Tabubruch bei Nacht - Überstunden mit dem Boss - Maureen Child - E-Book
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Tabubruch bei Nacht - Überstunden mit dem Boss E-Book

Maureen Child

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Beschreibung

PRICKELNDE NACHT MIT DEM BOSS "Möchtest du tanzen?" Ivy zögert. Sie hat den Mann mit der Maske sofort an seinen faszinierenden Augen erkannt: Paxton McLemore. Seit über einem Jahr arbeitet sie für ihn, und genauso lange versucht sie, seinem Sex-Appeal zu widerstehen. Denn er ist nicht nur ihr Boss. Ihre beiden Familien haben eine gemeinsame Geschichte voller Rätsel, von denen Paxton nichts ahnt und die Ivy unbedingt lösen möchte. Trotzdem lässt sie sich auf einen sinnlichen Tanz ein. Und danach ist der Abend für sie beide noch lange nicht vorbei … DEZEMBERNACHT MIT DEM SEXY BOSS Fassungslos sieht Sam Henry, wer über die Weihnachtstage seine Haushälterin sein soll: eine schöne junge Frau mit verboten viel Sex-Appeal! Joy Curran macht sich zusammen mit ihrer süßen Tochter daran, sein Haus zu schmücken und ein romantisches Fest der Liebe vorzubereiten. All das erinnert den Künstler an seinen größten Verlust, dessentwegen er zurückgezogen in den Bergen lebt. Doch warum brennt Sam insgeheim vor Verlangen, Joy zufällig in einer kalten Dezembernacht unterm Mistelzweig zu treffen und sie heiß und lustvoll zu küssen? NACHTS IST ER NICHT MEIN BOSS Einmal mit einem Fremden Sex haben … Das hat sich Essie Newbold fest vorgenommen, und als sie einen attraktiven amerikanischen Touristen trifft, macht sie ihren Plan wahr! Mit Ash bekommt sie sogar noch mehr, als sie sich gewünscht hat: Einfühlsam zeigt er ihr, was sie ein Leben lang vermisst hat. Alles könnte perfekt sein. Doch Ash Jacob ist nicht der Fremde, für den Essie ihn hält, sondern der älteste Freund ihres Bruders - und außerdem Essies neuer Boss! MEIN BOSS - TABU? Für den heißen Jack zu arbeiten, ist für Gemma eine Qual. Tag für Tag erträgt sie seine elektrisierende Nähe, ohne ihrem Verlangen nachzugeben. Warum muss Jack nur immer wieder seine Verführungskünste an ihr ausprobieren? Wenn er so weitermacht, dann kann Gemma ihre eiskalte Fassade nicht mehr lange aufrechterhalten. Aber nur eine Nacht mit Jack könnte sie ihren Job kosten …

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Seitenzahl: 815

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Dani Wade, Maureen Child, Jc Harroway, Clare Connelly

Tabubruch bei Nacht - Überstunden mit dem Boss

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2019 by Katherine Worsham Originaltitel: „Son of Scandal“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 2094 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Christine Schmidt

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733725341

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Tanzen Sie mit mir?“

Ivy schaute zögernd auf die Hand, die sich ihr entgegenstreckte. Nervös strich sie sich mit den Fingernägeln über den Arm. Eigentlich war sie der Ansicht, dass man sich nehmen sollte, was man begehrt, aber hatte sie dafür Paxton McLemore seit über einem Jahr auf Abstand gehalten? Um sich jetzt bei einem Walzer in seinen Armen zu drehen?

Andererseits wäre es vollkommen normal, auf diesem Maskenball, den ihre Schwester Jasmine Harden ausgerichtet hatte, mit Paxton zu tanzen. Es handelte sich immerhin um die bedeutendste Wohltätigkeitsveranstaltung, die jährlich in Savannah stattfand.

Niemand würde es merkwürdig finden, wenn sie heute mit ihrem Arbeitgeber tanzte. Sie selbst aber wusste ganz genau, was sie empfand, und war sich nicht sicher, ob sie ihre Gefühle verbergen konnte, wenn sie ihm so nah war.

Obwohl er die traditionelle schwarze Maske trug, würde sie seine bernsteinfarbenen Augen immer erkennen. Nicht nur wegen der intensiven Farbe, sondern auch wegen des wachen, intelligenten Blicks, den sie als seine Assistentin so gut kannte.

Es war doch nur ein Tanz. Sie sollte nicht lange überlegen. Entschlossen nahm sie seine Hand und schenkte ihm ihr schönstes Lächeln.

„Wissen Sie, in meinem Büro hat sich etwas ganz entscheidend verändert“, sagte Paxton, während sich seine warmen Finger um Ivys Hand schlossen. „Diese neue Assistentin, die ich jetzt habe, bringt mich jeden Tag zum Lächeln.“ Er drückte einen Kuss auf Ivys Hand.

Ivy errötete. Ihr Herz schlug schneller, als Paxton sie auf die Tanzfläche des glamourösen Ballsaals von Keller House führte. Nie zuvor hatte er sie berührt, und das Gefühl, das sie durchströmte, war unbeschreiblich.

Es stimmte, sie gab sich alle Mühe, ihn während der anstrengenden Arbeit im Büro zum Lächeln zu bringen, aber dabei war sie stets professionell geblieben.

Keine Berührungen. Bis heute.

Paxton drehte sich zu ihr und schaute ihr in die Augen, während er die Arme weit öffnete.

Das war gefährlich.

Aber Ivy ignorierte alle Warnsignale, die ihr Körper aussendete, und nahm ihre Tanzposition ein. Sie merkte, dass auch Paxton wie elektrisiert war, als sie sich jetzt so nah gegenüberstanden. Unter gesenkten Augenlidern sah er sie an. Sein Blick war so sexy, wie Ivy ihn sich manchmal in ihren wildesten Fantasien ausgemalt hatte.

Ihr Herz hämmerte jetzt wie wild. Paxton machte den ersten Schritt, und Ivy ließ zu, dass er sie noch näher an sich zog. Sie fühlte sich wie in einer anderen Welt, als sie mit den vielen anderen Tanzpaaren über das Parkett schwebten. Über ihnen warfen strahlende Kronleuchter ihr Licht in den Raum, dessen eine Wand mit kunstvoll gerahmten Spiegeln versehen war. Im Vorübergleiten bewunderte Ivy den Anblick, den sie beide als Paar boten. Während Paxton einen klassischen Frack trug, hatte sie ein smaragdgrünes Abendkleid gewählt.

Seit dem Tod ihrer Eltern hatte Ivy immer versucht, praktisch zu denken und unabhängig zu sein. Dennoch war eine romantische Seite in ihr, die sich wie im Märchen manchmal einen Prinzen wünschte, der vielleicht eines Tages auf einem weißen Pferd angeritten kommen würde.

Heute war so ein Abend, und sie ließ sich bereitwillig von Paxton führen und im Takt der Musik drehen. In den achtzehn Monaten, die sie nun für Paxton arbeitete, hatte sie unendlich oft davon geträumt, von ihm berührt zu werden. Im Arbeitsalltag war es nicht so schwer, diese Gedanken zu verdrängen, wenn Klienten, Konferenzen und Terminabsprachen den Tag beherrschten. Sie steckte ihre ganze Energie in die Arbeit, die Paxton McLemore mit seinem Team in dem großen Konzern seiner Familie leistete. Aber es gab jene unbeobachteten Momente, in denen sie weitaus intimer von ihrem Boss träumte, als sie sollte.

Jetzt fühlte sie sich wie im siebenten Himmel. Seine Hände auf ihrer Haut und sein Blick gaben ihr das Gefühl, schön und begehrenswert zu sein. Was heute geschah, hätte sie sich nie träumen lassen. Es war völlig unmöglich, diese Gefühle weiterhin zu ignorieren.

Sie bewegten sich auf der Tanzfläche, als wären sie allein. Ivys Herz raste, und ihre Haut prickelte bei jeder noch so sanften Berührung seiner Finger.

Jedes Mal, wenn ihr Verstand sich meldete, reichte ein Blick von Paxton, um sie erneut dahinschmelzen zu lassen. Die Realität konnte warten. Ivy würde ihm folgen, wohin auch immer er sie führte.

Als er seinen Druck um ihre Taille verstärkte, wurden seine Augen noch dunkler. Sie fühlte, wie sich sein Körper anspannte.

Selbst als der Walzer vorbei war und Ivy ihre Runden inmitten der Gäste drehte, um ihre Schwester zu unterstützen, verlor sie Paxton nicht aus den Augen. Sie spürte immer genau, wo er gerade war. Später begegneten sie sich im Foyer.

Ivy sah ihn unsicher an. „Paxton, ich …“

„Ich weiß, was du sagen willst“, unterbrach er sie und strich mit dem Finger über das Samtband, das ihre Maske hielt. „Für mich kam das auch vollkommen überraschend. Ich … ich finde dich unwiderstehlich.“

Als er sich zu ihr beugte, strich sein frischer Atem warm über ihr Gesicht.

„Wir sollten das nicht tun“, flüsterte Ivy und schaute ihn unter halb geschlossenen Lidern an.

„Du hast recht“, murmelte er, bevor er sie küsste.

Ivy lehnte sich an ihn und erwiderte seinen Kuss. Als seine Umarmung drängender wurde, wusste sie, wie die Nacht enden würde, doch es gab kein Zurück mehr.

„Ich habe eigentlich kein Recht, dich das zu fragen“, flüsterte Paxton an ihrem Ohr. „Aber ich tue es trotzdem. Kommst du heute mit zu mir, Ivy?“

Seit über einem Jahr hatte sich Ivy nichts mehr erhofft, als die Nacht in Paxtons Armen zu verbringen.

„Ja, Paxton, ja“, antwortete sie, während Glück und Aufregung ihr fast den Atem nahmen.

Alles schien ihr plötzlich völlig unwirklich. In letzter Sekunde dachte sie daran, wenigstens ihrer Schwester Bescheid zu sagen, damit diese wusste, wo Ivy war. Sie holte ihr Handy aus der Tasche und wählte die Nummer. Das würde schneller gehen, als Jasmine unter all den Leuten zu suchen.

Paxton ging den Wagen holen, während Ivy telefonierte. Sie wusste, dass sich Jasmine wie immer Sorgen um sie machen würde, war aber nicht auf die heftige Reaktion ihrer Schwester vorbereitet, als sie ihr erklärte, wo sie die Nacht verbringen würde. Egal, darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen.

Das ganze vergangene Jahr hindurch hatte sie die geheime Verbindung zwischen ihrer Familie und den Paxtons ignoriert. Als es um die Stelle ging, hatte sie sich vorgenommen, ihm einfach nicht zu sagen, wer sie in Wirklichkeit war. Niemals hätte sie sich in ihrem Alter so einen Traumjob erhofft, und ihn auszuschlagen wäre für jemanden wie sie, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen wollte, unmöglich gewesen. Und natürlich war da auch die Hoffnung …

Ja, sie war vielleicht eine Närrin, darauf zu hoffen, aber vielleicht war das, was sie tat, doch genau richtig.

Ivy warf einen Blick auf den tropfenförmigen Smaragd an ihrem rechten Ringfinger, der ihr im Schein der Lampe am Portal zuzuzwinkern schien. Der Ring war schon seit Generationen im Besitz ihrer Familie und sollte die Kraft besitzen, die Harden-Frauen zur Liebe ihres Lebens zu führen.

Die Ivy von heute lehnte solche Gedanken natürlich strikt ab, aber das Mädchen in ihr, das insgeheim an den Prinzen glaubte, wollte sich nur zu gern vorstellen, dass der Ring sehr viel mit diesem Abend zu tun haben könnte.

Gerade fuhr Paxton in der Limousine der Firma vor. Er stieg aus und streckte ihr die Hand hin. „Wollen wir?“

Noch hatte sie die Möglichkeit zu gehen. Paxton, der durch und durch ein Gentleman war, hätte niemals etwas dagegen eingewandt. Aber Ivy wollte heute Nacht ihm gehören.

Er hielt ihr die Tür auf, sie stieg ein und Paxton nahm neben ihr im Fond Platz. Kaum war das Licht erloschen, fuhr der Wagen an.

Paxton verschwendete keine Zeit. Ohne zu zögern, umarmte er Ivy und legte beide Hände um ihr Gesicht, ehe er sie küsste. Im Nu verschwanden alle Gedanken an ihre Schwestern, an magische Ringe und daran, dass Paxton ihr Boss war. Jetzt war er nur der Mann, dessen leidenschaftliche Berührung sie schon lange herbeigesehnt hatte. Seine Hände strichen über ihren Hals, den Ansatz ihrer Brüste und weiter zu ihrer Taille. Dann folgte er dieser Spur mit seinem Mund, sodass Ivy leise aufstöhnte. So eng sie konnte, schmiegte sie sich an ihn und drängte ihm ihren Körper entgegen.

Als Paxton sich von ihr löste, fühlte sie Enttäuschung in sich aufsteigen. Doch dann kniete er sich vor sie und zog ihre Beine mit festem Griff so weit auseinander, wie es das Ballkleid erlaubte. Ivys Herz raste. Alles in ihr war bis zum Äußersten angespannt und ihre Haut vibrierte bei jeder Berührung seiner Finger.

Seine Hände suchten sich zwischen den Unterröcken ihres Ballkleids den Weg nach oben. Fest schlossen sie sich um ihren Po, kneteten ihn, glitten dann wieder hinab zu ihren Schenkeln und Knien.

Ivy keuchte leise, während sie spürte, wie sie feucht wurde. Würde er sie dort berühren … oder sie warten lassen?

„Oh Gott“, stöhnte Paxton und tauchte zwischen ihre Röcke. Er zog Ivy an den Knien zu sich heran, sodass sie sich ihm weit öffnete. Ihre Kehle war plötzlich so trocken, dass sie nach Luft schnappte.

Paxton verteilte zarte Küsse auf ihren Oberschenkeln oberhalb der langen Seidenstrümpfe. Ivy wand sich vor Erregung, als er erst die Innenseite des einen Schenkels küsste, dann die andere Seite. Genau so wollte sie es. Er sollte sie spüren, schmecken …

Sein Mund näherte sich ihrer empfindlichsten Stelle, er küsste sie, leckte sie. Ivy spürte seinen schweren Atem zwischen ihren Schenkeln.

Plötzlich bremste die Limousine so abrupt ab, dass Paxton hochfuhr und Ivy sofort losließ. Geistesgegenwärtig ordnete er ihr Kleid, strich sich über die Haare und war bereit zum Aussteigen, als der Fahrer am Bordstein hielt. Er öffnete die Tür und ging nach vorn zum Chauffeur, mit dem er einige Worte wechselte, die Ivy nicht verstehen konnte. Dann kam er zurück und half ihr aus dem Auto.

Sie hatten die Haustür von Paxtons Villa noch nicht erreicht, als der Wagen schon den Fahrweg hinunterpreschte.

Jetzt waren sie allein mit sich und der Nacht. Alles war da, was zu einem richtigen Märchen gehörte.

Es war die Hitze, die Paxton weckte.

Die Sonne schien durch die nur halb geschlossenen Vorhänge und erwärmte den kühlen Raum. Er lag umschlungen mit der Frau, die neben ihm schlief und seine Haut zum Glühen brachte. Das Ziehen in seinen Lenden ließ keine Fragen offen.

Und dann kam die Erinnerung mit voller Wucht zurück. Ihm war plötzlich klar, was er getan hatte. Seine Assistentin. Er hatte die Nacht mit seiner Assistentin verbracht.

Und was für eine Nacht!

Er holte tief Luft, um die seltsame Mischung aus Panik und Begehren, die in ihm aufstieg, zu verdrängen und sein hämmerndes Herz zu beruhigen.

Was für ein Idiot war er gewesen. Das durfte nie wieder geschehen!

Er warf einen Blick auf Ivy, die von ihm abgewandt schlief. Ihr blondes Haar fiel wie ein Wasserfall auf die Kissen und zog ihn magisch an. Doch bevor seine Finger die glänzenden Strähnen berührten, hielt er inne und zog seine Hand zurück.

Letzte Nacht hatte es für ihn kein Halten gegeben. Ivys Schönheit hatte ihn so fasziniert, dass er alle Bedenken außer Acht gelassen hatte. Er leckte sich unwillkürlich über die Lippen, als er an ihre weiche Haut, die runden Brüste und festen Schenkel dachte.

Ihm wurde wieder heiß. Doch während er Ivy betrachtete, deren Haar im Sonnenlicht wie Gold schimmerte, spürte er, wie gleichzeitig Panik in ihm aufkam.

Was hatte er sich nur dabei gedacht? Offensichtlich hatte sein Verstand irgendwann ausgesetzt.

Er brauchte jetzt dringend eine Tasse Kaffee. Vorsichtig rollte er sich vom Bett, bemüht, Ivy nicht zu stören. Sie hatte eine harte Woche hinter sich und musste ausschlafen. Abgesehen von ihrer regulären Arbeit im Büro hatte sie den ganzen Samstag bei den Vorbereitungen für den Wohltätigkeitsball geholfen und sich am Abend die Gastgeberpflichten mit ihrer Schwester geteilt.

Jetzt war sie vermutlich völlig erschöpft und hatte es verdient, sich zu erholen. Nicht, dass er sich vor einer Aussprache mit ihr drücken wollte. Natürlich musste er ihr sagen, dass es zwischen ihnen nicht weitergehen würde.

Als er in die Küche ging, hörte er sein Handy klingeln. Ein Blick auf das Display zeigte ihm die Nummer seines Kollegen Mike an. Der rief ihn nur dann am Wochenende an, wenn es irgendwo ein Problem gab. Seufzend nahm Paxton den Anruf an.

„Was gibt’s denn, Mike?“

„Mann, wo warst du denn? Ich versuche seit fünf Uhr heute Morgen, dich anzurufen.“

„Jetzt bin ich ja da. Also, was ist los?“

„Wir haben ein Problem. Kannst du dich daran erinnern, dass wir diese eine alte Maschine nicht ausgetauscht haben, weil wir dachten, dass es noch irgendwie gehen könnte?“

Paxton stöhnte. Er hatte es geahnt. Der Zweig seiner Firma in Virginia, der sich gerade in einem Prozess der Erneuerung und Umgestaltung befand, war sein Sorgenkind. Das lag vor allem am Widerstand seiner Großmutter, die nur schwer davon zu überzeugen war, dass die Investitionen unbedingt nötig waren.

„Jedenfalls ist das Ding letzte Nacht endgültig kaputt gegangen“, fuhr Mike fort. „Ich brauche dich dort.“

Für Paxton bedeutete das, den ersten Flug nach Virginia zu nehmen. Er musste sich Gedanken um die Reparatur und eventuellen Ersatz machen, während die Firma hoffentlich normal weiterarbeiten konnte. Seufzend legte er das Telefon zurück. Warum musste das gerade heute passieren? Er wollte doch nur Kaffee trinken und sich überlegen, was er der Frau sagen sollte, mit der er nie wieder in so eine Situation geraten durfte …

Nein, er wollte jetzt nicht über den Fehler nachdenken, der sein Leben damals für immer verändert hatte und den er auf keinen Fall wiederholen wollte.

Er stieg die Treppe zu seinem Schlafzimmer hinauf und stellte sich lange unter die heiße Dusche. Zum Glück hatte er Ivy gleich unten in eines der Gästezimmer geführt, weil er es nicht erwarten konnte, sie zu berühren. So brauchte er in Zukunft nicht ständig daran zu denken, wie leidenschaftlich sie sich geliebt hatten, wenn er allein in seinem Bett lag.

Schnell zog er sich an und begann zu packen. Nachdem er ein paar Sachen in seiner Reisetasche verstaut hatte, ging er nach unten. Wenn er aus Virginia zurückkam, würde er Zeit für ein ausgiebiges Gespräch mit Ivy finden. Sie mussten die Dinge von letzter Nacht klären, damit keine Missverständnisse entstanden. Paxton wusste genau, was er in seinem Leben wollte, und seine Zukunft war bis ins Detail geplant, wobei ihn seine Familie nach Kräften unterstützte. Eine Beziehung oder gar eine Ehe mit seiner Assistentin kam darin nicht vor.

Paxton hoffte, dass Ivy genauso dachte. Als er an ihrem Zimmer vorbeikam, sah er, dass sie noch schlief. Einen Moment lang war er in Versuchung, sich einfach wieder neben sie auf das sonnendurchflutete Bett zu legen. Er war erstaunt, wie stark er gegen diesen Wunsch ankämpfen musste.

Aber dafür hatte er jetzt keine Zeit. Die Pflicht rief.

Das Vibrieren seines Handys zeigte ihm an, dass er sich beeilen musste. Er schnappte sich ein Stück Papier und schrieb Ivy rasch eine kurze Nachricht: Leider hätte er einen dringenden Termin bekommen, den er nicht aufschieben konnte, aber gleich nach seiner Rückkehr würden sie sich treffen, um zu reden. Sie sollte sich den Wagen kommen lassen, der Fahrer würde sie selbstverständlich nach Hause bringen.

Auch während der Fahrt zum Flughafen konnte Paxton seine Gedanken nicht von Ivy lösen. Unaufhörlich kreisten die Erinnerungen an ihre gemeinsame leidenschaftliche Nacht in seinem Kopf und auch, als er schon längst die VIP-Lounge durchquert hatte und in die wartende Maschine eingestiegen war, ließen sie ihm keine Ruhe. Er hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, ihr zu schreiben, steckte dann aber das Telefon wieder weg. Nein, das war ihm zu unpersönlich.

Vielleicht halfen die kommenden Tage ihnen beiden, bald wieder zu ihrem professionellen, unbeschwerten Umgang miteinander zurückzukehren.

Paxton rieb sich über die Stirn. Da hatte er etwas Schönes angerichtet! Zerstreut trank er den letzten Schluck Kaffee aus seinem Becher.

Warum trug sie eigentlich immer so einen strengen Pferdeschwanz bei der Arbeit? Die goldene Mähne, die er heute Morgen gesehen hatte, war so viel attraktiver. Aber klar, es gab ja eine Kleiderordnung für die Angestellten in der Firma. Das Haar musste immer zusammengebunden sein. Für Frauen galt als korrekte Kleidung das Kostüm, während Hosen nicht gestattet waren.

Allerdings trug Ivy immer sehr sexy aussehende High Heels zum Rock, was ihre traumhafte Figur wunderbar betonte. Natürlich hatte Paxton darauf geachtet, ihr nur ganz diskret hinterherzuschauen, doch einige Male hatte sie ihn erwischt. Ebenso wie er sie. Obwohl beide die Funken bemerkt hatten, die zwischen ihnen hin- und herflogen, wenn sich ihre Blicke trafen, hatten sie immer Distanz bewahrt.

Bis sie sich gestern Nacht auf das Spiel mit dem Feuer eingelassen hatten.

Das Flugzeug war gelandet. Paxton riss sich gewaltsam aus seinen Gedanken, ging durch die Halle und holte die Reisetasche vom Gepäckband. Dann trat er durch den Ausgang und rief ein Taxi herbei, das ihn zur Fabrik bringen sollte. Mike hatte zu viel zu tun, um ihn abzuholen.

Er lehnte sich in die Wagenpolster zurück und las noch einmal alle Nachrichten, die Mike ihm inzwischen geschrieben hatte. Eine war schlimmer als die andere.

Als Paxton seine berufliche Karriere in der Firma begonnen hatte, waren es natürlich auch sein Familienname und die Position seiner Großmutter als Firmeninhaberin gewesen, die ihm den Weg geebnet hatten. Doch seinen guten Ruf als äußerst fähiger Geschäftsführer eines internationalen Konzerns, der für Kunden in aller Welt Schiffsteile herstellte, hatte er sich durch sein Können, sein Engagement und seine Führungsqualitäten erworben. Eines Tages würde alles ihm gehören.

Also warum dachte er in diesem Augenblick immer noch an die Frau, die wahrscheinlich noch in seinem Haus schlief, statt sich auf die wirklich wesentlichen Dinge in seiner Firma zu konzentrieren?

2. KAPITEL

Zwei Monate später

„Paxton, bist du da? Hey, großer Bruder, was ist?“

Paxton fuhr hoch und sah Sierra verwirrt an. Sie war offensichtlich verärgert, und das war kein Wunder. Schließlich hatte er sich erboten, sie heute zusammen mit dem Kind zu ihrem Vorsorgetermin zu fahren, da ihr Mann nicht da war. Er sollte zuvorkommend und aufmerksam sein, aber stattdessen kreisten seine Gedanken schon wieder um Ivy und alles, was seit seiner Rückkehr gestern passiert war.

Paxton versuchte sich zusammenzureißen und ging um den Wagen herum, um seine Nichte aus dem Kindersitz auf der Rückbank zu befreien.

Gerade als er gedacht hatte, dass Ivy und er wieder wie früher Seite an Seite als Kollegen arbeiten könnten, wie er es sich wünschte, hatte sie ihm eine E-Mail mit ihrer Kündigung geschickt. Die hatte er gleich als erstes nach seiner Landung auf dem Laptop vorgefunden.

„Wieso warst du eigentlich so lang weg?“, fragte seine Schwester.

„Geplant waren tatsächlich nur ein paar Tage, allerhöchstens eine Woche“, erkärte Paxton. „Dann gab es ein technisches Problem nach dem anderen. Der reinste Albtraum, sage ich dir. Es wurde so schwierig, dass wir einmal sogar gezwungen waren, die ganze Produktion für mehr als vierundzwanzig Stunden einzustellen.“

Sierra zog eine Grimasse. „Ich wette, Großmutter war begeistert.“

Sie war natürlich alles andere als begeistert gewesen und hatte ihn wieder einmal daran erinnert, dass es für ihn keine Sonderbehandlung gab, nur weil er ihr Enkel war. Paxton musste über jede Ausgabe und jedes Problem genau Rechenschaft ablegen.

Zumindest hatte er während der ganzen Zeit nicht über die Nacht mit Ivy nachgedacht. Und obwohl sie fast jeden Tag aus beruflichen Gründen miteinander telefoniert oder E-Mails hin- und hergeschickt hatten, waren die Wochen ins Land gegangen, ohne dass einer von ihnen das Thema noch einmal angeschnitten hätte. So war es ihm recht, und er war automatisch davon ausgegangen, dass es auch das war, was Ivy wollte.

Als er schließlich zu Hause ankam und das Gepäck in seinem Schlafzimmer absetzte, war er überzeugt davon, dass ihre Kündigung für sie beide das Beste war.

Er konnte gut verstehen, dass sie ihn nicht noch einmal sehen wollte. Als ihr Chef hätte ihm so ein entsetzlicher Fehler nie unterlaufen dürfen. Er trug die volle Verantwortung für alle Konsequenzen und konnte nur froh sein, dass Ivy ihn nicht wegen sexueller Belästigung angezeigt hatte. Ganz egal, ob sie bereitwillig mitgemacht hatte oder nicht.

Vielleicht sollte er ihr finanzielle Unterstützung anbieten, bis sie wieder eine neue Stelle hatte. Ob sie so ein Angebot annehmen würde? Oder war sie böse, weil er die ganze Zeit über rein geschäftlich geblieben war?

Er konnte einfach nicht aufhören, an Ivy zu denken, obwohl er nach allem, was passiert war, froh sein sollte, dass sie weg war, ohne dass er größeren Ärger bekommen hatte.

„Irgendwie bist du heute nicht bei uns“, bemerkte seine Schwester und nahm ihm das Kind sichtlich genervt vom Arm. „Was ist bloß los mit dir? Bist du in Gedanken noch in Virginia?“

Paxton atmete tief durch, um sich zu beruhigen. „Es geht mir einfach vieles im Kopf herum“, erwiderte er.

Sierra ging über den Parkplatz zu dem großen Gebäude, das vor ihnen lag. „Hauptsache, keine Frau“, erwiderte sie. „Großmutter würde ausrasten, wenn du deine Prioritäten nicht klar für die Firma setzt.“

Sie klang plötzlich so bitter, dass Paxton sie erstaunt ansah.

Alle aus seiner Familie waren Gründer bedeutender Firmen und hochdotierte Geschäftsleute in Savannah. Es wurde vorausgesetzt, dass man dementsprechend heiratete, sich hohe Ziele steckte und die Familie über alles stellte. Paxton hatte sich immer darauf gefreut, eines Tages seine eigene Familie zu gründen, und zwar mit der Frau, die seinen beruflichen und persönlichen Interessen am besten entsprach. Genau wie seine Schwestern, die ihre Ehemänner aus den besten Kreisen der Gesellschaft von Savannah ausgesucht hatten.

So war der Plan, in dem Ivy überhaupt keinen Platz hatte. Dennoch hatte er sie vom ersten Augenblick an begehrt und die Nacht mit ihr als pure Ekstase erlebt. Allein der Gedanke daran ließ sein Herz schneller schlagen.

Er schüttelte den Kopf. Ivy hatte mit seiner Zukunftsgestaltung nichts zu tun, und sein kleiner romantischer Ausflug war einfach ein Fehler gewesen. Aber das sagte man einer Frau nicht am Telefon.

Paxton blickte seine Schwester von der Seite an. Sie sah gestresst aus und das lag sicher nicht nur an ihrer Schwangerschaft und dem lebhaften Kleinkind auf ihrem Arm. Die müden Augen und der bittere Zug um den Mund waren nicht typisch für Sierra. Auch ihr scharfer Ton ihm gegenüber war etwas, das Paxton nicht an seiner Schwester kannte.

Er legte ihr eine Hand auf den Arm und zog sie in eine Ecke der Eingangshalle vor der Arztpraxis. Seine Nichte hatte den Kopf auf die Schulter ihrer Mutter gelegt und schlief.

„Sierra, was ist mit dir?“, fragte er besorgt.

Rasch wandte sie den Blick ab, doch Paxton hatte die Tränen in ihren Augen schon gesehen.

„Nichts“, behauptete sie. „Wahrscheinlich machen mir die Hormone zu schaffen.“

Bestimmt hatte sie recht, aber Paxton hatte als großer Bruder einen guten Instinkt, der ihm deutlich sagte, dass das nicht alles war. „Sicher, aber da ist doch noch mehr. Was ist es?“, fragte er drängend. „Gibt es zwischen dir und Jason ein Problem?“

„Keine Ahnung“, sagte sie und wischte sich über die Augen, bevor sie ihrer kleinen Tochter liebevoll über das Haar strich. „Er ist nie da. Ständig arbeitet er. Deswegen habe ich ihn ja vermutlich geheiratet.“ Sie sah Paxton an. „Weißt du was, großer Bruder? Unsere Eltern und Großeltern hatten vielleicht kein Problem mit ihren Vernunftehen. Aber ich sage dir, so wunderbar ist das Leben, das sie uns ausgemalt haben, nicht. Ich glaube, es ist keine gute Idee, wegen Geld zu heiraten. Jedenfalls gibt es da bestimmt nicht weniger Probleme als in einer Liebesheirat“, fügte sie hinzu. „Lass uns jetzt reingehen.“

Es war klar, dass sie das Thema wechseln wollte.

Paxton folgte ihr verwirrt. Sierra hatte nie Geheimnisse vor ihm gehabt. Was war geschehen? Sein Beschützerinstinkt erwachte, wie immer, wenn er mit seinen Geschwistern zusammen war. Sie hatten sich immer alle sehr nahegestanden. Und inzwischen war er der Onkel mehrerer kleiner Mädchen, die seine Schwestern zur Welt gebracht hatten. Seine Großmutter prophezeite immer, dass er als erster einen Jungen als Erben vorweisen würde. Darauf freute er sich jetzt schon. Aber bis es soweit war, würde er die Frauen in seinem Leben beschützen und lieben, so gut er konnte.

Wenn er nur wüsste, wovor er Sierra beschützen sollte …

„Komm, gib mir die Kleine, während du dich anmeldest“, erbot er sich, nahm Sierra seine Nichte ab und legte sie vorsichtig an seine Schulter. Er stellte sich hinter Sierra, die sich bei der Rezeptionistin in die Liste der Patienten eintrug. Um ihn herum waren die Menschen in leise Gespräche vertieft, aber er schenkte ihnen keine Beachtung. Gedankenverloren schaute er auf die andere Seite der Empfangstheke, wo eine Arzthelferin mit einer Patientin sprach, die gerade fertig war. Als sie sich ein wenig zur Seite drehte, erstarrte er. Es war Ivy.

Instinktiv lehnte er sich weiter vor, um etwas von dem Gespräch zu erlauschen. Zum Glück besaß er ein hervorragendes Gehör.

„Hier sind Ihre Vitamine“, sagte die Helferin gerade.

Nervös musterte Ivy die Schachtel, die vor ihr auf der Theke stand.

„Und hier habe ich noch das Rezept für die Tabletten gegen Übelkeit“, fuhr die junge Frau im weißen Kittel fort. „Sie können sie nach Bedarf einnehmen. Schließlich wollen wir ja, dass Sie für sich und das Baby ausreichend essen, nicht wahr? Mit ein bisschen Glück hört die Übelkeit auch bald auf.“

Ivy nickte.

„Haben Sie noch Fragen?“

Schweigend schüttelte Ivy den Kopf, nahm die Schachtel und das Rezept und sah auf. Als ihr Blick auf Paxton traf, erstarrte sie. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, und sie wurde totenblass.

Jetzt erst begriff er. Ein Baby. Ivy erwartete ein Kind. Sein Kind.

Bevor er wieder richtig zu sich gekommen war, hatte Ivy den Raum verlassen.

„Mein Gott, Paxton, was ist bloß heute los mit dir?“ Die Stimme seiner Schwester drang wie durch dichten Nebel zu ihm.

„Entschuldige“, murmelte er. „ich bin gleich wieder da.“

Er ging an ihr vorbei nach draußen und hielt Ausschau nach Ivy, aber die Eingangshalle war leer. Plötzlich wurde ihm klar, dass es nichts gab, was er ihr sagen könnte. Er wollte sie einfach nur finden. Jetzt.

Aber weder auf den Treppen noch auf dem Parkplatz gab es eine Spur von ihr. Sie war wie vom Erdboden verschluckt.

Nach fünf Minuten gab Paxton die Suche auf. Auf seinem Handy waren inzwischen zwei Anrufe seiner Schwester eingegangen. Rasch kehrte er in das Wartezimmer zurück, wo ihn Sierra mit einer Flut von Vorwürfen empfing.

Doch Paxton hörte kaum zu. Vor seinem Auge sah er nur Ivy.

„Paxton McLemore hat mich heute in der Klinik gesehen.“ In Ivys Stimme schwang Panik mit, als sie ihren Schwestern von dem Vorfall berichtete.

Sie zwang sich, tief ein- und auszuatmen. Es war nicht gut für das Baby, wenn sie sich so aufregte, auch wenn es verständlich war. Einen ganzen Monat lang hatte sie gewartet und gehofft, sich zu irren. Dann hatte ein einziger Besuch beim Arzt gereicht, um alle ihre Pläne zu durchkreuzen.

„Erzähl, was ist passiert?“, erkundigte sich Jasmine, ihre ältere Schwester. Sie war immer gelassen und ruhig, genau das, was Ivy jetzt brauchte. Als Eventmanagerin hatte Jasmine Erfahrung darin, mit nervösen Menschen umzugehen, sie begegneten ihr in ihrem Job jeden Tag.

„Er stand mir gegenüber am Empfang. Ich hatte ihn erst gar nicht gesehen, aber als ich fertig war und gehen wollte, war er plötzlich da.“

Mit einem Baby im Arm, fügte sie in Gedanken hinzu. So, wie sie es sich für ihr eigenes Kind gewünscht hätte. Nur war es leider ein fremdes, und der Anblick war wie ein Albtraum gewesen.

Vor zwei Monaten hatte ihr persönlicher Albtraum mit dem Morgen begonnen, der auf die gemeinsame Nacht mit Paxton folgte und ihre romantischen Fantasien vom Prinzen und einem Happy End in Luft auflöste.

„Ich hoffe, er hat dich erkannt?“, fragte Auntie mit gerunzelter Stirn.

„Ganz sicher“, antwortete Ivy düster. „Er war völlig schockiert.“ Sie zeichnete mit dem Finger die Linien auf dem Holztisch nach, an dem sie saßen.

Ivy hatte genau beobachtet, dass Paxton ihre Medikamente und vermutlich auch die Worte der Krankenschwester registriert hatte. Und sie konnte nichts dagegen tun, außer schleunigst zu verschwinden.

„Ich war total panisch“, erklärte sie. „Deswegen habe ich einfach mein Zeug gegriffen und bin rausgerannt.“ Ihre Wangen brannten vor Scham. „Was hätte ich auch sonst tun sollen? Mich mit ihm unterhalten?“

Links von sich hörte sie ein leises Kichern.

„Was ist denn daran so lustig?“, fragte sie Willow.

Es nützte nichts, dass ihre Schwester die Lippen zusammenpresste, um sich zu beherrschen. „Ich stelle mir gerade vor, wie du den Flur hinunterrennst und alle Leute zur Seite schubst, die dir in den Weg kommen. Weißt du, wie in einem von diesen Thrillern, wenn das Opfer auf der Flucht ist.“ Sie prustete schon wieder los.

Jetzt musste auch Auntie kichern und es dauerte nicht lange, bis sich alle vier vor Lachen krümmten.

Ivy liefen schon die Tränen aus den Augen. Es tat so gut, mit ihren Schwestern ausgelassen zu sein. Niemand konnte sie so trösten wie sie.

„Vielleicht ist es ihm ja egal“, überlegte Willow laut, nachdem sie sich beruhigt hatte.

Ivy wischte sich über die Augen. Sie hatte sich den Moment, als sie Paxton entdeckt hatte, in den vergangenen Stunden wieder und wieder ins Gedächtnis gerufen. Zumindest war ihr inzwischen klargeworden, dass er seine Schwester in die Klinik begleitet hatte. So ergab das Ganze wenigstens einen Sinn. Trotzdem war es schrecklich.

Auntie unterbrach ihre Gedanken. „Das glaube ich nicht. Die Frage ist eher, was er tun wird. Männer wie er geben nicht so ohne Weiteres auf.“ Sie sprach so unverblümt, wie sie es schon immer tat, seit sie die drei Schwestern einst als elternlose Waisen aufgenommen hatte.

„Auntie, das bringt uns jetzt wirklich nicht weiter“, protestierte Jasmine, die sah, wie sich Ivys Miene verfinsterte.

„Aber es stimmt“, gab Auntie unbeeindruckt zurück.

Stöhnend ließ Ivy den Kopf in die Hände sinken. „Was habe ich mir bloß dabei gedacht, mich ausgerechnet mit Paxton McLemore einzulassen? Und warum habe ich diesem dummen Ring vertraut? Ich war so sicher, dass er mir nichts als Glück bringen würde.“

„Bei Jasmine und mir hat es ja auch funktioniert“, stellte Willow fest.

Das war kein guter Zeitpunkt, um Ivy daran zu erinnern, dass beide Schwestern den Mann ihres Lebens gefunden hatten, als sie den Ring trugen. Sie selbst hatte jedenfalls kein Glück damit gehabt.

Ivy warf Willow einen schiefen Blick zu. „Schade, dass er bei mir eine Ausnahme gemacht hat.“

Natürlich wusste sie, dass das alles nichts mit dem Schmuckstück zu tun hatte. Nein, ihre eigenen wilden Fantasien, die sie vom ersten Moment an über Paxton gehabt hatte, waren schuld an dem Dilemma, in dem sie jetzt steckte. Statt ihre Mission konsequent zu verfolgen, hatte sie sich und ihre Familie gefährdet. Ihr Ziel war es gewesen, sich um nichts anderes zu kümmern als um ihre Arbeit und ihre Karriere … und dabei unentdeckt zu bleiben. Sollte Paxton die Sache zu eifrig verfolgen, konnte es schnell geschehen, dass er ihre wahre Identität entdeckte. Dann steckte nicht nur sie, sondern die ganze Familie in Schwierigkeiten.

„Zumindest hat er sich nicht gemeldet, obwohl er deine Handynummer hat“, sagte Jasmine. „Das ist doch ein gutes Zeichen, oder?“

Ivy stöhnte entnervt auf. „Keine Ahnung.“

„Meinst du, er weiß, dass es sein Kind ist?“, wollte Auntie wissen.

„Er kann vermutlich zwei und zwei zusammenzählen“, erwiderte Ivy. Sie hatten zwar ein Kondom benutzt, aber das konnte eben auch schiefgehen.

Ivy biss sich nervös auf die Unterlippe. Sie war sicher, dass Paxton sich irgendwann in nächster Zeit bei ihr melden würde. Selbst wenn er nicht an ihr interessiert war, wie die vergangenen zwei Monate ja bewiesen hatten – aber ein Baby war eine andere Sache. Paxton McLemore war durch und durch ein Familienmensch, der ihre Schwangerschaft mit Sicherheit nicht ignorieren würde. „Ich weiß einfach nicht, was ich ihm sagen soll“, murmelte sie verzweifelt.

Alle zuckten zusammen, als es an der Haustür klopfte.

„Keine Aufregung“, beschwichtigte Willow und erhob sich.

Jasmine legte eine Hand beruhigend auf Ivys Arm. „Es wird alles gut, glaub mir.“

Dieses Gefühl hatte Ivy ganz und gar nicht.

Sie hörten, wie Willow die Tür öffnete. Und dann eine markante männliche Stimme: „Wo ist sie?“

Ivy hätte Paxtons Stimme überall erkannt, und sie kannte auch den energischen Ton, den er oft genug in Konferenzen anschlug.

Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte sie ihre Schwester an. Vor Panik bekam sie kaum Luft. Ihr Kopf dröhnte.

Sie stand auf und zog ihre Schwester hoch. Beide schlichen zur Tür, die vom Esszimmer auf den Flur führte, und spähten vorsichtig um die Ecke. Auf der Türschwelle stand Paxton und funkelte Willow verärgert an. Dann entdeckte er Ivy.

Ohne ein weiteres Wort drängte er sich an Willow vorbei und kam auf Ivy zu, so schnell, dass die hölzernen Dielen unter seinen Schritten knarrten.

„Paxton“, rief Ivy aus. „Was machst du hier?“

„Ich hole, was mir gehört“, gab er wütend zurück.

Fast fühlte sie sich bei seinen Worten etwas geschmeichelt, aber er sah dabei so sauer aus, dass der Gedanke, er könnte sie gemeint haben, ziemlich absurd war.

„Raus hier!“

Sie konnte kaum glauben, dass die harsche Aufforderung wirklich aus ihrem Mund gekommen war.

Paxton lächelte amüsiert. Aber nur eine Sekunde lang, bevor er sie wieder grimmig anschaute. „Wenn ich es recht verstehe“, sagte er langsam, „hast du deine Kündigung eingereicht, als du bereits wusstest, dass du von mir schwanger warst. Und dann hast du einfach nichts mehr von dir hören lassen.“

Seine Worte trafen Ivy mit voller Wucht. Sie fühlte die Schuld wie eine zentnerschwere Last auf ihren Schultern und konnte nichts erwidern. Er hatte ja recht, so war es gewesen. Nur, dass diese Darstellung nichts von dem Kummer und der Einsamkeit wiedergab, die sie in den letzten zwei Monaten durchlitten hatte.

„Ivy“, sagte Paxton und trat so nah an sie heran, dass sie sich für einen Moment vor ihm fürchtete. „Ich glaube, wir haben ein Problem.“

3. KAPITEL

„Hast du eine gute Erklärung für mich?“

„Verdienst du eine?“ Normalerweise war Ivy immer diplomatisch, aber in dieser Situation, auf die sie überhaupt nicht vorbereitet war, fühlte sie sich völlig überrumpelt.

Sie brauchte ihre Schwestern, aber die hatten sie auf Paxtons Bitte hin mit ihm allein gelassen. Natürlich waren sie nicht weit weg und würden sofort wieder auftauchen, falls Ivy um Hilfe rief, doch das hatte sie nicht vor.

Hilfesuchend schlang sie die Arme um ihren Körper. Ihn leibhaftig vor sich zu sehen, strengte sie mehr an als alle Sorgen, die sie vorher gehabt hatte.

„Wie hast du mich überhaupt gefunden?“, fragte sie.

„Die Personalabteilung war so nett, mir deine Adresse mitzuteilen.“

„Aber wieso?“

„Fragst du das im Ernst?“

Ivy stellte verwundert fest, dass er sich tatsächlich über ihre Frage aufregte. Natürlich wusste sie, dass er Kinder über alles liebte. Aber mit ihr hatte das nicht das Geringste zu tun, was sie so erboste, dass sie ihn wütend anschaute.

„Ich hätte aus allen möglichen Gründen in der Praxis sein können“, behauptete sie.

„Klar, vor allem, weil du Vitamine und Tabletten gegen Übelkeit bekommen hast.“

„Das geht dich überhaupt nichts an, Paxton“, fauchte Ivy.

„Lass es einfach!“, gab er aufgebracht zurück.

Er lehnte sich drohend über sie, sodass sie sich immer unwohler fühlte. Selbst in High Heels war sie deutlich kleiner als er. Wenn sie Flip-Flops trug, so wie jetzt, überragte er sie um Längen. Immerhin hielt sie sich noch auf den Beinen, obwohl sie sich liebend gern gesetzt hätte. Doch dann hätte sie sich in seiner übermächtigen Gegenwart noch winziger gefühlt.

Paxton war noch nicht fertig mit ihr. „Wenn du den Job nicht mehr wolltest, ist das deine Sache“, fuhr er in scharfem Ton fort. „Aber du kannst nicht einfach mit meinem Kind abhauen.“

Ivy atmete tief durch. Sie fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Das war alles viel zu viel. „Es ist mein Kind, Paxton“, beharrte sie.

„Meins auch“, sagte er. „Das hast du selbst zugegeben.“ Er grinste selbstzufrieden. „Ich finde es unverantwortlich, dass du einfach weggerannt bist.“

Jetzt reichte es. „Ach ja? Was hätte ich denn tun sollen? Du hast doch mehr als deutlich gemacht, dass du nur an einer rein beruflichen Beziehung interessiert bist. Ich hatte nicht den Eindruck, dass du dich um irgendwelche Konsequenzen scherst.“ Ihr flammender Blick durchbohrte ihn förmlich; ihr Blut kochte vor Zorn. Was bildete er sich eigentlich ein?

Paxton schüttelte den Kopf. „Du hättest es mir einfach sagen können. Immerhin handelt es sich um unser Kind.“

„Ich verstehe. Dir geht es wirklich nur um dich.“

Frustriert fuhr er sich durchs Haar. Diese Geste war ihr aus dem Büro so vertraut, dass ihr einen Moment schwindelig wurde. Es dauerte lange, bis man Paxton McLemore so weit gebracht hatte, dass er genervt und wütend war. Normalerweise reagiert er dann mit absoluter Kälte seinem Gesprächspartner gegenüber. Allerdings traf das nicht für sein Privatleben zu. Privat war er ganz anders, und schon jetzt vermisste Ivy diesen Teil von ihm, den sie auch kennengelernt hatte.

Momentan war sie aber in der Schusslinie und bekam seinen geballten Ärger ab.

Er schob die Hände tief in die Taschen und begann, in der Küche auf- und abzugehen. Nach einer Weile zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich an den Tisch. Mit einer Geste bedeutete er ihr, sich auch hinzusetzen.

Ivy zögerte. Wie kam er dazu, ihr vorzuschreiben, was sie zu tun hatte? Am liebsten wäre sie stehen geblieben, aber sie hatte einfach keine Kraft mehr.

Verdammt.

Sie setzte sich ihm gegenüber und verschränkte die Arme vor der Brust. Zu oft hatte sie Paxton im Job erlebt, als dass sie sich einbildete, eine Auseinandersetzung mit ihm würde leicht werden. Sie versuchte, sich gegen alles zu wappnen.

„Warum?“, fragte er gefährlich leise. „Wolltest du es mir vielleicht gar nicht erzählen? Nie?“

Schuldbewusst nagte sie an ihrer Unterlippe. Was sollte sie sagen? Schließlich wusste sie doch selbst nicht, wie es weitergehen sollte. Jeder Tag war wie ein Kampf ums Überleben: Bewerbungen für einen neuen Job schreiben, so viel essen, dass sie nicht umfiel und ihr andererseits nicht schlecht wurde, schlafen.

Kein leichter Balanceakt.

Ivy seufzte. „Wie soll ich dir das erklären?“ Sie versuchte, ihre Gedanken in Worte zu fassen. „Ich war mir einfach nicht im Klaren darüber, wie es weitergehen sollte. Sowie ich konkrete Pläne gehabt hätte, hätte ich mich gemeldet.“

„Aha.“ Er sah sie forschend an. „Was denn für Pläne?“

Ivy schluckte. Sie hatte immer gewusst, dass Paxton durch und durch ein Familienmensch war und seine Nichten über alles liebte. Auch jetzt trug er seine Beschützermiene … leider nicht für Ivy.

„Ich wollte erst einmal einen neuen Job. Das ist doch wohl logisch.“

„Logisch?“

„Natürlich, Paxton. Oder kannst du dir vorstellen, dass wir in dieser Situation zusammenarbeiten könnten? Das wäre weder angenehm noch professionell.“

„Wieso nicht? Kannst du Privates nicht von Beruflichem trennen? Was haben Emotionen mit dem Job zu tun?“

„Sei bitte nicht albern.“ Fassungslos schaute sie ihn an.

„Was zwischen uns geschehen ist …“

„War ein Fehler“, beendete sie den Satz.

Er erstarrte. „Wer sagt das?“

„Du, Paxton!“, rief sie außer sich und schlug heftig auf die Tischplatte. Wie konnte er es wagen, sie als hysterische, dumme Ziege hinzustellen. „Du hast mir das gesagt. Mit jedem Telefonanruf und jeder E-Mail ohne eine einzige persönliche Zeile.“ Sie war laut geworden.

„Du hast nie ein Wort darüber verloren“, bemerkte er.

„Ich habe mit meinem Chef geschlafen!“, schrie Ivy mit sich überschlagender Stimme. „Wenn er am nächsten Morgen ohne ein Wort verschwindet und zwei Monate lang nichts mehr dazu sagt, gibt es nur zwei mögliche Erklärungen. Entweder war er so betrunken, dass er sich an nichts erinnern kann, oder er will die Sache so schnell wie möglich vergessen.“

„Ich war nicht betrunken“, sagte Paxton ruhig.

„Tja, dann haben wir ja noch die andere Möglichkeit“, stieß Ivy hervor, bevor sie sich vor Übelkeit zusammenkrümmte. Das emotionale Chaos, das in ihr herrschte, brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht.

„Alles okay?“, fragte Paxton besorgt. Er war schon aufgesprungen und stand jetzt an ihrer Seite.

„Nein!“, rief Ivy. Sie versuchte, so langsam wie möglich zu atmen. Bisher hatte das immer am besten geholfen, wenn ihr schlecht wurde, was praktisch rund um die Uhr der Fall war.

„Außerdem geht es auch noch um ganz andere Dinge“, krächzte sie.

„Um welche denn?“

Sie wusste, dass er eine Antwort erwartete, konnte aber jetzt nicht wirklich klar denken. Und alles, was sie über ihre Familie sagte, konnte jede Menge Schaden anrichten, nicht nur für sie selbst, sondern auch für Jasmine.

Obwohl ihre Schwester verlobt war, könnten die McLemores sehr unangenehm werden und ihr Geschäft als Eventplanerin zunichte machen, falls die wahre Herkunft der Schwestern bekannt werden sollte.

„Ich … ich kann das jetzt nicht diskutieren“, sagte Ivy kläglich. „Mein Magen …“

„Okay“, willigte Paxton ein, aber ihm war anzumerken, dass die Sache für ihn noch lange nicht erledigt war. Er stand auf und stellte sich vor Ivy. „Und denk daran, dass ich mich nicht um Dinge kümmern kann, von denen ich gar nichts weiß.“

„Du brauchst dich um nichts zu kümmern“, gab Ivy zurück, während sie gegen eine Welle von Übelkeit ankämpfte. „Ich brauche nur Zeit.“

„Unsere Zeit ist begrenzt.“

„Wie bitte?“

„Hast du das geplant?“

Wow. Er war wirklich nicht zu bremsen. Und sie hatte tatsächlich damals gedacht, dass er etwas für sie empfinden würde. Sie war so verletzt, dass ihre Kehle eng wurde und sie nur noch flüstern konnte. „Glaubst du das wirklich von mir?“

„Eigentlich nicht“, antwortete er so sachlich, dass ihr schon wieder schlecht wurde. „Aber ich habe gelernt, dass Menschen sich sehr gut verstellen können.“

Ja, so wie er. Doch sie sprach es nicht aus. „Ich kann dich doch sowieso nicht davon überzeugen, dass ich nicht absichtlich schwanger geworden bin, oder?“, sagte sie stattdessen. „Also haben wir wohl ein Problem, richtig?“

„Ich denke schon.“

Sie sieht so schwach aus, dachte Paxton einen Tag später, während er Ivy betrachtete, die auf einem Sofa eingeschlafen war. Wie damals, als er sie am Morgen verlassen hatte, fiel ihr Haar in zerzausten Locken über die Kissen. Ihr Gesicht war schmaler geworden und eine steile Falte stand zwischen ihren Augenbrauen, als könnte sie nicht einmal im Schlaf Entspannung finden.

Paxton ließ seinen Blick durch das Zimmer wandern. Was er sah, gefiel ihm. Die Einrichtung bestand überwiegend aus antiken Möbeln, die mit einigen modernen Stücken zu einer sehr gemütlichen Mischung zusammengestellt waren. Man merkte, dass hier Frauen wohnten, die eine sichere Hand für Geschmack und Stil hatten. Das Wohnzimmer wirkte einladend und gleichzeitig traditionsbewusst.

„Sie ist jetzt immer völlig fertig“, bemerkte die ältere Dame, die von den Schwestern Auntie genannt wurde und sich soeben zu Paxton gesellt hatte.

Er warf ihr einen unsicheren Blick zu. „Ist es gefährlich, dass ihr immer so schlecht ist? Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Schwestern damit Probleme hatten.“

Sierra hatte überhaupt nicht unter Übelkeit gelitten und Janine immer nur am Morgen. Dafür waren beide so emotional, dass eine harmlose Unterhaltung schnell zu einem Minenfeld werden konnte.

„Aber nein“, erwiderte Auntie und winkte ab. „Solange sie genug bei sich behalten kann, besteht kein Problem. Es ist zwar nicht angenehm, aber ungefährlich.“

„Gut.“ Er lächelte erleichtert.

„Das alles hat sie ziemlich mitgenommen“, fuhr Auntie fort. „Ich meine die ganzen Umstände und jetzt die dauernde Übelkeit.“

Paxton nickte. „Natürlich.“

„Sie wird eine tolle Mutter werden“, sagte Auntie liebevoll.

Wieder wanderte sein Blick zu der schlafenden Ivy. Er kannte sie im Büro als zuverlässige, kompetente Mitarbeiterin, die auch mit schwierigen Klienten sicher umgehen konnte. Nach dem Maskenball hatte er die leidenschaftliche Frau entdeckt, die ebenfalls Teil von ihr war. Keine Sekunde zweifelte er daran, dass sie auch eine wunderbare Mutter abgeben würde.

Paxton seufzte unhörbar. Die ganze Nacht hatte er überlegt, was er tun sollte. Er war hin- und hergerissen zwischen Panik und endlosen Fragen, für die er keine Lösung fand. Es hatte jedenfalls keinen Zweck, wenn sie beide zuließen, dass die Emotionen mit ihnen durchgingen. So wie am Tag zuvor. Also hatte er sich entschlossen, heute Nachmittag wiederzukommen und die Sache anders anzugehen. Vor allem brauchte er sehr viel mehr Informationen, wenn er klarer sehen wollte.

Informationen über das Privatleben und die Familie von Ivy. Schließlich musste er wissen, in welcher Umgebung sein Kind aufwachsen würde. Erst wenn ihm der Hintergrund klar war, konnte er Pläne für die Zukunft schmieden. Erst dann konnte er entscheiden, was für das Kind am besten war.

Natürlich war die Situation alles andere als ideal, aber wenn er erst einen Plan hatte, würde er sich besser fühlen.

Er riss sich vom Anblick Ivys los. Es war Zeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

„Danke, dass ich kommen durfte“, sagte er zu Auntie. Sie hatte ihn freundlich empfangen und ins Wohnzimmer geführt. Schon gestern hatte er bemerkt, dass sie beim Gehen hinkte und stets etwas erschöpft aussah.

„Kein Problem“, sagte sie. „Die Mädchen halten mich auf Trab, aber ich würde auf keinen Tag mit ihnen verzichten.“

„Ich weiß, was Sie meinen.“ Paxton nickte. „Meine Familie geht mir auch über alles.“

Er wollte sich gar nicht ausmalen, was man ihm erzählen würde, wenn herauskam, dass seine Assistentin ein Kind von ihm erwartete. Das entsprach mit Sicherheit nicht den Vorstellungen der lieben Verwandtschaft von Paxtons Start in ein eigenes Familienleben …

Seinen allerdings auch nicht. An Familienplanung hatte er in der gemeinsamen Nacht mit Ivy nicht gedacht.

„Ich liebe meine große Familie, obwohl ich sie erst spät bekommen habe“, sagte Auntie. „Haben Sie auch eine große Familie?“

Paxton lachte und erzählte ihr von seinen zwei Schwestern und deren Kindern. Er hatte seinen Geschwistern, seinen Eltern und seiner Großmutter immer nahegestanden, und alle hatten große Erwartungen an ihn.

Ein Baby mit Ivy passte definitiv nicht in den Plan. Als er an die Enttäuschung dachte, die er seiner Familie zufügen musste, wurde ihm ganz übel. Aber das Baby war nun einmal da, und er würde sich nicht vor der Verantwortung drücken. Darüber hinaus liebte er einfach Kinder und hatte jede Menge Zeit mit seinen Nichten verbracht. Es war wundervoll, ein Kind in die Welt kommen und aufwachsen zu sehen.

„Vielen Dank, dass Sie sich um Ivy kümmern“, sagte er warm.

Auntie lächelte. „Ivy besteht zwar darauf, dass sie alles im Griff hat, aber es macht sie fertig. Und auch, wenn sie es nicht hören will, fühlen sich alle in der Familie verantwortlich. Das ist doch normal.“ Sie dämpfte ihre Stimme. „Ich werde sie jetzt auf keinen Fall alleine lassen. Sie braucht ihr eigenes Bett, ihre Komfortzone. Bei Willow wäre sie derzeit nicht so gut aufgehoben.“

In Paxtons Kopf arbeitete es, aber er konnte seine Gedanken nicht ordnen. Irgendetwas war hier seltsam …

„Ich habe es doch geahnt, dass du wiederkommst.“ Ivys Stimme klang leise und müde.

„Was denkst du denn? Ab jetzt werden wir viel miteinander zu tun haben“, erwiderte Paxton energisch.

Gleich darauf bereute er seine Worte. Er wusste, dass er seine Gefühle aus der Sache heraushalten musste, aber wusste das Ivy auch?

Abgesehen davon war er sich überhaupt nicht im Klaren darüber, was er für Ivy empfand. Bis zu seiner Rückkehr aus Virginia hatte er versucht, einfach nicht an sie zu denken. Das sollte er jetzt auch tun und sich nur auf das Baby fokussieren.

Sein Kind würde er niemals verlassen.

Er setzte sich zu Ivy auf das Sofa. Sofort zog sie die Beine an und brachte sich in eine aufrechte Position.

„Ich lasse euch junge Leute mal eine Weile allein“, sagte Auntie. „Ihr habt bestimmt jede Menge zu besprechen.“

Paxton schaute Ivy an, die spöttisch grinste.

„Gibt es einen besonderen Grund dafür, dass du versuchst, meine Tante um den Finger zu wickeln?“, fragte sie herausfordernd.

Bingo. „Wie meinst du das?“

„Ich kenne dich seit eineinhalb Jahren und habe dich zahllose Male mit anderen erlebt. Das Lächeln, das du bei ihr aufgesetzt hast, ist mir vertraut. Was willst du?“

„Wie fühlst du dich?“, erkundigte er sich statt einer Antwort.

Mit einer raschen Bewegung warf Ivy ihr Haar zurück. „Gut“, log sie.

„Helfen die Medikamente?“

„Manchmal. Die Übelkeit geht nie ganz weg.“

Er hatte schon bemerkt, dass sie dünner geworden war. Ihre Wangenknochen zeichneten sich viel deutlicher als vorher in ihrem Gesicht ab und dunkle Schatten lagen unter ihren Augen.

„In einem Monat sollte ich es überstanden haben, meint die Ärztin“, erklärte sie. „Bestimmt hat sie recht.“

Paxton hatte mittlerweile einen Plan gefasst, den er jetzt in die Tat umsetzen wollte. Zunächst war das Ganze nur eine vage Idee gewesen, die ihm plötzlich gekommen war, doch nun war er entschlossen, das Richtige zu tun. Er musste allerdings auf der Hut sein. So leicht wie Auntie konnte er Ivy nicht beeindrucken, und auf keinen Fall wollte er ihr das Gefühl geben, manipuliert zu werden.

Er brauchte sie an Bord.

„Ivy, ich würde gern bei dir wohnen.“ Die Worte waren ihm schneller entschlüpft, als ihm lieb war. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Sie starrte ihn ungläubig an.

Er war ebenso schockiert wie sie, aber es gab für ihn keinen anderen Weg, an die Informationen zu gelangen, die er brauchte.

„Warum?“, fragte sie leise.

Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass sie weder wütend noch spöttisch mit ihm redete. Das würde alles einfacher machen.

„Weil wir ein Baby erwarten.“

„Das stimmt nur teilweise“, berichtigte sie ihn. „Ich erwarte ein Baby. Wir sind die Eltern, aber wir sind kein Paar.“

Da hatte sie nun wieder recht. Paxton stand auf und ging ein paar Schritte, um sich zu sammeln. „Richtig“, sagte er schließlich. Es hatte keinen Zweck, sich etwas vorzumachen. „Bis jetzt jedenfalls nicht. Aber wir werden durch das Kind immer miteinander verbunden sein. Und ich muss ehrlich zugeben, dass ich privat so gut wie nichts von dir weiß. Ebenso wenig wie du von mir.“

Sie schüttelte schon den Kopf. „Ich kann mich damit momentan nicht auseinandersetzen, Paxton. Vielleicht später.“

„Warum? Ich kenne mich mit schwangeren Frauen bestens aus, wie du weißt. Meine Schwester habe ich zu jedem einzelnen Vorsorgetermin begleitet, als ihr Mann geschäftlich unterwegs war.“ Er sah sie offen an. „Auntie hat mir erzählt, dass sie eigentlich geplant hatte, mit Jasmine eine Weile wegzufahren, aber jetzt traut sie sich nicht. Erlaube mir, dass ich für dich sorge. Das wird für dich einiges erleichtern und …“

„Na, wie läuft es bei euch?“ Auntie trat mit einem Tablett ein, auf dem Tee und Gebäck standen. Sie stellte es auf einem kleinen Tisch ab, der neben der Couch stand. „Hier ist etwas Ingwertee für dich, Liebes“, sagte sie zu Ivy. „Trink ihn in kleinen Schlucken.“

Ivy richtete sich auf und nahm die Porzellantasse entgegen. „Danke, Auntie, wie lieb von dir.“

Die ältere Frau hinkte zu einem Sessel und ließ sich vorsichtig darin nieder. Ivy beobachtete sie besorgt.

„Ach übrigens, Auntie“, begann Paxton. „Ich versuche gerade, Ivy davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee wäre, wenn ich eine Weile hierbleiben könnte.“ Er achtete nicht auf Ivys entsetzten Gesichtsausdruck. „Ich kann mich um sie kümmern, und Sie können ganz beruhigt mit Jasmine wegfahren.“

Auntie warf Ivy einen amüsierten Blick zu, den Paxton nicht deuten konnte.

„Mein lieber Paxton, Sie sollten mich nicht benutzen, um Druck auf Ivy auszuüben“, sie sah ihn an und zog die Brauen hoch. „Die junge Dame hier fühlt sich auch so schon ständig schuldbeladen.“

„Ich wollte nicht …“, begann Paxton, doch Auntie unterbrach ihn sogleich.

„Vielleicht kennen Sie die Frauen nicht so gut, wie Sie dachten. Die meisten von uns fühlen sich ständig für irgendetwas schuldig. Ivy musste in letzter Zeit dabei zusehen, wie andere die Arbeit gemacht haben, die sie sonst allein bewältigt hat. Das war schwer für sie. Aber ich glaube trotzdem, dass Ihre Idee gut ist.“

„Ja?“ Paxtons Miene hellte sich auf. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, von Auntie unterstützt zu werden.

„Das hat aber nichts mit mir zu tun, sondern nur mit euch beiden. Wenn ihr entscheiden wollt, wie es weitergehen soll, müsst ihr euch besser kennenlernen.“ Sie lächelte Ivy zu, die leichenblass und mit panischer Miene auf dem Sofa saß. „Dazu gehört auch Nähe.“

Ivy runzelte trotzig die Stirn. „Du willst also jemanden, den du gar nicht kennst, hier mit mir wohnen lassen?“

„Aber ich bin doch kein Fremder, Ivy“, protestierte Paxton energisch. „Es reicht doch, dass wir beide uns kennen.“

„Tun wir nicht“, gab Ivy feindselig zurück. „Sonst wärst du nie auf die Idee gekommen, ich könnte dir mit Absicht ein Baby angehängt haben.“

Paxton holte tief Luft. Er wollte nicht preisgeben, warum er so misstrauisch war, sah aber keinen anderen Ausweg aus der verfahrenen Situation. Vor allem nicht konfrontiert mit zwei Frauen, die ihn dermaßen intensiv musterten. Anscheinend hatte er keine Wahl. „Das ist lange her.“ Er schwieg wieder.

„Hat damals jemand versucht, dich in eine Ehe zu zwingen?“, fragte Ivy beklommen.

„Nein“, versicherte Paxton. Nein, Veronica hatte ihm keine Falle gestellt. „Ich hatte nur einfach Pech mit einigen Frauen, die mehr von mir wollten, als ich ihnen geben konnte. Ich glaube ja auch nicht, dass das im aktuellen Fall so ist, aber die Frage musste ich trotzdem stellen.“

Auntie lachte. „Also, wenn eine Frau Sie betrügen will, dann würde sie wohl kaum auf eine so direkte Frage ehrlich antworten. Ich kann Ihnen aber versichern, dass meine Nichte nicht zu diesem Typ gehört. Und außerdem waren Sie in der Nacht doch wohl für die Verhütung zuständig, oder?“

Ivy wurde abwechselnd rot und blass. „Auntie, was soll das?“, rief sie entsetzt.

Paxton dachte an die Schachtel mit Kondomen, die neben dem Bett gestanden hatte. Er hatte sie gekauft, so wie er sich selbstverständlich immer selbst um Verhütung gekümmert hatte. Aber diesmal war es schiefgegangen.

Er verspürte ein Ziehen im Körper, das ihn deutlich an die leidenschaftliche Nacht mit Ivy erinnerte. Und an den Fehler, den er gemacht hatte.

Gewaltsam riss er sich aus diesen Gedanken.

Als er sah, dass Ivy eine Hand auf ihren Magen presste und das Gesicht verzog, beschloss er, ihr mehr Zeit zu geben. Es hatte keinen Zweck, sie in ihrem Zustand zu sehr zu bedrängen. Normalerweise ließ er nicht locker, bis er eine Antwort auf seine Fragen bekam, aber jetzt musste er Rücksicht nehmen.

„Bitte denk noch einmal über mein Angebot nach“, sagte er freundlich. „Es wäre gut für uns beide.“ Natürlich würde es dann noch schwieriger sein, eine gewisse Distanz aufrechtzuerhalten, aber hier ging es um seine Zukunft. Seine Ziele waren es wert, dass er einen kleinen Umweg in Kauf nahm. Und seine Familie verdiente es ebenfalls. „Ich komme morgen wieder.“

„Warum rufst du nicht einfach an?“, wollte Ivy wissen.

Vielleicht konnte er den Druck noch ein ganz kleines Bisschen erhöhen. „Weil es letztlich nur noch um die Frage des Ortes geht. Du steckst mit mir zusammen in dieser Sache, wie auch immer du dich entscheidest.“

4. KAPITEL

„Auntie, wieso hast du mir nichts davon gesagt?“, fragte Ivy ein paar Tage später entnervt.

Sie hasste es, sich derart weinerlich anzuhören, aber sie konnte nichts dagegen tun. Mit jeder Minute, die Paxtons Einzug näher rückte, wurde sie nervöser. Schon in wenigen Stunden würde er hier sein, mit ihr allein im Haus, während Jasmine und Auntie sich zusammen davonmachten.

„Beruhige dich“, erwiderte Auntie lächelnd. „Es war meine Entscheidung, ihn hier wohnen zu lassen, und du musst dich in keiner Weise verantwortlich dafür fühlen.“

„Wirklich nicht?“ Ivy sah die Frauen, die sich vor ihrem Bett versammelt hatten, scharf an.

„Natürlich nicht“, antwortete Jasmine, die ihr ebenfalls bis zur letzten Minute nichts von den Einzugsplänen verraten hatte.

„Und warum werde ich als erwachsene Frau eigentlich derart übergangen?“ Ivy warf in gespielter Verzweiflung die Arme hoch. „Habe ich denn gar nichts zu sagen? Ich hätte sehr gut allein auf mich aufpassen können.“

„Eben nicht“, widersprach Auntie energisch. „Jedenfalls jetzt nicht.“ Sie ging zur Tür. „Und weißt du was? Das ist vollkommen in Ordnung.“

Ivy war anderer Meinung, fühlte sich aber plötzlich zu schwach, um weiter zu widersprechen. Seufzend ließ sie sich auf ihre Kissen fallen. „Ich weiß nicht“, murmelte sie. „Ob das alles richtig ist?“

Ihre Schwestern, die am Fußende des Betts Wäsche sortierten, warfen ihr fragende Blicke zu.

Nervös strich Ivy über die feine Stickerei auf dem Bettüberwurf, den Auntie zu ihrem achtzehnten Geburtstag genäht hatte. „Ich bin einfach nicht gut drauf“, verteidigte sie sich, als die anderen beiden sie immer noch schweigend ansahen.

„Das merkt man.“ Willow hob die Brauen. „Es ist nicht gerade typisch für dich, dass du Zweifel daran hast, wie du dich entscheiden sollst.“

„Nie“, fügte Jasmine bekräftigend hinzu.

Willow kicherte. „Wenn du so weitermachst, könnten wir dich glatt irgendwann für ein normales menschliches Wesen halten.“

Ivy streckte ihr die Zunge heraus. Sie glaubte ja gar nicht, immer alles zu wissen oder richtig zu machen, aber sie hasste es, andere mit ihren Problemen oder Bedürfnissen zu belasten. Nach dem Tod ihrer Eltern hatten sich immer alle um sie gekümmert, schließlich war sie das Nesthäkchen in der Familie … seit damals versuchte sie lieber zu geben, statt zu nehmen.

Ihre Gedanken kehrten zurück zu Paxton. Sie wusste überhaupt nicht, wohin das alles führen sollte. Wenigstens war ihr nicht mehr so schlecht wie sonst. Vielleicht war die Sache mit der Übelkeit bald ausgestanden und die Hormone würden sich beruhigen.

Sie spürte, dass ihre Schwestern sich Sorgen um sie machten, und konnte nichts dagegen tun.

„Wenn du das alles nicht willst, musst du es nicht tun“, begann Jasmine. „Nicht einmal, wenn er schon an der Tür steht. Wir kriegen das hin.“

Ivy wusste, wie enttäuscht Auntie wäre, wenn sie nicht zusammen mit Jasmine und deren Tochter Rosie wegfahren könnte. Sie hatten die Reise schon so lange geplant.

„Es geht nicht“, sagte Ivy leise.

Jasmine schaute sie erschrocken an. „Was meinst du?“, fragte sie und setzte sich neben ihre kleine Schwester auf das Bett. „Wir können doch hierbleiben. Du weißt, dass wir alles für dich tun würden.“ Liebevoll streichelte sie Ivys Gesicht.

Das war es ja gerade. Ihre Schwestern hatten genug mit ihrem eigenen Leben zu tun. Sie fand es schrecklich, ihnen so zur Last zu fallen.

„Natürlich weiß ich das“, erwiderte Ivy. „Aber ich glaube, ich muss das tun. Es steht viel auf dem Spiel …“ Sie strich über ihren Bauch. Schon jetzt liebte sie das Baby über alles, auch wenn es ihr manchmal schwierige Tage bescherte.

Willow gesellte sich zu den beiden. „Wirst du es ihm sagen?“, fragte sie.

Ivy starrte wortlos vor sich hin. Das Geheimnis ihrer Familie, das sie seit Generationen mit den McLemores verband und von dem Paxton nichts wusste. Das war es, worauf ihre Schwester anspielte. Bestimmt hatte er schon viele Male von der Geschichte gehört, bei der einer seiner Vorfahren ums Leben gekommen war. Angeblich, weil Ivys Familie den größten Frachter der McLemores durch Sabotage vor der Küste von Savannah zum Sinken gebracht hatte.

Der Erbe der Familie war damals ums Leben gekommen, es folgte eine Anklage wegen Mordes. Zwar gab es keine Beweise, aber das hatte die McLemores nicht davon abgehalten, das Leben von Ivys Urgroßvater zu zerstören. Am Ende musste er wegziehen, um das Leben seiner Frau und seiner Tochter zu beschützen.

Ivy wusste, dass er unschuldig gewesen war.