Süßes Schnitzel Winnifred - Lili Stollowsky - E-Book

Süßes Schnitzel Winnifred E-Book

Lili Stollowsky

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Beschreibung

Winnifred, die Hauptperson der Erzählung, schildert aus seiner Sicht und Erlebniswelt ein Schweineleben in der Massentierhaltung von der Geburt bis zur Schlachtung. Winnifred ist ein lustiges, freches und ziemlich cleveres kleines Ferkel, das mit seinen Geschwistern und Freunden uns Menschen zum Lachen und Nachdenken bringt.

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Gewidmet dem dicken Bruno

und seinen 58.000.000 Geschwistern,

die alleine in Deutschland

jedes Jahr gepflückt werden.

Ähnlichkeiten mit lebenden und/oder verstorbenen Hauptpersonen sind in diesem Buch beabsichtigt.

»Oh Mann, ist das verdammt eng hier.«

Seit Stunden wurde der Kleine vorwärtsgeschoben und rhythmisch zusammengequetscht. Es war dunkel.

Drei Monate, drei Wochen und drei Tage war er, von einer zarten Blase umhüllt, vor sich hin gewachsen und nichts hatte ihn eingeengt. Er strampelte mit seinen Beinchen. Gerade aber schob ihn die Kraft wieder vorwärts und die Beine wurden ihm an den Leib gedrückt. Er konnte nichts dagegen tun.

»Was ist das bloß für ein Mist«, dachte er und fragte sich, ob seine Brüder und Schwestern genauso zusammengequetscht und vorwärtsgeschoben wurden. Er wusste schon länger, dass er Geschwister hatte. Sie lebten auch in so einer Blase wie er. Die letzten Tage hatten sie sich die Zeit damit vertrieben, sich gegenseitig zu treten.

Es wurde noch dunkler. Langsam bekam er Angst.

Irgendetwas war anders als bisher. Ganz und gar und entschieden anders.

Jetzt wurde er in einen engen Tunnel geschoben. Dass so etwas passieren würde, hätte er sich niemals vorstellen können.

Er bekam kaum mehr Luft. Und Luft hatte er in seinem bisherigen Leben immer genug bekommen, aber die Astronautenschnur, wie er den silbernen Schlauch an seinem Bäuchlein bei sich nannte, wurde nun auch eingequetscht.

Die Geschwister mit ihren tretenden Füßen waren verschwunden. Er war allein.

Die Kraft wurde stärker und stärker. Er wehrte sich, aber schon war er mitten im Tunnel und eingeschnürt wie ein zu fest gebundenes Paket. Oben und unten und rechts und links, überall nur schwarzer Tunnel. Kein Entkommen.

»Das war´s dann wohl«, dachte er, und dann dachte er noch kurz an eine Sehnsucht, die ihn schon immer begleitete. Er sehnte sich mit seinem ganzen kleinen Herzen nach seiner Mami. Er kannte sie zwar noch nicht, aber er wollte sie so gerne kennen lernen. Er versuchte noch nach ihr zu rufen, aber mittlerweile waren auch seine Lungen eingequetscht.

Jetzt hatte er richtig Angst. Er wollte nicht sterben, doch die Kraft schob ihn unaufhörlich weiter und weiter und plötzlich platzte die zarte Blase, warmes süßes Wasser rann ihm über die rosafarbene Haut und lauthals quiekend begrüßte er die Welt.

»Da bist Du ja endlich, Winnifred«, sagte seine Mami. »Ich habe mich schon so nach Dir gesehnt.«

»Was war das denn für eine Höllenfahrt«, wollte Winnie sagen, aber seine Lungen waren noch nicht fertig entfaltet und so hörte man nur ein zartes Grunzen.

Er lag auf dem Boden. Die silberne Schnur war abgerissen und er konnte seine Beine wieder bewegen. Es war kalt.

Seine Geschwister waren auch wieder da. »Oink, oink, oink«, erzählten die zehn vor ihm Geborenen und waren schon dabei, sich auf ihre Füße zu stellen. »Ihr wart das, die mich getreten habt«, wollte Winnie sagen, aber seine Stimme war von dem Gequetsche noch ramponiert und deshalb beschloss er, erstmal die Klappe zu halten.

Zwei der Geschwister erzählten nichts und versuchten auch nicht, sich auf die Füße zu stellen. Sie lagen da als ob sie schliefen. Als ob sie für immer schlafen wollten. Mami stand auf und versuchte, sie mit der Nase anzustupsen, um sie aufzuwecken, aber Mami kam mit ihrer Nase nicht an sie heran.

»Ich glaube, die sind hin«, sagte ein ziemlich dicker Bursche.

»Nein, Theo, die müssen sich nur erholen«, sagte Mami, »bisher haben alle meine Kinder überlebt.« Mami hatte eine wunderbare Stimme. So weich und zärtlich wie das süße warme Wasser in der Blase.

»Nee, die sind hin«, erwiderte Theo, der schon auf seinen vier Füßchen stand. Theo war der Erstgeborene.

Mami versuchte, sich umzudrehen. Sie war mit ihrem Körper in einem engen Metallkäfig festgeklemmt. »Dieser blöde Ferkelschutzkorb, der bringt mich irgendwann noch um meinen Verstand«, murmelte sie und versuchte wieder, sich umzudrehen, um die zwei Schlafenden zu wecken. Es ging nicht. Der Käfig verhinderte es. Im Ferkelschutzkorb konnte sie nur aufstehen und sich hinlegen. Mehr nicht. Umdrehen war ihr nicht möglich.

Mami legte sich seufzend wieder hin. »Hoffentlich kommt bald das Mensch und guckt nach den beiden.«

Theo hatte sich in Bewegung gesetzt. Er suchte etwas. Er stakste im Halbdunkel am Rücken der Mutter entlang, um vorne an Mamis Nase vorbeizukommen, denn sie wollte nach der Geburt immer alle ihre Kinder genau beschnüffeln, um sie kennen zu lernen.

Auch Lisbeth, die Zweitgeborene, hatte sich in Bewegung gesetzt. Und Bruno, Peterle, Carlo, Sissy, Theresa, Pit, Prinzessa und Adele ebenfalls.

Winnifred dachte, dass er sich besser auch in Bewegung setzen sollte, sortierte seine Beine, nieste den letzten Schleim aus seinen Lungen und stand auf. Wackelig zwar, aber auf seinen vier Füßen. Er suchte auch etwas.

Der Rücken von Mami war sehr lang. Winnie rutschte ein paar Mal aus. Der Boden war irgendwie komisch. Kalt, glatt und rutschig. Es war nicht leicht, darauf zu laufen, vor allem, wenn man gerade erst laufen gelernt hatte.

Theo war schon um die Ecke von Mamis Kopf verschwunden. Er war nicht mehr zu sehen. Auch vom Rest der Geschwister sah Winnie nur noch wackelnde Ringelschwänzchen.

Er gab sich Mühe, und da war endlich Mami. »Hallo mein kleiner Schatz, mein Engel, mein Letztgeborener«, raunte sie ihm ins Ohr, »willkommen auf der Welt.«

»Hallo Mami, ich hab Dich auch lieb.« Ihre dicke Nase pustete ihm warmen Atem ins Gesicht und drückte ihm liebevoll einen Kuss auf die weiche Stirn.

Winnie blickte zurück und sah die noch schlafenden Geschwister. »Was ist ein Ferkelschutzkorb?«, dachte er.

Mami hatte sich mittlerweile auf die Seite gelegt.

»Hey Leute, kommt alle mal her. Ich hab was Cooles gefunden.«

Winnie wurde von Theos lauter Stimme aus seinen Gedanken gerissen. »Oink, oink, oink«, auch Lisbeth, Bruno, Peterle, Carlo, Sissy, Theresa, Pit und Adele schienen etwas gefunden zu haben.

»Wie cool ist das denn? Wer hat das da hingetan? Wofür ist das? «, hörte er sie aufgeregt grunzen, und dann hörte er wütendes Quietschen, Quieken und wildes Streiten, als ob ein Handgemenge entstanden sei, ein ordentlicher Geschwisterstreit.» Die gehört mir. Nein, die gehört mir, ich hab sie zuerst gefunden, such Dir selber eine. Such Du Dir doch eine, Du Blödmann.« Undsoweiterundsoweiter. Wie Geschwister eben immer so streiten.

Dann war plötzlich Ruhe. Nur Prinzessa stand noch bei ihm.

»Ich mag keinen Streit«, sagte sie und wollte an Mamis Rücken entlang zurückgehen. »Prinzessa!« Mamis Stimme konnte nicht nur zärtlich sein. »Komm sofort zurück und geh trinken!« Prinzessa machte auf dem Absatz kehrt und stand wieder bei Winnie.

»Los, geht jetzt und sucht Euren Platz. Ist ja genug für alle da.« Jetzt war Mamis Stimme wieder weich.

Prinzessa stupste Winnie mit ihrem Rüssel in den Po. »Na gut«, sagte sie, »komm, kleiner Bruder.«

Als die zwei an Mamis Bauch angekommen waren, sahen sie im Halbdunkel die Geschwister nebeneinander auf dem kalten Boden liegen. Alle Neune hatten sich an Mamis Zitzen festgesaugt.

»Hey Mann, lass mich in Ruhe trinken«, schrie Theo, als Winnifred eine der freien Zitzen packen wollte. »Das ist meine. Ich war zuerst hier.« Vor lauter Aufregung war ihm die Zitze aus dem Mäulchen gerutscht.

»Du Blödmann, Mami hat gesagt, dass genug Platz für alle ist.«

»Selber Blödmann.« Theo schnappte nach Winnie.

Prinzessa hatte sich zwischen Bruno, Pit und Sissy gequetscht und wieder setzte das wütende Quieken und Quietschen und Streiten ein, bis der ganze Haufen Ferkel, nuckelnd, schmatzend und eifrig mit den Beinen tretend, an Mamis Bauch lag.

»Oh Mann, ist das lecker«, dachte Winnie, und dann fielen ihm die noch schlafenden Geschwister ein und er dachte, dass auf jeden Fall noch Platz an den Zitzen wäre, wenn sie aufwachen würden, und dann dachte er nichts mehr und wurde furchtbar müde.

Winnie träumte. Er träumte von dem schwarzen Tunnel und seine Beine zuckten im Schlaf. Er träumte, dass es hell wurde und hörte eine fremde Stimme sagen: »Die zwei Ferkel sind hin, schaff sie weg auf den Müll.« Weit entfernt hörte er Mami leise weinen. Er träumte, dass es wieder dunkel wurde und seine Beine zuckten im Schlaf.

Plötzlich wurde er wach. Theo hatte ihn in die Schulter geboxt. »Hey Mann, Schlafmütze, steh auf. Lass uns mal gucken gehen, was es hier sonst noch Cooles gibt.«

Winnie hätte zwar gerne noch weitergeschlafen, aber seinem großen Bruder konnte er nicht widersprechen.

»O.K. Lass uns gucken gehen.«

Neugierig kletterten sie über ihre Geschwister, was das Quieken, Quietschen und Streiten von vorne anfangen ließ. »Du Blödmann. Lass mich schlafen. Selber Blödmann.«

Theo stolzierte voraus. Winnie hinterher.

Zehn Schritte vorwärts. Eine Wand aus Metallgittern.

Zehn Schritte links und rechts. Eine Wand aus Gittern.

»Hier gibt´s ja gar nichts«, sagte Theo und setzte sich auf seinen niedlichen rosafarbenen Po. »Was sollen wir denn hier spielen?«

»Lass uns doch um Mami herumgehen. Wir finden bestimmt noch was zum Spielen.«

Winnie lief in Richtung Mamis Po.

Wieder zehn Schritte. Wieder eine Wand aus Gittern.

Und die seit der Geburt schlafenden Geschwister waren auch weg.

Winnie lief an Mamis Rücken entlang, den Weg kannte er schon, zu Mamis Kopf. Theo hinterher.

»Hallo, Ihr zwei Kleinen.« Jeder bekam einen Kuss auf den Rüssel.

»Wir suchen was zum Spielen.« Theo wollte keinen Kuss.

»Mami, wo sind die beiden Geschwister, die noch nicht aufgewacht waren?«, fragte Winnie.

»Das Mensch war da und hat sie mitgenommen.«

»Was ist das, mitgenommen?«

»Mitgenommen ist weggetragen.«

»Bestimmt kommen sie bald wieder zurück.«

Winnie spürte, dass Mami traurig war.

»Kein Kind ist jemals zurückgekommen, nachdem es weggetragen wurde.«

Winnie spürte, dass Mami sehr traurig war.

»Ich habe schon mehr Kinder geboren. Alle haben sie gelebt und sind mir nach wenigen Wochen weggenommen worden.«

Winnie verstand nicht, worüber Mami sprach.

Theo stand zehn Schritte entfernt und runzelte die Stirn. »Was ist HappyPig?«, fragte er.

Winnie lief zu ihm, drehte sich um und sah noch eine Wand, eine kleinere, eine mit Buchstaben. Die anderen Gitterwände hatten keine Buchstaben. Nur die Wand, die genau vor Mamis Kopf hing.

»Die Wand ist genau vor Deinem Kopf«, sagte Winnie.

»Das hat das Mensch da hin getan.«

»Warum macht das Mensch eine Wand vor Deinen Kopf? Du kannst doch nach vorne gar nichts sehen.«

»Das ist ein Sichtschutz gegen Bissverschleiß«, antwortete Mami.

»Was ist denn nun HappyPig?« Theo ließ nicht locker.

»Was ist Bissverschleiß?«, fragte Winnie. Er war kaum drei Stunden auf der Welt und hatte schon lauter Wörter gehört, die er nicht verstand. Ferkelschutzkorb. Mitgenommen. Bissverschleiß. Das Mensch.

»HappyPig ist Reklame. Auf dem Sichtschutz ist Reklame von der Fabrik, die den Metallkäfig gebaut hat. Was Bissverschleiß ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich soll ich nicht in die Stangen meines Käfigs beißen. Ich will doch überhaupt nicht beißen. Ich will mich umdrehen. Ich kann mich nicht umdrehen und Euch beim Geborenwerden helfen. Ich bin hier im Ferkelschutzkorb eingeklemmt. Ich kann aufstehen und mich hinlegen. Mehr nicht. Und ich kann nach vorne nichts sehen.«

Winnie spürte, dass in Mami etwas zerbrochen war. Schon lange zerbrochen war. Er wollte nicht mehr wissen, was Bissverschleiß bedeutete.

»Ja, aber, was ist denn jetzt HappyPig, Mama?«

»Ach Theo, woher soll ich das denn wissen.« Mami war müde. »Geht zurück und trinkt ein bisschen Milch«, sagte sie und rückte ihren schmerzenden Rücken zurecht. »Spielzeug gibt es für Euch in der Abferkelbox nicht. Tut mir leid«, sagte sie noch.

»Was ist eine Abferkelbox?«, fragte Theo.

»Der Gitterstall, in dem wir hier sind«, erwiderte Mami, »ich bin im Ferkelschutzkorb und das rund um uns herum ist die Abferkelbox.«

»Ich gehe nicht in eine Abferkelbox. Auch nicht, wenn ich groß bin.«

Mami musste lachen. »Du gehst nie in die Abferkelbox, Theo, Du bist doch ein Junge. Nur Mamis gehen da rein.«

Winnie und Theo lagen zwischen den anderen Ferkeln. Sie hatten wieder getrunken und waren eingeschlafen.

Winnie träumte. Er träumte, dass er festgeklemmt war und nach vorne nichts sehen konnte und seine Beine zuckten im Schlaf. Er träumte, dass es hell wurde und hörte eine fremde Stimme sagen: »Mach das Ding an«, und dann träumte er, dass es wieder dunkel wurde.

Diesmal war es Prinzessa, die ihn in die Schulter boxte. »Winnie, steh auf und komm gucken. Da ist was Neues«, sagte sie und stupste ihn mit ihrem Rüssel in den Po.

Winnie hatte ausgeschlafen. »Wo, wie was Neues?«

Die Geschwister standen in einer Ecke der Abferkelbox und staunten nach oben.

Genau über ihnen hing eine Sonne. Eine rote warme helle Sonne.

»Das hat das Mensch da hingehängt.« Theo wusste wie immer über alles Bescheid.

Diese Sonne war herrlich. Die Geschwister drängelten und schubsten sich um den besten Platz. Ihre Äuglein, die bislang nur Halbdunkel kannten, glänzten in dem sanften roten Licht. Wohlig warm kuschelten sie sich aneinander.

»Habt Ihr die Wärmelampe gefunden?« Mami konnte sie zwar nicht sehen, weil sie sich nicht umdrehen konnte, aber sie spürte die Helligkeit und Wärme, die in die Leiber ihrer Ferkel zog. »So ist es gut«, sagte sie, »kuschelt Euch aneinander und schlaft. Dann könnt Ihr gut wachsen und groß und stark werden.«

»Mami?«

»Ja, Winnie?«

»Hast Du auch eine Sonne?«

»Nein, ich habe keine Sonne.«

»Warum hast Du keine Sonne?«

»Als ich klein war, hatte ich auch eine Sonne. Jetzt bin ich groß und stark und brauche keine Sonne mehr.«

»Frierst Du nicht?«

»Nein, Winnie, ich friere nicht. Ich habe viel Speck.«

Speck. Schon wieder so ein unverständliches Wort.

»Was ist Speck, Mami?«

»Speck ist das, was ich habe und das, was das Mensch von mir haben will«, erklärte Mami, aber Winnie war schon eingeschlafen.

»Hau ab, Du Blödmann, das ist meine. Nein, meine. Ich war zuerst hier. Nein, ich war zuerst, such Dir doch selber eine.«

Winnie erwachte von dem mittlerweile üblichen Geschrei und Gequieke um den besten Platz an den Zitzen.

Die Geschwister waren fort. Er lag allein unter der Lampe.

Und weil kleine Ferkel nichts mehr fürchten als das Alleinesein, rannte er so schnell er konnte und Rennen auf diesem komischen glatten Boden überhaupt möglich war, auch zu Mamis Bauch.

Die Geschwister waren schon wieder am Nuckeln.

»Hey Mann, lass mich in Ruhe trinken«, schrie Theo, als Winnifred eine der freien Zitzen packen wollte.

»Mami hat gesagt, dass genug Platz für alle ist.«

»Mami hinten, Mami vorne, Mami hat gesagt. Was bist Du nur für ein Mamikind!« Theo schnappte nach Winnie.

»Mami hat aber gesagt …«

»Hört endlich auf zu streiten, Kinder. Es ist genug für alle da. Vierzehn Zitzen für elf Ferkel. Da werdet Ihr wohl satt werden.«

Winnie zählte. Tatsächlich vierzehn Zitzen. Sieben hier und sieben da. Schön in zwei Reihen angeordnet. Mami hatte Recht.

»Außerdem seid Ihr jetzt alt genug, um zu lernen, dass jeder von Euch eine eigene Zitze hat. Sucht Euch also eine aus.«

»Ich nehme die hier.« Theo schnappte sich die Zitze direkt vorne, dicht an Mamis Herzen. »Die gehört ab sofort mir und da geht keiner mehr dran, verstanden!«

»Du hast die Beste, Du Blödmann.«

»Selber Blödmann.«

»Ich nehme die. Nein, ich will die. Immer muss ich die Schlechte nehmen. Ich will aber die.« Wieder gab es Streit und Gequietsche.

Winnie, der Letztgeborene, durfte erst als letzter aussuchen. Weil aber nur vier Zitzen zum Aussuchen übrig waren, nahm er einfach irgendeine. Mami hat gesagt, dass genug für alle da ist, dachte er, und dann fielen ihm die zwei Geschwister ein, die das Mensch mitgenommen hatte und die vielleicht bald zurückkommen würden und er war froh, dass auf jeden Fall noch genügend Plätze zum Trinken an Mamis Bauch frei waren.

Beim genüsslichen Nuckeln überlegte er, warum Theo eigentlich lesen konnte und er nicht. Er ließ seine Zitze los.

»Wieso kannst Du lesen, Theo?«, fragte er. »Wann hast Du das gelernt?«

»Wieso kannst Du rechnen?«, fragte Theo zurück.

Winnie träumte. Er träumte, dass Mami ihren Sichtschutz zerbiss, den Metallkäfig umwarf und davonrannte. Er träumte, dass sie auf einer Wiese stand, ohne zu wissen, was eine Wiese ist. Sie hatte nämlich noch nie eine Wiese gesehen. Hinter Mami her rannte das Mensch und wollte ihren Speck. Ich will Deinen Speck, Deinen Speck, schrie das Mensch in Winnies Traum und Winnie bekam Angst. Er wachte auf.

Alles war still. Alle schliefen. Auch Mami in ihrem eisernen Ferkelschutzkorb.

Winnie lag im Halbdunkel und dachte an das Mensch. Gab es das überhaupt? Er hatte noch keines gesehen. Was mag das sein, das Mensch? In seinem Traum hatte es ausgesehen, als ob es nur auf zwei statt auf vier Beinen laufen würde. Es sah nicht besonders groß und stark aus. Mami war bestimmt doppelt so schwer. Vielleicht wollte es deshalb Mamis Speck. Damit es genauso groß und stark wie Mami werden konnte. Aber warum ließ sie sich dann von das Mensch in einem Käfig festklemmen?

»Mami?«

»Ja, mein Kleiner? Bist Du aufgewacht?« Mami spürte bis in den Schlaf, wenn eines ihrer Kinder wach wurde. Sie rückte im Liegen ihren schmerzenden Rücken zurecht. »Hast Du schön getrunken und gut geschlafen?«

»Ja, ja. Ich trinke andauernd. Ich habe jetzt eine eigene Zitze.«

»Das ist schön. Welche hast Du Dir denn ausgesucht?« Ihr Rücken schmerzte, egal wie sie sich zurechtrückte.

»Ach, irgendeine. Theo hat sich die Beste ausgesucht.«

»Theo ist der Erstgeborene. Er ist der Dickste von Euch.«

»Darf der Dickste immer das Beste haben? Und warum kann Theo eigentlich lesen?«

»Theo kann einfach lesen. Genauso wie Du einfach zählen kannst. Ihr habt das mit auf die Welt gebracht. Auch Lisbeth, Bruno, Sissy, Peterle und Carlo können lesen. Prinzessa kann rechnen wie Du und Theresa, Pit und Adele können andere Sachen. Theresa kann Fußball spielen, Adele kann Trüffel finden und Pit ist klüger als ein Hund.«

»Was ist ein Hund, Mami?«

»Ein Hund läuft wie wir Schweine auf vier Beinen. Statt zu grunzen, bellt er. Er lebt ganz nah bei das Mensch und hat keinen Speck.«

»Und was ist Trüffel?«

»Ein Trüffel ist ein knolliger unterirdisch wachsender Pilz, der sehr lecker schmeckt. Auch das Mensch isst ihn gerne.«

»Darf ich auch einmal einen Trüffel essen?«

»Ach, Winnifred, Trüffel wachsen im Wald und auf der Wiese. Du und ich und all Deine Geschwister, wir werden nie den Wald oder eine Wiese sehen.« Mami war schon wieder traurig.

»In meinem Traum warst Du aber auf einer Wiese.«

»Das ist schön, Winnie. Das war bestimmt ein schöner Traum.« Mami war sehr traurig. »Manchmal träume ich auch davon, auf einer Wiese zu sein.«

»Was ist eine Wiese, Mami?«

»Ich weiß es nicht genau. Ich weiß nur, dass eine Wiese grün ist und Blumen darauf wachsen. Manchmal träume ich davon.«

»Ich habe geträumt, dass ich Fußball gespielt habe. Das war cool«, sagte Theresa, die gerade aufgewacht war.

»Ich habe nichts geträumt«, sagte Theo, der auch aufgewacht war.

Alle Geschwister hatten ausgeschlafen und waren aufgewacht.

»Ich muss mal Pipi«, sagte Prinzessa.

»Ich auch«, sagten Lisbeth, Bruno, Peterle, Sissy, Carlo, Pit, Adele und Theresa.

»Ich muss mal Kaka«, sagte Theo, »wo ist denn hier das Klo?«