Super Action Krimi Viererband 1012 - Alfred Bekker - E-Book

Super Action Krimi Viererband 1012 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: (499) Der Fall aus der Ferne (Alfred Bekker) Commissaire Marquanteur und die Nächte von Paris (Alfred Bekker) Killerjagd (Alfred Bekker) Commissaire Marquanteur und der Todespreis (Alfred Bekker) Mein Name ist Uwe Jörgensen. Ich bin Kriminalhauptkommissar in Hamburg und gehöre einer Spezialabteilung des BKA an, die sich vor allem um das organisierte Verbrechen kümmert. Zusammen mit meinem Kollegen Roy Müller bin ich in dieser Hinsicht seit Jahren aktiv. Viel Freizeit bleibt da nicht. Das ist einfach so. Ich befand mich an Bord eines Jollenkreuzers, der dem Libanesen gehörte. Jeder nennt ihn einfach den Libanesen. Er ist eine Kiezgröße und hat seine Finger in allen möglichen dubiosen Geschäften. Aber ich habe ihm einmal das Leben gerettet, als ein Killer der Russen-Mafia ihm den Garaus machen wollte. Ich konnte ihn retten, indem ich dem Russenkiller einen Kopfschuss verpasste. Das geschah in einem Strip-Club auf St. Pauli, der dem Libanesen gehört. Seitdem ist er mir ziemlich dankbar. Wir treffen uns ab und zu. Und er gibt mir hin und wieder ein paar Auskünfte, an die ich nicht herankommen würde.

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Alfred Bekker

Super Action Krimi Viererband 1012

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Inhaltsverzeichnis

Super Action Krimi Viererband 1012

Copyright

Der Fall aus der Ferne: Hamburg Krimi

​Commissaire Marquanteur und die Nächte von Marseille: Frankreich-Krimi

Killerjagd

Commissaire Marquanteur und der Todespreis

Super Action Krimi Viererband 1012

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Der Fall aus der Ferne (Alfred Bekker)

Commissaire Marquanteur und die Nächte von Paris (Alfred Bekker)

Killerjagd (Alfred Bekker)

Commissaire Marquanteur und der Todespreis (Alfred Bekker)

Mein Name ist Uwe Jörgensen. Ich bin Kriminalhauptkommissar in Hamburg und gehöre einer Spezialabteilung des BKA an, die sich vor allem um das organisierte Verbrechen kümmert. Zusammen mit meinem Kollegen Roy Müller bin ich in dieser Hinsicht seit Jahren aktiv. Viel Freizeit bleibt da nicht. Das ist einfach so.

Ich befand mich an Bord eines Jollenkreuzers, der dem Libanesen gehörte. Jeder nennt ihn einfach den Libanesen. Er ist eine Kiezgröße und hat seine Finger in allen möglichen dubiosen Geschäften. Aber ich habe ihm einmal das Leben gerettet, als ein Killer der Russen-Mafia ihm den Garaus machen wollte. Ich konnte ihn retten, indem ich dem Russenkiller einen Kopfschuss verpasste. Das geschah in einem Strip-Club auf St. Pauli, der dem Libanesen gehört. Seitdem ist er mir ziemlich dankbar. Wir treffen uns ab und zu. Und er gibt mir hin und wieder ein paar Auskünfte, an die ich nicht herankommen würde.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Der Fall aus der Ferne: Hamburg Krimi
von Alfred Bekker
Prolog
»Uwe, du brauchst ein Hobby«, sagte der Libanese zu mir. »Wallah, ich sag dir, Uwe, du brauchst ein Hobby.«
»Geh mir weg mit einem Hobby«, gab ich zurück.
Wir befanden uns beide auf einem Jollenkreuzer und segelten damit über die Außenalster. Ich kann segeln, seit ich zehn bin. Damals noch in einem Optimisten. Aber mit einem Jollenkreuzer über die Außenalster zu flitzen, das ist schon ein ganz eigenes Vergnügen. Naja, wie das so ist: Irgendwann hat man einfach nicht mehr genügend Zeit dafür. Denn eins ist Segeln ganz bestimmt: Ein zeitaufwändiges Hobby.
Mein Name ist Uwe Jörgensen. Ich bin Kriminalhauptkommissar in Hamburg und gehöre einer Spezialabteilung des BKA an, die sich vor allem um das organisierte Verbrechen kümmert. Zusammen mit meinem Kollegen Roy Müller bin ich in dieser Hinsicht seit Jahren aktiv. Viel Freizeit bleibt da nicht. Das ist einfach so.
Ich befand mich an Bord eines Jollenkreuzers, der dem Libanesen gehörte. Jeder nennt ihn einfach den Libanesen. Er ist eine Kiezgröße und hat seine Finger in allen möglichen dubiosen Geschäften. Aber ich habe ihm einmal das Leben gerettet, als ein Killer der Russen-Mafia ihm den Garaus machen wollte. Ich konnte ihn retten, indem ich dem Russenkiller einen Kopfschuss verpasste. Das geschah in einem Strip-Club auf St. Pauli, der dem Libanesen gehört. Seitdem ist er mir ziemlich dankbar. Wir treffen uns ab und zu. Und er gibt mir hin und wieder ein paar Auskünfte, an die ich nicht herankommen würde.
Ich bin nicht käuflich.
Und ich habe ihm offen gesagt, dass er sich nicht von mir bei etwas erwischen lassen soll, das gegen das Gesetz verstößt. Dann buchte ich ihn nämlich ein. Er weiß das und er richtet sich danach.
So kommen wir ganz gut miteinander aus.
Welcher Teufel mich letztlich geritten hatte, mich mit ihm auf seinem Segelboot zu treffen, kann ich Ihnen auch nicht mehr sagen.
Ich weiß, wie das interpretiert werden kann.
Ist mir aber egal. Ich weiß weiß, was ich tue. Und vor allem weiß ich auch, auf welcher Seite ich stehe.
Nämlich auf der des Gesetzes. Immer. Ohne Ausnahm. Da bin ich echt konservativ. Ich bin einer, der an das Gute glaubt und daran, dass die Schwachen jemanden brauchen, der das Gesetz für sie durchsetzt.
Wie auch immer. Sonst hatte ich mich mit dem Libanesen meistens in einem seiner Clubs getroffen. In der Oben Ohne Bar auf der Reeperbahn zum Beispiel. Er hat auch noch eine Shisha-Bar, aber dahin kriegt er mich nicht noch einmal. Da kann man ja kaum Luft kriegen. Ich bin nämlich Nichtraucher, müssen Sie wissen und ich kann es einfach auf den Tod nicht ausstehen, wenn irgendwas so vor sich hin dampft. Ist egal, ob das Nikotin ist oder was anderes. Dampf, Rauch, das sind alles nur marginale Unterschiede. Ich muss davon kotzen und mag auch die Gerüche nicht.
»Walla, ich habe gesagt, du brauchst ein Hobby, Uwe«, sagte er . »Jeder, der hart arbeitet, braucht ein Hobby, um sich etwas zu entspannen. Und das brauchst du auch. Sonst brennst du eines Tages aus.«
»Ich angle«, sagte ich.
»Wallah, das machst du nie!«
»Nein, das ist die Wahrheit.«
»Du angelst?«
»Ja.«
»Echt, jetzt?«
»Sicher.«
Er lachte, während er das Segel etwas anzog.
»Wo angelst du denn?«
»Im Hafen.«
»Und du würdest so einen Fisch, der da anbeißt, auch tatsächlich essen?«
»Nun…«
»Wallah, bist du lebensmüde?«
»Es geht nicht darum, einen Fisch zu fangen.«
»Worum geht es dann?«
»Es geht darum, die Gedanken zu ordnen. Zur Ruhe zu kommen. Klar zu sehen. Verstehst du, was ich meine«
»Aber..., das ist doch sinnlos?«
»Nein.«
»Ich würde wenigstens irgendwohin gehen, wo man auch was fangen kann.«
»Ich sagte doch, dass es darum nicht geht.«
»Ist das überhaupt legal? Wallah, ist das legal, im Hafen zu angeln?«
»Warum sollte das nicht legal sein. Ein Naturschutzgebiet ist das ja nicht, so weit ich weiß.«
Der Libanese lachte. »Das mag ich an dir. Du bist witzig.«
»Ich mag es, den Schiffen zuzusehen. Das wirkt beruhigend auf mich.«
»Ich dachte, Segeln könnte was für dich sein.«
»Es war was für mich. Früher. Aber ich hätte überhaupt keine Zeit, mich um ein Boot zu kümmern. Und das muss man.-«
»Ja, ist wahr«, gab der Libanese zu.
»Sag mal, du wolltest doch nicht einfach nur segeln!«
»Wieso nicht?«, fragte der Libanese. Aber ich hatte das Gefühl, das mehr dahintersteckte. Normalerweise war das so. Jemand wie der Libanese verfolgte mit allem, was er tat, eine Absicht. Und wenn er mich irgendwo treffen wollte, dann, damit ich etwas von ihm erfuhr, von dem er wollte, dass ich es erfuhr. So war das zumindest normalerweise.
»Komm schon, das kannst du mir nicht erzählen.«
»Du liest Gedanken, Uwe. Wallah, du kannst Gedanken lesen.«
»Also, raus damit. Was gibt’s?«
»Wallah, ich wollte wirklich zuerstmal segeln.«
»Lassen wir das.«
»Keiner meiner Freunde hat Lust dazu. Ich schwör, ist wahr!«
»Du bist arm dran!«
»Ich dachte, du bist der Richtige.«
»Und du hast gedacht: Der Jörgensen kann ein Hobby brauchen.«
»So ist es. Hat auch noch einen Vorteil.«
»Wie meinst du das«
»Wallah, ist doch klar.«
»Für mich nicht so.«
»Also hier draußen auf dem Boot hört niemand mit. Sonst weißt du nie, wer dich abhört.«
»Ich könnte verwanzt sein.«
»Nein, könntest du nicht.«
»Bist du sicher?«
»Du würdest am nächsten Tag Besuch bekommen und wir würden uns nicht wiedersehen. Wäre doch bedauerlich, oder?«
»Ah, ja, ich verstehe….«
»Wallah, ich habe dich wirklich ursprünglich ohne Hintergedanken hier her eingeladen.«
»Ursprünglich…«
»Aber dann habe ich etwas erfahren, was du auch wissen solltest.«
»Was?«
»Weißt du, wer der Albaner ist?«
»Ich nehme an, jemand aus Albanien.«
»Wallah, bist du schwer von Begriff? Keine Ahnung, woher der Typ kommt. Man nennt ihn den Albaner. Er trägt auch Namen, aber keiner ist echt.«
»Was ist mit dem Albaner?«
»Wallah, das ist einer, den man anruft, wenn man mit jemandem Ärger hat. Einer, der jemanden aus dem Weg räumt.«
»Ein Lohnkiller.«
»Hässliches Wort.«
»Aber zutreffend.«
»Wer hat den Albaner diesmal angerufen?«
»Das ist nicht der Punkt, Uwe.«
»Ach, nein?«
»Der Punkt ist, dass der Albaner deinetwegen angerufen wurde. Du bist es, der jemanden stört. Wallah, da kommen sicher eine Menge Leute in Frage, die jetzt viele Jahre in Santa Fu sitzen und denken: Wer hat mir das eingebrockt? Ich könnte mit einem Maybach durch die Gegend fahren und mein Geld zählen und stattdessen sitze ich jetzt hier. Und einer von denen wird sich gedacht haben: Heute rufe ich mal nicht meinen Anwalt an, sondern den Albaner. So einfach ist das.«
»Verstehe«, murmelte ich.
»Das ist eine freundschaftliche Warnung, Uwe! Ich meine es gut mit dir.«
»Vielen Dank.«
»Du hast mir das Leben gerettet. ich bin dir was schuldig.«
»Von wem weißt du das mit dem Albaner?«
»Ich weiß es von jemandem, von dem ich weiß, dass es stimmen muss. Mehr kann ich dir nicht sagen.«
»Hm.«
»Wallah - ich bin sonst der nächste, wegen dem der Albaner angerufen wird? Ich kann dir das nicht sagen.«
»Also mit anderen Worten: Der Albaner wird jetzt irgendwann irgendwo auf mich warten, um mich zu töten.«
»Wallah, besser nie ohne Kevlar-Weste aus dem Haus gehen. Nur ein guter Rat von mir.«
Es geht nichts über gute Freunde, dachte ich.
*
»Wir wissen nicht, wer der Albaner ist«, sagte Kriminaldirektor Bock, mein direkter Vorgesetzter zu mir.
»Das klingt nicht gut, Herr Bock«, bekannte ich.
»Ich fürchte, der Libanese hat recht: Sie sollten auf sich aufpassen…«
»...und nicht ohne Kevlar-Weste aus dem Haus gehen.«
»Hat er das zu Ihnen gesagt?«
»Exakt das.«
»Ich kann leider nur sagen, dass ich in diesem Punkt mit ihm übereinstimme. Natürlich werden wir alles in unserer Macht stehende tun, um herauszufinden, wer der Albaner ist und wer ihn beauftragt hat. Aber Sie wissen ja selbst, wie das ist…«
»Natürlich…«
»Wenn Sie beurlaubt werden wollen…«
»Nein!«
»Wir könnten Sie eine Weile aus dem Verkehr ziehen und damit aus der Schusslinie nehmen.«
»Damit der Albaner dann geduldig abwartet und irgendwann in aller Ruhe auf mich anlegt, wenn ich wieder da bin?«
»Naja…«
»Nein, Herr Bock, so kann man diese Sache leider nicht regeln.«
»Ich wollte es Ihnen nur angeboten haben.«
»Natürlich.«
»Das BKA unterhält außerdem einige Wohnungen für konspirative Zwecke, die unter anderem dazu benutzt werden, um gefährdete Zeigen zu schützen…«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich möchte aber ganz normalen Dienst machen.«
»Und Sie denken, das geht?«
»Ja.«
Herr Bock atmete tief durch. »Ich hoffe, Sie haben Recht! Es gibt einen neuen Fall!« Herr Bock schaute auf die Uhr. »Ihr Kollege Müller müsste eigentlich gleich hier eintreffen. Dann können wir alles besprechen.«
*
»Hättest du gedacht, dass wir von Hamburg aus mal ganz offiziell einen Mord aufklären müssen, der sich in Zürich ereignet hat?«, meinte Roy, als wir an der Fischbrötchen-Bude in der Nähe unseres Präsidiums standen und das machten, wozu wir oft genug viel zu wenig Zeit fanden: Ein Krabbenbrötchen essen. »Ich meine, wir sind hier in Hamburg und wir klären einen Mord auf, dessen Tatort sich in einem anderen Land befindet!«
»Ja«, sagte ich.
»Wie weit ist es von hier nach Zürich?«
»Keine Ahnung.«
»Ungefähr 850 Kilometer«, mischte sich der Fischbrötchen-Mann ein. »Ich will mich ja nicht ungefragt einmischen, aber Sie reden so laut, dass ich zuhöre musste.«
»Schon klar«, sagte ich.
»Also wenn man gerade durch fährt«, sagte der Fischbrötchen-Mann. »Sage ich zumindest. So Pi mal Daumen.«
»Könnte hinkommen«, meinte mein Kollege Roy Müller. »So Pi mal sonstwas.«
»Ja und was haben Sie beide jetzt mit dieser Sache in Zürich zu tun, wo Sie doch Kommissare hier in Hamburg sind?«, fragte der Fischbrötchen-Mann, denn die Sache schien ihm keine Ruhe zu lassen.
Ich sah ihn an.
»Neugierig, was?«
»Ich?«
»Wer sonst?«
»Ja, was soll ich da sagen? Sie nicht?«
»Doch. Berufsbedingt.«
»Na eben! Dann verstehen Sie mir doch wohl!«
»Nur darf ich darüber leider nicht mehr sagen«, sagte ich.
»Wie?«
»Dienstgeheimnis!«
»Also nachdem Sie schon die eine Hälfte vom sogenannten Dienstgeheimnis hinausgeplärrt haben, dass ich mir schon gar nicht mehr auf mein Saucen-Rezept konzentrieren konnte, können Sie auch noch die andere Hälfte erzählen«, meinte der Fischbrötchen-Mann. »Finde ich jedenfalls.«
»Wir hatten ja keine Ahnung, dass Sie so gute Ohren haben«, sagte Roy.
»Gute Ohren und gute Krabben«, sagte ich.
Aber das war alles später.
Vorher geschah auch noch was.
Ich werde Ihnen erzählen, wie es dazu kam, dass sich zwei Kriminalkommissare aus Hamburg mit einem Mord in Zürich beschäftigen mussten.
»Irgendwie habe ich jetzt das Gefühl, dass Sie mir nichts mehr erzählen werden, Herr Jörgensen« sagte der Fischbrötchen-Mann seufzend und sichtlich enttäuscht, nachdem Roy Müller und ich nun schon ein paar Augenblicke konsequent geschwiegen hatten.
»Hm«, sagte ich.
»Seien jetzt nicht so gehemmt, nur weil Sie denken, dass ich alles mithöre!«, meinte der Fischbrötchen-Mann. »Sonst schnacken Sie doch auch völlig ungeniert!«
*
Ein paar Tage zuvor…
Heribert Nördlinger zog sich die Krawatte zurecht und blickte auf die Uhr. Es würde kein Problem sein, pünktlich am Flughafen Hamburg zu sein. Er ging auf Socken zum Computer und begann, ihn hochzufahren.
»Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ich dachte, wir müssen gleich los!«, meldete sich eine weibliche Stimme in seinem Rücken. Sie gehörte Jarmila Mohnheim, seiner Lebensgefährtin. Zusammen bewohnten sie ein Loft im Hamburger Stadtteil Hafen City. Nördlinger sah sie kurz an. Sie war bereits vollkommen fertig und trug ein eng anliegendes Kleid, das in einem schrillen Farbgemisch gehalten war. »Meinst du der Flieger nach Zürich wartet auf uns, Heribert?«
»Wir kommen schon pünktlich. Ich möchte nur kurz sehen, wie das Wetter in Zürich so ist.«
Nördlinger hatte eine Seite mit Webcams angewählt, die in verschiedenen Städten in aller Welt installiert waren. In Zürich gab es gleich drei. Eine zeigte den Platz vor dem Stephansdom, eine das Rathaus und die dritte war in der Nähe des Donauufers angebracht. Nördlinger wählte letztere aus. Per Mausklick konnte man den Bildausschnitt schwenken.
Nördlingers Gesichtszüge gefroren plötzlich.
»Das gibt's doch nicht«, murmelte er.
»Was hast du denn da für perverses Zeug angeklickt!«, stieß Jarmila Mohnheim hervor und trat näher. »Da wird ja jemand umgebracht!«
1
Heribert Nördlinger zoomte einen bestimmten Bildausschnitt heran. Zwei Männer waren zu sehen. Der eine Ende dreißig und dunkelhaarig. Er trug einen Anzug. Der zweite war größer und kräftiger. Er hatte rotes Haar und trug Jeans und Lederjacke. Nördlinger hatte gesehen, wie die beiden sich auffällig heftig gestikulierend gegenübergestanden hatten. Der Rothaarige hatte den Anzugträger an der Schulter gefasst. Dieser schüttelte die Hand von sich und wandte sich zum Gehen.
Mit einer blitzschnellen Bewegung nahm der Rothaarige dann etwas aus seiner Jackentasche. Nördlinger hatte erst nicht sehen können, was es war. So fein war dann die Auflösung der Webcam wohl doch nicht.
Aber im nächsten Moment wurde klar, dass es sich um eine Art Schlinge handeln musste.
Mit einer raschen, geübten Bewegung schlang sie der Rothaarige um den Hals seines Opfers, das verzweifelt ersuchte, sich zu wehren. Es dauerte nur einen Augenblick, dann sank der Anzugträger zu Boden und blieb regungslos liegen. Der Rothaarige beugte sich über ihn und schien sich zu vergewissern, dass das Opfer auch wirklich tot war.
Dann begann er, die Taschen des regungslos daliegenden Mannes zu durchwühlen. Er holte ein Klappmesser hervor und fing damit an, die Etiketten aus der Kleidung heraus zu trennen.
Er ging dabei sehr ruhig vor.
»Meine Güte, wie ist das möglich? Das ist mitten in einer großen Stadt!«, stieß Jarmila hervor, die noch immer kaum fassen konnte, was sie da zu sehen bekam.
»Das ist eine ziemlich einsame Stelle am Ufer der Limmat.«
»Limmat?«
»Das ist ein Abfluss des Zürichsees, der mitten durch die Stadt fließt«, sagte Nördlinger. »So etwa gibt es in Hamburg auch. Auf der einen Seite sind ein paar Lagerhallen, wo anscheinend nicht mehr gearbeitet wird und von der anderen Seite schützen den Mörder die Pfeiler einer Brücke.«
»Wieso bringt denn dort jemand eine Webcam an, Heribert?«
»Weil man eine prima Aussicht auf die Stadt Zürich hat, wenn man die Kamera virtuell etwas schwenkt – und außerdem natürlich auf den See und die Ausflugsschiffe, deren Kais ein Stück weiter liegen.«
Quälend lange Augenblicke des Schweigens vergingen.
Der Mörder schleifte indessen sein Opfer zum Ufer und warf den reglosen Körper in den Fluss Limmat. Dann blickte sich der Rothaarige nach allein Seiten um.
»Heribert, wir müssen etwas tun!«
»Und was, wenn ich fragen darf? Was wir sehen geschieht tausend Kilometer von uns entfernt in einem anderen Land...«
»Lass uns die Polizei anrufen.«
»Welche Polizei? Die in Zürich? Bis die am Ort des Geschehens sind, ist der Kerl längst auf und davon. Und wenn ich 110 hier in Hamburg wähle...« Nördlinger machte eine wegwerfende Handbewegung. »Denen traue ich nicht mehr viel zu!«
Der Mörder war unterdessen aus dem Bildausschnitt herausgegangen.
Nördlinger versuchte durch einen virtuellen Kameraschwenk seinem Weg zu folgen, was aber unmöglich war. Für einen kurzen Moment war der Mörder noch einmal im Erfassungsbereich der Webcam zu sehen. Er hatte ein Handy am Ohr und gestikulierte fast genauso heftig wie in seinem Gespräch mit dem Ermordeten.
Dann war er verschwunden.
Nördlinger ließ sich in den Drehsessel fallen, der vor dem Computer stand.
»Jedenfalls weißt du jetzt, wie das Wetter in Zürich ist«, sagte Jarmila.
2
Heribert Nördlinger ging auf und ab. Die für Hamburg enorm große zweihundert Quadratmeter Wohnung, die Nördlinger in einem Altbau bewohnte, bot genug Platz dafür. Nördlinger brauchte diesen Platz.
Er war Galerist und Kunst bedeutete ihm in mehrfacher Hinsicht alles. Beruflich und privat. Beruflich war er Galerist und privat mit einer Künstlerin liiert. Vor einem Jahr war Jarmila Mohnheim bei ihm eingezogen.
Die hohen Wände waren seitdem mit ihren großformatigen Bildern vollgehängt, die ein fröhliches Durcheinander von Formen und Farben darboten.
Nur war sie damit bislang nicht besonders erfolgreich gewesen - und das, obwohl sie nun einen der erfolgreichsten Galeristen der Hamburger Kunstszene in mehrfacher Hinsicht an ihrer Seite hatte.
Sie hatte ihren Vornamen geändert und nannte sich nun Jarmila anstatt einfach und schlicht Jana Mohnheim. Und außerdem benutzte sie seit einiger Zeit vorwiegend Tierblut anstatt Ölfarbe und anstatt eines Pinsels ihren eigenen Körper, mit dem sie sich auf der Leinwand wälzte.
Das alles hatte ihr allerdings nur in den Boulevard-Medien einige Aufmerksamkeit eingebracht. Ihrer Wertschätzung in der Kunstszene waren diese Aktionen eher abträglich gewesen und der Wert ihrer Bilder hatte sich nicht gesteigert. Die meisten erwiesen sich schon auf Grund ihrer außerordentlich großen Formate als unverkäuflich und so hingen sie nun im Dutzend in Nördlingers Wohnung. Wenigstens waren hier die Räume hoch genug, um Gemälde, die derartig aus dem Rahmen fielen, aufzuhängen.
In Zürich standen ihnen nun wichtige Gespräche mit Galeristen aus Europa bevor und außerdem hatten sie einen Termin mit einem Event-Manager aus Basel, der Jarmilas Karriere etwas auf die Sprünge helfen sollte.
Dass sie wirklich die künstlerische Potenz hatte, um ganz groß herauszukommen, daran glaubte nicht einmal Nördlinger.
Er musste es schließlich wissen.
Er hatte zahllose Künstler aufsteigen und fallen sehen. Von den meisten sprach schon nach wenigen Jahren niemand mehr. Eine kleiner Hype, damit hatte es sich für das Gros. Über längere Zeit oben zu bleiben, das schafften nur die wenigsten. Und eigentlich gab es keine Indizien dafür, dass ausgerechnet Jarmila dazugehören sollte.
Bei einem anderem Künstler hätte Nördlinger vielleicht argumentiert, dass sich der ganze Aufwand nicht lohnte.
Aber bei Jarmila galten andere Regeln. Sie war einfach besserer Laune, wenn sie zumindest die Illusion hatte, dass es aufwärts ging. Also machte Nördlinger auch diese Aktion mit.
Und davon abgesehen, war Zürich ohnehin immer eine Reise wert.
Aber jetzt hatte sich alles geändert.
Heribert Nördlinger griff zum Telefon.
»Wen rufst du an?«, fragte Jarmila.
»Das Büro.«
»Jetzt? Wieso das denn?«
»Wir werden unseren Flug etwas verschieben müssen.«
»Was?«
»Ja, du hast richtig gehört.«
*
Der Albaner ging zu dem Fischbrötchen-Mann an die Bude.
»Matjesbrötchen? Der Matjes ist frisch!«
»Nein, danke«, sagte der Albaner.
»Oder vielleicht ein Krabbenbrötchen.«
»Aber mit wenig Remoulade.«
»Wie Sie wollen!«
»Sagen Sie, kennen Sie zufällig einen Herrn Jörgensen?«
»Den Kommissar?«
»Ja.«
»Der kommt ab und zu hierher. Was wollen Sie denn von ihm?«
»Wir sind gute Bekannte…«
»Soll ich ihn von Ihnen grüßen?«
»Nein, das ist nicht nötig.«
Der Albaner nahm einen Bissen von dem Krabbenbrötchen. Dann warf er es in den Müll. »Ist mir zu fett«, sagte er.
Der Fischbrötchen-Mann war sprachlos.
Noch sprachloser war er, als er den Schein sah, den sein Gegenüber ihm auf den Tresen legte.
3
Ich trug unter der Lederjacke eine schusssichere Weste.
Man macht schon einiges mit, nur damit man nichts abkriegt.
Angenehm ist das nicht, kann ich Ihnen sagen!
Und eine Zulage gibt es auch nicht dafür.
Über Headset war ich mit den anderen BKA-Kollegen funktechnisch verbunden, die an diesem Einsatz beteiligt waren. Da ich den Reißverschluss meiner Lederjacke geschlossen hatte, um die Kevlar-Weste zu verbergen, steckte meine Dienstwaffe in der Seitentasche und nicht im Holster. Meine Hand hatte sich um den Griff der Pistole gelegt, sodass ich sie jederzeit herausreißen konnte.
Zusammen mit meinem Kollegen Roy Müller ging ich die Straße entlang, vorbei an einem Club, der sich »Bordsteinschwalbennest« nannte.
Aber so verrucht, wie der Name vermuten ließ war das »Bordsteinschwalbennest« nicht. Es war ein Nachtclub der Luxusklasse, in dem viel Geld umgesetzt und wenig Gewinn gemacht wurde. Aber das war nach unseren Ermittlungen auch gar nicht das, was der Besitzer im Sinn hatte.
Das »Bordsteinschwalbennest« diente unseren Ermittlungen nach der Geldwäsche. Dreckige Drogengelder sollten weiß gewaschen werden. Der Besitzer hieß Dima Modesta und war keineswegs ein unbeschriebenes Blatt.
Er galt als treuer Gefolgsmann der Russen-Mafia-Größe Vladi Gruschenko und hatte sich in dessen Organisation vom Türsteher und Schläger aufwärts hochgedient und war offenbar auf seine alten Tage mit dem nicht gerade anstrengenden Job belohnt worden, einen Club zu führen, der keine Gewinne, sondern nur Umsatz zu machen brauchte.
Immer dasselbe Spiel.
Formal war Modesta der Besitzer – aber unser Kollegen hatten ermitteln können, auf welchen verschlungenen Finanzpfaden Vladi Gruschenko seinen Strohmann mit dem nötigen Kapital ausgestattet hatte. Das alles lief über mehrere Scheinfirmen in Liechtenstein, der Schweiz und auf den Cayman Islands.
Wir hatten genug gegen ihn gesammelt, um ihn festnehmen zu können. Damit brach dann auch für Modestas Boss Vladi Gruschenko ein wichtiges Stück aus dem Imperium heraus, das diese graue Eminenz des organisierten Verbrechens aufgebaut hatte.
Roy und ich hatten den Eingang zum »Bordsteinschwalbennest« passiert. Ich machte an einem Zeitschriftenladen Halt und sah mir die Magazine im Drehständer an, den ich mit der Linken leicht bewegte. Roy ging noch ein Stück weiter und blieb dann zwischen zwei parkenden Fahrzeugen stehen. Er tat so, als wollte er über die Straße gehen. Da die Straße stark befahren war, konnte er dort eine ganze Weile bleiben, ohne dass es auffällig war und gleichzeitig den Eingang des »Bordsteinschwalbennest« beobachten.
Es war später Vormittag. Da war der Nachtclub natürlich noch nicht geöffnet. Es gab lediglich hin und wieder Lieferverkehr.
Wir wussten, dass Dima Modesta hier auftauchen würde. Er sah dann nach dem Rechten und traf sich auch mit Geschäftspartnern.
Maximal eine halbe Stunde dauerten diese Aufenthalte.
Dima Modesta war ein sehr misstrauischer Mann.
Offenbar hatte er sich vorgenommen, nie wieder so einfach in seiner Privatwohnung verhaftet zu werden, wie es im Zusammenhang mit seiner letzten Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung und Nötigung der Fall gewesen war. Er besaß zwar ein Luxus-Apartment, das auch von unseren Kollegen überwacht wurde – aber dort hielt er sich so gut wie nie auf.
Statt dessen übernachtete er abwechselnd in mehreren, über den gesamten Großraum Hamburg verteilten Wohnungen. Wohnungen, die formal so genannten »Freundinnen« gehörten. In Wahrheit handelte es sich dabei um Prostituierte, die für ihn anschafften. Leider kannten wir die meisten Schlupflöcher nicht und so mussten wir ihn vor dem »Bordsteinschwalbennest« abpassen.
Unser Kollege Kronburg meldete sich über Funk.
»Modestas kanariengelber Ferrari ist im Anmarsch«, sagte er. »Er müsste gleich um die Ecke kommen.«
»Verstanden«, murmelte ich in das Mikro am Kragen hinein.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, da bog der unübersehbare kanariengelbe Ferrari von Dima Modesta um die Ecke. Schnelle Autos waren eine Schwäche von Modesta.
Er parkte den Wagen am Straßenrand. Seine Leute sorgten – manchmal auch mit ziemlich rabiaten Methoden – dafür, dass vor dem »Bordsteinschwalbennest« immer ein Parkplatz frei war, wenn Modesta ihn brauchte.
Selbst Lieferfahrzeuge mussten dann notfalls weichen. Inzwischen war allerdings wohl bereits jedem Lieferanten des »Bordsteinschwalbennest« eingeimpft worden, wo die »Verbotene Zone« war.
Dima Modesta saß nicht allein im Ferrari.
Neben ihm auf dem Beifahrersitz befand sich eine wasserstoffblonde Schönheit mit aufgespritzten Lippen. Die beiden schienen einen ziemlich heftigen Wortwechsel zu haben, von dem wir allerdings kein Wort verstehen konnten.
Dann stiegen beide aus.
Das war der Moment für unseren Zugriff.
Von der einen Seite näherten sich Roy und ich, von der anderen unsere Kollegen Fred Düpree und Lukas Marxheimer.
Modesta kannte keinen von uns persönlich. Trotzdem schien er einen sechsten Sinn für solche Situationen entwickelt zu haben. Er blickte in Freds Richtung, ließ die Blondine in seinem Schlepptau los und machte einen schnellen Schritt in Richtung des »Bordsteinschwalbennest«-Eingangs.
»Bleiben Sie stehen! Kriminalpolizei!«, rief Roy Müller.
Wir rissen unsere Waffen heraus.
Dima Modesta ebenfalls. Er zog eine Automatik unter der Jacke hervor und feuerte wild um sich. Unser Kollege Lukas Marxheimer sank getroffen zu Boden.
Wir feuerten ebenfalls. Eine Kugel traf Modesta in die Brust, riss seinen Blouson auf und offenbarte das graue Kevlar, dass er darunter trug. Er taumelte durch die Wucht des Treffers gegen die Wand. Er ballerte aber weiterhin um sich. Seine Schüsse waren vollkommen ungezielt.
Stolpernd rettete er sich dann durch die Tür des »Bordsteinschwalbennest«.
Fred Düpree kümmerte sich um unseren niedergeschossenen Kollegen Lukas Marxheimer und verständigte bereits den Rettungsdienst. Die Kugel hatte ihn am Hals erwischt, wo ihn auch die Kevlar-Weste nicht schützte. Eine Blutlache breitete sich auf dem Pflaster des Bürgersteigs aus.
Roy und ich setzten nach, um Modesta gefangen zu nehmen.
Die Blondine mit den aufgespritzten Lippen stand wie angewurzelt da.
Dann dröhnte das Geräusch einer gewaltigen Explosion uns in den Ohren.
Die Fenster des »Bordsteinschwalbennest« barsten nach außen. Glassplitter flogen wie Geschosse durch die Luft. Wir warfen uns zu Boden und ich riss die Blondine mit mir auf das Pflaster. Ihr Aufschrei ging im Detonationslärm unter. Eine Welle aus Druck und Hitze brandete über uns hinweg und ließ auch noch die Scheiben des Ferrari und einiger anderer parkender Fahrzeuge zerplatzen.
4
Heribert Nördlinger betrat das Dienstzimmer von Max Herter, einem Innendienstler aus der Fahndungsabteilung.
»Bitte setzen Sie sich, Herr Nördlinger«, sagte Herter und deutete auf den freien Sessel.
»Danke.«
»Die Kollegin, die Sie an mich verwiesen hat, sagte, Sie hätten im Internet einen Mord beobachtet.«
Nördlinger nicke. »Richtig. Allerdings nicht hier, sondern in der Schweiz, genauer gesagt in Zürich.« Er lächelte.
»Dann erzählen Sie mal!«
Nördlinger holte einen sorgfältig gefalteten Computerausdruck aus der Innentasche seines Jacketts und legte das Blatt auf den Tisch, nachdem er es ausgebreitet und mit der Hand glatt gestrichen hatte.
»Ich hatte leider kein Fotopapier mehr, sonst wäre der Ausdruck noch besser geworden. Aber ich habe die Daten auf eine CD gebrannt, die ich Ihnen überlassen kann.«
»Da wäre sehr nett.«
Er griff in die andere Innentasche, holte den Datenträger hervor und legte ihn neben das Blatt.
Herter nahm sich zunächst den Ausdruck.
»Das ist ein Screenshot.«
»Scheint, als hätten Sie genau im richtigen Augenblick auf den Knopf gedrückt«, sagte Max Herter.
»Das Gesicht des Täters ist gut zu sehen«, bestätigte Nördlinger. »Und was er tut auch.«
»Die ganze Videosequenz haben Sie nicht zufällig gespeichert?«
»Nein, nur den Screenshot. Das ganze stammt von einer Wettercam, die man virtuell schwenken kann. Es ist reiner Zufall, dass ich gerade den passenden Ausschnitt erwischt habe.«
»Und wo ist das Ganze passiert?«
»Am Limmatufer. Die genaue Position der Webcam können Sie auf der Homepage ersehen, über die man an die Wettercams herankommt. Die Netzadresse steht auf der Rückseite des Ausdrucks.«
»Wie lange ist das her?«
»Eine Stunde.« Er zuckte mit den Achseln. »Tut mir leid, aber ich musste erst ein paar Dinge regeln. Eigentlich waren meine Lebensgefährtin und ich auf dem Sprung nach Zürich. Deswegen wolle ich ja auch wissen, wie dort das Wetter ist.«
»Verstehe«, nickte Max.
»Nein, Sie verstehen gar nichts. Ich musste unseren Flug umbuchen und ein paar ziemlich wichtigen Leuten sagen, dass ich erst morgen früh in Zürich sein werde.« Nördlinger hatte jetzt einen hochroten Kopf. Er lehnte sich zurück und strich sein Haar nach hinten. »Aber ich wollte nicht einfach los fliegen, ohne dass hier gemeldet zu haben.«
»Sie sind ein vorbildlicher Staatsbürger, Herr Nördlinger.«
»Danke. Nur wird sich der Staat dafür kaum bedanken und mir höchstens noch mehr von meinem sauer verdienten Geld durch seine Steuern abknöpfen.«
»Trotzdem, Sie waren sehr aufmerksam. Und wir würden uns manchmal wünschen, dass mehr Menschen so reagierten. Wo ist eigentlich Ihre Lebensgefährtin?«
»Die ist mit den Nerven ziemlich am Ende und wollte nicht mitkommen.«
»Es wäre gut, wenn sie noch vor Ihrem Flug nach Zürich hier vorbei schauen und auch noch eine Aussage machen könnte. Manchmal gibt es ja Details, die der eine übersieht, aber an die sich der andere noch gut erinnert.«
»In Ordnung.«
»Und nun schildern Sie mir bitte die gesamte Szene, die Sie gesehen haben. Möglichst von Anfang bis zum Schluss. Jedes Detail kann eventuell wichtig sein.«
»In Ordnung.«
»Sind Sie damit einverstanden, dass ich eine Audioaufzeichnung Ihrer Aussage anfertige? Wir vermeiden dadurch womöglich unnötige Rückfragen an Sie...«
»Meinetwegen.«
»Und ich nehme an, dass Sie auch nichts dagegen haben, wenn wir diese Aufzeichnung möglicherweise an die Schweizer Behörden weiterleiten?«
»Nein. Ich hoffe nur, dass sich der ganze Aufwand lohnt und dieser Killer hinter Schloss und Riegel kommt!«
Nördlinger schilderte wie der Mann im Anzug mit einer Schlinge erwürgt und anschließend in den Fluss geworfen wurde. »Dieser Rothaarige hat die Taschen durchsucht und die Etiketten in der Kleidung entfernt. Deutet das nicht auf einen Profi hin?«
»Ja, das ist gut möglich«, gab Max Herter zu. »Aber für solche Spekulationen ist es im gegenwärtigen Stadium der Ermittlungen wohl noch zu früh.«
Nördlinger beugte sich etwas nach vorn und hob die Augenbrauen. »Was geschieht jetzt?«
»Wir werden die Schweizer Behörden informieren und Ihnen alle Daten zur Verfügung stellen. Viel mehr wird man von hier aus nicht machen können. Ach ja, außerdem werden die Bilddaten Ihres Screenshots abgespeichert und mit unserem Datenverbundsystem verglichen. Erstens, um herauszufinden, ob der Täter vielleicht schon mal straffällig geworden ist...«
»...was ja wohl ein ziemlich unwahrscheinlicher Zufall wäre!«, meinte Nördlinger.
»Sagen Sie das nicht. Die Globalisierung gilt auch für das organisierte Verbrechen. Leider, denn die polizeilichen Befugnisse enden immer noch an Ländergrenzen und so ist uns die andere Seite stets ein Stück voraus. Außerdem könnte es ja auch sein, dass der Täter später mal in der EU herumreisen möchte oder hier durch eine Straftat auffällt, die dazu führt, dass er erkennungsdienstlich behandelt wird.«
Nördlinger telefonierte wenig später mit seiner Lebensgefährtin, die wenig Lust zu haben schien, vor dem BKA eine Aussage zu machen. Aber Nördlinger konnte sie schließlich überzeugen. »Sie ist gleich hier«, meinte er.
»In der Zwischenzeit werde ich mal die Website anwählen, deren Adresse Sie mir gegeben haben...«
Max Herters Finger glitten über die Tastatur seines Rechners. Es dauerte nicht lange und er hatte die Wettercam gefunden, auf der Nördlinger den Mord gesehen hatte. Herter bedeutete dem Galeristen, auf die andere Seite des Schreibtischs zu kommen.
»Da sind Sie richtig«, bestätigte er.
»Stellen Sie mir doch bitte den Bildausschnitt so ein, wie bei ihrem Screenshot gewesen ist, Herr Nördlinger.«
»Kein Problem!«, versprach Nördlinger.
5
Schon wenige Minuten nach der Explosion verstopften Dutzende von Einsatzfahrzeugen die Straße und die Kollegen der Schutzpolizei waren damit beschäftigt, den Verkehr umzuleiten. Fahrzeuge der Feuerwehr waren ebenso eingetroffen wie Rettungswagen.
Für unseren Kollegen Lukas Marxheimer kam leider jede Hilfe zu spät.
Er war tot.
Lukas Marxheimer war frisch von der Polizeihochschule gekommen und erst seit gut vier Wochen in unserem Präsidium im Einsatz.
Ins Innere des »Bordsteinschwalbennest« durften bislang weder wir noch die inzwischen angerückten Kollegen der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst des BKA, kurz EED. So nannte sich der zentrale und für alle Hamburger Polizeieinheiten zuständigen Erkennungsdienst.
Aber zunächst mal hatten die Männer der Feuerwehr Vorrang. Es konnte auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich giftige Dämpfe gebildet hatten und so lange wir kein grünes Licht der Feuerwehr bekamen, würde keiner unserer Kollegen einen Fuß in das Gebäude setzen.
Dass es in den Räumlichkeiten des »Bordsteinschwalbennest« wohl keinerlei Überlebende gab, hatte man uns bereits über Funk durchgegeben. Inzwischen war man dabei, die Bewohner der oberen Stockwerke zu evakuieren.
Ich wandte mich an die Blondine, mit der Dima Modesta vorgefahren war. Sie lehnte gegen die Motorhaube des Ferrari, der so von Einsatzfahrzeugen eingekeilt war, dass man ihn ohnehin nicht hätte wegfahren können.
»Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei«, stellte ich mich vor. »Die ist mein Kollege Roy Müller.«
Sie sah mich vorwurfsvoll an und kaute nervös auf irgendetwas herum.
»Was ist mit Dima?«, fragte sie.
»Sie sollten sich keine Hoffnungen machen. Im Inneren des Clubs lebt niemand mehr.«
»Ich will dort hinein!«
»Das können Sie nicht! Es besteht Vergiftungs- und Einsturzgefahr!«
Sie schluckte. Ihr Make-up war schon ziemlich verlaufen.
»Sie sind Jennifer Petersen, nicht wahr?« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Sie blickte mich überrascht an. Ihre Augen wurde schmal und hatten jetzt etwas katzenartiges an sich.
»Sie...«
»Wir haben Dima Modesta schon seit längerem im Visier und dabei sind wir auch auf Sie gestoßen.«
»Jetzt werden Sie mir wahrscheinlich wieder diverse Gerichtsurteile vorhalten...«
»Zwangsprostitution, Scheckbetrug, Drogen...«, mischte sich Roy ein.
»Na großartig! Es wäre ja auch zu schön gewesen, mit Bullen zusammenzutreffen, die einem keinen Ärger machen.« Sie deutete in Richtung des »Bordsteinschwalbennest« und setzte hinzu: »Wer für dieses Verbrechen verantwortlich ist, interessiert Sie wahrscheinlich auch einen Dreck! Vermutlich denken Sie: Klasse, es trifft ja den Richtigen! Aber wenn Sie geglaubt haben, über Dima Bescheid zu wissen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie wissen gar nichts! Er war ein großartiger Mann und hat es ganz bestimmt nicht verdient, von einer Sprengladung zerrissen zu werden.«
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung«, versicherte ich. »Und auch wenn Dima Modesta unseren Ermittlungen nach ein Gangster war, so gibt das tatsächlich niemandem das Recht, ihn zu töten. Wir werden seine Mörder mit derselben Intensität suchen wie jede anderen Straftäter.«
Jennifer Petersen lachte heiser. »Das glaube Sie doch selbst nicht«, meinte sie. »Träumen Sie schön weiter, Herr Jörgensen...«
»Vielleicht können Sie uns etwas helfen, indem Sie uns ein paar Fragen beantworten.«
»Bitte! Es kommt sowieso nichts dabei heraus. Das weiß ich jetzt schon. Am Ende bin ich es nur, die den Ärger bekommt...«
»Dass Sie Ihr Geld als Prostituierte verdienen und wahrscheinlich weder Steuern noch Krankenversicherung zahlen, interessiert uns nicht weiter«, sagte Roy.
»Unterstellungen!«
»Wie auch immer!«
»Miese, miese Unterstellungen!«
»Dafür sind andere zuständig. Uns geht es um denjenigen, der hinter dem Mord an Ihrem Lebensgefährten steckt und außerdem ja auch noch einen unserer Kollegen auf dem Gewissen hat.«
»Habe ich mir schon gedacht, dass Ihr gesteigertes Interesse in Wahrheit daher kommt...« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. Dann fingerte sie in ihrer Handtasche herum, bis sie einen Blister mit Pillen gefunden hatte. Sie nahm zwei davon. »Ist nur etwas gegen meine Kopfschmerzen«, behauptete sie. »Nichts Illegales.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer Dima Modesta das angetan haben könnte?«, fragte ich.
»Nicht die Geringste«, behauptete sie.
»Wo hat er heute Nacht geschlafen?«
»Das wissen Sie nicht?« Sie lachte erneut auf, diesmal schriller. Aber in diesem Lachen klang auch ihr ganzer Schmerz mit. Irgendwie schien sie tatsächlich etwas für Modesta empfunden zu haben. Wie genau die Beziehung zwischen den Beiden nun eigentlich aufzufassen war, davon hatte ich noch kein rechtes Bild. Aber das würde sich noch ergeben. »Jedenfalls nicht bei mir. Er hat mich auf dem Weg zum »Bordsteinschwalbennest« von Zuhause abgeholt.«
»Können Sie uns nicht irgendeinen Ansatzpunkt liefern? Wurde Herr Modesta bedroht? Hatte er vielleicht Streit mit seinem Boss?«
»Mit seinem Boss? Wer soll das gewesen sein? Dima war sein eigener Boss.«
»Ich spreche von Vladi Gruschenko.«
Ihr Gesicht veränderte sich. Für einen kurzen Moment hatte sie ihre Züge nicht unter Kontrolle. Ihr Lächeln wirkte gezwungen und erinnerte an eine Maske.
»Ich habe keine Ahnung, von wem Sie sprechen, Herr Jörgensen.«
»Und ich nehme an, diesen Namen haben Sie auch noch nie gehört?«
»Nie! Beim Leben meiner Mutter.«
»Ein großes Wort.«
»Ist wahr! Ich schwör!«
6
Vladi Gruschenko war ein breitschultriger, großer und ziemlich beleibter Mann mit schwarzem, nach hinten gekämmtem Haar und einem dunklen Vollbart. Seine Stimme war so durchdringend, dass man hätte glauben können, dass sie einem Bühnenschauspieler oder Opernsänger gehört hätte und tatsächlich hatte Gruschenko an einem Konservatorium Gesang und Klavier studiert, dann allerdings dieses Studium abgebrochen, als sein Vater gestorben war und er dessen Geschäfte hatte übernehmen müssen.
Aber dass er kein zweiter Caruso war, wusste er auch selbst. Sein Talent entsprach gutem Mittelmaß, nicht mehr. Immerhin hatte er es zu einer Plattenaufnahme mit den Hamburger Philharmonikern gebracht. Allerdings war die Verdi-Arie, die er aufgenommen hatte, später wegen Überlänge nicht mit auf die Platte gekommen.
Künstlerpech nannte man so etwas wohl.
Erst als die Platte später als CD wieder veröffentlicht worden war, war dieses Lied als Bonus-Track enthalten gewesen.
Aber das war zu einem Zeitpunkt gewesen, als Vladi Gruschenko seine Karriere als Musiker längst aufgegeben hatte. Es hatte ihm damals nicht mehr viel bedeutet, denn es war für ihn eher eine schmerzhafte Erinnerung an die aufgegebenen Träume seiner Jugend.
Dass der Track seinerzeit nicht mit auf die Platte gepresst worden war, das sah er bis zum heutigen Tag als die schlimmste Niederlage und Demütigung an, die er hatte hinnehmen müssen.
Schlimmer sogar als die vier Wochen Untersuchungshaft, die er vor ein paar Jahren mal über sich hatte ergehen lassen müssen, weil ein in seinen Augen übereifriger Staatsanwalt ihn unbedingt mit einem Auftragsmord in Verbindung bringen wollte.
Gruschenko war glimpflich aus der Sache herausgekommen.
Ein paar Zeugen waren mit Geld oder Schlägen günstig gestimmt worden, sodass es nicht einmal zu einem Hauptverfahren gekommen war.
Vladi Gruschenko steckte sich eine dicke Zigarre in den Mund ließ sie aufglimmen. Mochte dieser Genuss inzwischen auch fast überall sonst in Hamburg schon fast einem Kapitalverbrechen gleichkommen – in seinen eigenen vier Wänden konnte Vladi Gruschenko diesem Laster ungehemmt frönen. Er mochte Havannas.
Echte Havannas aus Kuba natürlich, nicht irgendwelche Nachgemachten und nicht mal halb so schmackhaften Imitate. Gemessenen Schrittes trat Vladi Gruschenko auf den Dachgarten seines Penthouses. Man hatte von hier aus einen hervorragenden Rundumblick.
Gruschenko besaß mehrere Dutzend Immobilien. Einen Teil seiner Drogengelder hatte er darin angelegt. Die Hälfte dieser Anwesen hatte er gut und teuer vermietet – die andere Hälfte nutzte er selbst. Darunter auch eine Finca auf Mallorca, wo er den Winter verbrachte und ein Haus auf Sylt für den Sommer.
Aber als Zentrum seines Lebens sah er immer noch diese Wohnung an. In diesem Stadtteil war er aufgewachsen, hier hatte sich sein Vater nach oben geboxt und ihm eine Organisation hinterlassen, die er dann noch einmal um ein Vielfaches vergrößert hatte.
Vladi Gruschenko sog die klare kühle Luft ein und trat bis zur Balustrade. Dann blickte er hinab. Irgendwo hörte man ein paar Sirenen - Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst und ein paar Spaßvögel die einfach nur so gerne Krach machten. In der Stadt war eben immer was los..
Das alles mischte sich mit dem Lärm des Verkehrs und einem Gewirr von Stimmen. Der immerwährende Chor jener großen Hafenstadt, die man nicht umsonst das Tor zur Welt nannte und die ihn groß gemacht hatte und als deren Teil er sich fühlte.
»Vladi?«
Eine sanft klingende Frauenstimme drang erst ganz allmählich in sein Bewusstsein. Erst als sie seinen Namen noch einmal etwas eindringlicher wiederholte, drehte sich Vladi Gruschenko mit einem Ruck herum.
»Violetta«, murmelte er.
Seine Frau hatte dunkle Augen und ebenso dunkles Haar, auch wenn die Schwärze von letztem inzwischen nicht mehr natürlichen Ursprungs war. Kinder waren ihnen nicht vergönnt gewesen. Es gab eben Dinge, die man sich selbst für das astronomische Gruschenko-Vermögen nicht kaufen konnte.
Violetta trat auf ihn zu. Sie hielt ein Telefon in der Hand.
»Der Anruf aus Zürich«, sagte sie.
»Ah ja. Danke.«
Er nahm den Apparat ans Ohr.
»Ist das Problem gelöst?«, fragte er.
7
Nachdem Roy und ich unsere Arbeit am Tatort erledigt hatten, waren wir in unseren Ermittlungen noch kein Stück weiter. Zusammen mit den Kollegen hatten wir Dutzende von Anwohnern aus der Nachbarschaft befragt, ob sie etwas Verdächtiges gesehen hatten. Die Toten waren inzwischen in der Gerichtsmedizin und die Erkennungsdienstler versuchten herauszufinden, welche Art von Sprengstoff verwendet worden war.
Uns blieb jetzt nur eins – die so genannten Freundinnen von Dima Modesta abzuklappern. Wir kannten etwa Hälfte von ihnen.
Jennifer Petersen blieb jedenfalls bei ihrer Aussage, nicht zu wissen, wo Modesta die letzte Nacht verbracht hatte.
Während wir am Tatort gewesen waren, hatten unsere Kollegen Jürgen Carnavaro und Oliver Medina das Apartment untersucht, das Dima Modestas offizieller Wohnsitz war, ohne, dass er sich dort in letzter Zeit länger aufgehalten hatte.
Dieses Apartment hatte schon Tagelang unter Beobachtung gestanden und Dima Modesta musste das wohl geahnt haben.
Der war ja nicht von Dummsdorf.
Jedenfalls meldete sich Jürgen Carnavaro per Handy bei uns und berichtete, dass im Apartment buchstäblich nichts zu finden gewesen sei.
»Das war so glatt geleckt wie ein Hotelzimmer«, berichtete er. »Keine persönlichen Sachen. Vielleicht gibt es noch nicht mal Fingerabdrücke des Besitzers darin. Der Telefonanschluss ist definitiv seit seiner Freischaltung erst einmal benutzt worden.«
»Wahrscheinlich der Begrüßungsanruf des Telefonanbieters«, meinte ich eine Spur zu gallig. Es wurmte mich einfach, dass unsere Karten, in diesem Fall ein Stück weiter zu kommen, einfach so schlecht standen.
Wir wussten, dass es einen kriminellen Zusammenhang zwischen Dima Modesta und Vladi Gruschenko gab. Aber das war auch schon so ziemlich alles. Kündigte sich da ein Gangsterkrieg an? Wollte jemand Gruschenkos Organisation zerstören oder ihn unter Druck setzen, wobei Modesta dann nicht mehr als ein Bauernopfer war, das dem Betreffenden deutlich machen sollte, dass der Unbekannte es ernst meinte?
Fragen über Fragen gingen mir im Kopf herum, aber im Augenblick schien es auf all diese ungeklärten Fragen nicht den Hauch einer wirklich befriedigenden Lösung zu geben.
Wir statteten Kerstin Dörnemeyer in ihrer Wohnung einen Besuch ab.
»Wer ist da?«, fragte uns eine barsche Frauenstimme über die Sprechanlage an ihrer Wohnungstür. Ein Kameraauge verfolgte jede unserer Bewegungen.
»Kriminalpolizei! Machen Sie bitte die Tür auf!«, forderte ich und hielt meinen Dienstausweis in die Kamera.
Kerstin öffnete.
Sie sah Jennifer Petersen erschreckend ähnlich. Sie waren beide blond und kurvenreich. Dima Modesta schien einen ganz bestimmten Frauentyp zu bevorzugen.
Kerstin Dörnemeyer trug Jeans und T-Shirt und war barfuß. Die Fußnägel sahen aus wie frisch lackiert und im Augenblick waren gerade ihre Hände offenbar mit der Nagelpflege dran.
»BKA, Kriminalhauptkommissar Uwe Jörgensen«, stellte ich mich vor. »Mein Kollege Roy Müller und ich haben ein paar Fragen an Sie.«
»Hier geschieht nichts Ungesetzliches!«, versicherte sie. »Zumindest werden Sie das wohl kaum nachweisen können.«
»Es geht nicht um Sie, sondern um Dima Modesta«, sagte ich.
»Ich kann Ihnen zu Dima auch nicht viel mehr sagen, als Sie ohnehin schon wissen«, erwiderte sie. »Und im Übrigen sind wir auch nur flüchtig bekannt.«
»Ja, sicher... Vielleicht können wir hereinkommen und die Sache in Ruhe besprechen. Herr Modesta ist einem Sprengstoff-Attentat zum Opfer gefallen und wir dachten, dass Sie uns vielleicht ein paar Angaben machen können, die uns weiterbringen.«
Kerstin Dörnemeyer wurde bleich.
Ihr Kinnladen fiel herunter und ihre Augen wurden groß, als sie erst mich und dann Roy anstarrte. Sie schluckte.
Entweder war sie eine sehr gute Schauspielerin oder es hatte ihr wirklich etwas an Modesta gelegen.
»Kommen Sie herein«, sagte sie.
Wir folgten ihrer Einladung.
»Wann haben Sie Herr Modesta zuletzt gesehen?«, fragte der Kollege Roy Müller.
»Gestern Abend.«
»Aber er hat nicht hier übernachtet.«
»Sie lassen mich beobachten?«
»Frau Dörnemeyer, Dima Modesta stand kurz vor einer Verhaftung wegen Geldwäsche. Natürlich haben wir versucht, alle bekannten Anlaufstellen zu überwachen. Leider ist das bei ihm nicht so einfach.«
»Hören Sie...«
»Nein, hören Sie mir erst zu. Modestas Geschäfte haben keine Bedeutung mehr. Sie können ihn nicht hereinreißen und was Ihren Broterwerb angeht, das interessiert uns auch nicht und wir werden auch nicht überprüfen, ob Modesta vielleicht die Miete für diese Wohnung gezahlt hat... Aber Sie müssen uns helfen.«
»Ich muss gar nichts«, murmelte sie.
Ich hörte der Unterhaltung zwischen meinem Kollegen Roy Müller und Kerstin Dörnemeyer zu und sah mich ein bisschen im Raum um. Ich suchte nach irgendetwas, das von Modesta stammen oder einen Hinweis auf ihn geben konnte. Einen Durchsuchungsbefehl hatten wir nicht und den würden wir auch nicht bekommen. Die Durchsuchung der Wohnung eines Mordopfers war Routine, aber genau da war der Haken. Modesta hatte in seiner eigenen Wohnung so gut wie nie gelebt.
Aber ich fand nichts. Durch die halboffene Tür des Bades konnte ich auf die Ablage des Waschbeckens sehen. Kein Rasierwasser, nichts, was darauf hätte hinweisen können, dass Modesta mal hier gewesen war.
»Ich würde Ihnen ja gerne helfen«, behauptete Kerstin.
»Dann nennen Sie uns alle Adressen von Modestas Schlupflöchern«, forderte Roy.
»Kennen Sie die nicht alle längst?«
»Machen Sie keine Mätzchen. Ich dachte, Sie wollen auch, dass der oder die Mörder gefasst werden...«
Jetzt mischte ich mich ein. »Sie hätten auch mit drauf gehen können«, erklärte ich. »Und bis zur Stunde ist die genaue Zahl der Opfer noch nicht einmal bekannt, weil wir nicht genau wissen, wie viele und welche Personen sich zum Zeitpunkt der Explosion im »Bordsteinschwalbennest« aufgehalten haben«, sagte ich.
»Ich? Wieso ich?«
Ich schilderte ihr die Szene kurz vor der Detonation und wie wir versucht hatten, Modesta festzunehmen. »Er ging mit Jennifer Petersen im Schlepptau auf den Eingang zu. Es war purer Zufall, dass sie nicht auch in den Club gegangen ist. Und an einem anderen Tag hätten Sie das sein können. Das ist doch richtig, oder?«
»Wir haben über Geschäftliches nie geredet«, sagte sie.
»Und Sie haben auch nie etwas mitbekommen?«, hakte ich nach.
»Nur, dass Dima in letzter Zeit ziemlich nervös und angespannt war. Ja, ich gebe ja zu, dass er selbst für seine Verhältnisse in letzter Zeit schon richtig übertrieben paranoid war. Er ging einmal am Tag zum »Bordsteinschwalbennest«, um da den Betrieb zu kontrollieren, aber ansonsten hatte er sich total zurückgezogen.«
»Wie konnten Sie ihn erreichen?«
»Über ein Prepaid-Handy.«
»Die Nummer bitte.«
Sie nannte sie uns und Roy schrieb sie auf. Ich ging indessen ein paar Schritte vor und erreichte die Tür zum Schlafzimmer. Sie stand einen Spalt weit offen.
Durch einen kleinen Stoß sorgte ich dafür, dass sie sich weiter öffnete und der Blick auf ein Wasserbett frei wurde. Daneben lag eine Sporttasche auf dem Boden.
»Ist das Ihre Tasche, Frau Dörnemeyer ?«, fragte ich.
»Ja, sie gehört mir. Was soll das außerdem?«
»Dann sind Ihre Initialen neuerdings DM? Seltsam...«
Sie drängelte sich an mir vorbei und stellte sich mir in den Weg. »Sie haben kein Recht, hier eine Durchsuchung durchzuführen.«
»Ich habe nicht vor, Ihre Sachen zu durchsuchen – aber den Inhalt einer Tasche, die offensichtlich Dima Modesta gehört, darf ich mir sehr wohl ansehen...« Ich schob Kerstin Dörnemeyer zur Seite und hob die Tasche auf.
Sie war ziemlich schwer. Ich legte sie auf das Wasserbett, das daraufhin heftig schaukelte. Die Tasche war ein edles Stück, das Dima Modesta sich mit seinen aufgestickten Initialen hatte verzieren lassen. Sie waren im Stil eines Graffiti-Takes gestaltet. Eigentlich hätte Modesta ahnen können, dass so eine Tasche direkt auf ihn deuten würde. Er war vielleicht in großer Eile gewesen, als er sie hier, in der Wohnung von Kerstin Dörnemeyer zurückgelassen hatte.
Ich zog den Reißverschluss auf und spreizte die Tasche auseinander.
Zum Vorschein kamen mehrere Waffen. Eine Automatik, eine Beretta, ein 38er Smith & Wesson-Revolver, eine zierliche 22er und eine handliche Maschinenpistole vom Typ Uzi.
Ich fasste natürlich keine der Waffen an.
Um die würde sich unser Labor kümmern. Stattdessen wandte ich mich an Kerstin Dörnemeyer . »Wie wär's, wenn Sie uns das hier mal etwas näher erklären, Frau Dörnemeyer ? Ich wette, es gibt für keine dieser Waffen einen Waffenschein.«
»Dima hat mich gebeten, die Tasche hier aufzubewahren! Ich hatte keine Ahnung, was sich darin befand!«, behauptete sie.
Ein Waffen-Depot in Kerstin Dörnemeyers Wohnung - das machte durchaus Sinn. Mir kam der Gedanke, dass Dima Modesta vielleicht auch noch andere Dinge schön gleichmäßig auf seine Schlupflöcher verteilt hatte, um das Gesamtrisiko zu minimieren. Belastende Geschäftsunterlagen zum Beispiel.
In diesem Augenblick klingelte es an der Tür.
»Erwarteten Sie Besuch?«, fragte Roy Müller.
Aber Kerstin Dörnemeyer schien ehrlich überrascht zu sein. Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, eigentlich nicht.«
»Öffnen Sie ruhig«, sagte ich.
8
In der Tür von Kerstin Dörnemeyers Wohnung stand ein Mann mit hellblonden, fast weißen Haaren und sehr blasser Haut. Seine Augen wirkten angestrengt, der Blick machte einen unruhigen Eindruck.
Der Mann war sehr dürr, aber der gute Dreiteiler, den er trug, hatte trotzdem eine nahezu perfekte Passform und war vermutlich maßgeschneidert.
»Frau Dörnemeyer ?«
»Ja?«
»Wie ich sehe haben Sie Besuch...«
»Zwei Beamte der Kripo.«
»Dann komme ich ja gerade noch rechtzeitig.«
Kerstin Dörnemeyer schien ihn zu kennen. Der Mann im grauen Dreiteiler trat ein und hielt uns seine Visitenkarte entgegen. »Hüssein Gümüs von Gümüs, Töppwall & Associates. Ich vertrete die Interessen von Frau Dörnemeyer. Ich hoffe, Sie haben noch keine Aussage gemacht, mit der Sie sich selbst belasten könnten.«
»Frau Dörnemeyer wird lediglich als Zeugin vernommen«, erwiderte ich etwas erstaunt und nahm die Visitenkarte an mich. Der Name Gümüs kam mir bekannt vor und zwei Sekunden später fiel mir auch ein, in welchem Zusammenhang ich ihn zuletzt gelesen hatte.
Die Anwaltskanzlei Gümüs, Töppwall & Associates hatte Vladi Gruschenko in all seinen Prozessen sehr erfolgreich vertreten. Und wann immer irgendjemand, der in Gruschenkos Sold stand, unter Anklage stand, tauchte ein Mitarbeiter dieser Kanzlei auf, um für juristische Unterstützung zu sorgen.
»Darf ich die schriftliche Bestätigung darüber sehen, dass Frau Dörnemeyer sich tatsächlich von Ihnen anwaltlich vertreten lässt?«, fragte ich.
Gümüs griff in seine Jackettinnentasche und gab Kerstin Dörnemeyer ein zusammengefaltetes Dokument und einen von blitzendem Chrom überzogenen Edelkugelschreiber.
»Unterschreiben Sie Frau Dörnemeyer, dann hat alles seine Ordnung und diese Polizisten werden Sie nicht länger belästigen.«
Kerstin schien im ersten Augenblick etwas unschlüssig zu sein, was sie tun sollte. Dann ging sie zum Wohnzimmertisch, legte das Dokument darauf und unterschrieb, ohne sich die Zeilen überhaupt durchzulesen. Anschließend gab sie es Gümüs zurück.
Auf dessen Gesicht zeigte sich ein triumphierendes Lächeln.
»Wir hätten da noch ein paar Fragen zu den Waffen, die hier gefunden wurden«, sagte ich.
»Das Gespräch ist beendet«, bestimmte Gümüs. »Frau Dörnemeyer wird keinerlei weitere Aussagen machen. Und falls Sie keinen Grund haben, Frau Dörnemeyer zu verhaften, sehen Sie bitte zu, dass Sie die Privaträume meiner Mandantin verlassen, in der Sie sich vermutlich unter Berufung auf Ihre Autorität als Polizisten illegalen Zutritt verschafft haben.«
»Ihre Mandantin hat uns hereingebeten!«, protestierte der Kollege Roy Müller.
Der Anwalt lächelte kühl. Sein schmallippiger Mund bildete einen geraden Strich.
»Die Abteilung für interne Ermittlungen und die Staatsanwaltschaft werden diese Frage sicherlich eingehend prüfen...«, versprach er und lächelte dabei zynisch.
9
Wir nahmen die Waffen natürlich mit und mussten uns von Gümüs eine ellenlange und wortgewaltige juristische Belehrung darüber anhören, gegen welche Paragraphen wir angeblich verstoßen hatten und welche dienstlichen und juristischen Konsequenzen für uns damit verbunden sein würden.
Das Meiste davon war schlicht und ergreifend heiße Luft und sollte nur dazu dienen, uns einzuschüchtern.
Allerdings hatten Gümüs Ausführungen leider auch einen wahren Kern. Wir konnten tatsächlich im Augenblick wenig ausrichten, um Kerstin Dörnemeyers Willen zur Kooperation irgendwie günstig zu beeinflussen.
Wir klapperten noch ein paar weitere Adressen von Modestas Freundinnen ab, soweit sie uns bekannt waren. Allerdings stießen wir auf eine Mauer des Schweigens. Niemand war bereit, mit uns zusammen zu arbeiten.
»Die haben Angst«, sagte Roy, als wir uns schließlich auf dem Weg zum Präsidium befanden.
»Fragt sich nur vor wem«, gab ich zurück.
»Im Prinzip gibt es da nur zwei Möglichkeiten«, glaubte Roy. »Entweder die geschäftliche Konkurrenz wollte den ehrgeizigen Modesta aus dem Weg räumen oder der hatte Ärger mit seinem Gönner und Förderer Vladi Gruschenko bekommen.«
»Ich glaube nicht, dass die Konkurrenz es gewagt hätte, Modesta aus dem Weg zu räumen und dann auch noch den ganzen Club in die Luft zu jagen!«, erwiderte ich.
»Und wieso nicht?«
»Weil jeder, der so etwas tut, doch wissen muss, dass der sich dann mit Gruschenko persönlich anlegt.«
»Und wenn Gruschenko seine schützende Hand weggenommen hat – aus Gründen, die wir nicht kennen?«
»Dann bleibt immer noch zerstörte Club. Das »Bordsteinschwalbennest« muss für Gruschenko doch enorm wichtig gewesen sein. Selbst wenn dort nur halb so viel Geld gewaschen wurden, wie die Ermittlungen unseres Kollegen Nick inzwischen ergeben haben...«
Roy seufzte. Er unterdrückte ein Gähnen und nickte dann leicht, während ich den Sportwagen an einer Ampel halten musste. »Dann hältst du es für wahrscheinlicher, dass der große Vladi Gruschenko sein Eigentum selbst zerstört? Uwe, das ist nicht dein Ernst...«
»Was hältst du davon: Gruschenko musste befürchten, dass Dima Modesta gegenüber der Justiz auspackt, sobald er verhaftet würde und musste ihn vorher aus dem Weg räumen. Die Verwüstung des »Bordsteinschwalbennest« war dabei zweitrangig.«
»Ein Kollateralschaden sozusagen.«
»Hässliches Wort, Roy. Aber ich fürchte, Gruschenko sieht das so, genauso wie den Tod einiger völlig Unbeteiligter.«
Roy schwieg eine Weile, ehe er schließlich feststellte: »Dann muss Gruschenko gewusst haben, dass Modestas Verhaftung bevorsteht.«
»Wäre das denn das erste Mal, Roy?«
»Nein, leider nicht.«
Wir erreichten schließlich das Präsidium .
Das Waffenarsenal, das wir in Kerstin Dörnemeyers Wohnung sichergestellt hatten, führten wir unseren Erkennungsdienstlern und Ballistikern zu.
Dann gingen wir in das Dienstzimmer, das wir uns teilten. Ich zog mir einen Kaffee, Roy wollte nicht. Mir knurrte der Magen, ich hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen. Aber noch mehr Bauchschmerzen machte mir der Fall, an dem wir gerade arbeiteten.
Ich wollte mich bei unserem für Betriebswirtschaft zuständigen Kollegen Nick Orthoff danach erkundigen, ob seine Ermittlungen in Sachen verdeckter Geldströme inzwischen irgendwelche neuen Erkenntnisse gebracht hatten. Aber es stellte sich heraus, dass unser Kollege bereits nach Hause gegangen war.
»Das sollten wir auch tun, Uwe«, lautete Roys Fazit, als ich wenig später mit meinem dampfenden Kaffee wieder in unserem Dienstzimmer auftauchte.
»Ich weiß nicht, aber irgendwie habe ich das dumpfe Gefühl, dass wir derzeit noch ziemlich im Nebel herumstochern«, meinte ich.
»Um Leuten wie Vladi Gruschenko an den weißen Kragen zu können braucht man Zeit, Uwe, Zeit und Geduld. Das Problem ist doch ganz einfach – wir haben einfach noch nicht genügend juristische Munition gegen ihn gesammelt. Und bevor das nicht der Fall ist, haben wir keine Chance gegen ihn.«
»Trotzdem – er muss sehr nervös sein«, glaubte ich.
Roy hob die Augenbrauen.
»Woraus willst du das bitte schön schließen?«
»Na, hätte er Kerstin Dörnemeyer sonst gleich mit einem seiner Star-Anwälte bändigen müssen?«
10
Vladi Gruschenko erschien mit seinem Gefolge im Restaurant »Michele«. Das Lokal lag nur drei Blocks von Gruschenkos Residenz entfernt. Außerdem hielt Gruschenko einen Anteil von 51 Prozent an den Kapitaleinlagen des Unternehmens, von dem es in Hamburg noch drei Filialen unter demselben Namen gab. Gehobene italienische Gastronomie in gediegenem Ambiente konnte der Gast hier genießen.
Und davon abgesehen fühlte sich Gruschenko hier sicher.
Gruschenkos Gesprächspartner war Hüssein Gümüs von Gümüs, Töppwall & Associates. Gruschenko hatte den blassgesichtigen Mann eine halbe Stunde warten lassen. Für Gruschenkos Verhältnisse war diese relativ geringe Verspätung schon fast so etwas wie ein Gunsterweis.
Gruschenko setzte sich.
Dann machte er seinen Leibwächtern ein Zeichen, woraufhin die sich zurückzogen. Sie postierten sich mehr oder weniger unauffällig an verschiedenen, strategisch wichtigen Punkten innerhalb des Lokals. Unter anderem am Eingang und an der Bar, von der aus man den gesamten Raum überblicken konnte.
»Nun, wie stehen die Aktien, Herr Gümüs?«, fragte Gruschenko, während ihm der Kellner wortlos den Rotwein hinstellte. Es war immer dieselbe Sorte. Man kannte Gruschenko hier und der beleibte Mann hasste es, wenn man ihn jedes Mal aufs neue fragte, was er wünschte. Das Personal des »Michele« war genauestens instruiert, wie es mit diesem speziellen Gast umzugehen hatte.
Das Einzige, was sich bei jedem von Gruschenkos Besuchen änderte war die Uhrzeit. Er kam nie zwei Mal hintereinander zur selben Zeit in das Lokal, obwohl er es fast jeden Tag besuchte, um die eine oder andere Besprechung abzuhalten. Normalerweise liebte Gruschenko die Regelmäßigkeit. Er bekam immer das gleiche Menü, den gleichen Wein, die gleiche Nachspeise.
Dass er zu so unterschiedlichen Tageszeiten hier auftauchte, hatte allein Sicherheitsgründe.
»Kerstin Dörnemeyer hat Geld verlangt«, sagte Gümüs.
»Wie viel?«
»Hunderttausend.«
»Die Dame überschätzt sich wohl etwas.«
»Würde ich auch sagen – zumal sie uns nicht substanziell schaden könnte.«
»Was haben Sie ihr gesagt?«
»Dass ich Ihnen ihre Forderung ausrichten würde, ich ihr aber nichts versprechen könnte.«
»Sagen Sie ihr zu.« Gruschenko seufzte und nippte an seinem Weinglas. »Sie mag unverschämt sein, aber sie hat offenbar einen guten Instinkt für den richtigen Moment. Wir haben im Augenblick so viel Ärger, dass es besser ist, hunderttausend Dollar an Kerstin Dörnemeyer zu bezahlen und damit zumindest an einer Front Ruhe zu haben.«
»Wie Sie meinen, Herr Gruschenko. Aber da ist noch etwas, das Sie wissen sollten.«
Gruschenko hob die Augenbrauen. »So?«
»Kerstin Dörnemeyer hat in ihrer Wohnung ein kleines privates Waffenarsenal für Dima Modesta aufbewahrt.«
»Könnten wir dadurch in irgendetwas hineingezogen werden?«
Gümüs zuckte die Achseln. »Das BKA war schon dort, als ich bei Kerstin eintraf und um ein Haar hätten die Bullen sie so in die Mangel genommen, dass sie bereitwillig geplaudert hätte, zumal sie wohl ziemlich schockiert von dem war, was sich im »Bordsteinschwalbennest« abgespielt hat.«
»Das meine ich nicht. Wenn Kerstin hunderttausend bekommt, wird sie dicht halten, da bin ich mir sicher. Nein, ich spreche von diesen Waffen? Je nachdem, wann und wobei die schon benutzt wurden...«
»Herr Gruschenko, ich habe wirklich keine Ahnung.«
Vladi Gruschenko atmete tief durch und nahm noch einen weiteren Schluck Wein. »Dann werden wir wohl abwarten müssen, ob da noch irgendwelche Leichen im Keller liegen....«
»Ich fürchte ja, Sir. Und dann ist da noch etwas.«
Gruschenko zog die Augenbrauen zusammen, sodass eine deutlich sichtbare Furche in der Mitte seiner Stirn entstand.
»Heute bringen Sie mir die schlechten Nachrichten Scheibchenweise, was?«
»Ich habe einen Anruf bekommen. Die Sache mit Zürich ist noch nicht ausgestanden.«
Gruschenko lehnte sich zurück. »Okay, reden Sie, Gümüs!«
11
Am nächsten Morgen wurden wir ins Büro unseres Chefs zu einer Besprechung gerufen. Außer uns waren auch noch die Kollegen Carnavaro und Medina sowie unsere Innendienstler Max Herter und Nick Orthoff anwesend.
Mandy versorgte uns mit ihrem berühmten Kaffee, während Kriminaldirektor Bock noch ein Telefongespräch führte.
Nachdem er aufgelegt und Mandy den Raum verlassen hatte, wandte er sich uns zu. Sein Gesicht wirkte ernst.
»Ich habe gerade noch einmal mit den Kollegen des Erkennungsdienstes gesprochen. Inzwischen steht fest, welche Sprengstoffsorte verwendet wurde. Ich erspare Ihnen die chemischen Einzelheiten, dazu bekommen wir in Kürze ein ausführliches Dossier. Aber interessant ist, dass wir ein paar Tage vorher den Hinweis eines Informanten bekamen, wonach sich jemand eine erhebliche Menge dieses Sprengstoffs auf dem schwarzen Markt besorgt haben soll. Eine Menge, die im Übrigen nach Angaben unserer Sprengstoffspezialisten durchaus ausgereicht hätte, um das »Bordsteinschwalbennest« in die Luft zu sprengen.«
»Ist der Informant zuverlässig?«, fragte ich.
»Das ist er«, bestätigte Kriminaldirektor Bock und nickte in Richtung von Jürgen Carnavaro. Der blonde Italoamerikaner war nach unserem Chef die Nummer Zwei in unserem Präsidium. »Jürgen arbeitet seit Jahren immer wieder mal mit ihm zusammen.«
»Bis jetzt hatten wir nur gute Erfahrungen diese Quelle. Ich werde so schnell wie möglich ein Treffen vereinbaren, um Näheres zu erfahren.«
»Vielleicht kommen wir in unseren Ermittlungen dann ja endlich ein Stück weiter«, meinte Kriminaldirektor Bock. »Im Übrigen hat sich noch etwas anderes ergeben, was den ganzen Komplex Modesta/Gruschenko vielleicht in einem neuen Licht erscheinen lässt. Max...«
»Ja, Chef?«
»Sie haben das Wort.«
Unser Kollege Max Herter erhob sich und aktivierte sein Laptop und den dazu gehörenden Beamer. Er projizierte ein Bild an die Wand, das aus einem schlechten Spielfilm hätte stammen können. Ein rothaarige Mann in dunkler Lederjacke erdrosselte einen Mann im konservativen Dreiteiler.
»Dies ist der Screenshot einer Wettercam, den ein gewisser Heribert Nördlinger aus Hamburg aufgenommen hat, als er sich via Internet über das Wetter in Zürich informieren wollte. Nördlinger hat beobachtet, wie der Rothaarige das Opfer getötet und in den Fluss geworfen hat. Zuvor wurden der Leiche alle identifizierenden Attribute abgenommen. Natürlich sind die Schweizer Behörden sofort informiert worden, aber weder ist die Leiche inzwischen aufgetaucht noch gibt es einen Hinweis auf den Täter. Allerdings ist es unserer Abteilung inzwischen gelungen, das Opfer zu identifizieren.«
Max Herter zeigte uns nun eine andere Aufnahme.
Der Mann im Anzug war darauf schätzungsweise ein Jahrzehnt jünger. Die Aufnahme war bei einer Verhaftung gemacht worden. »Es handelt sich um Jochen Dehlmann aus Stade. Unseren Erkenntnissen nach hat er in großem Stil Drogengelder gewaschen und über Liechtenstein und die Cayman Islands umgelenkt. Es gab mehrere Prozesse gegen ihn. Als es schließlich wirklich brenzlig für ihn wurde, tauchte er unter und entzog sich der Justiz. Er ist seitdem nicht mehr aufgetaucht.«
»Der springende Punkt ist, dass es einen Zusammenhang mit Vladi Gruschenko gibt«, erklärte Kriminaldirektor Bock nun.
Jürgen Carnavaro hob die Augenbrauen. »Dann war Jochen Dehlmann gewissermaßen ein Kollege von Dima Modesta.«
»Richtig«, stimmte Max Herter zu. »Und dass gleich zwei Geldwäscher, die beide höchstwahrscheinlich für Vladi Gruschenko tätig sind beziehungsweise waren, innerhalb so kurzer Zeit ermordet werden, das kann meiner Ansicht nach kein Zufall sein.«
Kriminaldirektor Bock wandte sich an Roy und mich. »Jürgen und Olli haben mit dem Informanten in Sachen Sprengstoff eine Weile zu tun. Ich möchte daher, dass Sie beide nach Stade fahren und eine gewisse Roswitha Dehlmann aufsuchen.«
»Wer ist das? Seine Frau?«, fragte Roy.
Kriminaldirektor Bock schüttelte den Kopf. »Nein, seine Schwester und so weit Max ermitteln konnte die einzige lebende Angehörige von Jochen Dehlmann.«
12
Jemandem die Botschaft überbringen zu müssen, dass ein geliebter Angehöriger tot ist, gehört zu den Pflichten eines Polizisten, die psychisch die größte Belastung erzeugen. Man überlegt sich ein paar nette Worte, versucht zu trösten so gut es geht, aber am Schluss hat man doch immer das Gefühl, es nicht richtig gemacht zu haben. Ich kenne jedenfalls keinen Kollegen – weder bei der Kripo noch bei der Schutzpolizei – der von sich behaupten würde, darin Routine zu haben.
Wir fuhren also nach Norden Richtung Stade und schon die Tatsache, dass unsere Fahrt zunächst ziemlich schweigsam war, zeigte, was los war. Ich kannte Roy gut genug, um zu wissen, dass er genauso darüber brütete, wie man Roswitha Dehlmann die Wahrheit beibringen konnte.
Mochte ihr Bruder auch ein Gangster gewesen sein, so gab es für uns doch keinerlei Hinweise, dass sie irgendetwas mit dessen Geschäften zu tun gehabt hatte.
Wir erreichten schließlich Stade.
Roswitha Dehlmanns Adresse lag in einem gutbürgerlichen Viertel mit breiten Alleen und großzügig angelegten Bungalows auf Grundstücken, die für Hamburger Verhältnisse schon fast unvorstellbar groß gewesen wären.
In einem dieser Bungalows wohnte Roswitha Dehlmann.
Wir parkten den Sportwagen an der Straße und stiegen aus.
Roy klingelte an der Tür. Ein Hund bellte daraufhin. Es öffnete niemand. Roy versuchte es noch einmal und nun meldete sich über die Sprechanlage eine weibliche Stimme.
»Was wollen Sie?«
»Roy Müller, Kripo. Mein Kollege Jörgensen und ich müssen Sie dringend sprechen. Es geht um Ihren Bruder Jochen.«
Es machte »Knack« und dann war erstmal eine volle Minute lang gar nichts mehr zu hören. Der Hund beruhigte sich anscheinend etwas.