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Jane Austen.

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Beschreibung

"Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau." - Dieser berühmte Satz steht am Anfang eines Romans, der zu den erfolgreichsten Liebesgeschichten der Weltliteratur gehört. Eine gehörige Portion "Stolz" muss abgelegt und so manches "Vorurteil" aus dem Weg geräumt werden, bis Elizabeth und Mr. Darcy endlich ein Paar werden.

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Jane Austen

Stolz undVorurteil

Roman

Aus dem Englischen übersetzt vonUrsula und Christian Grawe

Nachwort und Anmerkungenvon Christian Grawe

Reclam

Englischer Originaltitel:Pride and Prejudice

1977, 2015 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 DitzingenCovergestaltung: Anja Grimm Gestaltung, Hamburg, unter Verwendung eines Farbkupferstichs »Rosa gallica aurelianensis – La Duchesse d’Orléans« von Langlois nach Pierre-Joseph Redouté (1759–1840). akg-imagesGesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 DitzingenMade in Germany 2021RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartISBN 978-3-15-960983-6ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020408-5

www.reclam.de

Kapitel 1

Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass ein alleinstehender Mann im Besitz eines hübschen Vermögens angeblich nichts dringender braucht als eine Frau.

Zwar sind die Gefühle oder Ansichten eines solchen Mannes bei seinem Zuzug in eine neue Gegend meist unbekannt, aber diese Wahrheit sitzt in den Köpfen der ansässigen Familien so fest, dass er gleich als das rechtmäßige Eigentum der einen oder anderen ihrer Töchter gilt.

»Mein lieber Mr. Bennet«,1 sagte seine Gemahlin eines Tages zu ihm, »hast du schon gehört, dass Netherfield Park endlich vermietet ist?«

Das habe er nicht, antwortete Mr. Bennet.

»Doch, doch«, erwiderte sie, »Mrs. Long war nämlich gerade hier und hat es mir lang und breit erzählt.«

Mr. Bennet gab keine Antwort.

»Willst du denn gar nicht wissen, an wen?«, rief seine Frau ungeduldig.

»Du willst es mir erzählen; ich habe nichts dagegen, es mir anzuhören.«

Das genügte ihr als Aufforderung.

»Stell dir vor, mein Lieber, Mrs. Long sagt, dass ein junger Mann aus dem Norden Englands mit großem Vermögen Netherfield gemietet hat; dass er am Montag in einem Vierspänner heruntergekommen ist, um sich den Besitz anzusehen, und so entzückt war, dass er mit Mr. Morris sofort einig geworden ist; noch vor Oktober will er angeblich einziehen, und ein Teil seiner Dienerschaft soll schon Ende nächster Woche im Haus sein.«

»Wie heißt er denn?«

»Bingley.«

»Ist er verheiratet oder ledig?«

»Na, ledig natürlich! Ein Junggeselle mit großem Vermögen; vier- oder fünftausend pro Jahr. Ist das nicht schön für unsere Mädchen!«

»Wieso? Was hat das mit ihnen zu tun?«

»Mein lieber Mr. Bennet«, erwiderte seine Frau. »Wie kannst du nur so schwerfällig sein! Du musst dir doch denken können, dass er eine von ihnen heiraten soll.«

»Ist er deshalb hierhergezogen?«

»Deshalb! Unsinn, wie kannst du nur so etwas sagen! Aber es könnte doch gut sein, dass er sich in eine von ihnen verliebt, und darum musst du ihm einen Antrittsbesuch machen, sobald er kommt.«

»Dazu sehe ich gar keine Veranlassung. Warum gehst du nicht mit den Mädchen hin, oder besser noch, schick sie allein, sonst wirft Mr. Bingley noch ein Auge auf dich; so hübsch wie sie bist du allemal.«

»Du schmeichelst mir, mein Lieber. Meine Schönheit – das war einmal, aber jetzt halte ich mir darauf nicht mehr viel zugute. Wenn eine Frau fünf erwachsene Töchter hat, sollte sie nicht mehr von ihrer eigenen Schönheit reden.«

»In solchen Fällen ist ihre Schönheit oft auch nicht mehr der Rede wert.«

»Trotzdem, mein Lieber, du musst unbedingt Mr. Bingley besuchen, wenn er eingezogen ist.«

»Das ist mehr, als ich versprechen kann.«

»Aber denk doch an deine Töchter. Was für eine Partie wäre das für eine von ihnen. Sogar Sir William und Lady Lucas wollen bei ihm vorsprechen, und zwar nur deshalb, denn im Allgemeinen machen sie neuen Nachbarn ja keine Besuche. Du musst einfach hingehen. Wie können wir ihn denn besuchen, wenn du nicht gehst.«

»Du hast zu viele Bedenken. Ich bin überzeugt, Mr. Bingley freut sich über euren Besuch. Ich gebe dir ein paar Zeilen mit meiner herzlichen Zustimmung mit, diejenige meiner Töchter zu heiraten, die ihm am besten gefällt. Allerdings muss ich ein gutes Wort für meine kleine Lizzy einlegen.«

»Das wirst du nicht tun. Lizzy ist keinen Deut besser als die anderen; wenn du mich fragst, ist sie bei weitem nicht so hübsch wie Jane und bei weitem nicht so vergnügt wie Lydia. Aber immer ziehst du sie vor.«

»Keine von ihnen ist besonders empfehlenswert«, antwortete er; »sie sind alle genauso albern und dumm wie andere Mädchen. Nur begreift Lizzy etwas schneller als ihre Schwestern.«

»Mr. Bennet, wie kannst du nur über deine eigenen Kinder so abfällig reden! Es macht dir Spaß, mich zu ärgern. Mit meinen armen Nerven hast du wohl gar kein Mitleid.«

»Du missverstehst mich, meine Liebe. Ich habe großen Respekt vor deinen Nerven. Sie und ich sind alte Freunde. Seit mindestens zwanzig Jahren höre ich dich von ihnen mit großer Besorgnis sprechen.«

»Oh, du ahnst ja nicht, was ich durchmache!«

»Ich hoffe, du wirst es überleben und noch viele junge Männer mit viertausend pro Jahr hierherziehen sehen.«

»Da du sie nicht besuchen willst, werden uns auch zwanzig nicht retten.«

»Sei überzeugt, meine Liebe, wenn zwanzig da sind, besuche ich sie einen nach dem anderen.«

In Mr. Bennet vereinigten sich Schlagfertigkeit, sarkastischer Humor, Gelassenheit und kauzige Einfälle zu einer so merkwürdigen Mischung, dass es seiner Frau auch in dreiundzwanzig Ehejahren nicht gelungen war, ihn zu begreifen. Ihr Gemüt war leichter zu durchschauen. Sie war eine Frau von geringer Einsicht, wenig Weltkenntnis und vielen Launen. Wenn sie unzufrieden war, glaubte sie, nervöse Zustände zu haben. Ihre Lebensbeschäftigung war die Verheiratung ihrer Töchter, Besuche und Neuigkeiten waren ihr Lebenstrost.

Kapitel 2

Mr. Bennet war einer der Ersten, die Mr. Bingley ihre Aufwartung machten. Er hatte von Anfang an vorgehabt, ihn aufzusuchen, obwohl er seiner Frau bis zuletzt das Gegenteil versichert hatte; und bis zum Abend nach dem Besuch wusste sie auch nichts davon. Dann aber kam es folgendermaßen ans Licht: Mr. Bennet sah seiner zweiten Tochter beim Annähen eines Hutbandes zu und sagte plötzlich zu ihr:

»Hoffentlich gefällt der Hut Mr. Bingley, Lizzy.«

»Wie sollen wir denn wissen, was Mr. Bingley gefällt«, sagte ihre Mutter pikiert, »wenn wir ihn nicht besuchen dürfen.«

»Aber vergiss nicht, Mama«, sagte Elizabeth, »dass wir ihm in Gesellschaft begegnen werden und Mrs. Long versprochen hat, ihn uns vorzustellen.«

»Mrs. Long wird nichts dergleichen tun. Sie hat selbst zwei Nichten und ist eine egoistische Heuchlerin. Ich halte gar nichts von ihr.«

»Ich auch nicht«, sagte Mr. Bennet, »und wie ich glücklicherweise sagen kann, werdet ihr auf die Gefälligkeit auch nicht angewiesen sein.«

Mrs. Bennet ließ sich zu keiner Antwort herab, aber da sie sich nicht beherrschen konnte, fing sie an, eine ihrer Töchter auszuschimpfen.

»Hör auf zu husten, Kitty, um Himmels willen! Nimm ein bisschen Rücksicht auf meine Nerven. Du trampelst auf ihnen herum.«

»Kittys Husten ist wirklich rücksichtslos«, sagte ihr Vater, »sie hustet zur falschen Zeit.«

»Ich huste ja schließlich nicht zum Vergnügen«, antwortete Kitty ärgerlich.

»Wann ist dein nächster Ball, Lizzy?«

»Morgen in vierzehn Tagen.«

»Ach, richtig«, rief ihre Mutter, »und Mrs. Long kommt erst am Tag vorher zurück, und deshalb kann sie ihn uns auch nicht vorstellen, denn sie kennt ihn selbst noch nicht.«

»Dann, meine Liebe, wirst du deiner Freundin zuvorkommen und das Vergnügen haben, Mr. Bingley ihr vorzustellen.«

»Ausgeschlossen, Mr. Bennet, ausgeschlossen, wenn ich ihn doch selbst nicht kenne. Du willst uns auf den Arm nehmen.«

»Deine Umsicht ehrt dich. Eine vierzehntägige Bekanntschaft ist natürlich nicht viel. Nach vierzehn Tagen kennt man einen Menschen ja kaum. Aber wenn wir es nicht wagen, wird es jemand anders tun; schließlich müssen auch Mrs. Long und ihre Nichten ihre Chance wahrnehmen, und deshalb wäre sie dir für diesen Liebesdienst sicher dankbar. Wenn du es also ablehnst, werde ich es in die Hand nehmen.«

Die Mädchen starrten ihren Vater an. Mrs. Bennet sagte nur: »Unsinn, Unsinn!«

»Darf ich auch den Sinn dieser so entschiedenen Ablehnung erfahren?«, rief er. »Hältst du die gesellschaftlichen Umgangsformen für Unsinn? Legst du gar keinen Wert auf eine korrekte Vorstellung? Da kann ich dir nicht ganz zustimmen. Was meinst du, Mary? Du bist doch eine grundgescheite junge Dame, liest gewichtige Bücher und machst dir Auszüge daraus.«

Mary hätte gerne etwas Tiefsinniges gesagt, aber es fiel ihr nichts ein.

»Wir wollen«, fuhr er fort, »während Mary ihre Gedanken zurechtlegt, zu Mr. Bingley zurückkehren.«

»Ich habe genug von Mr. Bingley!«, rief seine Frau.

»Das zu hören, bedaure ich. Aber warum hast du mir das nicht vorher gesagt? Wenn ich das heute Vormittag gewusst hätte, hätte ich ihm meine Aufwartung gar nicht erst gemacht. Eine unglückliche Situation, aber da ich ihn nun schon einmal aufgesucht habe, lässt sich die Bekanntschaft nicht mehr umgehen.«

Das Erstaunen der Damen war ganz nach seinem Wunsch. Mrs. Bennets Überraschung war vielleicht am größten, aber als der erste Freudentaumel vorüber war, erklärte sie, genau das habe sie die ganze Zeit erwartet.

»Wie nett von dir, mein lieber Mr. Bennet. Aber ich wusste, ich würde dich zu guter Letzt herumkriegen. Ich habe mir gleich gedacht, dass du deine Töchter zu sehr liebst, um dir solche Bekanntschaft entgehen zu lassen. Nein, wie mich das freut! Und es ist ein köstlicher Witz, dass du heute Vormittag hingegangen bist und uns bis eben nichts davon gesagt hast.«

»Jetzt kannst du so viel husten, wie du willst, Kitty«, sagte Mr. Bennet und, erschöpft von den Gefühlsausbrüchen seiner Frau, verließ er mit diesen Worten das Zimmer.

»Was habt ihr doch für einen großartigen Vater, ihr Mädchen!«, sagte sie, als die Tür wieder geschlossen war. »Ich weiß gar nicht, wie ihr ihm seine Fürsorge je vergelten wollt – von meiner ganz zu schweigen. In unserem Alter ist es weiß Gott kein Vergnügen, jeden Tag neue Bekanntschaften zu machen; aber für euch tun wir ja alles. Lydia, mein Kind, du bist zwar die Jüngste, aber Mr. Bingley wird bestimmt auf dem nächsten Ball mit dir tanzen.«

»Na und!«, sagte Lydia beherzt, »davor habe ich gar keine Angst; ich bin zwar die Jüngste, aber auch die Größte.«

Den Rest des Abends verbrachten sie mit Überlegungen, wie bald er wohl Mr. Bennets Besuch erwidern würde und wann sie ihn zum Essen einladen sollten.

Kapitel 3

Trotz aller Fragen, die Mrs. Bennet mit Unterstützung ihrer fünf Töchter zu diesem Thema stellte, ließ sich ihr Mann keine befriedigende Beschreibung von Mr. Bingley entlocken. Dabei versuchten sie es mit allen Mitteln: Sie überfielen ihn mit unverhohlenen Fragen, mit listigen Unterstellungen und mit weit hergeholten Vermutungen. Aber er ließ sich trotz all ihrer Geschicklichkeit nicht in die Falle locken, und so mussten sie zu guter Letzt dankbar für die Informationen aus zweiter Hand sein, die ihnen ihre Nachbarin, Lady Lucas, gab. Ihr Bericht fiel ausgesprochen günstig aus. Sir William war entzückt von Mr. Bingley gewesen. Er war jung, sah hinreißend aus, war äußerst umgänglich, und, um allem die Krone aufzusetzen, er hatte vor, zum nächsten Ball mit großer Gesellschaft zu kommen. Nichts hätte vielversprechender sein können. Gerne tanzen hieß schon halb verliebt sein; und so machte man sich lebhafte Hoffnungen, Mr. Bingleys Herz zu erobern.

»Wenn ich es nur erleben darf, dass eine meiner Töchter ihr Glück in Netherfield macht und die anderen ebenso gut verheiratet sind«, sagte Mrs. Bennet zu ihrem Mann, »dann bin ich wunschlos glücklich.«

Ein paar Tage später erwiderte Mr. Bingley Mr. Bennets Besuch und saß ungefähr zehn Minuten2 mit ihm in seiner Bibliothek. Er hatte die Hoffnung gehegt, auch einen Blick auf die jungen Damen werfen zu dürfen, von deren Schönheit er schon so viel gehört hatte – aber er sah nur den Vater. Die Damen waren etwas glücklicher, denn sie konnten immerhin von einem Fenster im ersten Stock aus erkennen, dass er eine blaue Jacke3 trug und auf einem schwarzen Pferd ritt.

Eine Einladung zum Essen wurde bald darauf abgeschickt, und schon hatte Mrs. Bennet die Gänge geplant, die ihren Kochkünsten zur Ehre gereichen sollten, als eine Antwort eintraf, die alles hinausschob. Mr. Bingley hatte leider für den nächsten Tag eine Verpflichtung in London und konnte infolgedessen der Ehre ihrer Einladung nicht Folge leisten et cetera. Mrs. Bennet war sehr beunruhigt. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, was er wohl so kurz nach seiner Ankunft in Hertfordshire bereits in London zu tun haben könne, und hatte schon Befürchtungen, er werde nun in der Weltgeschichte herumschwirren, anstatt sich in Netherfield anzusiedeln, wie es sich gehörte. Lady Lucas dämpfte ihre Sorge etwas; sie brachte den Gedanken auf, er sei vielleicht nur nach London gefahren, um eine größere Gesellschaft zu dem Ball abzuholen; und bald folgte auch ein Bericht, dem zufolge Mr. Bingley zwölf Damen und sieben Herren mitbringen wollte. Von der Überzahl der Damen waren die Mädchen nicht begeistert, aber sie wurden am Tag vor dem Ball mit der Nachricht getröstet, er werde statt zwölf nur sechs Damen mitbringen – seine fünf Schwestern und eine Cousine. Und als die Gesellschaft den Ballsaal endlich betrat, bestand sie insgesamt nur aus fünf Personen – Mr. Bingley, seinen beiden Schwestern, dem Mann der älteren und einem anderen jungen Mann.

Mr. Bingley sah gut aus und trat wie ein Gentleman auf; er hatte gewinnende Züge und ein offenes natürliches Benehmen. Seine Schwestern waren vornehme Damen von ausgesprochen modischer Erscheinung. Sein Schwager, Mr. Hurst, sah wie ein Gentleman aus, aber das war auch alles. Sein Freund Mr. Darcy hingegen zog schnell die Aufmerksamkeit des Saales auf sich durch seine schlanke, große Gestalt, seine angenehmen Züge, seinen vornehmen Ausdruck und durch das Gerücht, das schon fünf Minuten nach seinem Eintritt in Umlauf war, er habe Einnahmen von zehntausend pro Jahr. Die Herren nannten ihn einen prächtigen Burschen, und die Damen waren sich einig, dass er wesentlich besser aussah als Mr. Bingley. Während der ersten Hälfte des Abends wurde er sehr bewundert, aber dann rief sein Benehmen Empörung hervor, welche die Woge seiner Beliebtheit abflauen ließ; man fand nämlich heraus, dass er stolz war, erhaben über die anwesende Gesellschaft und über die ihm erwiesene Freundlichkeit. Und nicht einmal sein riesiger Besitz in Derbyshire konnte ihn nun davor retten, abstoßende, widerliche Züge zu haben und seinem Freund nicht das Wasser reichen zu können.

Mr. Bingley hatte sich schnell mit allen wichtigen Leuten im Saal bekanntgemacht. Er war lebhaft und zugänglich, tanzte jeden Tanz, ärgerte sich, dass der Ball so früh zu Ende ging, und spielte mit dem Gedanken an einen eigenen Ball bei sich in Netherfield. Solche liebenswerten Eigenschaften sprachen für sich. Welch ein Unterschied zwischen ihm und seinem Freund! Mr. Darcy tanzte nur einmal mit Mrs. Hurst und einmal mit Miss Bingley, wollte keiner anderen Dame vorgestellt werden und verbrachte den Rest des Abends damit, im Saal umherzugehen und sich gelegentlich mit seinen Freunden zu unterhalten. Über seinen Charakter war das Urteil gefällt: Er war der hochmütigste, unangenehmste Mann der Welt, und alle hofften, er werde nie wieder an einem Fest teilnehmen. Ganz besonders heftig war Mrs. Bennet gegen ihn eingenommen. Er hatte eine ihrer Töchter geringschätzig behandelt, und deshalb steigerte sich ihre Abneigung gegen sein Benehmen im Allgemeinen zu ganz besonderem Widerwillen.

Wegen der Knappheit an Männern war Elizabeth gezwungen gewesen, zwei Tänze lang sitzen zu bleiben. Einige Zeit stand dabei Mr. Darcy so nahe bei ihr, dass sie eine Unterhaltung zwischen ihm und Mr. Bingley mithören konnte, der ein paar Minuten vom Tanzen herübergekommen war,4 um auch seinen Freund dazu zu bewegen.

»Komm, Darcy«, sagte er, »ich finde, du musst tanzen. Ich kann es nicht leiden, wenn du so albern allein herumstehst. Du solltest wirklich lieber tanzen.«

»Das werde ich bestimmt nicht tun. Du weißt ja, wie schrecklich ich es finde, wenn ich meine Partnerin nicht gut kenne. Auf solch einem Fest wäre es mir ganz unerträglich. Deine Schwestern tanzen schon, und sonst gibt es keine Frau in diesem Saal, die aufzufordern nicht eine Strafe wäre.«

»Sei doch bloß nicht so wählerisch«, rief Bingley, »noch nie in meinem Leben habe ich so viele nette Mädchen getroffen wie heute Abend, Ehrenwort! Und einige von ihnen sind ausgesprochen hübsch.«

»Du tanzt mit dem einzigen hübschen Mädchen im Saal«, sagte Mr. Darcy, indem er der ältesten der Bennet-Schwestern nachsah.

»Ja, sie ist das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe. Aber eine ihrer Schwestern sitzt gerade hinter dir; sie ist doch auch sehr hübsch und obendrein sehr nett. Komm, meine Partnerin kann dich ihr vorstellen.«

»Welche meinst du?« Und er drehte sich zu Elizabeth um und sah sie an, bis er ihren Blick auffing. Dann sah er weg und sagte ungerührt: »Sie ist ganz passabel, aber nicht hübsch genug, um mich zu reizen. Im Übrigen habe ich gerade keine Lust, mit Mädchen zu tanzen, die andere Männer haben sitzenlassen. Geh lieber zurück zu deiner Tänzerin und labe dich an ihrem Lächeln. Mit mir verschwendest du deine Zeit.«

Mr. Bingley folgte seinem Rat. Auch Mr. Darcy ging weg, und Elizabeth blieb mit nicht gerade warmherzigen Gefühlen ihm gegenüber zurück. Trotzdem erzählte sie die Geschichte sehr anschaulich ihren Freundinnen, denn sie hatte einen ausgeprägten Sinn für komische Situationen.

Der Abend ging für die ganze Familie vergnügt zu Ende. Mrs. Bennet freute sich über die Bewunderung der Gesellschaft von Netherfield für ihre älteste Tochter. Mr. Bingley hatte sogar zweimal mit ihr getanzt, und von seinen Schwestern war sie sehr zuvorkommend behandelt worden. Jane freute sich darüber genauso sehr wie ihre Mutter, wenn auch mit mehr Zurückhaltung. Elizabeth nahm an Janes Freude teil. Mary hatte gehört, wie sie Miss Bingley gegenüber als das gebildetste Mädchen der ganzen Gegend bezeichnet wurde. Und Catherine und Lydia waren zum Glück während des ganzen Abends nicht einmal sitzengeblieben; mehr erwarteten sie bisher von einem Ball auch nicht. Alle kehrten deshalb in guter Laune zurück nach Longbourn, in das Dorf, wo sie als angesehenste Familie wohnten. Sie fanden Mr. Bennet noch auf. Mit einem Buch verging ihm die Zeit wie im Flug, und heute war sogar er neugierig auf die Ereignisse des Abends, der so großartige Erwartungen ausgelöst hatte. Er hatte eigentlich gehofft, der Neuankömmling werde für seine Frau eine Enttäuschung sein, aber er merkte bald, dass das Gegenteil der Fall war.

»Oh, mein lieber Mr. Bennet«, sagte sie beim Eintreten, »wir haben einen ganz reizenden Abend verbracht, es war ein ganz großartiges Fest. Wärst du nur dabei gewesen! Jane ist so bewundert worden, ganz unvergleichlich. Alle waren von ihrer Schönheit angetan, ganz besonders Mr. Bingley. Er hat zweimal mit ihr getanzt. Stell dir vor, mein Lieber, er hat tatsächlich zweimal mit ihr getanzt. Und sie war die Einzige im Saal, die er zweimal aufgefordert hat. Zuerst bat er Miss Lucas. Ich war so ärgerlich, als er sie aufforderte. Aber er fand sie überhaupt nicht anziehend; na ja, wer tut das schon. Aber von Jane war er ganz hingerissen, als er sie tanzen sah. Er fragte also, wer sie sei, wurde ihr vorgestellt und bat sie um die beiden nächsten Tänze. Die beiden dritten tanzte er mit Miss King und die beiden vierten mit Maria Lucas, und die beiden fünften wieder mit Jane, und die beiden sechsten mit Lizzy, und die sieb…«

»Wenn er etwas Mitleid mit mir gehabt hätte«, rief ihr Mann ungeduldig, »hätte er nicht halb so viel getanzt. Um Gottes willen, kein Wort mehr von seinen Partnerinnen. Hätte er sich nur beim ersten Tanz den Fuß verstaucht!«

»Oh, mein Lieber«, fuhr Mrs. Bennet fort, »ich bin entzückt von ihm. Er sieht ungewöhnlich gut aus, und seine Schwestern sind so charmant. Ich habe im Leben nichts Eleganteres als ihre Kleider gesehen. Ich bin sicher, die Spitze an Mrs. Hursts Kleid …«

Hier wurde sie wieder unterbrochen. Mr. Bennet verbat sich jede Beschreibung von weiblichem Putz. Sie sah sich deshalb gezwungen, das Thema von einer anderen Seite anzugehen, und erzählte mit viel Bitterkeit und allerlei Übertreibung vom haarsträubenden Benehmen Mr. Darcys.

»Aber ich sage dir«, fuhr sie fort, »es kann Lizzy ganz gleich sein, wenn sie seinen Ansprüchen nicht genügt, denn er ist ein widerlicher, abstoßender Mann, um den man sich gar nicht zu bemühen braucht. So hochnäsig und so eingebildet, es war nicht auszuhalten. Er stolzierte hierhin und dorthin und fand sich ganz unwiderstehlich. Dabei ist er nicht einmal zum Tanzen hübsch genug. Wärst du nur dabei gewesen, mein Lieber, du hättest ihm schon einen Dämpfer verpasst. Ich verabscheue ihn.«

Kapitel 4

Jane war bisher mit ihrem Lob für Mr. Bingley zurückhaltend gewesen, aber als sie mit ihrer Schwester allein war, erzählte sie Elizabeth, wie gut er ihr gefiel.

»Er ist genau, wie ich mir einen jungen Mann vorstelle«, sagte sie, »vernünftig, zugänglich, lebhaft; und so angenehme Umgangsformen sind mir noch nie begegnet – so viel Zwanglosigkeit bei einer so guten Kinderstube!«

»Und obendrein sieht er gut aus«, erwiderte Elizabeth, »auch das ist ja nicht unbedingt ein Nachteil. Es rundet seine Persönlichkeit ab.«

»Als er mich zum zweiten Mal aufforderte, fühlte ich mich sehr geschmeichelt. Ein solches Kompliment hatte ich nicht erwartet.«

»Wirklich nicht? Ich ja, aber da besteht eben ein großer Unterschied zwischen uns. Dich überraschen Komplimente immer, mich nie. Was sollte für ihn wohl näherliegen, als dich zum zweiten Mal aufzufordern? Er musste doch merken, dass du zehnmal so hübsch wie alle anderen Mädchen im Saal bist. Dafür hat seine Galanterie keinen Dank verdient. Ja, er ist unbedingt liebenswürdig, und ich gestatte dir, ihn gern zu haben. Du hast schon Dümmere gemocht.«

»Aber Lizzy!«

»Oh, du fällst im Allgemeinen viel zu leicht auf Leute herein. Ihre Fehler übersiehst du immer. In deinen Augen ist alle Welt liebenswürdig und gut. In meinem ganzen Leben habe ich dich noch von keinem Menschen Schlechtes sagen hören.«

»Ich möchte keinen voreilig verurteilen, aber ich sage immer ehrlich meine Meinung.«

»Ja, das stimmt; und das ist gerade das Wunder. Wie kann jemand mit deinem gesunden Menschenverstand auf die Albernheiten und Dummheiten anderer hereinfallen! Offenheit aus Berechnung kommt oft genug vor – man trifft sie überall. Aber offen zu sein ohne Angeberei oder Hintergedanken, Gutes in jedem zu finden, darin noch zu übertreiben und das Schlechte zu unterschlagen – das bringst nur du fertig. Womöglich findest du auch die Schwestern dieses Mannes sympathisch? Ihre Manieren sind mit seinen jedenfalls nicht zu vergleichen.«

»Natürlich nicht – jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Aber wenn man sich mit ihnen unterhält, gewinnen sie sehr. Miss Bingley soll bei ihrem Bruder wohnen und ihm den Haushalt führen; und ich müsste mich sehr irren, wenn wir an ihr nicht eine sehr charmante Nachbarin haben.«

Elizabeth hörte schweigend zu, war aber nicht überzeugt davon. Das Benehmen der Schwestern auf dem Ball erweckte jedenfalls nicht den Eindruck, als wollten sie allgemeinen Anklang finden; und da Elizabeth mit mehr Beobachtungsgabe und weniger Nachsicht ausgestattet war als ihre Schwester und sich in ihrem Urteil nicht durch eigene Interessen beirren ließ, fanden sie in ihren Augen wenig Gnade. Sie waren zwar vornehme junge Damen, reizend, wenn man ihnen schmeichelte, und umgänglich, wenn ihnen danach zumute war, aber im Grunde stolz und eingebildet. Sie waren ziemlich hübsch, erzogen in einer der besten Mädchenschulen Londons, hatten ein Vermögen von 20 000 Pfund, gaben mehr aus als nötig, gingen gern mit Leuten von Rang um und hatten deshalb in jeder Hinsicht das Recht, viel von sich und wenig von anderen zu halten. Sie stammten aus einer angesehenen Familie im Norden Englands, und dieser Umstand hatte sich ihrem Gedächtnis tiefer eingeprägt, als dass ihr Vermögen und das ihres Bruders durch Geschäfte zusammengekommen war.

Mr. Bingley hatte ein Vermögen von beinahe 100000 Pfund von seinem Vater geerbt, der eigentlich einen größeren Herrensitz hatte erwerben wollen, aber durch seinen Tod daran gehindert worden war. Auch Mr. Bingley hatte dies vor und suchte hin und wieder nach einer geeigneten Gegend dafür; aber da er nun mit einem angemessenen Haus versorgt war und die Freiheit des damit zusammenhängenden Jagdrechts genoss, fragten sich viele, die seine Unbeschwertheit am besten kannten, ob er nicht den Rest seines Lebens in Netherfield verbringen und den Kauf der nächsten Generation überlassen würde.

Seine Schwestern wollten unbedingt, dass er einen großen Besitz sein Eigen nannte. Aber obwohl er sich jetzt nur als Pächter angesiedelt hatte, war Miss Bingley durchaus gewillt, an seiner Tafel die Rolle der Hausherrin zu übernehmen, und auch Mrs. Hurst, die eher einen Mann von Mode als von Vermögen geheiratet hatte, war nicht abgeneigt, sein Haus als ihres zu betrachten, wann immer sie Lust dazu verspürte. Mr. Bingley war erst knapp zwei Jahre volljährig, als er durch eine zufällige Empfehlung dazu verleitet wurde, sich Netherfield anzusehen. Er sah sich den Besitz an, eine halbe Stunde lang auch von innen, war angetan von der Lage und den Wohnräumen, einverstanden mit dem, was der Besitzer zu seinem Lob vorbrachte, und nahm ihn sofort.

Zwischen ihm und Darcy bestand trotz des großen Gegensatzes ihrer Charaktere eine sehr feste Freundschaft. Seine Ungezwungenheit, Offenheit und Anpassungsfähigkeit zogen Bingley zu Darcy hin, obgleich dessen Anlagen keinen größeren Kontrast zu seinen eigenen bilden konnten, mit denen er doch nie unzufrieden schien. Zu Darcys Ansichten hatte er unbegrenztes Vertrauen und vor seiner Urteilskraft die größte Hochachtung. An Intelligenz war Darcy ihm überlegen. Bingley war zwar keineswegs dumm, aber Darcy war gescheit. Dennoch war er hochmütig, reserviert und anspruchsvoll, und sein Benehmen, wenn auch untadelig, war nicht entgegenkommend. In dieser Hinsicht war ihm sein Freund weit überlegen. Bingley konnte sicher sein, Sympathie zu finden, wo immer er erschien; Darcy erregte ständig Anstoß. Die Art und Weise, wie beide über den Ball in Meryton urteilten, war bezeichnend dafür. Bingley hatte in seinem Leben nie angenehmere Leute oder hübschere Mädchen gesehen; alle seien außerordentlich freundlich und aufmerksam zu ihm gewesen; es habe weder Formalität noch Steifheit gegeben; er habe sich mit allen im Saal gleich gut verstanden; und was Miss Bennet betreffe, ein Engel könne nicht schöner sein. Umgekehrt hatte Darcy eine Ansammlung von Leuten von wenig Ansehnlichkeit und Geschmack erlebt. Keinem konnte er auch nur das geringste Interesse abgewinnen, und keiner war ihm aufmerksam oder freundlich begegnet. Er gab zu, dass Miss Bennet hübsch sei, aber sie lächle zu viel.

Mrs. Hurst und ihre Schwester gaben ihm darin recht – aber sie fanden Jane sympathisch und mochten sie gern. Sie nannten sie ein reizendes Mädchen und hatten nichts dagegen, sie näher kennenzulernen. So wurde denn Miss Bennet zum reizenden Mädchen erklärt, und ihrem Bruder stand es nach diesem Kompliment frei, von ihr zu halten, was er wollte.

Kapitel 5

Nur einen kurzen Spaziergang von Longbourn entfernt wohnte eine Familie, mit der die Bennets besonders gut befreundet waren. Sir William Lucas hatte früher ein Geschäft in Meryton betrieben, wo er ein ansehnliches Vermögen erworben hatte und als Bürgermeister nach einer Ansprache an den König geadelt worden war. Diese ehrenvolle Auszeichnung war ihm vielleicht zu Kopf gestiegen, jedenfalls flößten ihm seine Firma und sein Wohnsitz in einer Kleinstadt nun Widerwillen ein; er hatte beides aufgegeben und sich mit seiner Familie in ein Haus – seitdem Lucas Lodge genannt – sieben Meilen vor den Toren Merytons zurückgezogen, wo er sich seiner eigenen Bedeutung widmen und, unbehindert von Geschäften, ausschließlich freundlich zu allen Leuten sein konnte, denn obwohl sein neuer Rang seine soziale Stellung erhöht hatte, war er nicht hochmütig geworden, sondern im Gegenteil liebenswürdig zu jedermann. Seine Einführung bei Hof hatte ihn, der von Natur verträglich, freundlich und entgegenkommend war, galant gemacht.

Lady Lucas war eine gutmütige Frau, und ihre Klugheit hielt sich so in Maßen, dass sie für Mrs. Bennet eine unentbehrliche Nachbarin war. Sie hatten mehrere Kinder. Die älteste Tochter, eine vernünftige, kluge junge Frau von etwa 27 Jahren, war Elizabeths beste Freundin.

Dass die Töchter der beiden Familien sich trafen, um über einen Ball zu sprechen, lag auf der Hand; und am Morgen danach kamen die Damen von Lucas Lodge nach Longbourn, um ihre Eindrücke auszutauschen.

»Für dich fing der Abend großartig an, Charlotte«, sagte Mrs. Bennet mit höflicher Selbstbeherrschung zu Miss Lucas, »du warst Mr. Bingleys erste Wahl.«

»Ja, aber anscheinend zog er seine zweite Wahl vor.«

»Oh, du meinst sicher Jane, weil er zweimal mit ihr getanzt hat. Es sah zwar so aus, als ob er sie wirklich anhimmelte – ja, ich glaube, das tat er wirklich –, ich habe so etwas gehört, aber ich erinnere mich nicht, was – irgendetwas über Mr. Robinson.«

»Meinen Sie das Gespräch zwischen ihm und Mr. Robinson, das ich mit angehört habe? Habe ich es Ihnen nicht erzählt? Wie Mr. Robinson ihn fragte, ob ihm der Ball in Meryton gefalle und ob er nicht auch finde, dass es viele hübsche Mädchen hier gebe, und wen er am schönsten finde, und wie er auf die letzte Bemerkung sofort antwortete: ›Na, Miss Bennet natürlich, keine Frage; daran gibt es nichts zu deuteln.‹«

»Was du nicht sagst! Das klingt ja wirklich sehr vielversprechend, das klingt, als ob … aber, wer weiß, vielleicht wird ja gar nichts daraus.«

»Ich hatte mehr Glück beim Mithören als du, Eliza«, sagte Charlotte, »bei Mr. Darcy macht es sicher nicht so viel Spaß wie bei seinem Freund. Arme Eliza! Gerade nur passabel zu sein.«

»Bitte, rede Lizzy nicht ein, sich Gedanken über diese Flegelei zu machen, denn er ist ein so widerlicher Mann, dass es ein richtiges Unglück wäre, wenn er sie leiden möchte. Mrs. Long hat mir gestern Abend erzählt, dass er eine halbe Stunde neben ihr gesessen hat, ohne auch nur ein einziges Mal den Mund aufzumachen.«

»Bist du sicher, Mutter? Hast du dich nicht verhört?«, sagte Jane. »Ich habe gesehen, wie Mr. Darcy mit ihr gesprochen hat.«

»Ja, aber nur, weil sie ihn schließlich gefragt hat, wie ihm Netherfield gefällt, und da konnte er nicht anders als antworten; aber sie hatte den Eindruck, er war ärgerlich, dass sie ihn angesprochen hatte.«

»Miss Bingley hat mir erzählt«, sagte Jane, »dass er nie viel sagt, außer zu guten Bekannten. Zu ihnen ist er ungewöhnlich nett.«

»Ich glaube kein Wort davon, Kind. Wenn er wirklich nett wäre, hätte er mit Mrs. Long gesprochen. Aber ich kann mir schon vorstellen, wie es war. Alle sagen, er weiß sich vor Stolz nicht zu lassen, und wahrscheinlich hatte er gehört, dass Mrs. Long keine Kutsche besitzt5 und deshalb mit einer Mietdroschke gekommen war.«

»Ob er mit Mrs. Long spricht oder nicht, ist mir egal«, sagte Miss Lucas, »aber er hätte mit Elizabeth tanzen müssen.«

»Wenn ich du wäre, Lizzy«, sagte ihre Mutter, »würde ich beim nächsten Mal nicht mit ihm tanzen.«

»Du kannst dich drauf verlassen, Mutter, dass ich nie mit ihm tanzen werde.«

»Ich finde den Stolz bei ihm nicht so schlimm«, sagte Miss Lucas, »weil es eine Entschuldigung dafür gibt. Dass ein so vornehmer junger Mann von Familie und Vermögen und mit vielen anderen Vorzügen eine gute Meinung von sich selbst hat, wundert mich gar nicht. Ich finde, es ist sein gutes Recht, stolz zu sein.«

»Einverstanden«, antwortete Elizabeth, »und ich könnte ihm seinen Stolz leicht verzeihen, wenn er meinen nicht verletzt hätte.«

»Stolz«, bemerkte Mary, die sich etwas auf ihre tiefgründigen Einsichten zugutehielt, »ist, glaube ich, ein weitverbreiteter Fehler. Durch meine Lektüre bin ich sogar überzeugt, sehr weit verbreitet. Die menschliche Natur ist besonders anfällig dafür, und nur wenige von uns hegen nicht aufgrund des einen oder anderen eingebildeten oder wirklichen Vorzugs ein Gefühl der Selbstgefälligkeit. Eitelkeit und Stolz sind allerdings verschiedene Dinge, obwohl die Wörter fälschlich oft synonym gebraucht werden. Jemand kann stolz sein, ohne eitel zu sein. Stolz bezieht sich mehr auf unser Urteil über uns selbst, Eitelkeit mehr auf das, was andere von uns halten sollen.«

»Wenn ich so reich wäre wie Mr. Darcy«, rief einer der Lucas-Jungen, der mit seinen Schwestern mitgekommen war, »wäre es mir ganz egal, wie stolz ich bin. Ich würde mir ein Rudel Jagdhunde halten und jeden Tag eine Flasche Wein trinken.«

»Dann würdest du viel mehr trinken, als du darfst«, sagte Mrs. Bennet, »und wenn ich dich dabei sähe, würde ich dir die Flasche auf der Stelle wegnehmen.«

Der Junge widersprach, sie bestand darauf, und so nahmen ihre Auseinandersetzung und der Besuch ein gemeinsames Ende.

Kapitel 6

Die jungen Damen von Longbourn machten denen von Netherfield bald einen Besuch, der ebenso bald in angemessener Form erwidert wurde. Miss Bennets Natürlichkeit und Wohlerzogenheit ließen Mrs. Hurst und Miss Bingley nicht unbeeindruckt, und obwohl sie die Mutter unausstehlich und die jüngeren Schwestern nicht der Rede wert fanden, brachten sie ihren Wunsch zum Ausdruck, die beiden älteren Schwestern besser kennenzulernen. Jane erwiderte dieses Entgegenkommen mit dem größten Vergnügen, aber Elizabeth fand ihr Verhalten, beinahe auch ihrer Schwester gegenüber, immer noch herablassend und mochte sie einfach nicht, obwohl sie ihren freundlichen Umgang mit Jane deshalb schätzte, weil er wahrscheinlich von der Bewunderung ihres Bruders herrührte. Bei all ihren Begegnungen war es ganz offensichtlich, dass er sie wirklich sympathisch fand. Und ebenso offenbar schien es ihr, dass Jane, die ihn von Anfang an gemocht hatte, ihrer Neigung nachgab und auf dem besten Wege war, sich richtig in ihn zu verlieben. Aber sie freute sich, dass ihre Liebe vor aller Welt verborgen blieb, weil Jane leidenschaftliche Gefühle mit Selbstbeherrschung und heiterer Ausgeglichenheit verband und sich so dem Verdacht der Neugierigen entzog. Das erzählte sie auch ihrer Freundin, Miss Lucas.

»So schön es ist, die Öffentlichkeit im Dunkeln tappen zu lassen«, erwiderte Charlotte, »so nachteilig ist es manchmal, so verschlossen zu sein. Wenn eine Frau geschickt verbirgt, auf wen sich ihre Zuneigung richtet, verpasst sie unter Umständen auch die Gelegenheit, ihn an sich zu binden. Und dann ist es ein schwacher Trost, dass auch die Welt im Dunkeln tappt. In jeder Beziehung gibt es so viel Dankbarkeit oder Eitelkeit, dass man sie besser nicht sich selbst überlässt. Wir fangen alle ganz mutig an – eine leichte Schwäche ist natürlich, aber nur wenige von uns bringen es fertig, sich ohne deutliche Zeichen von Gegenliebe richtig zu verlieben. In neun von zehn Fällen tut die Frau gut daran, mehr Zuneigung zu zeigen, als sie wirklich empfindet. Bingley mag deine Schwester – keine Frage, aber wenn sie ihm nicht auf die Sprünge hilft, wird es bei einer kleinen Liebelei bleiben.«

»Aber sie hilft ihm doch – soweit es in ihrer Natur liegt. Wenn mir ihre Zuneigung zu ihm auffällt, müsste er ein Einfaltspinsel sein, sie nicht zu sehen.«

»Vergiss nicht, Eliza, er kennt Jane nicht so gut wie du.«

»Aber wenn eine Frau in einen Mann verliebt ist und es nicht absichtlich verheimlicht, muss er es doch merken.«

»Vielleicht – wenn er sie oft genug sieht. Aber obwohl Bingley und Jane sich verhältnismäßig oft treffen, sind sie immer nur kurze Zeit zusammen; und da sie sich nur in Gesellschaft begegnen, können sie sich unmöglich die ganze Zeit miteinander unterhalten. Jane sollte deshalb die halbe Stunde, in der sie ihn in der Hand hat, möglichst ausnutzen. Wenn sie seiner sicher ist, hat sie immer noch Zeit genug, sich in ihn zu verlieben, soviel sie will.«

»Dein Plan ist gut«, entgegnete Elizabeth, »wo es nur um den Wunsch geht, sich gut zu verheiraten, und wenn ich auf einen reichen Mann – oder überhaupt auf einen Mann – aus wäre, würde ich ihn anwenden. Aber Jane empfindet ganz anders; sie handelt nicht aus Berechnung. Sie ist sich auch über ihre Gefühle für ihn noch gar nicht im Klaren. Sie kennt ihn doch erst 14 Tage. In Meryton hat sie mit ihm vier Tänze getanzt; an einem Vormittag war er bei ihr, und viermal war sie gemeinsam mit ihm und anderen Gästen zum Essen eingeladen. Um sich ein Urteil über seinen Charakter zu bilden, ist das sicher nicht genug.«

»Nicht, wenn du es so darstellst. Wenn sie nur mit ihm gegessen hätte, wüsste sie vielleicht nur, ob er einen guten Appetit hat; aber vergiss nicht, dass sie auch vier ganze Abende zusammen verbracht haben – und vier Abende bringen einen ein ganzes Stück weiter.«

»Ja, und diese vier ganzen Abende haben ihnen nichts weiter eingebracht, als dass sie nun wissen, dass sie beide lieber Vingt-un als Commerce spielen. Aber darüber hinaus haben sie keine wesentlichen Erkenntnisse gewonnen.«

»Immerhin«, sagte Charlotte, »ich wünsche Jane von ganzem Herzen Erfolg, und wenn sie ihn morgen heiratete, wären meiner Meinung nach ihre Chancen, glücklich zu werden, genauso groß, wie wenn sie seinen Charakter ein Jahr lang unter die Lupe nähme. Glück in der Ehe ist ganz und gar Zufall. Selbst wenn sich die Parteien vorher noch so gut kennen oder sich noch so ähnlich sind, zu ihrem Glück trägt das nicht im Geringsten bei. Sie werden sich auf jeden Fall unähnlich genug, um sich gegenseitig auf die Nerven zu gehen; und dann finde ich es besser, die Fehler des Mannes, mit dem man sein Leben verbringt, so wenig wie möglich zu kennen.«

»Dass ich nicht lache. Das ist doch Unsinn. Du weißt genau, dass es Unsinn ist und dass du selber niemals so handeln würdest.«

Elizabeth war so beschäftigt, Mr. Bingleys Aufmerksamkeiten ihrer Schwester gegenüber zu beobachten, dass sie gar nicht bemerkte, dass sie selbst in den Augen seines Freundes ein Gegenstand von einigem Interesse geworden war. Mr. Darcy hatte zu Anfang nur mühsam zugeben wollen, dass sie hübsch sei; auf dem Ball hatte sie keinen großen Eindruck auf ihn gemacht, und als sie sich das nächste Mal trafen, war er nur auf Kritik an ihr aus. Aber kaum hatte er sich selbst und seine Freunde davon überzeugt, wie wenig bemerkenswert ihr Gesicht war, da begann er zu entdecken, dass es durch den strahlenden Ausdruck ihrer dunklen Augen ungewöhnlich intelligent erschien. Dieser Entdeckung folgten einige andere, ähnlich demütigende. Obgleich er nämlich mit kritischem Auge mehr als eine Unregelmäßigkeit in dem Ebenmaß ihrer Züge festgestellt hatte, musste er zugeben, dass ihre Figur schlank und graziös war; und trotz seiner Behauptung, ihr Benehmen sei nicht das der großen Welt, zog ihn ihre liebenswürdige Ungezwungenheit an. Von all dem merkte sie gar nichts; für sie war er nur der Mann, der überall Anstoß erregte und sie zum Tanzen nicht hübsch genug fand.

Er entdeckte in sich den Wunsch, sie besser kennenzulernen, und um sich selbst leichter mit ihr unterhalten zu können, hörte er ihren Gesprächen mit anderen zu. Sie wurde darauf aufmerksam, und als eines Tages bei Sir William Lucas große Gesellschaft war, sagte sie zu Charlotte:

»Was will bloß Mr. Darcy damit sagen, dass er meinem Gespräch mit Oberst Forster zuhört?«

»Die Frage kann nur Mr. Darcy selbst beantworten.«

»Wenn er nicht bald damit aufhört, sage ich ihm, dass ich mir denken kann, worauf er hinauswill. Er hat einen sehr ironischen Blick, und wenn ich nicht bald selbst impertinent werde, fange ich an, Angst vor ihm zu bekommen.«

Als er sich ihr bald darauf näherte, allerdings wohl ohne die Absicht, etwas zu sagen, und Miss Lucas sie davon abhalten wollte, das Thema ihm gegenüber zu erwähnen, fühlte sie sich sofort dazu provoziert. Sie wandte sich ihm zu und sagte:

»Finden Sie nicht, Mr. Darcy, dass ich mich eben ganz ungewöhnlich geschickt ausgedrückt habe, als ich Oberst Forster damit aufgezogen habe, einen Ball für uns in Meryton zu veranstalten?«

»Mit großer Überzeugungskraft – aber alle jungen Damen wirken bei diesem Thema überzeugend.«

»Sie gehen hart mit uns ins Gericht.«

»Er dreht gleich den Spieß um und verspottet dich«, sagte Miss Lucas, »ich mache jetzt das Klavier auf, Eliza, und du weißt, was das bedeutet.«

»Für eine Freundin bist du ein sehr merkwürdiges Wesen. Immer soll ich vor allen und jedem spielen und singen! Wenn ich musikalischen Ehrgeiz hätte, wärst du unentbehrlich, aber so wie die Dinge stehen, möchte ich mich lieber nicht ans Klavier setzen und Leuten vorsingen, die an die besten Künstler gewöhnt sind.« Aber als Miss Lucas darauf bestand, fügte sie hinzu: »Also gut, was sein muss, muss sein.« Dann warf sie Mr. Darcy einen finsteren Blick zu und sagte: »Es gibt ein allen hier Versammelten bekanntes Sprichwort – ›Spar dir den Atem zum Kühlen der Suppe.‹ Ich spare ihn mir für das Crescendo meines Gesangs.«

Ihre Darbietung war erfreulich, wenn auch keineswegs überwältigend. Nach ein oder zwei Liedern und noch bevor sie auf die Bitten einiger Zuhörer eingehen konnte, doch weiterzusingen, erbot sich eifrig ihre Schwester Mary, die sich in der Erkenntnis, als Einzige in der Familie unattraktiv zu sein, sehr um Wissen und Bildung bemüht hatte und immer darauf aus war, sie vorzuführen. Mary hatte weder Talent noch Geschmack, und obwohl sie aus Eitelkeit fleißig war, klangen bei ihrem Spiel Pedanterie und Herablassung durch, die auch größerer Vollkommenheit auf dem Instrument Abbruch getan hätten. Dem Vortrag der unaffektierten und natürlichen Elizabeth hörte man mit weit mehr Vergnügen zu, obgleich sie nicht halb so gut spielte. Mary war am Ende ihres langen Konzerts froh, Komplimente und Dank für die schottischen und irischen Tänze einheimsen zu können, die sie auf Wunsch ihrer jüngeren Schwestern gespielt hatte, welche mit einigen der Lucas-Mädchen und zwei oder drei Offizieren begeistert am anderen Ende des Raumes tanzten.

Mr. Darcy betrachtete diese Art, den Abend unter Ausschluss von Gesprächen zu verbringen, in ungehaltenem Schweigen aus der Nähe und war zu sehr in Gedanken versunken, um zu merken, dass Sir William neben ihm stand, bis dieser ihn schließlich ansprach:

»Was für ein hübsches Vergnügen für junge Leute, nicht wahr, Mr. Darcy! Nichts geht übers Tanzen. Ich halte es für eine der ersten Errungenschaften jeder kultivierten Gesellschaft.«

»Gewiss, Sir, und es hat den Vorteil, auch bei den weniger kultivierten Gesellschaften auf der Welt in Mode zu sein. Jeder Wilde kann tanzen.«

Sir William lächelte nur. »Ihr Freund tanzt ausgezeichnet«, fuhr er nach einer Pause fort, als er sah, wie Mr. Bingley sich der Gruppe anschloss. »Ich zweifle nicht daran, dass auch Sie ein Kenner auf diesem Gebiet sind, Mr. Darcy.«

»Ich nehme an, Sie haben mich in Meryton tanzen sehen, Sir?«

»Ja, gewiss, und es hat mir nicht unbeträchtliches Vergnügen bereitet. Tanzen sie oft bei Hof?«

»Niemals, Sir.«

»Finden Sie nicht, dass es eine angemessene Ehre für diesen Ort wäre?«

»Es ist eine Ehre, die ich keinem Ort antue, wenn ich es irgend vermeiden kann.«

»Sie haben ein Haus in London, nehme ich an?«

Mr. Darcy verbeugte sich.

»Früher habe ich mit dem Gedanken gespielt, mich auch in London niederzulassen, denn ich fühle mich in gehobener Gesellschaft sehr wohl, aber ich war nicht sicher, ob die Londoner Atmosphäre Lady Lucas zusagen würde.«

In Erwartung einer Antwort machte er eine Pause; aber sein Gesprächspartner war nicht zu einer Entgegnung aufgelegt, und da Elizabeth in diesem Augenblick auf sie zukam, hielt er es für einen besonders galanten Einfall, ihr zuzurufen:

»Liebe Miss Elizabeth, warum tanzen Sie nicht? Mr. Darcy, erlauben Sie mir, Ihnen diese junge Dame als eine sehr begehrenswerte Partnerin vorzustellen. So viel Schönheit können Sie einfach keinen Korb geben.« Aber als er ihre Hand nahm und sie Mr. Darcy geben wollte, der überrascht war, aber nicht unwillig, sie zu ergreifen, zog sie sie sofort zurück und sagte leicht irritiert zu Sir William:

»Ich habe nicht die mindeste Absicht zu tanzen, Sir. Ich möchte keineswegs den Eindruck erwecken, eines Partners wegen hierhergekommen zu sein.«

Mit beherrschtem und gemessenem Anstand bat Mr. Darcy sie um die Ehre ihrer Hand, aber umsonst. Elizabeth war entschlossen, und auch Sir William konnte sie durch seine Überredungskünste nicht in ihrem Entschluss wankend machen.

»Dabei tanzen Sie so ausgezeichnet, Miss Eliza, dass es grausam wäre, mir das Vergnügen zu rauben, Ihnen zuzusehen; und obwohl dieser Herr im Allgemeinen nicht gerne tanzt, wird es ihm doch nichts ausmachen, uns eine halbe Stunde lang den Gefallen zu tun.«

»Mr. Darcy ist überhaupt ein sehr höflicher Mensch«, sagte Elizabeth lächelnd.

»Das ist er, aber bei so viel Liebreiz, meine liebe Miss Elizabeth, braucht uns seine Gefälligkeit nicht zu verwundern – wer würde schon eine solche Partnerin ausschlagen?«

Elizabeth blickte schelmisch und wandte sich ab.

Ihre Widerspenstigkeit hatte ihr bei Mr. Darcy nicht geschadet, und er dachte gerade mit Wohlgefallen über sie nach, als er von Miss Bingley angesprochen wurde:

»Ich kann mir schon denken, warum Sie so nachdenklich sind.«

»Das kann ich mir kaum vorstellen.«

»Sie denken darüber nach, wie unerträglich es wäre, viele Abende auf diese Weise zu verbringen – und noch dazu in dieser Gesellschaft; und ich bin eigentlich ganz Ihrer Meinung. Ich habe mich selten mehr gelangweilt. Diese Geschmacklosigkeit und dabei dieser Krach, diese Leere und diese Selbstgefälligkeit. Ich gäbe etwas darum, wenn ich Ihre Lästereien über die Leute hören könnte!«

»Sie sind völlig im Irrtum! Meine Gedanken waren angenehmer beschäftigt. Ich habe über das Vergnügen nachgedacht, das zwei schöne Augen im Gesicht einer hübschen Frau in einem hervorrufen können.«

Miss Bingley sah ihn augenblicklich scharf an und wollte von ihm wissen, welcher Dame das Verdienst zukomme, ihn zu derlei Gedanken inspiriert zu haben. Mr. Darcy sagte mit großer Unerschrockenheit:

»Miss Elizabeth Bennet.«

»Miss Elizabeth Bennet!«, wiederholte Miss Bingley. »Sie setzen mich in Erstaunen. Wie lange ist sie schon Ihre Auserkorene? Und wann, bitte, darf ich Ihnen gratulieren?«

»Das ist genau die Frage, die ich von Ihnen erwartet hatte. Die Phantasie einer Frau arbeitet mit ungeheurer Geschwindigkeit. Sie springt in einem Augenblick von Sympathie zu Liebe, von Liebe zu Hochzeit. Ich wusste, Sie würden auf der Stelle gratulieren.«

»Na, wenn Sie es ernst meinen, betrachte ich die Angelegenheit als endgültig. Und Sie werden eine ganz besonders reizende Schwiegermutter haben, die natürlich ständig bei Ihnen in Pemberley sein wird.«

Er hörte ihr völlig unbeteiligt zu, während sie sich auf diese Weise unterhielt, und als seine Ungerührtheit sie überzeugt hatte, dass keine Gefahr bestand, ließ sie ihrem Witz freien Lauf.

Kapitel 7

Mr. Bennets Vermögen bestand fast ausschließlich aus einem Besitz, der zweitausend pro Jahr brachte, aber zum Unglück seiner Töchter als unveräußerliches Erbe in Ermangelung von Söhnen einem entfernten Verwandten zufallen würde.6 Das Vermögen ihrer Mutter, obwohl zu ihren Lebzeiten ausreichend, konnte den Verlust des väterlichen Erbes nur schwer ausgleichen. Ihr Vater war Rechtsanwalt in Meryton gewesen und hatte ihr viertausend Pfund hinterlassen.

Ihre Schwester war mit einem Mr. Philips verheiratet, der als ehemaliger Angestellter ihres Vaters dessen Praxis übernommen hatte. Ihr Bruder hatte sich als angesehener Kaufmann in London niedergelassen.

Longbourn war nur eine Meile weit von Meryton, eine bequeme Entfernung für die jungen Damen, die es meist drei- oder viermal in der Woche hinüberzog, um ihre Tante und die Putzmacherin gleich gegenüber zu besuchen. Die beiden Jüngsten der Familie, Catherine und Lydia, machten diesen Weg am häufigsten. Sie waren oberflächlicher als ihre Schwestern, und wenn es nichts Besseres zu tun gab, dann blieb ihnen am Vormittag nur ein Gang nach Meryton, um Gesprächsstoff für den Abend zu haben; und so spärlich die ländlichen Neuigkeiten auch fließen mochten, sie fanden immer Mittel und Wege, etwas Neues von ihrer Tante zu erfahren. Augenblicklich, welch ein Glück, waren sie mit aufregenden Neuigkeiten gut versorgt, denn ein Regiment der Miliz war in der Gegend stationiert worden, das den ganzen Winter über bleiben sollte, und Meryton war das Hauptquartier.

Von ihren Besuchen bei Mrs. Philips brachten sie nun jedes Mal die aufregendsten Nachrichten mit. Jeden Tag erfuhren sie mehr über die Namen der Offiziere und ihre Verbindungen. Auch ihre Quartiere blieben nicht lange ein Geheimnis, und schließlich lernten sie die Offiziere selbst kennen. Mr. Philips suchte sie alle auf, und dies eröffnete seinen Nichten eine ungeahnte Quelle der Glückseligkeit; sie sprachen von nichts anderem mehr als den Offizieren, und Mr. Bingleys riesiges Vermögen, dessen bloße Erwähnung ihre Mutter so in Stimmung versetzte, war in ihren Augen wertlos, wenn man es mit einer Fähnrichsuniform verglich. Als Mr. Bennet eines Vormittags ihren überschwänglichen Berichten zuhörte, bemerkte er ungerührt:

»Aus eurer Art zu reden muss ich entnehmen, dass ihr zwei der albernsten Gören weit und breit seid. Ich hatte schon seit längerem den Verdacht, aber jetzt bin ich restlos überzeugt.«

Catherine war verstimmt und gab keine Antwort, aber Lydia fuhr völlig unbeirrt fort, Hauptmann Carters Lob zu singen und sich der Hoffnung hinzugeben, ihn im Laufe des Tages zu sehen, da er am nächsten Tag nach London musste.

»Ich muss mich wirklich wundern, mein Lieber«, sagte Mrs. Bennet, »dass du deine eigenen Kinder so ohne weiteres alberne Gören nennst. Wenn du schon abfällig von irgendwelchen Kindern sprichst, dann nicht von meinen, wenn ich bitten darf.«

»Wenn meine Kinder alberne Gören sind, kann ich nur hoffen, dass ich mir dessen bewusst bin.«

»Ja, aber wie die Dinge nun einmal liegen, sind sie alle außerordentlich begabt.«

»In diesem, wie ich sagen darf, einzigen Punkt stimmen wir denn doch nicht ganz überein. Ich hatte gehofft, dass der Gleichklang unserer Seelen in jeder Hinsicht vollkommen sein würde, aber nun muss ich dir insoweit widersprechen, als unsere beiden jüngsten Töchter meiner Meinung nach ungewöhnlich dumm sind.«

»Mein lieber Mr. Bennet, du kannst doch nicht erwarten, dass so junge Mädchen den Verstand ihres Vaters oder ihrer Mutter haben. Wenn sie in unser Alter kommen, denken sie sicher auch nicht öfter an Offiziere als wir. Ich erinnere mich genau an die Zeit, als auch ich auf rote Uniformen flog, und im Grunde meines Herzens tue ich es immer noch. Und wenn ein schicker, junger Oberst mit fünfoder sechstausend pro Jahr eine meiner Töchter haben wollte, würde ich nicht nein sagen, und ich fand, Oberst Forster sah neulich bei Sir William in seiner Uniform sehr attraktiv aus.«

»Mama«, rief Lydia, »Tante Philips sagt, Oberst Forster und Hauptmann Carter gehen nicht mehr so oft zu Miss Watson wie kurz nach ihrer Ankunft; sie sieht sie jetzt öfter in Clarkes Buchhandlung stehen.«

Mrs. Bennet wurde durch den Eintritt eines Dieners mit einem Brief für Miss Bennet davon abgehalten zu antworten. Die Nachricht kam von Netherfield, und der Diener sollte auf Antwort warten. Mrs. Bennets Augen leuchteten vor Erwartung, und neugierig rief sie, noch während ihre Tochter las:

»Na, Jane, von wem ist er denn? Was steht drin? Was sagt er? Na los, Jane, beeil dich und erzähle. Beeil dich doch, Kind!«

»Er kommt von Miss Bingley«, sagte Jane und las vor:

»›Liebe Freundin!

Wenn Sie nicht Mitleid mit Louisa und mir haben und zum Dinner zu uns kommen, laufen wir Gefahr, uns für den Rest unseres Lebens unausstehlich zu finden, denn wenn zwei Frauen den ganzen Tag allein verbringen, vergeht er nicht ohne Streit. Kommen Sie gleich nach Erhalt dieses Briefes. Mein Bruder und die anderen Herren essen mit den Offizieren. – Herzlich

Ihre Caroline Bingley.‹«

»Mit den Offizieren«, rief Lydia, »und das hat Tante Philips uns nicht erzählt!«

»Er isst auswärts«, sagte Mrs. Bennet, »solch ein Pech!«

»Kann ich die Kutsche haben?«, fragte Jane.

»Nein, mein Kind, reite lieber hinüber; es sieht nach Regen aus, und dann musst du über Nacht dableiben.«

»Ein ausgezeichneter Plan«, sagte Elizabeth, »vorausgesetzt, man bietet ihr nicht an, sie nach Hause zu fahren.«

»Aber die Herren haben doch bestimmt den Wagen mit nach Meryton genommen, und die Hursts haben keine eigenen Pferde.«

»Lieber würde ich mit der Kutsche hinfahren.«

»Aber Kind, dein Vater kann die Pferde nicht entbehren. Er braucht sie für die Feldarbeit, nicht wahr, Mr. Bennet?«

»Ich brauche sie bei der Feldarbeit öfter, als ich sie bekommen kann.«

»Wenn du sie heute brauchst, hat Mutter ihren Zweck erreicht«, sagte Elizabeth.

Schließlich gelang es ihr, ihrem Vater das Eingeständnis zu entlocken, dass die Pferde gebraucht würden. Jane musste also wohl oder übel hinüberreiten, und ihre Mutter begleitete sie unter vielen fröhlichen Voraussagen eines verregneten Tages bis zur Tür. Ihre Hoffnungen erfüllten sich: Kaum war Jane fort, da fing es heftig an zu regnen. Ihren Schwestern tat Jane leid, aber ihre Mutter war entzückt. Den ganzen Abend regnete es ohne Unterbrechung; Jane würde bestimmt nicht zurückkommen können.

»Wie gut, dass ich darauf gekommen bin«, sagte Mrs. Bennet mehr als einmal, als ob der Regen ausschließlich ihr Verdienst wäre. Aber bis zum nächsten Vormittag blieb ihr das ganze Ausmaß ihres kunstvoll geplanten Glücks verborgen. Kurz nach dem Frühstück kam ein Bote von Netherfield, der den folgenden Brief für Elizabeth übergab:

»›Liebste Lizzy!

Es geht mir heute Morgen gar nicht gut, wahrscheinlich weil ich gestern völlig durchnässt worden bin. Meine lieben Freundinnen wollen mich nicht nach Hause lassen, bevor mir besser ist. Sie bestehen darauf, dass Mr. Jones nach mir sieht. Seid also nicht beunruhigt, wenn Ihr hört, dass er hier war. Aber ich glaube, außer einer Erkältung und Kopfschmerzen ist es weiter nichts Ernstes.

Deine etc.‹«

»Also, meine Liebe«, sagte Mr. Bennet, als Elizabeth den Brief vorgelesen hatte, »wenn deine Tochter jetzt schwerkrank wird oder stirbt, ist es wenigstens ein Trost, dass sie auf der Jagd nach Mr. Bingley und auf deine Anordnung hin verschieden ist.«

»Oh, ich habe nicht die geringste Befürchtung, dass sie stirbt. Harmlose Erkältungen bringen keinen um. Außerdem ist sie in besten Händen. Solange sie dort bleibt, ist alles in Ordnung. Ich würde sie besuchen, wenn ich die Kutsche haben könnte.«

Elizabeth war ernsthaft besorgt und deshalb entschlossen, zu ihr zu gehen, auch wenn die Kutsche nicht verfügbar war. Aber da sie nicht reiten konnte, blieb ihr nur die Wahl, zu Fuß zu gehen, und das sagte sie auch zu ihren Eltern.

»Sei doch nicht so unvernünftig«, rief ihre Mutter. »Wie kommst du denn darauf, bei all dem Dreck! Du wirst unmöglich aussehen, wenn du dort ankommst.«

»Ich werde gut genug aussehen, um Jane zu besuchen, und mehr will ich nicht.«

»Soll das ein Wink mit dem Zaunpfahl sein, Lizzy«, sagte ihr Vater, »dass ich die Pferde kommen lasse.«

»Nein, wirklich nicht. Ich gehe ganz gern zu Fuß. Die drei Meilen! Wenn man ein Ziel hat, ist die Entfernung nicht der Rede wert. Zum Abendbrot bin ich zurück.«

»Ich bewundere deine tätige Mitmenschlichkeit«, bemerkte Mary, »aber jede Gefühlsregung sollte von Vernunft begleitet sein, und meiner Ansicht nach muss der Kraftaufwand im Verhältnis zum Anlass stehen.«

»Wir kommen bis Meryton mit«, sagten Catherine und Lydia. Elizabeth nahm ihre Begleitung an, und so gingen die drei jungen Damen gemeinsam los.

»Wenn wir uns beeilen«, sagte Lydia unterwegs, »sehen wir vielleicht Hauptmann Carter noch für einen Augenblick, bevor er abfährt.«

In Meryton trennten sie sich. Die jüngeren Schwestern gingen zur Wohnung einer der Offiziersfrauen, und Elizabeth setzte ihren Weg allein fort; sie überquerte Feld nach Feld mit zügigem Schritt, sprang ungeduldig und zielstrebig über Gatter und Pfützen und befand sich schließlich mit müden Füßen und schmutzigen Strümpfen, das Gesicht von der Hitze der Anstrengung glühend, in Blickweite des Hauses.

Man führte sie in das Frühstückszimmer, wo alle außer Jane versammelt waren und ihr Erscheinen höchstes Erstaunen hervorrief. Mrs. Hurst und Miss Bingley fanden es ganz unglaublich, dass sie so früh am Vormittag bei solchem Wetter drei Meilen zu Fuß gegangen war und noch dazu allein, und Elizabeth war überzeugt, dass sie sie deshalb verachteten. Sie empfingen sie allerdings sehr höflich, und ihr Bruder ließ es nicht bei bloßer Höflichkeit bewenden, sondern behandelte sie herzlich und ungezwungen wie eine alte Bekannte. Mr. Darcy sagte sehr wenig und Mr. Hurst gar nichts. Der eine war zwischen seiner Bewunderung für ihren durch die Bewegung leuchtenden Teint und dem Zweifel daran, ob der Anlass ihren langen, einsamen Gang rechtfertigte, hin- und hergerissen. Der andere dachte nur ans Frühstück.

Auf die Fragen nach ihrer Schwester erhielt sie keine sehr zufriedenstellende Antwort. Miss Bennet war zwar aufgestanden, hatte aber schlecht geschlafen und noch Fieber. Sie konnte ihr Zimmer, in das Elizabeth zu ihrer Freude gleich geführt wurde, noch nicht verlassen. Jane war sehr froh, sie zu sehen, denn aus Furcht, die Familie zu beunruhigen oder in Unannehmlichkeiten zu stürzen, hatte sie in dem Brief nicht gesagt, wie sehr sie sich nach Elizabeth sehnte. Viel sprechen konnte sie noch nicht, und deshalb erzählte sie Elizabeth nach Miss Bingleys Weggang nur, wie nett man sich um sie gekümmert hatte. Elizabeth saß schweigend bei ihr.

Nach dem Frühstück kamen auch die Schwestern herauf, und es versöhnte Elizabeth mit ihnen, als sie sah, mit wie viel Liebe und Fürsorglichkeit sie sich um Jane bemühten. Der Apotheker kam und sagte nach der Untersuchung, sie habe, wie zu erwarten, eine starke Erkältung, der man zu Leibe rücken müsse. Er gab ihr den Rat, im Bett zu bleiben, und verschrieb ihr ein Medikament. Sie folgte seinen Anordnungen gleich, denn das Fieber war wieder gestiegen, und sie hatte heftige Kopfschmerzen. Elizabeth blieb die ganze Zeit über bei ihr, und die beiden Schwestern hielten sich meist auch in dem Zimmer auf. Da die Herren unterwegs waren, hatten sie ohnehin nichts zu tun.

Als es drei Uhr schlug, wurde es Zeit für Elizabeth, und ungern sagte sie, sie müsse jetzt nach Hause. Miss Bingley bot ihr die Kutsche an, und bei etwas mehr Nachdruck hätte Elizabeth das Angebot auch angenommen, aber Jane zeigte sich so besorgt über ihren Aufbruch, dass Miss Bingley sich verpflichtet fühlte, das Angebot der Kutsche in eine Einladung umzuwandeln, vorläufig in Netherfield zu bleiben. Elizabeth nahm dankbar an, und so wurde ein Bote nach Longbourn geschickt, der der Familie Nachricht geben und ein paar Kleidungsstücke mitbringen sollte.

Kapitel 8

Um fünf Uhr zogen sich die beiden Damen zum Umziehen zurück, und um halb sieben wurde Elizabeth zu Tisch gebeten. Auf die höflichen, unvermittelt an sie gerichteten Fragen nach Janes Zustand, unter denen sich zu ihrer Freude Mr. Bingley durch den besonders fürsorglichen Ton auszeichnete, konnte sie keine sehr zufriedenstellende Antwort geben. Es ging Jane keineswegs besser. Als die Schwestern das hörten, wiederholten sie drei- oder viermal, wie leid es ihnen tue, wie schrecklich sie Erkältungen fänden und wie entsetzlich ungern sie selber krank seien, und damit war für sie das Thema erledigt. Diese Teilnahmslosigkeit, kaum dass Jane abwesend war, bereitete Elizabeth wenigstens das Vergnügen, ihre ursprüngliche Abneigung bestätigt zu sehen.

Tatsächlich war Mr. Bingley in der Gesellschaft der Einzige, den sie mit einem gewissen Wohlwollen betrachtete. Er war offensichtlich um Jane sehr besorgt und ihr selbst gegenüber höchst aufmerksam, und sie fühlte sich dadurch weniger als Eindringling, als den die anderen sie offenbar ansahen. Nur er nahm Notiz von ihr. Miss Bingley hatte nur Augen für Mr. Darcy und ihre Schwester kaum weniger. Mr. Hurst an ihrer Seite war ein träger Mensch, dessen Lebenszweck in Essen, Trinken und Kartenspielen bestand und der nichts mehr zu ihr zu sagen wusste, als er festgestellt hatte, dass sie einen Eintopf einem Ragout vorzog.

Gleich nach dem Essen ging Elizabeth wieder zu Jane hinauf, und kaum hatte sie den Raum verlassen, da begann Miss Bingley über sie herzuziehen. Sie fand ihr Benehmen unerträglich, eine Mischung aus Stolz und Impertinenz; sie wusste sich angeblich nicht zu unterhalten, war stillos, geschmacklos und ohne jeden Charme. Mrs. Hurst stimmte ihr zu und ergänzte:

»Mit anderen Worten, sie hat überhaupt nichts Empfehlenswertes, außer dass sie eine stramme Spaziergängerin ist. Ihren Aufzug heute Morgen werde ich nie vergessen. Sie sah fast aus wie eine Wilde.«

»Das stimmt, Louisa. Ich konnte mich kaum beherrschen. Wie sinnlos, überhaupt herzukommen. Wozu muss sie durch die Landschaft jagen, wenn ihre Schwester eine Erkältung hat. Und erst ihr Haar! So unordentlich und zerzaust.«

»Und erst ihr Petticoat! Hast du ihren Petticoat gesehen? Zehn Zentimeter im Dreck, wenn nicht noch mehr. Und dann das Kleid runterziehen, damit man es nicht sieht.7 Aber genützt hat es gar nichts.«

»Vielleicht trifft deine Beschreibung ja zu, Louisa«, sagte Bingley, »aber ich habe nichts davon bemerkt. Ich fand, Miss Elizabeth Bennet sah bemerkenswert gut aus, als sie heute Morgen ins Zimmer trat. Ihr schmutziger Petticoat ist mir völlig entgangen.«

»Aber Sie haben ihn doch gesehen, nicht wahr, Mr. Darcy«, sagte Miss Bingley, »und ich nehme fast an, es wäre Ihnen nicht sehr lieb, wenn Ihre Schwester so herumliefe.«

»Natürlich nicht.«

»Drei Meilen laufen, oder vier oder fünf oder wie viel auch immer, bis zu den Knöcheln im Schmutz und allein, völlig allein. Was will sie damit wohl sagen? Darin steckt doch nichts als ein unausstehlicher Drang nach Extravaganz und Unabhängigkeit, eine höchst bäurische Gleichgültigkeit gegen die guten Sitten.«

»Darin steckt schwesterliche Zuneigung, die ich sehr schätzenswert finde«, sagte Bingley.

»Ich fürchte, Mr. Darcy«, bemerkte Miss Bingley halblaut, »dieses Abenteuer hat Ihre Bewunderung für ihre schönen Augen einigermaßen abgekühlt.«

»Keineswegs«, antwortete er, »ihre Augen hatten nach dem Spaziergang etwas ausgesprochen Strahlendes.« Dieser Bemerkung folgte eine kurze Pause, nach der Mrs. Hurst fortfuhr:

»Jane Bennet finde ich ungeheuer sympathisch, sie ist wirklich ein ganz reizendes Mädchen, und ich wünsche von ganzem Herzen, dass sie sich bald vorteilhaft verheiratet. Aber bei den Eltern und den ordinären Verwandten hat sie, fürchte ich, wenig Chancen.«

»Sagtest du nicht, ihr Onkel sei Rechtsanwalt in Meryton?«

»Ja, und sie haben noch einen, er lebt irgendwo bei Billigdorf8.«

»Das ist ja köstlich«, fügte ihre Schwester hinzu, und beide lachten aus vollem Herzen.

»Und wenn sie genug Onkel hätten, um ganz Billigdorf zu bevölkern«, rief Bingley, »das machte sie keinen Deut weniger liebenswürdig.«

»Aber es beeinträchtigt ihre Chancen erheblich, Männer von Einfluss und Distinktion zu heiraten«, erwiderte Darcy.

Darauf gab Bingley keine Antwort; aber seine Schwestern stimmten Darcy lautstark zu und machten sich ein Weilchen auf Kosten der vulgären Verwandten ihrer lieben Freundin lustig.