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Dieser grandiose Klassiker von 1916 nimmt sich mit Einsicht der Symbolhandlungen abendländischer Hochgrad-Weihen an, wie sich in den Gradsystemen der Freimaurer und initiatisch wirkender Rosenkreuzer zur Anwendung kommen. Der Freimaurer August Horneffer offenbart dem Leser Gedanken von Getragenheit und Würde. Umfassend gedeutet werden Tempelarbeiten wie Lichteinbringung, Namensgebung, Einkleidung, Salbung sowie die Heiligen Eide und das Brudermahl. Die Erkenntnisse, die ein Mysterienbund in traditioneller Logenarbeit weitergibt, erstrecken sich auf alle Sehenswerten und reichen weit über das persönliche Dasein hinaus. Der Verfasser schlägt einen Bogen von den Kulten der Antike bis in die Neuzeit und stellt unter Beweis, wie alle traditionellen Geheimbünde dasselbe Thema tragen - die geistige Wiedergeburt und die daraus erfolgende Zugehörigkeit zur kosmischen Union. Hinter einem Ritualbeamten, der die Weihe vollzieht, steht ein unsichtbar wirkender Meister. Über dem Bundestempel erhebt sich der Große, bis in das Angemessene sich ausdehnende All-Tempel, und das ist der Ort der wahren Menschwerdung.
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Seitenzahl: 390
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Der Verlag dankt dem Rechtsinhaber Prof. Dr. Klaus Horneffer für die Erlaubnis, diesen Klassiker der Einweihungstradition neu gestalten und auflegen zu dürfen. Mögen auch künftige Generationen von Sinnsuchenden die Fackel einer höheren Erkenntnis darin leuchten sehen!
VORWORT
EINLEITUNG
ERSTES KAPITEL - DAS GEHEIMNIS
Mysterien
Berufsgeheimnisse
Esoterische Lehren
Gnosis
Das Wunder
Der Ritus als Mittler
Tod und Wiedergeburt
Verwandlung
Die Große Sehnsucht
Seelenwanderung
Kosmologie
Häretik
Öffentlichkeit
ZWEITES KAPITEL - DIE REINHEIT
Vorbereitung
Taufe
Salbung
Krankenheilung
Sühne
Namengebung und Namennennung
Abzeichen
Verhüllung
Das Anziehen des neuen Menschen
Entkleidung
Barfüßigkeit
Enthaltung
Fesselung
Gericht
DRITTES KAPITEL - DAS LICHT
Offenbarung
Lichtentzündung
Die Höhle
Die Nachtzeit
Das Lichttragen
Die Lichtfeste
Der Liebeskampf von Licht und Finsternis
Lichtkult
Der Osten
Spiegel und Auge
Astrologie und Geometrie
Die Sphären und die Himmelstreppe
Die Freiheit im Licht
Die heiligen Farben
Die Anrede
VIERTES KAPITEL - DIE VERBRÜDERUNG
Bruder und Vater
Der Unionsgedanke
Unionshandlung
Der Kuss
Der Schlag
Handauflegung und Handreichung
Verpflichtung
Das Mahl
Grenzen der Verbrüderung
Familienkult und Männerbund
FÜNFTES KAPITEL - DIE ARBEIT
Die Tätigkeit der Mysterienbunde
Kultvereine
Medizingesellschaften
Ritterschaften
Kriegerbünde
Landsmannschaften
Weisheitsbünde
Spielvereine
Arbeit und Egoismus
Die Arbeit als Mysterium
Kultische Arbeit
Magie
Rosenkreuzer
Werkkult
Das Meisterstück
SCHLUSSBEMERKUNG
Nachweise
NACHWORT
Der Autor dieses Werkes, Dr. August Horneffer, verstarb am 8. Oktober 1955 im 81. Lebensjahr. Wenige Monate zuvor hatte mein Vater, Dr. Lutz Horneffer, den Bruder seines Vaters noch auf dem Krankenbett besucht. Ich begleitete ihn nach Berlin. Mein Vater konnte seinem Onkel noch berichten, dass er mich, unmittelbar nach erfolgreicher Abiturientenprüfung, in den Bund der Freimaurer führen würde, in dritter Generation. In diesen Jahren vor und vor allem nach meiner Aufnahme im Jahr 1956 und bis heute wurde das Buch Symbolik der Mysterienbünde eine meiner wichtigsten Erkenntnisquellen. Ich fand es in der freimaurerischen Bibliothek meines Vaters. August Horneffer war im Jahr 1911 in München zum Freimaurer aufgenommen worden. Obwohl Gegenstand der Symbolik der Mysterienbünde keineswegs nur die Freimaurerei betrifft, sondern wesentlich weiter gefasst ist, spielt dieser Menschheitsbund hier doch eine große Rolle. Denn es ist ja das Merkwürdige, dass dieser Bund fast die einzige Möglichkeit bietet, das Wesen des Symbols in einer lebendigen Gemeinschaft zu erleben. So schlägt sich die freimaurerische Erfahrung August Horneffers in dem Werk deutlich nieder, aber es benutzt, ohne auf die Quellen im Einzelnen hinzuweisen, das weite Feld der Literatur über das Mysterienwesen, worauf der Verfasser in der Schlussbemerkung eingeht. August Horneffer bringt sein Thema auf den springenden Punkt, wenn er lapidar feststellt: Wesen und Inhalt der Mysterienbünde ist ein Geheimnis. Dieses Geheimnis, das haben Freimaurer aller Zeiten erfahren, ist nicht durch Worte mitteilbar, sondern es ist Gnosis, also Erkenntnis durch Erleben.
Ich freue mich, dass das Werk Symbolik der Mysterienbünde nun in vierter Auflage neu gestaltet vorliegen wird. Ich bin sicher, es wird noch vielen Lesern Wege der Selbstfindung und Sinngebung weisen.
Klaus Horneffer
Ritterhude, im Herbst 2016
Erkennen und Leben gehören zusammen. Eine vom Volksleben und von den Zeitströmungen unabhängige Wissenschaft kann es und darf es nicht geben. Zwar ruhen des echten Forschers Augen unbestechlich und unbeirrt auf den Gegenständen seiner Forschung, aber die Auswahl, die er unter den Gegenständen trifft, und die Art, wie er seine Einzelbeobachtungen zu allgemeineren Erkenntnissen zusammenfügt, wird, ihm selber vielleicht unbewusst, durch die Bedürfnisse seiner Zeit und durch seine eigenen Herzenswünsche bestimmt.
Am deutlichsten kommt das naturgemäß bei denjenigen Wissensgebieten zum Ausdruck, die das leibliche oder geistige Wohl des Menschen unmittelbar berühren. Diese Wissensgebiete verändern unter dem Einfluss der wechselnden Kulturrichtungen von Zeit zu Zeit in auffallender Weise ihre Gestalt und ihren Inhalt. Die Forscher bevorzugen plötzlich Gegenstände, die vorher vernachlässigt wurden, sie entdecken neue Zusammenhänge und stellen Fragen, die vor wenigen Jahrzehnten noch der Beantwortung kaum bedürftig schienen.
So hat das Gebiet der Kultur- oder Geistesgeschichte in der jüngsten Zeit starke Wandlungen erfahren. Die Studienfächer, die man bis dahin gern getrennt hielt: Philologie, Geschichte, Theologie, Psychologie haben ihre Grenzen verschoben und sind zu Hilfswissenschaften einer allgemeinen Menschenwissenschaft (Anthropologie, Humanitätskunde) und deren Teilen geworden, also der Moralwissenschaft, der Gesellschaftswissenschaft, der Religionswissenschaft. Probleme der menschlichen Denk-, Tat- und Glaubensentwicklung, die die dahingegangene Forschergeneration kaum beachtete, sind in den Mittelpunkt der Forschung getreten. Und wer kein Fremdling in seiner Zeit ist, wird gewahr, dass diese Wandlung eng mit den Entwicklungskämpfen und praktischen Forderungen der lebendigen Gegenwart zusammenhängt. Die Zeit hat den Forschern die Augen für die neu entdeckten Probleme geöffnet.
Zwei solche Grundfragen, die lange Zeit wenig Beachtung fanden, weil ihre Lösung leicht oder doch nicht eilig schien, und die man daher im Rahmen der einzelnen Forschungszweige nebenher behandeln zu können glaubte, bilden den Gegenstand des vorliegenden Buches. Seit kurzer Zeit erst wird die hohe Bedeutung dieser beiden Grundfragen erkannt, immer mehr ziehen sie die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich und werden zu einer der wichtigsten Angelegenheiten der gesamten Wissenschaft vom Menschen. Die eine Frage ist die der Symbolbildung, die andere die der Gemeinschaftsbildung.
Symbole begegnen dem Forscher auf allen Kulturgebieten, in der Religion und der Kunst so gut wie im Rechts- und Staatsleben. Unser Denken und Sprechen, Handeln und Gestalten geht mit Hilfe von Symbolen vor sich. Die kostbarsten und unzerstörbarsten Güter, die das Menschengeschlecht besitzt, sind Symbole oder symbolisch ausgedrückte Werte. Diese Tatsache entging den Gelehrten der letzten Generationen oder, wenn sie sie zugeben mussten, erkannten sie nicht ihre Bedeutung. Sie standen im Banne des Glaubens, dass wohl die unreifen und kulturarmen Völker symbolisch dächten und lebten, dass aber die Kulturmenschheit der symbolischen Auffassung mehr und mehr entwachsen sei. Die Forscher entlehnten diese falsche Meinung den kritischen Zeitströmungen, die sich gegen den Symbolbesitz der überlieferten Religion und dessen kirchliche Dogmatisierung richteten. Auf diese Zeit der Kritik ist heute eine Zeit des Aufbaus gefolgt. Die Menschen fühlen in wachsendem Maße den Mangel an Symbolen als eine geistige Verarmung, sie suchen alte Symbole zu beleben oder neue zu finden. Dadurch wird die Forschung angeregt, die älteren Symbolschätze des Menschengeschlechts eifriger als bisher zu studieren, ihren Ursprung, ihre Geschichte, ihren Zusammenhang durch die Zeiten und Völker aufzudecken und den Sinn jener merkwürdigen Gebilde des menschlichen Geistes, die das Glück von Millionen ausgemacht haben und auch weiterhin ausmachen werden, zu erklären. Infolgedessen hat in den letzten Jahrzehnten eine rege Symbolforschung eingesetzt. Zahlreiche Forscher sammeln, vergleichen, deuten die symbolischen, mythischen, kultischen Bestandteile der verschiedenen Religionen, und diese Forschungen gruppieren sich aus mehreren Gründen um einen Mittelpunkt: um die an symbolischem Schaffen reichste und gewaltigste Zeit, die wir kennen, das ausgehende Altertum und beginnende Christentum.
Kein echtes Symbol auf Erden, das nicht Gemeinschaftssymbol wäre.
So erfolgreich diese Symbolforschungen sind, so leiden sie doch bisher fast durchweg an dem Fehler, dass sie die Bedeutung der zweiten der genannten Grundfragen übersehen und die Symbolbildung nicht in Zusammenhang mit der Gemeinschaftsbildung bringen. Von jeher schufen die Menschen geistige Verbände, hielten mit äußerster Zähigkeit an ihnen fest und brachten ihnen opferfreudige Verehrung dar. Auf diesen Verbänden ruht alle menschliche Kultur. Und diese Verbände sind ausnahmslos symbolischer Art! Keine echte Gemeinschaft unter Menschen, die sich nicht der Symbole bediente, und umgekehrt. Kein echtes Symbol auf Erden, das nicht Gemeinschaftssymbol wäre. Daher kann die Symbolforschung nie zum Ziel gelangen, wenn sie nicht dem Gemeinschaftsproblem ihre ernste Aufmerksamkeit zuwendet, ebenso wie das Verlangen unserer Zeit nach lebendigen und als wahr empfundenen Symbolen nie befriedigt werden kann, wenn sich die Menschen nicht zu engen Geistesbünden und Brüderschaften zusammenschließen. Nur mühsam bricht sich diese Erkenntnis heute Bahn. Die meisten Führer und Förderer einer sittlich-religiösen Vertiefung in unserem Volk denken immer noch, es käme nur auf die Erweckung der persönlichen Religion und auf individuelle Erziehung zum wahren Leben an, sie sehen nicht, dass dieser Weg zur geistigen Zerbrökkelung und Verwüstung führen muss, wenn man nicht gleichzeitig zur Gemeinschaftsbildung aufruft und, falls man die überlieferten Geistesbünde für ungeeignet hält, zu neuen Bundes- oder Ordensgründungen schreitet. Wenn nichts Anderes, so sollte der große Krieg jeden über die Gewalt des Gemeinschaftssinnes und über die Notwendigkeit der Verbrüderung der Geister belehrt haben. Zugleich lehrt uns der Krieg auch, dass der Gemeinschaftswille unwillkürlich Symbole hervortreibt: Das Verlangen nach Verbrüderung und das Wissen, einem Bruderkreise anzugehören, sucht sich in Bildern und Zeichen auszuprägen und zu entladen.
Möchten sich die Forscher diese Erfahrung zu Eigen machen! Viele Irrwege würde sich die gesamte Kulturwissenschaft, in Sonderheit auch die Religionswissenschaft ersparen, viel tiefer würde sie in das Wesen der großen geistigen Schöpfungen unseres Geschlechts (z. B. des Christentums) eindringen, wenn sie die Ursachen und Erscheinungsformen der geistigen Gemeinschaftsbildung mit den Untersuchungen über Symbol-, Mythen- und Lehrbildung in Zusammenhang brächte.
Indem das vorliegende Buch die innere Einheit von Symbol und Gemeinschaft in den Vordergrund rückt, gibt es notwendigerweise noch einer anderen Überzeugung Ausdruck, dass nämlich alle Symbolbünde des Menschen Mysteriencharakter tragen. Das Mysterienproblem ist das dritte, das neben und mit dem symbolischen und dem Gemeinschaftsproblem die nachfolgenden Ausführungen beherrscht. Alle Symbole haben etwas Geheimnisvolles und alle Symbolbünde haben sich im Besitz von Geheimnissen gefühlt, die sie nach außen durch Verhüllung und Verhehlung zu schützen suchten. Der heutigen, nach Öffentlichkeit und Allgemeinheit drängenden Zeit, ist diese Tatsache unbekannt oder man durchschaut wenigstens ihre Bedeutung nicht. Ebenso fehlt die Einsicht in die tiefsten Ursachen sowie in den Umfang des Mysterienwesens in der Geistesgeschichte der Menschheit fast allen zeitgenössischen Forschern. Dieser Erkenntnis die Bahn zu brechen ist ein Hauptzweck meines Buches.
Aus dem Gesagten ergibt sich die Darstellungsweise, deren wir uns bedienen müssen, von selber. Es kann nicht unsere Absicht sein, alle Symbole einzeln aufzuzählen, ihre Entwicklung historisch zu verfolgen und die Geschichte der zahlreichen Mysterienbünde alter und neuer Zeit zu schreiben. Vielmehr müssen wir psychologisch vorgehen und die symbolischen Kerngedanken, die symbolischen Grundwahrheiten herausheben, die in den wichtigsten Symbolbünden Geltung gehabt haben und noch heute haben. Es wird sich zeigen, dass die Menschheit immer wieder dieselben symbolischen Wege gegangen ist und ihr geistiges Verbrüderungsbestreben immer wieder auf ähnliche Bilder und Gleichnisse gegründet hat. Das Tatsachenmaterial, das wir vorlegen, hat nur den Zweck, diese symbolischen Grundwahrheiten deutlich in das Licht zu stellen. Vollständigkeit streben wir nirgends an, rechnen vielmehr darauf, dass den Kennern unser Beispielmaterial als Anregung dienen wird, die Darstellung im Geiste zu ergänzen und den gegebenen Grundriss auszufüllen. Es wird den Kennern nicht entgehen, dass es dem Verfasser ein Leichtes wäre, für die erwähnten Symbole und Gemeinschaftsbräuche sehr viele weitere Belege beizubringen. Aber dieses würde die Übersicht erschweren und den Zweck des Buches verdunkeln, nämlich durch Zusammenschau des geistigen Symbolwesens und des mysterienartigen Gemeinschaftsstrebens der Forschung neue Ausblicke zu eröffnen und den edelsten Bedürfnissen der Gegenwart entgegenzukommen.
Die Symbole und Bundesformen sind in allen geschichtlichen Epochen und bei allen Völkern einander ähnlich, sodass eingehende Vergleiche das Verständnis ungemein fördern.
Die Blütezeit der Symbolbünde ist, wie schon gesagt, das ausgehende Altertum, als eine zweite Blütezeit dürfen wir das 17. und 18. Jahrhundert bezeichnen. Diese beiden Epochen kommen für uns daher hauptsächlich in Betracht. Jedoch lässt es sich nicht vermeiden, weiter hinaufzusteigen und das frühere Altertum zu berücksichtigen, ebenso wie wir gelegentlich die reiche Symbol- und Bundestätigkeit der primitiven Völker und die im europäischen Volksglauben und -brauch aufgespeicherten Früchte des symbolischen Schaffens unserer Vorfahren mit heranziehen müssen. Die Frage, ob die Symbole meist durch Entlehnung von einem Bund zum andern gekommen oder immer wieder selbstständig gefunden worden sind, ist für uns von geringem Belang. Sie geht den Historiker mehr an als den Psychologen, denn es leuchtet ein, dass Entlehntes nur dann Kraft und Leben hat, wenn es den Bedürfnissen der Nachkommen so entspricht, dass sie es hätten selber finden können und müssen. Die Symbolbünde sind meist des Glaubens, dass sie von jeher bestanden und ihr Geheimnis durch Tradition aus den urältesten Zeiten, schließlich von Gott selber empfangen hätten. Besonders im Freimaurerbund hat der Gedanke einer lückenlosen Überlieferung der Bundesgeheimnisse vom Ursprung der Menschheit durch alle Zeiten bis zur Gegenwart Ausdruck gefunden. Dieser Gedanke ist auf jeden Fall innerlich, das heißt geistig und symbolisch wahr. Ob er auch äußere, das heißt historische Wahrheit besitzt, ist eine andere Frage, die hier nicht erörtert werden kann. Uns genügt die folgende Feststellung: Die Symbole und Bundesformen sind in allen geschichtlichen Epochen und bei allen Völkern einander ähnlich, sodass eingehende Vergleiche das Verständnis ungemein fördern. Bei den Symbolen des orientalisch-europäischen Kulturkreises geht die Ähnlichkeit so weit, dass allerdings eine Übertragung und Vererbung in größerem Umfange angenommen werden muss. Die Linie geht von den staatlichen und privaten Kultverbänden der Babylonier, Ägypter, Inder, Perser, Vorderasiaten, Griechen, Römer, zu den synkretistischen Gemeinden und Vereinen der hellenistischen und frühchristlichen Zeit, unter denen für uns besonders die Mysterienbünde von Wichtigkeit sind. Im engeren Sinne sind dies der Isis-, Mithras-, Attiskult, ferner die christlichen und halbchristlichen Gemeinden, endlich die Philosophen- und Theosophenbünde, weiter zu den christlichen Neben- und Engbünden des Mittelalters, Häretikergemeinden, Ritter- und Mönchsorden, Kunst- und Werkbruderschaften, und endlich zu den Symbolschöpfungen der neueren Zeit. Zu nennen wären hier Humanistenbünde, Rosenkreuzer, Freimaurer und was sich an sie angelehnt hat. Bei der Übermittlung alten Symbolgutes an die moderne Welt haben außerdem mitgewirkt: die Kabbala, die Magie, die Alchemie und die Astrologie sowie andere in Gemeinschaften verkörperte Bestrebungen, die wir im 5. Kapitel näher kennen lernen werden. Gern bekenne ich, dass ich die Hauptanregung zu dem vorliegenden Buch dem Freimaurerbund verdanke. Der Freimaurerbund ist einer der echten Mysterienbünde, die in der Gegenwart noch lebendig sind. In ihm kann man durch die Erfahrung und das unmittelbare Erlebnis lernen, was sich sonst nur aus Büchern mühsam gewinnen lässt. Durch die Freimaurerei hat sich mir gleichsam die Innenseite des symbolischen Bundeswesens der Menschheit erschlossen, und von da aus haben sich mir auch neue Zugänge zum menschlichen und geschichtlichen Verständnis der Religion, in Sonderheit des Christentums eröffnet. Daher bilden die nachfolgenden Untersuchungen eine notwendige Ergänzung zu meinem Werk Der Priester (2 Bände, Jena 1912), für welches ich die freimaurerischen Erfahrungen noch nicht genug hatte verwerten können.
Indessen wäre es ein Irrtum, wenn man annehmen wollte, es handle sich in dem vorliegenden Buch ausschließlich oder auch nur vorwiegend um Freimaurerei. Die Freimaurerei ist ein Glied der großen Familie der Mysterienbünde. Die besonderen Eigenschaften und persönlichen Charakterzüge dieses einen Gliedes zu schildern ist nicht unsere Absicht, nur insofern werden dieselben hier Berücksichtigung finden, als sie das Gesamtbild zu beleben vermögen und uns den Einblick in das Wesen der Mysterienfamilie und die Formen der symbolischen Bundesbildung im Allgemeinen erleichtern.
Alle Symbole religiös-ethischen und künstlerischen Charakters haben im Grunde den gleichen Inhalt. Sie zeigen an, dass eine Einheit errungen oder erstrebt worden ist. Sie sind Denkmale der Überwindung einer innerhalb des Menschen oder zwischen Mensch und Mensch bestehenden Zweiheit oder Zwietracht. Und sie haben die Kraft, in die Einzelüberwindung zugleich die Gesamtüberwindung bildlich einzuschließen: Das Symbol verkündet, dass mit der Einheit im Kleinen auch die Einheit im Großen und Größten erzielt worden ist. So ist jedes Symbol ein Zeichen des geschlossenen Bundes, des Friedens, des Feiertags, es ist eine Verheißung und Bürgschaft des Sieges, um den alles Leben so heiß und rastlos ringt.
In jedem Symbol liegt das große Urgeheimnis des Lebens entschleiert da, und doch zugleich verschleiert, weil bildlich gefasst.
Das klingt geheimnisvoll und ist auch ein Geheimnis. In jedem Symbol liegt das große Urgeheimnis des Lebens entschleiert da, und doch zugleich verschleiert, weil bildlich gefasst. Jedes spricht von ihm, aber jedes in anderer Weise. Die Symbole nähern sich dem Geheimnis der Einheit auf verschiedenen Wegen und zeigen sie von verschiedenen Seiten. Daher ihre Mannigfaltigkeit: jedes Ding kann Symbol werden. Jedoch das Ziel und der Inhalt sind letzthin immer gleich.
Es herrscht heute eine weitverbreitete Abneigung gegen alles Verborgene, Abgeschlossene und Geheimnisvolle. Aber nur wer diese Abneigung überwindet, kann in den Kern der Symbolbildung und der Gemeinschaftsbildung eindringen. Daher richten wir unser Augenmerk zunächst auf das Mysteriöse in aller Symbolik und suchen das Streben nach Geheimhaltung und Abschließung, das allen geistigen Verbindungen eignet, zu erklären und zu rechtfertigen.
Zweierlei ist hier zu unterscheiden: Erstens das Geheimnis selber und zweitens die Mittel, die angewendet werden, um das Geheimnis teils zu verbergen, teils auszusprechen und verständlich zu übermitteln. Beides wird oft miteinander verwechselt. Auf dieser Verwechslung beruht z. B. die Gleichsetzung von religiösen Symbolen mit dogmatischen Lehren. Auf der Verwechslung von Sache und Mittel beruht die übertriebene Geheimtuerei in manchen Mysterienbünden.
Wir beginnen mit der Besprechung der Mittel, also des Äußerlichen des Mysterienwesens, und gehen erst nachher auf das Wesen des Geheimnisses selber ein.
Wenn man von dem Esoterismus antiker Philosophen, von esoterischen Lehren älterer Priesterschaften, von esoterischen Kenntnissen und Übungen der Künstler und Praktiker spricht, so wird in der Regel nicht beachtet, dass die Esoterik zwei verschiedene Dinge bezeichnet, nämlich erstens die Berufsgeheimnisse gewisser menschlicher Tätigkeitsgruppen, zweitens das große Mysteriengeheimnis, das wir suchen. Die Berufsgeheimnisse sind sehr mannigfach und gehen uns hier nur insofern an, als sie bundesbildend und symbolbildend gewirkt haben. Geheim gehaltene Werkzeuge und Verfahren haben Anlass zur Gründung fester Verbände mit symbolischen Zeichen und Handlungen gegeben. Die ältesten und symbolisch folgenreichsten sind die Werkzeuge und Verfahren des religiösen Berufes. Die praktischen Berufe und ihre Geheimnisse sind jünger, die Zünfte haben sich nach dem Vorbild der ältesten menschlichen Berufsvereinigung, der priesterlichen, gebildet. Über die Kriegerbünde und ihre Berufssymbolik sprechen wir später.
Auf der Verwechslung von Sache und Mittel beruht die übertriebene Geheimtuerei in manchen Mysterienbünden.
Die Geheimnisse des religiösen Berufes bestehen vornehmlich in Krafthandlungen, Kraftgegenständen und Kraftworten. Bei den meisten Völkern, die wir kennen, haben einst die Priester, oder wer ihre Stelle einnahm, mit Eifersucht diese Geräte und Verfahren ihres Berufes vor den Laien oder den Fremden geheim gehalten und in ihnen ihre wertvollsten Besitztümer verehrt. Handlungen, Gegenstände, Worte, die eine besondere Kraft auszuströmen schienen, schufen also eine enge Vereinigung zwischen gewissen Menschen und sicherten ihnen einen Vorrang vor den übrigen. Um ein paar Beispiele zu nennen, so war der heilige Gottesname, dem man geheime Kräfte zuschrieb (Tetragrammaton), bei den Juden einst den Eingeweihten vorbehalten und wurde von den Rabbinen nur an ihre Lieblingsschüler mitgeteilt. So hatten die Priester in Indien und anderwärts ihre besonderen Gebete, Gesänge und heilige Überlieferungen, die streng geheim gehalten und nur an den priesterlichen Nachwuchs weitervererbt wurden. Deshalb sind in vielen Religionen auch gewisse Räume, heilige Gemächer, Abteilungen des Gotteshauses für die Laien unbetretbar. So haben die Priester oder religiösen Brüderschaften ihre eigenen Abzeichen, Kleider usw., denen eine besondere Macht innewohnt und die von den Unberufenen nicht getragen werden dürfen. Bildet der religiöse Beruf die herrschende Klasse, so bestraft er die Übertreter oder verflucht sie wenigstens, er hat dann nicht nötig, das Verbotene zu verbergen. Seine Geheimnisse sind dann bekannt, aber nur der Berechtigte und Zugehörige darf sie ausüben. Im anderen Fall findet die Ausübung im Geheimen statt, die Kleider werden nur bei den zeugenlosen Zusammenkünften getragen oder die Abzeichen etwa unter dem gewöhnlichen Kleid verborgen. Und die heiligen Worte werden nur leise geflüstert. Man sprach zum Beispiel Zaubersprüche immer nur mit gedämpfter Stimme. Heilige und allerheiligste Dinge vertragen den lauten Ton nicht. Der Grund ist natürlich der, dass Unberufene es nicht hören sollen.
Dabei ist zu beachten, dass zu den Unberufenen nicht bloß etwaige lauschende Menschen gehören, sondern auch böse Geister und feindliche Götter, vor denen man noch weit mehr auf der Hut sein musste. Der Mensch fühlte sich früher niemals allein, je mehr er sich von der Menge absonderte, umso beängstigender drangen Naturgeister, Totenseelen und andere Gebilde auf ihn ein. Sie neideten ihm sein Wissen und wollten ihn in ihre Gewalt bringen. Hatte er sich mit anderen Auserwählten zur Pflege eines einzigen Geistes verbunden, so wurde dieser Bund ständig umlauert von feindlichen Dämonen. Auf ihre Abwehr und Unschädlichmachung zielten viele Riten und Zeichen, an sie und ihre lästige Nähe dachte man beständig, vor ihnen musste man die segensvollen Bundesfeiern verborgen halten. Daher findet sich in den meisten Mysterienbünden die Vorschrift, leise zu sprechen. Daher auch finden Zauberbeschwörungen — die auch eine Art von Bundesfeiern sind — stets an abgelegenen Orten statt, wo man vor Lauschern und unerwünschtem Geistervolk sicher ist. Nur dann kann, wie uns die Zauberbücher versichern, die Beschwörung gelingen, das heißt die Verbindung mit dem zu beschwörenden Geist hergestellt und seine Willigkeit errungen werden. Nur wenige Vertraute dürfen mit zugegen sein, jeder Fremde und Ungeweihte bricht den Zauber und stört den günstigen Verlauf. Wir wissen, ein wie großer Wert auch bei heutigen Ritualen noch auf die Deckung gelegt wird. Ungeeignete Personen werden ferngehalten, alles geht möglichst leise vonstatten.
Jeder Mysterienkult fürchtet, dass verkappte Schädlinge sich einschleichen.
Man kann hier noch Folgendes hinzufügen. Geheime Verbindungen pflegen sich nicht an die bekannten, durch den öffentlichen Priesterkult verehrten Götter und Geister zu wenden, sondern an neue und besondere Mächte. Daher sind sie ihrer nicht so ganz sicher, man will sie erst gewinnen, will sie aus bösen Gewalten erst in gute und helfende umwandeln. Man kennt sie noch nicht. So haben die Zauberer immer die Furcht gehabt, ob die erscheinenden Geister nun auch die gerufenen und gemeinten sind, oder ob sich falsche in ihre Gestalt verkleidet haben, und auch vor den richtig zitierten mussten sie sich in Acht nehmen. Jeder Mysterienkult fürchtet, dass verkappte Schädlinge sich einschleichen. Also trifft man Vorsichtsmaßregeln gegen die etwaigen gefährlichen Begleiterscheinungen des Verkehrs mit den unbekannten, nicht von der amtlichen Religionsbehörde abgestempelten und empfohlenen Geistesmächten. Jeder echte Bund ist ein Wagnis, ein Schritt in das Ungewisse. Er fordert daher trotz allen Vertrauens auch ein gewisses Misstrauen, das sich außer in der Wahl sicherer Orte und der Vermeidung von Lärm auch in der Anwendung von Schutz- und Reinigungsvorkehrungen äußert, die wir im zweiten Kapitel kennen lernen werden.
Die Geheimhaltung religiös-magischer Mittel ist uralt. Wir finden allenthalben geschlossene Kulte, die sich aus der Vorzeit vererbt haben, so in Altgriechenland manche Thiasoi und Familienkulte, aus denen später die Mysterienvereine, zum Beispiel die Eleusinien hervorgegangen sein sollen. Sie verfügten über heilige Worte, Zeichen und Handlungen, die den Außenstehenden nicht verraten werden durften und die ein besonders inniges Verhältnis mit bestimmten Bundesgottheiten schufen. In der Kenntnis und Ausübung dieses Kultes bestand der Vorzug der Mitglieder. Durch den Kult waren sie Berufene, waren Freunde geheimer Mächte, Besitzer höherer Kräfte und Gaben. Jeder dieser Kulte legte den größten Wert auf den Schatz, den er an den bewährten Handlungen, Zeichen und Worten zu haben glaubte, und setzte alles daran, ihn unversehrt an würdige Nachfolger zu vererben.
Es gab auch Klassen, Stämme, Kasten, die sich solcher Besitztümer erfreuten. So waren die persischen Magier zugleich ein Volksstamm und eine abgeschlossene religiöse Gesellschaft, die ein Monopol auf das Priesteramt in ganz Persien erwarb. Sie waren vermutlich in Grade und Unterabteilungen gegliedert. Diese Magier gewannen im späteren Altertum, als sie westwärts zogen, einen bestimmenden Einfluss auf das europäische Bundes- und Kultwesen. Von ihnen ging der Mithraskult aus und dessen christlich-häretische Nachfolger. Ihre geheimen Riten hielten die Magier fest und behielten auch die feierlichen Einweihungen bei, durch die unter Schutz- und Reinigungsmaßregeln Novizen in den Bund aufgenommen wurden und Kenntnis von den wertvollen Bundesgeheimnissen erhielten. Ähnlich war es mit den übrigen Mysterienbünden. Immer sind sie im Besitz von religiösen Berufsgeheimnissen, die sie nur Berufenen mitteilen, das heißt sie sind im Besitz von Methoden und Werkzeugen, sich einer Gottheit auf besondere Weise zu versichern und dadurch für das Leben und Sterben besser gerüstet zu sein als die Nichteingeweihten.
Der Wert, der den Bundesgeheimnissen zugeschrieben wird, ist in erster Linie immer religiöser und magischer Art.
Die Pythagoräer und die Essäer (Essener) rühmten sich ebenfalls solcher Geheimnisse. Es macht keinen Unterschied, ob der Wert mehr auf Diätregeln oder auf die Kenntnis heiliger Zahlen und Figuren, heiliger Namen und Sprüche, auf das Anlegen heiliger Abzeichen oder die Vornahme heiliger Waschungen gelegt wird. Der Wert, der den Bundesgeheimnissen zugeschrieben wird, ist in erster Linie immer religiöser und magischer Art. Ein wissenschaftlicher und praktischer Wert macht sich freilich manchmal ebenfalls geltend, aber er gewinnt erst allmählich größere Bedeutung, wenn nämlich der religiöse Bund übergeht in einen gelehrten oder technischen Fachverband. Dann verwandeln sich die magischen Mittel des Geisterzwanges und die mystischen Kraftworte und -handlungen in hygienische Maßregeln, in philosophische oder ärztliche oder historische Erkenntnisse. Auch sie können noch als Geheimnisse festgehalten und innerhalb eines engen Schwurbundes, der sich gegen Unberufene schützt, fortgepflanzt werden.
In diesen geheimen Fachbünden pflegen neben den wertvollen Fachkenntnissen stets noch andere Geheimnisse fortgeerbt zu werden, nämlich die Reste der alten magischen Handlungen und Zeichen, jedoch nicht mehr in dem Glauben an ihren praktischen Zauberwert, sondern als Symbole, als Zeichen brüderlichen Zusammenhaltens, als Hinweise auf den heiligen Ernst der Arbeit, als Anreize zum Schaffen und dergleichen. Ihnen bleibt eine hohe Verehrung, die doch wohl eine subtile Nachwirkung der ursprünglichen Bedeutung ist. Auch haben die Bünde in gewissen Epochen eine entschiedene Neigung, zu der alten magischen Bedeutung der Symbole zurückzukehren. Im späten Altertum und in der Zeit des Humanismus gab es nur wenige, die nicht an die Zaubergewalt symbolischer Handlungen, Zeichen und Worte glaubten. Mit ihnen hoffte man eine Macht über die Natur und die Geisterwelt zu erringen, die der durch wissenschaftlich-technische Mittel erzielten Macht weit überlegen sei. In den Mysterienbünden hütete und übte man diese magischen Berufsgeheimnisse mit größtem Eifer, und wenn sich auch die Weisesten zum tieferen, religiös-ethischen Verständnis dieser Geheimnisse erhoben, so blieben doch viele in der magischen Auffassung stecken.
Die geistigen Führer und Priesterschaften haben vor der Menge in erster Linie die Tiefe des Gefühls, die Stärke des Erlebens, des Mitklingens und Verstehens voraus.
Von den Kulthandlungen und heiligen Worten der öffentlichen Religionen haben wir hier nicht zu sprechen. Auch ihnen wird ein durchaus übermenschlicher Wert zugeschrieben, aber sie sind keine eigentlichen Berufsgeheimnisse, obwohl ihre Benutzung und Ausübung vielfach einem besonderen, durch Weihe und mystische Unterweisung vorbereiteten Stand vorbehalten ist. Die Priester haben gleichsam das Verwaltungsmonopol für diese Gnadenschätze. Aber die Art der Ausübung wird nicht geheim gehalten, das Geheimnis beschränkt sich auf das Zustandekommen der göttlichen Wirkung dieser Heilsmittel.
Außer den geheimen Handlungen, Zeichen und Worten haben manche religiösen und philosophischen Bünde auch geheime Lehren gehabt. Allein der Besitz solcher Lehren ist es, der gewöhnlich als Esoterik bezeichnet werden muss und weit größere Beachtung findet als der Besitz von geheimen Symbolen.
Wann und wodurch entstehen Geheimlehren? Man hat früher gemeint, die Lehre sei das Ursprünglichste in der Religion, der Mensch habe sich zu allererst Gedanken über Gott und Welt gemacht und habe diese Gedanken dann einerseits in philosophische Begriffe, anderseits in symbolische Bilder gefasst. Das ist nicht richtig. Am Anfang des religiösen und geistigen Lebens der Menschheit stehen nicht Lehren und Meinungen, sondern Gefühle und Erlebnisse. Die Symbole sind Ausdruck dieser Gefühle. Die Widersprüche und Hemmungen des Lebens erzwingen sich eine Entladung in Ausdrucksbewegungen und spielenden Darstellungen, das sind die Urformen der Symbole. Ihr psychischer Wert, der eben in der Entladung und Befreiung besteht, wird als magischer Wert missverstanden. Die bewährtesten und wirkungsvollsten bleiben erhalten und pflanzen sich als religiöse Kraftmittel fort. Die Bünde sammeln sie und halten sie unter Umständen geheim.
Nur Einzelne wollen und können in jene Welt hinaufsteigen, können das religiöse Schauen und das philosophische Denken erlernen.
Die geistigen Führer und Priesterschaften haben vor der Menge in erster Linie die Tiefe des Gefühls, die Stärke des Erlebens, des Mitklingens und Verstehens voraus. Dadurch werden sie die Schöpfer und Mehrer der Symbole und Mythen, sie widmen sich vorzugsweise der Bewahrung und Ausübung der heiligen Spiele, Gegenstände und Worte. Von geheimen Lehren ist da zunächst noch keine Rede. Die Lehren entstehen aus den Mythen. Mythen gewinnen aber erst Bedeutung für die Bundesbildung und für das Mysterienwesen, wenn sie sich mit den religiösen Gefühlen und symbolischen Entladungen zu einer Einheit verbinden. Also wenn sie nicht mehr reine Erzeugnisse der Phantasie und des primitiven Erkenntnistriebes sind, sondern ebenfalls zu Heilsmitteln werden. Diese Entwicklung des Mythos zur Heilslehre geschieht ebenfalls innerhalb des Kreises der Priester, sodass der Bund der geistig Führenden allerdings auch der Schöpfer und Berater der Lehre wird. Ihnen liegen die religiösen Grundfragen am meisten am Herzen, sie bemühen sich, gedrängt durch ihr inneres Erleben, mehr als durch bloßen Wissensdurst, tiefer in das Wesen der Dinge und das Verständnis ihrer religiösen Werkzeuge einzudringen. So gelingt es ihnen allmählich, die Gefühlswerte, die in den Symbolen niedergelegt sind, mythologisch-dogmatisch - und noch später begrifflich - auszudeuten und auszubeuten, sie also in die Form von Heilsgeschichten zu bringen, von Glaubensartikeln, von Theorien, von mystischen Sätzen, von logischen Formeln usw. Ein sinnlich oder gedanklich fassbarer Zusammenhang entsteht, eine Welt des religiösen Schauens und philosophischen Betrachtens wird über der Welt des Tageslebens aufgebaut.
Die so entstandene Lehre ist in der Tat nicht ohne weiteres der Menge verständlich, auch nicht allen von Wichtigkeit. Nur Einzelne wollen und können in jene Welt hinaufsteigen, können das religiöse Schauen und das philosophische Denken erlernen. So kann die Lehre zur Geheimlehre werden, die als Eigentum des geschlossenen Bundes der Priester oder Weisen gepflegt, überliefert, ausgebaut und durch Gelübde geschützt wird.
Die Symbole dauern, die Lehren wechseln.
Aber auch so wird die Lehre niemals zum Mittelpunkt und Hauptstück des Bundes. In dem echten Mysterienbund ist die Lehre immer nur ein Rankenwerk, eine Zutat. Das Hauptstück bleiben die Symbole. So sehr der Augenschein und die Meinung vieler dagegen sprechen, sind doch die Symbole der Kern. und die Lehren sind die Schale des Bundes. Die Symbole dauern, die Lehren wechseln. Die Symbole sind der unmittelbare, die Lehren nur der mittelbare Ausdruck der Bundeswahrheiten. Die Lehren beschreiben und umschreiben nur das Geheimnis, die Symbole zeigen es.
Man sieht das auch an der Begrenzung der Geheimhaltungspflichten. In den antiken Mysterienbünden wurde es mit der Pflicht der Geheimhaltung bekanntlich sehr streng gehalten, der Verräter wurde schwer bedroht und entging nicht der allgemeinen Verachtung. Selbst der Staat, der doch im Altertum die Rechte der einzelnen und der privaten Gruppen nicht hochachtete und sich jeden Eingriff erlaubte, übte den Mysterienbünden gegenüber große Zurückhaltung, so mussten zum Beispiel, wenn vor Gericht Mysterienangelegenheiten zur Besprechung kamen, die nicht eingeweihten Richter, Zeugen und Zuhörer sich entfernen. Eine Berufung auf die Gelübde, die man als Myste geleistet, hatte stets Erfolg. Infolgedessen ist denn auch das Geheimnis der Bünde niemals verraten worden, die Schriftsteller haben wohl dieses und jenes verlauten lassen, aber nur durch Vergleiche und Vermutungen können wir das Fehlende ergänzen und ein einigermaßen klares Bild von dem inneren Leben der Mysterienbünde entwerfen. Was aber hielt man geheim? Was müssen wir mühsam ergänzen? Nicht die Lehren, sondern die Formen. Was die Bünde lehrten, wusste jedermann, aber die kultischen Vorführungen, die heiligen Worte und Zeichen durften nicht bekannt gegeben werden. Auch die Bundesmythen und Kultlegenden durfte man nur in Umrissen erzählen, weil aus den Einzelheiten der Verlauf der Zeremonien leicht hätte entnommen werden können. Die Hauptlehre in den antiken Bünden bezog sich auf das Schicksal des Menschen im Jenseits. Diese Lehre, also welche Hoffnungen sich die Eingeweihten über ihr Los nach dem Tode machten, war durchaus kein Geheimnis. Aber die Art und Weise, wie diese Lehre im Bund als eine Wahrheit erlebt wurde, wie die Hoffnung zur Gewissheit gesteigert und die Wahrheit dem Mysten persönlich verbürgt wurde, das mitzuteilen, galt als Verrat.
Die Lehren beschreiben und umschreiben nur das Geheimnis, die Symbole zeigen es.
Die Mysterienbünde waren zu allen Zeiten weniger Denkerklub als Heilsgemeinden.
Die Mysterienbünde waren zu allen Zeiten weniger Denkerklub als Heilsgemeinden. Ihre Mitglieder suchten weniger Belehrung und Unterricht, als Leben, Schönheit, Frieden, Göttlichkeit. Plutarch sagt mit vollem Recht, dass die Mysterien nicht auf den Verstand wirken und nicht eine Art von Philosophie seien, sondern auf das Gefühl wirken und den Willen entflammen. Gewiss lehren die Bünde Wahrheit, aber diese Wahrheit ist nicht ein begriffliches Wissen, sondern ein lebendiges Sein. Die Wahrheit wird dem Mysten als ein fühlbares und fassbares Gut persönlich zugeeignet und einverleibt. Nach der Überzeugung jedes echten Menschenbundes ist die Wahrheit, solange sie nur ein Wissen ist - mag das Wissen noch so klar und noch so gut begründet sein - tot und nichtig, nur wenn sie sichtbar und greifbar, also wenn sie Handlung und Zeichen geworden ist, wenn sie einen Körper hat, ist sie wirklich und kraftvoll. Daher ist dem Bund die Wahrheit als Symbol wichtiger denn als Begriff. Das Symbol hält er geheim, die Lehre nicht.
Es lässt sich nicht vermeiden, hier in aller Kürze das Verhältnis von Symbol und Begriff noch näher zu bestimmen, ausführlicher hoffe ich in einer eigenen Arbeit über Symbol, Mythos, heilige Handlung darauf zurückzukommen. Warum steht das Symbol dem Geheimnis, das wir suchen, näher als die Lehre? Warum legt infolgedessen der Mysterienbund größeren Wert auf seine Formen als auf philosophisch-metaphysische Theorien? — Das Geheimnis ist ein Erleben, das sich direkt nur durch Zeichen und Handlungen ausdrücken lässt, es ist ein Gefühlsakt, nur in zweiter Linie ein Erkenntnisakt, daher gestaltet es sich zunächst zum Bild, nicht zum Begriff aus. Die Philosophen und Philologen wollen uns glauben machen, dass Symbole unvollkommene Begriffe und eine Art Notbehelf für denkunfähige Menschen seien. Aber das Symbol ist kein Notbehelf, kein unklarer Begriff, sondern etwas Andersartiges. Es dringt tiefer in das Wesen der Dinge und ergreift die Wahrheit, ohne sie wie der Begriff töten und sezieren zu müssen. Der Begriff ist die mumifizierte Wahrheit, das Symbol die lebenswarme Wahrheit, die man an das Herz drücken, und um die sich ein Menschenbund bilden kann. Es ist ein Irrtum, dass der Symbolgebrauch nur der Anfangsstufe und Kindheitszeit des Menschengeschlechtes angemessen sei. Niemals wird er dem begrifflichen Denken weichen, immer wird er sein Recht und seine Notwendigkeit behalten. Moderne Philosophen, welche die Wahrheit nackt und bildlos erkennen und ergreifen wollen, täuschen sich sehr, wenn sie das Symbol verachten und entbehren zu können glauben. Noch verhängnisvoller ist es, wenn auch religiöse Geister dem Irrtum, dass die Anwendung von Symbolen ein Mangel und ein Zeichen geistiger Unvollkommenheit sei, Vorschub zu leisten scheinen.
So hat zum Beispiel Jesus nach dem evangelischen Bericht erklärt, dass seine Gleichnisse ein Zugeständnis an die geringe Fassungskraft das Volkes seien, er rede in Gleichnissen, weil die Menge die nackte Wahrheit nicht verstehen könne, ja sogar nicht verstehen solle. Nur den Berufenen sei es gegeben, in die göttlichen Geheimnisse einzudringen und der Bilder zu entraten (Mk 4,9). Diese Äußerung hat sehr bald die Vermutung erweckt, dass Jesus eine Geheimlehre verkündet habe, die nicht in den Evangelien enthalten sei und sich nur mündlich in dem geschlossenen, geheimbundartigen Kreis der Jünger und ihrer Nachfolger fortgepflanzt habe, eine Anschauung, die schon bei den Gnostikern auftrat und auch in der alten Kirche verbreitet war. In späteren Zeiten tauchte sie wiederum auf und ging auch in die Freimaurerei über, wo sie für manche Hochgrade von Bedeutung geworden ist. Wir können hier die Frage nicht erörtern, wie die merkwürdige Stelle in dem Evangelium zu verstehen ist. Sie verrät meines Erachtens, dass manche Urchristen das Wesen des großen Geheimnisses missverstanden, aber ob sie auf eine urchristliche Geheimlehre schließen lässt? Die Geheimlehre Jesu ist doch wohl die Lehre von dem Reich Gottes, das nach vollendetem Kampf gegen das Reich der bösen Geister in Kürze anbrechen werde, und vom Gerichte Gottes, durch das die Böcke von den Schafen getrennt werden. Diese Lehre trägt allerdings Mysteriencharakter, sie gilt nur denen, die Ohren haben, das heißt der Gemeinde der Auserwählten, und sie ist, als Gemeindeerfahrung und Gemeindeglaube verstanden, ein Bild, ein symbolischer Ausdruck für etwas, was sich bildlos nicht aussprechen lässt. Dass die christlichen Urgemeinden oder ihre Meister außerdem noch nackte Wahrheiten philosophisch-okkultischer Art besessen hätten, ist durch nichts zu belegen. Sollte es der Fall gewesen sein, so können wir uns diese Wahrheiten nur in Form ekstatischer Bekenntnisse und unklarer Sätze vorstellen, wie wir sie bei den Mystikern aller Zeiten finden. Dieselben sind allerdings nicht mehr bildlich, sie wollen die Wahrheit selber ergreifen, verlieren sich aber dadurch in Nebel und Dunst. Solche Sätze können unter Umständen wohl eine gewisse Kraft ausströmen und dem heiligen Bundesschatz einverleibt werden. Dies verdanken sie dann aber dem Rest von Bildlichkeit, den sie enthalten, sie wirken dann doch als Symbol und regen die Seelen der Bundesglieder zur Wiederholung und Vertiefung des Mysterienerlebnisses an. Ein begrifflich durchgebildetes philosophisches System kann das Urchristentum ebenso wenig besessen haben wie die übrigen Mysterienbünde jener Zeit, es ist dies eine innere Unmöglichkeit, wie durch jede Zeile des Neuen Testaments bewiesen wird.
Wer trotzdem dabei bleibt, dass die Apostel und Aposteljünger eine Geheimlehre gehabt haben müssten, dem bleibt schließlich nichts Anderes übrig, als diese Geheimlehre mit den geheimen Engelnamen und Gebeten der Essäer oder gar mit den alchemistischen und astrologischen Kenntnissen jener Zeit in Beziehung zu bringen. Dass die Alchemie und zum Teil die Astrologie damals als eine streng geheim gehaltene Weisheit enger Kreise gepflegt wurde, steht fest, und dass der geheime Kultbund der Essäer sich vielleicht mit dieser Weisheit, sicher aber mit geheimen Namen, Worten und Gebeten abgab, hat sich ebenfalls feststellen lassen. Der urchristliche Mysterienbund scheint aber den Essäern ferngestanden zu haben, Anhaltspunkte für die Beschäftigung der ältesten Christen mit okkulter Wissenschaft fehlen, abgesehen vom Exorzismus im Namen Jesu.1
In manchen Mysterienbünden alter und neuer Zeit erscheint die irrige Vorstellung, dass das Symbol für die Menge, die Lehre nur für die Auserwählten sei, in Verbindung mit dem Gradwesen. Mancher Novize fühlte sich durch die Aufnahme enttäuscht, er fand nur Bilder und hatte mehr erwartet. Daher sucht man ihn mit der Aussicht zu trösten, das werde in den höheren Graden besser werden, da werde der Schleier, den die Symbole um die Wahrheit webten, immer leichter werden und endlich ganz fallen. Die Symbole seien ein notwendiges Hilfs- und Erziehungsmittel für die Anfänger, an den Symbolen sollten sie ihren Scharfsinn üben, sowie ihre Geduld! Seien sie erst Meister, so würden sie die Wahrheit schleierlos schauen, ein wahrer Meister bedürfe der Symbole nicht mehr. Natürlich konnte dies Versprechen niemals erfüllt werden, weil es auf einer falschen Ansicht vom Wesen des Symbols beruhte.
Jeder höhere Grad brachte immer wieder nur Bilder, nur Symbole, nur Schleier, weshalb denn Toren die Zahl der Grade in das Unendliche mehrten, so dass die meisten auf dem Wege ermüdeten und Betrug zu wittern begannen. Ein Abschluss ist, wenn man die Symbole für Schleier hält, nur so möglich, dass man dem höchsten Grade eine Geheimlehre der erwähnten Art, also einen mystischen Satz, oder ein okkultes Wissen oder endlich ein politisches, soziales, konfessionelles Aktionsprogramm in die Hand gibt und diese Geheimlehre für das eigentliche Wesen und Ziel des Bundes erklärt — eine bedenkliche Lösung, die den Hochgraduierten eine herbe Enttäuschung bringt. Das sind die Folgen jenes Irrtums, dass das Symbol ein Umweg zur Wahrheit und eine unvollkommenere verhüllte Form einer Lehre sei. In Wirklichkeit steht das Symbol der Wahrheit näher als die Lehre und für Menschen ist die nackte Wahrheit überhaupt nicht zu erreichen.
Am farbigen Abglanz haben wir das Leben! J. W. v. Goethe
Es tritt bei jedem höher stehenden Volk ein Augenblick ein, wo der Glaube an die mythologische Welterklärung ins Wanken gerät. Die Gebildeten lösen sich, teils durch wissenschaftliche Betrachtungen, teils durch Vergleiche mit anderen Völkern angeregt, von der Volksüberlieferung los, sie werden ungläubig, wie man es nennt. Diese Entwicklung, die unabwendbar und unaufhaltsam ist, hat am meisten zur Entstehung jener Meinung beigetragen, dass die symbolische Erfassung der Wahrheit immer mehr der begrifflichen Erfassung weichen müsse. Denn tatsächlich wird durch die Verbreitung des Unglaubens das Gebiet des Mythos und damit auch das Gebiet des religiösen und sittlichen Symbols verkleinert. Aber auf der anderen Seite erhält durch diese Entwicklung das Symbolschaffen eine größere künstlerische Freiheit, und weil man durch die bessere Welterkenntnis zu einer einheitlicheren und geschlosseneren Auffassung von Gott und Welt gelangt, wird nun auch die Symbolik wuchtiger und großartiger gestaltet. Was sie in Bezug auf Phantasiereichtum einbüßt, gewinnt sie durch sittliche Vertiefung.
Diese Entwicklung leistet auch dem Esoterismus Vorschub, denn die geistigere Auffassung der Gebildeten ist der Menge nicht verständlich und erregt Anstoß. Wer sich von der Götterlehre der Überlieferung losmacht, gilt als Atheist und hat Grund, mit seinen Gesinnungsgenossen zur Pflege seiner reineren Gotteserkenntnis einen Geheimbund zu bilden. Die Esoterik ist hier ein notwendiger Schutz. Er ist aber auch eine Schonung des Volkes, denn die geistigere Betrachtungsweise birgt Gefahren in sich, denen nicht alle gewachsen sind. Der neue Weg ist vorerst nur für Wenige, denn er ist noch unerprobt und nur für kühne Geister gangbar. Der Bund der Esoteriker ist ein Bund der Suchenden und Versuchenden. Das Volk aber braucht etwas Festes und Sicheres, es ist auf das Leben der Unsicherheit und Gefahr nicht eingerichtet. Und vielleicht ist die Loslösung von der alten Mythologie der gefährlichste Schritt, den eine Kutur überhaupt tun kann.
Wir sehen das alles am deutlichsten bei dem hellenischen Volk: die Loslösung unter Einfluss der Sophoi und Sophistai, die Folgen für die Gesamtheit, die Zunahme der Esoterik, das Suchen nach Ersatz für den verlorenen Glauben. Die Philosophen schlossen sich zu Engbünden zusammen und bildeten mit einer staunenswerten Geisteskraft eine Reihe von bildlosen oder doch bildarmen Weltsystemen aus, warfen sich dann aber mehr und mehr auf das Gebiet der Ethik, weil jene Systeme nicht genügend praktische Früchte zeitigten. Aber auch die Ethik brachte nicht, was man hoffte. Die Auflösung nahm zu, die Weisen mussten andere Mittel ergreifen, um die Menschen, die aus den zerstörten Glaubensburgen in alle Winde entflohen, neu zu sammeln und zu verbinden. Sie ergriffen die alte Mythologie und machten allegorische Philosopheme daraus. Dadurch hofften sie ihrer Ethik mehr Farbe zu geben. Aber auch dieser Weg konnte nicht zum Ziel führen, denn keine noch so schön illustrierte Moral kann ein Ersatz für die verlorene Religion sein.
Aber es gab auch echt religiöse Geister unter diesen Philosophen, und diese wussten den richtigen Gebrauch von der Mythologie und Kultübung des Volkes zu machen. Auch sie deuteten um und neu, aber aus dem Zwang ihres religiösen Gefühls heraus, nicht zur Illustration moralischer und metaphysischer Sätze. So fanden sie neue und echte Symbole, die doch zugleich die alten waren, der nüchterne Betrachter erkennt die alten Steine und Säulen in dem neuen Bau, aber es ist doch ein wirklicher Bau geworden. Die bundesbildende und zusammenhaltende Kraft dieser aufbauenden Geister war groß. Wir brauchen nur an die Bünde der Pythagoräer und Platoniker zu denken, die ein ganzes Jahrtausend bestanden haben und durch ihre echt religiöse Verwertung überlieferter Mythen und Kulte befähigt waren, einen großen und wertvollen Teil der in Auflösung begriffenen Kultur zu erhalten und in allmählicher Umwandlung für eine neue Zeit dienstbar zu machen. Man hat den Neupythagoräern und Neuplatonikern oft vorgeworfen, dass sie den Idealen ihrer Stifter nicht treu geblieben seien und nur als entartete Nachkommen der älteren Pythagoräer- und Platonikergemeinden gelten könnten. Aber das ist ungerecht. Diese Bünde dienten dem Leben, nicht einer toten Gelehrsamkeit. Daher mussten sie sich wandeln, mussten organisch das Erbe ihrer geistigen Väter weiterbilden, manche Bestandteile der Symbolik neu deuten, neu gruppieren und wohl auch neue Mythen, Riten und Lehren hinzufügen. Das alles aber ging ohne zerstörende Erschütterungen vor sich. Man wollte unbedingt den großen Zusammenhang aufrechterhalten und griff natürlich auch zu dem Mittel, das die Mysterienbünde zu allen Zeiten angewendet haben. Die Stifter wurden zu mythischen Persönlichkeiten erhoben, erhielten einen Kult und man bemühte sich, alle späteren Zutaten und Änderungen mit ihren Schriften oder mit den Überlieferungen, die man zu besitzen vorgab, in Einklang zu bringen. Pythagoras und Platon sollten bereits alles gesagt und, wenn nicht schriftlich, so doch mündlich ihren Jüngern überliefert haben, was nach Jahrhunderten erst aus der Bundessymbolik oder Bundeslehre infolge der veränderten Bedürfnisse herausgesponnen wurde. Betrug und Fälschung sollte man das nicht nennen, diese Ausdrücke sind nur dort am Platz, wo unlautere Absichten und offener Abfall von den ursprünglichen Bundeszielen vorliegt. Wie später bei den Freimaurern hat sich damals zweifellos manches Junge und Jüngste für uralt ausgegeben, aber das war ein bewusst eingesetzter Betrug. Das Junge wuchs organisch aus dem Alten heraus, das mythische Weiterbilden und symbolische Umdeuten geschah in innerer Harmonie mit den Bundesidealen der Gründungszeit.
Von Pythagoras wurde ganz ähnlich wie von Jesus berichtet, dass er absichtlich in dunkler und bildlicher Form gelehrt habe, damit nur die Eingeweihten ihn verstünden. Auch soll er die schriftliche Aufzeichnung mancher Lehren verboten, also seinen Getreuen eine mündlich zu überliefernde Geheimlehre mitgeteilt haben. Die antiken Esoteriker waren einig in der Erklärung: nur die Würdigen sollten den eigentlichen Sinn der mythisch eingekleideten Bundeswahrheiten erfahren, den übrigen sollten sie rätselhaft bleiben. Wir dürfen annehmen, dass es mit der pythagoräischen Geheimlehre nicht viel anders bestellt war als mit der christlichen. Die symbolische Form diente nur insofern zur Verschleierung, als durch sie für das altgläubige Volk die Abweichungen von der überlieferten Mythologie unbemerkbar wurden, aber zugleich war die symbolische Form eine innere Notwendigkeit, denn nur bildlich ließen sich die neuen Wahrheiten verkündigen und die gewählte Einkleidung war die denkbar deutlichste und treffendste Wiedergabe dessen, was man sagen wollte. Ähnlich wie Jesus sein Evangelium nicht deutlicher hätte verkünden können als mit den überlieferten Ausdrücken der jüdischen und hellenistischen Mythologie und Theosophie (Reich Gottes, Menschensohn, Dämonenaustreiben, Gericht usw.).
Pythagoras legte seinen Schülern ein Schweigegebot auf, auch von anderen antiken Weisen wird dasselbe berichtet. Es scheint, dass im späteren Altertum auf dieses Schweigegebot ein immer größerer Wert gelegt wurde. Je mehr sich die Philosophenbünde den Mysteriengemeinden annäherten und je mehr die religiösen Richtungen in der Philosophie über die mehr wissenschaftlich-kritischen und moralisch-rhetorischen Richtungen den Sieg gewannen, umso mehr trat die fides silentii in den Vordergrund. Das ist natürlich, denn die Philosophie als Wissenschaft und als Ethik kann nur aus äußeren Gründen auf Geheimhaltung dringen. Nur die Philosophie als Gnosis, das heißt als Erlebnis und Offenbarung, kann mit Feierlichkeit von Geheimnissen reden und aus innerem Bedürfnis die strenge Hütung dieser Geheimnisse verlangen. Der Vernunftmensch wird es höchstens aus Nützlichkeitsgründen vorziehen, vor der Menge zu schweigen oder zu lügen. Diese Gründe fielen im späten Altertum immer mehr fort. Die Achtung vor den Staatskulten sank, das Volk war selber ungläubig geworden und suchte Heil bei fremden und neuen Göttern. Der Bund der Pythagoräer und die verwandten Bünde galten nicht mehr als gefährlich und atheistisch, sondern waren umgekehrt in den Ruf besonderer Frömmigkeit gekommen. Als das siegreich vordringende Christentum die geistige Kultur zu beherrschen begann, galten sie sogar als Hort- und Schlupfwinkel der Reaktion.
Pythagoras legte seinen Schülern ein Schweigegebot auf, auch von anderen antiken Weisen wird dasselbe berichtet.
Grundsätzlich muss der reine Vernunftmensch ein Feind der Geheimhaltung und ein Verächter jeglichen Mysteriums sein. Er geht ja von der Überzeugung aus, dass sich die Wahrheit auf logischem Wege beweisen lasse. Diesen Beweisgründen aber, so schließt er weiter, ist jeder Gesundsinnige zugänglich. Daher gibt es ein untrügliches Mittel, jedem Menschen die Annahme der vom dogmatischen und kritischen Rationalismus gefundenen Wahrheit zur Pflicht zu machen, durch Belehrung und Unterricht, durch Vermehrung der Kenntnisse und Zerstörung der Illusionen. Das ist der Standpunkt aller Aufklärer von jeher, weshalb denn die Aufklärer für Mysterienbünde und für religiöse Erlebnisse niemals Sinn gehabt haben. Die Aufklärer begreifen nicht mehr, was es heißen soll, wenn die Mysten von Menschen reden, die Augen haben und doch nicht sehen, Ohren haben und doch nicht verstehen. Nach ihrer Meinung versteht jeder die Sprache der Wahrheit, und was nicht jeder versteht, das erkennen sie nicht als Wahrheit an, das erklären sie für Täuschung oder Betrug!