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Nichts hilft so gut gegen Angst wie beste Freunde! Elli und Jaro sind unzertrennlich, schon seit ungefähr immer. Sie wohnen im selben Haus und wollen endlich keine Angst mehr haben. Weder vor tiefem Wasser noch vor Hunden. Vielleicht klappt das ja, wenn sie einfach mal mit Otto, dem Nachbarshund, an den See gehen. Doch noch ehe Elli und Jaro sich ihren Ängsten stellen können, verkrachen sie sich gewaltig. Ob das mit Tami zu tun hat, dem neuen Mädchen aus dem zweiten Stock? Jedenfalls muss noch so einiges passieren, bevor sie ihren Plan umsetzen können. Aber dann trauen sie sich und lassen ihre Bammel auf Hosentaschengröße schrumpfen. Und das fühlt sich ziemlich gut an. Josefine Sonneson schreibt einfühlsam und authentisch über die großen Themen, die Kinder und Jugendliche bewegen. Ihre Fähigkeit, komplexe Gefühle in eine klare, poetische Sprache zu fassen, verleiht ihren Werken eine besondere Eindringlichkeit. Ein berührendes Buch über die Kraft der Freundschaft und den Mut, sich neuen Situationen zu stellen. Ganz in blau gedruckt und mit vielen, schönen Kapitelvignetten von Stefanie Jeschke!
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Josefine Sonneson
Wie man einen Bammel auf Hosentaschengröße schrumpft
Elli und Jaro sind allerbeste Freunde, schon seit ungefähr immer. Fast jeden Tag treffen sie sich in ihrem Geheimversteck auf dem Dachboden, denn dort lassen sich die besten Pläne schmieden. Und die brauchen sie, um ihre Angst vor tiefem Wasser und vor bellenden Hunden loszuwerden. Doch dann zieht Tami neu ins Haus und Jaro hat plötzlich nicht mehr so viel Zeit für Elli und ihre gemeinsamen Pläne.
Wohin soll es gehen?
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Vita
Für Nola.
In den meisten Sachen stecken wir mittendrin. Mittwochs stecken wir mitten in der Woche und mitten in der Schule. Und wir stecken mitten in uns selber drin. Ich in mir, Elli, kurz vor elf, Elli mit den schnellen Beinen und den starken Armen, Elli mit dem Drauflos und in Gummistiefeln. Und Jaro in sich. Jaro, kurz nach elf, Jaro mit den Adleraugen und der Vorsicht, Jaro mit der Recherche und dem Handy, Jaro mit den guten Ideen. Außerdem stecken wir mitten in unserer Freundschaft, und zwar seit wir denken können. Jaro und ich. Ich und Jaro. Komplizen. Agentinnen. Und allerbeste Freunde.
»Warte mal«, sagt Jaro. Ich will gerade über die Straße rüber und den kleinen Umweg von der Haltestelle nach Hause nehmen, den wir immer gehen. Aber Jaro bleibt stehen und geht nicht weiter.
»Ich will das nicht mehr«, sagt Jaro und sieht plötzlich sehr ernst aus. Jaro hat schon die ganze Busfahrt nichts gesagt, vielleicht hat sich was in ihm zusammengebrodelt. Ich hab mir erst nichts dabei gedacht, weil ich meistens lauter bin als Jaro.
»Hä?«, sage ich.
»Ich will kein Angsthase sein«, sagt Jaro und guckt in die Straße, in die wir sonst nie einbiegen. Dort wohnt nämlich der Kläffer.
»Aber du bist kein Angsthase!«, sage ich und mache einen Schritt auf Jaro zu. Beste Freundinnen müssen sich manchmal an was erinnern.
»Ja, aber«, sagt Jaro, »ich will keinen Bammel mehr haben. Und auch kein Muffensausen. Und keine Angst! Ich will nicht immer Straßenseiten wechseln und Umwege gehen. Ich will einfach da langgehen, wo ich langgehen will. Ohne dass mir der Bammel im Weg steht.«
Jaro meint es ernst. Jaro hat schon drüber nachgegrübelt. Und jetzt hat er was beschlossen.
»Okay«, sage ich. »Dann ist das unser neuer Auftrag!«
Jetzt grinst Jaro wieder. Wir wollen einen Plan schmieden. Und dafür verabreden wir uns später im Geheimversteck.
Jaro und ich wohnen im selben Haus. Seit fast schon immer. Als wir fünf waren, ist er mit seinem Papa in die dritte Etage gezogen. Genau eine darüber wohnen wir, also Mama, Mamia und ich, in der vierten Etage. Das ist schon ziemlich weit oben. Neunundsiebzig Stufen hoch nämlich. Meine Mama ist gerade schwanger und deshalb langsamer auf den Stufen, aber Mamia ist nicht schwanger. Die kommt also auch die Stufen schneller hoch. Manchmal rennen wir um die Wette nach oben. Zusammen nenne ich die beiden meine M&M. Das ist kürzer und klingt nach Schokolinsen. Die essen wir alle gern. Mamia am liebsten die mit Erdnüssen, Mama die nur mit Schokolade und ich die mit crispy crunchy Knusper drin.
Bis zum Dachboden ist es noch eine Treppe höher. Dort drücken wir, als wir zu Hause sind, die dunkelgrüne Tür auf. Die ist so schwer, dass ich mich dagegenstemmen muss. Und sie knarzt so schön beim Öffnen. Wenn wir sie nicht hinter uns zuziehen, bleibt sie immer einen Spalt offen stehen.
Auf dem Dachboden steht staubiges Zeug herum. Zwei Kisten Bücher mit vergilbten Seiten, ein schlappes Schlauchboot, das über der Wäscheleine hängt, Mamas altes Fahrrad mit sehr platten Reifen, ein umgekippter Stapel mit roten Dachziegeln und ein Regal mit leeren Blumentöpfen. Die anderen Leute aus dem Haus wollen selten an ihr staubiges Zeug und deshalb haben wir hier unsere Ruhe. Hinter dem Regal, in der Nische unterm Dachfenster, ist unser Geheimversteck. Hier haben wir eine Klappmatratze und Kissen ausgelegt, eine umgedrehte Kiste als Tisch, eine Taschenlampe und einen Notvorrat Kekse. Der Vorrat ist meistens leer, weil man Kekse auch in Nicht-Notfallmomenten braucht. Und hier liegt auch unser Geheimnotizbuch für die Auftragsnotizen.
Das Geheimversteck ist mein Lieblingsort, auch wenn er nicht tutto completo geheim ist, meine M&M und Jaros Papa wissen schon, dass es ihn gibt, aber sie schweigen darüber und deswegen gehört er nur Jaro und mir.
Im Geheimversteck treffen wir uns, um Pläne zu schmieden. Pläne muss man nämlich schmieden oder ausbrüten. Vor allem, wenn es Pläne für mittelgroße Bammelüberwindungen sind.
»Also«, sage ich und lege unser Notizbuch auf meine Beine, klappe die nächste freie Seite auf und schreibe Jaros Hundebammel.
Ich lasse mich nach hinten auf die Kissen fallen.
»Wovor hast du Bammel?«, fragt Jaro.
Ich überlege ein bisschen in der Gegend herum.
Ich will gerne sagen, vor gar nichts. Vor gar nichts, gar nichts. Aber das ist ja geflunkert. Wie gut wäre es, wenn man das so sagen könnte.
»Du hast Bammel vorm Kopfrechnen!«, sagt Jaro dann. Ich setze mich wieder.
»Nein!«, sage ich. Jaro zuckt mit den Schultern.
»Aber du bleibst immer in der Ecke stecken beim Eckenrechnen.« Das stimmt. Ich denke an die Mathestunde mit Jaro heute und krieg schon Bauchnabelkribbeln vom Drandenken.
»Aber ich hab keinen Bammel davor, ich kann das bloß nicht leiden«, sage ich.
»Okay«, sagt Jaro, »dann was anderes.«
Zuerst fällt mir gar nichts ein.
Dann fällt mir ganz viel ein.
Und am Ende fällt mir noch was ein, was mir eigentlich sofort hätte einfallen müssen.
Ich hab Bammel davor, dass alle Tiere irgendwann aussterben. Ich hab Bammel davor, barfuß auf eine Nacktschnecke zu treten. Ich hab Bammel, dass sich die Türen der S-Bahn zu schnell schließen und meinen Fuß einklemmen. Ich hab Bammel vor der Spülung auf den Toiletten in Zügen. Weil die so klingen, als würden sie einen mit einsaugen in einem lauten Rutsch, wenn man zu nah dran steht. Ich hab einen mittelgroßen Bammel vor gruseligen Filmen.
Und ich hab einen großen Bammel, dass aus tiefem trüben Wasser irgendwas um meine Beine herumschlingert beim Schwimmen.
»Ich hab Bammel vor dem tiefen See- und Meerwasser, weißt du doch«, murmele ich. Und dabei klopft mein Herz ein bisschen schneller und lauter. Manche Bammel machen sogar Bammel, sie nur auszusprechen.
Jaro guckt mich an, sagt: »Stimmt«, und nickt, denn er weiß ja, wie es ist. Jaro zieht das Buch zu sich und schreibt.
Also erst mal ist es ja nicht schlimm, wenn man Bammel hat. Ich muss keine Gruselfilme gucken, wenn ich nicht will. Aber wenn man was nicht machen kann, was man eigentlich machen will, nur weil man einen Bammel hat, dann ist das doof. Dann muss man Pläne schmieden, um das zu ändern.
Jaro will keine Straßenseiten mehr hin- und herwechseln, wenn irgendwelche Hunde irgendwo langlaufen oder herumkläffen. Und ich will bei der Klassenfahrt mitmachen können, wenn wir schwimmen gehen, und nicht am Rand rumstehen müssen. »Ich kann auch mit dir am Rand stehen bleiben«, hat Jaro gesagt und das ist gut, weil zu zweit immer besser ist. Aber ich will ja gar nicht am Rand stehen, ich will ja mitmachen.
Wir fahren auf der Klassenfahrt nämlich ans Meer. Auf eine Insel in der Nordsee. Also mitten ins Meer hinein. Wir werden Krabben fangen, Sandburgenwettbewerbe machen, Verstecken spielen in den Dünen, Sanddornsaft trinken, ins Schifffahrtsmuseum gehen, Fahrrad fahren auf dem Deich. Und: Baden im Meer. Haben wir schon alles besprochen. Alle in meiner Klasse können schwimmen. Ich auch. Aber nur in ruhigem klaren Chlorwasser im Hallenbad. Und nur, wenn man durch das klare Wasser bis zum Boden gucken kann, wo unten die Kacheln verschwimmen. Und nur, wenn mich niemand untertunkt. Und nur ohne langes Tauchen. Und nur ohne Wellen und ohne Algen und ohne Fische und ohne Schlamm und ohne Strudel und ohne Wirbel und ohne Strömungen. Aber wenn zu viele Nur-wenns dabei sind, bleibt am Ende nicht mehr viel übrig. Also bin ich am liebsten an Land und nicht im Wasser und basta.
Jaro sagt, er mag nicht gerne irgendwo nach hoch oben hochsteigen, wenn der Boden nur aus Gitter besteht, wo man durchgucken kann.
Den Vermieter in der ersten Etage finden wir beide gruselig. Ein bisschen zumindest. Auf jeden Fall, wenn der streitet. Denn das schallt bis auf den Hausflur. Jaro und ich glauben deswegen, im Erdgeschoss lebt vielleicht ein Geist, ein Streitgeist nämlich, der die Etage und den Vermieter verflucht hat, mit einem Streitfluch. Eigentlich glauben wir nicht an Geister und Flüche, weil es keine Geister gibt. Aber den Vermieter gibt es und den Streit auch. Und deswegen gehen wir immer schnell an seiner Wohnungstür vorbei.
Ich kann das nicht haben, wenn Menschen sich streiten. Bekomme dann so ein Ziepen unter der Haut. Auch wenn es nichts mit mir zu tun hat, und bei dem Vermieter hat es sicher nichts mit mir zu tun. Der kennt mich ja gar nicht.
Als die Kekse aus sind, stehen zwei Bammel auf unserer Liste.
»Okay«, sagt Jaro.
»Okay«, sage ich.
»Aber wir machen das wirklich«, sagt Jaro.
»Wirklichwirklich«, sage ich.
»Und beide«, sagt Jaro.
»Logisch beide«, sage ich.
Mit dem Bammelüberwinden müssen wir am besten so schnell wie möglich anfangen, auf jeden Fall noch vor der Klassenfahrt. Und deshalb schwören wir. Wir schwören, damit wir es wirklichwirklich machen, und weil es cool ist zu schwören und weil man das in Geheimverstecken ab und zu machen muss, damit es ein richtiges Geheimversteck ist.
Wir schwören nicht mit Blut und auch nicht mit Spucke, weil das finden wir beides ekelig und unlogisch. Wir setzen uns einander gegenüber auf den Boden, in der Mitte von unserem Versteck, und gucken uns an, aber ohne Blinzeln und ohne Weggucken und ohne Kichern. Und dann schwören wir mit unseren Augen und mit Worten.
Wir schwören.
Wir schwören bei unserem Dachbodengeheimversteck. Wir schwören beim wackelnden Ziegel, durch den der Regen tropft. Wir schwören bei allen guten Geistern, und auch den Streitgeistern, sonst sind die beleidigt, wenn man sie ausschließt. Und wir schwören bei allen Sternen, die man durch die Dachluke sieht, wir schwören bei allen Geheimnissen der Welt und beim besten Eis der Stadt und dann fällt uns nichts mehr ein. Und dann müssen wir doch ein wenig kichern.
Um den Schwur zu besiegeln, kritzeln wir unsere Initialen zuerst auf den Dachbalken und dann auf unsere Hände. Mit Mamas gutem Edding, den ich aus ihrer Schreibtischschublade geliehen habe, weil sie ihn von allein nicht hergibt. Ein kleines E auf Jaros Hand, ein kleines J auf meine. Da steckt alles drin.
Die angefangene Bammelliste steht auf Seite 13 in unserem Geheimnotizbuch, direkt nach der Liste mit den Agentinnenaufträgen und mit den Notizen unserer letzten Beschattung.
Auf der Liste auf Seite 13 steht:
Bammelüberwindungspläne
1. Auf derselben Straßenseite mit einem fremden Hund bleiben, einen Hund streicheln oder sogar befreunden
2. In die Wellen oder in tiefes, trübes Wasser springen, bis zur mittigsten Seemitte schwimmen
Jaro und ich streiten nie, wir käbbeln nur ein bisschen. Um den größeren Anteil Nachtisch. Um den letzten Keks. Um die Wette. Oder darum, wer zuerst etwas machen muss. Eine Mutprobe zum Beispiel. Also würfeln wir das aus. Bei 1-3-5 muss ich anfangen, bei 2-4-6 muss Jaro. Der Würfel hält auf der Kippe und lehnt genau zwischen der 3 und der 2 schief an der leeren Kekspackung.
»Na, toll«, sage ich.
»Mach noch mal«, sagt Jaro.
Agentinnen müssen nicht komplett bammelfrei sein, aber sie müssen den Wumms haben, sich ihm zu stellen, und zwar gegenüber. Sich ihm direkt gegenüberzustellen und dann drüberzuspringen, oder mitten durchzugehen, bis sie am anderen Bammelende wieder rauskommen.
Das Problem mit den Bammeln ist, dass man lieber wegrennen will. Weil man nicht mittendrin stecken möchte. Also nicht mitten in der Nacktschnecke zum Beispiel und auch nicht mitten im Dunkeln, oder im Gruselfilm oder zwischen kläffenden Hunden.
Also, Augen zu und durch? Nee, Augen zu und durch wollen wir nicht. Mit Augen zu fällt man auf die Schnauze. Und zwar im schlimmsten Fall auf eine Hundeschnauze. Wir wollen die Augen offen halten und hinschauen und nicht wegrennen.
Wir würfeln noch mal neu. Der Würfel kullert und hält kurz vor der Tischkante und direkt vor Jaro an. Jaro guckt vom Würfel zu mir. »Vier«, sagt er. Ich nicke.
»Alles klaro, Jaro.«
Wir fangen mit dem Kläffer an. Und zwar gleich morgen.
Um die Ecke eine Straße weiter lebt der Kläffer hinter einem hohen Zaun. Eigentlich liegt das auf unserem Weg von der Bushaltestelle nach Hause, meistens gehen wir deshalb einen Umweg. Aber heute nicht. Wir wissen nicht, was der Kläffer hat, aber er hat auf jeden Fall was. Er bellt nämlich immer. Immer. Also immer, wenn wir dran vorbeigehen. Und selbst, wenn wir auf der anderen Straßenseite gehen, kann man hören, wie ihm beim Bellen der Sabber von den Zähnen läuft. Der Zaun ist so hoch, dass man nicht drübergucken kann. Nicht, wenn man so groß ist wie wir. Ich könnte Jaro auf meine Schultern nehmen. Dann wären wir zwar wackelig, aber größer als der Zaun. Wenn wir uns stattdessen mit der Nase flach gegen den Zaun stellen würden und die Arme nach oben strecken, könnten wir mit den Fingerkuppen gerade so über den Zaun greifen. Machen wir aber nicht. Denn hinter dem Zaun ist ja der Kläffer. Und vielleicht würde der an unsere Fingerkuppen drankommen, selbst, wenn er sich nicht auf jemandes Schultern stellt.
In der Mitte vom Zaun hängt ein Warnung vor dem Hunde-Schild. Wir haben den Kläffer noch nie gesehen. Aber wir hören ihn. Er warnt uns vor sich selbst. Viel und laut und immer dann, wenn man am Zaun vorbeigeht und dabei nicht mucksmäuschenstill ist. Die meisten Leute sind selten mucksmäuschenstill. Aber Jaro und ich können schleichen.
Deshalb wollen wir uns so nah, wie es geht, an den Zaun heranschleichen, um uns direkt davorzustellen. Direkt vor den Bammel sozusagen, also direkt vor den Zaun und deshalb auch fast direkt vor den Kläffer. Das ist der Plan.
Jetzt stehen wir aber erst mal auf der anderen Straßenseite und sehen den Zaun nur aus der Ferne von gegenüber. Das reicht uns fürs Erste auch schon.
Jaros Papa hat gesagt: »Hunde, die bellen, beißen nicht.« Aber warum das so sein soll, konnte er uns nicht erklären und das ist verdächtig. Und wenn was verdächtig ist, sollte man lieber noch mal zweimal drüber nachdenken, oder, wie richtige Agentinnen, noch mal nachprüfen und der verdächtigen Sache auf die Schliche kommen.