Susis geniales Leben (Band 2) - Das legendäre Krimskrams-Museum - Jamie Michalak - E-Book

Susis geniales Leben (Band 2) - Das legendäre Krimskrams-Museum E-Book

Jamie Michalak

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Beschreibung

Aufregung in Big Ditch! Das Falling Stars Museum für legendären Krimskrams soll einem Vergnügungspark weichen. Das kann Susi nicht zulassen, denn ohne das Museum kann sie keine berühmten Persönlichkeiten mehr ins Leben zurückrufen! Eigentlich wollte sie ihren selbst gebauten Enttotifizierer nicht mehr benutzen, aber jetzt braucht sie prominente Unterstützung mehr denn je. Gemeinsam mit revolutionären Weltherrschern, unvergessenen Filmikonen und ihren echten Freunden nimmt Susi den Kampf für das Museum und ihre außergewöhnliche Erfindung auf! Zweiter Band der witzigen Zeitreise-Geschichte für Mädchen ab 11 Jahren, der Freundschaft und erste Liebe mit Humor und Magie verbindet. Viele prominente Persönlichkeiten wie Marilyn Monroe und Cleopatra sorgen in diesem Roman für beste Unterhaltung!

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Seitenzahl: 319

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Inhalt

Susis Beraterteam

Das Falling Stars Museum für legendären Krimskrams

Schlimmer geht’s immer

Zu verkaufen: Einsteins Unterhosen

Ein möglicherweise riesengroßer Fehler

Das Plakat-Problem

Sterbende Legenden

Die Invasion

Das khan doch nicht wahr sein

Überraschungsbesuch

Big Ditch für alle, alle für Big Ditch

M wie Make-up

Susis Beraterteam

Shirley Temple, 1928 in Kalifornien geboren, war eine amerikanische Sängerin, Tänzerin, Schauspielerin und Diplomatin. In den 30er-Jahren wurde sie zu Hollywoods größtem Kinderstar. Als erwachsene Frau kehrte Shirley der Schauspielerei den Rücken und wurde Diplomatin. Obwohl ihre Pläne meist schiefgehen, wird sie Susis gute Freundin und ein wichtiges Mitglied in deren Beraterteam.

Zwei Jahre vor Shirley Temple erblickte die Filmikone Marilyn Monroe in Los Angeles das Licht der Welt und war, genauso wie Shirley, ein echtes Multitalent. Neben der Schauspielerei machte sie Karriere als Fotomodell, Sängerin und Filmproduzentin. Und damit nicht genug. Um Susi zu unterstützen, nimmt sie ihre neue, selbst erfundene Rolle als antikapitalistische Aktivistin sehr ernst. Ob sie Susi damit wirklich hilft, das Museum ihrer Eltern zu retten, sei mal dahingestellt.

Im Jahre 1769 kam der spätere Kaiser Frankreichs Napoleon I. auf der Insel Korsika zur Welt. Seine geringe Körpergröße hinderte Napoleon nicht daran, militärisch und politisch ganz groß herauszukommen. Nach seiner Zeit beim Militär schlug er eine politische Laufbahn ein, wurde »Konsul auf Lebenszeit« und krönte sich daraufhin selbst zum Kaiser Frankreichs. Auch in Big Ditch ist Napoleon allzeit zum Kampf bereit und ernennt sich, kaum angekommen, zum Herrscher über Susis Zimmer.

Kleopatra VII. ist Napoleon, was ihren Anspruch auf Macht und Kampfeslust angeht, gar nicht mal unähnlich. Die 69v.

Das Falling Stars Museum für legendären Krimskrams

Fakt ist: Ich, Susi Fishman, habe ein Geheimnis.

Und zwar DAS Geheimnis aller Geheimnisse. Ein riesiges Ihr-würdet-euren-Ohren-nicht-trauen-wenn-ich-es-euch-erzähle-Geheimnis, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Noch im letzten Jahr hätte ich es ja selbst nicht geglaubt. Und hätte man mir je prophezeit, dass ich mal die Leadsängerin einer Rockband sein würde, hätte ich auch das nicht geglaubt.

Es ist nämlich noch gar nicht so lange her, da war ich der größte Nerd an der Schule von Big Ditch. Ich vertrieb mir meine freie Zeit mit dem Studium von Zeugs wie der Quantenverschränkung und dem Versuch, eine Zeitmaschine zu erfinden. Ich hatte überhaupt keine Freunde. (Na ja, keine lebendigen zumindest.) Und meine Cousine Madison, die zufälligerweise das beliebteste Mädchen der ganzen Schule ist, machte mir andauernd das Leben schwer.

Wissenschaftsbegeistert bin ich nach wie vor. Alles andere aber fing an, sich zu verändern, nachdem ich meine geheime Erfindung gemacht hatte.

Heutzutage muss ich mir keine Freunde mehr wünschen, denn ich verbringe viel Zeit mit meiner Band. Wir proben jeden Tag nach Schulschluss bei mir zu Hause in der Garage. Und genau das taten wir auch an dem Tag, an dem diese Geschichte ihren Anfang nimmt.

Wa-wa-wa!

Jack West spielte ein hammermäßiges Solo auf der Gitarre. Jack ist mein bester Freund und Mitbegründer unserer Band, Die Lebendigen Legenden. (Jack hat außerdem das schönste Lächeln von Big Ditch, Kansas. Aber ich bin nicht in ihn verknallt.) Ihr würdet Jack auf Anhieb erkennen, sollte er euch über den Weg laufen. Er ist nämlich der Einzige in der Stadt, der Skinny Jeans, ein Ramones-T-Shirt und schwarze Sneaker trägt. Und seine Haare stehen immer senkrecht in die Höhe.

Hinter ihm hämmerte Emily auf das Schlagzeug ein. Bang, bumm, bang.

Ihre wilde braune Lockenmähne flatterte. Emily ist das kleinste Mädchen in der Mittelstufe an der Schule von Big Ditch, aber sie hat so viel Power wie ein Ringer. Und genau so spielt sie auch Schlagzeug. Ihre Persönlichkeit hat ebenfalls was von einem Ringer. Mit Emily möchte man sich lieber nicht anlegen.

Ihre beste Freundin, Hannah, ist das größte Mädchen des siebten Jahrgangs. Sie spielt Keyboard, wobei sie oft danebenhaut und sich dann dafür entschuldigt. So wie eben.

Biep, biep – Buup!

»Hups!« Hannah kicherte. »’tschuldigung!«

Delta Blue, die ihren Jogginganzug aus Frottee anhatte, spielte auf ihrer Bassgitarre, als wäre nichts gewesen. Sie ist ein alter Hase. Will heißen: Ein 76Jahre alter Hase. Jack hatte sie während seiner ehrenamtlichen Tätigkeit in der Seniorenresidenz Waldesruh kennengelernt. Delta Blue ist eine unglaubliche Bluesmusikerin, womit ihr Name allerdings nichts zu tun hat. Im Altersheim wohnen zwei Deltas. Delta White hat weiße Haare.

Ich drehte mich wieder zum Mikrofon und sang die letzten Worte. »Ohhh, yeahhh!«

Nachdem wir geendet hatten, war nur noch das Tap-Tap-Tap des Regens zu hören, der auf das Garagendach trommelte.

Ich wandte mich an meine Mitspieler und hob den Daumen. Wir hatten jetzt einen Monat lang nach der Schule geübt und allmählich klangen wir wie eine echte Band. An den glücklichen Gesichtern meiner Freunde konnte ich ablesen, dass sie derselben Meinung waren.

»Yo!«, röhrte Emily hinter dem Schlagzeug hervor. »Nicht übel!«

»Jawollja«, erwiderte Delta und tätschelte ihre blaue Hochfrisur. »Wir werden immer besser. Wir hören uns an, als würden wir schon 100Jahre zusammen spielen. Fast genauso lang, wie ich bereits auf Gottes schöner Erde wandele.«

»Das war super!«, rief Hannah. »Leute, ich liebe euch! Sogar noch mehr als Kätzchen und Eiscreme.«

Emily und Hannah hatten nach dem Big Ditch Talentwettbewerb gefragt, ob sie in unserer Band mitspielen könnten. Die Lebendigen Legenden hatten den ersten Platz belegt. Seitdem waren wir alle unzertrennlich.

Ich drehte mich um und lächelte in die Runde. Ein Gefühl von Dankbarkeit erfüllte mich. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass ich Freunde hatte, die tatsächlich quicklebendig waren! Ein Wunschtraum war in Erfüllung gegangen: mit anderen Kindern reden und lachen. Nie mehr allein zu Mittag essen – oder, schlimmer noch, mit einem Lehrer, der mich bemitleidete. Keine »Tritt-mich«-Zettel mehr, die mir auf den Rücken geklebt wurden. Schluss mit dem stundenlangen Herumhängen in meinem Zimmer nach der Schule. Nein, ich hatte jetzt ein prima Leben. So ist das also, wenn man gleichaltrige Freunde hat! Ich hatte mich noch nicht so ganz daran gewöhnt.

»Mist!«, murmelte Jack und schaute auf seine Hand hinunter.

»Was ist?«, fragte ich.

Er hielt die zwei Hälften seines zerbrochenen Plektrums hoch. »Ich schätze, das war für heute wohl mein letztes Lied.«

»Och, echt jetzt?«, murrte ich. »Dabei haben wir doch noch nicht mal unsere Lieblingsstücke wie ›The Detention Blues‹ oder ›Pop Rocks Rock!‹ oder ›Dumped at the Mall‹ gespielt.«

Jack zuckte mit den Schultern und schaute zu Delta. »Hast du noch eins übrig?«

Sie schüttelte den Kopf und hielt ihre wunderschön verhornten Fingerspitzen hoch. »Sorry, Süßer. Ich spiele immer ohne.«

Ich persönlich kannte nur noch einen anderen Musiker, der einen Pick benutzte. Er ist bereits lange vor meiner Geburt gestorben.

»Ich habe auch keinen, den du dir leihen könntest«, sagte ich, »aber vielleicht kann jemand, der berühmter ist als ich, dir aushelfen.«

Jack kratzte sich am Hinterkopf. »Susi, wovon redest du?«

»Wart’s ab.« Ich lächelte. »Hat jemand Lust auf einen kleinen Ausflug?«

»Was, jetzt?«, fragte Delta und blickte himmelwärts. Das Tap-Tap-Tap des Regens war mittlerweile lauter als Emilys Schlagzeug. »Es schüttet wie aus Eimern.«

»Ach was, es wäre ja nicht weit«, hielt ich dagegen. »Bloß ein klitzekleiner Spaziergang. Ich hol uns schnell ein paar Regenschirme.«

Schnelldurchlauf, 30Minuten später … Wir gingen im strömenden Regen die Hauptstraße hinunter. Zu fünft drängten wir uns unter zwei Regenschirmen zusammen: Delta und Jack unter dem einen, Hannah, Emily und ich unter dem anderen.

Jack ächzte. »Bloß ein klitzekleiner Spaziergang, das waren ihre Worte.«

»Wir haben’s ja nicht weit, hat sie gesagt«, ergänzte Delta trübselig.

»Ist doch nicht so schlimm«, zirpte Hannah. »Ein Kilometer im Regen ist doch irgendwie auch ganz lustig.«

Emily funkelte sie böse an. »Für dich vielleicht. Du fändest ja sogar eine Wurzelbehandlung noch lustig.«

»Ach, kommt schon, Leute«, meinte ich. »Guckt mal, wir sind doch bereits in der Innenstadt.«

Wir gingen an den touristischen Läden und Restaurants meiner Stadt vorbei, wie dem Pizza-Galaxie und der Kraterkiste. Und dann an dem gewaltigen Erdloch, das meiner Stadt ihren Namen gegeben hat. Big Ditch, Kansas, hieß nämlich früher einmal Plainville, bis ein Meteorit im Stadtzentrum einschlug und ein, na ja, Riesenloch hinterließ, das jetzt eine kleine Touristenattraktion darstellt. Und Riesenloch heißt auf Englisch eben Big Ditch.

Manche Leute glauben nicht, dass der Meteorit tatsächlich hier gelandet ist. Fakt ist: Ist er aber.

»Wir sind fast da«, sagte ich.

An der nächsten Straßenecke erspähte ich unser Ziel: einen zweistöckigen, golden angestrichenen und mit großen Glitzersternen dekorierten Backsteinbau. Ein gigantisches Wandgemälde an der uns zugewandten Fassadenseite ließ das Gebäude sogar noch auffälliger wirken. Es zeigte ein berühmtes Baseballstadion. Und wenn man genau hinsah, konnte man auf den Tribünen so gut wie jede berühmte Persönlichkeit erkennen, die jemals gelebt hat. Am unteren Bildrand hatten 50Einwohner von Big Ditch ihre Signatur hinterlassen. Allerdings erinnerte sich mittlerweile kaum mehr jemand an den Grund dafür.

Jack bemerkte das Gebäude ebenfalls. »Oh, jetzt weiß ich, wo wir hinwollen. Das ist super!«

»Dieses skurrile, kleine Museum?«, fragte Delta.

»Jep«, erwiderte ich. »Dort gibt es alles, was man braucht, um ein Problem aus der Welt zu schaffen.« Oder sich eins aufzuhalsen, dachte ich.

Als wir vor dem Museum standen, las Emily das sternförmige Schild über der Eingangstür: Falling Stars Museum für legendären Krimskrams.

»Oh, gehen wir in euer Familienmuseum?«, fragte Hannah. »Cool! Wisst ihr, dass ich noch nie hier war? Kaum zu glauben, oder?«

»Da ist dir was entgangen«, meinte Jack. »Es ist der tollste Ort in ganz Big Ditch.«

Ich schielte verstohlen zu ihm hinüber, um festzustellen, ob er das sarkastisch meinte. Aber Jack war ganz ernst. Er hat ein Faible für antikes Zeug. Er sammelt altes Spielzeug und besitzt meterlange Regale voller Schallplatten.

»Hereinspaziert«, sagte ich und hielt ihnen die Tür auf. »Herzlich willkommen!«

Wir klappten unsere Schirme zu und schüttelten den Regen ab. Sowie ich in die Eingangshalle trat, durchströmte mich ein warmes Glücksgefühl. Für mich ist das Falling Stars Museum der schönste Platz der Welt. Meine Eltern haben es ein Jahr vor meiner Geburt eröffnet und deshalb war ich während meiner ganzen Kindheit in den Fluren herumgerannt und hatte, vom Keller bis zum Dachboden, überall gespielt.

»Guckt euch mal den Fußboden an«, sagte ich stolz. »Ich habe meinen Eltern beim Bemalen geholfen.«

Die Band schaute auf die Nachbildung des Hollywood Walk of Fame hinunter. Wohin man im Museum auch ging, fast überall trat man auf einen Stern, in dem der Name irgendeiner Berühmtheit stand. Manche waren noch am Leben, aber die meisten waren bereits tot.

»Hey, da ist Marilyn Monroe!«, staunte Emily und zeigte auf den ihr am nächsten gelegenen Stern.

»Und Jimi Hendrix!«, rief Jack und deutete auf einen anderen.

»Und Bibo!«, jubelte Hannah. »Ich liebe Bibo aus der Sesamstraße!«

»Und das ist mein Dad«, erklärte ich und zeigte auf den Mann, der im Raum rechts von uns hinter dem Tresen des Museumsladens stand. Er grinste schief und winkte. Mein Dad sieht nicht gerade wie ein Filmstar aus. Er sieht eher aus wie, na ja, der Kurator eines skurrilen Museums. Er ist klein, trägt eine runde Brille und hat ein, wie meine Mom es nennt, »jungenhaftes Gesicht«.

»Hi, MrFishman«, sagte Jack. Die anderen winkten.

»Hey, Leute«, erwiderte mein Dad. »Das ist ja eine Überraschung. Was treibt euch denn bei diesem Regen hierher?«

Er winkte uns herein. Der Museumsladen ist ein kleiner Raum, der bis obenhin mit Schneekugeln, Magneten, Postern und T-Shirts vollgestopft ist, die sich alle rund um das Thema Promis drehen. Vor dem Eingang trödelten ein paar Touristen herum und betrachteten die gerahmten und handsignierten Autogrammfotos an der Wand.

Ich betrat den Laden. Kaum hatte ich den Fuß über die Türschwelle gesetzt, da knallte mir etwas Scharfes, Spitzes an die Stirn.

»Autsch!« Ich rieb mir die getroffene Stelle. »Was war das denn?«

Ein Papierflugzeug segelte mir vor die Füße.

»HAHA! Volltreffer!« Das sommersprossige Gesicht meines Bruders tauchte hinter dem Tresen auf.

»Mikey, du sollst Flyer falten und keine Papierflieger«, mahnte mein Dad.

Grr! Mikey! Er ist mein sechs Jahre alter Bruder, auch bekannt als MC Trouble. Oder das »Sicherheitsrisiko«, wie sein Schulbusfahrer ihn nennt. Mikey war auch mal in unserer Band. Er war unser Star-Rapper, hat uns aber vor Kurzem den Laufpass gegeben, da das viele Proben ihm nicht mehr genügend Zeit fürs LEGO-Spielen ließ. Was wahrscheinlich ganz gut ist, da er, wie ihr unschwer erkennen könnt, ein ziemlicher Racker ist.

»Dad«, sagte ich und beachtete das Sicherheitsrisiko gar nicht. »Ist es okay, wenn ich meine Freunde mit ins Archiv nehme?«

Dad strahlte über das ganze Gesicht. »Na klar! Findet ihr Ephemera auch so toll wie ich?«

»Absolut«, sagte Jack.

»Ich finde Bibo toll!«, verkündete Hannah.

Wir schauten sie an, um zu sehen, ob das ihr Ernst war. Etwas, das uns mit Hannah öfter passierte.

»Ich liebe Ephemera!«, erklärte sie. »Ähm, was genau ist das noch mal?«

»Ephemera«, erläuterte mein Dad, »sind Dinge, die eigentlich nur für einen kurzzeitigen Gebrauch gedacht sind. Also zum Beispiel Pamphlete, Notizen, Eintrittskarten und so weiter und so weiter. In meinem Museum findet man aber auch andere Sachen. Von George Washingtons Gebiss bis hin zu Audrey Hepburns Haarreif ist alles vertreten.«

Emily nickte beifällig. »Okay, das ist cool.«

»Wartet, bis ihr die Sachen erst mal gesehen habt«, sagte ich.

Dad holte einen Schlüsselbund aus seiner Hemdtasche und gab ihn mir. »Denk dran, das Archiv hinterher wieder abzuschließen. Dort lagern eine Menge unersetzliche Artefakte.«

»Jaja. Weiß ich doch«, erwiderte ich, als ich die Schlüssel nahm. Oh Mann, und wie ich das wusste!

»Kommt mit, Leute. Mir nach!« Ich führte sie quer durch die Eingangshalle zu einem weiteren Raum.

Delta las das Schild über der Tür. Sie rümpfte die Nase. »Der ›Prominente-Reste-Raum‹?«

»Oh mein Gott!« Hannah quiekte, während sie bereits in eine Vitrine spähte. »Robert Pattinsons benutztes Kaugummi! Näher werde ich ihm wahrscheinlich niemals kommen. Ein Foto! Schnell! Ein Foto!«

Emily zeigte auf ein Objekt auf der anderen Seite des Raumes. »Hier ist eine Colaflasche, aus der James Dean getrunken hat. Und es ist immer noch ein bisschen Cola drin.«

»Das hier ist mein Lieblingsstück«, verkündete Jack, der auf einen gerahmten Gegenstand an der Wand starrte. »Ein Chicken Nugget, das exakt so aussieht wie der Kopf von Julius Cäsar. Jack Black wollte es gerade essen, als ihm die Ähnlichkeit auffiel.«

»Dein Daddy hat wirklich eine Menge Zeugs«, sagte Delta.

»Das ist gar nix«, entgegnete ich. »Oben sind noch viel mehr Sammlungen. Und wenn ihr erst das Lager seht, werdet ihr Augen machen.«

Wir schlängelten uns zwischen den mit Bröseln und anderen Speiseresten gefüllten Vitrinen zu einer Tür im hinteren Teil des Raumes durch. Ich zog einen Schlüssel heraus und drehte ihn im Schloss, bis ich ein Klicken hörte.

»Sesam, öffne dich!«, rief ich und schob die Tür auf.

»Wow!«, schrien meine Freunde bei dem Anblick, der sich ihnen bot.

»Also, das ist wirklich mal ein HAUFEN Epham… Ephemi… ähm, seltsamer Krempel«, meinte Hannah.

Wir quetschten uns in den vollgepfropften Lagerraum. Deckenhohe Regale voller Pappkartons zogen sich an den Wänden entlang. Hinzu kamen Schaufensterpuppen, Perücken, verstaubte Bücher, Filmplakate, eine Ritterrüstung und ein ausgestopftes Warzenschwein, das angeblich mal Angelina Jolie gehört hatte.

»Mein Dad hat einen Hamstertrieb«, gab ich zu. »In diesem Raum hebt er alles auf, was er aus Platzgründen nicht ausstellen kann. Er tauscht die Objekte aber gerne regelmäßig aus, um für Abwechslung zu sorgen. Und ob ihr’s glaubt oder nicht: Dieses Lager ist tipptopp durchorganisiert.«

»Das soll wohl ein Witz sein«, sagte Jack, der gerade die Brille von T.S. Eliot, dem Dichter, aufprobierte.

»Nein, das ist mein voller Ernst. Guck doch mal!« Ich zeigte auf die winzigen, handgeschriebenen Schildchen an jedem Regal. »Die Regale sind beschriftet: US-Präsidenten, Quizshowmaster, Kriminalschriftsteller, Reality-TV-Stars und … aha! Da haben wir’s … zwanzigstes Jahrhundert: Rock'n'Roll-Sänger.«

Ich steckte die Hand in eine Pappschachtel und zog ein kleines Glas hervor. Ich schraubte den Deckel ab und pflückte den Inhalt heraus: ein Plektrum.

»Für dich«, sagte ich und überreichte es Jack. »Ein Pick, der einmal Elvis Presley, dem King des Rock'n'Roll, gehört hat. Zufrieden?«

Jacks Gesicht begann zu leuchten. »Hör auf!«

»Fang an.«

»Elvis ist mein Lieblingssänger«, flüsterte Jack und bestaunte das Plättchen in seiner Hand, als wäre es ein Diamant.

»Ich weiß.«

Ich wusste sogar noch mehr, etwas, das ich ihm niemals würde erzählen können. Ich hatte nämlich erst vor Kurzem den echten, sehr, sehr jungen Elvis für unsere Band rekrutiert. Also war Jack, ohne es zu wissen, Elvis bereits begegnet! Damals hatte ich ihm weisgemacht, Elvis wäre mein zehn Jahre alter Cousin aus Kanada namens Little E. Mit der Wahrheit konnte ich natürlich nicht herausrücken, und wenn wir noch so gut befreundet waren, denn dann würde er denken, bei mir wären ein paar Schrauben locker. (Eine Ansicht, der ihr euch ja vielleicht gerade gerne anschließen würdet. Aber ich verspreche euch, dass schon bald alles einen Sinn ergibt.)

Jack schaute mich an. »Bist du sicher, dass das in Ordnung geht?«

Ich nickte. »Ehrlich gesagt, zählt dieses Plektrum zu den, wie Dad sie nennt, ›umstritteneren Ausstellungsstücken‹. Bisher konnte niemand nachweisen, dass es wirklich Elvis gehört hat.«

Jack schloss die Faust ganz fest um das kleine Plättchen. »Was mich angeht, hat es das. Danke, Susi.«

»Gern geschehen.« Ich drehte mich zu den anderen um. »So. Und wer möchte sich gerne den Rest des Museums anschauen?«

»Ich! Ich! Ich!«, riefen alle wie aus der Pistole geschossen.

»Echt?«, fragte ich, freudig überrascht. Ich hatte bislang noch nie jemanden durch das Museum geführt. Allerdings hatte ich Dad so oft dabei zugesehen, dass ich mir sicher war, es aus dem Effeff zu beherrschen.

»Dann kommt mit«, sagte ich und führte meine Freunde aus dem Lagerraum heraus.

Ich schloss die Tür ab und wir machten uns auf den Weg nach oben. Die erste Ausstellung, das Kuriositätenkabinett, ließ ich aus und steuerte stattdessen direkt meine Lieblingsexponate an. Als Erstes landeten wir in »Kleopatras Kabinett«, einem Raum voller Kleidung aus den verschiedensten Epochen. Dann erkundeten wir den Bereich »Perücken, die entzücken!«, der den Perücken und Toupets berühmter Persönlichkeiten gewidmet ist.

Delta deutete auf ein turmhohes Gebilde aus weißen Locken. »Guckt euch mal Marie Antoinettes Perücke an!«

»Abgefahren!«, kam es von Emily. »Ich hätte nicht gedacht, dass deine Frisur noch zu toppen wäre, Delta.«

Ich starrte auf eins meiner Lieblingsstücke: Marie Curies Kamm. Sie war die erste Wissenschaftlerin der Moderne. Ihre Arbeit führte zur Entdeckung der Radioaktivität und sie hat den Nobelpreis gewonnen – zwei Mal! Wenn ich ihr begegnen könnte, würde sie mir alles beibringen, was sie weiß, dachte ich. Dann würde ich auch fantastische Dinge entdecken.

Aber ich ermahnte mich, NEIN. Schlag dir das aus dem Kopf, Susi. Nie, NIE im Leben, kannst du Marie Curie treffen.

Die Band und ich zogen weiter zum »Künstlerkorridor«, der »Musikermansarde« und der »Zähne-Knochen-Haare-Galerie« (die exakt das ist, wonach es sich anhört. Ich sage nur: nomen est omen). Im letzten Raum prasselten haufenweise Fragen auf mich ein.

»Stammt die Haarsträhne wirklich von Lady Godiva?«, wollte Emily wissen und äugte in eine Vitrine.

»Au Backe!«, rief Jack. »Wo hat dein Vater denn Muhammad Alis Zahn her?«

Von der gegenüberliegenden Seite des Raums quiekte Hannah: »Iiiiih! Leute, habt ihr diesen Schaukasten gesehen? Die Fingernägel der Reichen und Schönen!«

»Ist das widerlich!« Emily stürzte zu Hannah hinüber. »GROSSARTIG!«

Ich konnte gar nicht glauben, wie sehr sie sich für unser Familienmuseum interessierten, und freute mich. Es ist nicht jedermanns Sache, aber meine Eltern hatten hart dafür gearbeitet und sich mit seiner Eröffnung einen lang gehegten Traum erfüllt. Mom kümmerte sich um den geschäftlichen Teil des Unternehmens, während Dad das Sammeln und Kuratieren übernahm.

Dad sagte immer zu mir: »Wenn du deinen Träumen folgst und das tust, was du liebst, dann wird sich deine Arbeit nie wie Arbeit anfühlen.«

Wir gingen zurück zum Kuriositätenkabinett, einer großflächigen Präsentation von Gegenständen, die in keinerlei logischem Zusammenhang standen. Dort konnte man Dinge wie Charlie Chaplins Bauchnabel-Flusen, Amelia Earharts Anti-Sommersprossen-Creme und eine von Bibos Federn besichtigen.

»Warum hast du uns eigentlich nicht schon längst mal mit ins Museum genommen?«, erkundigte sich Delta.

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich hab wohl gedacht, das würde euch nicht interessieren.«

»Spinnst du?«, fragte Jack. »Das ist das tollste Museum aller Zeiten! Es überrascht mich, dass nicht mehr Besucher hier sind.«

Er warf einen Blick über die Schulter auf die einzigen Touristen im Obergeschoss: ein furchterregend aussehendes Pärchen, das gerade Marilyn Mansons schwarzen Lippenstift betrachtete.

»Echt jetzt?«, fragte ich mit dem Gefühl, dass nunmehr der perfekte Zeitpunkt gekommen war, sie in meinen großen Geburtstagsplan einzuweihen. Vorher war ich mir nicht sicher gewesen, ob er ihnen gefallen würde, aber jetzt vielleicht … Ich holte tief Luft. »Ich freue mich, dass ihr das findet. Ich habe nämlich gedacht … Also, ich habe ja bald Geburtstag. Und da habe ich mir einen Plan für meine Party überlegt.«

»Was denn für einen Plan?«, wollte Hannah wissen.

Ich biss mir auf die Lippe. Wird ihnen die Idee gefallen?, fragte ich mich besorgt. Ich hoffte es. Ich hatte meinen Geburtstag seit Jahren nicht groß gefeiert, weil ich drei Tage nach Madison Geburtstag habe und sie mir jedes Mal mit irgendeinem Riesenspektakel die Schau stiehlt.

Als wir zum Beispiel neun Jahre alt wurden, haben meine Eltern tief in die Tasche gegriffen und für mein Fest ein Pony gemietet. Und wisst ihr, was Madison auf ihrer Party hatte? Einen Elefanten, zwei Kamele und einen Streichelzoo. Und zum Abschied gab es für jeden Gast keine Süßigkeitentüte, sondern einen Malteserwelpen! Also echt, wer macht denn so was?

Die Antwort lautet: Madison Fishman.

Aber in diesem Jahr war es mir schnurzpiepegal, was Madison für eine Party schmiss. Dieses Jahr hatte ich echte Freunde, die meinetwegen kommen würden und nicht, weil es eventuell etwas zum Abgreifen gäbe.

Vor lauter Aufregung über meine Idee sprudelten die Worte nur so aus mir heraus. »Ich will eine Übernachtungsparty im Museum veranstalten! Was meint ihr …«

»Moment mal, Susi.« Delta streckte die Hand aus und spähte an die Decke. »Regnet es hier rein?«

Mit einem Plitsch landete ein Wassertropfen vor meinen Füßen.

»Oh, oh«, sagte ich und guckte nach oben. »Das Dach ist undicht.«

Plitsch. Plitsch. Plitsch. Plitsch.

»Ich hole was zum Drunterstellen«, erbot sich Hannah. Sie rannte zum nächstgelegenen Regal und griff nach dem Henkel eines Tontopfes.

»NEIN, HANNAH! DEN NICHT!«, schrie ich.

Sie erstarrte. »Was ist denn?«

»Das ist Sir Isaac Newtons Nachttopf!«

»IIh!« Hannah stellte ihn schleunigst wieder ins Regal und wischte sich die Hand an ihrem T-Shirt ab.

Wir wuselten herum, um etwas anderes zu finden, mit dem wir das Wasser auffangen konnten, während sich das vereinzelte Getröpfel allmählich in einen Sturzbach verwandelte. Und dann – Wusch! – segelten große Placken Putz herunter, gefolgt von einem Wasserschwall.

»Aaah!«, quietschte das Goth-Pärchen, das auf einmal gar nicht mehr so furchterregend aussah, und rannte zur Treppe.

Meine Freunde und ich sprangen zurück. Wasser schwappte uns um die Füße.

»Dad!«, rief ich. »Wir brauchen einen Eimer!«

Fünf Sekunden später hetzte mein Dad mit einem weißen Plastikeimer und einem Mopp in der Hand die Treppe hoch. Er schob den Eimer unter das Leck.

»Das ging aber fix«, stellte ich beeindruckt fest.

Dad schaute an die Decke und runzelte die Stirn. »Ich war darauf vorbereitet. Es hat in letzter Zeit ziemlich oft hereingeregnet. Wir brauchen dringend ein neues Dach, aber ich wollte bis zum Sommer warten. Im Sommer kommen nämlich mehr Besucher und die brauchen wir, damit wir die Reparatur bezahlen können. Jetzt haben wir den dritten Juni, also …«

Aus dem Sturzbach wurde wieder ein Getröpfel. Aber ich machte mir trotzdem große Sorgen. Ich wusste, dass wir schon jetzt knapp bei Kasse waren. Meine Eltern hatten sich öfter darüber unterhalten, wenn sie glaubten, ich wäre nicht in der Nähe.

Schweigend sahen wir zu dem Riss in der Decke hoch, als ein weiteres Stück Putz in den Eimer plumpste.

Plopp.

Was, wenn das Dach keine drei Wochen mehr hielt?

»Hey!«, verkündete Hannah munter. »Ich habe eine Idee.«

Leicht beunruhigt schauten wir sie an. Hannah konnte manchmal die seltsamsten Einfälle vom Stapel lassen. Wie damals, als sich ihre Familie einen neuen Minivan angeschafft hatte und Hannah eine kleine Spritztour vorschlug. Nach England.

»Ja, Hannah?«, fragte Dad und beugte sich vor. »Was denn für eine Idee?«

»Na ja«, erwiderte sie, »vielleicht könnte die Band ein Konzert veranstalten. Sie wissen schon, ein Benefizkonzert, um Geld für eine Dachreparatur zu sammeln?«

»Okay, das ist mal ein richtig guter Einfall«, sagte Emily.

»Hannah!«, rief ich aus. »Das ist eine GROSSARTIGE Idee.«

»Los, das machen wir«, meinte Jack.

»Mädel, ich bin mit von der Partie«, erklärte Delta.

»Wunderbar!«, stimmte Dad zu. »Ihr habt jetzt schon eine ganze Weile geübt. Ich glaube, ihr könntet definitiv ein Konzert auf die Beine stellen. Mom und ich werden euch natürlich helfen.«

»Das wird allererste Sahne«, prophezeite Hannah.

Dad schnappte kurz nach Luft. »Oh, oh. Sahne!«

»Was ist?«, fragte ich.

Er sah auf die Uhr. »Wir müssen uns auf die Socken machen, Susi. Du weißt doch, heute ist Donnerstag.«

»Oh! Richtig!« Das donnerstägliche Abendessen bei Madison – eine Familientradition der Fishmans – war mir komplett entfallen. Noch vor ein paar Monaten hätte mich die Aussicht auf einen Abend mit Madison mit Grausen erfüllt, aber jetzt freute ich mich irgendwie sogar darauf.

»Ich bin mir sicher, Madison kann es kaum erwarten, dich zu sehen«, sagte Dad. »Wir sollen in einer halben Stunde bei ihnen sein. Onkel Doug will irgendeine große Neuigkeit verkünden und Tante Betty serviert ihren berühmten Coca-Cola-Kuchen. Den kann ich mir nicht entgehen lassen.«

»Tut mir leid, Leute«, erklärte ich meinen Freunden. »Wir müssen später weiterproben. Ihr wisst, dass ich donnerstagabends immer bei meiner Cousine esse.«

»Frito-Pie?«, erkundigte sich Jack schmunzelnd. Ich hatte ihm von den Kochkünsten meiner Tante berichtet, die ein unnachahmliches Talent dafür hat, Knabberzeug in Mahlzeiten zu verwandeln.

»Möglicherweise«, entgegnete ich. »Du solltest irgendwann mal mitkommen.«

»Fritos zum Abendessen? Au ja!«, antwortete Jack. Und es war sein voller Ernst. In der Vorstellung von Jacks Vater besteht ein leckeres Abendessen aus Grünkohl-Nuss-Braten mit einer Beilage aus Grünkohlgemüse.

»Ich muss auch los«, sagte Delta. »Mein Zumbakurs fängt in einer Stunde an. Danke für die Führung, Susi!«

Die anderen bedankten sich ebenfalls bei mir. Ich folgte ihnen nach unten in die Eingangshalle, wo wir uns zum Abschied abklatschten.

Auf dem Weg nach draußen blieb Delta stehen, um sich ein gerahmtes Porträt von Abe Lincoln, dem sechzehnten Präsidenten der USA, anzuschauen, das neben der Eingangstür hing. »Wisst ihr, was?«, fragte sie und rieb sich das Kinn. »Es ist mir bislang noch nie aufgefallen, aber dein Cousin Pete aus Kanada, der mal in unserer Band war, ist Abraham Lincoln wie aus dem Gesicht geschnitten.«

Mein Magen schlug einen Purzelbaum.

»Ähm ja, ich schätze, Pete sieht Abe Lincoln tatsächlich ein klitzekleines bisschen ähnlich«, sagte ich. »Wenn man nicht zu genau hinguckt.« Ich schob Delta in Richtung Tür. »Also dann! Tschüss! Bis später!«

Ich drängelte alle zum Ausgang hinaus, bevor Delta irgendwelche Fragen stellen konnte.

Womöglich brennt euch mittlerweile ja ebenfalls die eine oder andere Frage auf den Nägeln? Wie zum Beispiel, woher ich den kleinen Elvis Presley kenne? Und was es mit meinem sonderbaren Getue rund um Abe Lincolns Bild auf sich hat? Und WAS DAS GROSSE GEHEIMNIS IST?!

Okay, los geht’s. Seid ihr bereit?

Fakt ist: »Cousin Pete aus Kanada« und Abe Lincoln sind ein und dieselbe Person! Ihr müsst nämlich wissen, dass Abe Lincoln vor ein paar Monaten in meinem Zimmer gewohnt hat. Ich hatte ihn und ein paar andere tote Promis wieder zum Leben erweckt, damit sie als meine persönlichen Berater fungierten. Sie erteilten mir Ratschläge für sämtliche Lebenslagen. Von der Wahl der richtigen Kleidung bis hin zu Empfehlungen, wie ich besser mit meiner Mom auskam, war alles dabei. Und dank Abe Lincoln bestand ich meinen Geschichtstest über den Bürgerkrieg mit links.

Ich weiß, das klingt alles völlig verrückt. Und vielleicht denkt ihr ja auch, ich lüge. Aber ich sage euch hundertprozentig die Wahrheit. Passt auf, ich erkläre es euch …

Schlimmer geht’s immer

Das Geheimnis haust in meinem Wandschrank.

Und genau dorthin begab ich mich, als Dad, Mikey und ich nach Hause kamen, um Mom zum Essen abzuholen.

»Bin in einer Sekunde fertig«, rief ich. »Ich hole mir nur noch schnell einen Pullover!«

Ich rannte nach oben, um mir die weiße Kaschmirstrickjacke zu schnappen, zu der Coco Chanel mir geraten hatte, als sie meine Stilberaterin war. Ja, DIE Coco Chanel, die legendäre Modeschöpferin. Coco hat das kleine Schwarze erfunden, Sportbekleidung für Frauen und das Parfum Chanel Nº5. Zu einer Zeit, als ich sonst überhaupt keine Freunde hatte, war sie meine beste Freundin geworden.

Mein Leben hat sich echt ganz schön verändert, seit sie weg ist, dachte ich, als ich meine Schranktür öffnete.

Im Inneren des Schranks hob mein im Moment einziger Berater den Blick von der Laserkanone, an der er gerade arbeitete. Sein mürrisches Gesicht war rußverschmiert und er hatte sich den Schnurrbart angekokelt. Ein Ring aus Feuerlöscher-Schaum umgab seine Füße.

»Nikola Tesla!«, schrie ich. »Hast du schon wieder was in die Luft gesprengt? Du hast versprochen zu warten, bis ich zu Hause bin, bevor du irgendetwas anzündest!«

Er zuckte mit den Schultern. »Tja, na ja, mir ist heute Morgen ein kleines Missgeschick passiert. Hab ich aber eigenhändig wieder beheben können. Ich habe nämlich endlich gelernt, wie man die Feuerlöscher bedient, die du angeschafft hast. Bist du nicht stolz auf mich?«

Arrr! NICHT der Grund, warum ich die Feuerlöscher bereithielt. Ich schloss die Augen und zählte stumm vor mich hin. »Eins … zwei … drei …«

»Susi? Was machst du da?«, erkundigte sich Tesla. »Zählst du, wie oft ich deinen Schrank in Brand gesteckt habe?«

Ich seufzte. »NEIN! Ich weiß nicht mal, ob ich so weit überhaupt zählen kann! Ich zähle bis zehn. Das mache ich, um mich wieder abzuregen, wenn ich mich aufrege.«

Seit Tesla bei mir eingezogen war, hatte ich schon oft bis zehn gezählt. Mit einem verrückten Wissenschaftler zusammenzuwohnen, ist nicht einfach. Ich hatte ihn wieder zum Leben erweckt, damit er mir bei meinem Projekt für die Naturwissenschaftsmesse unter die Arme griff. Aber das hatte ich schon vor Wochen abgegeben und er war immer noch da. Ich war Dritte geworden, zu Teslas Entsetzen.

»Nicht die Erste? Ich bin schon wieder betrogen worden!«, schrie er und raufte sich die Haare. »Zuerst um den Nobelpreis. Und jetzt bei einem naturwissenschaftlichen Schulwettbewerb! Was muss man als GENIALER Wissenschaftler eigentlich noch alles anstellen, um hier mal irgendeine Auszeichnung zu gewinnen?«

Da hatte er nicht ganz unrecht, sogar Einstein war ihm eine Weile zur Hand gegangen. Wieso also war das Projekt »Herstellung von Speiseeis mithilfe von Flüssigstickstoff« nicht auf dem ersten Platz gelandet? Wahrscheinlich weil die Pestbeule Freddy Sherman den größten Teil meiner Gratisproben verputzt hatte.

Wie auch immer. Nikola Tesla ist nur ein Teil meines Geheimnisses. Das eigentliche Geheimnis verbarg sich hinter seinem Rücken in den Tiefen meines Wandschranks. Dort steht im hintersten Winkel etwas, das aussieht wie ein altmodischer Taucherhelm, aus dem verschiedene Schläuche und Zifferblätter herausragen. »Was ist denn das?«, fragt ihr. Bloß meine Ehrfurcht gebietende Erfindung!

Ich nenne sie … den Enttotifizierer 3000!

Damit kann ich verstorbene Prominente aus dem Totenreich zurückholen.

Ehrlich. Ist das cool? Oder ist das cool? Stellt euch vor, was passieren würde, wenn ihr all eure toten Helden wieder zum Leben erwecken könntet? Die Möglichkeiten sind endlos!

Ein bisschen zu endlos, wie ich finde. Die Welt ist einfach noch nicht bereit dafür, dass jeder jeden, der mal berühmt war, wieder ins Leben zurückrufen kann. Deswegen muss der Enttotifizierer ein Geheimnis bleiben. Ihn als Projekt für die Naturwissenschaftsmesse einzureichen, kam nicht infrage.

Ein Problem: Tote Berühmtheiten sind extrem von sich selbst überzeugt. Sie können sehr launisch sein. Sie entreißen einem die Kontrolle über das eigene Zimmer. Und obendrein kosten sie eine MENGE Zeit. Was ungünstig ist, wenn man gleichzeitig noch ein Sozialleben haben möchte. Nachdem ich gleichaltrige Freunde gefunden hatte, sagte ich mir, dass ich den Enttotifizierer nicht mehr benutzen würde. Ganz gleich, wie groß die Versuchung auch wäre. Außerdem hatte ich Coco versprochen, das Enttotifizieren ein für alle Mal aufzugeben und meine Zeit mit realen Menschen aus meiner Epoche zu verbringen.

Aber wenn ich, rein theoretisch, noch einmal jemanden enttotifizieren wollte, würde ich folgendermaßen vorgehen: Da die Maschine nur bei Menschen funktioniert, die viel Aufmerksamkeit erhalten (denn Aufmerksamkeit spendet Energie), lassen sich berühmte Persönlichkeiten am leichtesten wieder zurückholen. Der Enttotifizierer 3000 macht optisch vielleicht nicht sonderlich viel her, aber er hat Nikola Tesla, Coco Chanel, Elvis Presley, Abe Lincoln und andere historische Personen auf die Welt zurückbefördert. Wenn auch nur für kurze Zeit. Angetrieben wird er von einem kleinen Stückchen des Meteoriten, der in Big Ditch gelandet ist.

Um den Enttotifizierer 3000 in Gang zu setzen, benutze ich einen Gegenstand aus dem Falling Stars Museum für legendären Krimskrams. Ich suche mir also ein Museumsstück aus, das der Berühmtheit gehört hat, die ich zurückholen möchte. Dann platziere ich das Objekt unter dem Scanner des Enttotifizierers 3000, drücke den AN-Knopf, und voilà: Willkommen in Kansas, tote Berühmtheit!

Keine Angst. Die Promis kommen nicht als gruselige Zombies oder so was zurück. Sie sind eher wie Hologramme, im Prinzip enttotifiziere ich lediglich ihre Essenz. Ihr Alterrichtet sich danach, wie alt sie waren, als sie den Gegenstand in Gebrauch hatten. Darum war Elvis auch als kleiner Junge zurückgekehrt. Ich hatte den Cowboyhut benutzt, den er als Kind getragen hatte.

Der ET 3000 kann lediglich fünf tote Personen zugleich auf der Erde halten. Deswegen schicke ich für gewöhnlich nach ein paar Wochen einen von ihnen zurück in den Promihimmel – das ist ein magischer Ort, an dem die Prominenten sogar noch mehr verwöhnt werden als zu ihren Lebzeiten.

Nach der Naturwissenschaftsmesse sollte Tesla eigentlich in den Promihimmel zurückkehren, aber er weigerte sich. Er zauberte ein neues »Projekt« nach dem anderen aus dem Hut, das er erst noch zum Abschluss bringen musste. Ich glaube aber, in Wahrheit wollte er in Big Ditch bleiben, weil ihm das moderne Kansas ans Herz gewachsen war. Er prahlte ständig mit den neuesten technischen Errungenschaften, deren Entwicklung zumindest teilweise auf sein Konto ging: Lampen, Röntgenbilder, das Radio und die drahtlose Kommunikation.

Das Problem ist nur, Tesla ist superlaut und unordentlich. Andauernd explodierten ihm versehentlich Sachen in meinem Schrank. Es wurde immer schwieriger, seine Existenz vor meiner Familie geheim zu halten. Und ganz ehrlich? Mit seiner miesen Laune konnte Tesla einem auch so richtig auf den Keks gehen.

Ich dachte schnell nach. »Tesla«, sagte ich. »Habe ich schon erwähnt, dass das große Edison-Festival vor der Tür steht?«

Tesla legte die Stirn in Falten. »Warum musst du jetzt mit diesem HOLZKOPF ankommen?«

»Na ja, es handelt sich um ein … äh, Straßenfest mit Jahrmarkt, das Big Ditch jedes Jahr veranstaltet, um Edisons bemerkenswerte Verdienste zu würdigen.«

»WAS?!«, brüllte Tesla. »Edison ist ein Betrüger und ein Schuft! In meinem kleinen Zeh steckt mehr Fachwissen als in der Birne dieses Typen!«

»Echt Pech, dass du die Sache so siehst, denn die Teilnahme am Edison-Festival ist Pflicht.«

Es war nicht gerade die überzeugendste aller Lügen, aber er schien sie mir abzukaufen.

Tesla schüttelte die Faust. »Von allen Ungerechtigkeiten dieser Welt! Der Kerl hat mir die Schau gestohlen! Er hat sich mit fremden Lorbeeren geschmückt – mit meinen! Er hat sich meine Erfindungen unter den Nagel gerissen! Hat er die Teslaspule erfunden? Nein! Er ist ein verlogener, betrügerischer, diebischer …« Tesla hielt inne. »Moment mal.«

»Ja?«, fragte ich unschuldig.

Er funkelte mich böse an. »Es gibt gar kein Edison-Festival, oder? Probierst du schon wieder, mich reinzulegen, Susi Fishman? Du versuchst doch bloß, mich in den Promihimmel zurückzuschicken, stimmt’s?«

Ich wurde rot. Erwischt.

»Du kannst mich nicht reinlegen!«, schrie er. »Ich bin ein GENIE!«

»Susi, wir kommen zu spät zum Essen!«, rief Mom die Treppe hoch. »Und was ist das für ein Geschrei? Guckst du schon wieder YouTube-Videos?«

»Ja! Sorry, Mom!«, antwortete ich. »Ich komme!«

Dann wandte ich mich wieder an Tesla. »Du hast recht. Tut mir leid. Aber könntest du deine Arbeit an der Kanone unterbrechen, solange ich unterwegs bin? Vielleicht könntest du ja stattdessen ein wenig ›Amerika sucht den Superstar‹ gucken?«

Tesla nickte nachdenklich. »Ich mag ›Amerika sucht den Superstar‹.«

»Prima.« Ich zog meine Jacke vom Bügel. »Dann bis später!«

Ich stieß ein kurzes Stoßgebet aus, dass mein Schrank die Zeit bis zu meiner Rückkehr heil überstehen würde. Dann rannte ich zu meiner Familie hinunter und wir stiegen in unseren Kleinbus – eine glitzernde goldene Klapperkiste, mit dem Schriftzug unseres Museums auf der Seite. Ich wette, unser Auto ist sogar vom Planeten Pluto aus noch zu sehen.

Ich saß auf dem Rücksitz neben Mikey, der auf seiner Playstation Minecraft spielte. Die einzige Gelegenheit, zu der dieser Junge mal Ruhe gab.

Auf dem Vordersitz wippte Moms brauner Pferdeschwanz auf und ab, während sie von der »großen Ankündigung« plapperte, die Madisons Eltern in petto hatten.

»Meinst du, sie planen eine gemeinsame Geburtstagsfeier für die Mädchen?«, fragte sie Dad. »So wie die Feste, die wir veranstaltet haben, als die beiden noch klein waren?«

Sie blickte sich zu mir um. Ihre braunen Augen funkelten hinter ihren Brillengläsern. »Wie fändest du das, Susi? Würdest du gerne mit Madison zusammen feiern? Vielleicht sogar auf HAWAII, in Onkel Dougs und Tante Bettys neuer Ferienwohnung?«

»Was? Seit wann haben die denn eine Ferienwohnung auf Hawaii?«, fragte ich.

»Katie, jetzt mach mal halblang«, mischte Dad sich ein. »Meinst du nicht, dass diese ganze Hawaiisache etwas weit hergeholt ist?«

»Ach komm schon, Herb«, erwiderte Mom. »Betty lässt schon seit September alle möglichen Andeutungen fallen. Ständig betont sie, wie toll es wäre, im Winter nach Hawaii zu fahren.«

Mikey sah von seinem Spiel auf. »Darf ich auch mit? Kann ich schwimmen gehen? Kann ich versuchen zu surfen? Glaubt ihr, da gibt es Haie? Ich mag keine Haie. Das könnt ihr vergessen, ich will nicht mit.«

Er widmete sich wieder seinem Spiel.

»Ich glaube, Moms Fantasie geht ein wenig mit ihr durch, Mikey«, sagte Dad. »Wir FAHREN NICHT nach Hawaii.«

Schon komisch, dachte ich. Noch vor gar nicht so langer Zeit wäre ich lieber zusammen mit einem weißen Riesenhai in einen Swimmingpool gehüpft, als zusammen mit Madison Geburtstag zu feiern. Aber jetzt finde ich den Gedanken gar nicht mal SO schrecklich. Seit dem Talentwettbewerb kommen Madison und ich viel besser miteinander klar. In der Schule nimmt sie jetzt immerhin meine Existenz zur Kenntnis.