Sylt oder Selters - Claudia Thesenfitz - E-Book
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Sylt oder Selters E-Book

Claudia Thesenfitz

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Beschreibung

"Ein Buch zum Schmunzeln, Abtauchen und Wohlfühlen!" Nena Kein Spaß bei der Arbeit, keinen Kerl im Bett, keine Kohle auf dem Konto - so kann es nicht weitergehen für Nina Mertens. Die eigensinnige und temperamentvolle Hamburgerin fasst einen Plan, der es in sich hat: Sie wird sich einen attraktiven Millionär angeln. Und zwar auf Sylt, wo die Millionärsdichte am höchsten ist. Ein Ferienhaus ist unbezahlbar. Also campen in Kampen! Kaum angekommen visiert Nina potentielle Kandidaten an und stellt fest, dass nicht alles glänzt, was Gold ist. Gut, dass ihr Elli, ihre 83-jährige Zeltplatznachbarin, mit Lebenserfahrung und altersuntypischer Frechheit zur Seite steht. Waghalsig stürzt sich Nina in ein Chaos aus Whiskymeile, SUV-Fahrern und Rolexuhren. Aber ist im echten Monopoly wirklich das Glück zu finden? "Claudia Thesenfitz' Sehnsuchtsroman geht ans Herz und macht gute Laune." Jasmin Tabatabai "Claudia Thesenfitz ist eine Entdeckung! Für mich das vielversprechendste Debüt seit langem." Hubertus Meyer-Burckhardt "Dieser unglaubliche Roman ist nicht gut - er ist sensationell! Ich habe viel gelacht, hatte Tränen in den Augen und zum Schluss war mir ganz warm ums Herz." Regina Först, People Först

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Das Buch

Nina Mertens, 37, hat die Nase voll: Um sie herum schwelgt die Welt in Reichtum, während sich bei ihr die Rechnungen stapeln und ihr Schufa-Score stetig sinkt. Deshalb beschließt sie, sich einen Millionär zu angeln. Aber wo? Da, wo die Millionärsdichte am höchsten ist, in Kampen auf Sylt! Sie verbringt ihren gesamten Jahresurlaub in Deutschlands teuerstem Luxusdorf Kampen in einem 4-qm-Stoff-Iglu. So der Plan. Als ein Orkan ihr Zelt zerfetzt, bietet ihr der Platzwart einen leerstehenden Wohnwagen als Ersatzunterkunft an, und Nina freundet sich mit Elli, ihrer 83-jährigen Nachbarin, an.

Beim Schwimmen lernt Nina Jan, einen Surfer mit Traumbody, kennen, in den sie sich unaufhaltsam verliebt. Doch jetzt bloß nicht das Ziel aus den Augen verlieren, schließlich bahnt sich parallel gerade ihr erster Millionärs-Flirt an: Adelsspross Alexander von Harzberg macht ihr den Hof, und Nina fühlt sich schon so gut wie verheiratet.

Die Autorin

Claudia Thesenfitz, 48, hat lange festangestellt bei Tempo, der Szene Hamburg und petra gearbeitet, bevor sie sich 2001 als freie Autorin und Journalistin selbständig machte. Sie schreibt für alle großen Frauenzeitschriften und Magazine (emotion, Brigitte, petra, maxi, Für Sie, Cosmopolitan, Gala u.v. m.) und hat unter anderem die Autobiographien von und mit Nena (2005, Lübbe), Dieter Wedel (2008, Lübbe) und Uwe Ochsenknecht (2013, Lübbe) geschrieben. Sylt oder Selters ist ihr erster Roman.

Claudia Thesenfitz

Sylt oder Selters

Ein Glücksroman

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Wir wählen unsere Bücher sorgfältig aus, lektorieren sie gründlich mit Autoren und Übersetzern und produzieren sie in bester Qualität.

ISBN 978-3-8437-1115-9

Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung:– Nena, Lukas Hilbert und Carsten Papefür den Abdruck des Song-Textes»Dann fiel mir auf« von Nena– Universal Music Publishing und Grand HotelVan Cleef für den Abdruck des Song-Textes»Einmal um die Welt« von Cro– Meike Winnemuth für den Abdruckaus ihrer Stern-Kolumne über Sylt

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, MünchenTitelabbildung: Leuchtturm:Getty Images/© Heinz Wohner; Frau: Getty Images/© Oleh Slobodeniuk

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Für Annemarie – und Gisela, Bärbel und Frauke

»Besser ein toller Teppich als ein nicht so toller Teppich.«

(Käthe Lachmann)

1

Nina hatte die Nase voll: Um sie herum schwelgte die Welt in Reichtum und Jetset, während sich bei ihr die Rechnungen stapelten, Inkassobescheide addierten und ihr Schufa-Score stetig sank. Ihr Job als Graphikerin in der Redaktion einer großen Frauenzeitschrift war nicht schlecht, aber in letzter Zeit hatte ihre Arbeitsmotivation bedenklich nachgelassen. Essen gehen, ein paar Klamotten und Kurzreisen – die kleinen Extras eben, die ihr Leben schöner machten – trieben ihr Konto ständig ans Dispolimit. Ihr bescheidenes Monatsgehalt würde ihr nie ein Leben in Saus und Braus ermöglichen – sosehr sie sich auch abrackerte. Und diese Erkenntnis war deprimierend.

Bockig stieß Nina die Tür zum Redaktionsgebäude auf und strafte den Opi am Empfangstresen, der nun wirklich nichts dafür konnte, mit einem grimmigen Blick. »Morgen, Frau Mertens«, rief er Nina hinterher, während sich die Fahrstuhltüren vor ihr schlossen.

Als sie sich im fünften Stock wieder öffneten, erkannte Nina schon von weitem die schrullige Gestalt von Redaktionssekretärin Zemke am Kopierer. Als sie Nina erblickte, schaute sie demonstrativ auf ihre Armbanduhr. »Frau Mertens! Ich hab mir schon Sorgen gemacht!«

»Wie schön! Ich mir Rührei!«

Mit offenem Mund ließ Nina Frau Zemke am Kopierer zurück, während sie im Stechschritt den Gang hinuntereilte. Zehn Minuten zu spät. Schon wieder. Die alte Zemke konnte sich ihre Schadenfreude sonst wohin stecken, anstatt vorwurfsvoll wie eine moralinsaure Gefängniswärterin auf ihre Billiguhr zu tippen.

Während sie an ihren Schreibtisch hetzte, pushte Nina sich gedanklich in Rage, und ihr Schuldgefühl übers Zuspätkommen wandelte sich in absurde Wut. Wut auf irgendwas. Wut auf alles. Erhitzt und abgehetzt warf sie sich auf ihren Stuhl, riss den Hörer vom schrill klingelnden Telefon und schrie so empört in die Muschel, als wäre ihr gerade jemand ins Auto gefahren:

»Ja?? Was gibt es denn???«

»Solltest du dich nicht mit vollem Namen und Arbeitgeber melden, Nina?«, fragte am anderen Ende der Leitung mit skalpellscharfer Stimme Anne Soltau, die Art-Direktorin.

»Oh, Anne, guten Morgen«, stammelte Nina, »ich dachte, es wäre meine Mutter!«

»Privatgespräche sollten bevorzugt zu Hause geführt werden«, entgegnete Anne trocken. »Ich brauche die Layouts zur Testino-Ausstellung – und zwar sofort!«

Klack. Aufgelegt. Hektisch klickte Nina sich durch die Dateien auf ihrem Bildschirm, während sie sich aus dem Mantel wand. Ausstellung, Ausstellung – scheiße! Die Layouts hatte sie ja noch gar nicht gemacht! Super: Ein Manic Monday, wie er im Buche stand.

Anne war ihre unmittelbare Vorgesetzte, ihre Chefin. Im Grunde ein netter Typ, aber in letzter Zeit extrem angespannt. Es gab Gerüchte, ihr Stuhl würde wackeln. Nina war das ziemlich egal. Sie hatte im Laufe ihres mittlerweile über 15-jährigen Arbeitslebens schon so manchen Chefredakteur und so manche Art-Direktorin kommen und gehen sehen. Das Personalkarussell hatte sich oft und schnell gedreht – nur sie selbst war merkwürdigerweise immer an ihrem Platz geblieben.

Zwei hektische Stunden später, nach einem eilig zusammengezimmerten und schnell versendeten Layout, schlürfte Nina ihren Kaffee. So konnte es nicht weitergehen. Jeden Tag Annes Launen ertragen, gelangweilt auf die öde Hauswand nebenan gucken und nur heimlich Privatgespräche führen dürfen? Als einziger Spaß eine virtuelle Shoppingtour bei Zalando, MyTheresa oder Stylebop, bei der sie Artikel in den Warenkorb legte, die sie sich nicht leisten konnte? Sie war jetzt 41, der Job war okay, sogar mehr als das, aber es war klar, dass sie damit nie richtig reich werden würde. Keine Aussicht auf den Jackpot – niemals. »Alltag ist nur durch Wunder erträglich«, hatte Max Frisch in einem seiner begnadeten Bücher geschrieben, aber Wunder waren in Ninas Lebensentwurf ausgeschlossen. Sie würde alt und grau werden, irgendwann eine spärliche Rente beziehen und jeden Einkauf bei Aldi sorgfältig durchkalkulieren. Das war eindeutig nicht das Leben, von dem sie als Teenie geträumt hatte …

Frustriert blätterte sie durch das aktuelle Heft: Ein schon etwas verblühtes Ex-Model hatte sich doch tatsächlich diesen supersmarten (und superreichen) Bundesligakicker geschnappt. Respekt! Die Frau war weit über 30, hatte eindeutig Übergewicht und außerdem noch zwei Kinder – und dennoch hatte sie sich den Fußballmillionär geangelt. Nina dachte nach: Hatte die Kronprinzessin von Schweden nicht ihren Fitnesstrainer geheiratet – und der lief jetzt in Maß- statt Jogginganzügen durch den Palast? Ein Leben in Saus und Braus, mit dem einzigen Problem, ob man lieber im Strandhaus in den Hamptons, der Villa in der Toskana oder dem New Yorker City Loft verweilen wollte. Überall First Class, Senator-Lounge, bevorzugte Behandlung und Weine mit hoher Parker-Punktzahl. Wie war das noch in diesem Song von Cro:

(»Baby, bitte mach dir nie mehr Sorgen um Geld,gib mir nur deine Hand, ich kauf dir morgen die Welt.

Sie will Kreditkartenund meine MietwagenSie will Designerschuhe und davonganz schön viel haben»MANOLO BLAHNIK, PRADA, GUCCI, und LACOSTE«Kein Problem, dann kauf ich haltfür deine Schuhe gleich ein ganzes Schloss

Sie will in Geld baden,und sie will Pelz tragenSie will schnell fahrenEinmal um die Welt jagenSie kann sich kaufen, was sie wollte, doch nie hattedenn ich hab jetzt die American Express, und zwar die schwarze«)

Das Leben genießen ohne finanzielle Sorgen – das wär’s!

WÄRE??

Eine Idee glomm in Ninas Kopf auf – erst schummrig flackernd und dann immer gleißender: Was dieses Ex-Model und der Fitnesstrainer konnten, konnte sie schon lange, oder? Die Mechanismen von Liebe waren schließlich überall gleich – Kontostand-unabhängig: Man lernte sich kennen, verliebte sich – oder auch nicht. Man musste sich einfach nur auf die richtigen Erntefelder begeben, um die Beute-Auswahl zu korrigieren. Wer einen Steinpilz auf einem Champignonfeld suchte, mühte sich vermutlich vergebens, denn Steinpilze gab es nur im Wald. Wenn sie also einen Millionär kennenlernen wollte, musste sie nicht durch ihre bevorzugten Nachtclubs ziehen, die überwiegend von arbeitslosen Webdesignern frequentiert wurden, sondern sich dort hinbegeben, wo die Millionärsdichte am höchsten war. Und wo war das? Nina checkte schnell im Netz: Zum Beispiel in Kampen auf Sylt!

Sylt – das wären gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Erstens die Aussicht auf den privaten Jackpot, und zweitens wollte Nina immer schon mal auf diese Insel, die ihr ihre Hippiemutter als Kind eisern verwehrt hatte – genauso wie Monopoly. »Da fahren nur Bonzen hin, skrupellose Kapitalisten, die sich gegenseitig im Reichsein übertrumpfen wollen!« Gut so! Genau deswegen wollte sie da jetzt hin.

Natürlich war sie nicht so beknackt, schulmädchennaiv an Wunder zu glauben. Aber wenn sie einfach so weitermachte wie bisher, würde gar nichts passieren – das stand fest. Damit Wunder geschehen konnten, musste man etwas Wunderliches tun: Und sie würde jetzt eben versuchen, sich einen Millionär zu angeln – genau wie die Fußballer-Freundin. Wie beschworen einen die Alten doch immer so weise: »Man bereut nur das, was man nicht getan hat.« Einen Versuch war es immerhin wert. Geniale Ideen hörten sich ja oft erst mal bekloppt an.

Beflügelt von ihrem Plan, füllte Nina einen Urlaubsantrag aus: Sie hatte noch vier Wochen Resturlaub – und die würde sie jetzt nehmen. Am Stück! »Hast du kurz fünf Minuten Zeit, Anne?«, fragte sie ihre Vorgesetzte am Telefon. »Wenn, dann jetzt sofort«, lautete deren knapp gebellte Antwort. Eilig schnappte Nina sich ihren Zettel und rannte über den Flur in Annes Büro.

»Ah, Nina, das ging ja schnell.« Zerstreut und mit etwas derangiertem Pferdeschwanz, schaute Anne von ihrem Bildschirm hoch. Sie sah ziemlich gestresst aus. »Was gibt’s denn?«

»Ich würde gerne Urlaub nehmen.«

»Kein Problem, reich ihn bei Oliver ein.«

Oliver war der Chef vom Dienst, der Herrscher über alle administrativen und organisatorischen Fragen innerhalb der Redaktion.

»Mach ich, aber ich wollte vorher mit dir den Zeitrahmen klären. Ich würde gerne nächste Woche losfahren – für 28 Tage.«

»28 Tage?? Nächste Woche??« Entgeistert nahm Anne ihre schwarze Ray-Ban-Nerdbrille ab, die jetzt auf einmal alle trugen, und schaute Nina an.

»Warum das denn?«

»Ich glaub, ich brauch einfach mal ’ne längere Pause«, sagte Nina.

»Stimmt was nicht?«, fragte Anne.

»Doch, doch«, antwortete Nina.

»Hast du Burn-out?«, hakte Anne nach.

Höchstens Bore-out, dachte Nina. »Quatsch! Ich will einfach mal raus«, beruhigte sie ihre Chefin.

Anne dachte nach. Versuchte, Ninas Psyche durch fixierende Blicke zu röntgen.

»Okayyyyy …??«, sagte Anne so lang gezogen und gedehnt, als hätte eine Verrückte ihr gerade erklärt, dass sie sich in ihrer Freizeit gerne Schals aus Regenwürmern strickte. »So kurzfristig geht das aber nur, wenn du eine Vertretung organisierst, dein Laptop mitnimmst und im Notfall die Layouts gegencheckst.«

»Kein Problem!«, versprach Nina und ließ die verwirrte Anne allein.

2

»Wir hätten noch ein schönes Häuschen – für 290 Euro pro Nacht!« Die Stimme der Mitarbeiterin der Kampener Appartementvermittlung klang so euphorisch, als hätte sie Nina gerade einen Lottogewinn verkündet.

»Äh«, sagte Nina, während sie auf ihren Taschenrechner eintippte: 290 mal die 28 Tage ergab: eine unglaubliche Zahl! 8120 Euro erschienen auf dem Display.

Nina bedankte sich bei der netten Frau und legte auf. Achttausend Euro – hätte sie diese absurde Summe mal eben so übrig, bräuchte sie keinen Millionär mehr. Dann wäre sie vermutlich selbst einer.

Auch beim anschließenden Internetcheck stellte sich schnell heraus: Ein Ferienhaus auf Deutschlands teuerstem Pflaster konnte sie sich definitiv nicht leisten. Doch zu ihrem Erstaunen entdeckte sie, dass Kampen einen Campingplatz hatte! »Zelten unter Millionären – wie absurd«, dachte Nina. Und beschloss, in Kampen zu campen.

Da sie zuletzt als Kind in einem Zelt geschlafen hatte, musste sie erst mal die nötige Ausrüstung organisieren: Bei eBay stieß sie auf das Iglu-Zelt »Mallorca 3«. Kostenpunkt: 39,95 Euro. »Mallorca 3 ist ein kompaktes 3-Personen-Zelt mit praktischem Vorzelt bzw. Stauraum. Dank der klassischen Tunnelform erreicht das Mallorca 3 dabei die optimale Balance zwischen Windfestigkeit und Komfort.

Der Eingang zur Schlafkabine ist mit einem Moskitonetz versehen und schützt Sie somit zuverlässig vor ungebetenen Gästen, ebenso wie die praktische Dauerventilation einen Hitzestau im Innenraum des Zeltes verhindert. Die großzügige Schlafkabine gewährt zudem ausreichend Platz für bis zu 3 Personen.

Insgesamt bietet das Mallorca 3 somit ein ausgezeichnetes Preis-Leistungs-Verhältnis.«

Nina drückte den »Sofort Kaufen«-Button und wurde dadurch zur stolzen Eigentümerin eines Zweitwohnsitzes aus grün-grauenhaftem Nylon.

Einen Schlafsack wollte sie nicht, sie hasste es, wenn ihre Füße nachts eingesperrt waren und sie sie nicht aus der Decke herausstecken konnte. Sie würde deshalb einfach ihre Bettdecke und ihr Kopfkissen mitnehmen. Als Matratze kaufte sie noch drei Isomatten.

3

Abends stand sie mit einem Glas Weißwein vor ihrem Ganzkörperspiegel und hatte plötzlich große Zweifel: War sie mit ihren 41 Jahren überhaupt hübsch genug? Konnte diese etwas verknitterte Beute noch jemanden locken? Nina hatte ein schönes Gesicht, grüne Augen, eine schmale Nase, volle Lippen – und wilde schwarze Haare, die sie zu einem lässigen Strubbelschnitt hatte schneiden lassen. Ihr eigentlicher Joker aber war ihre Haut: Die war glatt und samtig und wurde schon bei geringer UV-Strahlung dunkelbraun. Ihre Schwachstelle war eher ihre etwas zu kräftige Figur. Nina zog sich aus und machte eine Bestandsaufnahme nackter Tatsachen: Der Bauch, der Hintern – bestimmte Körperzonen waren meilenweit von Modelmaßen entfernt. Aber sollte man nicht seine Schwachstellen lieben? Selbstbewusstsein wirkte wie ein Aphrodisiakum auf Männer. Und nur wer sich selbst liebte, hat die Chance, von jemand anderem geliebt zu werden. Wenn Sie also als Siegerin aus Sylt zurückkehren wollte, würde sie sich mit ihren vermeintlichen Unzulänglichkeiten arrangieren müssen.

Nina zog sich wieder an, setzte sich in die Küche und schenkte sich Wein nach. Dann schnappte sie sich einen Block und schrieb:

»Mein lieber Arsch,du bist prall und rund wie der Vollmond – oder die Erde. Oder ein frisch gebackenes Brötchen. Du siehst super aus in Jeans und du hast dich noch nie hängen lassen. Okay, mit der Zeit hast du ein paar Dellen gekriegt, aber die sieht man ja nicht, wenn du angezogen bist. Dafür hast du keine Falten!Du bist zu dick, finden manche. Ich finde das nicht. Wären wir beide in Afrika, würden wir auf Knien verehrt werden. Weil wir so begehrt wären. Mindestens zehn Kühe würde ich für dich kriegen – und einen Mann noch dazu, natürlich …Ich habe das Gefühl, wenn ich erst mal anfange, an dir rumzumäkeln, ist unsere Beziehung nur noch Arbeit bzw. Sport. Und irgendwann bist du fort … Das könnte ich nicht ertragen! Ich will uns glücklich sehen! Deshalb bleib, wie du bist! Ich liebe dich.«

Nina lachte laut, zerknüllte das Papier und warf es in den Müll. Positive Affirmation – wer sollte diesen Mist denn glauben? Es würde sich schon irgendein Millionär in sie verlieben – trotz zu großem Hintern. Der von der Fußballer-Freundin war schließlich auch nicht klein – und außerdem hatte sie Cellulitis. Schien den Profi-Kicker ja nicht zu stören …

4

Vier Tage später fuhr sie in ihrem 22 Jahre alten Mercedes in Stellingen auf die A 7 Richtung Niebüll. Es war Mitte Juli, die Sonne knallte aufs Autodach, und der Sommer tanzte über die vorbeifliegenden Felder und Wälder. Der Himmel war blau und Ninas Laune blendend. Aus ihrem altmodischen Autoradio dudelten die Oldies ihrer Kindheit, und Nina sang laut mit. »Girls, girls, girls …«

Der Sylt Shuttle war genau so spannend, wie Nina erwartet hatte: Man musste sich mit seinem Auto in eine von acht Spuren einreihen und an einem Automaten ein Bahnticket ziehen. Hatte man bezahlt, öffnete sich die Schranke, und man durfte weiterfahren und wurde auf eine von vier langen Warteschlangen geleitet, in denen die Autos auf die Verladung auf den Zug warteten. Nina fand es aufregend. Sie liebte solche Sachen: Mit dem Auto auf die Fähre, den Nachtzug oder sogar das Parkhaus – überall, wo man sich einreihen und ein Ticket ziehen musste, fühlte Nina sich wohl. Würde sie vielleicht mal mit ihrer Therapeutin drüber sprechen müssen. Vielleicht war das ein Zeichen für irgendwas?

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