Stürmischer als das Meer - Voltaire - E-Book

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Voltaire

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Beschreibung

Unsere zivilisatorischen Werte wie Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit verdanken wir dem Zeitalter der Aufklärung. Voltaires ›Briefe aus England‹ gehören mit zu jenen Schriften, welche die Französische Revolution auslösten. Vom Exil aus sah Voltaire seine Heimat von außen: die Vorzüge, aber auch die Mängel. England schien ihm weit voraus in Philosophie und Wissenschaft. So viel Kritik vertrug das Ancien Régime nicht. Als das Buch in Paris erschien, wurde es umgehend verboten und zur Verbrennung verurteilt.

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Seitenzahl: 281

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Voltaire

Stürmischer als das Meer

Briefe aus England

Herausgegeben, aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Rudolf von Bitter

Diogenes

{9}Erster Brief

Von den Quäkern

Ich fand, dass die Auffassungen und die Geschichte eines so außergewöhnlichen Volkes die Neugierde eines vernünftigen Menschen wert seien. Um es kennenzulernen, habe ich einen der bekanntesten Quäker1 Englands aufgesucht, der, nachdem er dreißig Jahre lang im Handel tätig gewesen war, seinem Vermögen und seinen Wünschen hatte Grenzen setzen können und sich auf ein Landgut bei London zurückgezogen hatte. Ich suchte ihn in seiner Abgeschiedenheit auf; es war ein kleines, mit Sorgfalt, aber ohne Zierrat solid gebautes Haus. Der Quäker war ein rüstiger alter Herr, der noch nie krank gewesen war, denn {10}er kannte weder Leidenschaften noch Unmaß; noch nie in meinem Leben habe ich jemanden so Vornehmes und Sympathisches gesehen wie ihn. Er trug wie alle Leute seines Glaubens eine Tracht ohne seitliche Falten und ohne Knöpfe an Taschen und Ärmeln sowie einen großen Hut mit breiter Krempe wie bei uns die Geistlichen. Er empfing mich mit dem Hut auf dem Kopf und kam auf mich zu, ohne seinen Körper auch nur im Geringsten zu verneigen, aber in seinem offenen und freundlichen Gesichtsausdruck lag mehr Höf‌lichkeit als in der Gewohnheit, einen Kratzfuß zu machen und in der Hand zu halten, was auf den Kopf gehört. »Freund«, sagte er zu mir, »ich sehe, dass du fremd bist. Falls ich dir von irgendeinem Nutzen sein kann, sage es mir nur.«

»Sir«, gab ich zurück, wobei ich mich verbeugte und nach unserer Gewohnheit einen Fuß vorschob, »ich schmeichle mir mit dem Gedanken, dass Ihnen meine schlichte Neugierde nicht missfallen wird und dass Sie mir die Ehre machen, mich in Ihren Glauben einzuweihen.«

»Die Leute deines Landes«, antwortete er mir, »machen zu viele Komplimente und Verbeugungen. Aber bisher habe ich von denen noch keinen {11}gesehen, der so viel wissen wollte wie du. Tritt ein und lass uns zunächst gemeinsam essen.«

Ich machte noch ein paar unpassende Komplimente, weil man seine alten Gewohnheiten nicht mit einem Schlag loswird. Nach einem gesunden und einfachen Mahl, das mit einem Gebet begann und endete, schickte ich mich an, meinen höf‌lichen Wirt zu befragen. Ich begann mit der Frage, die gute Katholiken den Hugenotten2 mehr als einmal gestellt haben: »Monsieur«, fragte ich ihn, »sind Sie getauf‌t?«

»Nein«, antwortete der Quäker, »und meine Glaubensbrüder sind es auch nicht.«

»Ach herrje, verdammt«, gab ich zurück, »Sie sind also gar keine Christen?«

»Mein Sohn«, erwiderte er sanft, »fluche nicht. Wir sind Christen und bemühen uns, gute Christen zu sein, aber wir glauben nicht, dass das Christentum darin besteht, sich kaltes Wasser, das mit etwas Salz versetzt ist, auf den Kopf zu gießen.«

{12}»Himmelherrgott!«, rief ich, ganz ungehalten bei dieser Gottvergessenheit. »haben Sie vergessen, dass Jesus Christ von Johannes getauf‌t worden ist?«

»Freund, noch einmal: Lass die Flüche«, sagte der sanf‌te Quäker. »Christus wurde von Johannes getauf‌t, er selbst hat aber nie irgendjemanden getauf‌t. Wir sind nicht Schüler des Johannes, sondern Christi.«

»Oje«, meinte ich, »wie Sie verbrannt würden in den Ländern der Inquisition, armer Mann! … Also wirklich! Im Namen Gottes, ich muss Sie taufen und zum Christen machen!«

»Wenn es bloß darum ginge, sich deiner Schwäche wegen dazu herbeizulassen, täten wir es gerne«, erwiderte er gewichtig. »Wir verurteilen niemanden wegen des Gebrauchs der Taufzeremonie, aber wir glauben, dass diejenigen, die sich zu einem so heiligen und so geistlichen Glauben wie dem christlichen bekennen, sich der jüdischen Zeremonien enthalten sollten, soweit sie können.«

»Wie können Sie das nur sagen?!«, rief ich. »Die Taufe eine jüdische Zeremonie!«

»Ja, mein Sohn«, fuhr er fort, »und zwar so {13}jüdisch, dass manche Juden die Taufe des Johannes bis heute anwenden. Sieh dir die Autoren der Antike an, da wirst du sehen, dass Johannes lediglich einen Brauch wiederaufnahm, der schon lange vor ihm bei den Juden üblich war, so wie die Pilgerfahrten nach Mekka bei den Ismaeliten.3 Jesus wollte von Johannes getauf‌t werden, genauso wie er sich der Beschneidung unterzog; aber Beschneidung und Waschung sollten alle beide mit der Taufe Christi abgelegt sein, dieser Taufe des Geistes und Reinigung der Seele, die die Menschen erlöst. So sagte es auch der Wegbereiter Johannes: ›Ich taufe euch mit Wasser zur Buße, der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, ihm die Schuhe zu tragen; der wird euch mit dem Heiligen Geist und Feuer taufen.‹ 4 Genauso schrieb der große Apostel der Heiden, Paulus, an die Korinther: ›Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das {14}Evangelium zu predigen‹; so tauf‌te dieser Paulus auch nie mit Wasser, zwei Personen ausgenommen, und das auch nur gegen seinen Willen; er beschnitt seinen Schüler Timotheus, und auch die anderen Apostel beschnitten alle, die es wollten. – Bist du beschnitten?«, fügte er hinzu. Ich gab an, diese Ehre nicht zu haben. »Aha, Freund«, sagte er, »du bist Christ, ohne beschnitten, und ich, ohne getauf‌t zu sein.«

So also missbrauchte mein gottergebener Mann auf recht trügerische Art drei oder vier Sätze der Heiligen Schrift, die seine Sekte bestätigten; und mit dem besten Glauben dieser Welt vergaß er einige hundert Passagen, die seinen Ausführungen direkt widersprachen. Ich hielt mich wohlweislich zurück, ihm mit Begründungen zu kommen; bei einem Enthusiasten5 gibt’s nichts zu gewinnen: Es ist falsch, einem Manne etwas von den Fehlern seiner Liebsten zu sagen oder einem Kläger etwas von den Schwachpunkten seiner Sache oder einem Erleuchteten etwas von Begründungen; so ging ich zu anderen Fragen über.

{15}»Zum Beispiel das Abendmahl«, meinte ich, »wie halten Sie es damit?«

»Gar nicht«, meinte er.

»Was?! Keine Kommunion?«

»Nein, keine andere als die geistige der Herzen.«

Dann zitierte er wieder aus der Schrift. Er hielt einen sehr schönen Sermon gegen das Abendmahl und führte im Ton der Erleuchteten den Beweis, dass alle Sakramente menschliche Erfindungen seien und dass das Wort Sakrament sich nicht ein einziges Mal im Evangelium finde. »Entschuldige meine Unkenntnis«, sagte er, »ich habe dir nicht einmal ein Hundertstel der Beweise meines Glaubens erbracht; du kannst sie aber in Robert Barclays Darstellung genauer nachlesen: Das ist eins der besten Bücher, die jemals von Menschenhand verfasst wurden. Unsere Feinde sind sich einig, dass es sehr gefährlich sei; das zeigt, wie recht er hat.« Ich versprach ihm, dieses Buch gründlich zu lesen, und mein Quäker hielt mich schon für bekehrt.

Darauf legte er mir in kurzen Worten Rechenschaft ab über einige Besonderheiten, die seine Sekte der Geringschätzung der anderen {16}aussetzen. »Gib zu«, sagte er, »dass du einigermaßen Mühe hattest, dir das Lachen zu verkneifen, als ich auf all deine Artigkeiten mit dem Hut auf dem Kopf und dich duzend geantwortet habe; dabei erscheinst du mir zu gebildet, um nicht zu wissen, dass zur Zeit Christi kein Volk auf die Lachhaftigkeit verfallen war, die Einzahl durch die Mehrzahl zu ersetzen. Man sagte zu Kaiser Augustus: ›Ich liebe dich, ich bitte dich, ich danke dir‹; er duldete es noch nicht einmal, dass man ihn mit Dominus, Herr, ansprach. Es war erst lange nach ihm, dass die Menschen darauf kamen, sich mit ›Sie‹ anstelle von ›du‹ anreden zu lassen, als wären sie doppelt, und sich ungebührliche Titel wie Hoheit, Eminenz und Heiligkeit anzumaßen, die sich die Regenwürmer untereinander verleihen, und einander dabei mit tiefem Respekt und infamer Verlogenheit zu versichern, der sehr untertänige und gehorsamste Diener zu sein. Um mehr auf unserer Hut zu sein gegen diesen schamlosen Handel von Lügen und Schmeicheleien, duzen wir Könige und Köhler gleichermaßen und grüßen niemanden, wir, die wir für die Menschen nur Nächstenliebe und Respekt nur vor den Gesetzen haben.

{17}Unsere Kleidung ist auch ein bisschen anders als die der anderen Leute, als ständige Mahnung, es ihnen nicht gleichzutun. Die anderen tragen die Zeichen ihrer jeweiligen Würden und wir die der christlichen Demut; wir machen einen Bogen um die Versammlungen des Vergnügens, das Theater und das Spiel, denn wir wären wohl recht zu bedauern, wenn wir unser Herz, in dem Gott wohnen soll, mit solchen Nebensächlichkeiten erfüllten. Wir leisten keine Eide, auch nicht vor Gericht; wir meinen, dass der Name des Höchsten nicht für die elenden Zwiste der Menschen missbraucht werden soll. Wenn es nötig ist, dass wir vor dem Richter erscheinen wegen der Streitsachen anderer (denn wir prozessieren niemals), bezeugen wir die Wahrheit mit einem Ja oder einem Nein, und die Richter glauben uns auf unser schlichtes Wort, während so viele Christen meineidig auf das Evangelium schwören. Wir ziehen nicht in den Krieg; nicht, weil wir Angst hätten vor dem Tod, im Gegenteil, wir preisen den Augenblick, der uns mit dem höchsten Wesen vereint; sondern weil wir weder Wölfe noch Tiger, noch Doggen sind, sondern Menschen, Christen. Unser Gott, der uns befohlen hat, unsere Feinde {18}zu lieben und klaglos zu leiden, will bestimmt nicht, dass wir das Meer überqueren, um unsere Brüder niederzumetzeln, nur weil rotgekleidete Mordskerle mit zwei Fuß hohen Mützen auf dem Kopf und dem Lärm zweier Stöcke auf einer gespannten Eselshaut die Bürger anwerben. Und wenn nach einem Sieg ganz London strahlt unter der Beleuchtung, der Himmel in Flammen steht von Raketen und die Luft bebt von Danksagungen, Glocken, Orgeln und Kanonen, dann beklagen wir still die Mordtaten, die des allgemeinen Jubels Anlass sind.«

{19}Zweiter Brief

Von den Quäkern

So ungefähr war das Gespräch, das ich mit diesem sehr besonderen Mann hatte; aber noch überraschter war ich, als er mich am folgenden Sonntag mitnahm zur Kirche der Quäker. Sie haben mehrere Kapellen in London; die, wohin ich ging, ist in der Nähe jener bekannten Säule, die man das Monument6 nennt. Als ich mit meinem Führer eintrat, war man bereits versammelt. Es waren ungefähr vierhundert Männer in der Kirche und dreihundert Frauen: Die Frauen verdeckten ihre Gesichter mit ihren Fächern, die Männer unter den breiten Krempen ihrer Hüte; alle saßen, alle in tiefem Schweigen. Ich ging {20}mitten zwischen ihnen hindurch, ohne dass ein Einziger seinen Blick auf mich gerichtet hätte. Dieses Schweigen dauerte eine Viertelstunde. Schließlich erhob sich einer von ihnen, lüpf‌te seinen Hut und redete, nach einigen Grimassen und Seufzern, halb mit dem Mund, halb durch die Nase, ein verschrobenes Zeug nach dem Evangelium daher, woran er glaubte und wovon weder er noch sonst irgendjemand etwas verstand. Als dieser Fratzenschneider sein hübsches Selbstgespräch beendet hatte und die Versammlung sich ganz erbaut und beduselt aufgelöst hatte, fragte ich meinen Mann, warum die Klügeren von ihnen derartige Albernheiten über sich ergehen ließen. »Wir müssen sie dulden«, sagte er, »weil wir nicht wissen können, ob einer, der sich erhebt, um zu sprechen, vom Geist oder vom Wahn erleuchtet ist; im Zweifel hören wir ganz geduldig zu, wir erlauben sogar den Frauen zu reden. Oft sind zwei oder drei der Gläubigen auf einmal erleuchtet, und dann erhebt sich ein ganz schöner Lärm im Hause des Herrn.« – »Sie haben also keine Priester?«, fragte ich. – »Nein, mein Freund«, meinte der Quäker, »und wir fühlen uns wohl dabei.« Hierauf schlug er ein Buch seiner {21}Freunde, wie er es nannte, auf und las mit Nachdruck folgende Worte vor: »Gott verhüte, dass wir uns unterfangen, jemanden zu bestimmen, der jeden Sonntag den Heiligen Geist unter Ausschluss der anderen Gläubigen empfängt.« Und setzte hinzu: »Dank sei dem Himmel, dass wir die Einzigen sind auf Erden, die keine Priester haben. Würdest du uns einen so schönen Unterschied nehmen wollen? Warum sollten wir unser Kind bezahlten Ammen überlassen, wenn wir selbst Milch haben, die wir ihm geben können? Diese Söldner würden bald das Haus beherrschen und Mutter und Kind unterdrücken. Gott hat gesagt: ›Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch.7‹ Werden wir nach diesen Worten um das Evangelium feilschen, den Heiligen Geist verkaufen und aus einer Versammlung von Christen einen Kauf‌laden machen? Wir geben kein Geld an schwarzgekleidete Männer, damit sie unseren Armen beistehen, unsere Toten beerdigen, den Gläubigen predigen; diese heiligen Verrichtungen sind uns zu teuer, um sie anderen zu überlassen.«

»Aber wie können Sie erkennen«, beharrte {22}ich, »ob es der Geist Gottes ist, der Sie in Ihren Reden beseelt?« – »Wer auch immer Gott bittet, ihn zu erleuchten«, sagte er, »und wer die Wahrheiten des Evangeliums, die er empfindet, verkündet, der sei sicher, dass Gott ihn erleuchtet.« Darauf überschüttete er mich mit Zitaten aus der Schrift, die seiner Meinung nach zeigten, dass es kein Christentum gibt ohne unmittelbare Offenbarung, und fügte folgende bemerkenswerte Worte hinzu: »Wenn du eines deiner Glieder sich bewegen lässt, ist es deine eigene Kraft, die es bewegt? Sicherlich nicht, denn dieses Glied macht häufig unbeabsichtigte Bewegungen. Also ist es der, der deinen Leib geschaffen hat, der diesen Erdenkörper bewegt. Und die Ideen, die deine Seele empfängt – bist du es, der sie formt? Noch weniger, denn sie kommen von allein. Es ist also der Schöpfer deiner Seele, der dir deine Gedanken gibt; da er nun aber deinen Gefühlen alle Freiheit gelassen hat, gibt er deinem Verstand die Gedanken, die dein Herz verdient. Du lebst in Gott, du handelst, und du denkst in Gott. Du brauchst also nur die Augen zu öffnen für dieses Licht, das alle Menschen erleuchtet. Da wirst du die Wahrheit sehen, und du wirst sie andere sehen lassen.«

{23}»Ah, sieh da! Das ist ja reinster Malebranche!«, rief ich. »Ich kenne deinen Malebranche«, meinte er, »er war in etwa ein Quäker, aber er war es nicht genug.«

Dies hier ist das Wichtigste, was ich über die Lehre der Quäker erfahren habe. Im nächsten Brief werden Sie ihre Geschichte finden, die Ihnen noch spezieller als ihre Lehre vorkommen wird.

{24}Dritter Brief

Von den Quäkern

Sie haben bereits gesehen, dass die Quäker sich von Jesus Christus herleiten, der nach ihrer Meinung der erste Quäker war. Der Glaube, sagen sie, wurde bald nach seinem Tod verdorben und blieb es ungefähr 1600 Jahre; aber es hat immer irgendwelche verborgenen Quäker auf der Welt gegeben, die sich um die Erhaltung des sonst überall erloschenen Feuers kümmerten, bis sich dieses Feuer schließlich im Jahr 1642 in England ausbreitete.

Es war zu der Zeit, als drei oder vier Sekten durch im Namen Gottes angezettelte Bürgerkriege8 Großbritannien zerrütteten, dass einer {25}namens George Fox, aus der Grafschaft Leicester, Sohn eines Seidenwebers, darauf kam, als wahrer Apostel zu predigen, wie er das damals nannte, das heißt, ohne lesen oder schreiben zu können; er war ein junger Mann von 25 Jahren, von untadeligen Sitten und ein heiliger Spinner. Er hüllte sich von Kopf bis Fuß in Leder, ging von Dorf zu Dorf und schimpf‌te auf Krieg und Klerus. Hätte er bloß gegen das Soldatentum gepredigt, er hätte nichts zu fürchten gehabt; aber er griff die Kirchenleute an: So steckte man ihn bald ins Gefängnis. Nach Derby vor das Friedensgericht gebracht, trat Fox mit seiner Ledermütze auf dem Kopf vor den Richter. Ein Scherge gab ihm eine saftige Ohrfeige und sagte zu ihm: »Du Lump, weißt du nicht, dass man vor dem Richter barhäuptig zu erscheinen hat?« Fox hielt die andere Wange hin und bat den Schergen, ihm doch bitte um Gottes Willen noch eine Ohrfeige zu versetzen. Der Richter von Derby wollte ihn vor dem Befragen vereidigen. »Mein Freund«, sagte er zu dem Richter, »wisse, dass ich den Namen Gottes niemals unnütz nenne.« Als der Richter merkte, dass dieser Mann ihn duzte, {26}schickte er ihn in die Petites Maisons9 von Derby, um ihn dort peitschen zu lassen. George Fox ging, Gott preisend, in das Narrenhospital, wo man den Spruch des Richters sogleich in aller Gründlichkeit ausführte. Jene, die diese Strafe an ihm vollzogen, waren recht erstaunt, als er sie bat, ihm zum Heil seiner Seele noch ein paar Rutenschläge mehr zu verabreichen. Die Herren ließen sich nicht bitten; Fox erhielt seine doppelte Portion und dankte ihnen sehr herzlich dafür. Er begann, zu ihnen zu predigen; erst lachte man, dann lauschte man; und da Enthusiasmus eine ansteckende Krankheit ist, ließen sich einige überzeugen, und die ihn ausgepeitscht hatten, wurden seine ersten Schüler.

Aus dem Gefängnis entlassen, durchzog er mit einem Dutzend Anhänger die Lande und predigte gegen den Klerus, hin und wieder wurde er auch ausgepeitscht. Eines Tages, er stand gerade am Pranger, redete er mit so viel Kraft zum Volk, dass er an die fünfzig Zuhörer überzeugte, und die übrigen nahm er so für sich ein, dass sie ihm mit Ungestüm aus der Klemme halfen. Es wurde {27}der anglikanische Pfarrer geholt, auf dessen Betreiben Fox zu jener Folter verurteilt worden war, und seinerseits an den Pranger gestellt.

Er traute sich auch, einige Soldaten Cromwells zu bekehren, die sich vom Kriegshandwerk abwandten und den Eid verweigerten. Cromwell wollte keine Sekte, in der man sich nicht schlug, genauso wie Sixtus V. sich nichts Gutes von einer Sekte versprach, dove non si chiavava.10 Er bediente sich seiner Macht, um diese Neuen zu verfolgen, und füllte die Gefängnisse mit ihnen; aber Verfolgungen haben selten eine andere Wirkung, als die Zahl der Anhänger zu vergrößern: Sie verließen die Gefängnisse in ihrem Glauben bestärkt und gefolgt von ihren Kerkermeistern, die sie bekehrt hatten.

Doch hier, was am meisten zur Verbreitung der Sekte beitrug: Fox hielt sich für erleuchtet. Folglich glaubte er, auf andere Art als andere Menschen reden zu müssen; er fing an zu zittern, sich zu krümmen und zu grimassieren, seinen Atem anzuhalten und ihn heftig auszustoßen; die {28}delphische Priesterin11 hätte es nicht besser gekonnt. In kurzer Zeit hatte er viel Routine mit der Erleuchtung, und bald stand es kaum noch in seiner Macht, anders zu sprechen. Dieses war die erste Gabe, die er seinen Schülern mitgab. Sie schnitten guten Glaubens alle Grimassen ihres Meisters und zitterten mit aller Kraft bei der Erleuchtung. So erhielten sie den Namen Quaker, was Zitterer heißt. Die einfachen Leute machten sich einen Spaß daraus, sie nachzuahmen. Man zitterte, man sprach durch die Nase, hatte Gliederzucken und glaubte, den Heiligen Geist in sich zu haben. Es fehlten ihnen noch ein paar Wunder, und die vollbrachten sie.

Der Patriarch Fox sagte öffentlich, vor einer großen Versammlung, zu einem Friedensrichter: »Freund, hüte dich; Gott wird dich bald dafür bestrafen, dass du Männer Gottes verfolgst.« Dieser Richter war ein Säufer, der täglich zu viel schlechtes Bier und Schnaps trank; zwei Tage später, genau in dem Augenblick, als er eine Anordnung zur Festnahme einiger Quäker unterzeichnet {29}hatte, starb er an einem Schlaganfall. Dieser plötzliche Tod wurde keineswegs der Unmäßigkeit des Richters zugeschrieben; alle betrachteten ihn als Auswirkung der Voraussage des heiligen Mannes.

Dieser Tod machte mehr Menschen zu Quäkern, als tausend Predigten und ebenso viel Gliederzucken vermocht hätten. Cromwell, der sah, wie ihre Anzahl täglich zunahm, wollte sie auf seine Seite ziehen: Er ließ ihnen Geld anbieten, doch sie waren unbestechlich; einmal bezeichnete er diese als die einzige Glaubensrichtung, der er mit seinem Geld nicht habe beikommen können.

Unter Charles II. wurden sie gelegentlich verfolgt, doch nicht ihres Glaubens wegen, sondern weil sie dem Klerus nicht den Zehnten zahlen wollten, die Richter duzten und sich weigerten, die gesetzlich vorgeschriebenen Eide zu leisten.

Schließlich legte Robert Barclay, ein Schotte, 1678 dem König seine Apologie der Quäker vor, ein Werk so gut, wie es nur möglich war. Die Widmung an Charles II. enthält keine flauen Schmeicheleien, sondern offene Aussagen und nützliche Ratschläge.

»Du hast«, sagt er am Ende seiner Widmung an Charles, »geschmeckt von der Süße und Bitternis, {30}vom Wohlergehen und von den größten Unglücken; du weißt, was es heißt, aus dem Land deiner Geburt gejagt zu werden; du hast die Last der Unterdrückung gespürt, und du musst wissen, wie verabscheuungswürdig der Unterdrücker vor Gott und den Menschen ist. Wenn sich dein Herz nach so vielen Prüfungen und Wohltaten verhärtete und den Gott vergäße, der sich deiner bei deinen Missgeschicken entsann, dann wäre dein Verhalten umso verwerf‌licher und das Urteil über dich umso schrecklicher. Statt also die Schmeichler deines Hofes anzuhören, höre die Stimme deines Gewissens, die dir niemals schmeicheln wird. Dein treuer Freund und Untertan Barclay.«

Noch erstaunlicher ist, dass dieser Brief, von einem unbekannten Einzelnen an einen König geschrieben, seine Wirkung hatte und die Verfolgung ein Ende nahm.

{31}Vierter Brief

Von den Quäkern

Um diese Zeit12 tauchte der berühmte William Penn auf, der die Macht der Quäker in Amerika begründete und der ihnen auch in Europa Respekt verschafft hätte, wenn die Leute Tugend auch in lachhafter Erscheinung achten könnten; er war einziger Sohn des Ritters Penn, Vizeadmiral von England und Günstling des Herzogs von York, des späteren James II.

William Penn machte im Alter von zwanzig Jahren in Oxford, wo er studierte, die Bekanntschaft eines Quäkers; dieser Quäker überzeugte ihn, und der junge Mann, der lebhaft, von Natur beredt und einnehmend in Auf‌tritt und Erscheinung war, gewann bald einige seiner {32}Kommilitonen. Nach und nach baute er eine Gesellschaft junger Quäker auf, die sich bei ihm versammelte; dergestalt, dass er mit wenig mehr als zwanzig Jahren ein Haupt der Sekte war. Als er nach dem Ende der Collegezeit wieder zu seinem Vater kam, dem Vizeadmiral, sprach er ihn, statt nach Brauch der Engländer vor ihm niederzuknien und ihn um seinen Segen zu bitten, mit dem Hut auf dem Kopf an und sagte: »Ich bin sehr froh, mein Freund, dich bei guter Gesundheit zu sehen.« Der Vizeadmiral meinte, sein Sohn habe den Verstand verloren, merkte dann aber, dass er Quäker war. Er versuchte mit allen der menschlichen Vernunft möglichen Mitteln, ihn dazu zu bringen, so zu leben wie jeder andere. Die Antwort des jungen Mannes war die Auf‌forderung an seinen Vater, seinerseits auch Quäker zu werden.

Schließlich begnügte sich der Vater, ihn um nichts anderes mehr zu bitten, als den König oder den Herzog von York mit dem Hut unter dem Arm besuchen zu gehen und nicht du zu sagen. William gab zurück, dass ihm sein Gewissen das nicht erlaube und dass es besser sei, Gott zu gehorchen als den Menschen. Der empörte und verzweifelte Vater jagte ihn aus dem Haus. Der junge {33}Penn dankte Gott für das, was er schon jetzt um seiner Sache willen zu leiden hatte; er ging predigen in der Stadt und gewann dort viele Anhänger.

Da die Predigten der Pastoren immer weniger Zuhörer fanden und weil Penn jung, schön und gut gebaut war, kamen auch die Frauen vom Hof und aus der Stadt andächtig herbeigelaufen, um ihn zu hören. Der Patriarch George Fox kam aufgrund seines Rufes vom anderen Ende Englands, um ihn in London zu sehen; beide beschlossen, im Ausland zu missionieren. Nachdem sie eine gute Anzahl Arbeiter zurückgelassen hatten, die sich um die Weinstöcke von London kümmerten, schifften sie sich nach Holland ein. Ihre Arbeit hatte erfreulichen Erfolg in Amsterdam; was sie aber am meisten ehrte und ihre Demut am stärksten auf die Probe stellte, war der Empfang, den ihnen die pfälzische Prinzessin Elisabeth bereitete, eine Tante von George I., König von England, die berühmt war für ihre Klugheit und ihr Wissen und der Descartes seinen philosophischen Roman13 gewidmet hatte.

{34}Sie lebte damals zurückgezogen in Den Haag, wo sie die Freunde traf, wie man die Quäker damals in Holland nannte; sie hatte mehrere Begegnungen mit ihnen, sie predigten oft bei ihr, und sie gestanden ihr immerhin zu, dass, wenn aus ihr auch keine vollkommene Quäkerin wurde, sie vom Himmelreich nicht weit entfernt war.

Die Freunde säten auch in Deutschland, ernteten aber wenig. Man fand keinen Geschmack an der Duzmode in einem Land, wo man stets Ausdrücke wie Hoheit und Exzellenz im Munde führen muss. Bald kehrte Penn auf die Nachricht von der Erkrankung seines Vaters hin nach England zurück; er sah ihn noch in seinen letzten Zügen. Der Vizeadmiral vertrug sich mit ihm und umarmte ihn zärtlich, trotz seines anderen Glaubens; William forderte ihn vergebens auf, die Sakramente nicht zu empfangen und als Quäker zu sterben; der gute alte Mann riet seinem William umsonst, sich Manschettenknöpfe und eine Hutschnur zuzulegen.

William erbte ein großes Vermögen, worunter sich Forderungen befanden für Vorschüsse, die der Vizeadmiral bei seinen Unternehmungen in Übersee geleistet hatte. Damals war nichts {35}weniger gesichert als vom König geschuldetes Geld; Penn musste mehr als einmal Charles II. und seine Minister duzen gehen wegen der Bezahlung. 1680 übereignete ihm die Regierung anstelle von Geld das Eigentum und die Unabhängigkeit einer amerikanischen Provinz südlich von Maryland: Und eh er sich’s versah, war ein Quäker Landesherr geworden. Er brach zu seinem neuen Staatsgebiet mit zwei Schiffen voller Quäker auf, die seine Anhänger waren. Seitdem nannte man das Land nach Penns Namen Pennsylvania. Dort gründete er die Stadt Philadelphia, die heute wahrlich blüht. Er begann, sich mit den amerikanischen Nachbarn zu verbünden. Das ist der einzige Vertrag zwischen diesen Völkern und Christen, der nicht beeidigt und nicht gebrochen wurde. Der neue Herrscher wurde auch Pennsylvanias Gesetzgeber; er erließ sehr weise Gesetze, von denen bisher keines geändert wurde. Deren erstes ist, niemanden seines Glaubens wegen zu misshandeln und jeden, der an einen Gott glaubt, als Bruder anzusehen.

Er hatte seine Herrschaft kaum begründet, als mehrere amerikanische Kauf‌leute diese Kolonie bevölkern kamen. Die Eingeborenen des Landes passten sich nach und nach den Quäkern an, statt {36}in die Wälder zu flüchten: Sosehr sie die anderen Christen, die Eroberer und Zerstörer Amerikas, hassten, so sehr schätzten sie diese Neuen. In kurzer Zeit kamen viele angeblich Wilde, denen es die Sanftmut ihrer Nachbarn angetan hatte, und baten William, sie als seine Untertanen aufzunehmen. Das war wohl ein ungewohnter Anblick, so ein Herrscher, den alle Welt duzte, zu dem man mit dem Hut auf dem Kopf sprach, ein Staat ohne Priester, ein Volk ohne Waffen, alle Bürger gleich bis hin zur Gerichtsbarkeit und Nachbarn ohne Neid.

William Penn konnte von sich behaupten, das Goldene Zeitalter, von dem man so viel spricht und das es wahrscheinlich nur in Pennsylvania gegeben hat, auf Erden verwirklicht zu haben. Wegen der Angelegenheiten seines neuen Landes kehrte er nach dem Tod Charles’ II. nach England zurück. König James II., der seinen Vater geschätzt hatte, übertrug die Sympathien auf den Sohn und betrachtete ihn nicht mehr als obskuren Sektierer, sondern als herausragenden Mann; die Politik des Königs entsprach darin seiner Neigung. Er wollte sich bei den Quäkern einschmeicheln, als er die gegen die Andersgläubigen gemachten Gesetze {37}abschaffte, um bei dieser Gelegenheit den katholischen Glauben wieder einführen zu können. Alle Sekten Englands sahen die Falle und fielen nicht darauf herein; sie sind bis heute vereint gegen den Katholizismus, ihren gemeinsamen Feind. Penn dagegen glaubte nicht, auf seine Prinzipien verzichten zu müssen zugunsten der Protestanten, die ihn hassten, gegen einen König, der ihn schätzte. Er hatte die Gedankenfreiheit in Amerika eingeführt, und er hatte keine Lust, den Eindruck zu erwecken, sie in Europa zerstören zu wollen; also blieb er James II. treu bis zu dem Moment, als man ihn beschuldigte, ein Jesuit14 zu sein. Diese Verleumdung setzte ihm erheblich zu, er war gezwungen, sich in öffentlichen Schrif‌ten dagegen zu verwahren. Zugleich verlor der unselige James II., den wie fast alle Stuarts Größe und Schwäche prägten und der wie sie zu wenig und zu viel daraus machte, sein Königreich, ohne dass man hätte sagen können, wie das passiert war.

Alle englischen Sekten erhielten von William III. und seinem Parlament eben dieselbe {38}Freiheit, die sie aus den Händen James’ nicht hatten empfangen wollen. Dies war die Zeit, als die Quäker kraft Gesetzes in den Genuss all der Privilegien zu kommen begannen, die sie jetzt genießen. Penn kehrte nach Pennsylvania zurück, nachdem er seine Sekte in seinem Geburtsland endlich gesichert und gefestigt wusste. Die Seinen und die Amerikaner empfingen ihn unter Freudentränen wie einen Vater, der heimkehrt zu seinen Kindern. Alle seine Gesetze waren in seiner Abwesenheit fromm beachtet worden, was noch kein Gesetzgeber vor ihm erlebt hat. Er blieb einige Jahre in Pennsylvania; schließlich verließ er es unfreiwillig, um in London neue Vorteile für den Handel der Pennsylvanier zu erreichen. Seither lebte er in London bis ins hohe Alter, angesehen als Haupt eines Volkes und eines Glaubens. Er starb erst 1718.

Seinen Nachfahren erhielt man Besitz und Herrschaft über Pennsylvania, das sie dem König für 12000 Louis d’or verkauf‌ten. Die Geschäfte des Königs erlaubten ihm nur, 1000 davon zu bezahlen. Ein französischer Leser wird vielleicht glauben, dass die Regierung den Rest in Schuldscheinen bezahlte und schon einmal die {39}Herrschaft an sich brachte. Mitnichten: Als die Krone die Bezahlung der gesamten Summe in der festgelegten Zeit nicht leisten konnte, wurde der Vertrag annulliert, und Penns Familie trat wieder in ihre Rechte ein.

Ich kann nicht vorhersagen, wie es mit den Quäkern in England weitergeht, aber ich sehe, wie sie in London immer weniger werden. In allen Ländern schluckt die herrschende Glaubensrichtung, wenn es keine Verfolgung gibt, auf die Dauer alle anderen. Die Quäker können nicht Parlamentsmitglieder werden noch irgendein Amt ausüben, weil sie dazu Eide ablegen müssten, aber nicht schwören wollen. Sie sind darauf angewiesen, ihr Geld im Handel zu verdienen; ihre Kinder, reich vom Fleiß der Väter, wollen Freunde haben und Ehren, Knöpfe und Manschetten; sie schämen sich, Quäker genannt zu werden, und werden Protestanten, damit sie mit der Mode gehen können.

{40}Fünf‌ter Brief

Vom anglikanischen Glauben

Dies hier ist das Land der Sekten. Ein Engländer kommt auf dem Weg, der ihm passt, als freier Mann in den Himmel.

Indessen ist – obwohl hier jeder auf seine Weise Gott dienen kann – ihr wirklicher Glaube, der, mit dem man es zu etwas bringt, die Sekte der Episkopalen, anglikanische15 Kirche genannt, oder einfach die Kirche. Man kommt weder in England noch in Irland beruf‌lich weiter, ohne zu den Anglikanern zu gehören; dieser überzeugende Grund hat so viele Andersgläubige bekehrt, dass heute nicht einmal mehr ein Zwanzigstel des Volkes außerhalb des Schoßes der herrschenden Kirche ist.

{41}Der anglikanische Klerus hat viele katholische Sitten beibehalten, insbesondere die, mit gewissenhafter Aufmerksamkeit den Zehnten zu erheben. Dazu kommt der fromme Ehrgeiz zu herrschen.

Außerdem stif‌tet er seine Schafe, so viel er kann, zu einem heiligen Eifer gegen die Andersgläubigen an. Dieser Eifer war recht lebhaft unter der Herrschaft der Tories während der letzten vier Jahre Königin Annes; aber er bewirkte nicht viel mehr Unheil als ein gelegentliches Einwerfen der Kirchenfenster bei den Ketzern, denn das Wüten der Sekten hat in England mit den Bürgerkriegen aufgehört, und es waren unter Königin Anne nur mehr die gedämpf‌ten Töne eines noch lange nach dem Sturm bewegten Meeres. Als die Whigs und die Tories16 ihr Land spalteten wie früher die Welfen und Waiblinger,17 war es wohl nötig, dass {42}sich Glaube und Parteien verbanden. Die Tories waren fürs Episkopat,18 die Whigs wollten es abschaffen, doch sie haben sich damit begnügt, es zu schwächen, als sie die Herrschaft erlangten.

Zu der Zeit, als Graf Harley von Oxford und Lord Bolingbroke auf die Gesundheit der Tories trinken ließen, betrachteten sie die anglikanische Kirche als Verteidiger ihrer heiligen Rechte. Die Versammlung des niederen Klerus, die eine aus Klerikern zusammengesetzte Art Gemeindekammer ist, genoss damals einiges Ansehen; zumindest war sie im Genuss der Freiheit, sich zu versammeln, Streitfragen zu besprechen und von Zeit zu Zeit unfromme Bücher verbrennen zu lassen, d.h. solche, die gegen sie geschrieben waren. Die Regierung, heute Whig, erlaubt diesen Herren nicht einmal, ihre Versammlung abzuhalten; ihnen bleibt nichts übrig, als in der {43}Verborgenheit ihres Sprengels Gott um seinen Segen für die Regierung bitten, die sie eigentlich gern stören würden. Was die insgesamt 26 Bischöfe angeht, so sitzen die zum Verdruss der Whigs in der Oberkammer, weil der alte oder schlechte Brauch, sie als Barone zu betrachten, noch immer besteht. Aber sie haben in der Kammer nicht mehr Macht als die Herzöge und Pairs im Pariser Parlament. Es gibt eine Klausel im an den Staat geleisteten Eid, die die christliche Geduld dieser Herren auf die Probe stellt.

Man gelobt dort, zur Kirche zu gehören, wie diese vom Gesetz eingesetzt ist. Es gibt kaum einen Bischof, Dekan oder Erzpriester, der sich nicht auf göttliches Recht beruft; es ist für sie also ein beachtlicher Anteil Selbstkasteiung darin, zugeben zu müssen, alles einem elenden Gesetz von ungeweihten Laien zu verdanken. Ein Mönch (Pater Courayer) hat vor kurzem ein Buch geschrieben, um die Gültigkeit der anglikanischen Weihen, auch für Nachfolger, zu beweisen. In Frankreich ist das Werk verboten worden; doch glauben Sie, es hätte der englischen Regierung gefallen? Keineswegs. Diese verfluchten Whigs kümmerte es reichlich wenig, ob die episkopale {44}Nachfolge bei ihnen unterbrochen war oder nicht und ob Bischof Parker in einer Kneipe (wie behauptet wird) oder in einer Kirche geweiht wurde; sie möchten vielmehr, dass die Bischöfe ihre Autorität vom Parlament beziehen statt von den Aposteln. Lord B…19 meint, dass diese Idee vom göttlichen Recht nur Tyrannen in Bischofsmantel und Chorhemd, das Gesetz hingegen Staatsbürger schafft.

Was den Lebenswandel angeht, lebt der anglikanische Klerus geregelter als der französische; hier der Grund: Die Kleriker werden in den Universitäten von Oxford oder Cambridge ausgebildet, weit weg von der Verderbtheit der Hauptstadt; zu kirchlichen Würden werden sie erst sehr spät berufen, in einem Alter, in dem den Menschen, wenn es ihrem Ehrgeiz an Nahrung fehlt, als einzige Leidenschaft noch der Geiz geblieben ist. Ämter sind hier die Entschädigung für lange Dienste in der Kirche ebenso wie in der Armee; man sieht hier keine jungen Bischöfe und Oberste, die gerade von der Schule {45}kommen. Dazu sind die Priester fast alle verheiratet; die in den Universitäten angenommene Schroffheit und der wenige Umgang, den man hier mit den Frauen hat, bewirken, dass ein Bischof sich normalerweise mit der seinigen zufriedengeben muss. Die Priester gehen manchmal ins Wirtshaus, weil der Brauch es ihnen erlaubt, und wenn sie sich betrinken, dann seriös und ohne Skandal.

Jenes undefinierte Wesen, das weder Kleriker noch weltlich ist, was man mit einem Wort einen Abbé20