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Suturp ist eine längere Erzählung von Heinrich Mann. Auszug: Ein Mann, der noch jung ist, geht durch eine lange, lange Buchenallee. Hinter ihm liegt die Stadt, ein Rad seines Wagens ist gebrochen, und er eilt. Er kann am Ziel sein, bevor der Wagen ausgebessert ist. Er wird ungeduldig, er hat in Suturp ein Geschäft, aber die Bäume nehmen kein Ende. Er hatte nicht mehr gewußt, daß es so viele sind. Ihre alten Stämme krümmen sich zueinander, das helle junge Laub lassen sie tief hängen, er sieht nicht hindurch, und immer noch mehr kommen.
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Seitenzahl: 39
Ein Mann, der noch jung ist, geht durch eine lange, lange Buchenallee. Hinter ihm liegt die Stadt, ein Rad seines Wagens ist gebrochen, und er eilt. Er kann am Ziel sein, bevor der Wagen ausgebessert ist. Er wird ungeduldig, er hat in Suturp ein Geschäft, aber die Bäume nehmen kein Ende. Er hatte nicht mehr gewußt, daß es so viele sind. Ihre alten Stämme krümmen sich zueinander, das helle junge Laub lassen sie tief hängen, er sieht nicht hindurch, und immer noch mehr kommen.
Jetzt zeigt rechts sich der Wald, er könnte abbiegen, aus Knabenzeiten kennt er den kürzeren Weg. Er eilt hinein. Nach wenigen Schritten wird er langsamer, der Ginster blüht. Woran erinnert der gelbe Duft? Er war ein Schüler mit schwellender Seele, daraus wurde dann doch ein Rechtsanwalt. Später, »im Süden«, wie sie hier oben sagen, fand er denselben Ginster in einem Pinienwald. Wieder Erinnerungen, er setzt sich. Die Sonne fällt durch Laub auf diese würzige Erde. Im Norden, nahe der See, ein solcher Frühsommer, er will es nicht glauben. Er lebt nun schon die Jahre seit seiner Rückkehr und Niederlassung einzig Geschäften. Ihm liegt an dem Ansehn, daher der Eifer. Hier aber ist er versucht, zu fragen, ob das Ansehn nicht älter macht? Sogar schon Stadtverordneter … und keine Geliebte mehr … in Vorsorge für die gute Heirat, auf die er hinzielt.
Nein! Nicht älter werden. Er ist erschrocken, er hat die nahe Grenze der Jugend erblickt. Er springt auf, atmet, sieht den Wald blühen – und vergißt. Eine Verzauberung befällt ihn. Ihm schwinden aus den Augen das zu erwerbende Vermögen und alle bürgerlichen Ehren. Die Seele schwillt ihm, wie einst dem Schüler. Er hält auf einmal wieder die Welt für offen und alles für erlaubt. Vor ihm her schwebt eine luftige Schönheit: das Unvorhergesehene. So verläßt er den Wald.
Zuletzt ist das Nadelholz verkrüppelt, er geht durch Sand. Unter seinen Füßen ist noch Waldboden und schon Meeressand, ihn empfängt Jodgeruch des Tangs auf feuchtem Lufthauch. Die See, da erscheint sie wie eine Gestalt. Da ist sie, hell, leise, bläulich, er denkt an unlängst zerschmolzenes Eis. Über die Bucht ist Himmel gespannt, wäßrig blau, ein Kranz Vergißmeinnicht, am blassesten hoch oben, und Rosenwölkchen ziehn. Hinter Suturp glüht und zerfließt der Abend.
Er steht, indes es hell bleibt bei sinkender Sonne. Verschleierte Helligkeit bleibt zurück auf grauem Strand. Der Strand von Suturp ist eng und so kahl. Im Sand liegt Gestein, hartes Gras weht still, zerrissene braune Netze sind aufgehängt über die ganze Breite. Jetzt werden auch sie verklärt vom Abendschein, der Sand entleiht ihm sanft gemalte Spuren wie von Schritten höherer Wesen … Wirklich, dort fährt eins von ihnen an Land, eins jener Wesen, deren Füße rosige Spuren lassen. Sie steigt aus dem Boot, leicht zieht sie es auf den Strand, sie wird scheiden … Nein, das Boot ist schwer, er läuft hin, er hilft ihr.
Sie dankt und geht schnell vor ihm her ins Dorf. Er spricht zuerst noch etwas, sie antwortet im Gehen. Dann entsteht zwischen ihnen Abstand, die weißgekleidete Gestalt verliert ihren Umriß an den Abendschein, der sie umgibt. Er sieht sie dahineilen, sich auflösen, er fürchtet ernstlich ihr Verschwinden, er holt sie ein.
Zugleich betraten sie das Wirtshaus. Zwei Herren begrüßten das junge Mädchen. Des Rechtsanwalts bemächtigte sich der Wirt. Er war auch Bürgermeister, er wollte schon von dem Geschäft der Gemeinde anfangen, dann fiel ihm selbst ein, der Herr werde essen wollen. Aber mit den Schauspielern? – Der Fremde antwortete, daß er nicht gern störe. Das junge Mädchen wandte sich her, sie bat ihn, zu kommen. Er nannte seinen Namen: Belling. Sie hieß Franziska, mehr verstand er nicht.
Er erfuhr zunächst, daß die drei Kollegen hier den Sommer verbrachten. Sie hatten im Winter am Stadttheater mitgewirkt, auch für die nächste Spielzeit waren sie verpflichtet. Die beiden männlichen Künstler betonten die Sonderbarkeiten dieses Ortes, wo weißer Sand den Holzboden bedeckte, Öllampen brannten und an der Hauptwand gleich unter dem Balken der Decke ein fahnenschwingendes Bildnis des Generals Bonaparte hing. Aber sie bevorzugten Einsamkeit und Wildnis, daher ihre Wahl. Hier war kein schöner Badestrand, dafür fauchte durch die Lücken der schiefen kleinen Häuser des Nachts der Sturm. »Hat er noch nie getan«, sagte das Mädchen. »Aber hier ist es billig.«
Um dies zu sagen, dreht© sie den Hals her, dann sogleich wieder fort, und wie vorher sah sie unbeteiligt hinaus. Belling versuchte: »Fräulein, ich durfte Sie mehrmals auf der Bühne bewundern« – was nicht stimmte, er hatte sie nie gesehn, aber sie nannte sofort die Rollen, er brauchte nur zu nicken. Der Schauspieler Krauter äußerte zum Schauspieler Rebbin: »Es wird Zeit, sie hatte schon eine halbe Stunde nicht vom Theater geredet.« Dann ergriffen auch sie beide den Gegenstand und verließen ihn nicht mehr.