat.8 Hinsichtlich der frühen Anfänge der vorstaatlichen Zeit hat man heute nach religionswissenschaftlichen und soziologischen Erkenntnissen nicht mehr von einer homogenen Größe ‚Israel‘ auszugehen, die sich monolatrisch an JHWH gebunden wusste (‚JHWH-Amphiktyonie‘), sondern von einer Art ‚Mischgesellschaft‘, die sich im Land Kanaan selbst entwickelte und unter religionsgeschichtlichen Gesichtspunkten durchaus ‚polytheistische‘ Merkmale aufwies (wie immer das auch einzuordnen ist).9

Bei der Herausbildung des eigentlichen JHWH-Monotheismus hat man nun offenbar von mehreren ‚Schüben‘ auszugehen:10 JHWH, dessen Name sich sehr wahrscheinlich von der hebräischen Wurzel („fallen“/ „wehen“//„werden“)11 – einer möglichen Nebenform zum Homonym („sein“) – ableitet, war ein Sturm- und Kampfgott12 aus der Edom-Gegend, der gleichzeitig eine Schutzgottheit der Schasu war, die als ‚Sippenverband‘ vornehmlich das Gebiet südöstlich und südwestlich des Toten Meeres bewohnten.13 Auseinandersetzungen dieser Gruppe mit der ägyptischen Großmacht führten nicht nur zu Deportationen einiger Schasu, sondern auch zu Arbeitsverpflichtungen in der ägyptischen Provinz Kanaan selbst. Nach dem Zusammenbrechen der ägyptischen Oberhoheit sowie der kanaanäischen Stadtkönigtümer um 1200 v. Chr. im südlichen und mittleren Palästina wurde diese neue politische Freiheit sehr wahrscheinlich auch ‚theologisch‘ interpretiert, so dass man in JHWH einen (göttlichen) Befreier aus der Hand Ägyptens erblickte.14 Diese neue Botschaft wurde dann – vermutlich durch eine Schasu-Gruppe, deren Vorfahren als Sklaven nach Ägypten verschleppt worden waren, selbst initiiert – als eine Art ‚Befreiungsgeschichte‘ Teil15 der sich neu formierenden Gemeinschaft ‚Israel‘.16 Eine unter religionsgeschichtlichen Aspekten betrachtet markante Veränderung stellt JHWHs Einnahme der Position des Reichs- und Staatsgottes unter David, der seinen Kult nach Jerusalem brachte,17 und Salomo dar. JHWH kam nun nicht mehr nur die Qualität eines Staats- und Nationalgottes zu, die ein personales Verhältnis zu Israel zum Ausdruck brachte. Vielmehr war die Beziehung zwischen JHWH und dem König seitdem ebenso exklusiv, was sich in Vorstellungen über ihn als ‚Sohn‘-JHWHs niederschlug. Religionsphänomenologisch bedeutend (sowie im Hinblick auf die Psalmauslegung der folgenden Abschnitte interessant) ist die Tatsache, dass dieser ‚neue‘ Gott Jerusalems im Laufe der Zeit Elemente anderer Götterkulte integrierte und transformierte. Aufgrund seines Einwohnens im Jerusalemer Tempel neben dem früheren Sonnengott Schemesch übernahm JHWH peu à peu dessen ‚Kompetenzen‘ und Symbolwelt.18 Ferner lässt sich die Integration von Elementen des Baal- sowie des El-Kultes beobachten, wofür Ps 29 ein eindrückliches Beispiel liefert.19 Dieser Vorgang der ‚Jahwesierung‘ fremder Elemente und Rituale blieb nun nicht nur auf die Jerusalemer Tempeltheologie beschränkt, sondern lässt sich auch im Bereich der lokalen Kulte nachweisen, wie für einige Festtraditionen und die Bestattungskultur nachgewiesen werden konnte.20 Parallel vollzog sich gegenüber diesen Gottheiten ein Prozess der Abgrenzung, der sich mit dem Beginn der assyrischen Oberhoheit über Israel zu intensivieren begann, da man sich in den eigenen religiösen Wurzeln bedroht sah. Höhepunkt einer sich daran anschließenden „JHWH-allein-Verehrung“21 war im Jahre 622 v. Chr. die joschijanische Kultreform,22 die insbesondere in der (literarischen) Gestalt des Deuteronomium (Dtn 6–28*) ihren Ausdruck fand und somit als „Grundgesetz“23 des damaligen Israel diente. Dtn 6,4–9 forderte nunmehr eine exklusive Bindung Israels an JHWH ein und verlangte damit in der Folge eine monolatrische Praxis.24 Dezidiert monotheistische Texte, die von der Nichtexistenz der anderen Götter sprechen, finden sich jedoch erst nachexilisch in den Kapiteln 40–48 des Jesaja-Buches und der exilischen Theologie der Priesterschrift.

In welcher Hinsicht sind diese religionsgeschichtlichen Überlegungen im Hinblick auf die Analyse von Ps 82 nun relevant? Wie an einigen Stellen bereits kurz angemerkt, scheinen in ihm prout iacet mehrere der angedeuteten Assoziationen verarbeitet zu sein: die altorientalische Vorstellung eines Götterpantheons mit einem höchsten Gott an der Spitze, die Bindung bestimmter Territorien an einzelne Götter25 sowie der Aufstieg eines Gottes zum neuen Haupt des Pantheons. Ob und inwiefern diese ‚Verwebungen‘ zu Recht reklamiert werden, wird die folgende exegetische Analyse zeigen.

2.2Psalm 82 in seiner hebräischen Fassung

Steigt man näher in die Beschäftigung mit Ps 82 ein, sieht man sich, zumindest im Hinblick auf etwaige ‚neue‘ Aspekte, die man dem Psalm abgewinnen könnte, wohl dem Versuch einer Quadratur des Kreises ausgesetzt, sofern man folgendem Verdikt Glauben schenken möchte:

„Ps 82 gleicht einem gut durchpflügten Acker. Wer sich daran macht, die Pflugschar erneut anzusetzen, läuft Gefahr, nur noch altes Erdreich nach oben zu wenden. Und die Früchte, die auf diesem Acker bislang wuchsen, sind so vielfältig und zahlreich, daß mit neuen kaum mehr gerechnet werden kann. Was man sich bei nochmaliger Arbeit erhoffen kann, ist, daß sich vielleicht herausstellen möge, für welche Früchte er einen gedeihlichen und für welche er nur einen schlechten Boden bietet.“26

Worin kann im Rahmen der vorliegenden Studie dann noch der Grund für eine (erneute) Beschäftigung mit Ps 82 liegen? Er wird hier gerade darin gesehen, dass eine Untersuchung, die nach den frühchristlichen Deutungen von Ps 82 fragt,27 doch gerade vom (nach heutigem Stand vermeintlichen) ‚Ursprungstext‘ auszugehen hat, um sich der Textbasis vergewissert zu haben, von der ja jede Übersetzung und Interpretation abhängt. Möchte man demnach dem Vorwurf des Ausgehens von falschen Voraussetzungen aus dem Weg gehen, ist man gut beraten, die wichtigsten exegetischen Fragen des Psalms am ‚Original‘ zu studieren, um dann in einem weiteren Schritt adäquat nach dessen Rezeption in den Qumranfragmenten, im Neuen Testament und bei frühchristlichen Autoren fragen zu können. Die Frage nach der Rezeption eines bestimmten Textes geht zudem unweigerlich mit der Problematik etwaiger Bedeutungsverschiebungen einher, die ja gerade nur dann zu registrieren sind, wenn man Klarheit darüber gewonnen hat, von wo nach wohin sich etwas verschiebt.28 Schließlich ist das gewählte Vorgehen auch durch die im patristischen Teil getroffene Auswahl eines des Hebräischen kundigen Autors wie Hieronymus begründet.29 Ein erneutes Ansetzen der „Pflugschar“30 erscheint demzufolge legitim.31

In diesem Sinne ist nachstehend als ‚Beackerungs-‘ bzw. Bearbeitungsgrundlage die hebräische Version des Psalms nach BHS5 mit paralleler Arbeitsübersetzung wiedergegeben, die den Urtext möglichst getreu zu übersetzen versucht. Unentschiedenheiten bei der Übersetzung sind durch Schrägstriche gekennzeichnet, Glättungen hingegen sind in runden Klammern z. T. mit Gleichheitszeichen notiert (analog wird in 3.1.1 hinsichtlich des griechischen Texts verfahren werden). Für Weiteres sei an dieser Stelle auf die exegetische Einzelauslegung (s. u. 2.3) verwiesen.

1a

(Ein) Psalm/Lied32 in Bezug auf (= von) Asaf.33

1b

Elohim/Gott34 steht/hat sich hingestellt35 in der Versammlung Els/Gottes36,

1c

inmitten (von) Elohim/Götter(n)37 richtet/urteilt er (= spricht er Recht).

2a

„Bis wann (= Wie lange noch) richtet/urteilt ihr Unrecht (= wollt ihr Unrecht sprechen)

2b

und erhebt die Angesichter von Frevlern/Gottlosen (= und wollt Frevler/ Gottlose begünstigen)? – Sela38

3a

Richtet/Urteilt (den) Geringe(n)/Schwache(n) und (die) Waise (= Sprecht Recht über [den] Geringen/Schwachen und über [die] Waise),

3b

(dem) Elenden und (dem) Armen39 verschafft40 Gerechtigkeit!

4a

Rettet41 (den) Geringen/Schwachen und (den) Bedürftigen,

4b

entreißt42 ihn der Hand (der) Frevler/Gottlosen!“

5a

Nicht wissen43 sie ([irgend]etwas) und nicht verstehen sie ([irgend] etwas),

5b

in Dunkelheit/Finsternis44 gehen45 sie umher,

5c

Es werden ins Wanken gebracht alle Grundmauern (= Grundfesten) (der) Erde.

6a

„Ich habe gesagt (= Ich erkläre hiermit)46: Götter47 (seid) ihr (zwar)

6b

und Söhne Eljons/des Höchsten (seid) ihr alle.

7a

Jedoch/Wahrlich: Wie (ein) Mensch werdet ihr sterben48

7b

und wie einer der Vorsteher/Fürsten werdet ihr fallen!“

8a

Erhebe dich/Stehe auf, Gott,49 richte/regiere (= spreche Recht über) die Erde,

8b

denn du hast Eigentum/Erbe an/bei all den Völkern (oder: denn du wirst/sollst als [Erb-]Besitz erhalten alle Völker)50!

Der Psalmtext weist eine regelmäßige Struktur auf: Klammert man Kolon 1a aus, wofür es wegen seines ‚Überschriftencharakters‘ einen guten Grund gibt, hat man es mit genau sieben Bikola im Textverlauf zu tun, die lediglich durch das Trikolon im fünften Vers in ihrem gleichmäßigen Aufbau gestört werden.51 Man mag darin zwar einen sekundären Zusatz (Glosse) vermuten,52 aber es wird dieser These aus folgendem Grund hier nicht weiter nachgegangen:53 Ps 82 soll gemäß dem Ansatz dieser Studie als literarische Einheit wahrgenommen werden (synchroner Ansatz), weil im Folgenden seine Rezeption als ganzer Text diskutiert wird.54 Diese hermeneutische Vorentscheidung gilt es zu berücksichtigen, da sie für den Untersuchungscharakter von Bedeutung ist. Mit Recht mag man dieser Vorgehensweise dann einen gewissen Grad an Hypothetizität bescheinigen, doch kann das Befragen von Quellen nach der Rezeption eines Psalmtextes sinnvollerweise nur auf Grundlage seines Textkörpers in toto erfolgen. Infolgedessen spielen Überlegungen zur Textentwicklung des Psalms im Folgenden eine nachgeordnete Rolle, ohne dabei jedoch von der Frage nach seiner zeitlichen Einordnung zu dispensieren.55 Ein diachroner Ansatz hat für das Psalmstudium fraglos seine Berechtigung; er kann wegen der eingeschlagenen Herangehensweise in dieser Studie jedoch als von sekundärer Bedeutung betrachtet werden.56 Insofern ist dann auch bereits entschieden, dass die offenkundig verschiedenen Motive, die im Psalm verarbeitet sind, an dieser Stelle der gleichen literarischen Ebene zugeordnet werden, so dass damit nicht notwendig verschiedene Textstufen verbunden werden. Anders verhält es sich hingegen bei der Psalmüberschrift (Kol. 1a), die aufgrund der erfolgten Redaktion der Asaf-Psalmgruppe, zu der Ps 82 gerechnet wird,57 als sekundär gelten kann.58 Ihre Funktion ist wohl darin zu sehen, dass sie den Psalm dem inhaltlich und formal zusammenhängenden Corpus der Asaf-Psalmen zuordnet.59

2.3Auslegungsfragen

Textkritische Fragen, derer es ohnehin nur wenige gibt,60 werden im Folgenden nicht eigens behandelt, es sei denn, sie bieten für die Auslegung im Einzelfall eine interessante Lesart. Bei der Analyse wird versweise vorgegangen, ohne dass dabei jedoch Anspruch auf Behandlung sämtlicher Auslegungsaspekte erhoben wird.

Vers 1 führt sozusagen als Exposition nach der Überschrift61 direkt in die Szenerie des Psalms ein, indem sie mit einer „Versammlung Gottes/Els“ () konfrontiert, deren ‚Teilnehmer‘ mit „Gott/Elohim“ sowie weiteren „Göttern“ näherhin benannt sind.62 Ferner werden die Aktionsmotive durch „stehen“ ()63 und „richten“ () benannt, die sich jeweils auf den Aktanten „Gott/Elohim“ beziehen. Zumindest das letztgenannte Verbum verweist aus sich heraus auf eine gerichtsähnliche Sprache,64 das erste hingegen nur sekundär aufgrund des Kontextes. kann aber ebenso als Hinweis auf die Vorstellungswelt einer himmlischen Ratsversammlung verstanden werden.65 erweist sich nun insofern in Ps 82 als sinntragendes Verbum, als es insgesamt viermal begegnet,66 wobei es seine Bedeutungsbreite durch unterschiedliche Nuancierungen wiederzugeben gilt.67 Es ergäbe sich nämlich schon in Kolon 1c eine alternative Übersetzungsmöglichkeit mit „anklagen“, wenn man die Versammlung als Gerichtsversammlung auffasste, so dass „Gott/Elohim“ dann inmitten der anderen „Götter“ seine Anklage vorbrächte.68 Versteht man das Verbum hingegen in einem zusammenfassend-prospektiven Sinne (also im Hinblick auf das, was nachfolgend passieren wird), so stützt dies die oben gewählte Übersetzung.69 Komplexerer Art ist demgegenüber die Frage nach dem ‚Aktantengerüst‘: Welche Vorstellung wird hier mit den Bezeichnungen „El“ und „Elohim“ (im Singular)70 assoziiert? Wie sind die Termini treffend zu übersetzen? „El“ begegnet in Ps 82 im Rahmen einer Wortverbindung mit „Versammlung“ () und sollte infolgedessen in diesem Kontext untersucht werden. Die ‚Gretchenfrage‘ ist nämlich, ob „El“ an dieser Stelle als nomen proprium oder appellativum aufzufassen ist.71 Erwähnt der Psalm an dieser Stelle demnach eine bzw. die Versammlung eines (bzw. des) Gottes El,72 der ansonsten im Psalm aber nicht näherhin charakterisiert wird? Oder liegt hier eine Gattungsbezeichnung vor, was die Übersetzung „Gottesversammlung“ nach sich zöge?73 Gerade dieser Fragehorizont liefert den ‚Nährboden‘ für ein wichtiges Deutungsmodell, das für Ps 82 nicht selten in Anspruch genommen wird: Inwieweit arbeitet der Psalm mit einem traditionell-kanaanäischen Vorstellungstypos (oder mehreren -typoi?) wie dem einer hierarchischen Götterversammlung (unter Leitung bzw. Vorsitz des Gottes El?), der dann sekundär (möglicherweise) eine „israelitische Glossierung“74 erfahren hat? – Dieses für einen Vers doch schon recht umfangreichen Fragenkatalogs kann sich wohl nur derjenige annehmen, der gehalten ist, den „Acker“ von Ps 82 nicht allzu tief durchpflügen zu müssen75 sowie sich ferner der Tatsache bewusst ist, dass

„über die Identifizierung der im Psalm genannten Götter bis hin zur Datierung des Psalms … bis heute so ziemlich alles umstritten geblieben [ist; CGU], was nur strittig sein kann.“76

ist als Wendung in der Hebräischen Bibel singulär, so dass man zum adäquaten Verständnis vergleichbare Konstruktionen heranziehen sollte, die den Versammlungsterminus in Verbindung mit dem Gottesnamen oder der Gottesbezeichnung enthalten.77 Dabei stößt man in vier Fällen auf eine constructus-Form von mit dem Tetragramm (Num 27,17; 31,16; Jos 22,16 f.),78 wobei in keinem Fall eine wie auch immer geartete göttliche Versammlung, Gemeinde oder ein göttlicher Rat gemeint ist. Der Bezug, den auch die Übersetzung „Gemeinde des Herrn“ verdeutlicht, richtet sich vielmehr immer auf die Israeliten. Sucht man hingegen nach Belegen für einen göttlichen Rat (bzw. Rat Gottes), so wird man mit dem Terminus („Kreis von Vertrauten“79) fündig (Ijob 15,8; Jer 23,18.22),80 jedoch niemals in einer Wortverbindung mit (daher wird der Terminus an dieser Stelle auch nicht als Eigenname für Gott [JHWH] angesehen). Da demnach der eigentliche Bezug zum Rat Gottes im Alten Testament über eine Wortverbindung mit erfolgt, ist bei mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Wendung kanaanäischer Prägung auszugehen.81 Wie verhält es sich aber mit der Bezeichnung ? Liegt hier ein Eigenname vor oder ist der Begriff als Appellativum aufzufassen?

Für den Eigennamen spricht zunächst die oben gezeigte Singularität der Verbindung , die ja verknüpft ist mit der Tatsache, dass bei einem Bezug auf die Versammlung Gottes (JHWHs) der Terminus zu erwarten gewesen wäre. Ruft man sich dann noch einmal in Erinnerung, dass sowohl bei den Belegen zur „Gemeinde des Herrn“ () als auch bei denen zur „Versammlung Gottes“ (Wortkombination mit ) immer ein genitivus subiectivus zu lesen ist – d. h. die erwähnte Gemeinde oder Versammlung steht unter der Herrschaft oder Leitung Gottes (JHWHs) –, dann sollte demzufolge bei analog von einer Versammlung unter der Leitung Els auszugehen sein.82 Der Psalm enthielte damit eindeutig ein kanaanäisches Kolorit i. S. eines himmlischen Thronrates unter der Leitung des ‚Vorstehers‘ El.83 Ein appellativisches Verständnis von ist im Alten Testament hingegen auch belegt84 und wäre demzufolge auch hier a priori nicht auszuschließen. Möglicherweise verwoben ist diese Auffassung zudem mit der umstrittenen Frage nach einer elohistischen Redaktion der Ps 42–83.85 Unterstellte man einmal eine derartige Überarbeitung, dann wäre in Kolon 1b ursprünglich für das Tetragramm zu lesen gewesen. Da die Form hier nämlich absolut gebraucht wird, kein Gattungsbegriff ist und zudem keine anderen Götter86 bezeichnet, ist sie sehr wahrscheinlich „signifikanter Ersatz für den Gottesnamen“87. Um dann aber eine Doppelung von in Kolon 1b zu vermeiden, hat man möglicherweise zu der abkürzenden Form gegriffen.88 Teilt man die Auffassung über eine ‚systematisch-redaktionelle‘ Ersetzung des Gottesnamens hingegen nicht, sondern geht vielmehr von einer bewussten89 Verwendung der -Bezeichnung an dieser Stelle aus,90 kann das Argument der Vermeidung der Doppelung der Termini in 1b trotzdem als plausibel gelten.

Schließlich ist noch einer dritten Möglichkeit nachzugehen: Kann hier ursprünglich womöglich ein Plural gestanden haben? – eine Frage, der man sich insbesondere vor dem Hintergrund des LXX-Textes von Ps 82 zu stellen hat, da man über das griechische θεῶν an dieser Stelle nämlich stutzig werden muss.91 Rein inhaltlich gesehen mag der Plural hier sogar gerechtfertigt erscheinen, wenn man sagt, dass die Rede von den und den in Vers 6 ein vorhergehendes Geschehen in einer Götterversammlung notwendig erscheinen lässt.92 Ferner legen, ohne dabei weiter ins Detail einsteigen zu können, akkadische und ugaritische Vergleichstexte93 hinsichtlich eines göttlichen Thronrates offensichtlich nahe, statt ursprünglich oder (jeweils „Götterversammlung“) zu lesen, da in entsprechenden Texten das Wort für „Versammlung“ immer mit einem pluralischen Terminus kombiniert wird, der die Mitglieder dieser Versammlung bezeichnet.94 Interessanterweise böte nun gerade die Form (statt der scriptio plena wäre nämlich auch die defektive Schreibweise mit denkbar) die Möglichkeit, wiederum zugunsten des singularischen zu argumentieren, da es sich bei dem in jener Wendung auch um ein im Hebräischen auftretendes enklitisches bei Nomina handeln könnte (folglich ergäbe sich die Schreibweise ).95 In welchem Sinne dann aufzufassen wäre (Eigenname oder Gattung), müsste dennoch offen bleiben. Infolgedessen wäre die Lesart θεῶν der LXX an dieser Stelle auch so zu erklären, dass das Enklitikum (versehentlich) als Plural verstanden wurde.96 Schließlich sei im Hinblick auf einen möglichen Plural an dieser Stelle noch kurz auf die exegetisch umstrittene Frage der Nähe der Ps 82 und 58 verwiesen,97 da der in Bezug auf Ps 58,2a häufig ins Feld geführte Konjekturvorschlag von („Verstummen“/ „Stillschweigen“) zu („Götter“) über Ps 82 als „Deutehorizont“98 für Ps 58 begründet wird,99so dass in Ps 82 ursprünglich auch der Plural gestanden haben müsste. Infolgedessen sei Ps 58 eigentlich auch als ein Göttergericht aufzufassen, das jedoch später durch eine (absichtliche) Verschreibung wegretouchiert wurde.100 Letztlich wird dieser Konjekturvorschlag heute aber als problematisch beurteilt101 und Ps 58 „unabhängig von seinem vermeintlichen ‚Zwilling‘“102 Ps 82 ausgelegt.

Jeder der präsentierten Lösungsversuche kann eine gewisse Plausibilität für sich in Anspruch nehmen, so dass die Frage nach der ursprünglichen Lesart hier nicht befriedigend zu beantworten sein wird. Dennoch wird der singularischen Wendung an dieser Stelle im Sinne einer lectio difficilior der Vorzug gegeben, die jedoch hinsichtlich ihres Verständnisses des Terminus als nomen proprium oder appellativum bewusst offen gelassen werden soll. Gerade in der Tatsache, dass eine explizite Feststellung, dass JHWH mit El zu identifizieren ist, fehlt, wird hier die Spannung des Psalms gesehen.103 Ferner kann der Plural an dieser Stelle auch wegen der in Kolon 1c erwähnten Götter wegfallen, die ja deutlich werden lassen, dass es sich um eine Versammlung von resp. mit Göttern handelt. Infolgedessen wird als die schwierigere Lesart beibehalten,104 die in diesem Zusammenhang wohl als „frozen formula … borrowed from Canaanite literature“105 zur Beschreibung einer göttlichen Versammlung im Sinne eines himmlischen Thronrates dient. Zumindest dieser kanaanäische Vorstellungstypos wird im ersten Vers also verarbeitet.106

Vers 2 eröffnet die eigentliche Anklage, indem er einen Vorwurf in (doppelter) Frageform formuliert. Obgleich die Adressaten (ebenso der Sprecher) dieser Anklage nicht explizit genannt sind, legt es sich dennoch nahe, dass sie sich an die genannten Götter aus Vers 1 richtet (und dass sie von Gott vorgebracht wird).107 Inhaltlich erstreckt sich die wörtliche Rede bis Vers 4 einschließlich, so dass dieser Teil als Einheit gesehen werden kann,108 der den Anklagevorwurf temporal ausdeutet: Retrospektiv werden sie nämlich eines offenbar verfehlten Verhaltens109 angeklagt, dessen Einstellung prospektiv gefordert wird. Demnach geht es in der mit eingeleiteten Frage weder um eine Erforschung der Gründe für das Verhalten der anderen Götter noch wird von diesen eine Erklärung erwartet, wie lange das angeklagte Vorgehen noch andauern soll.110 Dennoch kann die Frage nicht als bloße Rhetorik betrachtet werden, da ihr Skopos klar auf dem Beenden des angeklagten (oder beklagten) Handelns liegt.111 Ob die Frage selbst aber eine direkte Aufforderung112 zum Beenden der Handlung erkennen lässt, bleibt umstritten,113 zumal im Falle von Ps 82 die Aufforderungen ohnehin noch explizite Erwähnung finden (V. 3 f.).114 Das konkrete ‚Vergehen‘, dessen die Götter sich schuldig gemacht haben und dessen sie angeklagt werden, wird schließlich durch die Wendung benannt. Vorausgesetzt wird dabei die Vorstellung, dass den Göttern (auf der Erde) Territorien überantwortet wurden,115 für deren jeweilige Völker sie insofern Verantwortung zu tragen haben, als es ihre Aufgabe ist, die der Welt zugrundeliegende göttliche Rechtsordnung bei den Völkern durchzusetzen sowie zu schützen, so dass sich Recht und Gerechtigkeit in den Völkern und unter ihnen manifestieren.116 Die Realität straft die Götter jedoch offensichtlich Lügen: Ihre Tätigkeit als Richter,117 die hier über das aus Vers 1 bekannte Verbum wiederum benannt ist,118 wird durch sie quasi pervertierend ausgeübt, wenn davon die Rede ist, dass sie („Unrecht“119) urteilen bzw. sprechen und demzufolge Unrecht als Recht ausgeben.120 Kolon 2b führt den Inhalt der Anklage dahingehend weiter aus,121 dass den Göttern in ihrer Tätigkeit des Richtens Parteilichkeit anzulasten ist, da sie die „Gottlosen“ () begünstigen.122 Genau das scheint nämlich durch die Wendung („Gesichter erheben“123) ausgesagt zu werden, die sich sowohl auf ein Rechtsverfahren124 als auch auf das politische und gesellschaftliche Ansehen der Frevler beziehen kann.125 Dabei ist die ‚Pointe‘ sicherlich darin zu erkennen, dass die Götter selbst aktiv an dieser „Rechtsbeugung“126 durch Missbrauch ihres Richteramtes beteiligt sind.127 Schließlich sei noch kurz auf die Sela-Markierung eingegangen, die am Ende von Kolon 2b zu finden ist. Da sie i. d. R. (als eigentlich musikalischer Ausdruck) eine Pause anzeigt, hätte sie demnach hier eine Art Zäsurfunktion, was an dieser Stelle der wörtlichen Rede aber nur schwer plausibel gemacht werden kann, da sich dem Fragevorwurf direkt die Aufforderungen anschließen. Folglich erscheint die Markierung an dieser Stelle deplatziert.128

Diese Aufforderungen werden nun in den Versen 3 und 4 in Form von vier Imperativen formuliert, die in der Folge von Vers 2 als Erinnerung Gottes an die Pflichten der Götter (auf der Erde)129 zu verstehen sind. Eine Charakterisierung dieser Verse als ‚imperativische Mahnrede‘, die zudem der prophetischen Gerichtsrede nahe steht,130 ist daher sicher zutreffend.131 Sie kann zu Recht ferner als ultimativ bezeichnet werden,132 da ihre Funktion hier nicht darin zu sehen ist, die Götter durch die Erinnerung an ihre Pflichten umso unfähiger dastehen zu lassen. Vielmehr geht es um eine letzte Möglichkeit zur Wahrnehmung dieser Pflichten als Voraussetzung für eine weitere Ausübung ihres Richteramtes. Dabei rekurriert der Psalm einerseits auf den altorientalischen Topos der Schutzpflicht133 gegenüber den ‚traditionellen‘ personae miserae wie Waisen, Witwen und Rechtlosen, andererseits variiert er ihn insofern, als erstens diese Pflicht nun nicht mehr auf einzelne ‚Rechtsgottheiten‘ beschränkt bleibt, sondern gerade als (strukturelles) Kriterium für das wahre Gottsein aller Gottheiten bzw. Götter ausgewiesen wird, und zweitens eine radikale Änderung der sozialen und politischen Verhältnisse gefordert wird.134 Dass die Sinnspitze dieser Forderung wohl gerade in der Radikalität zu sehen ist, wird durch die drei Wortpaare in den Kola 3a–b und 4a deutlich, die die klassischen Wortbildungen der Armenthematik des Alten Testaments („Witwe und Waise“135 sowie „Elender und Bedürftiger“136) bewusst aufbrechen bzw. Teile sogar ausfallen lassen. So begegnet nämlich die „Witwe“ in diesen zwei Bikola überhaupt nicht, der „Elende“ findet sich in 3b in einer im Alten Testament singulären Verbindung mit dem „Armen“137 und der „Bedürftige“138 findet sich in 4a in Verbindung mit dem „Geringen“139, der hier als Einziger doppelt140 erwähnt wird. Folglich ergibt sich durch die Klammerstellung dieses Begriffes eine Neuprägung in Gestalt einer Reihe von „Geringer – Armer – Geringer“, die nun nicht mehr nur die ‚klassischen‘ personae miserae in den Blick nimmt, sondern „die breite Mehrheit der altorientalischen und israelitischen Gesellschaft“141 fokussiert, die verarmt und rechtlos einer reichen und herrschenden Oberschicht gegenübersteht.142 Infolgedessen votiert der Psalm an dieser Stelle wohl aufgrund bestehender Unrechts strukturen für einen fundamentalen Systemwechsel, der einer breiteren gesellschaftlichen Gruppe143 Gerechtigkeit und Recht verschaffen soll. Gestützt wird diese Deutung durch die rahmende Anordnung der pluralischen Imperative, die sich in den beiden Versen jeweils am Anfang und am Ende befinden (chiastische Stellung). Die Verwendung der Piel- und Hifil-Formen unterstreicht dabei den ultimativen Charakter der Szenerie, da sie den Fokus auf die auszuführende Handlung und auf das Faktische lenken.144 Im Rahmen der Imperativkette begegnet das Verbum nun bereits zum dritten Mal,145 dennoch kann an dieser Stelle mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass es hier „a quite different sense“146 im Vergleich zu den Versen 1 und 2 hat.147 Wie schon der Kontext andeutet, geht es hier nicht so stark um den Vorgang des Richtens als ein (passives) Abwägen aller Gründe im Hinblick auf das zu sprechende Urteil. Vielmehr fordert der Psalm an dieser Stelle ein aktives Eintreten des Richters für die Belange der Benachteiligten ein, um ihnen die gebührende Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.148

Schließlich sei noch kurz auf die Frage eingegangen, ob in den Versen 2 bis 4 ein Theodizeemotiv erkennbar wird.149 Die offenbar bewusste Komposition der Verse 3 und 4 lässt Raum für die Vermutung, dass hier mit den gleichklingenden Begriffen (Kola 2b und 4b) und (Kol. 3b) bewusst gespielt wird (Klammerstellung).150 Die Mahnung, den Geringen151 zum Recht zu verhelfen steht ja gerade in Spannung zum Faktum der Begünstigung der Frevler. Ferner ist die Frage nach einer Theodizee mit der bereits thematisierten Identifizierungsmöglichkeit einzelner gesellschaftlicher Gruppen hinter den Begriffen und verwoben.152 Nimmt man nämlich im Rahmen der Armutstheologie der Psalmen, die an dieser Stelle nicht weiter untersucht werden kann, an, dass sich hinter den „Elenden und Bedürftigen“ eine Gruppe verbirgt, die sich aus ihrer Not heraus an JHWH als den Gott der Entrechteten gewendet hat,153 dann kann man hier tatsächlich eine Verarbeitung des Theodizeemotivs (möglicherweise aus der Perspektive der „Geringen“)154 vermuten.155 Mit Blick auf Vers 8 würde dann die Lösung der sozialen und politischen Konflikte von einem künftigen und zudem universalen Gericht Gottes (JHWHs) erwartet werden.156

Vers 5 mag zunächst wegen des Wechsels von der wörtlichen Rede in die dritte Person und aufgrund seiner trikolischen Struktur irritieren, weshalb er häufig eine Einordnung als sekundärer Zusatz erfährt.157 Zunächst sind theoretisch bei der Einordnung vier Möglichkeiten denkbar: Erstens, der Psalmist selbst unterbricht (quasi auktorial) den Psalm für einen Kommentar an den Leser (oder Hörer), zweitens, der davon zu unterscheidende (anonyme) Sprecher der Psalms, der auch in den Versen 1 und 8 begegnet, wendet sich (als Teilnehmer des Geschehens) mit einer Art ‚Erzählerkommentar‘ an die ‚Zuschauer‘ (oder auch ‚Zuhörer‘) der Versammlung.158 Drittens, Gott selbst, der in den Versen 2 bis 4 gesprochen hat, spricht diesen Kommentar, indem er sich von den Göttern weg zu den Versammlungsteilnehmern (oder ‚Zuschauern‘ bzw. ‚Zuhörern‘) wendet, viertens, die (in der Psalmszenerie gedachten, aber nicht erwähnten) Teilnehmer sprechen diesen Kommentar (möglicherweise auch sprechervermittelt) als Reaktion auf die Anklage Gottes, wobei man dies dann auch als klagende Reaktion der Gemeinde, „die im poetischen Ritual am himmlischen Göttergericht teilnimmt“159, auffassen könnte, sofern man allerdings den achten Vers auch als ihre Bitte auffasste.160 Obzwar keiner der angeführten Ansätze per se auszuschließen ist, kann ein Kommentar des Psalmisten hier als unwahrscheinlich gelten, da die Vermittlung des Geschehens durch einen Sprecher für die Asaf-Psalmen charakteristisch ist und daher auch in Ps 82 anzunehmen ist.161 Infolgedessen wird auch hier für die Sprechervariante optiert, so dass ferner die Möglichkeit einer Gottesrede in Form einer Kommentierung in Vers 5 auch in den Hintergrund rücken muss, zumal es nämlich wahrscheinlich ist, dass der Vers mit Vers 8 (direkte Anrede an Gott) auf einer literarischen Ebene liegt. Es kann demnach in dem vorliegenden Trikolon vom gleichen (anonymen) Sprecher wie in den Versen 1 (freilich ohne die Überschrift) und 8 ausgegangen werden,162 so dass aufgrund der sich damit ergebenden Einheitlichkeit des Textes die literarkritischen Lösungsversuche hier als unzureichend eingestuft werden.163

Vor dem Hintergrund der Mahnung aus den vorangehenden Versen markiert Vers 5 insofern einen Kontrast, als hier die Unfähigkeit der Götter hinsichtlich des eingeforderten Handelns festgestellt wird.164 Der interrogative Stil (wie in Kol. 2a) ist einem bloß konstatierenden gewichen, den man entweder als objektiv-konstatierend165 oder als klagend-konstatierend166charakterisieren könnte. Möglicherweise setzt der Stilwechsel eine Reaktion der Götter auf die an sie ergangene Mahnung voraus, die zwar nicht explizit wiedergegeben ist, aber als ablehnend oder uneinsichtig angenommen werden muss, worauf Vers 5 nun abhebt.167 Dass diese ‚Kommentierung‘ jedoch ‚nur‘ objektiv erfolgt, erscheint vor dem Hintergrund der ultimativ vorgetragenen Mahnung zwar möglich (i. S. einer völligen Resignation, die nur noch eine lakonische Bemerkung evoziert), wäre aber im Textfluss eine allzu abrupte Veränderung der Redeweise.168 Folglich kann der klagende Aspekt nicht nur aus diesem Grunde als plausibler erscheinen, sondern er legt sich auch ob der präsentierten kosmischen Dimension ihrer Unfähigkeit nahe, die in den ins Wanken169 gebrachten Grundmauern der Erde (Kol. 5c) symbolisch ihren Kulminationspunkt hat, da damit „ein Äußerstes an Gefährdung angezeigt“170 ist, was schließlich zu einem Eingreifen Gottes führt (V. 6 f.). Sprachlich kommt diese umfassende bzw. totale Unfähigkeit der Götter ebenfalls deutlich durch den Einsatz von Zeitformen der Vergangenheit171 und Gegenwart in Kolon 5a zum Tragen. Nicht nur, dass die Götter die Umwendung von Recht in Unrecht nicht erkannt haben, sie haben ferner ihren eigenen Anteil daran nicht wahrgenommen, weshalb sie auch in der Gegenwart (imperfektisches ) nicht verstehen (wohl in einem umfassenden Sinne gemeint, da ohne Objekt im Hebräischen).172 Richtet man dann in einem weiteren Schritt einen genaueren Blick auf die verneinten () erkenntnisorientierten Verba und , so steht man zunächst vor der Frage, ob in Kolon 5a ein Zitat aus Jes 44,18a vorliegt.173 Die Frage wird man zwar in einem strengen Sinne nicht bejahen können, da die Verben auch sonst im Alten Testament zusammen begegnen,174 aber die exakte Übereinstimmung von Kolon 5a mit Jes 44,18a macht die These zumindest sehr wahrscheinlich, auch wenn es sich ‚nur‘ um einen Halbvers handelt. Als interessant kann diese Frage ferner wegen der bereits beobachteten Nähe des Psalms zu den Charakteristika der prophetischen Gerichtsrede gelten.175 Der Kontext, in dem die beiden Lexeme in der Jesaja-Stelle vorkommen, ist der der Kultbildpolemik, wobei die Verse 18–20 sozusagen als ‚weisheitliche Schlussreflexion‘ fungieren.176 Das Faktum des Nichtverstehens und Nichterkennens bezieht sich ebenda auf die Hersteller von Kultbildern, die sich gerade ob ihrer Tätigkeit der Möglichkeit berauben, „JHWH in seiner Göttlichkeit zu erkennen“177. Neben den prophetischen Belegen begegnen die Verba und ebenso im Kontext der Weisheitsliteratur178 und sind den übrigen Büchern der Hebräischen Bibel darüber hinaus ebenfalls nicht fremd, was sich insbesondere in der breit gestreuten Verwendung von zeigt.179 Aufschlussreich scheint für Vers 5 darunter u. a. die Deutung dieses Verbums als Unterscheidungsfähigkeit zwischen Gut und Böse in der Paradieserzählung.180 Demnach geht es um ein Unterscheidungsvermögen im Hinblick auf Grundlegendes und gerade dieses wird den Göttern in Vers 5 abgesprochen, was vor dem Hintergrund der Anklage (sie geben Unrecht als Recht aus und verkehren damit grundlegende Kategorien in ihr Gegenteil) dann nicht mehr verwundern kann.181 Eine ähnlich breite Verwendung findet sich auch bei ,182 das sich nicht nur auf das Achtgeben auf die Taten Gottes beziehen,183 sondern auch den Vorgang des Wahrnehmens beschreiben kann.184 Somit bringen beide Verbformen an dieser Stelle eine grundsätzliche Erkenntnisfähigkeit zur Sprache, die den Göttern aber gerade nicht (mehr) zu eigen ist.185 Kolon 5b kann schließlich als Folge dieser Unkenntnis gesehen werden. Das Gehen186 in Finsternis187 beschreibt das Chaos, in dem sich die Götter befinden und das sie produzieren.188 Infolgedessen beschreibt das Wanken189 der „Grundfesten der Erde“190 in Kolon 5c (s. o.) eine fundamentale und totale Gefahr für die Welt als Schöpfung, die durch die Götter hervorgerufen wurde.

Vers 6 thematisiert in der Folge das nötig gewordene Einschreiten Gottes in Form einer wörtlichen Rede,191 die wiederum ohne Redeeinleitung erfolgt.192 Zusammen mit Vers 7 stellt er die ‚Urteilsverkündung‘ dar, die sich nur äußerst schwierig von der Anklage (V. 2–4) und Klage (V. 5) trennen ließe und daher für die (inhaltliche) Einheit des Psalms spricht.193 Das Urteil selbst wird mittels eines Kontrastes zum Ausdruck gebracht, indem in Vers 6 zunächst der ‚Status‘ der Götter referiert wird (der wiederum an ihren eigentlichen Auftrag des Eintretens für Gerechtigkeit erinnert), der dann in Vers 7 ihrem (angekündigten) Tod gegenübergestellt wird. Die Partikel , die die Gerichtsankündigung einleitet, ist folglich an dieser Stelle in einem adversativ-konfirmierenden Sinne zu verstehen, weil sie einen unerwarteten Gegensatz bekräftigend zum Ausdruck bringt.194 Weil sie an dieser Stelle (ebenfalls) in Verbindung mit der Formel begegnet,195 mag man sicher nicht grundlos ein Selbstzitat JHWHs vermuten, das eine früher geäußerte Meinung zum Ausdruck bringt.196 Dennoch erscheint es im Hinblick auf die Funktion der Verse 6 und 7 als ‚Urteilsverkündigung‘ plausibler, die Wendung als „Redeeröffnung“197 zu begreifen, die den Inhalt der gesamten Gottesrede fokussiert.

Mit Blick auf die ‚Statuszuschreibung‘, die diese Rede dann bezüglich der Götter vornimmt, muss die Charakterisierung als „Söhne Eljons/des Höchsten“ () auffallen, da sie im Alten Testament eine singuläre Verbindung darstellt.198 Sie hat als crux interpretum zu gelten, da der Text selbst keine Identifikation hinsichtlich des (Eljon) vornimmt199 und daher letztlich auch nicht sicher zu entscheiden ist, ob der Terminus hier als Epitheton Els (oder gar JHWHs)200 fungiert oder eine eigenständige Gottheit benennt.201 Dass es sich aber um eine Zuschreibung für einen Gott resp. eine Gott heit handelt (und in der Folge mit den „Söhnen Eljons/des Höchsten“ dann göttliche Wesen in einem allgemeinen Sinne202 bzw. Götter, deren Haupt Eljon ist,203 bezeichnet werden), scheint noch am unstrittigsten.204

Zieht man nun erstens die Möglichkeit der Bezeichnung einer separaten Gottheit in Betracht, kann man sich auf einen Beleg bei Philon von Byblos stützen,205der zudem Eljons Nennung als „Höchster“206 bezeugt. Eine aramäische Inschrift aus Sfire (ca. 25 km südöstlich von Aleppo), die auf das 8. Jh. v. Chr. datiert wird,207 bestätigt das dahingehend, dass sie eine sprachlich-formale Unterscheidung zwischen El und Eljon macht.208 Nun bedürften allein diese beiden Belege einer eingehenderen Diskussion, in der die Zuverlässigkeit der durch Philon (bei Eusebius) referierten Informationen sowie die genauen inhaltlichen Bezüge der Sfire-Inschrift anhand weiterer einschlägiger (z. B. ugaritischer) Texte und Inschriften zu prüfen wären, was an dieser Stelle freilich nicht geschehen kann.209 Die wesentliche Schwierigkeit des Philon-Belegs ist darin zu sehen, dass er möglicherweise Elemente griechischer und phönizischer mythologischer Vorstellungen verbunden hat, so dass aus seinen Angaben keine sicheren Schlussfolgerungen möglich sind.210 Ferner ist bei ihm nicht auszuschließen, dass Ἐλιοῦv als Epitheton für den Gott Baalŝamem211 fungiert (und demnach keine eigenständige Gottheit bezeichnete),212 ein Einwand, der möglicherweise auch gegen die Inschrift von Sfire angeführt werden kann, die eine bereits appellativische Verwendung des Terminus für Baalŝamem nicht ausschließt.213

Im Alten Testament selbst – auch das kann hier wiederum nur angedeutet werden – finden sich zudem Spuren, die Eljon als Epitheton Els ausgeben,214 wobei es sich ansonsten eindeutig auf JHWH bezieht.215

Die Rede von den „Söhnen“ (), das sollte hier noch abschließend angefügt werden, spielt in Verbindung mit dem Verbum („als Besitz erhalten“/„ererben“; Kol. 8b) wohl bewusst auf Dtn 32,8 f. an, wo von der Zuteilung des Erbbesitzes219 an die Nationen () durch den Höchsten(!) und die Festlegung der „Gebiete der Völker“220 gemäß der „Anzahl der Göttersöhne“221 die Rede ist, in der JHWH als Anteil () sein Volk () als sein Erbe () bekommt.222 Verknüpft man nun die Vorstellungen von Dtn 32 und Ps 82, dann hätten die Götter im Hinblick auf die ihnen vom Höchsten zugeteilten Gebiete die Pflicht gehabt, für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen. Da ihnen dies nicht gelungen ist, wird ihnen (allen) nun das Sterben angekündigt.223 Kolon 6b ist dabei in Vorausschau auf Vers 7 durchaus in einem universalistischen Sinne zu verstehen (): Alle Götter, die in der Versammlung anwesend sind, wobei vorausgesetzt ist, dass das auch auf alle Götter zutrifft, werden sterben.224 Folglich ist auch die These abzuweisen, dass die Götter hier gar nicht wahrhaft depotenziert bzw. entdivinisiert würden, da ihnen hier nur noch eine literarische Funktion zukomme.225 Die Radikalität des ‚Statusverlustes‘ der Götter wird dabei durch den Vergleich „wie ein Mensch“ () unterstrichen,226 in dem man sicherlich auch eine Anspielung auf die ‚Paradieserzählung‘ (als ‚Fall des Menschen‘) vermuten darf,227 in der Gott den Menschen (bzw. Adam)228 des Gartens Edens verweist, damit er nicht auch noch (er hatte zuvor vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“229 gegessen) vom „Baum des Lebens“230 esse, um ewig leben zu können. Dass der Fokus in Vers 7 deutlich auf dem Sterben liegt und damit die Irreversibilität dieses Vorgangs betont, zeigt sich nicht nur in der Verwendung der emphatischen Form beim Verbum ,231 sondern auch im parallelen Aufbau der beiden Kola des Verses.232 Demzufolge ist es naheliegend, hier neben einem syntaktischen auch einen synonymen Parallelismus zu lesen und hinter ein tödliches Fallen233 zu vermuten.234 Inwieweit aber an ein sofortiges „Sterben“ und „Fallen“ zu denken ist, muss unklar bleiben. Die jeweils verwendete Yiqtol-Form lässt zwar eher an ein künftiges Ereignis denken,235 die Gerichtsszenerie jedoch lässt mit der Urteilsverkündigung auch ein unmittelbares Eintreten zu.236 Eine (endgültige) Entmachtung und ‚Entdivinisierung‘ der Götter wird in beiden Fällen aber deutlich.237 Als umstritten kann hingegen die Frage nach der Identität der („Fürsten“238) gelten, die hier für den zweiten Vergleich bezüglich der „Götter“ resp. „Söhne des Höchsten“ bemüht werden.239 Dabei muss vor dem Hintergrund des vorausgegangenen Vergleichs an dieser Stelle das Numeraladjektiv (hier vielleicht in einem indefiniten Sinne) sowie die Verwendung des bestimmten Artikels beim Terminus auffallen. Im Gegensatz zum Sterben „wie ein Mensch“ (ohne Artikel im Hebräischen) liegt bei diesem Vergleich vermutlich der Bezug auf eine bestimmte Gruppe von vor, deren Fallen hier als Vergleichspunkt dient.240 Grundsätzlich wäre ferner zu fragen, ob damit nicht auch Engel(fürsten) gemeint sein könnten,241 da eine derartige Verwendung von ebenfalls (in späten Texten) belegt ist.242 Geht man hingegen aufgrund der Mehrzahl der Belege von ‚irdischen‘ „Fürsten“ oder „Beamten“ aus, dann können sich im Kontext des Psalms dahinter eigentlich nur diejenigen verbergen, die wegen Nichterfüllung der ihnen zugeteilten Aufgabe ihres Amtes enthoben worden sind243 – ein Schicksal, das die Götter nun entsprechend teilen werden.244

Vers 8 bildet den Abschlussvers und impliziert wiederum einen Sprecherwechsel, da Gott (Elohim) nun selbst angesprochen wird. Bei dem Sprecher handelt es sich um den gleichen wie in den Versen 1 und 5 (s. o.).245 Inhaltlich ist er stark mit den anderen Versen verwoben (Wiederaufnahme des Terminus im Singular, des -Motivs sowie der Rede vom Erbe [als Verbum ] in Anlehnung an die -Rede), was erneut für die Einheit des Psalms spricht.246 Kolon 8a setzt direkt mit der Anrede an Gott mittels zweier betont gesetzter Imperative ein,247 die auf verschiedenen Verständnisebenen operieren. Zunächst lässt sich das „Stehe auf“ () und „Richte“ () im Sinne der Szenerie als Aufruf zum Ausüben des Richteramtes248 JHWHs in Bezug auf die Erde auffassen, nachdem er ja bereits in der Versammlung Els/Gottes (s. o.) die anderen Götter gerichtet hat. Übersetzt man