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Der beliebte Roman von Jane Austen um den stolzen Mr. Darcy und die vorurteilsvolle Elizabeth Bennet. Nach der ersten deutschen Übersetzung von Louise Marezoll aus dem Jahre 1830.
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Seitenzahl: 495
Herausgegeben und bearbeitet nach der
ersten deutschen Übersetzung:
Stolz und Vorurtheil.
Ein Roman
frei nach dem Englischen
von
Louise Marezoll. Leipzig, 1830.
I. Band
1. KAPITEL.
2. KAPITEL.
3. KAPITEL.
4. KAPITEL.
5. KAPITEL.
6. KAPITEL.
7. KAPITEL.
8. KAPITEL.
9. KAPITEL.
10. KAPITEL.
11. KAPITEL.
12. KAPITEL.
13. KAPITEL.
14. KAPITEL.
15. KAPITEL.
16. KAPITEL.
17. KAPITEL.
18. KAPITEL.
19. KAPITEL.
20. KAPITEL.
21. KAPITEL.
22. KAPITEL.
23. KAPITEL.
24. KAPITEL.
25. KAPITEL.
26. KAPITEL.
27. KAPITEL.
28. KAPITEL.
29. KAPITEL.
30. KAPITEL.
31. KAPITEL.
32. KAPITEL.
33. KAPITEL.
II. Band
1. KAPITEL.
2. KAPITEL.
3. KAPITEL.
4. KAPITEL.
5. KAPITEL.
6. KAPITEL.
7. KAPITEL.
8. KAPITEL.
9. KAPITEL.
10. KAPITEL.
11. KAPITEL.
12. KAPITEL.
13. KAPITEL.
14. KAPITEL.
15. KAPITEL.
16. KAPITEL.
17. KAPITEL.
18. KAPITEL.
19. KAPITEL.
20. KAPITEL.
21. KAPITEL.
22. KAPITEL.
23. KAPITEL.
24. KAPITEL.
25. KAPITEL.
26. KAPITEL.
27. KAPITEL.
28. KAPITEL.
NICHTS ist leichter vorauszusetzen, als daß ein junger, reicher, unverheirateter Mann vor allen anderen Dingen einer Frau bedarf.
So wenig nun auch die Bewohner der Grafschaft Hertfordshire von den Neigungen und Aussichten eines solchen, eben unter ihnen auftretenden fremden Mannes wußten und wissen konnten, hatte sich obige Voraussetzung dennoch der Gemüter der ganzen Nachbarschaft dergestalt bemeistert, daß man ihn schon als das rechtmäßige Eigentum dieser oder jener ihrer Töchter betrachtete.
„Lieber Bennet! Weißt du schon, daß Netherfield Park nun endlich verpachtet ist?“ Mit dieser Frage leitete Mrs. Bennet eines Tages die Unterhaltung ein.
„Nein!“
„Ja, so ist es. Mrs. Long war soeben hier, mir die Neuigkeit mitzuteilen.“
Mr. Bennet schwieg.
„Verlangt dich nicht zu wissen, wer es gepachtet hat?“ rief die Frau mit einiger Ungeduld.
„Dich verlangt danach, mir es zu erzählen. Wohlan, ich bin zum Hören bereit.“
„Nun so höre denn. Am Montag ist ein junger, reicher Mann aus dem nördlichen England in einem vierspännigen Wagen nach Netherfield gekommen, hat das Gut besehen und so viel Wohlgefallen daran gefunden, daß er auf der Stelle mit Mr. Morris einig geworden. Noch vor Michaelis wird er Besitz davon nehmen, und ein Teil seiner Leute schon zu Ende nächster Woche im Hause eintreffen.“
„Mr. Bingley besichtigt Netherfield.“
„Wie heißt er?“
„Bingley.“
„Ist er verheiratet oder unverheiratet? “
„O natürlich unverheiratet, und reich. Vier- bis fünftausend jährlich. Welch eine schöne Aussicht für unsere Töchter!“
„Wieso! Was können die mit seinem Reichtum zu tun haben?“
„Mein Gott! Welch eine abgeschmackte Frage! So wisse denn, daß ich gesonnen bin, eine meiner Töchter mit Mr. Bingley zu verheiraten.“
„Ist dies der Zweck seiner Niederlassung in hiesiger Gegend?“
„Zweck? Unsinn, wie kannst du nur so schwatzen! Aber es ist doch sehr wahrscheinlich, daß unsere Töchter ihm vor allen anderen jungen Damen in der Nachbarschaft gefallen werden; und deshalb mußt du ihn besuchen, sobald er angekommen ist.“
„Dazu sehe ich keinen Grund. Du magst mit den Mädchen hingehen, oder sie allein hinschicken, was vielleicht noch ratsamer sein möchte: denn da du es im Punkt der Schönheit immer noch mit ihnen aufnimmst, könnte sich der unglückliche Fall ereignen, daß du Mr. Bingley am besten gefielst.“
„Wozu die unzeitige Schmeichelei! Ich habe mich früher allerdings einiger Schönheit rühmen können, doch solche Ansprüche längst schon aufgegeben. Eine Mutter von fünf erwachsenen Töchtern darf nicht mehr an ihre eigene Schönheit denken!“
„Und es wird wenige Frauen geben, die in diesen Jahren noch Ursache dazu haben.“
„Schon gut, liebster Mann! Aber du mußt nicht versäumen, Mr. Bingley deine Aufwartung zu machen, sobald er in Netherfield angekommen.“
„Das will ich nicht versprechen.“
„Bedenke nur deine Töchter und welche Versorgung einer von ihnen daraus entstehen kann. Sir William und Lady Lucas sind auch entschlossen, ihm aufzuwarten, bloß aus diesem Grunde; denn du weißt, daß sie sonst keinem neuen Ankömmling den ersten Besuch zu machen pflegen. Also darfst du auch nicht zurückbleiben – und für uns würde es sich doch wahrlich nicht schicken, ihn aufzusuchen.“
„Liebe Frau! Du bist in diesem Punkt wirklich zu skrupulös. Ich bin überzeugt, Mr. Bingley wird sich sehr freuen, dich zu sehen; und ich will dir einige Zeilen an ihn mitgeben, worin ich ihm im voraus meiner vollkommenen Zustimmung zu seiner Verheiratung, mit welcher von meinen Töchtern es ihm gefällt, versichern; obgleich ich ein gutes Wort für meine kleine Lizzy einlegen möchte.“
„Dergleichen muß ich mir verbitten. Lizzy ist nicht im mindesten besser als die anderen; im Gegenteil nicht halb so schön wie Jane, und nicht halb so aufgeweckt und lustig wie Lydia. Aber ich weiß, du gibst ihr immer den Vorzug.“
„Keine ihrer Schwestern zeichnet sich durch irgend etwas aus. Sie sind nicht minder einfältig und unwissend wie alle die anderen jungen Mädchen ihrer Bekanntschaft. Lizzy aber hat mehr Verstand und Einsicht.“
„Bennet, wie kannst du deine eigenen Töchter so herabsetzen! Es macht dir Freude, mich zu kränken. Du hast kein Mitleid mit meinen armen Nerven.“
„Bitte um Vergebung! Ich habe den größten Respekt vor deinen Nerven. Wie sollte ich auch anders! Es sind ja meine alten Bekannten, die ich wenigstens zwanzig Jahre in dieser Beziehung habe von dir nennen hören.“
„Ach, du weißt nicht, was ich leide!“
„Aber ich hoffe, du wirst es überstehen, und lange genug leben, um noch mehr junge, reiche Männer in unsere Nachbarschaft einziehen zu sehen.“
„Und was könnte es mir helfen, wenn auch noch zwanzig solcher Phönixe kämen, da du sie nicht besuchen willst.“
„Verlaß dich darauf, daß ich sie alle besuchen werde, sobald die Zahl zwanzig nur erst voll ist.“
„Mr. & Mrs. Bennet.“
Mr. Bennet war eine so seltsame Mischung von Lebhaftigkeit, sarkastischer Laune, Zurückhaltung und Eigensinn, daß eine dreiundzwanzigjährige Erfahrung nicht hinreichte, die Gattin mit seinem Charakter bekanntzumachen. Der ihrige war leichter zu ergründen. Sie war eine Frau von geringem Verstand, wenig Bildung und ungleichem Temperament. Bei der geringsten Unzufriedenheit hielt sie sich für nervenschwach. Das Geschäft ihres Lebens war, ihre Töchter zu verheiraten, ihre größte Freude Gesellschaften und Neuigkeiten.
BENNET war einer der ersten, welcher dem neuen Ankömmling die Aufwartung machte, und obgleich dies von Anfang an sein Vorsatz gewesen, hatte er doch nicht unterlassen, seine Frau fortwährend vom Gegenteil zu versichern, so daß sie am Abend, nachdem der Besuch schon abgestattet war, noch nichts davon wußte. Um sie auf eine überraschende Weise davon in Kenntnis zu setzen, wandte er sich an Elizabeth, die mit der Ausschmückung eines Huts beschäftigt war, und sagte: „Lizzy! Ich hoffe, Mr. Bingley wird diesen Hut geschmackvoll finden.“
„Wir haben keine Aussicht, Mr. Bingleys Geschmack auf die Probe zu stellen“, entgegnete die Mutter empfindlich, „da wir nicht erwarten können, einen Besuch von ihm zu erhalten.“
„Aber Mama, Sie vergessen“, sagte Elizabeth, „daß wir ihn in den Gesellschaften sehen werden, und daß Mrs. Long versprochen hat, ihn uns vorzustellen.“
„Ich zweifle, ob Mrs. Long es tun wird; sie hat selbst zwei Nichten und ich kenne sie als eine eigennützige, heuchlerische Frau.“
„Auch ich möchte an ihrer Bereitwilligkeit zweifeln“, sagte Bennet, „und freue mich deshalb, daß Ihr diesen Liebesdienst nicht von ihr zu erbitten nötig habt.“
Mrs. Bennet würdigte ihn keiner Antwort; doch unfähig ihren Unmut länger zu verbergen, wandte sie sich zu Kitty, und rief: „Um Himmelswillen höre auf zu husten! Habe Erbarmen mit meinen Nerven. Du zerreißt sie in Stücke.“
„Kitty hat ihren Husten nicht gut gezogen“, sagte der Vater, „er kommt immer zur Unzeit.“
„Ich huste nicht zu meinem Vergnügen“, erwiderte Kitty ärgerlich. „Lizzy, wann wird der nächste Ball sein?“
„Morgen über vierzehn Tage.“
„Ja, so ist es!“ rief die Mutter, „und da Mrs. Long erst den Tag vorher zurückkommt kann sie ihn freilich nicht bei uns einführen.“
„Dann, meine Liebe, steht dir das Glück bevor, Mr. Bingley deiner Freundin vorzustellen.“
„Unmöglich, rein unmöglich, wenn ich ihn selbst noch nicht kenne! Wie kannst du mich so quälen?“
„Ich ehre deine Vorsicht. Eine vierzehntägige Bekanntschaft ist allerdings sehr kurz, nicht hinreichend die Vorzüge und Fehler eines Mannes gründlich kennenzulernen. Aber wenn wir es nicht wagen, tun es andere; und Mrs. Long und ihre Nichten müssen es darauf ankommen lassen, von irgendeinem anderen Bekannten vorgestellt zu werden. Wenn du ihr daher diesen Freundschaftsdienst abschlägst, bin ich entschlossen, ihr ihn selbst zu leisten.“
Die Töchter sahen ihren Vater voll Erstaunen an. Mrs. Bennet rief: „Unsinn! Unsinn!“
„Was soll dieser nachdrückliche Ausruf bedeuten?“ fragte er. „Betrachtest Du den Gebrauch der Vorstellung und Einführung, und das Gewicht was darauf gelegt wird, als Unsinn? Hierin stimme ich nicht ganz mit dir überein. Was sagst du dazu, Mary? Denn ich weiß, du bist eine junge Dame von tiefer Gelehrsamkeit, die in dicken Büchern liest und Auszüge daraus macht.“ Mary wünschte etwas sehr Verständiges zu sagen, wußte aber nicht was.
„Laßt uns, während Mary ihre Ideen ordnet, zu Mr. Bingley zurückkehren“, fuhr der Vater fort.
„Ich mag nichts mehr von Mr. Bingley hören!“ rief Mrs. Bennet.
„Das tut mir sehr leid. Ich wollte, ich hätte dies früher gewußt, wenigstens diesen Morgen, bevor ich ihm meinen Besuch gemacht. Es ist mir wirklich höchst unangenehm: denn da dieser erste Schritt nun einmal geschehen ist, können wir eine nähere Bekanntschaft mit ihm nicht mehr vermeiden.“
Das Erstaunen der Damen war gerade was er wünschte; Mrs. Bennet übertraf ihre Töchter noch darin; obgleich sie, nachdem der erste Tumult der Freude vorüber war, wiederholt versicherte, daß sie nichts anderes von ihm er wartet hätte.
„Nun, Kitty, kannst du wieder husten, so viel es dir gefällt“, sagte Bennet und verließ, ermüdet durch der Gattin laute Ausbrüche des Entzückens, das Zimmer.
„Kinder! Welch einen vortrefflichen Vater habt ihr!“ rief die Mutter. „Ich weiß nicht, wie ihr ihm diese Güte vergelten wollt, und auch mir: denn in unseren Jahren, müßt ihr wissen, sind neue Bekanntschaften keine Freude mehr; und nur euretwegen entschließen wir uns dazu, wie zu manchen anderen Dingen. Meine liebe Lydia! Du bist zwar die Jüngste, doch bezweifle ich nicht, daß Mr. Bingley auf den nächsten Ball zuerst mit dir tanzen wird.“
„O!“ entgegnete Lydia stolz, „deshalb ist mir nicht bange. Denn bin ich gleich die Jüngste, so bin ich doch auch die Schlankeste.“
„Ich bin die Schlankeste.“
Der Rest des Abends ward in Vermutungen, wie bald Mr. Bingley den Besuch erwidern, und wie bald man ihn zum Mittagessen einladen könnte, hingebracht.
WEDER Mrs. Bennets noch ihrer fünf Töchter Bemühungen waren imstande, eine genauere Beschreibung des neuen Ankömmlings von Mr. Bennet zu erhalten. Sie versuchten es auf alle Weise, durch gerade Fragen, durch spitzfindige Voraussetzungen und hingeworfene Vermutungen; aber er wußte allen Angriffen geschickt auszuweichen, so daß sie endlich genötigt waren, sich mit dem Bericht aus der zweiten Hand, von ihrer Nachbarin Lady Lucas zu begnügen: Sir William war entzückt von dem neuen Nachbar; er beschrieb ihn als einen jungen, hübschen, sehr angenehmen Mann, und was allen Vorzügen die Krone aufsetzte, war die Nachricht, daß er versprochen, die nächste Gesellschaft mit einigen Freunden aus der Stadt zu besuchen. Nichts konnte erfreulicher sein!
„Wenn ich es nur erlebe, eine meiner Töchter glücklich in Netherfield etabliert zu sehen, und die anderen ebenfalls gut verheiratet“, sagte Mrs. Bennet zu ihrem Gemahl, „so bleibt mir nichts mehr zu wünschen übrig.“
Nach einigen Tagen erwiderte Bingley Mr. Bennets Besuch und verweilte ungefähr zehn Minuten bei ihm in seinem Studierzimmer. Er hatte gehofft, die jungen Damen zu sehen, von deren Schönheit er bereits viel gehört, fand aber nur den Vater. Die Töchter waren etwas glücklicher gewesen; sie hatten ihn unbemerkt aus einem oberen Fenster beobachtet und wenigstens so viel gesehen, daß er einen blauen Rock trug und ein dunkles Pferd ritt.
Bald darauf ward eine Einladung zum Mittagessen an ihn erlassen; und schon ordnete Mrs. Bennet im Geist die Schüsseln, welches ihre Kochkunst im glänzendsten Licht zeigen sollte, als er die Ehre ablehnte, weil Geschäfte ihn in die Stadt beriefen.
Mrs. Bennet war einigermaßen trostlos. Sie konnte nicht begreifen, welches Geschäft ihn sobald nach seiner Ankunft in Hertfordshire in die Stadt zurückrufen sollte, und schon begann sie zu fürchten, daß er immer von einem Ort zum anderen flattern, und nie so recht, wie sie es wünschte, in Netherfield ansässig werden würde, als Lady Lucas sie durch die Nachricht beruhigte, daß er nur in der Absicht, eine Gesellschaft Freunde zur Verherrlichung des Balls abzuholen, nach London gegangen sei. Sehr bald verbreitete sich auch das Gerücht, daß Bingley zwölf Damen und sieben Herren aus der Stadt mitgebracht. Mrs. Bennet und ihre Töchter trauerten über die große Anzahl von Tänzerinnen, wurden jedoch tags vor dem Ball durch die Nachricht getröstet, daß sich die Zahl bis auf sechs vermindert und bloß aus seinen fünf Schwestern und einer Cousine bestände. Und beim Eintreten in den Saal ergab sich, daß Bingley der Hauptstadt nur seine beiden Schwestern, den Mann der ältesten und noch einen anderen jungen Herrn entführt hatte.
„Mr. Bingley ist ein gutaussehender Mann.“
Bingley verband mit einem angenehmen Äußeren, und einem leichten gefälligen Wesen den Anstand eines Mannes von Welt. Seine Schwestern waren hübsch und trugen deutlich das Gepräge des neuesten, besten Geschmacks. Mr. Hurst, sein Schwager, verriet nur im Äußeren den Gentlemen; aber sein Freund, Mr. Darcy, zog sehr bald die Aufmerksamkeit aller Anwesenden durch seine schlanke, schöne Gestalt, durch seine edlen Züge und stolze Haltung auf sich, und wenige Minuten reichten hin, das Gerücht zu verbreiten, daß er unumschränkter Gebieter eines jährlichen Einkommens von zehntausend Pfund sei. Die Herren erklärten ihn für einen schönen Mann, die Damen für noch interessanter als seinen Freund Bingley, und alles zollte ihm Bewunderung. Doch nur eine kurze Zeit sollte er sich dieser Gunst erfreuen. Sein abstoßendes, hochmütiges Betragen konnte nicht lange verborgen bleiben; und noch war der Ball nicht halb zu Ende, als man entdeckte, daß er über alle Begriffe stolz sei, sich viel zu gut für diese Gesellschaft dünke, und keineswegs die Absicht habe, Vergnügen in derselben zu finden. Und nach solchen Bemerkungen konnte ihn selbst sein großes Besitztum in Derbyshire nicht mehr retten; man fand sein Äußeres höchst unangenehm und zurückstoßend, gar nicht mit dem seines Freundes zu vergleichen.
Dieser verstand die Kunst, sich sehr bald mit den Hauptpersonen der Gesellschaft bekanntzumachen; er war lebhaft und freimütig, tanzte alle Tänze, klagte über die Kürze des Balls und versprach nächstens einen längeren in Netherfield zu geben. Solche liebenswürdigen Eigenschaften empfehlen sich selbst. Welch ein Unterschied zwischen ihm und seinem Freund. Darcy tanzte nur ein Mal mit Mrs. Hurst und ein Mal mit Miß Bingley, lehnte die Ehre, den anderen Damen vorgestellt zu werden, ab, und brachte den übrigen Teil des Abends damit zu, im Saal auf- und abzuschreiten, dann und wann ein paar Worte mit einem von seiner Gesellschaft zu sprechen, oder stumm zu beobachten. Sein Charakter war leicht zu ergründen; man erkannte ihn für den stolzesten, unangenehmsten Mann von der Welt, und jedermann hoffte, daß er nie wieder in diese Gesellschaft kommen würde. Am heftigsten äußerte sich Mrs. Bennet, deren Mißfallen seines allgemeinen Betragens noch durch die Vernachlässigung einer ihrer Töchter zum besonderen Groll gesteigert worden war. Elizabeth hatte wegen Mangel an Herren zwei Tänze unbeschäftigt sitzen müssen, während Darcy ihr nahe genug gestanden, um folgendes Gespräch zwischen ihm und Bingley, der aus dem Tanz getreten war, ihn zur Nachfolge aufzumuntern, mit anzuhören.
„Komm Darcy, du mußt tanzen. Es ist mir ein widerlicher Anblick, dich so unbeschäftigt stehen zu sehen. Wahrlich, du tätest besser zu tanzen.“
„Ich will nicht. Du weißt ja, wie ich dieses Vergnügen verabscheue, wenn ich nicht genau mit meiner Tänzerin bekannt bin, und in dieser Gesellschaft würde es mir vollends unerträglich sein. Deine Schwestern sind engagiert, und übrigens finde ich im ganzen Ballsaal kein Gesicht, mit dem es mir nicht eine Strafe wäre zu tanzen.“
„Nun wahrlich!“ rief Bingley, „nicht um ein Königreich möchte ich so wählerisch und eigensinnig sein! Ich kann auf Ehre versichern, noch nie so viele hübsche Mädchen beisammen gesehen zu haben, wie diesen Abend, und einige unter ihnen sind sogar schön zu nennen.“
„Du tanztest mit dem einzigen hübschen Mädchen im ganzen Saal“, sagte Darcy, Jane durchs Glas betrachtend.
„O, meine Tänzerin ist das reizendste Geschöpf, das meine Augen je erblickt!“ rief Bingley begeistert. „Aber sieh! Hier sitzt eine ihrer Schwestern, die auch recht hübsch ist und recht pikant dazu. Erlaube, daß ich meine Tänzerin bitte, dich ihr vorzustellen.“
„Welche meinst du?“ fragte Darcy, indem er sich herumdrehte, Eliza einige Augenblicke unverwandt anstarrte, und sich dann wieder zu seinem Freund wendend, kalt erwiderte: „Sie ist leidlich, aber nicht hübsch genug, mich zu reizen. Auch bin ich gerade nicht aufgelegt, mich der übriggebliebenen jungen Damen anzunehmen. Du tätest indes auf jeden Fall, besser, zu deiner Tänzerin zurückzukehren und dich an ihrem Lächeln zu ergötzen, als deine Zeit mit mir zu verschwenden.“
Bingley folgte seinem Rat. Darcy ging wieder auf und ab, und Elizabeth sah ihm mit nicht sehr wohlwollenden Empfindungen nach. Doch von Natur heiter und fröhlich, und alles Komische leicht auffassend, teilte sie ihren Schwestern und Freundinnen unter vielem Lachen das eben angehörte Gespräch mit.
„Sie ist leidlich, aber nicht hübsch genug, mich zu reizen.“
Der Abend verstrich der ganzen Familie höchst angenehm. Mrs. Bennet hatte den Triumph gehabt, ihre älteste Tochter von der Netherfielder Gesellschaft sehr bewundert zu sehen. Bingley hatte zwei Mal mit ihr getanzt und seine Schwestern sie sehr ausgezeichnet. Jane fühlte sich nicht minder dadurch geschmeichelt als ihre Mutter, äußerte ihre Freude jedoch auf eine ruhigere Weise. Elizabeth nahm den wärmsten Anteil an ihrer Schwester Sieg. Mary war Miß Bingley als das unterrichtetste junge Mädchen im ganzen Umkreis vorgestellt worden, und Catherine und Lydia hatten immer Tänzer gehabt! Was konnten sie auf einem Ball mehr verlangen! Sie kehrten daher sämtlich in sehr guter Laune nach Longbourn, dem Dorfe, worin sie die hauptsächlichsten Bewohner waren, zurück und fanden Mr. Bennet noch auf. Bei einem guten Buch pflegte er gewöhnlich Zeit und Stunde zu vergessen, und Neugier über den Ausgang des heutigen, mit so hohen Erwartungen begonnenen Abends kam jetzt noch dazu, ihn wach zu erhalten. Er hatte gehofft, Mrs. Bennets viele versprechende Hoffnungen auf den Fremden getäuscht zu sehen, fand aber nun leider das Gegenteil.
„O mein lieber Bennet!“ rief sie schon beim Eintreten ins Zimmer, „welch einen herrlichen Ball haben wir gehabt! Ich wünschte, du wärst mit dort gewesen. Jane ist bewundert worden, wie noch nie. Jedermann war entzückt von ihrer Schönheit, und Mr. Bingley erklärte sie nicht allein für die Schönste im ganzen Saal, sondern tanzte auch zwei Mal mit ihr, was er mit keiner anderen getan. Zuerst forderte er Miß Lucas auf. Ich war einigermaßen ärgerlich darüber, sah aber bald, daß es weiter keine Bedeutung hatte. Wie könnte es auch! Hierauf sah er Jane aufstehen und ihrem Tänzer durch den Saal folgen. Er war frappiert von ihrer Schönheit, erkundigte sich nach ihrem Namen, ließ sich ihr vorstellen und bat gleich um die beiden nächsten Tänze. Dann tanzte er die beiden dritten mit Miß King, die beiden vierten mit Mary Lucas, die beiden fünften mit Jane und die beiden sechsten mit Lizzy.“
„Wenn er einiges Mitleid mit mir gehab hätte“, rief Bennet ungeduldig aus, „würde er nicht halb so viel getanzt haben. Um Gotteswillen! Erzähle mir nichts mehr von seinen Tänzerinnen! Ich wollte, er hätte sich beim ersten Tanz den Fuß versprungen!“
„O“, fuhr Mrs. Bennet fort, „ich bin ganz entzückt von ihm. Er ist so hübsch, und seine Schwestern so liebenswürdig! In meinem Leben sah ich noch keine so eleganten Anzüge. Ich behaupte, Mrs. Hursts Besatz am Kleid…“
Hier unterbrach sie der Gemahl abermals, und protestierte gegen alle Beschreibungen der Anzüge. Sie sah sich deshalb genötigt, einen anderen Zweig der Unterhaltung zu wählen, und berichtete mit großer Erbitterung und einiger Übertreibung Mr. Darcys empörende Roheit.
„Aber du kannst es glauben“, fuhr sie fort, „daß Lizzy nur dadurch gewinnt, einem solchen Geschmack nicht zuzusagen: denn er ist ein höchst unangenehmer, schrecklicher Mensch – nicht zum Ertragen stolz und hochmütig. Er ging auf und ab mit einer Miene, als ob er der Vornehmste gewesen wäre. Nicht hübsch genug, um mit ihr zu tanzen! Es ist zu arg! Ich wollte, du wärst dabeigewesen, um ihm gehörig darauf zu antworten. Ich verabscheue den Mann!“
SOBALD Jane und Elizabeth allein waren, sprach sich erstere, die bis jetzt sehr vorsichtig in Bingleys Lob gewesen, freimütig über seine liebenswürdigen Eigenschaften aus, und gestand, daß sie sich durch sein nochmaliges Engagement sehr geschmeichelt gefühlt, indem sie eine solche Auszeichnung nimmermehr erwartet hätte. Elizabeth dagegen versicherte, daß es nicht anders hätte kommen können, da sie unstreitig die Schönste in der ganzen Gesellschaft gewesen, und daher notwendig seine Aufmerksamkeit auf sich hätte ziehen müssen. Übrigens stimmte sie in sein Lob mit ein, und gab ihrer Schwester vollkommene Erlaubnis, ihn charmant und liebenswürdig zu finden. Als Jane nun aber auch Bingleys Schwestern erhob, ihre Unterhaltung anziehend, ihr Wesen gefällig und fein nannte und sich freute, Miß Bingley, welche einige Zeit in Netherfield bei ihrem Bruder zu leben gedachte, in der Nähe zu behalten und öfter zu sehen; da konnte Elizabeth ihr unmöglich beistimmen. Sie beschuldigte Jane, aus angeborener Gutmütigkeit blind gegen die Fehler und Torheiten ihrer Nebenmenschen zu sein, überall nur Gutes zu sehen oder das Böse zum Guten zu wenden, und bewies ihr, daß das Benehmen beider Damen an diesem Abend keineswegs geeignet gewesen sei, sie zum Besten zu beurteilen. Ihr Scharfsinn und richtiger Tackt hatte sie tieferen Blick in das Innere des Schwesternpaars tun lassen. Sie erkannte sie allerdings für hübsch, nicht ohne gute Laune, wenn sie sich gefielen, auch imstande sehr angenehm zu sein, sobald sie Lust hatten; dabei aber auch stolz und hochmütig. In einer der ersten Pensionen der Hauptstadt erzogen, im Besitz eines Vermögens von zwanzigtausend Pfund, gewohnt noch etwas mehr zu vertun als sie hatten, und mit Menschen vom höchsten Rang umzugehen, war es ihnen denn freilich zur anderen Natur geworden, hoch von sich selbst, und gering von ihren Nebenmenschen zu denken. Sie stammten von einer achtungswerten Familie aus dem nördlichen England ab, welcher Umstand sich ihrem Gedächtnis tiefer eingeprägt hatte, als daß ihres Bruders Vermögen, so wie das ihrige, durch den Handel erworben worden war. Bingley hatte ein Vermögen von beinahe hunderttausend Pfund von seinem Vater geerbt, welcher immer die Absicht gehabt, sich ein Gut zu kaufen, aber noch vor Ausführung dieses Plans gestorben war. Denselben Entschluß hatte der Sohn nun zwar auch gefaßt, und zu diesem Zweck die Grafschaft, worin sein Vater gelebt, auserkoren; da er aber jetzt die Pachtung in Netherfield übernommen, zweifelten alle, die ihn und seinen leichten Sinn kannten, daß es je dazu kommen würde.
Niemand betrübte sich hierüber mehr, als seine Schwestern, deren sehnlichster Wunsch es war, ihn als Gutsbesitzer zu sehen. Demungeachtet bezeigte sich Miß Bingley auch jetzt nicht abgeneigt, die Honneurs in seinem Hause zu machen; und selbst Mrs. Hurst, deren Gemahl mehr Ansehen als Vermögen besaß, beschloß Netherfield, falls ihr der Aufenthalt daselbst zusagen sollte, als ihr Eigentum zu betrachten. Durch eine zufällige Empfehlung veranlaßt, dieses Gut in Augenschein zu nehmen, hatte es bei dem jungen, raschen, kaum seit zwei Jahren mündig gewordenen Bingley nur einer halbstündigen Besichtigung bedurft, um ihn von den Vorzügen des Grundstückes, von der vorteilhaften Lage und den wohlerhaltenen Gebäuden zu überzeugen. Die Umgebungen gefielen ihm, Haus und Garten waren schön, und so pachtete er Netherfield ohne weitere Überlegung.
Zwischen ihm und Darcy bestand, trotz der großen Verschiedenheit ihrer Charaktere, eine innige Freundschaft. Darcy fühlte sich zu Bingley gezogen wegen seines freimütigen, offenen, lenksamen Wesen, weil ihm diese Eigenschaften ganz abgingen; und Bingley hegte die größte Achtung vor seines Freundes Festigkeit, Verstand und richtigem Urteil. In geistiger Hinsicht stand Darcy weit höher, obgleich es dem anderen keineswegs an Verstand fehlte. Dagegen gebührte Bingley der Vorzug im Betreff häuslicher und geselliger Tugenden. Darcy war stolz, hochmütig und zurückhaltend, und sein Benehmen, wenngleich das eines wohlgezogenen Mannes, hatte durchaus nichts Einnehmendes und stieß meistens ab. Bingley gewann alle Herzen, wo er sich zeigte, Darcy beleidigte stets.
Die Art und Weise, sich über die Meryton’sche Gesellschaft zu äußern, charakterisierte sie vollkommen. Bingley hatte nie angenehmere Leute und hübschere Mädchen gesehen; jedermann war artig und zuvorkommend gegen ihn gewesen. Es hatte gar keine Förmlichkeit und Steifheit in der Gesellschaft geherrscht, so daß er sehr bald mit allen Anwesenden bekannt geworden – und Miß Bennet! Kein Engel konnte schöner sein, als sie! Darcy hingegen hatte eine Menge Menschen gesehen, die weder Anspruch auf Schönheit noch auf Ansehen machen konnten; von denen niemand geeignet gewesen war, ihm auch nur das geringste Interesse einzuflößen, und die ihm weder Vergnügen gemacht, noch Aufmerksamkeiten erwiesen hatten. Er gab zwar zu, daß Miß Bennet schön sei, tadelte aber, daß sie zu viel lächelte.
Miß Bingley und ihre Schwester stimmten seiner Meinung ganz bei, wagten jedoch, Jane allerliebst, ihres Beifalls würdig zu finden und sie ein süßes Mädchen zu nennen. Miß Bennets Ruf als ein süßes Mädchen war daher gegründet, und Bingley fühlte sich durch diesen Ausspruch berechtigt, von ihr zu denken, wie es ihm beliebte.
IN geringer Entfernung von Longbourn wohnte eine Familie, mit welcher Bennets sehr vertraut waren. Sir William Lucas hatte früher als Kaufmann in Meryton gelebt, und sich als solcher ein bedeutendes Vermögen erworben. Auch würde er Stand und Aufenthalt wohl schwerlich verlassen haben, wenn er nicht während seiner Würde als Maire, infolge einer dem König überreichten Adresse, in den Ritterstand erhoben worden wäre. Eine solche Auszeichnung war mehr als er ertragen konnte. Sie hatte ihm sein Geschäft und das Leben in dem kleinen Marktstädtchen zuwider gemacht, weshalb er beides aufgab, und mit seiner Familie ein Haus, ungefähr eine Meile von Meryton bezog, welches von diesem Augenblick an Lucas Lodgegenannt wurde. Hier konnte er ungestört über seine eigene Wichtigkeit nachdenken, und frei von den Lasten der Handelsgeschäfte seine Zeit einzig dem schönen Beruf, höflich gegen alle Welt zu sein, widmen. Denn wenngleich im Rang erhöht, war er dennoch nicht anmaßend geworden – im Gegenteil nur noch aufmerksamer gegen jedermann. Von Natur harmlos, freundlich und verbindlich, hatte ihn seine Vorstellung am Hof nur noch geschmeidiger gemacht.
Lady Lucas war eine sehr gute Frau, nicht übermäßig fein, und hinsichtlich ihrer Denkungsart vollkommen würdig, Mrs. Bennets Nachbarin zu sein. Sie hatten mehrere Kinder, von denen das älteste, ein verständiges, braves Mädchen von siebenundzwanzig Jahren, Elizabeths vertraute Freundin war.
Es verstand, sich von selbst, daß die jungen Damen am anderen Morgen notwendig zusammenkommen mußten, die Freuden des gestrigen Balls zu rekapitulieren; und so fanden sich denn die beiden Miß Lucas in Longbourn ein, um zu hören und zu erzählen.
„Liebe Charlotte“, begann Mrs. Bennet mit höflicher Selbstüberwindung, „Sie fingen den Abend gut an. Sie waren Mr. Bingleys erste Wahl.“
„Ja, aber er schien mehr Geschmack an der zweiten zu finden.“
„Sie meinen wohl Jane, weil er zwei Mal mit ihr getanzt. Ja, es hatte allerdings den Anschein, als ob sie einigen Eindruck auf ihn gemacht hätte. Ich vermute es, teils nach dem was ich gesehen, teils nach seinem Gespräch mit Mr. Robinson, was Sie gestern mit angehört und nachher die Güte hatten, mir mitzuteilen. Sagte er nicht, Miß Bennet wäre unbestritten die Schönste im ganzen Ballsaal?“
„So etwas Ähnliches. Auf jeden Fall war es belohnender, Ohrenzeuge seines Gesprächs zu sein, als Mr. Darcys Unterhaltung mit anzuhören. Arme Eliza! Nur leidlich zu, sein!“
„Ich hoffe, Lizzy hat sich nicht über sein unartiges Betragen geärgert: denn er ist so unaussprechlich fatal, daß es ein Unglück sein würde, ihm zu gefallen. Mrs. Long erzählte mir gestern Abend, daß er eine halbe Stunde neben ihr gesessen, ohne auch nur ein einziges Wort zu sprechen.“
„Er saß neben ihr, ohne ein Wort zu sprechen.“
„Liebe Mutter, sollten Sie sich hierin nicht irren?“ sagte Jane. „Ich selbst sah Mr. Darcy mit ihr sprechen.“ -
„Ja, nachdem sie ihn gefragt, wie es ihm in Netherfield gefalle? und er eine Antwort nicht vermeiden konnte. Aber sie sagte, daß es ihm sehr ärgerlich gewesen, reden zu müssen.“
„Miß Bingley erzählte mir“, fuhr Jane fort, „daß er immer nur mit seinen genaueren Bekannten zu sprechen pflegte, in der Unterhaltung mit diesen aber sehr angenehm wäre.“
„Das glaube ich nimmermehr. Wenn er so außerordentlich angenehm sein kann, hätte er wohl auch mit Mrs. Long gesprochen. Aber ich kann mir die Sache allenfalls erklären. Er gilt allgemein für schrecklich stolz, und da braucht er nur erfahren zu haben, daß Mrs. Long keine eigene Equipage hat, und in einem Mietwagen auf den Ball gekommen ist.“
„Es ist mir einerlei, ob er mit Mrs. Long gesprochen oder nicht“, sagte Miß Lucas; „aber ich wünschte, er hätte mit Eliza getanzt.“
„Und ich an Lizzys Stelle“, sagte die Mutter, „würde ein anderes Mal nun auch nicht mit ihm tanzen.“
„Dieses Versprechen glaube ich Ihnen geben zu können“, entgegnete Elizabeth ruhig.
„Sein Stolz“, fuhr Miß Lucas fort, „beleidigt mich weniger, als vieler anderer Menschen Stolz, weil er zu entschuldigen ist. Man darf sich nicht wundern, wenn ein junger, schöner Mann, aus guter Familie, reich, und im Besitz aller wünschenswerten Dinge, eine hohe Meinung von sich bekommt. Er hat gewissermaßen ein Recht, stolz zu sein.“
„Sehr wahr“, entgegnete Elizabeth, „und ich würde ihm auch seinen Stolz vergeben, wenn er den meinigen nicht gekränkt hätte.“
Mary benutzte diese Gelegenheit, ihre Betrachtungen über die Ursachen und Wirkungen des Stolzes mit schönen Worten darzulegen, und da sich niemand aufgelegt fühlte, ihr zu widersprechen, endigte die Unterhaltung mit dem Aufbruch der Gäste.
DIE Damen von Longbourn säumten nicht lange, den weiblichen Bewohnern von Netherfield ihre Aufwartung zu machen, und der Besuch ward in aller Form erwidert.
Miß Bennets Anmut übte fortwährend einen Zauber über die Herzen des Bingley’schen Schwesternpaars aus; und obgleich sie die Mutter unerträglich, und die jüngeren Töchter nicht der Erwähnung wert fanden, sprachen sie doch den Wunsch, mit den beiden älteren Schwestern genauer bekannt zu werden, aus. Jane freute sich dieser Auszeichnung, Elizabeth hingegen sah immer nur Stolz und Übermut in ihrem Benehmen gegen andere, selbst gegen ihre Schwester, und konnte sich daher nicht recht mit ihnen befreunden. Daß Bingley großes Wohlgefallen an Jane fand, entging Elizas scharfem Blick nicht; ebensowenig aber auch der Eindruck, den er auf der Schwester Herz gemacht. Letztere Entdeckung würde sie vielleicht beunruhigt haben, hauptsächlich aus Furcht, daß die Welt diese Neigung zu früh entdecken könnte; aber sie wußte, daß Jane eine gewisse Ruhe des Gemüts, eine stets gleiche Heiterkeit mit aller Kraft der Empfindung verband, wodurch sie ihre Umgebung über ihr wahres Gefühl irreleiten, und sich gegen die Neckereien der Zudringlichen sicherstellen würde.
Mit der Beobachtung Bingleys und ihrer Schwester beschäftigt, ahnte Elizabeth nicht, daß sie selbst im Begriff stand, einiges Interesse in den Augen seines hochmütigen Freundes zu erlangen. Darcy hatte anfänglich kaum zugeben wollen, daß sie hübsch sei, und sich auf dem Ball geweigert, ihr auch nur die geringste Höflichkeit zu erzeigen. Beim nächsten Zusammentreffen beobachtete er sie bloß in der Absicht, etwas zu tadeln an ihr zu finden; aber kaum hatte er sich selbst und seine Freundinnen davon überzeugt, daß auch nicht ein hübscher Zug in ihrem Gesicht zu entdecken sei, als er die Bemerkung machte, daß es dennoch durch den schönen Ausdruck der dunklen Augen einen eigenen Reiz erhalte. Dieser Entdeckung folgten noch mehrere andere. Obgleich sein streng richtendes Auge ihre Gestalt den Regeln der vollkommenen Symmetrie nicht ganz entsprechend gefunden, mußte er sich doch selbst gestehen, daß sie leicht und gefällig sei und ihr Benehmen, wenn auch seinem eigenen Geständnis zufolge, durchaus nicht fashionable, zog ihn doch durch eine gewisse liebenswürdige Unbefangenheit an. Von dieser Veränderung hatte sie indessen keine Ahnung; sie sah in ihm nur den Mann, der sich nirgends beliebt zu machen wußte, und dem sie nicht hübsch genug erschienen war, um mit ihr zu tanzen.
Nach und nach regte sich der Wunsch in ihm, etwas mehr von ihr zu erfahren, und als ersten Schritt zur Unterhaltung mit ihr selbst begann er, ihren Gesprächen mit anderen ein aufmerksames Ohr zu leihen. Sie machte diese Bemerkung zuerst in einer großen Gesellschaft bei Sir William Lucas, und sagte zu Charlotte: „Was will Mr. Darcy damit sagen, daß er meine Unterhaltung mit Colonel Forster belauscht?“
„Das ist eine Frage, die Mr. Darcy allein zu beantworten imstande ist.“
„Aber wenn er es noch öfter tut, werde ich ihm zu verstehen geben, daß ich seine Absichten durchschaue. Er hat einen so spöttischen Blick, daß ich anfangen muß, mich entweder vor ihm zu fürchten, oder meinerseits auch impertinent zu werden.“
Indem näherte sich Darcy den Sprechenden, anscheinend nicht in der Absicht, selbst teil an dem Gespräch zu nehmen. Miß Lucas forderte ihre Freundin durch Blicke und Worte auf, ihren Vorsatz auszuführen, und Elizabeth wandte sich rasch zu ihm mit der Frage: „Mr. Darcy, haben Sie nicht gefunden, daß ich mich ungemein wohl ausgedrückt, als ich Colonel Forster gebeten, uns einen Ball in Meryton zu geben?“
„Mit vieler Energie; aber es ist freilich ein Gegenstand, der alle junge Damen energisch zu machen pflegt.“
„Sie verfahren sehr streng gegen uns.“
„Die Reihe gebeten zu werden, wird nun an dich kommen“, sagte Miß Lucas. „Ich mache jetzt das Instrument auf und dann weißt du, Eliza, was darauf folgt.“
„Die Reihe wird nun an dich kommen.“
„Du bist eine sonderbare Freundin! Immer forderst du mich auf, vor aller Welt zu singen und zu spielen. Wenn meine Eitelkeit eine musikalische Richtung genommen hätte, würdest du mir unschätzbar sein; da dies aber nicht der Fall ist, weiß ich es dir keinen Dank, daß du mich veranlaßt, mein Licht vor einem Publikum leuchten zu lassen, das an die besten Künstler gewöhnt ist.“
Als Miß Lucas aber dem ungeachtet fortfuhr, sie mit Bitten zu bestürmen, sagte sie: „Nun wohl! Wenn es sein muß, soll es geschehen“, und einen ernsten Seitenblick auf Darcy werfend, fuhr sie fort: „Es gibt ein altes Sprichwort, was einem jeden unter uns bekannt sein wird. Es heißt: Spar deinen Atem, deine Suppe damit zu blasen. Und ich will den meinigen sparen, damit ich singen kann.“
Ihr Gesang war angenehm, jedoch keineswegs vortrefflich. Nachdem sie ein paar Lieder gesungen, und ehe sie noch auf die an sie ergangenen Bitten, mehr zu singen, antworten konnte, hatte Mary Platz am Instrument genommen. Sie war sich bewußt, ihre Schwestern in der edlen Tonkunst, so wie in allen anderen schöngeistigen Beschäftigungen weit zu übertreffen; und da sie in der Tat ihre ganze Zeit an die Ausbildung solcher Talente wendete, ergriff sie nun auch freudig jede Gelegenheit, damit zu glänzen. Zur Musik fehlte es ihr an Talent und Geschmack; und nur der Eitelkeit verdankte sie einige Fertigkeit, die aber mit so viel Pedanterie und Affektation vermischt war, daß sie einen noch höheren Grad von Vollkommenheit unangenehm gemacht haben würden. Elizas leichter und ungezwungener Manier war mehr Aufmerksamkeit gezollt worden, obgleich sie nicht halb so fertig spielte; und Mary mußte am Schluß eines langen Konzerts noch froh sein, Lob und Dank für einige schottische und irländische Lieder einzuernten, wonach ihre jüngeren Schwestern nebst einigen anderen jungen Damen und mehreren Offizieren am entgegengesetzten Ende des Zimmers tanzten.
Schweigend, voll Unwillen über diese Art und Weise, den Abend zuzubringen, über das Ausschließen aller Konversation, stand Darcy, in Betrachtung der verschiedenen Gruppen verloren, und bemerkte nicht, daß Sir William zu ihm getreten, bis dieser ihn anredete. – „Für junge Leute gibt es doch keine charmantere Unterhaltung, als den Tanz; ich betrachte ihn als eine der wesentlichsten Verbesserungen der feineren, höheren Zirkel. Sie nicht auch, Mr. Darcy?“
„Gewiß, Sir! und er hat nebenbei den Vorzug, auch in den wenigst verfeinerten Gesellschaften der Welt sein Glück zu machen. – Jeder Wilde kann tanzen!“ Sir William lächelte. „Ihr Freund tanzt vortrefflich“, fuhr er nach einer Pause fort, als er Bingley in die Reihen treten sah – „und ich zweifle nicht, daß auch Sie, Mr. Darcy, Meister in dieser Kunst sind.“
„Ich glaube, Sir, Sie sahen mich in Meryton tanzen.“
„Allerdings, und erfreute mich dieses Anblicks. Tanzen Sie oft in St. James?“
„Nein, Sir!“
„Ich sollte meinen, es wäre dies ein diesem Ort angemessenes Kompliment.“
„Es ist ein Kompliment, was ich keinem Ort erzeige, wenn ich es vermeiden kann.“
„Sie besitzen vermutlich ein eigenes Haus in der Stadt?“
Darcy bejahte durch eine schweigende Verbeugung.
„Ich hatte einst auch die Idee, mich in der Stadt niederzulassen, hauptsächlich der guten Gesellschaft wegen; doch gab ich den Gedanken nachher wieder auf, aus Furcht die Luft in London möchte Lady Lucas nicht zusagen.“
Er schwieg in Erwartung einer Antwort. Darcy fühlte sich jedoch nicht aufgelegt, sie zu geben, und als Elizabeth in diesem Augenblick zufällig in seine Nähe kam, erfaßte ihn der Drang, eine Galanterie auszuüben.
„Warum tanzen Sie nicht, liebste Miß Eliza?“ rief er ihr zu. „Mr. Darcy, erlauben Sie mir, Ihnen diese junge Dame als eine vorzügliche Tänzerin zu präsentieren. Einer solchen Schönheit gegenüber können Sie es nicht abschlagen, ein Mal zu tanzen.“ – „Hiermit ergriff er ihre Hand, sie in Darcys zu legen, der, obgleich ungemein erstaunt, dennoch nicht abgeneigt war, sie anzunehmen, als Elizabeth sie rasch zurückziehend, sich mit einigem Unmut zu Sir William wendete: „Sir! Es war keineswegs meine Absicht zu tanzen; und ich muß Sie sehr bitten, von der irrigen Meinung, als ob ich mich nach einem Tänzer umgesehen, zurückzukommen.“
Darcy ersuchte sie mit vielem Anstand um die Ehre ihrer Hand; aber vergebens. Elizabeth beharrte fest auf ihrem Entschluß, trotz Sir Williams dringenden Bitten und seiner Versicherung, daß Mr. Darcy, obgleich im allgemeinen kein Liebhaber des Tanzes, jetzt doch erbötig sei, seine Abneigung auf kurze Zeit zu überwinden.
„Mr. Darcy ist die Höflichkeit selbst“, entgegnete Eliza schalkhaft lächelnd und entfernte sich. Ihre Weigerung hatte den stolzen Mann nicht beleidigt, und er gedachte ihrer eben mit großem Wohlgefallen, als er sich durch Miß Bingley gestört sah.
„Ich glaube den Gegenstand Ihrer Betrachtungen erraten zu können.“
„Das möchte ich fast bezweifeln.“
„Sie denken darüber nach, wie unerträglich es Ihnen sein würde, noch mehrere Abende auf solche Weise, in solcher Gesellschaft zubringen zu müssen. Und ich bin ganz Ihrer Meinung. Ich fühlte mich noch nie so wenig an meinem Platz. Welch ein Lärm und welch eine abgeschmackte Unterhaltung! Überall nichts, und doch ein unerhörtes Wichtigtun! Ich gäbe was drum, Ihr Urteil über dieses alles zu hören.“
„Ihre Vermutungen sind ganz falsch; mein Gemüt war auf das Angenehmste beschäftigt. Ich stellte nämlich Betrachtungen über die Wirkungen an, die ein Paar schöne Augen notwendig in uns hervorbringen müssen.“
Miß Bingley verwunderte sich und äußerte den Wunsch, den Gegenstand solcher tiefen Betrachtungen genauer bezeichnet zu hören, worauf Darcy mit großer Unerschrockenheit erwiderte: „Miß Elizabeth Bennet.“
„Miß Elizabeth Bennet! Ich bin erstaunt. Darf ich fragen, wie lange sie das Glück hat, zu Ihren Lieblingen zu gehören? und welchen Tag Sie zur Annahme der Gratulationen bestimmt haben?“
„Diese Frage konnte ich mir von Ihnen erwarten. Die Einbildungskraft der Damen liebt den raschen Flug; sie bedarf nur weniger Augenblicke, um von der Bewunderung zur Liebe, und von der Liebe zur Heirat überzugehen. Ich wußte, daß Sie mir Glück wünschen würden.“
„Nein, wenn sie die Sache so ernsthaft behandeln, werde ich sie als völlig abgeschlossen betrachten müssen. Sie bekommen eine allerliebste Schwiegermutter, die natürlich immer bei Ihnen in Pemberley leben wird – auch dazu muß man Ihnen Glück wünschen.“
Darcy hörte ihr mit der höchsten Gleichgültigkeit zu, als sie in dieser Art noch eine Zeitlang fortfuhr; und da diese Ruhe sie überzeugte, daß sie nichts zu fürchten habe, ließ sie ihrem Witz freien Lauf.
MR. BENNETS ganzes Vermögen bestand in einer jährlichen Einnahme von zweitausend Pfund, dem Ertrag eines Guts, welches unglücklicherweise für seine fünf Töchter, in Ermangelung männlicher Erben, nach seinem Tode an einen entfernten Verwandten fiel; und der Mutter Vermögen, für ihre Verhältnisse zwar nicht unbedeutend, war jedoch nicht hinreichend, den Mangel des seinigen zu ersetzen. Ihr Vater, ein Advokat in Meryton, hatte ihr viertausend Pfund hinterlassen; ihre Schwester, an einen Mr. Phillips verheiratet, der früher Schreiber bei ihrem Vater gewesen, späterhin in sein Geschäft eingetreten war, lebte nun daselbst und ihr einziger Bruder hatte sich als Kaufmann in London etabliert.
Das Dorf Longbourn war nur eine Meile von Meryton entfernt, und diese geringe Distanz veranlaßte die jungen Damen, wenigstens drei bis vier Mal die Woche einen Besuch bei ihrer Tante Phillips, und in einem, ihrem Hause gegenüberliegenden Kaufladen, abzustatten. Besonders die beiden jüngsten Töchter, Catherine und Lydia versäumten nie, ihr diese Aufmerksamkeit zu erweisen. Nicht aufgelegt, sich mit etwas Ernstem, Nützlichem zu beschäftigen, viel leichtsinniger wie ihre älteren Schwestern, gehörte ein Spaziergang nach Meryton, in Ermanglung etwas Besseren, dazu, ihre müßigen Morgenstunden auszufüllen und ihnen Stoff zur Unterhaltung für den Abend zu gewähren. Und fiel im Ganzen auch nicht viel Neues auf dem Lande vor; so waren sie doch sicher, das wenige von ihrer Tante zu erfahren. Im gegenwärtigen Augenklick eröffnete sich ihnen indes eine reiche Aussicht für Neuigkeiten und Vergnügungen, indem ein Regiment Landwehr für den ganzen Winter in die umliegende Gegend verlegt, und Meryton zum Hauptquartier ernannt worden war. Nun erst gewährten die Besuche bei Mrs. Phillips großes Interesse. Jeder Tag fügte etwas zu ihrer Kenntnis der Namen und Verhältnisse der Offiziere hinzu; die Wohnungen derselben blieben ihnen nicht lange ein Geheimnis und sehr bald lernten sie die Offiziere selbst kennen. Mr. Phillips hatte nicht ermangelt, denselben seine Aufwartung zu machen, welche Höflichkeit seinen Nichten eine Quelle bis jetzt noch nicht geahnter Seligkeit eröffnete. Sie sprachen von nichts als von den Offizieren, und Bingleys großes Vermögen, bei dessen bloßer Erwähnung die Mutter sich begeistert fühlte, erschien ihnen, im Vergleich mit einer Fähnrichsuniform, als ein unbedeutender Gegenstand.
Nachdem Mr. Bennet eines Morgens ihre entzückten Ausbrüche über dieses Lieblingsthema einige Zeit mit angehört hatte, sagte er kaltblütig: „Nach der Art und dem Gegenstand eurer Unterhaltung zu urteilen, müßt ihr die beiden albernsten, einfältigsten Mädchen im ganzen Umkreis sein. Ich habe solche Vermutung längst schon im stillen gehegt, bin aber nun zur vollkommenen Überzeugung gelangt.“
Catherine wurde verlegen und schwieg; Lydia aber fuhr fort, ihr Wohlgefallen an Captain Carter an den Tag zu legen, so wie die Hoffnung, ihn im Lauf des heutigen Tages noch ein Mal zu sehen, da er den anderen Morgen nach London reisen wollte.
„Es setzt mich in Erstaunen“, begann Mrs. Bennet, zu ihrem Gatten gewendet, „daß du so bereit bist, deine Kinder einfältig zu nennen. Ich muß gestehen, wenn ich geneigt wäre, irgend jemandes Kinder dafür zu halten, so wären es doch am wenigsten meine eigenen.“
„Ich hoffe immer ein offenes Auge für die Albernheiten meiner Kinder zu behalten.“
„Sehr wohl, aber wenn sie nun, wie es hier der Fall ist, alle verständig sind?“
„Und wenn ich auch bis jetzt gehofft, in allen Hauptsachen deiner Meinung beitreten zu können, so muß ich doch nun mit Bedauern bemerken, daß unsere Ansichten in diesem Punkt differieren, indem ich unsere beiden jüngsten Töchter für ungewöhnlich töricht erkläre.“
„Liebster Bennet! Du darfst von solchen jungen Dingern nicht die Einsicht des Vaters und der Mutter verlangen. Wenn sie erst in unser Alter kommen, werden sie ebensowenig an die Offiziere denken wie wir. Ich erinnere mich der Zeiten, wo auch mir ein Rotrock sehr wohl gefiel; und wenn ein munterer junger Colonel mit fünf oder sechstausend des Jahres eine meiner Töchter verlangen sollte, würde ich nicht nein sagen. Colonel Forster nahm sich gestern Abend bei Sir William sehr hübsch in der Uniform aus.“
„Mama!“ rief Lydia – „Tante Phillips erzählte mir gestern, daß Colonel Forster und Captain Forster nicht mehr so oft zu Miß Watson gingen, wie im Anfang ihres Hierseins; sie sieht sie jetzt häufig in Clarkes Buchladen.“
Mrs. Bennets Antwort ward durch den Eintritt eines Bedienten aus Netherfield unterbrochen. Er brachte ein Billet von Miß Bingley an Miß Bennet, und sollte Antwort zurückbringen. Der Mutter Augen glänzten vor Freude und Erwartung, und auf ihre wiederholten Fragen las Jane wie folgt:
Liebste Freundin!
Wenn Sie unsere Bitte, heute Mittag mit mir und Louisa zu essen, nicht erfüllen, geraten wir in Gefahr, uns das ganze übrige Leben hindurch anfeinden zu müssen; denn ein zwölfstündiges tête à tête zwischen zwei Schwestern kann nur mit Streit endigen. Kommen Sie daher gleich nach Empfang, dieser Zeilen. Mein Bruder und die anderen Herren essen in Meryton mit den Offizieren.
Ergebenste Caroline Bingley
„Mit den Offizieren!“ rief Lydia, „es wundert mich, daß die Tante uns nichts davon gesagt hat.“
„Die Herren essen nicht zu Hause! Das ist schade!“ bemerkte. Mrs. Bennet.
„Kann ich den Wagen bekommen?“ fragte Jane.
„Nein, Kind! Es ist besser, du reitest, weil es regnerisch aussieht und du dann nicht wieder zurück kannst.“
„Ein feiner Plan!“ rief Elizabeth.
„Als ob Jane nicht darauf rechnen könnte, daß sie sie nach Hause fahren lassen würden.“
„Das geht nicht so leicht; die Herren nehmen wahrscheinlich Bingleys Equipage nach Meryton und Hursts haben keine eigenen Pferde.“
„Ich hätte lieber den Wagen.“
„Aber du kannst ihn nicht bekommen, weil die Pferde auf dem Feld sind.“
„Jane mußte sich zum Reiten bequemen.“
Jane mußte sich also zum Reiten bequemen und die Mutter begleitete sie, unter steten Prophezeiungen baldigen schlechten Wetters, bis an die Tür; und wirklich war sie auch kaum eine Viertelstunde fort, als es stark zu regnen begann. Die Schwestern äußerten sich besorgt wegen ihrer Gesundheit; aber die Mutter freute sich ihres glücklichen Einfalls, besonders als der Regen ununterbrochen anhielt und Janes Zurückkommen unmöglich machte. Doch erst am anderen Morgen sollte sie erfahren, wie über alle Erwartung gut ihre List gelungen war. Die Familie saß eben beim Frühstück, als ein Bote aus Netherfield Eliza folgende Zeilen von ihrer Schwester brachte.
Liebste Lizzy!
Ich befinde mich diesen Morgen sehr unwohl, wahrscheinlich infolge der gestrigen Erkältung. Meine gütigen Freundinnen wollen mich nicht zurücklassen, bis ich vollkommen hergestellt bin, und bestehen darauf, Mr. Jones kommen zu lassen; deshalb beunruhige dich nicht, falls du hören solltest, daß er bei mir gewesen. Ich leide an Kopfschmerzen und bösem Hals, sonst fehlt nichts
deiner Jane.
„Vortrefflich eingerichtet!“, sagte Bennet, nachdem Eliza das Billet vorgelesen, zu seiner Frau. „Wenn Jane nun gefährlich krank werden, oder gar sterben sollte, so hast du doch die Beruhigung, daß dieser aberwitzige Ritt wegen Bingley, und auf deinen Befehl unternommen worden ist.“
„Man stirbt nicht gleich an einer kleinen Erkältung. Sie werden sie schon pflegen, und dort ist sie auf jeden Fall gut aufgehoben. Wenn ich nur den Wagen haben könnte, wollte ich selbst nach ihr sehen.“
Elizabeth war wirklich sehr besorgt und deshalb entschlossen, die Schwester auch ohne Wagen zu besuchen; und da sie keine große Reiterin war, mußte der Weg zu Fuß zurückgelegt werden.
„Wie kannst du so töricht sein, bei solchem Schmutz gehen zu wollen!“ rief die Mutter, nachdem Eliza ihren Vorsatz ausgesprochen. „Du würdest ja in einem Zustand ankommen, daß du dich nicht sehen lassen könntest.“
„Vor Jane werde ich mich auf jeden Fall sehen lassen können, und weiter verlange ich nichts.“
„Lizzy, ist dies ein Wink für mich, nach den Pferden zu schikken?“ fragte der Vater.
„Keineswegs; ich gehe sehr gern zu Fuß, und drei Meilen ist eine unbedeutende Entfernung, wenn man einen Zweck hat. Zu Mittag bin ich wieder zurück.“
„Ich bewundere deine Bereitwilligkeit“, bemerkte Mary – „doch jeder Impuls des Gefühls sollte durch die Vernunft geleitet werden, und nach meiner Meinung muß die Anstrengung doch immer in einer gewissen Übereinstimmung mit der Veranlassung stehen.“
„Wir wollen dich bis Meryton begleiten“, sagten Catherine und Lydia, und letztere fügte noch hinzu: „Wenn wir eilen, können wir Captain Carter vielleicht noch sehen, ehe er abreist.“ Und somit begaben sie sich gleich auf den Weg.
In Meryton trennte sich die kleine Gesellschaft; die jüngeren Schwestern suchten die Frau eines Offiziers auf, und Eliza setzte eiligen Schrittes ihren Weg fort. Mit ungeduldiger Hast durchstrich sie Feld und Wald, sprang über Gräben und Pfützen, und fand sich bald, mit beschmutzten Schuhen, Strümpfen und Unterrock, und mit hochglühenden Wangen vor dem Haus.
Man wies sie ins Frühstückszimmer; die ganze Gesellschaft bis auf Jane war hier versammelt und staunte über ihre Erscheinung. Daß sie so früh am Morgen drei Meilen, allein, bei so schmutzigem Weg zurückgelegt haben sollte, erschien Mrs. Hurst und Miß Bingley fast unglaublich, und Eliza entging es nicht, daß sie deshalb etwas verächtlich auf sie herabblickten; doch war ihr Empfang sehr höflich, und in des Bruders Betragen sprach sich etwas Besseres als bloße Höflichkeit, Gutmütigkeit und Teilnahme aus. Mr. Darcy sagte sehr wenig und Mr. Hurst gar nichts. Ersterer kämpfte zwischen Bewunderung ihrer, durch die Bewegung in freier Luft erhöhten Reize und Unwillen, sich ohne die äußerste Not so weit allein hinausgewagt zu haben. Letzterer war bloß mit seinem Frühstück beschäftigt.
Auf ihre Fragen nach Janes Befinden erhielt sie keine günstige Antwort. Sie hatte schlecht geschlafen, war jetzt zwar außer Bett, aber in einem fieberhaften Zustand und nicht wohl genug, das Zimmer zu verlassen. Elizabeth eilte zu ihr hinauf und fand sich für die Beschwerden des weiten Wegs reichlich durch Janes Freude belohnt; denn nur aus Furcht, den Ihrigen Sorge zu machen, hatte sie das Verlangen nach der Schwester nicht ausgesprochen. Nachdem die ersten Freudensbezeugungen vorüber waren, fühlte sich Jane sehr matt, und konnte der allein zurückgebliebenen Eliza nur mit schwacher Stimme die außerordentliche Güte und Freundlichkeit ihrer Wirtinnen rühmen.
Nach aufgehobenem Frühstück fanden sich diese wieder bei der Kranken ein, und als Eliza nun selbst sah, wie sorgsam und liebevoll sie um ihre Schwester bemüht waren, begannen mildere Gesinnungen dem früheren Widerwillen Platz zu machen. Der Arzt kam, fand die Patientin von einem Erkältungsfieber befallen, verordnete Arznei und Ruhe, und riet ihr, sich wieder zu Bett zu legen, da sie an heftigen Kopfschmerzen litt. Elizabeth verließ das Krankenzimmer keinen Augenblick, und auch die anderen Damen entfernten sich nur selten, da die Herren abwesend waren, und sie also unten nichts zu versäumen hatten.
„Der Arzt kam.“
Um drei Uhr machte sich Elizabeth mit innerem Widerstreben zum Aufbruch bereit. Miß Bingley bot ihr höflich den Wagen an, den sie anzunehmen eben im Begriff stand, als Jane ihr Bedauern, sich von der Schwester zu trennen, so laut äußerte, daß sich Miß Bingley genötigt sah, das Anerbieten, sie zurückfahren zu lassen, in die Einladung, fürs erste in Netherfield zu bleiben, zu verwandeln. Elizabeth nahm sie dankbar an und ein Bote ward augenblicklich nach Longbourn gesandt, ihr Ausbleiben zu melden, und die notwendigsten Kleidungsstücke mit zurückzubringen.
UM fünf Uhr entfernten sich die Damen, Toilette zu machen, und einige Zeit darauf ward Elizabeth zum Mittagsessen gerufen. Bingleys Besorgnis über Janes Befinden konnte sie durch ihre Berichte nicht vermindern; der Zustand war noch derselbe wie am Morgen. Die Schwestern wiederholten einigemal, wie sehr sie sie bedauerten, wie unerträglich eine Erkältung sei, wie ungern sie selbst krank wären und dann dachten sie nicht mehr daran. Elizabeth sah jetzt deutlich, daß nur Janes unmittelbare Nähe ihre Freundlichkeit und Teilnahme zu erregen imstande war, und diese Bemerkung berechtigte sie, zum früheren Urteil zurückzukehren. Der Bruder war der einzige in der ganzen Gesellschaft, den sie mit wohlwollenden Blicken betrachtete. Seine Angst um Jane war augenscheinlich, und die zarten Aufmerksamkeiten, die er ihr bei jeder Gelegenheit zu beweisen strebte, drängten das unangenehme Gefühl, sich als eine Überlästige zu betrachten, (wofür sie die anderen unfehlbar hielten) einigermaßen wieder zurück. Von ihm allein sah sie sich bemerkt. Miß Bingley und ihre Schwestern waren mit Darcy beschäftigt; Hurst, ihr Tischnachbar, ein indolenter Mensch, der nur essen, trinken und Karten spielen konnte, wußte nichts mit ihr zu sprechen, nachdem er gesehen, daß sie einer einfachen Schüssel den Vorzug vor einem köstlichen Ragout gegeben.
Nach dem Essen kehrte sie gleich zu Jane zurück und Miß Bingley benutzte ihre Abwesenheit, um schonungslos über sie herzufallen. Sie nannte ihr Benehmen roh und ungebildet, ihr Wesen halb stolz, halb impertinent; sie sprach ihr die Gabe der Unterhaltung ganz ab, und fand, daß sie weder Ausdruck, Geschmack noch Schönheit besitze. Mrs. Hurst war derselben Meinung und fügte noch hinzu: „Kurz, sie hat nichts Empfehlendes als den Vorzug, eine vortreffliche Fußgängerin zu sein. Ich werde ihren Aufzug von diesem Morgen nie vergessen. Sie sah ordentlich wild aus.“
„Das fand ich auch und hatte Mühe, mich des Lachens zu erwehren. Wahrer Unsinn, so weit daherzulaufen, weil ihre Schwester sich erkältet hat! Und wie zerzaust und chiffoniert waren ihre Haare!“
„Ja, und ihr Unterrock! Ich hoffe, du sahst die sechs Zoll lange Schmutzkante daran. Das Kleid war nicht lang genug, diesen Makel zu verdecken.“
„Deine Beschreibung mag allerdings sehr treu sein, liebe Louisa!“ sagte Bingley, „aber alle diese Dinge sind an mir vorübergegangen. Ich fand Miß Elizabeth Bennet ungewöhnlich
hübsch aussehend, als sie diesen Morgen ins Zimmer trat. Ihr schmutziger Unterrock entging meinen Blicken gänzlich.“
„Sie bemerkten ihn gewiß, Mr. Darcy!“ sagte Miß Bingley; „ich bin überzeugt, Sie werden nie wünschen, Ihre Schwester so auftreten zu sehen.“
„Gewiß nicht.“
„Drei Meilen, oder gar vier oder fünf Meilen bis an die Knöchel im Schmutz zu gehen, und allein, ganz allein! Was kann sie sich nur dabei gedacht haben? In diesem Betragen spricht sich eine unerträgliche Art erkünstelter Gleichgültigkeit, eine wahrhaft dorfmäßige Verachtung des Dekorums aus.“
„Ich sah darin nur eine aufopfernde Liebe für ihre Schwester“, entgegnete Bingley.
„Mr. Darcy, fast muß ich befürchten, daß dieses Abenteuer Ihrer Bewunderung der schönen Augen Miß Bennets Schaden getan.“
„Keineswegs. Ich fand sie im Gegenteil noch schöner und lebendiger durch den raschen Gang.“ – Es erfolgte eine kleine Pause.
„Ich fühle mich sehr zu Jane gezogen“, begann Mrs. Hurst wieder – „sie ist wirklich ein liebes, gutes Mädchen, und ich wünsche von Herzen, sie anständig versorgt zu sehen. Doch bei solchen Eltern und solcher gemeinen Verwandtschaft ist die Aussicht hierzu sehr gering.“
„Ich meinte von dir gehört zu haben, daß ihr Onkel als Advokat in Meryton lebt“, sagte Bingley.
„Ja, und sie haben noch einen Onkel, der irgendwo in der Nähe von Cheapside wohnt.“
„Das ist göttlich!“ rief die Schwester und beide lachten laut auf.
„Und wenn sie der Onkels so viele hätten, ganz Cheapside damit zu bevölkern“, sagte Bingley, „so macht dieser Umstand Jane auch nicht um ein Tüttelchen weniger liebenswürdig.“
„Aber er trägt doch dazu bei, ihre Aussicht auf eine Verbindung mit einem Mann von Ansehen und Bedeutung zu verringern“, bemerkte Darcy.
Bingley schwieg; seine Schwestern hingegen stimmten ihm von ganzem Herzen bei und erschöpften sich in Witz und Spott über die gemeine Verwandtschaft ihrer lieben Freundin. Dieser kleine Angriff hinter ihrem Rücken hinderte sie jedoch nicht, nach dem Essen mit erneuerter Zärtlichkeit zu Jane zurückzukehren, und bei ihr zu bleiben, bis sie zum Kaffee gerufen wurden. Die Kranke befand sich fortwährend sehr leidend, und Elizabeth verließ sie nicht eher, bis sie am Abend in einen sanften Schlaf gefallen, ihren Beistand entbehren konnte. Nun erforderte die Höflichkeit, herunter zu kommen. Sie fand die Gesellschaft am Spieltisch beschäftigt und ward sogleich aufgefordert, teil daran zu nehmen; doch in der Voraussetzung eines hohen, ihre Kasse übersteigenden Spiels lehnte sie es, unter dem Vorwand, wegen ihrer Schwester nicht lange unten verweilen zu können, ab und versicherte, sich die Zeit mit einem Buch vertreiben zu wollen. Hurst sah sie mit nicht geringem Erstaunen an und fragte: „Ziehen Sie wirklich das Lesen dem Kartenspiel vor? Das wäre doch in der Tat höchst sonderbar.“
„Miß Eliza Bennet“, nahm Caroline das Wort, „verachtet die Karten. Sie ist eine große Freundin der Lektüre und findet nur an Büchern Freude.“
„Ich verdiene weder dieses Lob, noch diesen Tadel, indem ich keine eifrige Leserin bin, und noch an manchen anderen Dingen Freude finde.“
„Zum Beispiel an dem süßen Geschäft, Ihre liebe Schwester zu pflegen, was hoffentlich nun bald durch Miß Bennets völlige Herstellung beendigt sein wird“, sagte Bingley.
Eliza dankte ihm für diesen Wunsch und trat an den Tisch, sich ein Buch auszusuchen. Er erbot sich, ihr noch einige andere zur Auswahl zu holen, und bedauerte, ihretwegen keine größere Sammlung zu besitzen. „Für mich“, fügte er hinzu, „ist sie vollkommen groß genug; denn ich bin ein fauler Mensch und muß gestehen, diese wenigen noch nicht alle gelesen zu haben.“
Elizabeth versicherte, ein passendes gefunden zu haben, und setzte sich in einiger Entfernung von dem Spieltisch damit hin.
Miß Bingley benutzte diese Gelegenheit, Darcys herrlicher und vollständiger Büchersammlung in Pemberley zu erwähnen, und ihm viel Schmeichelhaftes über seine ästhetischen Sinn so wie über seinen Geschmack zu sagen. Sie pries Pemperley als das Paradies von Derbyshire und forderte ihren Bruder auf, sich in dieser Gegend anzukaufen, und des Freundes Besitztum als Modell zu nehmen.
Elizabeths Aufmerksamkeit ward durch den Gegenstand der Unterhaltung so sehr in Anspruch genommen, daß sie nicht im Zusammenhang bleiben konnte; deshalb legte sie ihr Buch beiseite und setzte sich zwischen Bingley und seiner ältesten Schwester an den Spieltisch, das Spiel zu beobachten.
„Ist Miß Darcy noch gewachsen, seit ich sie zuletzt gesehen? Ist sie wohl so groß wie ich?“
„Sie ist ungefähr in Miß Elizabeth Bennets Größe, oder vielleicht noch etwas größer.“
„Wie sehne ich mich danach, sie wiederzusehen. Noch nie hat mich ein weibliches Wesen so angezogen. Welche Lieblichkeit der Züge, welche Anmut der Bewegungen, und wie talentvoll für ihr Alter! Ihre Fertigkeit auf dem Klavier ist außerordentlich.“
„Ich wundere mich nur, wo die jungen Damen die Geduld hernehmen, so vollkommen und gebildet zu sein, wie sie doch alle sind.”
„Alle? Lieber Charles, was denkst du?“
„Je nun, ich halte sie alle dafür. Da gibt es keine, die nicht auf Holz zu malen, Teppiche zu nähen oder Geldbörsen zu häkeln versteht, und noch mehr andere Vollkommenheiten besitzt. Und nie hört man zuerst von einer jungen Dame sprechen, ohne zu erfahren, daß sie sehr gebildet, und voller Talente ist.“
„Im allgemeinen magst du Recht haben“, sagte Darcy, „aber das Wort gebildet wird nur zu oft mißbraucht und manchem weiblichen Wesen beigelegt, was in der Tat nichts weiter versteht, als auf Holz zu malen und Geldbörsen zu arbeiten. Ich kann mich nicht rühmen, mehr als höchstens sechs junge Damen zu kennen, die es verdienen, gebildet genannt zu werden.“
„Ich auch nicht“, sagte Miß Bingley.
„Dann“, bemerkte Elizabeth, „machen Sie wohl sehr große Ansprüche an weibliche Bildung.“
„Ich fordere allerdings viel.“
„O gewiß!“, rief Miß Bingley, sein getreuer Beistand. „Niemand kann für wahrhaft gebildet erklärt werden, der nicht das Gewöhnliche weit übertrifft. Eine junge Dame von Bildung muß eine gründliche Kenntnis der Musik besitzen, im Zeichnen, Tanzen und allen lebenden Sprache bewandert sein, und sich außerdem noch durch ein gewisses Etwas in ihrem Wesen, Gang, Ton der Stimme, in ihren Bewegungen und Ausdrücken auszeichnen, ohne welches sie den ehrenvollen Beinamen nur halb verdienen würde.“
„Und fügen wir zu allem schon genannten“, sagte Darcy, „noch einige wesentliche, gediegene Eigenschaften hinzu; so ist die Bildung vollkommen.“
„Ich wundere mich nun nicht mehr, daß Sie nur sechs solcher weiblichen Vollkommenheiten in Ihrer Bekanntschaft zählen“, sagte Elizabeth. „Es sollte mir schwer werden, eine einzige aufzuweisen.“
„Sind Sie so streng gegen Ihr eigenes Geschlecht, um die Möglichkeit solcher Vereinigung zu bezweifeln?“
„Mir ist noch kein weibliches Wesen vor gekommen, das solche Kenntnisse, Talente und gründliches Wissen mit so viel Geschmack und Eleganz verbunden hätte.“
Mrs. Hurst und Miß Bingley erhoben sich laut gegen die Ungerechtigkeit ihres Zweifels, und versicherten beide, mehrere dieser Beschreibung entsprechende junge Damen zu kennen. Hurst unterbrach endlich das Gespräch durch gerechte Klagen über die Unaufmerksamkeit seiner Mitspieler, und so kehrten die Spieler sämtlich zu ihren Karten zurück, Eliza aber zu ihrer kranken Schwester.
„Miß Bennet“, bemerkte Caroline, sobald sie das Zimmer verlassen, „gehört zu den jungen Damen, die sich bei dem anderen Geschlecht durch Herabsetzung ihres eigenen zu empfehlen suchen, welcher Kunstgriff allerdings bei manchen Männern anschlägt. Nach meiner Ansicht, jedoch eine armselige List, ein gemeiner Kunstgriff.“
„So möchte ich“, entgegnete Darcy, dem die Bemerkung hauptsächlich galt, „jede geflissentliche Bemühung zu gefallen nennen. Alle List ist verächtlich.“