Stil und Text - Michael Hoffmann - E-Book

Stil und Text E-Book

Michael Hoffmann

0,0

Beschreibung

Dieses Buch beschreibt die kommunikative Vielseitigkeit der Texteigenschaft Stil, die sich in pragmatischen und ästhetischen, individuellen und sozialen, monologischen und dialogischen, poetischen und nichtpoetischen Gestaltungsweisen offenbart. Es ist innovativ und verständlich geschrieben und wendet sich an alle, die ein philologisches Interesse für das Verhältnis von Stil und Text aufbringen, sei es im Studium oder im Beruf. Großer Wert wird auf die systematische Beschreibung von Gestaltungszusammenhängen gelegt, in die sich Gestaltungsprinzipien, -ideen, -verfahren und die verwendeten Gestaltungsmittel (sprachlicher oder nichtsprachlicher Art) einfügen. Das Spektrum des Buches reicht vom Nutzen der Stilistik für den Erwerb von Textkompetenz bis zur Methodik von Stiluntersuchungen. In der Gesamtanlage will das Buch dazu anregen, der Stilkomponente von Texten eigenständig auf die Spur zu kommen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 623

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Michael Hoffmann

Stil und Text

Eine Einführung

A. Francke Verlag Tübingen

 

 

© 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

ePub-ISBN 978-3-8233-0017-5

Inhalt

Vorwort1 Stilistische Aspekte der Textkommunikation1.1 Zur Einheit von Text- und Stilkompetenz1.2 Textstilistische Teilkompetenzen1.2.1 Formulierungskompetenz1.2.2 Visualisierungskompetenz1.2.3 Sprach- und Textspielkompetenz1.3 Stil in einer Kosten-Nutzen-Relation2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil2.1 Einleitung2.2 Musterbasiertheit2.2.1 Gestaltungsmuster allgemein: Komponenten des Musters Gestalten2.2.2 Gestaltungsmuster spezifiziert: Beispielanalysen2.3 Ganzheitlichkeit2.3.1 Zum Begriff Stilgestalt2.3.2 Stilgestalten im Text2.4 Kontextbezogenheit2.4.1 Gestaltungskontexte2.4.2 Stil auf verschiedenen Vertextungsebenen2.5 Motiviertheit2.5.1 Gestaltungsmotive2.5.2 Gestaltungsmotive in der pragmatischen Textkommunikation2.5.3 Grundlegende Unterschiede zwischen pragmatischer und poetischer Textkommunikation2.5.4 Gestaltungsmotive in der poetischen Textkommunikation2.6 Ästhetische Gestalthaftigkeit2.6.1 Zur ästhetischen Wertigkeit von Stil2.6.2 Ästhetische Gestalthaftigkeit im poetischen Text2.6.3 Ästhetische Gestalthaftigkeit im pragmatischen Text2.7 Kulturbezogenheit2.7.1 Stil und Kultur2.7.2 Stilwandel und Kultur2.8 Textgebundenheit2.8.1 Zum Textbegriff in der Textlinguistik2.8.2 Stil als Eigenschaft von Texten2.9 Zeichenhaftigkeit2.9.1 Stil als kommunikatives Zeichen im Text2.9.2 Stil in einem Textzeichenmodell2.9.3 Komplexanalyse eines textuellen Zeichengefüges2.10 Eine Stildefinition3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil3.1 Fokussierungsformen3.1.1 Fokus und Horizont3.1.2 Deviation: Formen der Abweichung3.1.3 Isomorphie: Formen der Wiederholung3.1.4 Kontrast: Formen der Entgegensetzung3.2 Stilzüge3.2.1 Stilzüge als Gegensatzpaare in der Tradition von Kunstgeschichte und Ästhetik3.2.2 Stilzüge als Gegensatzpaare in einem mehrdimensionalen Stilfunktionsmodell3.3 Stilregister3.3.1 Registerwahl bei der Produktion von Äußerungen3.3.2 Registerwahl bei der Produktion von Texten3.3.3 Registermischung im Text3.4 Textkompositionen3.4.1 Erscheinungsformen textkompositorischer Gestalthaftigkeit3.4.2 Beispielanalysen zu Sprache-Bild-Kompositionen3.5 Stiltypen3.5.1 Stiltypen und typisierte Stile3.5.2 Individualstil3.5.3 Textsortenstil3.5.4 Funktionalstil4 Hinweise zur Methodik der Stilanalyse4.1 Leitsätze4.2 Analysemodelle4.2.1 Stufen-/Schrittfolgenmodelle4.2.2 Ebenenmodelle4.2.3 Rahmenmodelle4.3 Ein Wort zum SchlussLiteraturverzeichnisSachregister

Vorwort

Texte können ganz unterschiedlich verfasst sein: dienstlich oder privat, wissenschaftlich oder populärwissenschaftlich, witzig, ironisch, satirisch oder von neutralem Ernst getragen, religiös oder politisch, dogmatisch oder liberal, poetisch oder nichtpoetisch usw. Es handelt sich um Gestaltungsalternativen oder – bildlich formuliert – um verschiedene Farben, in die Texte getaucht werden können. Besser gesagt: Farben, in denen Texte erscheinen können. Denn es gibt streng genommen kein Nebeneinander von Text und Stil im Sinne einer Gegenüberstellung. Es gibt vielmehr nur ein Ineinander: Stil ist ein integraler Bestandteil von Texten – ein Textualitätsmerkmal. Wer Texte produziert, stellt immer zugleich auch Stil her. Stil wird Texten nicht hinzugefügt.

Stil ist ein Chamäleon, lautet ein vielzitierter Satz in der stilistischen Fachliteratur. Doch stimmt dieses sprachliche Bild uneingeschränkt? Es stimmt immer dann, wenn man den universellen Charakter von Stil herausstellen will – seine Fähigkeit, sich anzupassen an die verschiedensten kommunikativen Bedürfnisse, Aufgaben und Situationen, an die Verfasser und Rezipienten von Texten, an den Zeitgeist, an mediale Gegebenheiten, an vieles mehr. Diese Anpassungsfähigkeit hat zur Folge, dass es verschiedene Stile gibt und somit auch Gestaltungsalternativen. Sie hat letztlich zur Folge, dass es Stil überhaupt gibt.

Der Vergleich mit einem Chamäleon stimmt allerdings nicht, wenn man die kommunikative Leistungsfähigkeit des Stils eines einzelnen Textes in einem konkreten kommunikativen Umfeld unter die Lupe nehmen will. Dann nämlich kommt es gerade auf eine ganz bestimmte Farbe an – auf eine Farbe, die zum kommunikativen Umfeld dieses Textes passt. Wissenschaftlicher Stil z.B. muss als solcher identifizierbar und von populärwissenschaftlichem Stil sowie allen anderen Stilen unterscheidbar sein. Stil wird in diesem Falle zum Zeichen für den Kommunikationsbereich der Wissenschaft. Ein einzelner Text kann also niemals alle Farben zugleich annehmen. Ebenso wenig ist es möglich, unbedenklich von einer Farbe in die andere zu wechseln. Farbwechsel (Stilwechsel), auch Farbmischungen (Stilmischungen) innerhalb eines Textes sind aber, wenn die kommunikativen Umstände es zulassen, durchaus möglich. Wechsel und Mischung von Stilen können zum Zeichen für gestalterische Kreativität werden.

Anliegen des vorliegenden Buches ist es, ein Spektrum an stilistischen Farben zu beschreiben, indem den spezifischen Farbtönen von Einzeltexten, Textsorten (Genres) und Textgattungen nachgespürt wird. Geschrieben wurde das Buch für alle, die mit Stil und Text im Studium oder im Beruf zu tun haben, in erster Linie jedoch für Studierende und Dozierende der Germanistik. Das Buch wartet mit zahlreichen Beispielen und Beispielanalysen auf. Zum einen, um graues stiltheoretisches Gedankengut mit der farbigen kommunikativen Praxis zu verbinden. Zum anderen, um Anregungen für eigenständiges Produzieren und Analysieren von Texten zu vermitteln. Verzichtet wurde weitgehend auf die Darstellung von Forschungsgeschichtlichem wie auch auf die Diskussion verschiedener Stilauffassungen und Stiltheorien. Dazu gibt es genügend einschlägige Literatur.

Ein Buch zum Verhältnis von Stil und Text kommt nicht ohne Beispieltexte aus. Bei einer ganzen Reihe von Texten bzw. Textauszügen waren Abdruckrechte einzuholen, was sich häufig als langwierig und nicht immer als erfreulich herausstellte. Mein Dank gilt in Sonderheit all den Verlagen und Redaktionen, die den Abdruck von Texten kostenfrei genehmigten. Ich danke den Verlagen Hinstorff (Rostock), Rowohlt (Reinbek bei Hamburg) und Zsolnay/Deuticke (Wien), den Redaktionen der Tageszeitungen „Der Tagesspiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“, den Redaktionen der Magazine „Eulenspiegel“, „Das Magazin“ und „Reader’s Digest“, dem Kampagnenbüro „Runter vom Gas“, dem Plakatarchiv der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Lebensberatungsplattform Viversum.

Ich danke dem Gunter Narr Verlag für die Aufnahme des Titels in die Reihe „narr studienbücher“ und seinem Lektorat, insbesondere Frau Dr. Valeska Lembke und Herrn Daniel Tobias Seger, für die zuvorkommende Begleitung des Projekts vom Exposé bis zur Drucklegung.

 

Potsdam, im April 2017Michael Hoffmann

1Stilistische Aspekte der Textkommunikation

1.1Zur Einheit von Text- und StilkompetenzStilkompetenz

Es hat eine gewisse Tradition, Stil als eine Eigenschaft von Texten zu bestimmen. Doch damit ist kaum etwas Genaues gesagt. Es bleibt offen, wie diese Texteigenschaft beschaffen ist, wie sie in den Text hineinkommt, was sie von anderen Texteigenschaften unterscheidet, warum es Stil überhaupt gibt. Es sind Fragen, auf die das Buch eine Antwort geben will. Wichtig erscheint, davon auszugehen, dass der Stil eines Textes eingebunden ist in Prozesse der Textkommunikation. Stil wird textproduzentenseitig hergestellt und textrezipientenseitig wahrgenommen und auch interpretiert. Doch auf welcher Grundlage geschieht dies? Grundlage sind kommunikative Kenntnisse und Fähigkeiten. Oder präziser gesagt: Textproduzenten und -rezipienten sind auf TextkompetenzTextkompetenz angewiesen. Darunter sind vielfältige Kenntnisse im Hinblick auf den Umgang mit Texten verschiedener Art zu verstehen sowie die Fähigkeit, Texte ertragsorientiert zu produzieren und zu rezipieren.

Ertragsorientierte Textproduktion und -rezeption bedeutet Ausrichtung auf einen kommunikativen Gewinn, einen kommunikativen Nutzen. Textkommunikative Erträge können anvisiert und bei geglückter Kommunikation auch erzielt werden. Wir nehmen hierbei Bezug auf das textlinguistische Ertragsmodell, das Kirsten Adamzik (2004: 116f.) an die Stelle eines abstrakten Textfunktionsmodells gesetzt hat. Das Ertragsmodell ist auf die Lebenswelt der Kommunikationsteilnehmer, auf deren Kommunikationsbedarf zugeschnitten. Es zeigt verschiedene Möglichkeiten auf, textkommunikative Erträge zu erzielen. Es zeigt allerdings nicht auf, welche Merkmale Texte aufweisen müssen, damit sich der anvisierte Ertrag auch einstellt bzw. einstellen kann. Gerade das Wissen darüber hat sehr viel mit TextkompetenzTextkompetenz zu tun. Wir sind der Auffassung, dass der Erfolg beim Erzielen textkommunikativer Erträge wesentlich vom Stil eines Textes (von stilistischen Textmerkmalen) abhängen kann, und skizzieren im Folgenden, wie sich Zusammenhänge zwischen Ertragsarten und Arten stilistischer Textmerkmale herstellen lassen.

 

 

Intellektuelle ErträgeErträge: Sie können sich einstellen, wenn man Wissen erfolgreich vermittelt oder erworben hat. Die entsprechenden Texte (z.B. Lehrbücher) müssen – soll Kommunikation glücken – adressatengerecht verfasst sein und weiteren stilistischen Erfordernissen (KlarheitKlarheit, GegliedertheitGegliedertheit, Fasslichkeit) Rechnung tragen. Es handelt sich dabei letztlich um erkenntniserleichternde Textmerkmale als Voraussetzung für kommunikativen Erfolg.

 

Praktische ErtragpraktischerErträge: Der Gewinn, den Texte für Produzenten wie Rezipienten einbringen, ist möglicherweise ein lebenspraktischer. Man will sich schnell über Abfahrts- und Ankunftszeiten eines öffentlichen Verkehrsmittels informieren, ein Möbelstück montieren, einen Gebrauchsgegenstand reparieren oder verkaufen. Bei den entsprechenden Texten (Fahrplänen, Montage- und Reparaturanleitungen, Verkaufsanzeigen) kommt es u.a. auf rezeptionsbeschleunigende Merkmale an: auf Sprachökonomie und ÜbersichtlichkeitÜbersichtlichkeit, bei Anleitungstexten auch auf AnschaulichkeitAnschaulichkeit.

 

Emotional-psychische Ertragemotional-psychischerErträge: Texte können Gefühle zum Ausdruck bringen und Mittler einer emotionalenEmotionalität/Emotionalisieren Kommunikation sein, bei der sich Gefühlsbekundungen (Freude, Trauer, Stolz usw.) des Textproduzenten auf den Rezipienten übertragen. Der Textertrag kann also darin bestehen, dass die Gefühlslagen von Produzent und Rezipient wie gewünscht übereinstimmen. Gratulationstexte, Festreden, Traueranzeigen signalisieren dies über gefühlsbekundende Textmerkmale. Dem Stil kommt die Funktion der „textuellen Emotionsmanifestation“ (Schwarz-Friesel 2007: 211) zu. Anders liegen die Dinge im Falle von Beleidigungen und Diffamierungen. Hier kann nicht von einem Ertrag (im Sinne von Gewinn oder Nutzen) für beide Seiten gesprochen werden.

 

Soziale ErträgeErträge: Mit Texten lassen sich Regeln für das Zusammenleben der Menschen aufstellen. Gesetzestexte sind wohl das beste Beispiel. Der Textproduzent präsentiert die Sachverhalte als juristisch verbindlich, indem er einen juristischen StilStiljuristischer herstellt. Bei Dienstanweisungen, Steuerbescheiden und Verwaltungsvorschriften präsentiert sich der Textproduzent als Amtsperson oder als Institution, ausdrücklich nicht als Privatperson. Er stellt einen amtlichen Stil her, und dazu gehört, amtliche Autorität zu erzeugen. Die Texte müssen demnach rollengestaltende Merkmale aufweisen. Mit Texten lassen sich auch soziale Kontakte knüpfen und pflegen. Zu denken ist an Kontaktanzeigen oder an die Übermittlung von Urlaubsgrüßen und Festtagswünschen. Stilistisch relevant sind dabei u.a. beziehungsgestaltende Textmerkmale. Einen hohen Stellenwert können Anrede-, Gruß- und WunschformelnWunschformel haben. Gestalterisch stellt sich aber auch die Frage, wie der Textproduzent mit textkommunikativen Mustern umgeht. Ob er es sich einfach macht und seinen Text aus kommunikativen Fertigteilen zusammensetzt oder ob er es vorzieht, den Textrezipienten mit OriginalitätOriginalität zu überraschen. Dann kann ein formbezogener ErtragErtragformbezogener hinzukommen.

 

Formbezogene Erträge: Sie können sich mit Bezug auf künstlerisch Gestaltetes einstellen: textproduzentenseitig beim Hervorbringen ästhetischer Gestaltungsweisen im Rahmen poetischerPoetizität/poetischTextsortenTextsorte (z.B. Ballade, Novelle, Komödie), textrezipientenseitig bei ihrer Wahrnehmung und Interpretation. Kommunikativ wichtig werden betrachtungsstimulierende Textmerkmale. Formbezogene Erträge können für Produzenten von Gebrauchstexten darin bestehen, dass es gelungen ist, die Aufmerksamkeit des Rezipienten gerade auf die Textpassagen zu lenken, die besonders wichtig sind, oder dass es gelungen ist, die AttraktivitätAttraktivität eines Textes zu erhöhen und damit Rezeptionslust zu wecken. Ausschlaggebend für den kommunikativen Erfolg können rezeptionssteuernde bzw. rezeptionsstimulierende Textmerkmale sein.

 

PersuasivePersuasionErträgeErtragpersuasiver: Im Ertragsmodell nicht verzeichnet, aber zu berücksichtigen sind Texterträge, die in der Beeinflussung des Textrezipienten liegen und mehr oder weniger vordergründig die Interessen des Textproduzenten bedienen können. Sie werden beispielsweise anvisiert mit Werbetexten kommerzieller oder politischer Art. Werbetexte sind typischerweise von entscheidungsstimulierenden Merkmalen geprägt. Deren Funktion ist es, den Erwerb eines bestimmten Produkts, die Nutzung einer bestimmten Dienstleistung, die Wahl einer bestimmten Partei zu begünstigen. Auch die Verfasser von Bewerbungsschreiben produzieren entscheidungsstimulierende Texte. Man will sich schließlich erfolgreich auf eine Stelle bewerben, hat aber keine Erfolgsgarantie. Wichtig wird deshalb v.a. eine geeignete Art der SelbstpräsentationSelbstpräsentation. Für das Erzielen persuasiver Erträge sind strategische Überlegungen erforderlich. Zur TextkompetenzTextkompetenz des Rezipienten gehört die Fähigkeit, persuasive Textstrategien zu durchschauen.

 

Metakommunikative Erträge: Kommunikative Kenntnisse und Fähigkeiten kann man mit der Produktion eigener und der Rezeption fremder Texte erwerben oder erweitern. Das heißt, man kann etwas über Kommunikation durch Kommunikation lernen, durch eigenes kommunikatives Tun, auch dadurch, dass man sich im Gestalten und Analysieren von Texten übt. Zu fragen ist, was Bücher über Stil (Stilistiken) für das Erzielen metakommunikativer Erträge leisten können. Der Gedanke an praktische Stillehren liegt nahe, deren Anliegen es ist, stilistische Textmerkmale stilnormativ zu fixieren. Ein metakommunikativer ErtragErtragmetakommunikativer kann sich dabei aber nur dann einstellen, wenn bei der Beschreibung von Stilnormen kommunikative Gesichtspunkte ausdrücklich berücksichtigt werden. Das ist nicht immer der Fall (siehe 1.2.1). Stilistiken anderen Zuschnitts sind theoretisch fundierte Abhandlungen zum Stil authentischer Texte. Hier geht es darum, stilistische Textmerkmale stilanalytisch herauszuarbeiten, um Einsichten in das Wesen von Gestaltungsweisen zu gewinnen. Insgesamt gesehen kommt es darauf an, Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen, ohne die Beschreibung von Gestaltungserfordernissen zu vernachlässigen. Diesem komplexen Anliegen ist das vorliegende Buch verpflichtet.

 

 

Der streiflichtartige Überblick über einige Möglichkeiten, textkommunikative Erträge zu erzielen, und – damit im Zusammenhang – über stilistische Textmerkmale, die für den kommunikativen Erfolg auschlaggebend sein können, lässt die Frage nach dem Verhältnis von Text- und StilkompetenzStilkompetenz aufkommen. Nach unserer Auffassung ist Stilkompetenz alles andere als eine Anhängselkompetenz. Im Unterschied zu einem Modell von TextkompetenzTextkompetenz, das dies nahelegt (vgl. Weidacher 2007: 48f.), betrachten wir Stilkompetenz als einen wesentlichen Aspekt von Textkompetenz. Es kann sich sogar um den entscheidenden Aspekt handeln. Textkompetenz gilt mittlerweile als eine Schlüsselkompetenz (vgl. den Buchtitel von Schmölzer-Eibinger/Weidacher 2007), doch immer noch strittig ist, in welche Teilkompetenzen sich Textkompetenz aufgliedert und welchen Stellenwert die einzelnen Teilkompetenzen haben (vgl. u.a. Adamzik/Heer 2009). Wir sprechen im Hinblick auf Stilkompetenz bewusst von einem Aspekt der Textkompetenz und vermeiden es, Stilkompetenz als eine Teilkompetenz neben andere (z.B. Sachkompetenz, Vertextungskompetenz, TextsortenkompetenzTextsortenkompetenz) zu stellen. Wir sind der Auffassung, dass Stilkompetenz Kenntnisse und Fähigkeiten umfasst, die untrennbar mit textuellen Teilkompetenzen verknüpft sind. Nehmen wir als Beispiel die Verknüpfung von TextsortenTextsorte- und Stilkompetenz: Ertragsorientiert zu kommunizieren schließt in vielen Fällen die Beachtung textsortengebundener Gestaltungserfordernisse ein. In einigen Fällen kann Ertragsorientiertheit in der Ausnutzung textsortengebundener Gestaltungsoptionen bestehen, in vergleichsweise seltenen Fällen in der AbweichungAbweichen von textsortengebundenen Vorgaben.

Es ginge zu weit, wollten wir uns in die Diskussion über textuelle Teilkompetenzen einschalten. Stattdessen werfen wir einen Blick auf einige textstilistische Teilkompetenzen.

1.2Textstilistische Teilkompetenzen

Nicht nur Text-, auch StilkompetenzStilkompetenz lässt sich in Teilkompetenzen aufgliedern. Wir gehen im Folgenden ein auf die Formulierungs-, die Visualisierungs- sowie die Sprach- und TextspielkompetenzTextspielkompetenz.

1.2.1FormulierungskompetenzFormulierungskompetenz

Der Begriff FormulierungFormulierung nimmt Bezug auf „das Resultat in der Verwendung von Sprache durch einen Autor beim Herstellen eines Textes“ (Michel 2001: 36). Die FormulierungskompetenzFormulierungskompetenz umfasst u.a. Kenntnisse darüber, wie man Sachverhalten eine angemessene sprachliche Form geben kann. AngemessenheitAngemessenheit ist ein kommunikatives Grundprinzip; es gehört zum Kanon der Schulrhetorik (vgl. Plett 2001: 27ff.). Seine Befolgung erfordert die Wahl einer Ausdrucksweise, die

der Persönlichkeit des Textproduzenten, darunter seinem Ethos entspricht;

den sozialen Status, den Verstehenshorizont und die Textverarbeitungskapazität des Rezipienten berücksichtigt;

auf den Redeanlass zugeschnitten ist;

zur Art und Bedeutsamkeit des Redeinhalts passt.

Formulierungsleistungen sind folglich in mehrfacher Hinsicht textkommunikativ relationiert. Insofern kann es keine allgemeingültigen Grundsätze für einen guten, d.h. angemessenen Stil geben. Gerade dies wird aber häufig von praktischen Stillehren bzw. Stilratgebern postuliert. Da heißt es z.B. in einem umfangreichen populärwissenschaftlichen Zeitungsbeitrag mit dem Titel „Eine Deutsch-Stilkunde in 20 Lektionen“, verfasst von Wolf Schneider (Die Zeit, Nr. 20/2012, Beilage, 8–31): „Verachten wir den Wissenschaftsjargon“ (S. 18). Als Beispiel für diese verachtenswerte Stilform wird eine Passage aus einem Vortrag zitiert, den eine Professorin der Universität Konstanz gehalten hat:

Die emphatische Standortbezogenheit, die Affirmation von Differenz und der dekonstruktivistische Blick, der explizite Traditionen und implizite Selbstverständlichkeiten als von Interessen gesteuert durchleuchtet, enthalten ein sozialrevolutionäres Potenzial, das auch für identitätspolitische Zwecke nutzbar gemacht werden kann. (Ebd.)

Dieser Stil ist einerseits zweifellos unangemessenUnangemessenheit, denn die Professorin hat die Textverarbeitungskapazität ihres Publikums missachtet. Andererseits ist wissenschaftlicher Stil typischerweise theoretisch-abstrakt, und in dieser Hinsicht (StimmigkeitStimmigkeit zwischen FormulierungFormulierung und Redeinhalt) ist ihr Stil durchaus angemessen. Er signalisiert, dass ein intellektueller ErtragErtragintellektueller erzielt werden soll. Die Formulierungsleistung ist also insgesamt als zwiespältig zu beurteilen (und nicht pauschal zu verurteilen).

Höchst problematisch ist auch das Stilgebot, auf den NominalstilNominalstil als „Krone der Hässlichkeit“ (S. 21) zu verzichten. Als Beispiel wird ein Text aufgeführt, der im Jahre 2012 an Abfallkörben auf Autobahnparkplätzen in Deutschland zu lesen war: „Nur Reiseabfälle. Zuwiderhandlungen werden als unerlaubte Sondernutzung zur Anzeige gebracht.“ (Ebd.) Wolf Schneider nimmt erstens Anstoß am FunktionsverbgefügeFunktionsverbgefügezur Anzeige bringen, das er durch das einfache Verb anzeigen ersetzt haben möchte, und zweitens am „Bürokratenjargon“ generell. Man könne – so der Stilkritiker – den zweiten Satz des Textes in ein „drastisch besseres Deutsch“ bringen, indem man ihn so formuliert: „Sonst kriegen Sie Ärger!“ Doch sind Schneiders Umformulierungsvorschläge wirklich echte Formulierungsalternativen? Natürlich nicht! Denn würden sie in die Tat umgesetzt, ginge etwas Entscheidendes verloren: der amtliche NachdruckNachdruck, amtlicher, mit dem auf juristische Konsequenzen eines Zuwiderhandelns hingewiesen wird. Würde die Aufschrift an Abfallkörben wie vorgeschlagen umformuliert, trüge sie Merkmale des Alltagsstils: Die Verben anzeigen und kriegen sowie das Substantiv Ärger verweisen auf EinfachheitEinfachheit, das Verb kriegen außerdem auf Umgangssprachlichkeit bei der Wortverwendung. Dies aber wäre unangemessenUnangemessenheit und brächte den anvisierten sozialen ErtragErtragsozialer in Gefahr.

Die PassivformPassivform/-konstruktion, von Wolf Schneider als „hässlichste Form des Verbs“ (S. 17) gegeißelt, ist in grammatischer Hinsicht eine morphologische Alternative zur Aktivform, in stilistischer Hinsicht ein GestaltungsmittelGestaltungsmittel. Eine Form wie werden zur Anzeige gebracht erzeugt nicht nur UnpersönlichkeitUnpersönlichkeit, sie ermöglicht es darüber hinaus, den betreffenden Sachverhalt als allgemeingültig in den Vordergrund zu rücken. Passivformen haben deshalb auch in wissenschaftlichen Texten ihren angestammten Platz. Als formulierungskompetent erweisen sich die Produzenten längerer Texte jedoch nur dann, wenn sie Ersatzformen des Passivs kennen und verwenden, um Monotonie im Stil zu vermeiden.

Wir können uns nicht mit jeder der 20 stilkundlichen Lektionen auseinandersetzen. Ein gewisser Nutzen ist textkommunikativ unspezifizierten Stilregeln nicht abzusprechen. Sie sind dabei behilflich, eigene Formulierungsleistungen auf den Prüfstand zu stellen, sie dahingehend zu prüfen, ob jedes Wort nötig, treffend und am richtigen Platz ist. Fragwürdig werden solche Stilregeln, wenn Formulierungsleistungen ohne Rücksicht auf ein konkretes textkommunikatives Umfeld als Fehlleistung bewertet und mit Auszügen aus poetischenPoetizität/poetisch Texten konfrontiert werden, die als Beispiele für stilistisch vorbildhaftes Formulieren dienen. Dies ist auch insofern ein fragwürdiges Verfahren, als sich genügend Gegenbelege ausfindig machen ließen, d.h. poetische Textpassagen, die als Verstöße gegen Regeln eines guten Stils zu bewerten wären, da sie „garstige Nominalkonstruktionen“ (S. 8), „ausgeleierte Redensarten“ (S. 15) oder „vermaledeite vorangestellte Attribute“ (S. 22) enthalten. Doch es gibt auch Formulierungsberatung der besseren Art – praktische Stillehren, die zielgruppen- und praxisorientiert verfasst sind. Verwiesen sei auf das Buch von Karl-Heinz List (2007), das sich an Führungskräfte in Unternehmen wendet und mit Mustertexten zu unternehmensrelevanten TextsortenTextsorte aufwartet, auch mit Texten zur Firmen-SelbstpräsentationSelbstpräsentation im Internet.

1.2.2VisualisierungskompetenzVisualisierungskompetenz

Ob mündliche oder schriftliche Texte – Stil muss nicht ausschließlich eine Formulierungsleistung sein. Bei mündlichen Texten können ProsodieProsodie/prosodisch, Mimik und GestikGestik, Geräusche und Musik als sprachbegleitende, -ergänzende oder -ersetzende Zeichen gestaltungsrelevant werden. Bei schriftlichen Texten kommen gegebenenfalls graphische und typographischTypographie/typographische GestaltungsmittelGestaltungsmittel, Farben und Bilder hinzu. Mündliche und schriftliche Texte gibt es auch in Kombination. Beispiele sind Werbespots, Vorträge mit Handouts und/oder (digitaler) Folienpräsentation sowie Nachrichtensendungen im Fernsehen.

Der Begriff VisualisierungVisualisierung erfasst in stilistischer Hinsicht v.a. die VeranschaulichungVeranschaulichen von Informationseinheiten des Textes mit Hilfe von Abbildungen (Fotos), Nachbildungen (Zeichnungen) oder Bildern anderen Typs. ‚VisualisierungskompetenzVisualisierungskompetenz‘ schließt Kenntnisse über Visualisierungsmittel (als Gestaltungsressourcen) ein und die Fähigkeit, verfügbare Visualisierungsmittel in einen Sinn- und Gestaltungszusammenhang mit sprachlichen Zeichen zu bringen.

Visualisierungen sind auf verschiedene Arten textkommunikativer Erträge beziehbar. In der wissenschaftlichen Kommunikation (Erzielen intellektueller ErträgeErtragintellektueller) treten sie erkenntniserleichternd in Erscheinung. VisualisiertVisualisierung werden Kernelemente von Theorien und Experimenten. Als rezeptionsbeschleunigende GestaltungsmittelGestaltungsmittel im Dienste lebenspraktischer ErträgeErtragpraktischer kommen z.B. Piktogramme auf Wetterkarten zum Einsatz: meteorologische Symbole für ‚sonnig‘, ‚regnerisch‘, ‚heiter bis wolkig‘ u.a. Ein Beispiel für die Visualisierung von Gefühlen (Erzielen emotionalEmotionalität/Emotionalisieren-psychischer ErträgeErtragemotional-psychischer) sind Bilder mit religiöser Symbolik in Traueranzeigen: Schwalben stehen sinnbildlich für ‚Auferstehung‘, Rosen für ‚das Blut Christi‘. Die schwarze Umrandung einer Traueranzeige ist ein graphisches Mittel der Trauerbekundung. In der Werbekommunikation (Erzielen persuasiver ErträgeErtragpersuasiver) finden wir Produktabbildungen, aber auch Bilder, die (vermeintliche) Produkteigenschaften veranschaulichen, z.B. die ‚Heimat einer Biersorte‘. Häufig verwendete Bildmotive hierzu sind Dünenlandschaften, bayrische Biergärten oder berühmte Bauwerke wie die Semperoper in Dresden. Werbekommunikative Texte zielen häufig zusätzlich auf formbezogene ErträgeErtragformbezogener. Realisiert werden GestaltungsideenGestaltungsidee, die sich zwischen Sprache und Bild entfalten. Als Beispiel eine Anzeige der „Deutschen Landgestüte“. Die Wiege der Pferdezucht lautet die Werbeschlagzeile, und sie ist mit einem außergewöhnlichen Foto (einer Fotomontage) bebildert. Gezeigt wird ein Fohlen, das in einer buntbemalten, aus Holz gefertigten Wiege liegt. Was ist daran stilistisch-formbezogen bemerkenswert? In der Schlagzeile hat das Substantiv Wiege die lexikalisierte metaphorische BedeutungSemantik ‚Ort, an dem etw. seinen Anfang nimmt‘; das Bild hingegen visualisiert die wörtliche Bedeutung ‚schwingbares Bettchen für einen Säugling‘ und wandelt sie zugleich ab. Die Stelle eines Säuglings nimmt im Bild ein Fohlen ein. Sprache und Bild treten stilistisch-formbezogen in eine phantasieanregende Beziehung zueinander. Gestaltungsideen dieser Art sind auch als textkommunikative Wort-Bild-SpieleWort-Bild-Spiel interpretierbar, und damit ist eine Überleitung zum nächsten Teilabschnitt hergestellt.

1.2.3Sprach- und TextspielkompetenzTextspielkompetenz

Die Begriffe SprachspielSprachspiel und TextspielTextspiel erfassen kreative Experimente mit sprachlichen bzw. textuellen Einheiten. Die darauf bezogenen KompetenzenSprachspielkompetenz schließen Kenntnisse über Sprachstrukturen und TextmusterTextmuster ebenso ein wie die Fähigkeit, kreativ mit diesen Strukturen und Mustern umzugehen. Textrezipientenseitig ist es die Fähigkeit, sprach- bzw. textspielerisch realisierte GestaltungsideenGestaltungsidee zu erkennen. Im Einzelnen lassen sich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgende „Spiel-Arten“ unterscheiden:

 

 

WortspieleWortspiel: Darunter fallen textkommunikative Spiele

mit ähnlich lautenden Wörtern, z.B. mit den Substantiven Grube und Gruppe in der satirischen Titelzeile Häschen in der Gruppe (Eulenspiegel, Nr. 3/2016, 50), die auf ein bekanntes Kinderlied anspielt;

mit der Komponentenstruktur von PhraseologismenPhraseologismus (Redewendungen), z.B. mit der Reihenfolge von Komponenten: Tunnel am Ende des Lichts (Programmtitel des Kabaretts „Magdeburger Zwickmühle“); Schafe im Wolfspelz (Frankfurter Rundschau, 17.12.2012, Beilage S, 1);

mit der PolysemiePolysemie (Mehrdeutigkeit) von Lexemen (Systemwörtern) – wie in der Schlagzeile Zähes Ringen bei Olympia (Focus, Nr. 8/2013, 139). Die GestaltungsideeGestaltungsidee besteht darin, die Schlagzeile unter Ausnutzung der Polysemie des Lexems Ringen (1. ‚große Anstrengungen zur Lösung eines Problems‘; 2. ‚Ringkampf‘) mit textkommunikativer Mehrdeutigkeit (AmbiguitätAmbiguität) anzureichern, indem sich beide Bedeutungsvarianten überlagern. Im Haupttext erfahren wir sowohl vom Vorhaben des IOC, die Sportart Ringen (Bedeutungsvariante 2) ab 2020 aus dem olympischen Programm zu nehmen, als auch vom internationalen Ringen (Bedeutungsvariante 1) um den Erhalt dieser Sportart bei Olympia.

WortbildungsspieleWortbildungsspiel: Es handelt sich erstens um kreative Experimente mit der Konstituentenstruktur von Wortbildungskonstruktionen. Konstituenten werden

auf der Basis von Lautähnlichkeit ausgetauscht: Wochenschauer (Eulenspiegel, Nr. 9/2016, 65) statt Wochenschau; Hartz-Infarkt (Programmtitel des Kabaretts „Kartoon“) statt Herzinfarkt;

auf der Basis paradigmatischer Beziehungen im Wortschatz antonymischAntonym/antonymischhinzugefügtHinzufügen: unorganisierte Kriminalität (Eulenspiegel, Nr. 6/2016, 40) statt organisierte Kriminalität;

auf der Basis des Wortbildungsmusters Zusammensetzung (Komposition) dekomponiert: Wahn & Sinn (Rubriktitel der Satirezeitschrift „Eulenspiegel“) statt Wahnsinn.

Spiele mit der Wortbildung haben zweitens ein spezielles Wortbildungsmuster hervorgebracht: die Kreuzung/Verschmelzung zweier Wörter (KontaminationKontamination). Das Wort Demokratur ist eine Kreuzung aus Demokratie und Diktatur, das Wort zwischendurst (Paulaner: Genuss für zwischendurst!) eine Kreuzung aus Durst und zwischendurch.

 

Wort-Bild-SpieleWort-Bild-Spiel: Kreative Experimente mit Wörtern und Bildern erstrecken sich zum einen auf die geistreiche VisualisierungVisualisierung von Wortbedeutungen (als Beispiel die Visualisierung von Wiege der Pferdezucht im vorhergehenden Teilabschnitt), zum anderen auf die Formung von Bildern aus Wörtern. In einer Edeka-Werbeanzeige sind 41 anpreisende Wörter, darunter Frische, Qualität und Leckerbissen, zu einem Bild geformt, das ein Herz darstellt.

 

TextmusterspieleTextmusterspiel: Gespielt werden kann auch mit den Mustern von TextsortenTextsorte. Auf diese Weise entstehen z.B. in der Werbekommunikation hybride Texte als Mischung von Werbeanzeige und Lexikonartikel (vgl. Sandig 1986: 201), von Werbeanzeige und Märchen (vgl. Fix 1997: 101), von Werbeanzeige und Kontaktanzeige (vgl. Keßler 1998: 279). Auch Einzeltexte wie der Dekalog (die Zehn Gebote) können die Struktur einer Werbeanzeige bestimmen (ebd.: 282).

 

NamenspieleNamenspiel: Sie können sprach- oder textspielerisch in Erscheinung treten. Der sprachspielerische Umgang mit Eigennamen aller Art (Personen-, Mannschafts-, Städtenamen usw.) zeigt sich z.B.

bei der Modifikation des SprichwortsSprichwortUnverhofft kommt oft. in der Schlagzeile Unverhofft kommt Ovtcharov (Potsdamer Neueste Nachrichten, 03.08.2012, 15), wo der Familienname eines Sportlers (Sportart Tischtennis) das Adverb oft ersetzt;

bei der Kreuzung des Mannschaftsnamens Hoffenheim (Kurzform) mit dem Wertadjektiv hoffnungslos in der Schlagzeile Neue Pleite für Hoffnungslosheim (Bild, 18.02.2013, 20), die auf eine Serie verlorener Fußballspiele Bezug nimmt;

bei der paradoxen ZusammenrückungZusammenrückung der Verbform bog (umgangssprachlich boch) und der Präposition um zum Städtenamen Bochum in der Titelzeile Ein Mönch Bochum die Ecke (Eulenspiegel, Nr. 4/2016, Sonderseiten Literatureule, 94), mit der ein Nonsens-Text, über die Entstehung des Städtenamens Bochum Auskunft gebend, überschrieben ist.

Ein Beispiel für den textspielerischen Umgang mit Personennamen liefert ein Exemplar der journalistischen TextsorteTextsorte Porträt (vgl. Hoffmann 2012a: 242). Der Text ist nach dem poetischPoetizität/poetisch-ästhetischen Muster AkrostichonAkrostichon strukturiert. Das heißt: Jeder Buchstabe des Vor- und Familiennamens der porträtierten Person (im Beispieltext Armin Mueller-Stahl) wird der Reihe nach zum Anfangsbuchstaben eines am Anfang eines Abschnitts stehenden Wortes. Die abschnittseröffnenden Sätze zum Vornamen Armin lesen sich in diesem NamenspielNamenspiel-Porträt so (vgl. Filmspiegel, Nr. 3/1962, 16): Am Anfang war die Begeisterung für das Theater. / Recht oft ging er mit den Kindern ins Theater. / Mueller-Stahl … Dieser Name ist heute in Theaterkreisen recht gut bekannt. / In Karl-Marx-Stadt bereitet seine Schwester Dietlind als Dramaturgin jede Neuinszenierung mit vor. / Neunzehnhundertneunundvierzig hatte Armin Mueller-Stahl sein Staatsexamen bestanden – als Musiklehrer!

 

Mit Sprach- und TextspielenTextspiel verbindet sich eine breite Palette an Funktionen und Wirkungen. Das Erzielen formbezogener Erträge ist lediglich eine Funktion unter vielen anderen (vgl. u.a. Poethe 2002: 26–29; Janich 2010: 211ff.).

1.3Stil in einer Kosten-Nutzen-Relation

Ertragsorientierte Textproduktion und -rezeption – so hatten wir gesagt (siehe 1.1) – bedeutet Ausrichtung auf einen kommunikativen Gewinn, einen kommunikativen Nutzen. Hier lässt sich eine Brücke schlagen zu Rudi Kellers Kosten-Nutzen-Rechnung, die bei der Wahl sprachlicher Mittel aufzumachen sei (1995: 216–228). Mit dem Kostenaspekt werden die kommunikativen Anstrengungen geistiger und artikulatorischer Art erfasst, mit dem Nutzenaspekt mögliche Gewinne in dreifacher Hinsicht: Anstreben lässt sich ein informativer Gewinn (z.B. die Überzeugung des Textrezipienten), ein sozialer Gewinn (z.B. die Aufrechterhaltung einer Freundschaft) und ein ästhetischer Gewinn (z.B. der Unterhaltungswert des Gesagten). Wir erkennen in dieser Dreiteilung unschwer persuasiveErtragpersuasiver, sozialeErtragsozialer und formbezogene ErträgeErtragformbezogener wieder. Die Kosten, die ein Sprecher (Textproduzent) veranschlagt, können höher oder niedriger ausfallen. Höher sind sie, wenn er anstelle einer direkten eine indirekte Ausdrucksweise wählt. Dann ist zu fragen, was ihn dazu veranlasst, den kommunikativ unbequemeren Weg einzuschlagen. Rudi Keller gibt darauf folgende Antwort: „Der Sprecher wählt den indirekten Weg genau dann, wenn er ihn als den aussichtsreicheren beurteilt.“ (Ebd.: 218) Doch was ist eigentlich unter der Direktheit bzw. Indirektheit eines Wegs zu verstehen? Gemeint ist der Unterschied zwischen der Wörtlichkeit und der Nichtwörtlichkeit des Gesagten. Letzteres ist beispielsweise der Fall, wenn sich der Sprecher (Textproduzent) metaphorischMetapher/Metaphorisieren oder ironisch äußert. So kann sich eine metaphorische Ausdrucksweise als aussichtsreicher herausstellen, einen intellektuellen ErtragErtragintellektueller zu erzielen, eben weil sie es vermag, abstrakte Sachverhalte zu veranschaulichen. Metaphorik verlangt allerdings auch dem Hörer (Textrezipienten) höhere geistige Kosten ab, denn sie impliziert die an ihn gerichtete Aufforderung, „etwas als etwas anderes zu sehen“ (ebd.: 224). Eine ironische Ausdrucksweise kann sich als aussichtsreicher herausstellen, einen emotionalEmotionalität/Emotionalisieren-psychischen ErtragErtragemotional-psychischer zu erzielen, eben weil sie es vermag, die Bewertung von Sachverhalten als distanziert-spöttisch erscheinen zu lassen, etwa im Rahmen der journalistischen TextsorteTextsorte Glosse (vgl. Lüger 1995: 137ff.). Vom Hörer (Textrezipienten) wird bei dieser Form von Indirektheit erwartet, dass er sein Wissen einbringt, um die IronieIronie/Ironisieren zu erkennen. Es wird außerdem erwartet, dass er den SpottSpott als gerechtfertigt ansieht. Auch er hat also erheblich höhere Kosten, doch der mögliche Nutzen liegt auf der Hand: Der Text kann Vergnügen bereiten.

2Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil

2.1Einleitung

Vor mehr als hundert Jahren beginnt Richard M. Meyer seine „Deutsche Stilistik“ mit folgenden Worten:

Die Stilistik wird insgemein als eine Art Geheimmittellehre aufgefaßt, die allerlei Kunstgriffe zur Erzielung ästhetischer Wirkungen an die Hand geben soll. Davon kann im Ernst nicht die Rede sein; vielmehr ist sie eine wissenschaftliche Disziplin, die als solche das Verständnis vorhandener Erscheinungen zu fördern und zu verbreiten sucht. In diesem Sinn behandeln wir die Stilistik in dem folgenden Abriß als ein System theoretischer Erkenntnisse, das sich selbstverständlich praktisch verwerten läßt, gerade wie die Grammatik (im Sprachunterricht) oder jede andere Wissenschaft. (Meyer 1913: 1)

Aktuell an diesen Worten ist einiges: der Status der Stilistik als Wissenschaft, die Systemhaftigkeit theoretischer Erkenntnisse, die praktische Verwertbarkeit von Einsichten in stilistische Regularitäten. Nicht mehr aktuell ist natürlich auch einiges: Von einer Geheimmittellehre spricht heutzutage niemand mehr. Statt um Kunstgriffe geht es heute um theoretisch fundierte methodische Instrumentarien. Und schlösse man sich der Auffassung Meyers an, dass die Stilistik letztlich nichts anderes sei „als eine vergleichende Syntax“ (ebd.: 3), bliebe das Blickfeld eingeengt auf ein Teilsystem des SprachsystemsSprachsystem als Stilmittelreservoir und der Blick versperrt auf den eigentlichen Stilbereich in seiner Bindung an und seiner Einbindung in die Kommunikation. Erstaunlicherweise gelingt es dem Autor dennoch, den Blick zu weiten und Stilistisches auch im Rahmen von „Gattungen“ wie ‚Essay‘, ‚Literarisches Porträt‘ und ‚Wissenschaftliche Darstellung‘ zu beschreiben.

Vor mehr als zehn Jahren beginnt die „Einführung in die Stilistik“ von Karl-Heinz Göttert und Oliver Jungen folgendermaßen:

Das hat Stil! Oder auch: Das hat keinen Stil! – erstaunlicherweise verstehen wir solche Aussagen bestens, ohne sagen zu können, was Stil eigentlich ist. Diese definitorische Verlegenheit stellt kein kleines Manko für die Stilistik dar. Eine Einführung in die Disziplin der Stilistik hat es da etwas einfacher, weil sie das Manko nur zu benennen, nicht zu beheben braucht. (Göttert/Jungen 2004: 13)

Kritikwürdig an diesen Ausführungen ist erstens, dass das Wort Stil in den angeführten Beispieläußerungen ein ästhetisches Werturteil zum Ausdruck bringt, im Sinne von ‚ästhetischÄsthetik/ästhetisch ansprechender Gestaltung‘ verwendet wird, während die Aufgabe der Stilistik darin besteht, den Grundbegriff Stil so zu bestimmen, dass damit die Vielfalt an Gestaltungsweisen mit neutralen Kennzeichnungen (Stil der Wissenschaft, Werbestil, Märchenstil, Stil Thomas Manns usw.) erfassbar wird. Kritikwürdig an den zitierten Worten ist zweitens die Annahme, dass Einführungen in eine Wissenschaftsdisziplin ohne eine Definition des jeweiligen Gegenstands auskommen können. Der Verzicht auf eine Definition hat zwangsläufig zur Folge, dass lediglich diffuse Vorstellungen vom Gegenstand entstehen, was wenig hilfreich und letztlich unwissenschaftlich ist. So nährt der Verzicht auf eine Stildefinition berechtigte Zweifel, ob die Stilistik überhaupt zu den Wissenschaftsdisziplinen gehört. Die Zweifel daran potenzieren sich, wenn anstelle des Bemühens, zu einer Stildefinition zu gelangen, spöttische Vergleiche angestellt werden, wenn Stil z.B. mit einem Fabelwesen wie dem Ungeheuer von Loch Ness verglichenVergleichen wird: „Man spricht davon, schreibt und hält Vorträge darüber, doch über etwas, was unsichtbar bleibt.“ (Dubois u.a. 1974: 24)

Dabei ist über Stil als Grundbegriff der Stilistik wahrlich schon viel gesprochen und geschrieben worden. Der Begriff bietet unerschöpflichen Diskussionsstoff. Es gibt mittlerweile zahlreiche Stilrichtungen (Text-, Gesprächs-, Pragma-, Sozio-, Literatur-, Funktionalstilistik u.a.) und weitaus mehr Stilauffassungen, -konzepte und -definitionen. Selbst innerhalb einer Stilrichtung können verschiedene Sichtweisen zur Geltung kommen. So ist es im Rahmen der Textstilistik möglich, den Fokus auf pragmatischePragmatik/pragmatisch Aspekte des Stils zu richten: Stil wird als die Art und Weise des Vollzugs einer TexthandlungTexthandlung (z.B. ERZÄHLENERZÄHLEN/Erzählen, WERBENWERBEN, BEURKUNDENBEURKUNDEN) begriffen. Im Rahmen der Textstilistik ist es aber auch möglich, im Stil eines Textes ein mehr oder weniger komplexes kommunikatives Zeichen zu sehen, mit sprachlichen und nichtsprachlichen Komponenten, in monologischer oder dialogischer Form, mit individueller oder überindividueller Prägung, mit pragmatischer, sozialer oder ästhetischer BedeutungSemantik/semantisch, in poetischenPoetizität/poetisch oder nichtpoetischen Kommunikationszusammenhängen. Von dieser semiotischen Sichtweise (Stil als Zeichen in der Kommunikation) sind die stiltheoretischen Ausführungen im vorliegenden Buch getragen. Die Problematik vieler Stiltheorien resultiert aus einem Universalitätsanspruch bzw. aus der Verabsolutierung eines ganz bestimmten Aspekts. Eine semiotisch orientierte Textstilistik legt sich zwar auch fest, hat aber das Potential, die verschiedensten Aspekte unter einem Dach zusammenzuführen.

Bei dem hier vorzustellenden Stilkonzept gehen wir nicht von einer fertigen Stildefinition aus. Stattdessen werden Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil in der Art eines Puzzles aneinandergelegt und an Beispieltexten erläutert, um sie am Ende in einer Stildefinition zusammenzuführen. Strittiges bleibt weitestgehend ausgeblendet, doch auf eine Diskussion stiltheoretischer Fragen wird nicht gänzlich verzichtet, denn auch die Problematisierung von Positionen kann dazu beitragen, möglichst viel Klarheit über das Phänomen Stil zu gewinnen. In diesem zweiten Kapitel wird deshalb an das Ende eines Abschnitts gelegentlich ein Block mit der Überschrift „Diskussion“ gestellt, in dem Fragen, die sich aus dem Studium der Fachliteratur ergeben, erörtert oder offene Fragen, die sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht befriedigend beantworten lassen, formuliert werden.

2.2Musterbasiertheit

2.2.1GestaltungsmusterGestaltungsmuster allgemein: Komponenten des Musters Gestalten

An unserer ersten Station auf dem Weg zu einer Stildefinition wollen wir auf die Frage eingehen, wie der Stil eines Textes eigentlich in den Text „hineinkommt“. Für die Antwort auf diese Frage erweist es sich als nützlich, wenn nicht als unumgänglich, den stilistischen Aspekt der Textproduktion mit dem Begriff Gestaltung zu erfassen. Mit Hilfe dieses Begriffs können wir Stil als ein Gestaltungsprodukt bestimmen. Wir können sagen, dass er durch einen GestaltungsaktGestaltungsakt hervorgebracht wird und dass Gestaltungsakten ein GestaltungsmusterGestaltungsmuster zugrunde liegt. Ein prägnanterPrägnanz/Prägnant-Machen stiltheoretischer Leitsatz lautet ganz in diesem Sinne: Stil beruht auf dem Muster Gestalten (vgl. Püschel 1995: 306). Da es naturgemäß viele unterschiedliche Stile gibt, müsste es eigentlich dementsprechend viele Gestaltungsmuster geben. Nun besagt der Leitsatz aber gerade, dass es ein einziges Muster gibt, nämlich das Muster Gestalten. Wie lässt sich diesem offensichtlichen Widerspruch Logik abgewinnen? Etwa so: Wenn von dem Muster Gestalten die Rede ist, dann gerät immer das Allgemeine, das allen Gestaltungsakten zugrunde liegt, in den Blick. Man kann es mit Ulrich Püschel noch deutlicher sagen und Gestalten als „das allgemeinste oder zentrale Stilmuster“ (1995: 307) bestimmen. Wenn hingegen im Plural von Gestaltungsmustern die Rede ist, dann werden einzelne, spezifizierte, konkret bestimmbare Gestaltungsakte in ihrer Musterhaftigkeit erfasst. Im Folgenden sei versucht, das Allgemeine (das Muster) und das Einzelne (die Muster) etwas ausführlicher zu beschreiben und voneinander abzugrenzen.

Gestalten heißt allgemein gesehen, einer x-beliebigen Sache (Gegenstand, Zustand, Prozess, Handlung usw.) eine bestimmte Form zu geben, und zwar – wie sogleich hinzugefügt werden muss – nach einem Formgebungsprinzip oder einer Formgebungsidee, denn nicht jede Formgebung ist per se ein GestaltungsaktGestaltungsakt. Wer eine Tasse oder einen Krug töpfert, gibt Gefäßen erst einmal eine Form, die sich als Tasse oder Krug zu erkennen gibt, ohne dass bereits ein Gestaltungsakt vollzogen sein muss. Wer einen Satz nach grammatischen Regeln produziert und Wörter nach grammatischen Regeln einbindet, gibt dem Satz und den Wörtern zweifellos einen Form, aber eben eine grammatische Form. Wer einen Text produziert, ein TextthemaTextthema abhandelt, orientiert sich bei der Textbildung zum einen an textgrammatischen Regeln, zum anderen an kommunikativen Gesichtspunkten und in diesem Zusammenhang auch an Formgebungsprinzipien. So kann man das Thema eines Textes anschaulich abhandeln (z.B. in Lehrbüchern) oder theoretisch-abstrakt (z.B. in wissenschaftlichen Aufsätzen). Vielfach ist die Gestaltung mehr oder weniger vorgeschrieben, so in Protokollen, wo es auf GenauigkeitGenauigkeit ankommt, oder in Festreden, die nach einem feierlichen Stil verlangen. AnschaulichkeitAnschaulichkeit, AbstraktheitAbstraktheit, Genauigkeit und FeierlichkeitFeierlichkeit sind Beispiele für Formgebungsprinzipien. Beispiele für Formgebungsideen findet man z.B. in Werbeanzeigen, die in Gedichtform verfasst sind, in Kontaktanzeigen, in die Märchenelemente eingeflochten sind, oder in den Laut- und Buchstabengedichten der Konkreten Poesie. Gestaltungsakte vollziehen sich nicht im luftleeren Raum. So bildet insbesondere die TextsorteTextsorte (z.B. Lehrbuch, Protokoll, Festrede, Werbeanzeige, Kontaktanzeige, Gedicht) den Rahmen für die Entfaltung von Formgebungsprinzipien und Formgebungsideen. Mit diesen beiden Stilkategorien ist eine wichtige Komponente des Musters Gestalten gewonnen: das Ziel, das anvisierte Ergebnis des Gestaltens. Um es zu erreichen, müssen geeignete Prozeduren, d.h. Formgebungsverfahren umgesetzt und geeignete Formgebungsmittel eingesetzt werden. Musterbildend sind also neben einer Zielkomponente (finalen Komponente) auch eine prozedurale und eine instrumentale Komponente. Das Muster Gestalten stellt sich mithin als eine Drei-Komponenten-Struktur dar, bei der wir, um zu verdeutlichen, dass es sich um Einheiten dieses Musters handelt, die Bezeichnung Formgebung durch die Bezeichnung Gestaltung ersetzen (siehe Tab. 1).

Finale Komponente

Prozedurale Komponente

Instrumentale Komponente

GestaltungsprinzipienGestaltungsprinzip

GestaltungsideenGestaltungsidee

GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren

GestaltungsmittelGestaltungsmittel

Tab. 1: Komponenten des Musters Gestalten

Wir werden das Muster Gestalten an passender Stelle (siehe 2.5.1) zu vervollständigen haben.

2.2.2GestaltungsmusterGestaltungsmuster spezifiziert: Beispielanalysen

Vom Allgemeinen nun zum Einzelnen, zu einzelnen GestaltungsmusternGestaltungsmuster und einzelnen Beispielen. Die Rekonstruktion spezifizierter, konkret bestimmbarer Gestaltungsmuster bedarf nicht grundsätzlich einer breiten empirischen Basis. Sie hat auch dann ziemlich gute Erfolgsaussichten, wenn man einen Einzeltext als Exemplar einer TextsorteTextsorte erfasst und überlegt, worauf Gestaltungsaspekte in diesem Rahmen gerichtet sein könnten.

Beispieltext 1: Stellenanzeige

Gestaltungsaspekte im Textsortenrahmen ‚Stellenanzeige‘ leiten sich u.a. aus folgenden Fragen ab:

Wie wird der Arbeitgeber, der das Stellenangebot unterbreitet, bezeichnet?

Wie wird das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle beschrieben?

Es gibt grundlegende und besondere GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren. Am Beispieltext 1 seien zunächst zwei grundlegende Gestaltungsverfahren aufgezeigt, und zwar:

das AuswählenAuswählen von GestaltungsmittelnGestaltungsmittel aus einem Paradigma und

das KombinierenKombinieren der ausgewählten Mittel zu einer syntagmatischen Struktur.

Die Analyse zu a) erfasst verwendete GestaltungsmittelGestaltungsmittel auf einer vertikalen Achse. Der Beispieltext gibt hierzu vor allem Folgendes zu erkennen:

Textbelege

AusgewählteAuswählenGestaltungsmittelGestaltungsmittel

Pizza-Service

anstelle von

ein Pizza-Service

Wahl des Nullartikels

anstelle

des unbestimmten Artikels

f. d. R.

anstelle von

für den Raum

Wahl einer SchreibabkürzungSchreibabkürzung

anstelle

der Vollform

(weitere SchreibabkürzungenSchreibabkürzung im Text: Ortskennt. – u. – eig. – std.-weise – n. Vereinb.)

Ortskennt(nisse)

anstelle von

Kennt(nisse) über den Ort

Wahl eines Kompositums

anstelle

einer Wortgruppe

mit Ortskennt. u. eig. PKW anstelle von

die über Ortskennt. u. eig. PKW verfügen

Wahl einer attributiven Wortgruppe

anstelle

eines Relativsatzes

(std.-weise n. Vereinb.) anstelle von

Die Beschäftigung erfolgt std.-weise n. Vereinb.

Wahl einer EllipseEllipse

anstelle

eines ausgeformten Satzes

Tab. 2:GestaltungsmittelGestaltungsmittel Stellenanzeige – paradigmatisch

Die Analyse zu b) ordnet die verwendeten GestaltungsmittelGestaltungsmittel auf einer horizontalen Achse an. Um das Gestaltungsziel, hier das GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip zu erkennen, müssen die als ausgewähltAuswählen erkannten Gestaltungsmittel als miteinander kombiniert und in ihrem Zusammenwirken betrachtet werden:

KombinierteKombinierenGestaltungsmittelGestaltungsmittel

Nullartikel

+

Schreib-

abkürzungen

+

Kompositum

+

attributive

Wortgruppe

+

EllipseEllipse

Tab. 3:GestaltungsmittelGestaltungsmittel Stellenanzeige – syntagmatisch

Das GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip, das den Gestaltungszusammenhang zwischen den GestaltungsmittelnGestaltungsmittel stiftet, ist aus der syntagmatischen Struktur ableitbar: Mit allen ausgewählten und kombinierten Gestaltungsmitteln wird das Gestaltungsprinzip KnappheitKnappheit (ein Ausdruck von Sprachökonomie) realisiert. Der Stellenanzeige liegt der GestaltungsaktGestaltungsaktVerknappenVerknappen zugrunde, der für Anzeigentexte typisch ist.

Beispieltext 2: Werbeanzeige

Bei GestaltungsaktenGestaltungsakt im Textsortenrahmen ‚Werbeanzeige‘ stellen sich ganz andere Fragen, u.a. diese:

Wie wird das im Text thematisierte Produkt bezeichnet?

Wie werden das Produkt und seine Herstellung bewertet?

Am Beispiel einer Werbeanzeige (Text 2) seien drei besondere GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren (einschließlich typischer GestaltungsmittelGestaltungsmittel) zur Realisierung eines GestaltungsprinzipsGestaltungsprinzip aufgezeigt, und zwar:

das KreierenKreieren eines klangvollen und orthographisch auffälligen Produktnamens (hier: TwinHaus);

das Auflisten von Vorzügen (des Produkts und seiner Herstellung), hier mittels adjektivischer WertwörterWertwort (attraktiv, einzigartig, effizient), auch in Form eines AugmentativkompositumsAugmentativkompositum, d.h. eines zusammengesetzten Wortes, bei dem die erste Konstituente die zweite semantischSemantik/semantisch steigert (hochattraktiv), sowie in komparativischer (effizienter, kostengünstiger) und superlativischer Form (beliebtest);

das UmschreibenUmschreiben des Produktnamens mittels GefühlswörternGefühlswort oder Gefühlswortkonstruktionen, hier mittels eines substantivischen AugmentativkompositumsAugmentativkompositum (Traumhäuser), dessen erste Konstituente aus einem Gefühlswort besteht, das einen sehnlichen und noch unerfüllten Wusch bezeichnet.

Aus der Analyse der GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren und -mittel lässt sich – wiederum auf der horizontalen Achse – das vorherrschende GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip ableiten: das Prinzip AnpreisungAnpreisung. Der Anzeige liegt der GestaltungsaktGestaltungsakt Anpreisen zugrunde, der für Werbetexte typisch ist.

Schwere See, mein Herz? Nicht länger. Lass uns Segel setzen. Sturmerprobte, Wahrheit schätzende, lebensverliebte Frau (30/181/75, NR, Journalistin, aus Halle/S.) sucht großen Mann mit Herzensweite, Weitblick und Tiefgang. Gern auch älter und mit Mut und großer Lust darauf, aufs offene Meer zu segeln und gemeinsam die Früchte des Lebens heimzuholen.

Chiffre:11/09

Beispieltext 3: Kontaktanzeige

Im Textsortenrahmen ‚Kontaktanzeige‘ stellen sich u.a. folgende Stilfragen:

Wie werden die Kommunikationsbeteiligten (die suchende und die gesuchte Person) bezeichnet?

Wie werden Vorstellungen von einer Partnerbeziehung kommuniziert?

Die Analyse von Beispieltext 3, konzentriert auf diese beiden Fragen, fördert ein besonderes GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren zur Realisierung einer GestaltungsideeGestaltungsidee zutage, nämlich das Mischen von Mustern, genauer: das Mischen von Merkmalen/Elementen verschiedener Muster. In diesem Text werden Elemente des FramesFrame (Wissensmusters) ‚Segeln‘ in die Themenabhandlung ‚Partnersuche‘ nach dem Textsortenmuster Kontaktanzeige eingeflochten, erkennbar vor allem an den verbalen Wortgruppen Segel setzen und aufs offene Meer segeln, die im Kontext dieser Kontaktanzeige sprachbildlich (metaphorischMetapher/Metaphorisieren) zu verstehen sind. Aber auch die lexikalischen Einheiten sturmerprobt, Weitblick und Tiefgang fügen sich in gewisser Weise in das komplexe Sprachbild ein, das offenbar vom Song „Schwere See“ der Band Element of Crime inspiriert ist. Mit dem Zitieren einer Verszeile aus dem Refrain dieses Songs (Schwere See, mein Herz) wird eine intertextuelle Beziehung aufgebaut, die der Anzeige bereits zu Beginn einen poetischenPoetizität/poetisch Anstrich verleiht.

Wir sind nun in der Lage, die textprägende GestaltungsideeGestaltungsidee zu beschreiben. Sie besteht darin, eine Partnerbeziehung als ein Segelschifffahrtsereignis erscheinen zu lassen.

Suche Dich! Groß, schlank, schlau, liebevoll, geduldig, Interesse für Haus, Garten, Urlaub am Meer und in den Bergen … Verwunschene Prinzessin, 45/1,74 m, schlank, blond, blauäugig, mit Bodenhaftung, sucht genau den Frosch, der sich nach dem ersten Kuss in den Traumprinzen verwandelt.

Chiffre:11/07

Beispieltext 4: Kontaktanzeige

Die Variabilität der Gestaltung von Kontaktanzeigen offenbart sich, wenn man weitere Texte dieser TextsorteTextsorte in die Analyse einbezieht. Wir beschränken uns hier auf einen einzigen weiteren Text. Als besonderes GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren in Beispieltext 4 tritt das Anspielen auf einen Märchentext hervor, das auf eine andere GestaltungsideeGestaltungsidee hindeutet. Aber es zeigt sich auch eine Gemeinsamkeit mit Text 3: In beiden lässt sich ein Mischen von Mustern beobachten, denn es werden lexikalische Märchenelemente (verwunschen, Prinzessin, sich verwandeln) in einen Text mit dem Thema ‚Partnersuche‘ eingeflochten. Im Unterschied zu Text 3 werden diese „fremdstilistischen“ Elemente jedoch verwendet, um die Inserentin und den gesuchten Partner als fiktionale Figuren einer poetischenPoetizität/poetisch Textwelt (der Welt des Märchens „Froschkönig“) erscheinen zu lassen. Die Gestaltungsidee besteht folglich darin, die Suche nach einem Partner und Vorstellungen von einer Partnerbeziehung in Märchenform zu kommunizieren.

GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren, die über ein bloßes AuswählenAuswählen und KombinierenKombinieren von GestaltungsmittelnGestaltungsmittel hinausgehen, gibt es in großer Zahl. Sie vollständig aufzuzählen ist eine unlösbare Aufgabe. Wir wollen hier noch auf einige hinweisen und mögliche Zusammenhänge mit GestaltungsaktenGestaltungsakt aufzeigen (siehe Tab. 4).

GestaltungsakteGestaltungsakt

(Gestaltungsprinzipien)Gestaltungsprinzip

GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren

(beispielbezogene Auswahl)

AbwechslungAbwechslung-Erzeugen

(Abwechslung)Abwechslung

VariierenVariieren von sprachlichen Einheiten, z.B. Personenbezeichnungen – wie in einer Meldung über Madeline Stuart (Potsdamer Neueste Nachrichten, 15.09.2015, 24), in der in fast jedem Satz eine andere Bezeichnung vorkommt:

das australische Model Madeline Stuart – die Australierin – die 18-Jährige – sie – der Teenager – Madeline Stuart

DekorierenDekoriertheit/Dekorieren/Ausschmücken eines Textes

(Dekoriertheit/Dekoriertheit/DekorierenSchmuckSchmuckDekoriertheit/Dekorieren)

Einflechten literarischer Zitate:

„O schüttel ab den schweren Traum / und die lange Winterruh; / es wagt es der alte Apfelbaum, / Herze, wag’s auch du!“ Um Fontane zu Wort kommen zu lassen.

(Potsdamer Neueste Nachrichten, 19.03.2010, 1)

Formelhaft-MachenFormelhaftigkeit/Formelhaft-Machen

(Formelhaftigkeit)Formelhaftigkeit/Formelhaft-Machen

WiederholenWiederholen von Rede, z.B. durch Verwenden von SprichwörternSprichwort (Der frühe Vogel fängt den Wurm.), geflügelten Worten (Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.) oder Bauernregeln (Ist der Mai kühl und nass, füllt er dem Bauern Scheun’ und Fass.).

HumorisierenHumor/Humorisieren

(Humor)Humor/Humorisieren

Spielen mit Wortformativen oder Wortbedeutungen, z.B. KreierenKreieren von Schüttelreimen:

Wenn ich mir eine Wiege lease

und geh auf eine Liegewiese –

ob die, die auf der Wiese liegen,

sich dann auch von mir wiegen ließen?

(Das Magazin, Nr. 7–8/2015, 130)

IronisierenIronie/Ironisieren

(Ironie)Ironie/Ironisieren

ErsetzenSubstituieren von Komponenten einer Äußerung durch Komponenten mit gegenteiliger BedeutungSemantik/semantisch, z.B. ErsetzenErsetzenSubstituieren negativ bewertender Wörter durch positiv bewertende, wodurch zugleich scheinbar gelobt statt getadelt wird:

Das hast du wieder hervorragend (anstelle von miserabel) gemacht.

PathetisierenPathos/Pathetisieren

(Pathos)Pathos/Pathetisieren

Parallelisieren von Satzstrukturen (durch Verwenden der StilfigurStilfigurParallelismusParallelismus):

Ich dich ehren? Wofür? / Hast du die Schmerzen gelindert je des Beladenen? / Hast du die Tränen gestillet je des Geängstigten?

(J.W. Goethe, Prometheus)

Prägnant-MachenPrägnanz/Prägnant-Machen

(Prägnanz)Prägnanz/Prägnant-Machen

GegenüberstellenGegenüberstellen von sprachlichen Einheiten, z.B. mittels Modalverben im Rahmen der StilfigurStilfigurAntitheseAntithese:

Die Frage ist nicht, ob wir das schaffen wollen. Die Frage ist, ob wir das schaffen können.

RhythmisierenRhythmik/Rhythmisieren

(Rhythmik)Rhythmik/Rhythmisieren

ParzellierenParzellieren von Sätzen:

Wir können es schaffen. Vielleicht. Wenn wir mutig sind. Und unsere Kräfte einteilen.

VeranschaulichenVeranschaulichen

(Anschaulichkeit)Anschaulichkeit

Bildhaftes VergleichenVergleichbildhafter, z.B. mittels des Verbs erinnern: Sein Aussehen und seine straffe Körperhaltung erinnerten an einen Marineoffizier.

(P. Mercier, Perlmanns Schweigen)

Tab. 4: Zusammenhänge zwischen GestaltungsaktenGestaltungsakt und GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren

Ein Problem ist möglicherweise die Unterscheidung zwischen GestaltungsaktenGestaltungsakt und GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren. Als Faustregel gilt: Gestaltungsakte tragen zumeist das GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip im Namen (vgl. VerknappenVerknappen → KnappheitKnappheit, Anpreisen → AnpreisungAnpreisung, aber auch VeranschaulichenVeranschaulichen → AnschaulichkeitAnschaulichkeit, EmotionalisierenEmotionalität/Emotionalisieren → Emotionalität usw.), bei Gestaltungsverfahren ist dies nicht der Fall (vgl. Auflisten von Vorzügen → Anpreisung, aber auch WiederholenWiederholen → EinprägsamkeitEinprägsamkeit oder VariierenVariieren → AbwechslungAbwechslung). Ein weiteres Problem ist möglicherweise die Unterscheidung zwischen GestaltungsideenGestaltungsidee und Gestaltungsverfahren, da ja in so manchem Verfahren (Anspielen, Mischen von Mustern u.a.) gestalterische Kreativität steckt. Doch die Koordinaten für Gestaltungsideen werden immer in einem konkreten kommunikativen Gestaltungsrahmen (z.B. dem der TextsorteTextsorte oder der Textgattung) abgesteckt, während dies bei Gestaltungsverfahren nicht der Fall ist. AnspielungenAllusion und MustermischungenMustermischung gibt es nicht nur in Kontaktanzeigen, sondern auch in werbenden, journalistischen und poetischenPoetizität/poetisch Texten. Gestaltungsverfahren stehen in einer engen Beziehung zu GestaltungsmittelnGestaltungsmittel, schließen sie häufig ein, was schon an den beiden grundlegenden Verfahren (AuswählenAuswählen und KombinierenKombinieren von Gestaltungsmitteln) erkennbar ist, und in einer eher kommunikativ offenen, uneindeutigen Beziehung zu Gestaltungsakten, -prinzipien und -ideen. In ähnlicher Weise unterscheidet Barbara Sandig (2006: 152) zwischen stilistischen Handlungen und stilistischen Verfahren. Letztere sind für sie Gestaltungstechniken, „die im Text verschiedenste Funktionen erhalten können“.

DISKUSSION

1. In der Literatur wird auch von Stilgestaltung gesprochen. Kann Stil Produkt und zugleich Objekt des Gestaltens sein?

Stil beruht auf dem Muster Gestalten, ist Produkt des Gestaltens. Gestalten heißt, einer Sache, die außerhalb des Stils liegt, eine bestimmte Form zu geben. Insofern ist es stiltheoretisch problematisch, ja widersprüchlich, im Gestaltungsprodukt Stil zugleich ein Objekt des Gestaltens zu sehen, d.h. von Stilgestaltung zu sprechen, nachzulesen etwa bei Ulf Abraham: „Stil wahrnehmen und gestalten“ (1996: 293) oder Barbara Sandig: „GESTALTEN von Stil“ (2006: 51). Dem ist entgegenzusetzen: Stil wird nicht gestaltet, sondern hergestellt, und zwar innerhalb eines Gestaltungsrahmens, in dem sich das Gestaltungsobjekt befindet.

 

2. In der Literatur wird auch von Stil als einem GestaltungsmittelGestaltungsmittel gesprochen. Kann Stil Produkt und zugleich Mittel des Gestaltens sein?

Es erscheint verwirrend, wenn zu lesen ist, dass Stil ein GestaltungsmittelGestaltungsmittel ist (vgl. Sandig 2006: 23). Kann Stil wirklich ein Gestaltungsprodukt und zugleich ein Gestaltungsmittel sein? Es ist doch wohl vielmehr so, dass bei der Herstellung von Stil Gestaltungsmittel zum Einsatz kommen, die in das Gestaltungsergebnis eingehen und eine textuelle Stilstruktur konstituieren. Weniger verwirrend ist das Ganze indes, wenn man sich verschiedene Bezugsgrößen des Gestaltens vor Augen führt. Gestalten hat nämlich einen Doppelaspekt; es ist einerseits auf die Ausformung von Textstrukturen beziehbar (siehe z.B. die GestaltungsprinzipienGestaltungsprinzipAbwechslungAbwechslung, DekoriertheitDekoriertheit/Dekorieren, KnappheitKnappheit, RhythmikRhythmik/Rhythmisieren), andererseits auf Gegebenheiten des kommunikativen Geschehens, d.h. auf Gegebenheiten, die über die Form des Textes hinausweisen. So kann man eben auch davon sprechen, dass mittels Stil die Beeinflussung des Rezipienten bzw. Adressaten gestaltet wird (siehe das Gestaltungsprinzip AnpreisungAnpreisung) oder die soziale Beziehung zwischen Textproduzent und Textrezipient (z.B. als förmlich oder familiär) oder die soziale Rolle, in der sich der Textproduzent präsentiert (z.B. als Amtsträger oder als Privatperson), oder global und übergreifend die Situation, in der sich das kommunikative Geschehen vollzieht (z.B. innerhalb von KommunikationsbereichenKommunikationsbereich wie Journalismus, Parlamentarismus und Gottesdienst). Man kann von Beziehungs-, Rollen- und Situationsgestaltung sprechen (Näheres in 2.5.2). Wie man an diesem Diskussionspunkt sieht, kann sich hinter einer problematisch erscheinenden Äußerung eine plausible stiltheoretische Überlegung verbergen – hier ist es die Überlegung, dass Stil ein „Mittel gesellschaftlich […] relevanter Differenzierungen von Kommunikation“ (Sandig 2006: 142) ist. Der Sprung von einer Sichtweise in eine andere muss jedoch expliziert werden. Die Darstellung von Barbara Sandig lässt dies vermissen.

 

3. Können Texte gestaltet werden, also sowohl Rahmen als auch Objekte des Gestaltens sein?

Ja, natürlich!, könnte man vorschnell antworten. Doch der geläufige und unverfänglich erscheinende Ausdruck Textgestaltung ist so unproblematisch nicht, denn der Stil eines Textes ist ja Teil eines Textes und nicht etwas, was nachträglich hinzugefügt wird in der Art eines Gewands, das den Text einkleidet. Der Ausdruck Textgestaltung hat allerdings seine Berechtigung, sofern man sich im Klaren darüber ist, dass streng genommen nur einzelne Komponenten des Textes (TexthandlungTexthandlung, TextthemaTextthema, TextarchitekturTextarchitektur u.a.) gestaltet werden können (Näheres in 2.4.2), nicht aber das Textganze, zu dem der Stil gehört.

2.3Ganzheitlichkeit

2.3.1Zum Begriff StilgestaltStilgestalt

In diesem Abschnitt wechseln wir die Perspektive auf Stil, und zwar insofern, als nicht die Grundlagen seiner Herausbildung, sondern die Grundlagen seiner Wahrnehmung und Interpretation im Mittelpunkt stehen. Es geht um stilistisch bedeutsame Ganzes-Teil-Beziehungen im Text und um einen weiteren feinen terminologischen Unterschied. Gemeint ist der Unterschied zwischen dem Gestalten einerseits und den Gestalten andererseits. Das Gestalten ist – wie wir inzwischen wissen – ein GestaltungsaktGestaltungsakt. Die Gestalten hingegen sind stilistisch gesehen Gestaltungsprodukte, sodass man sie auch genauer als StilgestaltenStilgestalt bezeichnen kann. Doch was leistet der Gestaltbegriff, der seine Wurzeln in der Gestaltpsychologie hat, für die Stilistik? Er macht es möglich, ja er zwingt dazu, Stil als eine gestaltete Ganzheit zu begreifen und zu erfassen, als ein Gefüge aus Teilen, die zusammengehören, zusammenpassen, zusammenwirken, kurz: die in einem irgendwie gearteten Gestaltungszusammenhang stehen.

StilgestaltenStilgestalt können prägend sein für einen Text insgesamt oder für eine Textpassage oder für einen Teiltext. So kann man z.B. Werbeslogans daraufhin betrachten, was an ihnen stilistisch gestalthaft ist. Als Beispiel der Slogan Bitte ein Bit, den auch Barbara Sandig (2006: 83) untersucht hat. Im Unterschied zu ihrer Analyse setzt sich die Stilgestalt dieses Slogans nach unserer Auffassung aus drei Teilgestalten zusammen. Wir registrieren:

die DoppelungDoppelung einer Silbe (bit);

die symmetrische AnordnungAnordnen der beiden gleichen Silben am Anfang und am Ende des Slogans;

die elliptische Formung und dadurch bewirkte Kürze des Satzes (nichtelliptisch könnte der Satz Ich möchte bitte ein Bit. lauten).

Diese Analyse hilft uns dabei, Eigenschaften von StilgestaltenStilgestalt zu erkennen.

StilgestaltenStilgestalt setzen sich aus Elementen (GestalteinheitenGestalteinheit) zusammen, z.B. aus Silben und Wörtern.

Relationen zwischen den GestalteinheitenGestalteinheit bilden eine GestaltstrukturGestaltstruktur. Diese Struktur wird durch GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren hergestellt, z.B. durch das WiederholenWiederholen und AnordnenAnordnen von Silben oder durch das AuslassenAuslassen von Wörtern.

GestaltstrukturenGestaltstruktur verbinden sich mit einer GestaltqualitätGestaltqualität, einem qualitativen Gestaltungszusammenhang, in den sich die GestalteinheitenGestalteinheit einfügen. Solche Qualitäten sind z.B. DoppelungDoppelung, SymmetrieSymmetrie und KürzeKürze.

Alle aufgeführten Teilgestalten stehen in einem übergreifenden Gestaltungszusammenhang. Nimmt man Bezug auf Regularitäten der Werbekommunikation, erkennt man, dass sich alle Teilgestalten in den werbestrategisch bedeutsamen Gestaltungszusammenhang EinprägsamkeitEinprägsamkeit einfügen. Im Unterschied zu den formalen (textinternen) GestaltqualitätenGestaltqualitätDoppelungDoppelung, SymmetrieSymmetrie und KürzeKürze ist Einprägsamkeit eine funktionale Gestaltqualität. Sie erfüllt eine kommunikative Funktion. StilgestaltenStilgestalt mit funktionaler Gestaltqualität werden generell von GestaltungsaktenGestaltungsakt hervorgebracht, und so können wir nun auch sagen, dass der Slogan nach dem Muster Einprägsam-Machen gestaltet wurde.

Stellt man sich die Aufgabe, StilgestaltenStilgestalt als ganzheitliche Gebilde zu modellieren, gilt es, das Ganze und seine Teile wechselseitig aufeinander beziehbar zu machen. Wir nennen die beiden Grundkomponenten, aus denen Stilgestalten bestehen, GestaltstrukturGestaltstruktur und GestaltqualitätGestaltqualität (siehe Tab. 5).

GestaltstrukturGestaltstruktur

GestaltqualitätGestaltqualität

Formal oder funktional bestimmtes Gefüge aus Elementen (Gestalteinheiten)Gestalteinheit

Formaler oder funktionaler

Gestaltungszusammenhang

Tab. 5: Komponenten von StilgestaltenStilgestalt

Es bleibt festzuhalten:

StilgestaltenStilgestalt umfassen ein Gefüge aus Elementen, die in einem formalen oder funktionalen Gestaltungszusammenhang stehen. Die Kookkurrenz (das Zusammenvorkommen) von Einzelheiten allein reicht nicht aus, ergibt noch keine Gestalt. Die Kookkurrenz von Einzelheiten erlangt erst dann Gestalthaftigkeit, wenn deren Zusammenvorkommen als ein Zusammengehören oder Zusammenpassen wahrnehmbar gemacht worden ist.

StilgestaltenStilgestalt werden sowohl von GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren als auch von GestaltungsaktenGestaltungsakt hervorgebracht.

Die unlösbare Verbindung von GestaltstrukturGestaltstruktur und GestaltqualitätGestaltqualität macht StilgestaltenStilgestalt zu wahrnehmbaren und interpretierbaren Texteinheiten. Stilgestalten sind stilistische ZeichenStilzeichen (zum Zeichenbegriff siehe 2.9.1).

2.3.2StilgestaltenStilgestalt im Text

Im Folgenden wollen wir StilgestaltenStilgestalt an konkreten Texten ausfindig machen und beschreiben. Wir beginnen mit der Stilgestalt AnschaulichkeitAnschaulichkeit und untersuchen, welche GestalteinheitenGestalteinheit gestaltbildend in Betracht kommen. Doch worauf können wir uns dabei stützen? Anschaulichkeit hat viele Gesichter, tritt in unterschiedlichen Ausprägungen in Erscheinung, was auf die im GestaltungsmusterGestaltungsmusterVeranschaulichenVeranschaulichen angelegten Möglichkeiten zurückzuführen ist. Verschaffen wir uns deshalb zunächst einen Überblick (siehe Tab. 6).

StilgestaltStilgestaltAnschaulichkeitAnschaulichkeit

(Ausprägungen)

GestalteinheitenGestalteinheit

BildhaftigkeitBildhaftigkeit

Konkreta (statt Abstrakta)

bildhafte VergleichVergleichbildhaftere (z.B. funkeln wie ein Diamant)

Wortschatzeinheiten zur Bezeichnung von Sinneswahrnehmungen (z.B. Farb- und Klangadjektive)

OnomatopoetikaOnomatopöie (lautmalende Wörter)

BildlichkeitBildlichkeit

MetaphernMetapher/Metaphorisieren und AllegorienAllegorie (Großformen der Metapher)

bildliche Vergleiche und GleichnisseGleichnis (Großformen des bildlichen Vergleichs)

PersonifikationenPersonifikation/Personifizieren

bildliche PeriphrasenPeriphrase

bildliche PhraseologismenPhraseologismus

DetailliertheitDetailliertheit

AufzählungenAufzählen von Einzelheiten eines Erscheinungsbildes: entweder zweigliedrig (darunter Paarformeln) oder aus mindestens drei Gliedern bestehend (Monosyndeta, Asyndeta, Polysyndeta)

AndringlichkeitAndringlichkeit

historisches PräsensPräsenshistorisches

futurisches PräsensPräsensfuturisches

Temporaladverbien

IllustriertheitIllustriertheit

sprachmedial: Exempel (konkrete Beispiele, Beispielerzählungen)

bildmedial: Fotos, Zeichnungen, Diagramme, Organigramme u.a.m.

Tab. 6: Ausprägungen von AnschaulichkeitAnschaulichkeit

Die aufgeführten Ausprägungen von AnschaulichkeitAnschaulichkeit können in Texten natürlich auch kookkurrieren. Sie können sich überschneiden, z.B. in Form von bildhafter oder bildlicher DetailliertheitDetailliertheit. Auf den Unterschied zwischen BildhaftigkeitBildhaftigkeit und BildlichkeitBildlichkeit haben Elise Riesel und Evgenia Schendels (1975: 205ff.) aufmerksam gemacht. Sie verweisen darauf, dass Bildhaftigkeit bereits in der BedeutungSemantik/semantisch lexikalischer Einheiten angelegt ist (Beispiele liefern bildhafte Verben wie trippeln statt gehen oder nippen statt trinken), während Bildlichkeit i.d.R. erst im Text entstehen kann, durch die Verwendung lexikalischer Einheiten. Bildlichkeit ist allerdings vielen phraseologischen Einheiten eigen, z.B. SprichwörternSprichwort (Viele Köche verderben den Brei.). Durch ihre Verwendung entsteht formelhafteFormelhaftigkeit/Formelhaft-Machen Bildlichkeit. Im Unterschied dazu ist die GestaltqualitätGestaltqualitätAndringlichkeitAndringlichkeit kennzeichnend beispielsweise für Texte, die von einem vergangenen oder zukünftigen Geschehen handeln, als sei es ein gegenwärtiges. Das Geschehen wird dicht an den Rezipienten herangebracht (vgl. Schneider 1931: 19). GestalteinheitenGestalteinheit sind Verbformen im Präsens sowie Temporaladverbien wie gerade oder soeben, die verdeutlichend hinzutreten können.

Betrachten wir nun zwei Textproben im Hinblick darauf, welche Ausprägung von AnschaulichkeitAnschaulichkeit sie zu erkennen geben.

Es sieht aus wie eine ganz normale Kneipe, eine recht kleine eben. An vier Tischen sitzen junge Menschen vor gefüllten Gläsern und Tassen, sie quasseln und lachen. Die Frauen haben Make-up aufgelegt, manche mehr, manche weniger. Einige haben ihre Nägel lackiert, andere nicht. Sie haben Hosen, Röcke, Kleider an. Die Männer tragen Hemden, T-Shirts, lange Haare, kurze Haare, Vollbärte, Nullbärte. Sie reden miteinander, durcheinander. Sie lachen, streiten, debattieren. Quer über die Tische hinweg. Frauen mit Frauen, Frauen mit Männern, Männer mit Männern. Wie es eben so abends an Orten aussieht, an denen sich Studenten treffen. Nur dass dieser Ort in einer mittelgroßen Stadt im Iran liegt: Siraz.

Beispieltext 5: Reisereportage (Textanfang)

Das Magazin, Nr. 4/2015, 47.

Im Rahmen der journalistischen TextsorteTextsorte Reportage stellen sich u.a. folgende Stilfragen:

Welcher Einstieg wird reportageeröffnend gewählt?

Wie wird der Schauplatz des Geschehens beschrieben?

Als GestalteinheitenGestalteinheit von AnschaulichkeitAnschaulichkeit kommen folgende StilelementeStilelement in Betracht:

eine Vielzahl an Konkreta unter den Substantiven, d.h. Wörtern, die Gegenständliches bezeichnen (Kneipe – Tische – Gläser – Tassen – Haare – Bärte usw.);

ein bildhafter VergleichVergleichbildhafter (aussehen wie eine ganz normale Kneipe);

eine Vielzahl an paarigen Aufzählungsgliedern (Gläser und Tassen – quasseln und lachen – manche mehr, manche weniger – einige, andere – miteinander, durcheinander – Frauen mit Frauen usw.);

eine Vielzahl an Asyndeta (Hosen, Röcke, Kleider – Hemden, T-Shirts, lange Haare, kurze Haare, Vollbärte, Nullbärte – lachen, streiten, debattieren – Frauen mit Frauen, Frauen mit Männern, Männer mit Männern);

ein ZeugmaZeugma (Hemden und T-Shirts tragen vs. Haare und Bärte tragen – die Aufzählungsglieder liegen nicht auf ein und derselben begrifflichen Ebene);

das historische PräsensPräsenshistorisches (z.B. An vier Tischen sitzen junge Menschen.).

Wir stellen fest: Es dominiert das AufzählenAufzählen von Einzelheiten eines Erscheinungsbildes, was dem Text DetailliertheitDetailliertheit verleiht. Weitere Ausprägungen von AnschaulichkeitAnschaulichkeit im Text sind BildhaftigkeitBildhaftigkeit (siehe Konkreta und bildhafter VergleichVergleichbildhafter) und AndringlichkeitAndringlichkeit (siehe historisches PräsensPräsenshistorisches). Dass sich die StilgestaltStilgestalt Anschaulichkeit im Rahmen der TextsorteTextsorte Reportage entfalten kann, ist in der journalistischen Kommunikationsaufgabe begründet, über Geschehnisse an einem Ort aus eigenem Erleben, d.h. vor Ort Bericht zu erstatten. Der Reporter ist immer Augenzeuge eines Geschehens und baut eine „Erlebensperspektive“ (Lüger 1995: 115) auf. Der Einstieg, die Texteröffnung, muss jedoch nicht zwangsläufig anschaulich gestaltet sein, denn Journalisten können auch mit einer These, einem abstrakten Gedanken, einem Standpunkt beginnen (vgl. Gehr 2010: 172f.). Anschaulich hingegen ist der szenische Einstieg, bei dem sich der Reporter schon mit dem ersten Satz „räumlich in einer ‚Szene‘ situiert“ (Burger 2005: 216) – wie bei unserem Beispieltext.

Die nächste Textprobe ist ein Auszug aus einem Roman.

Unter einer gläsernen Käseglocke sind sie miteinander eingeschlossen, Erika, ihre feinen Schutzhüllen, ihre Mama. Die Glocke läßt sich nur heben, wenn jemand von außen den Glasknopf oben ergreift und ihn in die Höhe zieht. Erika ist ein Insekt in Bernstein, zeitlos, alterslos. Erika hat keine Geschichte und macht keine Geschichten. Die Fähigkeit zum Krabbeln und Kriechen hat dieses Insekt längst verloren. Eingebacken ist Erika in die Backform der Unendlichkeit.

Beispieltext 6: Roman (Auszug aus Teil I)

Elfriede Jelinek: Die Klavierspielerin. 27. Aufl. Reinbek bei Hamburg 2003: Rowohlt Taschenbuch, 17f.

Im Rahmen der poetischenPoetizität/poetischTextsorteTextsorte Roman sind u.a. folgende Fragen stilistisch relevant:

Aus welcher PerspektivePerspektive/Perspektivieren wird das fiktionale Geschehen erzählt?

Wie werden die Figuren des fiktionalen Geschehens bezeichnet und beschrieben?

Erzählstilistisch relevant ist an dem Auszug aus Elfriede Jelineks Roman „Die Klavierspielerin“ erstens, dass das Erzählersubjekt keine Figur des Romans ist, erzählt wird von einer Außenperspektive aus, dass sich das Erzählersubjekt zweitens reflektierend in das Romangeschehen einschaltet, es damit unterbricht, und dass es drittens – und das ist für unsere Untersuchung relevant – seine Reflexionen mit BildlichkeitBildlichkeit ausstattet, und zwar mittels einer dreigliedrigen Kette von AllegorienAllegorie. Dabei finden drei unterschiedliche Bildmotive Verwendung (Käseglocke, Bernsteinschmuck, Backform), aber nicht im Sinne einer Aneinanderreihung von Einzelheiten, wie sie für die DetailliertheitDetailliertheit von Texten (vgl. Text 5) charakteristisch ist, sondern im Sinne der Entfaltung eines gemeinsamen allegorischen Themas. Bei allen drei Allegorien finden Elemente einer gegenständlichen (toten, starren) Welt Verwendung, um Eigenheiten der Psyche der Hauptfigur zu verbildlichen. Wir stellen fest, dass sich die einzelnen Teilbilder wechselseitig ergänzen. Bildlichkeit wie diese basiert auf gestalterischer Kreativität. Insofern manifestiert sich in dieser GestaltqualitätGestaltqualität zugleich eine GestaltungsideeGestaltungsidee.