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Ein Jugendroman übers Verändern und Wachsen, Vergessen und Erinnern Jette ist dreizehn und steckt dazwischen. Zwischen Umzugskisten, die sie eigentlich packen sollte, zwischen ihren Eltern, die nur noch auf alten Fotos nah beieinander stehen, zwischen leuchtenden Erinnerungen an Opa und den letzten Besuchen, die immer blasser werden. Sie würde gern etwas festhalten, am liebsten sich selbst. Stattdessen stolpert sie mitten hinein in einen Frühling, der nach Erdbeeren und Aufbruch schmeckt, und in dem sie lernt, dass auch nach schmerzlichen Veränderungen wieder Gutes entstehen kann. Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 »Eine bittersüße Geschichte über das, was abbricht und das, was nachwächst. Ein Mosaik aus Lebensschnipseln, die man allesamt aufheben und einrahmen möchte.« TAMARA BACH »Josefine Sonneson lehnt sich beim Schreiben tief in die Kurve, das ist selten und wunderbar. Ich steige ein, laufe mit, spüre nach. Denke diese Gedanken, habe diese Gefühle. Wenn ein Text das schafft, bin ich da, wo ich sein möchte. Danke, amen, yeah!« DITA ZIPFEL
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Jette ist dreizehn und steckt dazwischen. Zwischen Umzugskisten, die sie eigentlich packen sollte, zwischen ihren Eltern, die nur noch auf alten Fotos nah beieinander stehen, zwischen leuchtenden Erinnerungen an Opa und den letzten Besuchen, die immer blasser werden. Sie würde gern etwas festhalten, am liebsten sich selbst. Stattdessen stolpert sie mitten hinein in einen Frühling, der nach Erdbeeren und Aufbruch schmeckt, und in dem sie lernt, dass auch nach schmerzlichen Veränderungen wieder Gutes entstehen kann.
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Dank
Vita
Für meine Schwestern.
Dem Axolotl ist ein Bein abgefallen – was bedeutet das? Nichts. Ihm wächst nämlich einfach eins nach. Alles ist ein Kreislauf. Bricht etwas ab, fängt wieder was Neues an. So ist das. Aber manchmal ist das eben doch nicht so.
Es soll jetzt still sein. Ich nehme die Stufen hoch auf einmal, schnappe mir noch das Feuerzeug, das im Flur auf der Kommode liegt, und falle in mein Zimmer. Der Tür gebe ich einen Schubs mit dem Fuß, aber weil es nicht doll genug war, knallt sie nur zaghaft. Egal. Ich knipse das Licht aus und dann stehe ich da.
Vom Himmel schleicht sich ein blasses Licht ins Zimmer. Ich gehe zum Fenster, lasse die Rollläden runterrattern und dann ist es endlich dunkel und ich atme aus. Mein Herz poltert, bin zu plötzlich aufgestanden und aus der Küche gerauscht.
Vorm Spiegel drehe ich am Feuerzeug und leuchte mich an. Was ist das für ein Gesicht, das ich da habe im Halbdunkeln? Ich schnipse das Feuer aus und an und aus und an und sehe mein Gesicht im Zeitlupenstrobo aufblitzen und wieder verschwinden. Ich bin da, ich bin weg, ich bin da, ich bin weg. Auf dem Flur sind Stimmen.
»Wo ist mein Feuerzeug?!« Die Schwester.
»Zu Hause wird nicht geraucht.« Mama.
»Wo ist mein Feuer, das lag doch hier!«
»Auch nicht im Garten!«
Irgendwas Kleines schwirrt an meine Nase, ich schnaube und wedle es mit der Hand weg. Aber es kommt wieder und ich leuchte es ein bisschen mit dem Feuer an und da sehe ich, es ist eine Motte. Sie wirft im Flammenlicht blasse Flatterschatten an die Wand. Ich versuche ihr mit dem Blick zu folgen, aber das ist schwierig im Dunkeln.
»Haben wir nicht irgendwo Streichhölzer?«, ruft die Schwester, aber niemand antwortet. Und dann fliegt die Motte einfach rein. Ins Feuer. Und es knackt und knirscht kurz und mir wird übel und dann dreht sie noch eine halbe Kurve und fällt eigentlich schon und dann fällt sie wirklich nur noch und liegt auf dem Boden. Und ich stehe da und halte das Feuerzeug in der Hand.
»Scheiße.« Ich schaue von oben auf die Motte hinab. Sie ist nur ein dunkler Fleck auf dunklem Boden. Ich gehe langsam in die Knie und beuge mich zu ihr.
Warum machst du Feuer in deinem Zimmer? Ich dachte, es wäre der Mond!, würde die Motte sagen. Sie hätte eine rauchige Stimme.
Ich leuchte mit dem Feuerzeug zu ihr hin, strecke meinen Zeigefinger nach ihr aus und stupse sie vorsichtig an.
»Tut mir leid, Motte«, murmle ich. Es tut mir wirklich leid.
Die Motte schweigt und bewegt sich nicht.
Ich schiebe sie einen Zentimeter zur Seite. Sie bleibt vollkommen reglos.
Also lege ich mich neben sie auf den Rücken. Und immer noch dunkel und still und dunkel und still, nur irgendwo hinter der Tür sucht die Schwester noch nach ihrem Feuerzeug. Und dann bemerke ich, dass ich gar keine Angst habe im Dunkeln, dass die Zeit, als ich noch Angst hatte im Dunkeln, schon länger vorbei ist. Ich habe nur den Moment verpasst, in dem das passiert ist. Es stehen keine Gestalten hinter der Schrankwand und keine Schlackerhände kriechen mehr an der Bettkante hoch. Die Dunkelheit verschluckt mich nicht mehr. Unterm Bett ist jetzt nur noch der Staub. Bricht was ab, fängt was Neues an.
»Hey, Muffel –« Die Schwester klopft nicht. Sie wollte was sagen, aber sie muss mich erst suchen. Das Licht aus dem Flur wirft einen Streifen auf uns. Auf die Motte und mich. Wir regen uns nicht.
»Was machst du da?«
»Nichts.«
»Geht deine Lampe nicht?« Sie schaltet das Licht an.
»Doch.« Ich stehe auf und schalte es wieder aus. Die Schwester lächelt schief und dreht an ihrem Ohrring.
»Ist alles okay?«, fragt sie. Ich schaue kurz hinter mich zur Motte, drehe mich wieder zurück und nicke. »Das geht jetzt halt ein bisschen schnell«, sagt die Schwester. Ich nicke.
»Hm«, macht die Schwester. »Klingt doch ganz cool, was Mama erzählt. So mit geteiltem Garten im Innenhof. Und vom sechsten Stock kann man bestimmt über die Dächer gucken. Also ich mein, ist doch auch gut, dass jetzt endlich was geklappt hat.« Ja, aber, denke ich. Aber aber aber. Hier war doch vorher auch alles gut.
Ich sage nichts.
»Gleich kommt Hannes und – hey! Du hast mein Feuer!« Sie schnaubt, nimmt sich das Feuerzeug vom Boden und hält es mir fragend entgegen. Ich zucke nur mit den Schultern.
»Na gut«, sagt sie, zieht eine Zigarette hinter ihrem Ohr hervor und stolpert in den Flur. »Hannes ist gleich da und dann fahren wir zu Onkel Bowie. Also, zieh dich an! Gartenparty!«, trällert sie und ich höre, sie hat ihre Kippe schon zwischen den Lippen. Großartig. Die Schwester sagt Gartenparty, als wäre das großartig.
Die Gartenparty ist unser Frühlingsanfangsfest und so ein Familiending, das schon veranstaltet wurde, als ich noch nicht da war. Weil die Luft nicht mehr eisig ist und alle aus ihrem Winterschlaf aufwachen.
Ich schalte das Licht wieder an und warte, bis was passiert. Was mach ich mit der Motte? Ich krame in der Kramkiste und ziehe so ein gelbes Plastikding vom Ü-Ei heraus. Da mache ich sie rein und stecke sie in meine Hosentasche.
Zieh dich an, hat die Schwester gesagt. Ich bin schon angezogen. Die Jogginghose lasse ich an, wechsle nur das T-Shirt und ziehe mir Papas alte Trainingsjacke drüber, die das schönste Blau überhaupt hat und die jetzt mir gehört, weil sie ihm zum Glück leider eingelaufen ist.
Ich kurbele die Rollläden wieder hoch. Tageslicht. Was wohl die Motte dazu sagen würde.
Draußen steht die Schwester auf dem Gehweg gegenüber und telefoniert. Sie lacht und fuchtelt mit dem freien Arm in der Luft herum, dabei kann das die Telefonperson doch gar nicht sehen, denke ich. Sie geht ein paar Schritte hin und her, zieht an der Zigarette, redet und runzelt die Stirn, guckt ernst und lacht dann wieder. Ich kenne das ja. Wie sie lacht, wenn es nicht ganz echt ist. Aber das hier, das ist ein echtes Lachen. Ein bisschen laut ist es, vielleicht weil sie will, dass es wirklich, wirklich bis zum anderen Hörer durchkommt. Und ich frage mich, wer jetzt am anderen Hörer ist.
Ich glaube, die Schwester kann einfach umschalten. Oder es macht ihr alles wirklich nichts aus.
Dann hält unten das Auto. Das ist Hannes. Hannes’ Auto macht Werbung für Werbung auf Autos. Das ist komisch und irritierend und irgendwie unangenehm, auf eine Art, die ich nicht ganz erklären kann. Lassen Sie Ihr Auto einfach für Sie arbeiten, steht hinten drauf. Und an den Seiten Attraktiver Nebenverdienst durch Werbung auf Ihrem PKW. Hohe Reichweite z.B. in der Rushhour, kein Wegzappen oder Überblättern möglich. Ich rümpfe ihm meine Nase entgegen, weil er es nicht sieht und das immer ein bisschen guttut. Und weil man das Werbeauto nicht überblättern und Hannes nicht wegzappen kann.
Onkel Bowie breitet die Arme aus und kommt uns mit schwingenden Schritten aus dem Garten entgegen. Weil das Gartentor klemmt und wir es nicht aufbekommen haben, stehen wir nun ausgebremst dahinter und warten. Hinter Onkel Bowie wuseln Menschen umher, bunte Lampions hängen in den Bäumen und ein paar Leute auf den Bänken drehen sich nach uns um. Der ganze Garten murmelt. Mama und Hannes tauschen so einen von ihren Spezialblicken miteinander aus. Weil Hannes jetzt zum ersten Mal dabei ist.
Ich stecke die Hände in meine Jackentaschen und schiebe mit einem Fuß eine Mulde in die Kiesel. Onkel Bowie ruckelt das Tor auf und verhaspelt sich mit seinen und Hannes’ Armen, weil sie nicht wissen, ob sie sich nur die Hand oder eine Umarmung geben sollen. Es wird dann so ein Gemisch aus beidem. Die Schwester schielt zu mir und grinst. Sie weiß Bescheid.
Nachdem wir anderen drei Onkel Bowie kurz, aber überzeugender umarmt haben, laufen wir hinter ihm her in das Gewusel hinein. Ich schaue mich um. Mein Cousin Mo und seine kleine Schwester Lotta jagen sich durch den Garten. Es gibt Gesichter, die ich erkenne, Großcousinen und Tanten und Leute, die es hier immer schon gab. Es gibt andere kleine und große Schwestern und Brüder und andere Mütter und andere Väter und Elternteile, ganze und halbe, es gibt Freunde von Freundinnen und Mitgebrachte und Bekannte aus der Nachbarschaft und vielleicht gibt es sogar noch andere Hannes. Und dann gibt es entfernte Verwandte, die schon lange nicht mehr da waren, in die wir hineingeraten und die ich nicht erkenne, die mich aber kennen, die durch Haare wuscheln, in Wangen kneifen und an die Schultern fassen.
Die Schwester umarmt die Verwandten, aber ich bin mir sicher, dass sie sich auch nicht an die erinnert. Sie riechen nach Wohnzimmer und kaltem Rauch. Ich stelle mir vor, wie ich ihnen meine Hand ins Gesicht drücke, mitten rein, und so an ihrer labbrigen Halshaut zuppele. Das wäre was, um das Wangengekneife zu kontern. Aber das macht man ja nicht. Niemand macht so was.
Die Schwester lässt mich stehen und geht zum Tisch mit den Getränken. Neben Mama steht Hannes und streckt einem die Hand entgegen, an dessen Hemd sich vorne die Knöpfe wölben, sodass man von der Seite reingucken kann, wenn man seitlich neben dem Bauch steht. Ich stehe seitlich neben dem Bauch.
»Ja. Hallo!«, sagt der Bauch und Hannes’ und seine Hand fallen klatschend ineinander.
»Hannes. Freut mich.« Schüttel, schüttel. Dann lassen sie die Hände los. Der Bauch stutzt, blickt von Hannes zu Mama und zurück. Dann zu mir. Er schnellt mit dem Zeigefinger zwischen uns dreien hin und her.
Hannes’ Blick folgt dem Finger. »Ach so«, sagt er, als sein Blick auf mir hängen bleibt. »Nein, nein«, sagt er dann und lacht. Mama streift meinen Arm mit der Hand.
Der Bauch erinnert sich. Da war ja was. »Richtig, ja«, murmelt er, räuspert sich und winkt ab.
Papa hängt unausgesprochen zwischen den Sätzen und baumelt da herum, weil ihn niemand so richtig aufgreift. Wir verheddern uns in einer kurzen Stille, die zwei Sekunden zu lang ist. Der Bauch kratzt sich am Kinn. Hannes und Mama teilen sich ein Lächeln. Ich ziehe den Reißverschluss an meiner Jacke zu und sehe mich nach der Schwester um, aber finde sie nicht. Am Stehtisch nebenan lacht einer kreischend auf. Ich zucke zusammen.
»Ja, so ist das«, sagt der Bauch. Mama und Hannes nicken zweistimmig. Mir kribbelt es die Wirbelsäule herauf vor lauter Auslassung. Ich finde endlich den Draht zu meinen Füßen wieder, werfe ein »Bis später« in die Mitte zwischen Mama, Hannes und Bauch und gehe.
Ich setze mich auf die Stufen vor der Terrasse, atme lange aus und beobachte die Leute, die mit ihren spitzen Absätzen im Rasen stecken bleiben. Ich fühle mich wie ausgespuckt. Irgendwie herumgewirbelt, vom Küchentischgespräch mit Mama und der Schwester, dann neben die Motte und hierher und Papa ist nicht da und das ist ja nichts Neues, aber trotzdem.
Die Schwester taucht wieder am Getränketisch auf und mischt sich so ein rosanes Getränk mit Erdbeeren und Zuckerrand. Mit einem auf der Bank daneben stößt sie an, lacht ein halb echtes Lachen und bewegt dann ihre Hüften zur Musik. Nur so ganz leicht, dass man es nicht sehen soll. Oder gerade so, dass man es ein bisschen sehen soll. Oder vielleicht fühlt sies auch einfach. Sie winkt mir zu.
»Hey, was hängst du denn da so in der Ecke? Komm doch mal her!« Sie ruft durch den ganzen Garten. Ich ziehe kurz die Brauen hoch und schüttele den Kopf. Aber sie hat sich da eh schon wieder umgedreht, weil das Lied gewechselt und ihr einen neuen, kleinen Schwung gegeben hat. So eine Musik hört sie sonst nie.
Beim Büfetttisch steht Mo jetzt hinten am Schokobrunnen und steckt abwechselnd Ananas- und Bananenstücke auf einen Spieß. Onkel Bowie hat schon letzte Woche stolz verkündet, dass er einen Schokobrunnen besorgen wird. Das ist eine unausgesprochene Regel, dass es jedes Jahr irgendetwas Neues geben muss, das es bei der Feier im Jahr davor nicht gab.
»Na?«, sagt Hannes. Und steht plötzlich einfach da und setzt sich neben mich auf die Stufen. Hannes merkt nicht, wenn was nicht passt. Er deutet auf meine Jacke.
»Siehst voll nach Fußball aus.« Ich zucke mit den Schultern.
»Ich hab ja früher im Verein gespielt«, sagt er.
»Das ist die Jacke von meinem Vater«, sage ich und darauf schweigt er kurz. Aber dann erzählt er von seinem größten Eigentor damals und lacht sich selber aus, nippt an seiner Bierflasche und ich nicke, finds irgendwie nicht so witzig und starre geradeaus.
Am Büfett fällt Mo ein Stück Ananas in den Schokobrunnen, er schaut sich um und dann versucht er das Stückchen mit zwei Fingern wieder herauszufischen. Hannes redet jetzt von dem Kind bei ihm im Haus nebenan, das ja lieber ein Junge sein wolle, sagt er, also lieber einer sei, also ein Junge sei, er verhaspelt sich, ich gucke ihn jetzt doch kurz an. Er schüttelt sich die Verhaspelung aus dem Kopf und sagt »Äh« und »Na ja« und dann nach einer kurzen Pause, wie mutig er das jedenfalls von mir fände, so mit den Haaren, und dass er sie selbst früher auch so raspelkurz gehabt hätte wie ich.
»Aha«, sage ich. Na und?, denke ich. Mein ganzes Inneres verdreht die Augen und es ziept und zischt noch etwas, aber es kommt doch nix Weiteres aus mir raus.
Mo hat die Ananas immer noch nicht zurück und er langt nun mit der ganzen Hand in die flüssige Schokolade. Mich schüttelt es ein wenig, wegen der ganzen Hand und weil Hannes immer noch da sitzt, sich räuspert und wahrscheinlich übers Junge- oder Mädchensein und über kurze Haare nachdenkt und ich von seinen generellen Gedanken dazu wirklich gar nichts wissen will.
Mo schaut rüber. Vielleicht weil ich die ganze Zeit immer wieder geschaut habe. So was merkt man ja irgendwann. Er grinst und es ist ihm peinlich, glaube ich. Mir zumindest wäre es auch ein bisschen peinlich. Er hält das Stück Ananas hoch, um es mir zu zeigen, und triumphiert im Gesicht.
»Ich muss mal aufs Klo«, sage ich zu Hannes und stehe schnell auf.
Im Bad glänzt alles. Der Stapel kleiner Handtücher liegt parallel zu der Box Taschentücher. Die Handtücher sind perfekt gefaltet. Nirgendwo steht etwas über. Man könnte hier ein Geodreieck nehmen und überall Winkel und Parallelen ausmessen. Ich frage mich, ob es in Onkel Bowie, der dieses Bad jeden Tag benutzt, auch so geordnet aussieht. Und ob zuerst die Ordnung in ihm war und danach im Bad oder umgekehrt. Also ob das Bad ihn aufgeräumt hat sozusagen.
Ich stütze mich mit beiden Händen aufs Waschbecken, beuge mich vor und starre mich im Spiegel an. In mir drinnen ist es unordentlich. So insgesamt. Aber seit heute Morgen fliegt alles drunter und drüber und ich weiß nicht, was ich damit machen soll. Am liebsten würde ich den ganzen Tag wieder abschütteln von mir, aber man kann ja nichts abschütteln, womit man schon ganz verwoben ist.
Der Spiegel beschlägt von meinem Atem. Jemand drückt die Klinke runter. Ich wische mit dem Ärmel übers Glas und werfe mir einen ernsten Blick zu, der mich wieder zusammensammelt, reibe mir mit den Händen durchs Gesicht und dann mache ich die Tür auf.
»Oh, du bists!«, sagt Mo.
»Hallo«, sage ich. Wir umarmen uns kurz und noch über meiner Schulter sagt Mo: »Ich wollte ja eben schon Hallo sagen, aber da war dieser – äh«, wir lassen uns wieder los und er schnipst mit einer Hand vor seiner Schläfe herum.
»Hannes?«, sage ich und lehne mich gegen den Türrahmen.
»Genau«, sagt Mo, »ja. Und außerdem habe ich dann dieses Problem mit der Ananas gehabt.« Er hält mir die Schokoladenhand hin. Ich grinse. Er wird rot. So was kann niemand überspielen.
»Na ja, peinlich, ich hab halt gedacht, die Pumpe verstopft vielleicht.« Er zuckt mit den Schultern. »Und du so?« Er schaut mich irgendwie prüfend an.
Ich nicke und schaue nach unten auf seine Hand. »Du tropfst«, sage ich.
Er schaut von mir zum Boden, sagt »Oh, Mist« und hält die eine Hand schützend unter die andere. Wir schauen auf den Schokotropfen auf dem Teppich.
»Und wie ist es so mit – äh, Hagen? Warte, Hakan? Hardy!« Er schnellt mit dem Zeigefinger durch die Luft. »Wohnt Hardy jetzt mit bei euch? Nee, oder?«
»Nein«, sage ich und muss lachen. Mo grinst breit. Dann kommt eine von Mos Tanten in den Flur.
»Na, ihr beiden«, sagt die Tante und kramt in ihrem Gedächtnis nach meinem Namen, aber sie findet ihn nicht. Mo schiebt unauffällig die Schokoladenhand hinter seinen Rücken.
»Und was macht ihr zwei?«, fragt die Tante, sieht mir ins Gesicht und tätschelt dabei Mo die Schulter.
»Also Jette und ich finden den Schokobrunnen super«, sagt Mo schnell. Ich nicke mehrmals. Die Tante reißt die Augen kurz auf und schlägt sich von innen gegen die Stirn, weil sie jetzt meinen Namen wieder weiß. Hinter Mos Rücken landen ein paar weitere Tropfen Schokolade auf dem Teppich.
»Ach, schön«, sie sieht zwischen uns hin und her. »Was macht denn der Opa?« Sie wartet nicht auf eine Antwort. »Das ist ja bestimmt alles nicht ganz einfach jetzt, hm? Kann man auch nicht absehen so was«, sie wedelt mit der Hand neben ihrem Gesicht herum und seufzt. Ich würde am liebsten wieder das Licht ausknipsen. Und mich im Dunkeln hier wegschleichen.
Es ist deine Tante, sag du was, denke ich in Mos Richtung. Er schielt auf die Tropfen am Boden und schiebt sich rückwärts an mir vorbei ins Bad hinein.
»Opa geht’s, äh – entsprechend gut. Oder?« Er wirft mir einen kurzen Blick zu. Ich ziehe die Schultern hoch und wackelnicke mit dem Kopf. Mo sieht wieder zur Tante. »Also, er guckt viel aus dem Fenster und so«, sagt er.
»Ich geh mal meine Schwester suchen«, murmle ich und mache einen Schritt zur Seite. Mo grinst dringend die Tante an. »Und ich muss jetzt mal«, sagt er und schiebt die Klotür zu. Ich drehe mich um und lasse die Tante stehen. »Jette, und deinen Papa, den kannste beim nächsten Mal ruhig wieder mitbringen. Den fand ich immer so nett. Spricht doch nix dagegen, oder?«, sagt die Tante den Flur entlang. »Ja, vielleicht«, sage ich und verschwinde.
Draußen hält mir die Schwester ihr Glas unter die Nase. »Na, Muffel? Willst du einen Schluck von meinem Erdbeertonic?«
»Na, Schwester?« Ich blinzele sie an. »Nee, will ich nicht.« Sie knabbert am Zuckerrand und deutet mit dem Kinn zur Terrasse, wo immer noch Hannes sitzt. Aber jetzt mit Mama. Sie haben ihre Arme an den Rücken miteinander verknotet. Es sieht ungelenk aus.
»War der irgendwie doof zu dir eben?«
»Nein, ist schon okay.« Die Schwester schielt zu mir rüber, ich schiele zurück, mache so ein halbes Lächeln mit einem Mundwinkel und piddele an meinem Reißverschluss herum.
»Du musst dir nichts gefallen lassen, Muffel, niemals.« Sie versucht mit der Zunge eine Erdbeere aus dem Glas zu fischen und schlabbert dabei ein wenig auf ihr T-Shirt. Ich nicke und deute wortlos auf den Fleck. »Von niemandem«, sagt sie noch mal, drückt mir ihr Glas in die Hand und versucht mit der Zunge den Fleck unter ihrem Kragen zu erreichen.
»Jaha«, sage ich, »du könntest mal aufhören mich Muffel zu nennen zum Beispiel.«
Die Schwester verdreht die Augen und grinst. »Na gut.« Sie macht eine Pause und schaut mich an.