Sucht mich - Stefan Haas - E-Book

Sucht mich E-Book

Stefan Haas

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Beschreibung

Dieses Buch wurde nicht aus der Theorie heraus geschrieben, sondern aus vielen Begegnungen mit der Herrlichkeit Gottes und Erfahrungen von Gebetserhörungen und Wundern - vor dem Hintergrund einer Gemeinde, die seit Mai 2007 durchgehend Tag und Nacht betet. Lassen Sie sich an der Hand nehmen auf eine Entdeckungsreise in die übernatürliche Welt, in die Welt Gottes – und in das wunderbare Vorrecht, dass wir im Gebet Zugang zu seiner Gegenwart und zu allen Kräften und Ressourcen des Himmels haben.

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Bibelstudien zum Thema Gebet

Stefan Hass

SUCHTMICH

SO WERDETIHR LEBEN!

© 2019 TOS Verlag, Tübingen

ISBN Buch 978-3-96589-000-8

ISBN E-Book 978-3-96589-001-5

Die Bibelzitate in diesem Buch sind, wenn nicht anders angegeben, entnommen aus der Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung.

© 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Satz: Stefan Gärtner

Lektorat: Nicole Anders

Umschlaggestaltung: Annika Krempel, Hannah Dißelhorst

Ich widme dieses Buch

meiner geliebten Familie – meiner Frau Dorothee und meinenKindern Samuel, Judith mit Ari und Simon mit Mirjam,

und unseren geistlichen Eltern – Jobst und Charlotte Bittner,die uns beten gelehrt haben.

INHALT

HERRLICHKEIT

TEIL 1: SUCHT MICH!

Kapitel 1: Zu ihm

Kapitel 2: Warten auf Gott

Kapitel 3: Das Gebet in der Wüste

Kapitel 4: Wofür?

Kapitel 5: Im Auge des Hurrikan

Kapitel 6: Abrahams Altäre

Kapitel 7: Die Katastrophe von Silo

Kapitel 8: Aufstieg und Fall des Königs Asa

TEIL 2: DAS GEBET DER GEMEINDE

Kapitel 9: Eine herrliche Vision

Kapitel 10: Der Geist unserer Zeit

Kapitel 11: Das jüdisch-hebräische Erbe

Kapitel 12: Die Urgemeinde

Kapitel 13: Ein Wort an Pastoren und Leiter

TEIL 3: GRUNDSÄTZLICHES ZUM GEBET

Kapitel 14: Der König der Juden

Kapitel 15: Der Kampf um die Ehre Gottes

Kapitel 16: Das Zelt der Begegnung

Kapitel 17: Gebet ist eine Frucht

Kapitel 18: Hindernisse für Gebet

Kapitel 19: Drei Schritte zum Ziel

Kapitel 20: Zähl die Sterne

Kapitel 21: Himmel und Erde

Kapitel 22: Der Ringkampf

Kapitel 23: Fünf Ebenen des Gebets

Kapitel 24: Über den Geist des Menschen

Kapitel 25: Der Schiedsrichter

Kapitel 26: Nüchtern zum Gebet

Kapitel 27: Seufzen

Kapitel 28: Gebetshaltungen

Kapitel 29: Daniel und die unsichtbare Welt

Kapitel 30: Wie redet Gott?

Kapitel 31: Fasten

TEIL 4: FÜRBITTE

Kapitel 32: Gebet für Israel

Kapitel 33: Gebet für Regierungen

Kapitel 34: Gebet für nationale Anliegen

Kapitel 35: Gebet für Errettung von Menschen

Kapitel 36: Gebet für verlorene Kinder

Kapitel 37: In den Riss treten

TEIL 5: TAG-UND-NACHT-GEBET

Kapitel 38: Beispiele

Kapitel 39: Biblische Gründe

Kapitel 40: Die Mauer Nehemias

Kapitel 41: Das Gebet der bittenden Witwe

Kapitel 42: Praktische Hinweise

TEIL 6: ABSCHLIEßENDE BEMERKUNGEN

Kapitel 43: Für immer verändert

Kapitel 44: Praktische Tipps zur Umsetzung

Kapitel 45: Eine wichtige Reflexion

LITERATURVERZEICHNIS

HERRLICHKEIT

Sucht mich, so werdet ihr leben! (Am. 5,4)

Es war Ende Oktober im Jahr 2005. Einige Monate zuvor, im Juni 2005, hatte der Herr mich gebeten, eine persönliche Gebetsnacht pro Woche einzurichten und jeweils von Mitternacht bis 6.00 Uhr morgens in seiner Gegenwart zu sein.

Ich war also seit Mitternacht im Gebetsraum unserer Gemeinde und suchte den Herrn. Etwa um 2.30 Uhr geschah etwas Außergewöhnliches. Ich war schlagartig hellwach. Mir sträubten sich alle Nackenhaare. Strahlend weißes Licht füllte plötzlich den ganzen Raum – und gleichzeitig unbeschreibliche Freude. Ich testete mich selbst, ob ich wirklich noch wach und ob mit mir alles in Ordnung war. Aber es war real. Ich vergaß alle Zeit. Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Als das Licht langsam wieder verschwand, schaute ich auf meine Uhr: Etwa eine halbe Stunde war vergangen.

Kurz danach geschahen in unserem persönlichen Leben und in der Gemeinde große Durchbrüche – doch bevor es darum geht, möchte ich kurz den Rahmen skizzieren, in dem die in diesem Buch geschilderten Erfahrungen stattfanden:

Meine Frau Dorothee und ich zogen 1990 nach Tübingen um und wurden Teil der TOS1 Gemeinde Tübingen und des entstehenden TOS Werkes. Dabei erlebten wir unter der Leitung unserer Freunde und geistlichen Eltern Jobst und Charlotte Bittner von Anfang an sehr viele außergewöhnliche Gebetszeiten und machten erstaunliche, gemeinsame Erfahrungen im Gebet. Wir lernten Gebet als etwas unglaublich Spannendes kennen – in zahlreichen Gebetsnächten, Gebetszeiten in unterschiedlichen Teams und in vielen Gebetseinsätzen in Deutschland und international (in Israel, Weißrussland, Griechenland, Nord-Irland, USA, Argentinien …). Durch die Prägung von Jobst und Charlotte Bittner wurden Gebetszeiten für uns etwas, zu dem man mit Herzklopfen, Erwartung und Freude hinging, weil man nie wusste, was der Herr Spannendes reden oder tun würde. Und sehr oft erlebten wir, dass man ein paar Tage später sichtbare Ergebnisse des Gebets in verifizierbaren Fakten in Zeitungen lesen konnte. Viele Dimensionen des Gebets, die wir unter der Prägung von Jobst und Charlotte Bittner kennenlernen konnten, waren für uns völlig neu.

Seit 1998 wird im gesamten Werk der TOS jedes Jahr am Jahresanfang zu einer gemeinsamen 40-tägigen Fastenzeit eingeladen. Jeder klinkt sich seitdem dabei in Freiheit in das Fasten ein, wie er das will und kann – aber viele der leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fasten regelmäßig am Jahresanfang tatsächlich 40 Tage. Gerade in diesen Zeiten begegnete der Herr uns schon oftmals sehr besonders und redete zu uns.

Aus diesen Zeiten heraus wurde z. B. im Jahr 2001 ein Gebetsdienst für die Regierung in Berlin gegründet. Seitdem fahren regelmäßig Teams nach Berlin, um dort mehrere Tage in einer herrlichen und sehr zentral gelegenen Gebetswohnung für die Regierung und das ganze Land zu beten. Aus solchen gemeinsamen Fasten- und Gebetszeiten heraus redete der Herr auch über die „Decke des Schweigens“, rief uns nach Israel und initiierte die Märsche des Lebens.

Als im ganzen Land um das Jahr 2000 herum ein neuer Aufbruch im Gebet stattfand – u. a. durch den Dienst von John Mulinde (Uganda) – da begann in Tübingen eine durchgehende Tag-und-Nacht-Gebetskette der ganzen Gemeinde und ebenso ein spezieller, prophetischer Gebetskreis, der seitdem regelmäßig betet und sehr viele wertvolle und wichtige Impulse ins ganze Werk eingebracht hat. Im Jahr 2005 reiste ein Leitungskreis der TOS für eine einwöchige Gebetszeit nach Bangor (Nordirland) und wurde dort inspiriert von der bisher längsten Tag-und-Nacht-Gebetskette der Kirchengeschichte, die dort ab dem Jahr 558 n. Chr. für etwa 300 Jahre lang stattfand. Es entstand die Vision von „Gebetstürmen“ an geistlich bedeutsamen Orten – die bis jetzt in New York, La Paz, Berlin, Tübingen, Ostrovcici (Weißrussland) und Leipzig verwirklicht wurde. Das sind nur einige Stichworte, die für viele Erfahrungen und Dienste stehen.

All das beschreibt in kurzen Worten die vielen unglaublich wertvollen Impulse, Vorbilder, Prägungen und Erfahrungen, die wir seit dem Jahr 1990 im Rahmen der TOS kennenlernten und die unser Leben sehr bereichert und geprägt haben. Vieles wäre ohne diesen Rahmen in unserem Leben überhaupt nicht möglich gewesen. In diesem Buch habe ich beides verarbeitet: Impulse aus 30 Jahren reichhaltiger Erfahrungen mit Gebet im Rahmen des gesamten TOS Werkes, aber auch viele persönliche und gemeinsame Erfahrungen, die wir in Leipzig machten, seit wir 1998 als Missionare hierher umzogen.

In Leipzig waren wir nämlich noch einmal ganz neu herausgefordert: Hier kam es plötzlich existenziell auf unser eigenes Gebet an. Dabei mussten wir feststellen, dass es eine Sache ist, in einem größeren Werk ein Teil einer Gebetsbewegung zu sein, viele segensreiche Impulse zu empfangen und sich mit anderen gemeinsam darin zu bewegen – und dass es noch einmal eine ganz andere Sache ist, auf sich selbst gestellt zu sein und wirklich selbst zu einem Beter zu werden, der Gott eigenständig sucht und Himmel und Erde bewegen kann. Wir mussten feststellen, dass es dafür noch einen weiteren Weg brauchte.

Die oben beschriebene Begegnung mit der Herrlichkeit Gottes war eine von vielen Stationen auf diesem weiteren Weg, der uns veränderte und zu leidenschaftlichen Betern machte – zu einer ständig betenden Gemeinde. Seit Mai 2007 betet unsere Gemeinde Tag und Nacht in einer Gebetskette ununterbrochen in einer Wohnung mit einem Türmchen in der Innenstadt von Leipzig, die wir extra für Gebet angemietet haben.

Zwei Dinge will ich damit sagen:

1.Dieses Buch wurde nicht aus der Theorie heraus geschrieben, sondern aus einem Weg mit dem lebendigen Gott, der uns immer mehr in seine Gegenwart gezogen und uns beten gelehrt hat. Und es kommt aus vielen Begegnungen mit der Herrlichkeit Gottes und Erfahrungen von Gebetserhörungen und Wundern.

2.Es gibt einen Weg ins Gebet. Man kann Schritte gehen und beten lernen. Wer bis jetzt gebetslos lebt, kann zu einem Beter werden. Gemeinden, in denen es bis jetzt eine kleine Gebetsstunde mit einigen wenigen Betern gibt, können vom Geist des Gebets erfasst und zu erweckten, betenden Gemeinden werden.

Ich lade Sie daher ein: Lassen Sie sich an der Hand nehmen auf eine Entdeckungsreise in die übernatürliche Welt, in die Welt Gottes – und in das wunderbare Vorrecht, dass wir im Gebet Zugang zu seiner Gegenwart und zu allen Kräften und Ressourcen des Himmels haben. Auf dieser Reise werden wir viele Bibelstellen zum Thema Gebet gründlich studieren – umrahmt von einzelnen Erfahrungsberichten unseres eigenen Weges in die Gegenwart Gottes.

Ich wünsche Ihnen viel Segen beim Lesen dieses Buches!

Stefan Haas

Leipzig, im Januar 2019

1Eine evangelikal-charismatische Freikirche und Missionswerk. Ausführliche Infos finden Sie unter: www.tos.info.

Teil 1

SUCHT MICH!

Kapitel 1: Zu ihm

Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen. (Röm. 11,36)

Wenn Gemeinden zu ihren sonntäglichen Veranstaltungen zusammenkommen, so nennt man das im Deutschen „Gottesdienst“. Im Englischen heißt es hingegen „Church Service“. Der Unterschied ist größer, als man vielleicht zunächst annimmt: Es bezeichnet sprachlich eine grundsätzlich verschiedene Ausrichtung der Veranstaltung: In einem „Gottesdienst“ geht es vom Wort her offensichtlich darum, Gott zu dienen. In einem „Church Service“ ist der Fokus vom Wort her auf der Gemeinde. Wie sieht es vergleichbar mit dem Thema „Gebet“ aus?

Am Anfang dieses Buches möchte ich uns zunächst ermutigen, sehr grundsätzlich über Gebet nachzudenken: Was bedeutet es eigentlich zu beten? Die deutsche Sprache hat hier eine Tendenz, dem Thema gleich eine spezielle Ausrichtung zu geben: „Gebet“ und „beten“ liegen sprachlich sehr nah an „bitten“. Ist das nur ein Zufall – oder verrät uns unsere Sprache? Haben wir vielleicht tatsächlich ein Verständnis von Gebet, in dem das Bitten die zentrale Angelegenheit darstellt?

Die folgende Geschichte über Abraham aus Gen. 18,1-102 stellt unsere Gedanken auf den Kopf:

(1) Und der HERR erschien ihm im Hain Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war.

(2) Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Und als er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seines Zeltes und neigte sich zur Erde

(3) und sprach: Herr, hab ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so geh nicht an deinem Knecht vorüber. (4) Man soll euch ein wenig Wasser bringen, eure Füße zu waschen, und lasst euch nieder unter dem Baum. (5) Und ich will euch einen Bissen Brot bringen, dass ihr euer Herz labt; danach mögt ihr weiterziehen. Denn darum seid ihr bei eurem Knecht vorübergekommen. Sie sprachen: Tu, wie du gesagt hast.

(6) Abraham eilte in das Zelt zu Sara und sprach: Eile und menge drei Maß feines Mehl, knete und backe Brote. (7) Er aber lief zu den Rindern und holte ein zartes, gutes Kalb und gab’s dem Knechte; der eilte und bereitete es zu. (8) Und er trug Butter und Milch auf und von dem Kalbe, das er zubereitet hatte, und setzte es ihnen vor und blieb stehen vor ihnen unter dem Baum, und sie aßen.

(9) Da sprachen sie zu ihm: Wo ist Sara, deine Frau? Er antwortete: Drinnen im Zelt. (10) Da sprach er: Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr; siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben.

Der Herr begegnete Abraham. Das war etwas sehr Außergewöhnliches – auch für Abraham! Nur dreimal wird uns aus seinem Leben berichtet, dass der Herr ihm tatsächlich erschien.3 Abraham war mittlerweile 99 Jahre alt. Mit 75 Jahren war er aus Haran ausgezogen – und wartete seitdem auf seinen verheißenen Sohn. Abraham hatte sicherlich genug eigene Dinge, die ihn in diesem Moment beschäftigten, als der Herr ihm begegnete. Er hätte sofort ein Gespräch darüber beginnen können.

In Jes. 41,8 lesen wir eine sehr starke Aussage Gottes über Abraham:

Du aber, Israel, mein Knecht, Jakob, den ich erwählt habe, du Same Abrahams, meines Geliebten, (…)

Der Herr nennt ihn zärtlich auf Hebräisch „Ohawi“ – „mein Freund, mein Geliebter“. Der Jakobusbrief greift das auf (Jak. 2,23):

So ist die Schrift erfüllt, die da spricht (1. Mose 15,6):

„Abraham hat Gott geglaubt und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden“, und er wurde „ein Freund Gottes“ genannt (Jesaja 41,8).

Wie sehr Abraham ein Freund und Geliebter Gottes war, zeigt sich u. a. in dieser Geschichte in Gen. 18. Anstatt den Herrn mit seinen Anliegen zu überhäufen, hatte Abraham offene Augen für Gott. Und er sah etwas Erstaunliches, was viele Christen nicht wahrnehmen: Er sah die Bedürftigkeit Gottes. Schauen wir uns noch einmal an, was Abraham sagt, als er den Herrn sieht:

(3) Herr, hab ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so geh nicht an deinem Knecht vorüber. (4) Man soll euch ein wenig Wasser bringen, eure Füße zu waschen, und lasst euch nieder unter dem Baum. (5) Und ich will euch einen Bissen Brot bringen, dass ihr euer Herz labt; danach mögt ihr weiterziehen.

Und dann folgt der Satz:

Denn darum seid ihr bei eurem Knecht vorübergekommen.

Abraham sah, dass der Herr zu ihm gekommen war, um erfrischt zu werden. Wir haben oft ein falsches Denken über den lebendigen Gott. Wir denken, da er ja allmächtig, allwissend, allgegenwärtig usw. ist, kann er eigentlich auch nichts nötig haben. Was wir oft nicht wahrnehmen: So wie der reichste Mensch sich Liebe nicht kaufen kann, so kann auch der allmächtige Gott mit aller seiner Macht nur auf einem Weg Liebe bekommen: indem Menschen sie ihm freiwillig geben. Ich glaube, dass der Herr hier zu Abraham wirklich kam, um erfrischt zu werden, mit einem Freund zu sprechen, Gemeinschaft mit ihm zu haben – und ihm auch noch zu erzählen, was ihn gerade beschäftigt. Der Herr sehnte sich danach, von der Liebe und Gemeinschaft eines Freundes erfrischt zu werden.

Es ist erstaunlich, dass Abraham das sofort wahrnahm, als er den Herrn sah. Das bedeutet zweierlei:

•Er kannte den Herrn wirklich gut. Nur wer jemanden gut kennt, der kann ohne Worte sofort erkennen, was ihn beschäftigt.

•Er war sehr aufmerksam und achtete genau darauf, wie es dem Herrn geht und was ihn bewegt.

Das ist eine erste grundlegende Erkenntnis zum Thema „Gebet“: Gebet ist nicht bitten. Gebet ist ein Lebensstil der Liebe zum lebendigen Gott, der ihn selbst wahrnimmt und ihm dient. Das Wort Gottes sagt über unsere Bestimmung:

Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen. (Röm. 11,36)

Wir sind zu Gott hin geschaffen. Alles in uns ist zu Gottes Ehre geschaffen. Der Epheserbrief fasst die gesamte Rettungsgeschichte Gottes mit Christen in folgenden knappen Sätzen zusammen (Eph. 1,3-8.11-14, SLT 20004):

(3) Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus! Er hat uns gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in der Himmelswelt in Christus,

(4) wie er uns in ihm auserwählt hat vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und tadellos vor ihm seien in Liebe, (5) und uns vorherbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst nach dem Wohlgefallen seines Willens, (6) zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der er uns begnadigt hat in dem Geliebten.

(7) In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade, (8) die er uns reichlich gegeben hat in aller Weisheit und Einsicht.

(…)

(11) Und in ihm haben wir auch ein Erbteil erlangt, die wir vorherbestimmt waren nach dem Vorsatz dessen, der alles nach dem Rat seines Willens wirkt, (12) damit wir zum Preise seiner Herrlichkeit seien, die wir vorher schon auf den Christus gehofft haben.

(13) In ihm seid auch ihr, als ihr das Wort der Wahrheit, das Evangelium eures Heils, gehört habt und gläubig geworden seid, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist der Verheißung. (14) Der ist die Anzahlung auf unser Erbe auf die Erlösung seines Eigentums zum Preise seiner Herrlichkeit.

Dreimal wird es in dieser äußerst knappen Zusammenfassung deutlich betont:

•Gott hat uns aus seiner Liebe heraus vor Grundlegung der Welt auserwählt, seine Kinder zu sein – zur Ehre seiner Herrlichkeit.

•Er hat uns gerettet und zu seinen Kindern gemacht – damit wir etwas seien zur Ehre seiner Herrlichkeit.

•Er hat uns versiegelt mit dem Heiligen Geist und uns damit die Anzahlung der ewigen Erlösung, des Himmels, gegeben – zur Ehre seiner Herrlichkeit.

Wenn das die Grundbestimmung unseres Lebens ist und auch die Grundbestimmung unserer Errettung und Erfüllung mit dem Heiligen Geist – dann kann dies für Gebet eigentlich nur eins bedeuten:

Es ist auch die Grundbestimmung von Gebet, dass der lebendige Gott die Ehre, Erfrischung, Liebe, Anbetung und Freude durch seine Kinder bekommt, nach der er sich sehnt.

Sind wir Freunde und Geliebte Gottes? Wie können wir es werden? Darum wird es in diesem Buch gehen.

2Das 1. Mose-Buch – ich bevorzuge die lateinische Bezeichnung der 5 Bücher der Thora, da sie auf dieser Basis auch international in vielen Sprachräumen verwendet werden: Genesis (Gen.) - 1. Mose; Exodus (Ex.) - 2. Mose; Levitikus (Lev.) - 3. Mose; Numeri (Num.) - 4. Mose; Deuteronomium (Dtn.) - 5. Mose.

3Gen. 12,7; 17,1 und 18,1

Kapitel 2: Warten auf Gott

Ps. 130,6+7

(6) Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen; mehr als die Wächter auf den Morgen (7) hoffe Israel auf den HERRN! Denn bei dem HERRN ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm.

Seit vielen Jahren ist ein regelmäßiger Höhepunkt meines Gebetslebens eine wöchentliche, persönliche Gebetsnacht von Mitternacht bis sechs Uhr morgens. Ich liebe es, nachts zu beten. Wie schon erwähnt haben wir als Gemeinde seit April 2006 eine Gebetswohnung mit einem Türmchen in der Innenstadt von Leipzig. Es ist erstaunlich, wie still es mitten in der Nacht inmitten einer Stadt von fast 600.000 Einwohnern wird. Während die Stadt zur Ruhe kommt, wache ich mit dem Herrn und beginne einen neuen Tag und eine neue Woche. Dabei kommt es mir oft so vor, als ob eine neue weiße, noch unbeschriebene Seite in einem Buch aufgeschlagen wird. Noch weiß niemand, was auf den Seiten dieser Woche einmal stehen wird. Wie schön ist es, diese Zeit erst einmal mit dem Herrn zu füllen – indem ich auf ihn warte.

Dabei weiß ich, wie schön es sein kann, wenn nach der Nacht die ersten Vögel anfangen zu singen und langsam der erste helle Schein am Horizont erscheint. Aus dem Türmchen heraus habe ich über den Dächern von Leipzig schon viele wunderschöne Sternennächte ebenso wie Sturm, Hagel, Schnee und Eis und genauso viele herrlich milde Sommernächte erlebt. Besonders liebe ich die Nächte um den 21. Juni herum, da es in diesen Nächten immer ein besonderes Himmelsschauspiel gibt. Als ich es zum ersten Mal gesehen habe, konnte ich es überhaupt nicht einordnen. Die Dämmerung beginnt in dieser Zeit in Leipzig etwa um halb vier oder vier Uhr. Ab etwa zwei Uhr wird es aber um den 21. Juni herum in einem begrenzten Bereich des Himmels sehr hell. Dort erscheint dann ein richtiges Morgenrot und blauer Himmel – während es auf mehr als drei Vierteln des Himmels noch pechschwarze Nacht bleibt. Und das Erstaunliche ist: Dieser Sonnenaufgang vor dem Sonnenaufgang erscheint im Norden! Das bleibt anderthalb bis zwei Stunden so, bis das Morgenrot langsam Richtung Osten wandert, größer wird und in die übliche Dämmerung übergeht, bei der dann schnell der ganze Himmel heller und heller wird.

In Ps. 130,6+7 heißt es nun also:

(6) Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen; mehr als die Wächter auf den Morgen (7) hoffe Israel auf den HERRN! Denn bei dem HERRN ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm.

Nachtwächter warten auf den Morgen. Sie beobachten den Himmel und sehen die ersten Zeichen von Dämmerung, weil sie sehnsüchtig darauf warten.

Im Hebräischen steht für das Wort „warten“ hier (schamar), das u. a. „hüten, bewachen, etwas beobachten, auf etwas achten“ bedeuten kann.5 Der Psalmbeter drückt aus: Mehr als die Nachtwächter auf den Sonnenaufgang warten, beobachtet meine Seele den Herrn: Was denkt er? Was beschäftigt ihn? Gibt es irgendwelche ersten Anzeichen einer geistlichen Dämmerung, einer Bewegung Gottes – eines Eingreifens Gottes? Ebenso wird Israel aufgefordert, in dieser Weise mehr auf den Herrn zu hoffen, als die Nachtwächter den Himmel beobachten und auf die ersten Anzeichen des Morgens warten.

Acht Tage nach der Geburt Jesu reisten Josef und Maria mit Jesus nach Jerusalem. Im Tempel begegneten sie dabei zwei sehr ungewöhnlichen und erstaunlichen Helden Gottes: Simeon und Hanna.

Lk. 2,22-39

(22) Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen, (23) wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn (2. Mose 13,2; 13,15): „Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen“, (24) und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: „ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben“ (3. Mose 12,6-8).

(25) Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war mit ihm. (26) Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem Heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. (27) Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, (28) da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:

(29) Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; (30) denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, (31) den du bereitet hast vor allen Völkern, (32) ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.

(33) Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. (34) Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird (35) – und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen –, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.

(36) Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser; die war hochbetagt. Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, nachdem sie geheiratet hatte, (37) und war nun eine Witwe an die vierundachtzig Jahre; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. (38) Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

(39) Und als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth.

Beide, Simeon und Hanna, hatten ein Verständnis davon, was es heißt, auf Gott zu warten. Über Simeon heißt es in Vers 25: Er wartete auf den Trost Israels. Und über Hanna wird uns in Vers 38 berichtet, dass sie zu allen redet, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

Ähnliche Sätze lesen wir über Josef von Arimathäa.

Mk. 15,42+43

(42) Und als es schon Abend wurde und weil Rüsttag war, das ist der Tag vor dem Sabbat, (43) kam Josef von Arimathäa, ein angesehener Ratsherr, der auch auf das Reich Gottes wartete, der wagte es und ging hinein zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu.

Im Griechischen steht an allen drei Stellen das Wort προσδέχομαι (prosdechomai), das so viel bedeutet wie „eine Person aufnehmen oder annehmen; auf etwas oder jemand warten, erwarten“.6

Kurz vor der Himmelfahrt gab Jesus seinen Jüngern folgende Anweisung:

Apg. 1,4+5

(4) Und als er mit ihnen zusammen war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr, so sprach er, von mir gehört habt; (5) denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen.

Dabei wird das „warten“ hier im Griechischen interessant ausgedrückt: Das griechische Wort heißt περιμένω (perimeno) und bedeutet wortwörtlich „darum herum bleiben“ (und daraus dann „warten, erwarten“7) – wie wenn man sich z. B. um ein Lagerfeuer herum versammelt, das im Zentrum steht, man es beobachtet und Holzscheite nachlegt. So sollen die Jünger Jesu die Tage nach der Himmelfahrt verbringen und in dieser Weise auf die Kraft des Heiligen Geistes warten. Wir lesen in den Versen 12-14 weiter:

(12) Da kehrten sie nach Jerusalem zurück von dem Berg, der heißt Ölberg und liegt nahe bei Jerusalem, einen Sabbatweg entfernt. (13) Und als sie hineinkamen, stiegen sie hinauf in das Obergemach des Hauses, wo sie sich aufzuhalten pflegten: Petrus, Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon der Zelot und Judas, der Sohn des Jakobus. (14) Diese alle waren stets beieinander einmütig im Gebet samt den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern.

Da waren sie nun im Obergemach. Jesus hatte ihnen gesagt, dass sie Jerusalem nicht verlassen, sondern um die bevorstehende Erfüllung der Verheißung herum bleiben sollen: die Taufe im Heiligen Geist. Wie lange würde es genau dauern? Das hatte er ihnen nicht gesagt. Wie würde es aussehen? Was würde genau passieren? Sie hatten keine Ahnung. Sie wussten nicht, worauf sie wirklich warteten. Sie wussten nicht, was konkret passieren würde, wenn es sich erfüllt. So warteten sie: Stunde um Stunde, Tag um Tag … aufmerksame Beobachter, Tag- und Nacht-Wächter um die Verheißung herum: Der Heilige Geist wird kommen.

Nach zehn langen Tagen des Wartens und Beobachtens geschah plötzlich etwas Außergewöhnliches:

Apg. 2,1-4

(1) Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander.

(2) Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. (3) Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, (4) und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.

Wenn wir Apg. 1 als geübte Bibelleser lesen, wissen wir bereits, was in Apg. 2 passiert. Wir müssen uns aber eines klar machen: Was hier passierte, hatte noch nie ein Mensch so erlebt. Es war völlig neu. So etwas gab es noch nie. Viele Menschen hatten auch im Rahmen der Geschichte Israels im Tanach8 den heiligen Geist sehr unterschiedlich erlebt. Aber noch nie in der gesamten Weltgeschichte war etwas passiert, das man den Geschehnissen vergleichen kann, die in Apg. 2,1-4 berichtet werden.

Und vielleicht ist das auch genau der Schlüssel. Warum sollen wir auf Gott warten? Warum sollen wir Anzeichen des Reiches Gottes beobachten wie Nachtwächter auf die ersten Anzeichen der Dämmerung warten und den Himmel danach absuchen?

Ein Grund ist sicherlich: Gott sucht immer Menschen, die mit ihm zusammen wachen – und denen er seine Geheimnisse mitteilen kann, weil sie auf ihn schauen und hungrig auf ihn warten. Der Herr sucht immer nach Menschen, denen er mitteilen kann, was ihn beschäftigt – und die das dann wieder im Gebet bewegen und mit zur Geburt bringen.

Ein zweiter Grund ist: Könnte es sein, dass wir auf echte Bewegungen Gottes nur dann wirklich vorbereitet sind, wenn wir vorher darauf gewartet haben? Könnte es sein, dass nur diejenigen, die auf Anzeichen des Reiches Gottes warten, es bereits wahrnehmen, wenn Gott gerade eine neue Bewegung anfängt – und darauf vorbereitet sind ihre Rolle darin einzunehmen?

Was hat Simeon wohl erwartet, als er auf den „Trost Israels“ wartete? Wen hat er wohl erwartet, als der Heilige Geist ihm die Verheißung gab, er würde erst sterben, wenn er den Messias gesehen hat? Was waren wohl seine Vorstellungen vom Messias? Hat er vielleicht nach einem erwachsenen Mann geschaut – mit einer heldenhaften und königlichen Ausstrahlung wie König David? Als dann aber ein kleines, gerade neugeborenes Baby in den Tempel gebracht wurde, war er – auf Anregen des Heiligen Geistes – im richtigen Moment zur Stelle und erkannte sofort, dass dieses Baby der Messias ist, auf den so viele so lange schon warteten.

Wie oben bereits gesagt, bedeutet das griechische Wort προσδέχομαι (prosdechomai) nicht nur „erwarten“, sondern zuerst „jemand empfangen, jemand aufnehmen“. Wer auf Gott und seine Bewegungen wartet, empfängt ihn bereits und nimmt ihn auf – und wird so in der Zeit des Wartens vorbereitet für alles, was der Herr tun will.

Die Prophetin Hanna lehrt uns dazu noch, dass dieses Warten auf Gott kein passives Abwarten ist. Über sie heißt es9:

(…) die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht.

Was für eine wunderbare Frau! Auch sie war mit ihrem ganzen Leben in Liebe zu Gott darauf ausgerichtet, ihm zu dienen – mit Gebet und Fasten. Wir sehen eine ähnliche Freundschaft in ihrem Leben zum Herrn wie wir sie schon bei Abraham gesehen haben.

Und auch der Vater des verlorenen Sohnes lehrt uns etwas über die geistliche Bedeutung des Wartens. Als der verlorene Sohn aus der Fremde endlich wieder zurückkehrt, heißt es10:

Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.

Der Vater des verlorenen Sohnes konnte ihn nur deswegen schon sehen, als er noch weit entfernt war, weil er die ganze Zeit auf ihn gewartet hatte. Dieses Warten hat ihn vorbereitet. Als es nur das kleinste Zeichen gab, dass sein Sohn zurückkehrte, war er vorbereitet, ihm sofort entgegenzulaufen, ihm um den Hals zu fallen und ihn zu küssen – und ihn mit ganzem Herzen und aller Entschlossenheit wieder zu Hause aufzunehmen.

Warten im Gebet auf verlorene Menschen bereitet uns innerlich vor, dass wir sofort wahrnehmen, wenn sich in ihnen etwas verändert – wenn sie innerlich mit ersten zaghaften Schritten beginnen, zum Vater zurückzukehren. Nur wer im Gebet darauf gewartet hat, der sieht den verlorenen Sohn schon von weitem zurückkehren. Wer im Gebet darauf gewartet hat, nimmt diese Veränderung sofort wahr, läuft dem Verlorenen entgegen und nimmt ihn in der Herzlichkeit und Entschlossenheit auf, die es braucht, wenn verlorene Kinder zum Vater heimkehren.

Der Prophet Habakuk drückt das Warten auf Gott sehr eindrücklich aus11:

Hier stehe ich auf meiner Warte und stelle mich auf meinen Turm und schaue und sehe zu, was er mir sagen und antworten werde auf das, was ich ihm vorgehalten habe.

5vgl. GESENIUS, a. a. O., S. 1386 f., Artikel

6vgl. BAUER, WALTER, a. a. O., Spalte 1426

7vgl. BAUER, WALTER, a. a. O., Spalte 1307

8Tanach ist der jüdische Begriff für das, was wir Christen „Altes Testament“ nennen.

9Lk. 2,37

10Lk. 15,20

11Hab. 2,1

Kapitel 3: Das Gebet in der Wüste

Ich war gebeten worden, auf einer Israelreise für die geistlichen Impulse zu sorgen – und stellte dann fest, dass viele der Orte der geplanten Route besondere Orte des Gebets in der Bibel waren. So hielt ich eine Reihe von Inputs über Gebet. Insgesamt waren wir mit vier Reisebussen und 164 Teilnehmern auf dieser Reise unterwegs.

Eines Tages waren wir in der Region des Toten Meeres. Wir besuchten die ehemalige Bergfestung Massada. Unser Tour-Guide teilte uns Kopfhörer aus und schloss seinen Sender mit Mikrofon an. Dann testete er alles, während wir noch in der Talstation der Seilbahn warteten. Dabei sagte er den Satz: „Jetzt müsstet ihr mich alle hören – es sei denn, ihr seid zu weit entfernt von mir.“

Ich musste bei diesem Satz etwas schmunzeln, da er zu meinem vorbereiteten Input passte. Oben auf Massada erzählte er dann noch, dass das hebräische Wort für „Wüste“ (Midbar)12 das Wort (dawar) enthält (was man übrigens auch erkennen kann, wenn man kein Hebräisch kennt). Das Wort (dawar) bedeutet im Hebräischen „Wort, Rede“13 und das entsprechende Verb „reden, sprechen, erklären“, das im Tanach sicherlich eines der am meisten gebrauchten Wörter ist.

Als dann später am Tag in Qumran alle vier Reisebusse versammelt waren, lehrte ich – wie ich es geplant hatte – über das „Gebet in der Wüste“:

Ps. 63,1-4

(1) Ein Psalm Davids, als er in der Wüste Juda war.

(2) Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir, mein ganzer Mensch verlangt nach dir aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist. (3) So schaue ich aus nach dir in deinem Heiligtum, wollte gerne sehen deine Macht und Herrlichkeit. (4) Denn deine Güte ist besser als Leben; meine Lippen preisen dich.

Wir standen mitten in der Wüste Juda. Um uns herum waren fast nur trockener Staub und Sand zu sehen. Es war über 30 Grad heiß, und man musste sehr darauf achten, genug zu trinken. An einem solchen Ort betete David diesen Psalm. Vielleicht ganz in der Nähe?

Er betete dabei ein Gebet von großer Sehnsucht und Eindringlichkeit:

(2) Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir, mein ganzer Mensch verlangt nach dir aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist.

Was ist an der Wüste besonders?

•Man muss nichts dafür tun, um durstig zu werden.

•Man hat keinerlei Ablenkung.

Ich glaube, dass genau das eigentlich immer für uns gilt: Unsere Seele ist immer unglaublich durstig nach Gott – nach seiner Gegenwart, nach seinem Wort, nach seiner Liebe und Nähe. Unsere Seele ist von Gott so geschaffen, dass sie durstig nach ihm ist. Das einzige Problem ist: Dieser Durst kann von vielem kurzfristig überlagert werden. Nichts anderes kann diesen Durst stillen. Aber es gibt vieles, das von diesem Durst ablenken kann oder diesen Durst betäubt, zudeckt oder vergessen lässt.

Die Wüste ist aber der Ort, an dem es keine Ablenkung gibt. Daher bricht an diesem Ort der Durst nach Gott wieder mit voller Macht hervor. Wir müssen aber deshalb keine Eremiten-Mönche werden, die sich in die Bescheidenheit eines Klosters in der Wüste zurückziehen und allen weltlichen Freuden entsagen.

Aber ich bin überzeugt, dass der Herr uns in einer anderen Weise tatsächlich in die Wüste ruft: Wir brauchen ganz regelmäßig Zeiten und Orte, an denen uns nichts von Gott ablenkt! Nur so können der Durst nach der Gegenwart Gottes und der Hunger nach dem Wort Gottes immer wieder von aller Ablenkung und Betäubung befreit werden – und uns wieder leidenschaftlich zum Herrn ziehen. Wenn wir an diesem Ort der Sehnsucht nach Gott und des geistlichen Durstes ankommen, dann ist es genau in dieser „Wüste“, dass der Herr klar und deutlich zu uns reden kann. Die Wüste ist tatsächlich der Ort, an dem der Herr redet.

Es könnte eben auch Jesus zu uns diesen Satz sagen:

„Ihr müsstet mich eigentlich alle hören – es sei denn, ihr seid zu weit entfernt von mir.“

12vgl. GESENIUS, a. a. O., S. 630, Artikel

13vgl. GESENIUS, a. a. O., S. 239 f., Artikel

Kapitel 4: Wofür?

Suchet mich, so werdet ihr leben. (Am. 5,4)

Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR, (…) (Jer. 29,13+14a)

Diese Aufforderung ist so einfach – und sie trifft den Kern. Es gibt viele sehr gute Gründe, um zu beten. Aber dieser Grund trifft den Kern von Gottes Herzensanliegen14:

Ihr werdet mich suchen und finden (…)

Der Herr will, dass wir ihn finden. Er will, dass wir ihm begegnen und wirklich bei ihm ankommen. Dafür möchte er, dass wir ihn suchen – und zwar immer wieder neu. Warum?

Natürlich finden wir in dem Moment, in dem wir Kinder Gottes werden, einmal richtig den Herrn. Wir kommen beim Vater an! Nichts und niemand kann uns ab diesem Moment mehr von seiner Liebe trennen. Wir haben ihn gefunden! In diesem Sinn sagt Andreas zu seinem Bruder Simon15:

Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte.

Wer durch eine echte Herzensbekehrung und Wiedergeburt ein Kind Gottes geworden ist, der hat Gott für immer gefunden. Und trotzdem gilt diese Aufforderung für jedes Kind Gottes jeden Tag neu:

Suchet mich, so werdet ihr leben. (Am. 5,4)

Warum? Weil jede Beziehung davon lebt, dass man das Herz des anderen immer wieder neu sucht. Wer das Herz eines anderen nicht mehr sucht, dessen Liebe ist kalt geworden. Sein Interesse am anderen hat abgenommen. Wo früher echte Freundschaft war, ist nun Gleichgültigkeit eingezogen. Beziehungen besitzen wir niemals. Wir müssen immer wieder neu in sie investieren. Freunde, die nicht mehr in eine Freundschaft investieren, verlieren sich irgendwann aus den Augen.

So ist es auch mit dem lebendigen Gott: Als er den Menschen erschuf, hat er sich nach einem Gegenüber gesehnt – nach Freunden und nach Kindern, die ihn lieben und die die Freundschaft mit ihm auch von sich aus aktiv suchen würden. Das war das allererste Schöpfungsziel Gottes.

Wenn jemand Sie fragen würde: „Wofür ist Jesus am Kreuz gestorben?“ Was würden Sie wohl antworten?

Ich könnte mir vorstellen, dass manche antworten würden: „Jesus ist für meine Sünde gestorben, um mir meine Sünde zu vergeben.“

Ja, das stimmt!

Andere würden vielleicht sagen: „Jesus ist gestorben, um mir neues Leben zu geben.“

Auch das stimmt!

Aber beides ist in dieser Weise eine verkürzte Sichtweise. Was wurde durch den Sündenfall zerstört? An dem Tag, an dem der Mensch von der verbotenen Frucht aß, wurde er aus dem Paradies vertrieben wurde und starb einen tragischen geistlichen Tod. Der Mensch verlor jeden Kontakt zu Gott: Er sah ihn nicht mehr, er hörte ihn nicht mehr und fühlte ihn nicht mehr. Es war keine Freundschaft mehr möglich.

All das waren die direkten Auswirkungen der Sünde.

Manchmal verstehen Christen den Tod Jesu nun leider in einer sehr verkürzten Weise: Sie sind froh und dankbar, dass Jesus starb, um ihnen ihre Sünden zu vergeben und sie davon zu reinigen. Sie sind dankbar für ein neues Leben von Gott. All das ist sehr elementar und absolut richtig! Aber trotzdem ist es noch nicht wirklich bis zum Ziel zu Ende geführt.

Jesus starb natürlich am Kreuz, um Menschen ihre Sünde zu vergeben und ihnen neues Leben von Gott zu geben – und um dadurch aber schließlich zum Ziel zu kommen: nämlich die Beziehung zwischen Mensch und Gott wieder so freizusetzen, wie sie vor dem Sündenfall im Paradies war!

Jesus ist also mit seinem Tod am Kreuz im Leben eines Menschen erst dann wirklich bis zu Ende zum Zug gekommen, wenn die Beziehung zu Gott wieder völlig wiederhergestellt ist.

Mit anderen Worten: Wenn ein Mensch wieder Gott sieht, hört, erlebt, mit ihm redet und Gemeinschaft und intime Freundschaft mit ihm hat – dann erst hat Jesus das Ziel seines Todes am Kreuz wirklich erreicht!

Gebetslosigkeit ist kein Kavaliersdelikt. Es ist eine der größten Sünden der modernen, westlichen Christenheit.

Gebet ist kein Luxus. Es ist der Kern. Es ist der Ausdruck wirklich zum Ziel gekommener Erlösung. Erst in einem Menschen, der Gott von Herzen sucht und es liebt, Zeit in der Gegenwart Gottes zu verbringen, der Hunger nach dem Wort Gottes und Durst nach der Herrlichkeit Gottes hat – erst in einem solchen Menschen ist Jesus mit seinem Tod am Kreuz wirklich zum Ziel gekommen.

Insofern trifft die Aufforderung aus Am. 5,4 den Kern:

Suchet mich, so werdet ihr leben.

Wer Gott sucht, der drückt damit seine Wertschätzung, seine Liebe und sein Verlangen aus. Wer Gott sucht, der will den Herrn mehr kennenlernen und mehr mit ihm erleben. Wer Gott sucht, der zeigt damit, dass der Herr wirklich den ersten Platz in seinem Herzen hat und das Reich Gottes die Priorität seines Lebens ist. Wer Gott sucht, dessen Augen sind auf den Herrn und nach vorne in die Zukunft gerichtet. Wer Gott sucht, der zeigt damit, dass sein Herz wirklich für ihn brennt.

Wer Gott nicht sucht, der drückt damit aus, dass er kein Verlangen nach Begegnung mit dem Herrn hat. Wer Gott nicht sucht, der ist geistlich satt und ihm bedeutet die Freundschaft mit dem Herrn nicht viel. Vermutlich gibt es andere Dinge in seinem Leben, die ihm viel wichtiger sind. Wer Gott nicht sucht – der liebt ihn wenig.

Wer Gott früher gesucht hat und ihn heute nicht mehr sucht, der ist bei alten geistlichen Erfahrungen stehengeblieben. Er ist geistlich satt geworden und lebt von der Vergangenheit. Kennen Sie auch Christen, die immer wieder von Wundern Gottes schwärmen, die sie vor vielen Jahren erlebt haben? Natürlich sollen wir niemals die Wunder Gottes vergessen, die der Herr an uns getan hat. Wer aber Gott wirklich sucht, liebt und ihm frisch begegnet – der wird begeistert von den frischen und neuen Begegnungen mit dem Herrn und von Erfahrungen und Wundern erzählen, die in den letzten Wochen stattfanden.

Sie können einen ganz einfachen Selbsttest machen:

Wenn Sie anfangen zu schwärmen von Wundern, persönlicher Erweckung oder von erwecklichen Aufbrüchen, die Sie miterlebt haben – stellen Sie sich doch schlichtweg einmal eine ganz einfache Frage: Wie lange ist das schon her? Wenn der Zeitraum größer als zwei Jahre ist – dann würde ich mich fragen: Und was war eigentlich in den letzten zwei Jahren? Wo sind die neuen Wunder Gottes? Wo ist die frische persönliche Erweckung? Und: Wie war eigentlich meine Beziehung zum Herrn in der letzten Zeit?

Wer bei alten geistlichen Erfahrungen stehengeblieben ist, der ist oftmals auch festgelegt in seiner Erwartung an den Herrn: Er erwartet nichts Neues. Seine Erwartungen sind oftmals darauf ausgerichtet, dass der Herr genau dasselbe wieder tut, was beim letzten geistlichen Aufbruch geschah. Wie viele Vertreter der charismatischen Bewegung beten dafür, dass der Herr wieder solche geistlichen Bewegungen wie in den 70er, 80er und 90er Jahren schenken möge? Wie viele Pfingstler schauen auf die Erweckung der Azusa-Street vor 100 Jahren? Und wie viele Lutheraner erwarten eine neue Reformation oder eine Vollendung der Reformation? Ich glaube, dass der Herr immer wieder seinen Geist ausgießt – und seine Kirche immer wieder reformiert. Aber er wird es immer wieder auf eine völlig frische und neue Art und Weise tun.

Es ist gut, dankbar für geistliche Aufbrüche der Vergangenheit zu sein, sich mit ihnen zu beschäftigen und von ihnen zu lernen. Aber wenn wir die Erfahrungen der Vergangenheit zu unserer Identität und unserem Maßstab machen und unsere Erwartung an die Zukunft schlichtweg ist, dass der Herr wiederholt, was wir schon einmal erlebt haben – dann leben wir rückwärtsgewandt und das Wort Jesu gilt für uns16:

Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Das spricht deutlich gegen alle geistliche Selbstzufriedenheit, die zurückschaut anstatt vorwärts zu gehen. Wer es sich bequem einrichtet, der ist in der Gefahr, neuer Herausforderung zu widerstehen – und unter Umständen selbst zu einem Gegner neuer Erweckungen zu werden. Schon manchmal waren die Vertreter früherer erwecklicher Aufbrüche in einem Selbstbewusstsein gefangen, selbst noch das Zentrum von Erweckung zu sein (während es schon längst nicht mehr wirklich so war) – und haben sich eifersüchtig gegen neue Aufbrüche gestellt und nicht erkannt, woher der Wind Gottes plötzlich anders und neu wehte. In der Vergangenheit gefangen waren Vertreter von Erweckungsbewegungen schon manchmal nicht in der Lage, die Segel neu zu setzen und demütig eine neue Bewegung Gottes von Herzen zu begrüßen.

Sucht mich und ihr werdet leben! – das ist eine Kampfansage gegen jeden geistlichen Status Quo, gegen alle Gewohnheit und geistliche Sattheit. Es ist eine Anweisung zu einem Lebensstil, der ständig wieder neu die Gegenwart Gottes und frische Erweckung sucht. Geistlicher Stillstand ist geistlicher Tod.

Ein Herz, das Gott wirklich sucht, ist schon umgeben von einer gewissen Atmosphäre der Erweckung – wie es z. B. in Jes. 26,9 heißt:

Von Herzen verlangt mich nach dir des Nachts, ja, mit meinem Geist suche ich dich am Morgen.

Wonach verlangt Ihr Herz nachts? Was suchen Sie am Morgen?

Hat der lebendige Gott Raum in Ihren Sehnsüchten und Ihrem Verlangen? Oder besteht die Beziehung zu ihm aus pflichtgemäßer Erfüllung geistlicher Gewohnheiten? Ist aus einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung eine kühle, nüchterne Dienstbeziehung geworden?

Dann wünsche ich Ihnen, dass Sie ganz neu den Herrn für persönliche Erweckung suchen! Wer nur von Wundern Gottes erzählt, die bereits vor vielen Jahren passierten, der hat vermutlich aufgehört, den Herrn zu suchen. Wer meint, er hat das Ziel schon erreicht – der hat die Liebesbeziehung zu Gott bereits verloren.

Suchen Sie ihn neu! Er wartet auf Sie – und will Ihnen anders, frisch und völlig neu begegnen!

14Jer. 29,13

15Joh. 1,41

16Lk. 9,62

Kapitel 5: Im Auge des Hurrikan

Wie groß ist Gott? In Jes. 40,12+15 lesen wir:

(12) Wer misst die Wasser mit der hohlen Hand, und wer bestimmt des Himmels Weite mit der Spanne und fasst den Staub der Erde mit dem Maß und wiegt die Berge mit einem Gewicht und die Hügel mit einer Waage?

(15) Siehe, die Völker sind geachtet wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waage. Siehe, die Inseln sind wie ein Stäublein.

Und in Hebr. 4,14 heißt es:

Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis.

Wie ist es, einem Gott zu begegnen, der die Wasser der ganzen Erde mit der hohlen Hand misst und des Himmels Weite mit der Spanne17? Wie fühlt es sich an, dem Herrn des ganzen Universums zu begegnen, für den die Völker wie ein Tropfen am Eimer sind und wie ein Sandkorn auf der Waage? Was passiert, wenn man dem Gott begegnet, der die Himmel durchschritten hat?

Elia hatte eine sehr eindrucksvolle Begegnung mit diesem Gott. Wir lesen davon in 1. Kön. 19,11-13:

(11) Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR wird vorübergehen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde.

Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben.

(12) Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer.Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.

(13) Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle.

Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia?

Als Stürme werden Winde einer Geschwindigkeit von mindestens 74,9 km/h bezeichnet. Werden es knapp 118 km/h, bezeichnet man sie als Orkan. Hurrikans der Stufe 5 (ab 252 km/h) erreichen Durchmesser von 300 bis 500 km. Es gibt allerdings auch Hurrikans, die sich auf bis zu 1.000 km ausdehnen. Die höchste bisher je auf der Erde registrierte Windgeschwindigkeit wurde im Jahr 1999 in Oklahoma gemessen. Sie lag bei etwa 496 km/h.

Das sogenannte „Auge“ eines Hurrikans hat durchschnittlich einen Durchmesser von 30 bis 60 km, der sich aber auch auf 200 km erweitern kann. Im Auge eines Hurrikans ist es fast windstill und trocken. Direkt um dieses Auge herum gibt es aber die größten Windgeschwindigkeiten.

Der Herr sagte Elia, dass er vor ihm vorübergehen wird. Dann begegneten Elia zunächst wie in Wellen drei der stärksten Naturkräfte, die wir auf der Erde kennen. Den Anfang machte ein „starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach“. Ich bin kein Experte darin. Und doch könnte ich mir vorstellen, dass es durchaus einen Hurrikan der höchsten Stufe 5 braucht, um solche Wirkungen zu erzielen. Daran schloss sich ein Erdbeben an – und schließlich Feuer. Elia erlebte unglaubliche Kraftwirkungen. Und doch waren es nur Randerscheinungen. Das Wort Gottes sagt jedes Mal: „(…) aber der HERR war nicht im Wind“, „(…) aber der HERR war nicht im Erdbeben“ und „(…) aber der HERR war nicht im Feuer“.

Und dann heißt es in Vers 12+13:

(12) (…) Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.

(13) Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle.

Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia?

Nach Sturm, Erdbeben und Feuer befand sich Elia im fast windstillen Auge des Hurrikans: Er stand plötzlich vor der realen Gegenwart dieses unglaublich großen Gottes. Sie kam in einem stillen, sanften Sausen.

Wer jemals einen Orkan mit 150 km/h erlebt hat, der denkt vielleicht, dass er schon wirklich einen starken Sturm erlebt hat. Was bedeutet dann aber ein Sturm mit 300 km/h? Oder wie muss es in Oklahoma im Jahr 1999 gewesen sein – mit Windgeschwindigkeiten von etwa 496 km/h?

Elia begegnete drei der stärksten Naturkräfte, die wir auf der Erde kennen. Sie waren aber nur die Schale, nicht der Kern. Sie waren Auswirkungen der Gegenwart Gottes, aber noch nicht wirklich die Gegenwart Gottes selbst.

Die Frage ist: Wie oft begegnen wir – selbst mit erstaunlichen Erfahrungen von Kraftwirkungen Gottes – womöglich nur den äußeren Randerscheinungen? Im Zentrum ist nur ein „stilles, sanftes Sausen“ – und persönliche Begegnung. Während Elia bisher noch eher unbeeindruckt mit aufgedecktem Angesicht hingeschaut hatte, reagierte er auf das stille, sanfte Sausen sofort mit Ehrfurcht und Respekt: Er verhüllte sein Antlitz mit seinem Mantel und trat in den Eingang der Höhle. Elia war ein Mann Gottes. Er kannte die Gegenwart Gottes. Daher wusste er sofort: Jetzt ist der Herr wirklich da! Und dann redete der Herr zu Elia.

In Ps. 62,6 heißt es:

Aber sei nur stille zu Gott, meine Seele; denn er ist meine Hoffnung.

(damam) heißt „schweigen, still sein“18 und wird oft auch mit „warten“ übersetzt. (tikwa) ist im Hebräischen die „Hoffnung, positive Erwartung“19. Bekannt ist dieses Wort durch die israelische Nationalhymne, die haTikwa – was „die Hoffnung“ bedeutet. Versucht man den Satzbau des Verses und die Bedeutung der Worte aus dem Hebräischen im Deutschen nachzuvollziehen, dann könnte man etwa übersetzen:

Aber zu Gott sei still meine Seele; denn von ihm ist meine Erwartung.

Meiner Meinung nach beschreibt Ps. 62,6 in höchstem Maß die Erfahrung von wirklicher Begegnung mit dem Herrn: Alles andere wird absolut still – und alle Konzentration und Erwartung ist nur noch auf den Herrn gerichtet.

In 2. Kor. 3,18 heißt es (SLT 2000):

Wir alle aber, indem wir mit unverhülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauen wie in einem Spiegel, werden verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, nämlich vom Geist des Herrn.

Hier ist von direkter Begegnung mit der Herrlichkeit Gottes die Rede. Es wird sogar davon gesprochen, dass „wir mit unverhülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauen“. Das ist noch mehr als bei Elia! Elia verhüllte sein Angesicht, als er Gott begegnete.

Ist es nicht erstaunlich, dass das Wort Gottes an dieser außergewöhnlichen Stelle proklamiert, dass „wir alle aber“ das so erleben?